Wenn die Würfel fallen ... - Petra Starosky - E-Book

Wenn die Würfel fallen ... E-Book

Petra Starosky

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Beschreibung

Ein erfreulicher Abend für den Wirt der Schänke unweit von Tarnowo. Der jährliche Herbstmarkt zieht unzählige Händler aus aller Herren Länder in die Zarenstadt, die Rast bei ihm machen und viel Geld für eine Übernachtungsmöglichkeit zahlen. Doch auch zwielichtiges Gesindel findet sich ein. Vom Rausch des vielen Geldes lässt sich der Wirt auf ein verhängnisvolles Würfelspiel mit einem unheimlich wirkenden Fremden ein. Seine eisigen Augen verfolgen bereits den ganzen Abend lüstern Yvetta, die jüngere Tochter des Wirtes. Als ihn sein Spielglück verlässt und er bereits viel verloren hat, riskiert er einen letzten Wurf – und der Einsatz sind seine beiden Töchter. Welches Schicksal wird den Mädchen drohen, wenn er nicht gewinnt?

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Bulgarien September 1390

Nahe der reichen Zarenstadt Tarnowo

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

1

„Wirt, bringt mehr Wein!“

Eine scharfe Stimme schnitt sich durch das Stimmengewirr der verräucherten Schänke.

Der beleibte Wirt zuckte erschrocken zusammen. Kaum kam er an diesem Abend hinterher, die durstigen Kehlen seiner zahlreichen Gäste zu laben. Doch die beiden Fremden im dunkelsten Winkel der Wirtschaft schienen sie alle an unstillbarem Durst zu übertreffen.

Hastig füllte er zwei Krüge mit dem besten Rebensaft aus einem kleinen Fass. Nicht jedermann bekam diesen Trank. Für die meisten Gäste floss dünner Rotwein aus einem großen Eichenbottich in die Trinkbecher. Doch der Feistgesichtige mit den Schweineäuglein ließ sich nicht lumpen.

„Bringt mir das Beste aus Eurem Keller. Ich habe guten Grund, mich meinem Freund hier“, dabei klopfte er dem zweiten Fremden auf die Schulter, „großzügig zu zeigen“, flüsterte er dem Wirt zu, als sie am frühen Abend in die Schänke einkehrten.

Reichlich Münzen legte er für jeden Krug auf den Tisch.

Er drückte die Krüge seiner Tochter in die Hand.

„Du faules Stück, beeil dich!“, herrschte er sie an, „und verärgere sie nicht!“

Yvetta kämpfte sich durch die dicht gedrängt sitzenden Männer. Geschickt wich sie grabschenden Händen aus, bis sie den Tisch in der hintersten Ecke erreichte. Stechende Augen funkelten ihr aus dem Dunkel entgegen. Durst und Gier loderten im herrischen Blick.

Die beiden Fremden waren ihr unheimlich. Eine bösartige Aura umgab sie. Die stickige Luft im Raum war seltsam in ihrer Nähe, wie von einem Eiseshauch durchzogen.

Auch die anderen Gäste schienen es zu spüren. Niemand wollte sich zu ihnen gesellen, obwohl nur dort noch ein paar Plätze frei waren. Lieber quetschten sie sich zwischen die anderen Kaufleute, die bereitwillig zusammenrückten.

Alle schienen auf Abstand bedacht. Nur hin und wieder äugte einer von ihnen argwöhnisch hinüber.

Der Hagere mit dem bleichen, knochigen Gesicht kehrte nicht zum ersten Mal in der Wirtschaft ein. Meist kam er allein, saß wortlos in der Ecke und starrte in seinen Weinkrug. Dennoch fühlte sich Yvetta oft von seinen Augen verfolgt. Wie Nadelstiche spürte sie seine Blicke auf der Haut.

‚Wie ein Kaufmann sieht er nicht aus. Womit sollte er handeln?‘, überlegte sie. Es könnte nur etwas Anrüchiges oder gar Verbotenes sein, war sie sich sicher.

‚Welcher Anständige würde Waren bei einem so schmuddligen Händler kaufen?’

Yvetta durchzuckte ein Ekelschauer, als sie ihn verstohlen musterte. Sein bodenlanger Mantel, den er sich eng um seinen dürren Leib gewickelt hatte, starrte vor Dreck. Löcher klafften an mehr als einer Stelle.

‚Vater sollte ihn hinauswerfen. Er vergrault uns ja die Gäste.’

An das Ungeziefer, das sich sicher unter seiner Kleidung wohlfühlte, mochte sie gar nicht denken.

‚Wo sind eigentlich die Stecken mit dem lgelschmalz?‘

Erst vor ein paar Tagen hatte der Knecht einen Igel erwischt, der sich an dem Wintervorrat Äpfeln vergriff. Sein Stachelkleid half ihm kaum, der Strafe zu entkommen. Für diese Freveltat bezahlte er mit seinem Leben und endete im Kessel. Allerdings wurde er nicht verspeist, sondern sein Fett ausgelassen, mit Blut vermischt und auf Hölzer gestrichen. Auf dieses ekelhafte Gemenge sprangen Flöhe besonders gern und klebten daran fest. So konnten sie die ungebetenen Begleiter, die die Reisenden aus aller Herren Länder mitbrachten, leicht wieder loswerden.

Aber Yvetta sah die Stecken nirgendwo in der Schänke.

‚Waren sie wahrlich schon voller Ungeziefer gewesen?‘

Sie schüttelte ärgerlich den Kopf.

‚Was die Leute alles so mit sich herumschleppen ...!‘

Am nächsten Morgen würden sie ausgiebig räuchern müssen, um die lästigen Krabbeltiere zu vertreiben.

‚Auch wenn es Vater nicht gefallen wird, er muss das kostbare Mastix herausrücken. Oder’, fiel ihr ein, ‚vielleicht weiß Dilyana noch bessere Mittel.’

Yvetta schaute sich suchend um.

‚Wo zum Teufel steckt sie eigentlich?‘ Ihre Schwester war mal wieder nirgends zu sehen. Vermutlich ging sie ihrem eigenen Vergnügen nach.

‚Die nächsten Krüge kann Dilyana den beiden Säufern bringen’, grollte Yvetta.

Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie die vollen Weinkrüge auf den Tisch stellte, vermied es jedoch, den Fremden in die Augen zu sehen.

Zumindest versuchte sie es.

Etwas Hartes umfasste schmerzhaft ihr Handgelenk.

Erschrocken starrte sie auf die Hand, die sie festhielt. Schwarze Fingernägel bohrten sich in ihr Fleisch. Die Finger waren so dürr, als wären sie nur Knochen mit ledriger Haut überspannt.

Ein widerlicher Hauch schlug ihr entgegen.

„Schau mich an, meine Schöne!“, vernahm sie eine Stimme in ihrem Kopf.

Lähmendes Grausen kroch ihren Arm hinauf und fraß sich in ihren Geist. Das Stimmengewirr um sie herum verklang zu leisem Murmeln. Das ohnehin schwache Licht in der Schänke wurde noch dunkler. Angstvoll begann ihr Herz zu hüpfen.

Obwohl sich alles in ihr sträubte, hob sie gehorsam den Blick.

Zwei glühende Schlitze sprangen aus der rauchgeschwärzten Holzwand hervor.

‚Wie Raubtieraugen auf Beutejagd!‘, durchfuhr es Yvetta. Ein Schauder lief ihr über den Rücken.

Die Finger, die sie hart umklammerten, waren eiskalt. Doch aus den durchdringenden Augen - mehr Dämonenfeuer als menschlich - schlug ihr eine lodernde Glut entgegen.

Langsam schälte sich das auffallend bleiche Gesicht des Fremden aus der Wand, als er sich zu ihr vorbeugte. Ein Hauch Boshaftigkeit streifte sie und ließ sie zittern.

Der spitzen Nase folgten knochige Wangen, darunter blutleere Lippen, die sich von einem Ohr zum anderen zogen.

Das Grinsen machte Yvetta Angst.

Sie versuchte vorsichtig, ihren Arm aus der eisigen Umklammerung zu ziehen.

Sein Grinsen wurde noch breiter.

„Du gefällst mir, mein Kind.“

Wie ein scharfes Messer schnitten sich die geflüsterten Worte in ihre Seele.

„Die Nacht ist jung wie du ...“

Yvetta fürchtete Schlimmes.

Schnell wandte sie den Kopf ab. Tränen stiegen ihr in die Augen.

Sie hoffte, er würde es nicht sehen.

‚Vater wird mich wieder schlagen, wenn ich den Freier verärgere.’

Kummer verdüsterte ihr Herz.

Mit einem lüsternen Schmatzen gab er ihre Hand so plötzlich frei, dass sie fast gestolpert wäre.

Ohne sich nochmals umzuwenden, eilte sie zurück hinter den Schanktisch.

Ihr Vater rieb sich bereits die Hände. Das Geschehen war seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen.

„Oh Vater, bitte nicht“, flehte Yvetta unter Tränen. „Ich fürchte mich vor ihm. Er ist so schmutzig und unheimlich."

Er verzog verächtlich das Gesicht.

„Stell dich nicht so an.“ Grob fasst er sie am Arm. „Deine Schwester ist da weniger zimperlich!“, zischte er.

Unglücklich senkte Yvetta den Kopf.

„Hör auf zu heulen. Bring lieber die Krüge auf den Tisch.“

Weitere Gäste klapperten ungeduldig mit leeren Weinkrügen.

„Beeil dich!“

Yvetta seufzte leise. Aber es blieb ihr nichts anders übrig, als sich zu fügen.

Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und tat, wie ihr geheißen.

Die kleine Schänke unweit der Zarenhauptstadt barst in dieser Nacht fast aus allen Nähten. Am nächsten Morgen begann der Herbstmarkt in Tarnowo. Reisende Händler strömten aus allen Himmelsrichtungen zum Markt. Sie hofften auf gute Geschäfte in der reichen Stadt. Aber viele waren nicht gewillt, die Wucherpreise in Tarnowos Herbergen für eine Nacht zu zahlen. Und wer nicht in einem Lager unter freiem Himmel nächtigen wollte, blieb lieber eine gute Wegstunde vor den Stadttoren in dieser einfachen Einkehr.

Der Wirt mühte sich redlich, allen Wünschen seiner gut zahlenden Kundschaft nachzukommen. Dazu zählten nicht nur eine deftige Mahlzeit und viel Rotwein, sondern auch seine beiden Töchter.

Er liebte sie, wie ein Vater seine Kinder lieben sollte, doch wenn es ums Geschäft ging, mussten sie ihren Anteil beitragen. Schließlich waren sie in einem Alter, in dem sie mehr als nur Wein ausschenken konnten.

Einen Moment sah er Yvetta zu, wie sie die vollen Krüge auf die Tische stellte. Ihr weizenblondes Haar, zu Zöpfen geflochten, leuchtete hell durch die verrauchte Luft.

‚Manchmal würde ich selbst gern mit ihr ...’, dachte er. Eine sündige Glutwelle rollte von seinem Kopf bis in den Lendenbereich.

Sie war ein so zartes, junges Ding, verträumt und drückte sich schon gern mal vor lästiger Arbeit. Aber mit der nötigen väterlichen Strenge wurde sie folgsam.

Ganz anders dagegen ihre ältere Schwester – robust gebaut, fleißig und umsichtig. Sie schien die erfreuliche Gabe ihrer Mutter geerbt zu haben, die Wünsche der Gäste bereits zu ahnen, bevor sie sie aussprachen. Dilyana war in vielerlei Hinsicht das Ebenbild ihrer Mutter. Zu seinem großen Kummer hatte es dem Herrgott gefallen, sie bereits aus dem ersten Kindbett zu sich zu rufen. Ihm blieb damals nichts weiter übrig, als sich bald wieder zu vermählen.

‚Oh meine gute Zorica!’

Er seufzte beim Gedanken an sein zweites Eheweib, das vor mehr als zwei Jahren von marodierenden Osmanen verschleppt wurde. Man fand ihren geschundenen Leichnam einige Tage später im Wald.

Hastig nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Krug, um die Trauer zu vertreiben. Sie war ihm zeitlebens ein gutes Weib gewesen, arbeitsam und willig. Manch ein Händler hielt nur ihretwegen seine Karawane an der kleinen Schänke an.

Mehr als einmal fragte eine hinterlistige Stimme in seinem Geist, ob nicht Yvetta auch ein Geschenk der Willigkeit seines Weibes sein könnte.

‚Wenn sie nicht meine Tochter wäre, ja, dann ...’

Er wagte es jedoch niemals, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Hastig bekreuzigte er sich.

Yvetta kehrte mit den leeren Weinkrügen zurück. Ihre Tränen waren versiegt, sie lächelte sogar schon wieder.

„So ist es brav.“ Aufmunternd streichelte der Vater ihre Wange.

„Vater, der edle Herr dort am Fenster wünscht, mit dir zu sprechen.“ Der Wirt blickte hinüber. Der in teure Tuche gehüllte Gast nickte ihm zu.

Hastig rollte der Wirt seine Leibesfülle durch die dichtgedrängt sitzenden Händler und Kaufleute.

„Mein Herr, was kann ich für Euch tun?“

Der Fremde deutete dem Wirt, näher zu kommen.

„Der Mond ist heute nur ein schmaler Nagel, scharf und gefährlich!“, flüsterte er heiser. „Böses kriecht beim schwachen Schein des Himmelslichts aus seinen stinkenden Löchern. Im Mäntelchen der Reisenden schleicht es sich ein.“

Er deutete kaum merklich mit seinem Kinn in Richtung der zahlreichen Gäste.

„Ihr meint die ungebetenen Krabbler, die wohl viele begleiten? Lästig sind sie allemal, aber bösartig?“ Der Wirt schüttelte den Kopf. „Nein, dagegen haben wir unsere Mittelchen.“

„Was kümmert mich das Ungeziefer!“, zischte der Fremde.

„Schlimmeres steht zu befürchten. Ich bin in großer Sorge. Die Gestirne reihen sich zu unheilvollen Bildern auf.“

Er schaute zum Fenster hinaus. Der Wirt folgte verständnislos seinem Blick. Wie ein klebriges Gespinst hüllten die seltsamen Worte ihn ein.

„Nehmt meinen Rat an. Passt gut auf Eure Töchter auf! Das Unheil lauert in finsteren Ecken, auch in den Ecken Eurer Schänke!“

Verwirrung breitete sich im Geist des Wirtes aus und spiegelte sich auf seinem Gesicht wider.

Er brachte keinen Ton heraus, obwohl ihn die un-verständlichen Worte ärgerten.

‚Wieder so ein Spinner von Astrologen‘, dachte er verächtlich.

„Haltet Eure Töchter besonders von den beiden dort in der dunklen Nische fern! Hütet Euch selbst vor teuflischer Verführung!“

Der Wirt versuchte, seine Benommenheit abzuschütteln.

„Herr, ich verstehe nicht ...“

„Die dunkelste Stunde der Nacht wird Euer Schicksal entscheiden. Drohend schwebt ein Schatten unsäglichen Leids über Eurem Haupt“, flüsterte der Fremde eindringlich.

„Um Euer Seelenheil willen und das Eurer Töchter - widersteht der Versuchung!“

Einen endlosen Moment fixierte er den Wirt mit durchdringendem Blick, als ob er seine Warnung in dessen Seele einbrennen wollte.

„Ich werde Euch und Eure schönen Töchter im Auge behalten.“ Mit diesen Worten entließ er den Wirt schließlich aus seinem Bann.

Yvetta blickte hoffnungsvoll auf, als ihr Vater hinter den Schanktisch zurückkehrte. Er wich ihren fragenden Augen jedoch aus.

„Erkundigte er sich nach mir?“ Ihr gefiel der gutaussehende Fremde.