Die Liebe – und sonst nichts - Friederike von Buchner - E-Book

Die Liebe – und sonst nichts E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Es war früh am Morgen. Toni war überrascht, dass Sebastian schon aufgestanden war. »Guten Morgen, Basti! Schon ausgeschlafen? Hat Tim dich gestört?« »Na«, brummte Sebastian, noch ziemlich verschlafen. »Magst du frühstücken?« »Mm! Aber nur Kaffee und ein Marmeladenbrot.« Toni machte Sebastian ein Brot und gab ihm eine Tasse Malzkaffee mit viel Milch und Zucker, ganz nach Sebastians Geschmack. »Ich esse draußen.« Sebastian nahm das Brot in die eine Hand und den Emailbecher in die andere, dann ging er hinaus. Als Toni etwas später auf die Terrasse trat, war Sebastian nicht dort. Bello, der junge Neufundländerrüde, war ebenfalls nicht zu sehen. Toni rieb sich das Kinn. Dann ging er um die Terrasse herum und schaute um die Ecke. Sebastian saß auf dem Boden, den Rücken an den Holzklotz gelehnt. Bello lag neben ihm und ließ sich streicheln. Toni zog sich leise zurück.

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Toni der Hüttenwirt – 222–

Die Liebe – und sonst nichts

Wohin führt Vanessas Weg?

Friederike von Buchner

Es war früh am Morgen. Toni war überrascht, dass Sebastian schon aufgestanden war.

»Guten Morgen, Basti! Schon ausgeschlafen? Hat Tim dich gestört?«

»Na«, brummte Sebastian, noch ziemlich verschlafen.

»Magst du frühstücken?«

»Mm! Aber nur Kaffee und ein Marmeladenbrot.«

Toni machte Sebastian ein Brot und gab ihm eine Tasse Malzkaffee mit viel Milch und Zucker, ganz nach Sebastians Geschmack.

»Ich esse draußen.«

Sebastian nahm das Brot in die eine Hand und den Emailbecher in die andere, dann ging er hinaus.

Als Toni etwas später auf die Terrasse trat, war Sebastian nicht dort. Bello, der junge Neufundländerrüde, war ebenfalls nicht zu sehen. Toni rieb sich das Kinn. Dann ging er um die Terrasse herum und schaute um die Ecke. Sebastian saß auf dem Boden, den Rücken an den Holzklotz gelehnt. Bello lag neben ihm und ließ sich streicheln.

Toni zog sich leise zurück. Er machte sich seine Gedanken. Sebastian verzog sich immer hinter die Berghütte, wenn er allein über etwas nachdenken wollte. Dort kamen keine Hüttengäste hin. Toni hackte dort Holz und Anna hängte ihre Wäsche auf. Außerdem war es der ganz private Spielplatz und Rückzugsort von Sebastian und Franziska.

Eine halbe Stunde später stand Anna auf und kam in die Küche. Toni nahm sie in den Arm. Sie küssten sich.

»Gut geschlafen?«, fragte er.

»Sehr gut!

»Das freut mich. Basti scheint nicht gut geschlafen zu haben. Er kam nur wenige Minuten, nachdem ich aufgestanden war, in die Küche. Er nahm sein Brot und den Kaffee und verschwand damit hinter die Berghütte. Schau mal aus dem Fenster!«

Anna spähte durch die Vorhänge.

»Er grübelt über etwas«, sagte sie.

»Der Meinung bin ich auch. Wir kennen ihn. Er wird irgendwann kommen und uns mit Fragen löchern.«

»Das wird er, Toni, und wir wissen, dass es besser ist, ihn nicht zu bedrängen.«

Wenn Sebastian etwas beschäftigte, verhielt er sich anders, als seine kleine Schwester Franziska. Franzi redete und redete. Eigentlich dachte sie laut nach.

»Meinst du, es hat Streit gegeben zwischen Tim und Sebastian?«

Anna überlegte kurz. »In den ersten Tagen war es schwierig mit unseren Gastkindern. Es sind eben typische Stadtkinder. Sebastian hat Tim öfters ausgelacht. Das hatte Tim ihm übel genommen. Aber inzwischen scheinen sie sich gut zu verstehen.«

»Ich dachte nicht, dass es zu solchen Spannungen käme, wenn Tim und seine Schwester Jette hier sind. Das hat mich überrascht, Anna.«

Anna schmunzelte. »Bei Kindern ist man nie vor Überraschungen sicher. Zwar waren die beiden schon mehrmals mit ihren Eltern hier auf der Berghütte. Aber das waren immer nur Wochenenden. Und wenn Mama und Papa dabei sind, benehmen sich Kinder immer anders. Dazu kommt, dass die beiden sich vielleicht abgeschoben fühlen. Es ist auch keine einfache Situation. Kirsten sagte mir schon am Telefon, dass Tim und Jette sich gar nicht auf ihren Besuch bei uns gefreut haben. Doch sie hatten nur die Wahl, zu einem der beiden Großelternpaare zu fahren oder zu uns.«

Toni grinste. »Dann haben sie sich für die Berghütte entschieden, mit halben Herzen.«

»So war es. Kirsten musste, unaufschiebbar, wegen der nahenden Zwillingsgeburt ins Krankenhaus, und Piet konnte seinen Auslandsaufenthalt nicht verkürzen. Dazu kommt noch etwas, Toni. Ich vermute mal, die beiden sind jetzt schon eifersüchtig auf die Zwillinge. Überlege mal, Tim ist zwölf, Jette ist zehn Jahre alt. Sie waren bisher der Mittelpunkt. Ich kann mir denken, dass es nicht einfach für die beiden ist, dass ihre Eltern noch ein Kind bekommen. Vielleicht wäre ein kleines Geschwisterchen nicht so schlimm gewesen. Aber die Zwillinge haben schon vor ihrer Geburt das ganze Familienleben durcheinandergebracht. Das ging sicherlich nicht spurlos an den beiden vorüber.«

»Da kannst recht haben, Anna. Was können wir tun?«

»Nichts als das, was wir bereits tun. Sie müssen sich selbst zurechtfinden. Über ihre Nörgeleien gehe ich einfach hinweg. Es ist eben doppelt schwer für sie. Aber ich sehe nicht ein, dass ich ihnen viele Zugeständnisse machen soll. Eine Berghütte ist eben kein Luxushotel an der Hamburger Alster.«

»Vielleicht sind die beiden gar nicht so wählerisch, Anna. Ihr Gemecker ist nur ein Ausdruck ihres Kummers. Sie werden Heimweh haben.«

»Das haben sie sicherlich, auch wenn sie es nicht zugeben. Ich habe Tim danach gefragt. Er verneinte es, wollte aber nicht weiter darüber reden.«

»Vielleicht gab es Spannungen zwischen Basti und Tim. Was meinst du?«

Anna zuckte mit den Schultern. »Toni, wenn wir fertig sind, mit dem Frühstück für die Hüttengäste und sie alle unterwegs sind, dann musst du ohnehin Holz hacken. Vielleicht kannst du Basti in ein Gespräch verwickeln.«

»Ich werd’s versuchen. Ich hoffe, dass er vorher seine selbst gewählte Isolation aufgibt und ausspuckt, was er auf dem Herzen hat.«

Anna überlegte kurz.

»Toni, vielleicht sollte man Tim und Jette doch in einer eigenen Kammer schlafen lassen? Nachher ist es doch eine Belastung für Franzi und Basti, wenn sie ihre Zimmer mit den beiden teilen müssen. Ich bin vielleicht zu sehr von mir ausgegangen. Früher fand ich es immer wunderbar, wenn eine Freundin zu Besuch kam und bei uns übernachtete. Großmutter hatte zwar Gästezimmer, die für Freunde und Verwandte bereitstanden. Aber ich wollte, dass meine Freundin bei mir im Zimmer schlief. Wir redeten und kicherten fast die ganze Nacht.«

Toni lächelte und erinnerte sich an seine Kindheit.

»Anna, ich kenne das von meiner Schwester und mir auch nicht anders. Trotzdem gibt es einen kleinen Unterschied. Das waren wirkliche Freunde, mit denen man viel zusammen war. Tim und Jette sind keine engen Freunde von Basti und Franzi.«

»Das stimmt, aber vielleicht werden sie es?«

Anna öffnete das Fenster und rief Sebastian einen guten Morgen zu. Auf ihre Frage, ob er noch ein Brot oder Kaffee haben wollte, schüttelte er nur den Kopf. Anna schloss das Fenster.

»Mei, hat der Junge eine Laune! Da wird ja die Milch sauer.«

»Dann machen wir Sauerrahm daraus«, lachte Toni.

Er versprach, später mit Sebastian zu reden.

Zwei Stunden später ging Toni mit zwei Gläsern Limonade hinter die Berghütte.

»So, die Hüttengäste sind fast alle unterwegs. Jetzt mache ich eine Pause und hacke Holz. Hier, ich habe dir auch einen Saft mitgebracht. Magst du?«

»Danke«, sagte Basti und griff nach dem Glas.

Sie nahmen beide einen großen Schluck.

Toni übte sich in Geduld. Basti setzte ein paarmal an, etwas zu sagen, schwieg dann aber doch.

»Mei, Basti, nun rede schon! Ich merke doch, dass du etwas auf dem Herzen hast.«

Basti wurde rot. Schnell trank er sein Glas bis auf einen kleinen Rest leer.

»Ich habe nicht so viel Glück, wie du, Toni«, sagte er mit leiser Stimme.

Toni runzelte die Stirn. »Wie soll ich das verstehen?«

Es dauerte wieder eine Weile, bis Basti antwortete. »Ich mag Jette. Aber ich denke, sie mag mich nicht.«

»Warum soll sie dich nicht mögen? Wie kommst du darauf?«

»Weil ich Lederhosen trage und ein Bauernbub bin. Die Jette ist ein richtig fesches Madl. Sie schaut aus wie Anna auf den Fotos, die Oma Zwirner mir gezeigt hat. Auf den alten Bildern von Anna, da hat sie auch so feine Sachen an.«

Toni musste alle Kraft aufbringen, um nicht laut zu lachen und damit Sebastians Gefühle zu verletzen.

»Du hast doch auch Lederhosen angehabt, als du Anna im Zug getroffen hast. Sie hat sich gleich in dich verliebt.«

»Aber sie wollte sich nicht verlieben, in den Naturburschen aus den Bergen. Da hat ihre Freundin Sue aus Frankfurt damals etwas nachgeholfen, Basti.«

»Ich weiß. Aber ich habe niemanden, der bei mir nachhilft«, klagte Sebastian.

»Jetzt redest du aber Unsinn, Basti! Du hast doch mich und Anna. Ich bin nicht nur dein Adoptivvater, ich bin vor allem dein Freund. Also, was kann ich unternehmen? Wie kann ich dir helfen? Mei, ich erinnere mich noch genau, wie das bei mir damals war, als ich mich in ein Madl verguckt habe. Das war die Erika, eine Klassenkameradin meiner Schwester. Ria hat mir dann dabei geholfen, dass ich Erika näherkam.«

Ein Lächeln huschte über Sebastians Gesicht. Toni rempelte ihn freundschaftlich mit dem Ellenbogen an.

»Rede schon, Bub«, sagte er. »Was geht dir durch den Kopf?«

»Kann ich solche Hosen haben wie der Tim? Es müssen nicht dieselben sein, aber sie sollen aus Stoff sein. Außerdem hätte ich gern helle Hemden und Pullis, einfarbig, so wie die von Tim. Vielleicht gefalle ich Jette dann besser.«

Toni legte die Hand über den Mund, damit Sebastian sein Grinsen nicht sah. Er tat, als dächte er nach.

»Des ist gut möglich. Willst dich ein bisserl herausputzen?«

»Ja, das will ich. Ich dachte mir, dass ich Jette dann ins Café einladen könnte.«

»Das ist eine gute Idee, Basti. Mei, das bekommen wir hin. Ich habe eine Idee.«

Sebastian bekam große Augen und schaute Toni erwartungsvoll an.

Toni erläuterte ihm seinen Plan. Gegen Ende der Woche, müsse er nach Kirchwalden fahren zum Einkaufen. Dann würde er ihn und Jette mitnehmen. Sebastian könnte dann mit Jette einkaufen gehen.

»Ich gebe dir Geld, und du kaufst dir was zum Anziehen. Du nimmst Jette mit in die Geschäfte. Sie kann dir dabei helfen. Dann weißt du gleich, was ihr gefällt. Ich gebe dir genügend Geld mit für zwei Hosen und zwei Hemden. Am besten kaufst du eins mit langem Arm und eins mit kurzen Ärmeln und eine Strickjacke und meinetwegen auch einen Pullover.«

»Wirklich?«

»Sicher«, sagte Toni. Er senkte die Stimme und flüsterte: »Und wenn noch Geld übrig ist, dann kaufst du der Jette ein Andenken an dich, vielleicht einen schönen Anhänger.«

Sebastian wurde rot. »Meinst du, ich kann Jette ein kleines Herz schenken?«

»Das kannst du!«

Sebastian sagte darauf nichts. Er strahlte und rempelte Toni mit dem Ellenbogen an und grinste.

»Tust du jetzt Holz hacken?«, fragte Basti. »Ich helfe dir. Ich trage ein paar Körbe in die Wirtsstube und helfe beim Aufstapeln.«

»Prima, los geht’s«, sagte Toni.

Anna entging Sebastians strahlende Miene nicht, als er mit einem Korb Holz hereinkam.

»Was habt ihr beide da draußen so lange geredet?«, fragte sie.

»Männersachen, davon verstehst du nix«, sagte Sebastian und wurde rot.

»Okay, entschuldige, dass ich gefragt habe, Basti. Du hast ganz recht. Ich unterhalte mich mit Franzi auch über Sachen, die Burschen nix angehen«, sagte Anna und verschwand in der Küche.

*

Die Abendsonne schien durch die hohen Sprossenfenster des Esszimmers. Die Tür zur Terrasse stand offen. Erika Stadler und ihre Tochter Vanessa saßen bereits am Tisch. Erika schaute auf die Uhr.

»Dein Axel ist selten pünktlich. Vanessa, du musst ihm beibringen, pünktlich zum Abendessen zu erscheinen, wenn ihr verheiratet seid. Das habe ich deinem Vater auch nie durchgehen lassen. Eine gemeinsame Mahlzeit am Tag hält die Familie zusammen.«

»Er wird noch länger in der Firma zu tun haben, Mama.«

»Dein Vater hatte auch stets zu tun. Aber trotzdem kam er pünktlich zum Abendessen, auch wenn er danach noch einmal ins Werk fahren musste.«

Vanessa seufzte innerlich, blieb aber nach außen hin ganz ruhig. Ihre Mutter nickte dem Butler zu, als Zeichen, dass er auftragen konnte. Es war Freitag. Deshalb gab es verschiedene Fischgerichte mit Beilagen.

Sie begannen zu essen.

»Und du hast wirklich vor, mit deiner Freundin Livia in die Berge zu fahren, so kurz vor der Hochzeit?«

»Mama, wir haben das schon so oft besprochen. Ja, das mache ich. Wir fahren morgen früh. Du weißt, dass Axel nicht sportlich ist. In diesem Punkt unterscheiden wir uns.«

»Man kann nicht alles haben, Vanessa. Axel ist tüchtig, sieht gut aus, hat Format und ist in vielen Dingen genau wie dein Vater, als ich ihn damals als junges Mädchen kennengelernt habe. Er wird dir beistehen, und du wirst dich auf ihn verlassen können.«

»Ja, das weiß ich, und ich liebe ihn. Darf ich nicht trotzdem sagen, dass ich es bedauere, dass ich ihn nicht für Sport begeistern konnte?«

»Was willst du? Axel macht am Steuer der Yacht eine gute Figur. Er hat den internationalen Bootsführerschein.«

»Das stimmt. Das ist wenigstens etwas. Aber es ist eine Sache, die in meinen Augen wenig sportlich ist. Er muss nur auf den Knopf drücken und lenken.«

»Vanessa! Den perfekten Mann gibt es nicht. Du kannst mit Axel sehr zufrieden sein. Abstriche muss man immer machen. Er ist wirklich ein Glücksfall für dich. Ich habe damals auch auf einiges verzichtet und mich angepasst, als ich deinen Vater heiratete. Soll eine Ehe funktionieren, dann liegt es allein an der Klugheit der Frau.«

Vanessa schwieg. Sie kannte diese Sprüche ihrer Mutter auswendig.

»Also, ich halte es nicht für klug, wenn du jetzt verreist«, sagte Erika Stadler mit Nachdruck.

»Mama, bitte! Für die Hochzeit ist alles geregelt. In der Firma läuft alles bestens. Außerdem ist Axel damit einverstanden, dass ich fahre. Das weißt du. Er will, dass ich glücklich bin. Ich will, dass er glücklich ist. Sicher hätte er mich begleitet. Aber dann hätte er alleine im Hotel gesessen und gewartet, während ich auf die Gipfel geklettert wäre.« Vanessa seufzte. »Mama, mache dir keine Sorgen, Axel versteht mich. Er weiß, dass ich mindestens einmal im Jahr Gipfelluft schnuppern muss. Wir haben das besprochen. Es wird wunderbar werden mit Livia. So lange bin ich auch nicht fort.«

»Ich wollte dich nur warnen, Vanessa. Dein Glück liegt mir am Herzen. Das weißt du.«

»Ja, Mama, das weiß ich«, sagte Vanessa.

In Gedanken fügte sie hinzu, dass ihrer Mutter das Wohl der Firma noch mehr am Herzen lag. Aber das behielt sie für sich. Es war eben Schicksal, dass sie keinen Bruder hatte, der in die Fußstapfen ihres Vaters treten konnte. Aber männliche Nachkommen hatte es seit drei Generationen in der Familie Stadler nicht mehr gegeben. Ihre Großmutter hatte damals einen Mitarbeiter der Firma geheiratet. Erika hatte Kuno geheiratet, der in der Firma gelernt und sich bis zum Vorarbeiter hochgearbeitet hatte.

Jetzt war Vanessa an der Reihe, das große Erbe an die nächste Generation weiterzugeben. Seit acht Jahren, seitdem ihr Vater sich nach einem zweiten Herzinfarkt nicht mehr erholt hatte und bald gestorben war, fühlte Vanessa diese Last auf ihren Schultern. Ihr war klar, dass ihre Mutter Axel ermutigt hatte, um sie zu werben. Und aus Sympathie und guter Zusammenarbeit war zuerst Freundschaft geworden, danach schließlich Liebe. Vanessa hatte ihr Betriebswirtschaftsstudium vor wenigen Wochen abgeschlossen. Jetzt stand die Heirat auf ihrem Lebensfahrplan.

Das Telefon klingelte. Es dauerte nicht lange, dann kam der Butler ins Esszimmer, mit der Nachricht für Vanessa, dass ihre Freundin sie gern zu sprechen wünschte. Es sei dringend, sagte er.

Vanessa entschuldigte sich bei ihrer Mutter für die Unterbrechung des Abendessens und ging kurz hinaus.

»Und? Was will deine Freundin?«, fragte Erika Stadler, als sie zurückkam.

»Sie lud mich ein, schon heute Abend zu ihr zu kommen. Ich hab zugesagt. Ich werde nach dem Abendessen meine Sachen ins Auto packen und zu ihr fahren.«

»Und Axel?«

»Mit dem werde ich sprechen. Ich rufe ihn gleich nach dem Essen an. Ich wette, er sitzt im Büro und brütet über den neuesten Entwürfen und hat die Zeit vergessen.«

Dass sie vermutete, er könnte auch sehr gut vergessen haben, dass sie morgen mit ihrer besten Freundin in die Berge fahren wollte, äußerte sie nicht. Das hätte wieder Diskussionen mit ihrer Mutter gegeben.

Nach dem Essen nahmen sie noch einen Mokka auf der Terrasse.

Danach ging Vanessa auf ihr Zimmer und rief Axel an. Tatsächlich hatte er nicht nur die Zeit vergessen, sondern auch, dass Vanessa in die Berge fahren wollte. Es war ihm peinlich und er bot an, sofort zu kommen. Vanessa redete es ihm aus. Er solle schön weiterarbeiten, da er doch gerade so gute Ideen hatte. Sie würden sich in einigen Tagen wiedersehen.

Sie schickten sich Küsse durch das Telefon.