Die heimliche Hochzeit - Friederike von Buchner - E-Book

Die heimliche Hochzeit E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Es war früher Abend. Alle Straßen in Waldkogel waren wie ausgestorben. Fast jeder saß vor seinem Fernsehgerät. Noch nie wurde eine Sendung des Regionalprograms in Waldkogel mit solchem Interesse verfolgt. Die Moderatorin im schicken Landhausdirndl saß mit drei Herren in gediegenen Lodenanzügen in einer Talk-Runde. Es waren der Bürgermeister Fritz Fellbacher, Tassilo Graf von Teufen-Thurmann, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des neuen Trachtenvereins von Waldkogel, und Professor Doktor Konrad Schwammer, der Experte für ländliches Brauchtum und Trachten. »Meine Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich und danke Ihnen für ihr Kommen. Dass dem neuen Verein von Waldkogel die Teilnahme am dies­jährigen Trachten- und Vereinsfest in Kirchwalden verweigert wird, hat hohe Wellen geschlagen. Herr Bürgermeister Fellbacher, Sie hatten den Verein angemeldet. Wie ist der Sachverhalt?« Bürgermeister Fritz Fellbacher brachte sich in Position. »In unserem schönen Waldkogel haben wir ein sehr reges Vereinsleben. Vor einiger Zeit gründete sich ein neuer Verein, er richtet sich speziell an junge Leute. Die Mitglieder betätigen sich in dem Chor des Vereins, außerdem gibt es eine große Tanzgruppe mit einer großen Kinderabteilung. Dabei widmen sie sich modernen Musikstücken und Volksliedern. Dazu wollten die Vereinsmitglieder auch eine neue Tracht. Der Auswahlprozess war nicht einfach, aber jetzt sind alle glücklich und zufrieden. Leider wird die Tracht von dem Veranstalter nicht anerkannt und der ›Neue Trachtenverein Waldkogel‹ wurde für die Teilnahme am landesweiten Vereinstreffen in Kirchwalden disqualifiziert. Für die Trachten gäbe es keine historischen Vorgaben, heißt es. Dabei steht nirgends geschrieben, dass es für einen Trachtenverein bindend ist, dass er sich an historische Vorgaben halten

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Seitenzahl: 131

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Toni der Hüttenwirt – 120 –Die heimliche Hochzeit

Friederike von Buchner

Es war früher Abend. Alle Straßen in Waldkogel waren wie ausgestorben. Fast jeder saß vor seinem Fernsehgerät. Noch nie wurde eine Sendung des Regionalprograms in Waldkogel mit solchem Interesse verfolgt.

Die Moderatorin im schicken Landhausdirndl saß mit drei Herren in gediegenen Lodenanzügen in einer Talk-Runde. Es waren der Bürgermeister Fritz Fellbacher, Tassilo Graf von Teufen-Thurmann, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des neuen Trachtenvereins von Waldkogel, und Professor Doktor Konrad Schwammer, der Experte für ländliches Brauchtum und Trachten.

»Meine Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich und danke Ihnen für ihr Kommen. Dass dem neuen Verein von Waldkogel die Teilnahme am dies­jährigen Trachten- und Vereinsfest in Kirchwalden verweigert wird, hat hohe Wellen geschlagen. Herr Bürgermeister Fellbacher, Sie hatten den Verein angemeldet. Wie ist der Sachverhalt?«

Bürgermeister Fritz Fellbacher brachte sich in Position.

»In unserem schönen Waldkogel haben wir ein sehr reges Vereinsleben. Vor einiger Zeit gründete sich ein neuer Verein, er richtet sich speziell an junge Leute. Die Mitglieder betätigen sich in dem Chor des Vereins, außerdem gibt es eine große Tanzgruppe mit einer großen Kinderabteilung. Dabei widmen sie sich modernen Musikstücken und Volksliedern. Dazu wollten die Vereinsmitglieder auch eine neue Tracht. Der Auswahlprozess war nicht einfach, aber jetzt sind alle glücklich und zufrieden. Leider wird die Tracht von dem Veranstalter nicht anerkannt und der ›Neue Trachtenverein Waldkogel‹ wurde für die Teilnahme am landesweiten Vereinstreffen in Kirchwalden disqualifiziert. Für die Trachten gäbe es keine historischen Vorgaben, heißt es. Dabei steht nirgends geschrieben, dass es für einen Trachtenverein bindend ist, dass er sich an historische Vorgaben halten muss. Jetzt wehren wir uns. So lassen wir das nicht auf uns sitzen!«

»Das ist verständlich«, sagte die blonde Moderatorin und wandte sich an den Professor. »Die Sachlage ist komplex. Was sagen Sie als Experte dazu, Herr Professor Doktor Schwammer?«

»Dazu habe ich einiges zu sagen. Wie ich bereits in meinem Gutachten schriftlich dargelegt habe, ist auch das Brauchtum einem steten Wandel unterworfen. Man kann unterscheiden: Es gibt Vereine, die haben sich der Bewahrung und der Pflege alten Brauchtums und der alten Tradition verschrieben. Das ist auch gut und schön so. Auf diese Weise werden Trachten und Tradition bewahrt. Die Trachten einer Region können von Ort zu Ort unterschiedlich sein. Damit grenzten sich die Dörfer früher gegeneinander ab. Dazu kommt, dass sich die ersten Vereine erst vor etwas mehr als einhundert Jahren gegründet haben. Damals löste sich die strenge Trachtenordnung auf, denn die Mitglieder der Gesangsvereine, Wandervereine, Musikvereine, Turnvereine und so weiter wollten sich von anderen Vereinen durch ihre Tracht unterscheiden. Das beschert uns heute diese herrliche Vielfalt an Trachten. So ist es nur legitim und sogar im Sinne der Selbstdarstellung der einzelnen Vereine, wenn sie etwas Neues schaffen. Ich kann das nur mit Nachdruck begrüßen. In vielen Jahrzehnten wird die Tracht des NTW als ganz normal angesehen werden. Außerdem sind die Formen doch traditionell. Die Madln tragen ein schönes Dirndl, mit einem weiten Rock und passender Schürze, einem Mieder und einer Bluse, dazu ein Kropfband. Die Burschen haben Kniebundhosen mit Hosenträgern, dazu ein Hemd und eine Weste. Bei beiden Geschlechtern sind die Grund­elemente einer Tracht vorhanden. Um es deutlich zu sagen, von wissenschaftlicher Seite ist nichts zu beanstanden.«

»Danke, Herr Professor Schwammer, für die ausführliche wissenschaftliche Erklärung!«

Die Moderatorin lächelte den Grafen an.

»Graf Tassilo, sie sind der Vorsitzende des neuen Vereins. Was ist bei diesem Verein anders und wie kam es zu der Gründung – war eine Abspaltung vom bereits bestehenden Trachtenverein beabsichtigt?«

Der Graf lächelte.

»Das kann man sehen, wie man will, Neugründung oder Abspaltung, das ist eine Interpretationsfrage. Junge Leute sind Anhänger der modernen, populären Volksmusik. Ich bin seit vielen Jahren Musikproduzent auf diesem Gebiet und kenne mich aus. Es werden neue Texte geschrieben und Lieder komponiert. Zuerst sind sie einfach nur Volksmusikschlager. Doch viele davon erreichen schnell eine große Popularität und sind allgemein bekannt. Dieses moderne Liedgut hat bisher kaum den Weg in die alten Vereine gefunden. Es ist auch eine Generationenfrage. Jede Generation hat ihre Lieblingslieder und so entstand der Wunsch nach einem neuen Verein, um das moderne Volkslied zu fördern. Wir haben schon viele Mitglieder. Sie kreieren zu den neuen Liedern neue Tänze – und dazu gibt es die neue moderne Tracht. Aber schauen wir sie uns doch an!«

Die Kamera machte einen Schwenk. Eine Gruppe des Vereins sang ein neues Volkslied, ein wunderschönes Liebeslied. Einige Paare zeigten dazu einen neuen Tanz.

»Das ist doch schön anzuhören und anzusehen, denke ich«, sagte Tassilo. »Es ist frisch und herzig und passt zu den jungen Leuten.«

»Wie soll es weitergehen?«, wandte die Moderatorin sich wieder an Bürgermeister Fellbacher.

»Wir haben Einspruch erhoben und werden weiter für die Teilnahme des Vereins am Umzug und den Festlichkeiten in Kirchwalden kämpfen!«

»Haben sie schon einen Plan, falls die Veranstalter die Teilnahme weiterhin versagen?«

»Ja, das haben wir! Wir haben bei den Behörden in Kirchwalden bereits eine eigene Veranstaltung beantragt. Wir werden am Vorabend einen eigenen Umzug machen, uns auf dem Marktplatz von Kirchwalden vorstellen und eine kostenlose Darbietung geben, mit Konzert und Tanz. Nach den verschiedenen Medienberichten rechnen wir mit vielen Zuschauern. Wir werden weiterkämpfen für diese gute Sache!«

»Ich wünsche Ihnen, Waldkogel und dem NTW viel Erfolg. Für unsere Zuschauer haben wir eine Telefonnummer und eine Internetadresse eingeblendet. Liebe Zuschauer, wenn Sie sich äußern möchten, dann schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an. Das war es aus der Sendung Kultur am Abend. Zum Abschluss sehen wir noch einmal eine Darbietung des Vereins. Es ist die Abteilung der

jüng­s­­ten Mitglieder, die sich präsentiert!«

Die Kamera schwenkte. Musik setzte ein. Die Kinder sangen und tanzten. Franziska und Sebastian hatten die Rolle des tanzenden Pärchens in der Mitte. Aus dem Off des Studios erschall am Ende der Darbietung lauter Beifall. Die Moderatorin verabschiedete alle Teilnehmer und Zuschauer herzlich.

»Das ist sehr gut gelaufen«, sagte Professor Schwammer auf dem Heimweg nach Waldkogel. »Ich bin mir sicher, dass sich etwas bewegen wird.«

»Das denke ich auch«, stimmte Tassilo zu. »Die Zuschauer werden sich sicherlich zahlreich melden.«

Das war auch die Meinung von Bürgermeister Fellbacher.

»Dann wollen wir mal sehen, wie die öffentliche Meinung so ist. Des erfahren wir am besten im Wirtshaus. Ich gebe einen aus. Gehen wir zum ›Baumberger‹!«

Bei Tonis Eltern war die Wirtstube voll. Viele standen vor dem Wirtshaus, den Bierseidl in der Hand. Die drei mussten viele Hände schütteln. Aber alle waren von der Sendung überzeugt und voller Hoffnung. Sie tranken und redeten bis tief in die Nacht.

*

Doktor Egon Kellermann, Rechtsanwalt, und seine Frau Alida, Ärztin, hatten zum Brunch geladen. Der Anlass für die Einladung war das bestandene juristische Staatsexamen ihrer einzigen Tochter Victoria. Es war früher Nachmittag. Die Kellermanns verabschiedeten die letzten Gäste. Die Haushälterin und eine Zugehfrau begannen aufzuräumen. Victoria streifte sich die Schuhe mit den hohen Absätzen von den Füßen, die sie zum edlen Maßkostüm trug. Sie ging hinauf in ihr Zimmer und zog sich um. Sie war froh, dass der Trubel vorbei war. Ihr schmerzte der Kopf. Sie nahm eine Tablette. Nach einer kalten Dusche fühlte sie sich besser. Victoria zog eine helle Jeans an und eine locker sitzende Seidenbluse. Sie kämmte sich das lange braune Haar und machte sich einen Zopf. Sie schlüpfte in ihre Flipflops und ging hinunter.

Ihre Eltern saßen bei einem Glas Champagner auf der Terrasse.

»Ihr seid noch hier?«

Sie war überrascht. Sie dachte, dass ihr Vater schon wieder zu seiner Kanzlei gefahren sei und ihre Mutter in ihre Klinik.

Alida betrieb eine kleine, sehr

feine und diskrete Klinik für Schönheitsoperationen.

»An solch einem Tag arbeiten wir doch nicht, Victoria. Es ist dein Tag. Wir sind sehr stolz auf dich. Du hast mit ›Summa cum laude‹ bestanden. Das ist einfach großartig! Hast du gesehen, wie sie dich alle bewundert und dir Respekt entgegengebracht haben?«

Er reichte ihr ein Glas Champagner.

»Danke, Papa, lieber nicht. Ich habe eine Tablette gegen Kopfschmerzen genommen. Ich nehme einen Saft.«

Victoria nahm sich ein Longdrinkglas aus dem Barschrank und schenkte sich Orangensaft ein. Sie setzte sich und trank.

»Mir dröhnt noch immer der Kopf. Es war schön, sehr schön. Aber ich hatte keinen Augenblick Ruhe. Mit keinem der Gäste konnte ich ein Gespräch zu Ende führen. Ständig wurde ich unterbrochen. Man redete auf mich ein. Jeder gab mir Ratschläge und Tipps.«

Sie trank. Ihre Mutter lächelte sie an.

»Du warst eben die Hauptperson, Victoria«, sagte ihre Mutter. »Jetzt machen wir uns einen schönen Nachmittag. Heute Abend gehen wir essen. Wir haben einen Tisch reservieren lassen. Du ziehst das blaugrüne Abendkleid an, welches so gut zu deinen blaugrünen Augen passt. Stecke dein Haar auf! Das steht dir gut und wirkt ernsthaft und elegant.«

Victoria hatte es längst aufgegeben, sich zu den Kleidervorschriften ihrer Mutter zu äußern.

»Victoria, hast du bemerkt, wie dich einige der jungen Männer angesehen haben?«

»So?« Victoria gab sich überrascht, dabei war ihr es nicht entgangen.

Die jungen Sprösslinge der alteingesessenen, angesehenen Familien hatten sie teilweise sogar sehr bedrängt, was wirklich schon peinlich gewesen war.

Victoria trank schnell einen Schluck Saft. Sie wollte ihrer Mutter nicht antworten und überlegte, wie sie das Thema wechseln konnte.

»Ich habe mir überlegt, ich fahre erst einmal in Urlaub. Ich brauche Ruhe und Abstand. Es war doch eine heftige Paukerei, in den letzten Monaten.«

»Ein schöner Urlaub, der steht dir zu. Hast du schon ein Urlaubsziel?«, fragte ihr Vater.

»Wie immer, ich fahre nach Waldkogel. Ihr kennt meine Liebe zu den Bergen.«

Ihre Mutter schüttelte den Kopf.

»Kind, sei doch etwas anspruchsvoller! Sicher ist es in den Bergen sehr schön. Die Luft ist gesund und ich weiß, dass es dir dort gefällt. Aber das ist ganz bestimmt nicht die richtige Umgebung für eine angehende Staranwältin oder eine zukünftige Oberstaatsanwältin. Für beide Karrieren muss man rechtzeitig Kontakte knüpfen. Ich würde dir vorschlagen, einen schönen Golfurlaub zu machen. Viele Juristen spielen Golf. Ich möchte nicht wissen, wie viele Rechtsfälle schon auf dem Golfplatz geregelt wurden.«

»Mama, das weiß ich alles. Ein Golfurlaub läuft mir nicht fort. Den kann ich immer noch machen. Außerdem sind wir hier im Golfclub. Reicht das nicht? Nein, ich fahre in die Berge. Ich will raus, weg von allem!«

Ihre Mutter warf Egon einen Hilfe suchenden Blick zu. Sie wusste, dass ihr Mann mehr Einfluss auf Victoria hatte. Victoria war ein »Papakind«. Dagegen hatte Alida lange Jahre gekämpft. Aber sie war nicht dagegen angekommen. Sie bedauerte es sehr. Sie hatte gehofft, dass Victoria Medizin studieren und bei ihr einsteigen würde. Das Gegenteil war eingetreten. Die Tochter hatte sich für ein Jurastudium entschieden.

»Fahr ruhig in die Berge, Victoria! Wenn du dort glücklich bist, dann ist das gut.«

»Du bist immer auf ihrer Seite, Egon.«

Alida war anzusehen, dass sie Egons Zustimmung missbilligte.

Er schmunzelte. »Du weißt es doch, Alida. Rechtsanwälte halten immer zusammen – genau wie Ärzte.«

Er sah seine Tochter an.

»Wenn du zurück bist, richten wir in der Kanzlei dein Büro ein. Ich freue mich schon darauf.«

Victoria schoss das Blut in die Wangen. Sie schaute in ihr Saftglas.

»So weit denke ich noch nicht«, sagte sie leise.

»Du hast es dir doch nicht anders überlegt? Es war immer klar, dass du nach dem Studium in die Kanzlei kommst.«

»Sicher, Vater, wir haben oft darüber gesprochen. Jetzt bin ich am überlegen, ob ich nicht für einige Jahre in einer Fremdkanzlei arbeiten sollte.«

»Ah, ich verstehe, du möchtest auf eigenen Füßen stehen. Ich habe es damals nach meinem Studium genauso gemacht. An welche Kollegen hast du gedacht?«

»An keinen hier aus der Stadt oder der näheren Umgebung. Meine engere Wahl ist Berlin und das Umland.«

»Berlin, Bundeshauptstadt, sehr gut! Ich habe Kollegen in Berlin. Ich werde mich umhören, Victoria.«

»Nein, Papa! Danke für dein Angebot, aber es ist meine Sache. Ich habe auch meine Kontakte. Ich werde nach dem Urlaub umziehen und mich dann in Ruhe entscheiden.«

»Welche Kontakte hast du?«, fragte ihr Vater.

Ihre Mutter setzte sich kerzengerade auf.

»Du sprichst jetzt aber nicht von diesem …, wie heißt er doch gleich? Ach, du hast vor Jahren doch mal einen Bekannten gehabt in Berlin!«

Victoria beherrschte sich nur noch mühsam.

»Es ist doch gleich, wen ich kenne, Mutter. Es ist mein Leben.«

»Sicher ist es dein Leben, Victoria. Du hast zwar ›Summa cum laude‹ abgeschlossen, aber du hast keine Menschenkenntnis. Es war schon immer so, dass du die falschen Freunde hattest. Ich hoffe, diese wilden Zeiten sind jetzt endgültig vorbei. Es gibt solch nette, junge Männer in unserem Bekanntenkreis! Sie stammen alle aus guten Familien. Da kennt man den Hintergrund und man bleibt in seinen Kreisen.«

»Wenn du damit auf verschiedene Bekanntschaften anspielst, von denen ich euch erzählt habe, dann ist diese Bemerkung sehr geschmacklos, Mama. Bei dir geht es doch nur nach deiner Ratingliste und nicht um Liebe.«

»Liebe kann vergehen, was bleibt ist ein Trauschein und ein Ehevertrag. Es kann zum Rosenkrieg kommen. Frage deinen Vater! Er kann dir sicher genügend Beispiele dafür nennen. Deshalb ist es besser, vernünftig zu sein. Wenn zwei Menschen aus den gleichen Kreisen kommen, dann sprechen sie die gleiche Sprache. Das ist wichtig. Als Frau orientiert man sich nie nach unten, sondern nur nach oben. Du denkst vielleicht, dass du als Frau mit einem sehr guten Beruf, keine Ehe eingehen musst, um versorgt zu sein und deshalb jeden nehmen kannst. Das stimmt nur in der Theorie. Diese Einstellung ist falsch, sie ist eine Illusion. Es kommt immer auf die Gesellschaftsklasse deines Zukünftigen an. Du kannst es dir einfach nicht leisten, einen Mann zu heiraten, der gesellschaftlich unter dir steht! Das wird dir nur Schwierigkeiten bringen. Du wirst geächtet werden, Victoria.«

Victoria hatte ihrer Mutter zugehört und es hatte sie tief ins Herz getroffen. Meine Entscheidung, es ihr und Papa zu verschweigen, war richtig gewesen, dachte Victoria. Sie hatte gehofft, dass sich die Einstellung ihrer Mutter ändern würde.

»Victoria, du sagst nichts? Stimmst du mir nicht zu?«

In Victoria stieg Wut auf. Doch sie war zu gut erzogen, als dass sie die Beherrschung verlor.

»Sag etwas dazu!«, forderte sie ihre Mutter erneut auf.

»Mama, was soll ich sagen? Meinst du wirklich, es wäre möglich, die Liebe vom Kopf aus zu steuern? Er

passt zu mir, er passt nicht zu mir? So wie man sich ein Auto auswählt oder ein Kleid?«

»Sicher ist das möglich. Es ist einfach, wenn du erst einmal verinnerlicht hast, dass du dich niemals unter deinem Stand bindest, dann wirst du dich auch nicht in jemand verlieben, der nicht zu dir passt. Es ist wie eine Schutzimpfung, verstehst du? Männer, die nicht den akzeptierten Hintergrund haben, die nimmst du dann einfach nicht wahr, weil sie nicht zu deinem Beuteschema gehören. Nicht nur Männer haben ein Beuteschema, auch wir Frauen.«

Victorias Vater zog die Augenbrauen nach oben.

»Jetzt lass es aber gut sein, Alida! Wir wissen, dass das Thema Schwiegersohn dein Lieblingsthema ist. Aber heute heiraten die jungen Leute alle später. Soviel ich weiß, ist noch niemand in Sicht, der um Victorias Hand anhalten will. Außerdem ist sie unsere Tochter. Wenn es darauf ankam, war sie immer vernünftig.«

Victoria trank ihren Saft aus.

Sie war traurig. Sie hatte gehofft, dass sie es schaffen würde, ihren Eltern von ihrer großen Liebe zu erzählen, ihrem geliebten Moritz. Er war nicht nur seit Jahren ihre ganz große Liebe, sie waren ein festes Paar und wollten zusammen in die Zukunft schreiten. Victoria war Moritz dankbar, dass er so viel Verständnis für sie gehabt hatte. Es war nicht leicht für sie gewesen, Moritz zu verstecken. Aber sie wusste, dass ihre Liebe zu ihm auf einen Streit mit ihrer Mutter hinauslief. Deshalb führte Victoria seit drei Jahren ein Doppelleben.

Victoria seufzte.

»Ich gehe auf mein Zimmer«, sagte sie leise und stand auf.

Als Victoria außer Hörweite war, sprach Egon seine Frau an.

»Alida, musste das sein? Es war so ein schöner Tag! Warum setzt du sie so unter Druck?«