TOTAL BLACKOUT - Alex Shaw - E-Book

TOTAL BLACKOUT E-Book

Alex Shaw

4,0

Beschreibung

WENN DIE LICHTER AUSGEHEN … Während der britische MI-6-Agent Jack Tate versucht, seiner Vergangenheit zu entkommen, wird er Zeuge eines Terroranschlags unvergleichlichen Ausmaßes: Ein elektromagnetischer Impuls legt das amerikanische Stromnetz lahm, setzt jedes Gerät mit einem Computerchip außer Gefecht und lässt das gesamte Land in Dunkelheit versinken. Im Schutze dieses Blackouts zielt eine Geheimoperation darauf ab, prominente Personen auf amerikanischem Boden zu ermorden. Plünderungen und Gewalt greifen um sich. Als einzig verfügbarer Agent wird Jack Tate in eine Mission geworfen, die ihn – und die Menschen, die er liebt – in unmittelbare Gefahr bringen könnte. Im Kampf um das Schicksal der Vereinigten Staaten kann nur er einen neuen Weltkrieg verhindern … ★★★★★ »Suchen Sie nach etwas mit halsbrecherischem Tempo und einem gnadenlosen Helden? Dann sind Sie bei Alex Shaw richtig.« – James Swallow ★★★★★ »Jack Tate ist ein eindrucksvoller Charakter, ein echter britischer Held. Der kraftvolle Auftakt einer neuen Reihe.« – Alan McDermott ★★★★★ »Alex Shaw ist ein Meister des Actionthriller-Genres. Er hat mich von der ersten Seite an gepackt und nicht mehr losgelassen.« – Michael Ridpath ★★★★★ »Ein packender Thriller mit einem originellen Plot und überraschenden Wendungen. Tate ist als britischer Geheimagent absolut glaubhaft.« – Duncan Falconer

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TOTAL BLACKOUT

Ein Jack Tate Thriller

Alex Shaw

Originally published in the English language by HarperCollins Publishers Ltd. under the title TOTAL BLACKOUT Copyright © Alex Shaw 2020

Translation © LUZIFER-VERLAG 2022, translated under licence from HarperCollins Publishers Ltd.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: TOTAL BLACKOUT Copyright Gesamtausgabe © 2022 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Wolfgang Schroeder Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2022) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-719-8

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

TOTAL BLACKOUT
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Über den Autor

Prolog

Washington, DC

Die beiden Verschwörer standen zusammen auf ihrem Balkon im The Hay-Adams. Das Weiße Haus war weniger als vierhundert Meter von ihnen entfernt. Vom Balkon aus hatten sie einen grandiosen Blick auf das Gebäude. In wenigen Minuten würden Maksim Oleniuk und Chen Yan, die Gründer von BlacklinePMC, den größten Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika seit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour starten, vielleicht sogar den größten Angriff, den das Land jemals erlebt hatte. Maksim Oleniuk hoffte das jedenfalls. Er blickte lächelnd auf die chinesische Oligarchin hinunter, die seinen Traum von einer Attacke auf die USA unterstützt hatte. Es waren ihre Finanzmittel – Milliarden, die sie mit wertvollen Mineralien und Elektrotechnik angehäuft hatte – in Verbindung mit seinen Beziehungen und seiner Erfahrung als ehemaliger Offizier des russischen Militärgeheimdienstes gewesen, die diesen weltverändernden Augenblick ermöglicht hatten. Oleniuk fand seine Partnerin äußerst attraktiv, allerdings war ihm auch klar, dass sie die allerletzte Person auf der Welt war, der er sich nähern sollte. Er nippte an seinem gekühlten Champagner und fragte sich, ob sie seine Gedanken lesen konnte.

»Woran denkst du gerade?«, fragte Yan und überraschte ihn damit so sehr, dass sein Gesicht in der Dunkelheit rot wurde. Ihre amerikanische Aussprache war makellos, perfektioniert während ihres MBA-Studiums am New York Institute of Technology. Sie ließ Oleniuks russisch-britischen Akzent blass aussehen.

»Ich denke nur, dass noch niemals zuvor Eltern ein so starkes Kind zur Welt gebracht haben.«

Sie legte ihren Kopf mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck schief. »Unser Kind wird im gleichen Augenblick leben und sterben und doch ein ewig währendes Vermächtnis hinterlassen.«

»Vermächtnis«, wiederholte Oleniuk. Es war etwas, wonach er gestrebt hatte, und das perfekte Wort für diesen Anlass. Das hier war eine Form der Gewalt, wie sie die moderne Welt noch nicht gesehen hatte, und, wenn man von den uralten, fantastischen Geschichten über rachsüchtige Götter absah, die mächtigste überhaupt.

Sie verhielten sich wie werdende Eltern, der ehemalige Offizier des russischen Militär-Nachrichtendienstes, der von einem Fuß auf den anderen trat, und die chinesische Milliardärin, die regungslos dastand, aber beide waren nervös, aufgeregt und hatten Angst vor dem, was geschehen würde.

Der Zeitpunkt für die Detonation war so gewählt worden, dass der Luftraum leer war, oder zumindest so leer, wie er über den Vereinigten Staaten überhaupt sein konnte. Der Ort war äußerst symbolträchtig, sie hatten den Sitz der US-Macht bewusst ausgewählt, er war eher politisch als geografisch der Mittelpunkt. Oleniuks Wissenschaftler hatten ihnen erklärt, dass das Risiko einer Netzhautschädigung zwar gering war, aber dennoch bestehen würde, wenn man mit bloßem Auge direkt in das Epizentrum der Detonation blickte. Aus diesem Grund trugen Oleniuk und Yan Sonnenbrillen mit speziell angefertigten Gläsern, die ihre Augen auch von der Seite schützten. Sie blickten über den Balkon hinaus auf den meilenweit leeren Luftraum über dem beleuchteten Weißen Haus.

Um genau 5 Uhr morgens gab es einen Blitz, so kurz, dass die beiden ihn übersehen hätten, wenn sie nicht genau gewusst hätten, wohin sie schauen mussten. Dem Blitz folgte eine lautlose, purpurfarbene Explosion. Sie erblühte wie ein monströses, auf dem Kopf stehendes Feuerwerk zum vierten Juli. Ihre Blütenblätter breiteten sich in Richtung Boden aus und verblassten dann, um von einem lilafarbenen Leuchten ersetzt zu werden, das eine gespenstische Dämmerung erzeugte.

Oleniuk spürte, wie das Kribbeln, vor dem er gewarnt worden war, über ihn hinwegschwemmte und wie sich jedes einzelne Haar an seinem Körper aufrichtete. Genau in diesem Augenblick erlosch wie choreografiertjede Lampe in ihrer Umgebung. Die Lichter des Weißen Hauses verschwanden, die Flutlichter auf dem Rasen strahlten nicht mehr, und die imposante Residenz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika wurde in Dunkelheit getaucht.

Das Leuchten begann zu verblassen, der Nachthimmel sah jetzt wie das lädierte Auge eines Schwergewichtsboxers aus, bevor er allmählich wieder schwarz wurde. Die beiden Verschwörer nahmen ihre Schutzbrillen ab.

Oleniuk legte seinen Arm um Yan. »Wir haben es geschafft.«

Sie antwortete nicht, warf ihm aber einen Blick von der Seite zu. Oleniuk zog schnell seinen Arm zurück. »Es tut mir leid. Ich war gerade von meinen Gefühlen überwältigt. Ich bitte um Entschuldigung.«

»Das ist nachvollziehbar, wenn man die Umstände bedenkt.«

Sie blickten weiter auf die Hauptstadt der Vereinigten Staaten – die dunkel und still, aber nicht tot war. Der Großteil der Bevölkerung schlief sicher, und die, die es nicht taten, würden sich das Ereignis als stadtweiten Stromausfall erklären, als einen totalen Blackout.

Kapitel 1

Zwei Tage zuvor

Camden, Maine, Vereinigte Staaten

Der Attentäter war Russe, einer ihrer besten Killer, was er auch sein musste, um den Schuss erfolgreich zu erledigen. Sein Versteck befand sich in erhöhter Position auf einem Hügel, eine halbe Meile vom Ziel entfernt. Weiter konnte er sich seinem Opfer in Anbetracht des Zeitrahmens und seines Zeitplans nicht nähern. Er musste drei Zielpersonen an drei aufeinanderfolgenden Tagen erledigen. Ein waghalsiger Job in der russischen Armee und ein definitiv beispielloser Auftrag in der Privatwirtschaft. Aber er war der Beste, also hatte er die Jobs angenommen. Und jetzt war er bei Zielperson Nummer zwei angekommen.

Die ständig wechselnden Fallwinde und die Höhe machten den Schuss zu einer Herausforderung. Es war eigentlich ein Job für ein Zwei-Mann-Team, einen Schützen und einen Aufklärer, aber der Attentäter hatte es immer vorgezogen, allein zu arbeiten. Der Mann kannte kein Scheitern, das war ein Gedanke, der bei ihm einfach nicht vorkam. Scheitern begann immer mit Versäumnissen bei der Vorbereitung, und Ruslan Akulov hatte bei der Vorbereitung seiner Jobs noch nie Fehler begangen.

Sein Zielobjekt war pünktlich, er hatte ihn bereits ins Visier genommen. Der Mann verließ den hinteren Teil des Hauses durch eine deckenhohe Terrassentür und nippte an seinem Pinot Gris, ohne sich der Anwesenheit des Russen bewusst zu sein. Der pensionierte Senator Clifford Piper lebte in einem riesigen Anwesen mit Blick auf die Stadt Camden, Maine. Von der Terrasse aus, auf der er jetzt stand und auf die er in Kürze stürzen würde, hatte er einen Panoramablick auf den Hafen, die West Penobscot Bay und die Evergreen Islands. Akulov hatte schon früher Villen gesehen, schlossähnliche Häuser, die für die Reichen und Korrupten gebaut wurden und in den Außenbezirken Moskaus wie Pilze aus dem Boden schossen, während der Rest der Bevölkerung in Baracken oder Hochhaussilos lebte. Aber noch nie hatte er eines dieser Anwesen in einer so spektakulären Umgebung gesehen. Er musste zugeben, dass das Panorama beeindruckend war, doch sein Zielobjekt war es definitiv nicht. Er wusste alles über Piper. Er hasste ihn. Als Senator hatte Piper seine eigene Version des amerikanischen Imperialismus gepredigt und all jene verdammt, die es wagten, gegen Uncle Sam ihre Stimme zu erheben. Er war ein Kriegshetzer, der unerbittlich gegen Venezuela, Nordkorea, Russland und China gewettert hatte. Piper hatte seine Worte aus Washingtons Sicherheit heraus wie Raketen abgefeuert, ein Feigling, der es nicht wagte, seine Verleumdungen im Angesicht des Feindes zu wiederholen.

Aber war er für die zahllosen Toten, die seine Rhetorik verursacht hatte, oder für den Hass, den seine Worte geschürt hatten, bestraft worden? Nein. Der Senator durfte sich in seine Villa und seine drei Millionen Dollar teure Aussicht zurückziehen. Nicht schlecht für eine Datscha, oder wie die Amerikaner sie nannten, ein Feriendomizil. Der Russe verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln, das Anwesen würde schon bald verlassen sein. Er hatte seine Zielperson beobachtet und kannte deren Routine gut. Piper trank jeden Vormittag um elf Uhr ein Glas Wein auf seiner Terrasse, während er die Aussicht genoss. Auch Akulov hatte die Aussicht genossen. Genau wie der Ozean war er voller Gegensätze – mal war er ruhig, dann wieder gewalttätig. Nicht, dass er von Natur aus ein gewalttätiger Mensch war, aber er setzte Gewalt ein, um sein Land zu verteidigen.

Die Zielperson war ein Witwer, dessen Frau ein Jahr zuvor bei einem Terroranschlag in Jakarta zusammen mit achtundzwanzig anderen Amerikanern ums Leben gekommen war. Allerdings war das für das Team in Jakarta ein Fehlschlag gewesen. Das Schicksal hatte die Pläne seines Auftraggebers durchkreuzt und dafür gesorgt, dass der Senator wegen einer Lebensmittelvergiftung nicht in der Lage gewesen war, seine Hotelsuite zu verlassen, um an dem Busausflug teilzunehmen. Der Bus, in dem seine Frau saß, war von bewaffneten Männern überfallen worden, die alle Insassen abgeschlachtet hatten. Vor lauter Trauer war der Senator zurückgetreten und hatte sich zur Ruhe gesetzt. Das Scheitern des Jakarta-Teams hatte dafür gesorgt, dass Piper auf der Abschussliste gelandet war, die man Akulov übergeben hatte, und Akulov versagte nie.

Das Dienstmädchen kam heraus. Sie stellte sich neben ihren Arbeitgeber und ergriff seine Hand. Durch die geöffneten Vorhänge hatte der Russe beobachtet, wie sich der alte Mann tröstete, indem er sie vögelte. Es war ganz und gar nicht erregend gewesen, aber Akulov hatte sich gezwungen, weiter zuzusehen, ähnlich wie ein Tierfotograf, der die Paarungsrituale von Primaten beobachtete. Piper hatte gestöhnt, das Dienstmädchen allerdings nicht.

Glücklicherweise unterhielten sich die beiden in diesem Moment nur. Hier im Freien konnte er auf die Entfernung nicht verstehen, worüber sie miteinander redeten, aber er stellte sich vor, dass es die unerträglichen Worte waren, die sich Verliebte gegenseitig zusäuselten. Es ging ihn ja nichts an und es interessierte ihn auch nicht wirklich, was gesagt oder nicht gesagt wurde, was versprochen oder nicht versprochen wurde. Aber wie war das mit seiner verstorbenen Frau? Hätte sie gewollt, dass ihr Mann Mönch wurde, oder hätte sie seine neue Bettgefährtin akzeptiert? Piper sah zufrieden aus, und das hatte er an jedem Tag getan, an dem ihn der Attentäter beobachtet hatte. Selbst jetzt nippte er weiter an seinem Wein, nicht ahnend, dass eine einzelne .338-Lapua-Magnum-Kugel aus dem schallgedämpften Gewehr des Russen nur Sekunden davon entfernt war, in seine Brust einzudringen und ihm das Herz herauszureißen.

Akulov justierte das Zielfernrohr seines deutschen Scharfschützengewehrs. In normalen Zeiten wäre Pipers Tod eine klare Botschaft an den Führer seines Landes gewesen, aber diese Zeiten waren im Begriff, außergewöhnlich zu werden. Der heutige Tod des Senators würde morgen schon ignoriert werden, und vielleicht, wenn überhaupt, erst Monate nach seinem Tod untersucht werden.

Akulov spielte nicht mit dem Gedanken, die Frau zu töten, auch wenn es unter strategischen Gesichtspunkten sinnvoll wäre. Sie war die einzige andere Person im Haus, und sie am Leben zu lassen bedeutete, dass der Alarm wesentlich schneller ausgelöst werden würde, aber er hatte nicht das Verlangen danach, sie zu töten. Sie war eine Unschuldige, eine Zivilistin, und das würde gegen seinen Kodex verstoßen. Außerdem, so überlegte er sich, war ihre Beziehung zu Piper schon Strafe genug. Das Dienstmädchen entfernte sich von Piper und ging ins Haus zurück, einen Moment später tauchte ihr rundlicher Schatten in einem Küchenfenster auf. Akulov brachte seinen Atem zur Ruhe und beobachtete dabei die schwankenden großen Bäume auf dem Grundstück und die Flugrichtung der Möwen, während der grauhaarige, dickbäuchige Piper ein letztes Mal sein Weinglas zum Mund führte. Akulov nahm seine abschließenden Einstellungen und Berechnungen vor und drückte dann vorsichtig den Abzug. Das .338er-Geschoss jagte auf den ahnungslosen Feind von Mütterchen Russland zu, durchschlug seinen Torso und stanzte ein faustgroßes Loch in ihn, bevor es sich hinter ihm in die holzverkleidete Wand der Villa bohrte.

***

Jack Tate nahm das blaue Blinklicht in seinem Rückspiegel nicht sofort wahr, er war zu sehr in den Text von Bruce Springsteens Born to Run vertieft. Als das Lied zu Ende ging, hörte er die Sirenen und entdeckte dann das Polizeifahrzeug, das hinter ihm bedrohlich nahe kam. Tate fluchte, er konnte nicht glauben, dass er nach all den Jahren der Ausbildung und des aktiven Dienstes einen solchen Anfängerfehler begangen hatte. Tate wusste, wie die Sache ablaufen würde. Er lenkte den Chevrolet Tahoe auf den Seitenstreifen, ließ das Fenster auf der Fahrerseite herunter, stellte den Motor ab und legte seine Hände gut sichtbar auf das Lenkrad. Als ein Polizist aus dem schwarz-weiß lackierten Crown Victoria stieg, erklang aus Tates Radio das nächste Lied. Er versuchte, nicht zu lachen – es war der Eagles-Klassiker Desperado.

Der Cop näherte sich Tates Fenster, blieb aber einige Schritte zurück, wie es das Verfahren vorschrieb. Der Polizist forderte ihn auf, die Musik auszuschalten und ihm dann seinen Führerschein und seine Versicherungsunterlagen auszuhändigen. Er sprach Tate an, ohne diese zu überprüfen: »Ist das Ihr Fahrzeug, Sir?«

»Nein.«

»Wem gehört es dann?«

»Der Mietwagenfirma.«

»Ich verstehe.«

»Was habe ich denn falsch gemacht?«

Der Polizist runzelte die Stirn und brauchte einen Moment, um seine nächste Frage zu formulieren: »Sind Sie Engländer?«

»Aus London«, antwortete Tate, während die warme Augustluft die Kälte der Klimaanlage im Wagen verdrängte.

»Sie waren da hinten zehn Meilen pro Stunde zu schnell. Wir hatten über die letzten Jahre viele Unfälle auf diesem Straßenabschnitt. Die Leute genießen die Aussicht, sind richtig begeistert und dann … nun, es ist kein schöner Anblick.«

»Ich verstehe.«

Der Cop nickte. »Und was ist Ihr aktuelles Ziel?«

»Camden.«

»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«

»Nur für die Ferien.«

»Ferien?«

»Urlaub.«

»Allein?«

Jetzt runzelte Tate die Stirn, diese Fragen schienen für einen Verkehrsverstoß nicht normal zu sein. »Ja, ich bin auf eigene Faust unterwegs.«

Der Polizist gestikulierte mit seiner linken Hand, in der er Tates Dokumente hielt, während die rechte Hand zu seinem Gürtel glitt und auf dem Kolben seiner Schusswaffe liegen blieb. »Das ist ein ziemlich großes Fahrzeug für eine einzelne Person.«

»Der Vermieter hatte nichts Kleineres mehr im Angebot, sie haben mir ein kostenloses Upgrade gegeben.«

»Bleiben Sie im Fahrzeug, Sir. Ich bin gleich wieder da.«

Der Polizist, der immer noch Tates Dokumente in der Hand hielt, ging zurück zu seinem Streifenwagen, in dem sein Kollege am Funkgerät gesprochen hatte. Im Rückspiegel bemerkte Tate ein kurzes Gespräch zwischen den beiden, bevor sie sich mit gezogenen Waffen dem Geländewagen näherten, wobei einer die Beifahrerseite und der andere die Fahrerseite des Tahoe ansteuerte. Tate runzelte die Stirn. Jeder seiner Instinkte, jeder Teil seiner Ausbildung sagte ihm, dass er hier lieber abhauen sollte. Seinen Wagen starten, mit durchdrehenden Reifen losfahren und den Polizisten Staub zu schlucken geben … aber er war im Urlaub, nicht im Einsatz, und dies hier waren Polizisten, keine feindlichen Kämpfer.

»Steigen Sie mit erhobenen Armen aus dem Fahrzeug und legen Sie die Hände auf das Dach«, bellte der zweite Polizist.

Tate seufzte. Das war nicht das, was er brauchte, doch im Gegensatz zu den Polizisten zu Hause waren diese bewaffnet. Er hatte keine andere Wahl, als sich zu fügen. In diesem Land passierten Fehler, hier legte er sein Leben in die Hände von Männern in Uniform, die er nicht kannte, vertraute ihnen und ihrer Ausbildung. Es wurden nicht zum ersten Mal mehrere geladene Waffen auf ihn gerichtet. Tate öffnete langsam die Fahrertür und bewegte sich an der Seite des Geländewagens entlang, während der Straßenstaub zu seinen Füßen tanzte und die Sonne seinen Rücken wärmte. Er hielt seinen Blick fest nach vorn gerichtet und beobachtete in der Spiegelung in seinem Fenster, wie sich die bewaffneten Männer näherten.

»Ich werde Sie jetzt durchsuchen«, sagte der erste Polizist. »Haben Sie Drogen, Nadeln oder versteckte Waffen bei sich?«

»Nein.«

Tate spürte, wie ihn der Polizist abtastete, bevor er befahl: »Legen Sie die Hände auf den Rücken.«

Tate dachte, er wüsste, was als Nächstes passieren würde, aber keiner der Cops las ihm die Miranda-Warnung vor oder belehrte ihn über seine Rechte. Auch das fand er ziemlich ungewöhnlich. Der erste Polizist legte ihm Handschellen um die Handgelenke, wobei die linke Fessel fest gegen das Metallarmband seiner Uhr drückte und seine Rolex ein Stück den Arm hochschob. Tate fragte: »Können Sie mir erklären, was ich Ihrer Meinung nach verbrochen habe?«

Keiner der beiden Cops sagte etwas, als sie ihn in Richtung des Crown Victoria abführten. Sie öffneten die Hecktür, schoben ihn hinein und schlossen die Tür wieder. Einen Moment später heulte der Motor des Crown Victoria Police Interceptor auf, und der Fahrer steuerte mit blinkenden Leuchten durch den Verkehrsfluss in Richtung Camden.

Die beiden Polizisten waren schweigsam und angespannt. Der Fahrer hielt seinen Blick auf die Straße gerichtet, während der andere immer wieder zu Tate nach hinten blickte. Im Fond des Wagens war es stickig, und Tate versuchte, es sich bequem zu machen, während sich die Handschellen in seine Handgelenke gruben und ihn schließlich dazu zwangen, sich zur Seite zu lehnen. Eigentlich hätte er besorgt darüber sein müssen, dass er in Handschellen auf dem Rücksitz eines US-Polizeifahrzeugs saß, aber das war er nicht. Das Gefühl, das er in diesem Moment am stärksten empfand, war Verärgerung. Die Polizisten hatten einen Fehler begangen. Es war klar, dass es hier um viel mehr ging als um eine Geschwindigkeitsüberschreitung, die hätte ihm einen Strafzettel eingebracht und einen finanziellen Klaps auf die Finger – nicht aber Handschellen aus Stahl. Sie hatten sich den falschen Mann ausgesucht. Er hätte sie gern darauf hingewiesen, aber es hatte keinen Sinn, jetzt irgendetwas zu sagen. Er würde kein Wort von sich geben, bis sie an der Polizeistation angekommen waren, wo sie ihn zu bearbeiten versuchen und ihren Irrtum erkennen würden. Es gäbe ein peinliches Nichts-für-ungut-Gespräch, in dem die lokalen Polizisten versuchen würden, ihn davon zu überzeugen, dass Maine ein außergewöhnlich sicherer Ort sei, um dort seinen Urlaub zu verbringen. Er gestattete sich ein bitteres Lächeln, während er aus dem Fenster auf das glitzernde Meer unter ihnen blickte. So hatte er sich die Ankunft in Camden nicht vorgestellt, aber wenigstens enttäuschte ihn die Aussicht nicht.

Nach einer landschaftlich reizvollen Fahrt, die schließlich durch mehrere, kleinere Straßen führte, kam der Crown Victoria vor einem einstöckigen roten Backsteingebäude zum Stehen. Vorsichtig bugsierten ihn die beiden Cops aus dem Wagen heraus und über eine säulengesäumte Veranda, die auf Tate wie ein architektonisches Anhängsel wirkte, in die Polizeistation von Camden hinein. Im vorderen Teil des Büros stand hinter einem Empfangstresen ein Polizist. An den Wänden hingen Plakate, eine Mischung aus touristischen Informationen, aus Fotos, die die örtliche Landschaft zeigten, und aus textlastigen Bekanntmachungen. Der Polizist blickte auf seinen Schreibtisch hinunter, dann wieder hoch und nickte seinen Kollegen zu. Er sah beunruhigt aus und seine Stimme klang auch so: »Habseligkeiten?«

»In seinem Fahrzeug«, antwortete einer der Polizisten.

»Ich werde seine Uhr nehmen.«

Der Cop links von Tate löste das Armband und reichte die Uhr dem Polizisten hinter dem Schalter. Die Augenbrauen des Mannes hoben sich, als er die Marke notierte, bevor er die Uhr in eine verschließbare Plastiktüte steckte und diese unter den Tresen legte. »Okay. Verhörraum eins.«

Tate blieb ein gefügiger, stummer Zeuge der sich entwickelnden Ereignisse und ließ sich am Empfangstresen vorbei tiefer in die Station und in den offenen Innenraum hinein führen. Die Bürotür öffnete sich und ein großer Mann trat heraus, mit verschränkten Armen beobachtete er, wie Tate durch eine Tür auf der rechten Seite bugsiert wurde. Dahinter lag ein schmaler Korridor mit drei Stahltüren auf einer Seite. Die nächstgelegene Tür stand offen. Die beiden Polizisten schlossen ihn darin ein und ließen ihn allein.

Der Raum wurde von einer Leuchtstoffröhre in einem Drahtkäfig beleuchtet, die grell einen Metalltisch in der Mitte des Raumes anstrahlte. Der Tisch war mit Stahlstiften auf dem Betonboden festgeschraubt, ebenso wie die zwei Stühle auf beiden Seiten des Tisches – einer mit Blickrichtung zur Tür, der andere mit Blickrichtung zum Tisch. »Willkommen in Camden«, murmelte Tate vor sich hin und schüttelte den Kopf. Es war durchaus nicht das erste Mal, dass er in einem Polizeiverhörraum saß, aber es war das erste Mal, dass er es als Unschuldiger tat.

Die Polizisten hatten ihn mit den Handschellen an den Stuhl gefesselt, der zur Tür ausgerichtet war. Durch seinen Einsatz in der britischen Armee war es Tate gewohnt, Operationen zu planen, und dafür war das Sammeln von Informationen äußerst wichtig, doch hier gab es keine Informationen, die er sammeln konnte. Er versuchte, die Lage einzuschätzen, konnte sich aber keine andere Erklärung für seine Inhaftierung vorstellen als die, dass er irrtümlich aufgegriffen worden war. Ein Fall von Verwechslung. Jemand, auf den seine Beschreibung passte, hatte etwas getan, und zwar etwas wirklich Ernstes. Warum hatte man ihm dann aber nicht seine Rechte vorgelesen? Es ergab für Tate immer noch keinen Sinn. Er versuchte, es sich auf dem Metallstuhl bequemer zu machen, schließlich gelang es ihm, seinen Körper ein wenig zu entspannen und die Beine unter dem Tisch auszustrecken. Tate schloss die Augen und erinnerte sich an das erste Mal, als er in einer Polizeizelle gesessen hatte. Selbst nach all den Jahren musste er bei dem Gedanken daran immer noch schmunzeln.

Es war auf einer Familienpilgerfahrt nach Nordwales gewesen, um den Cousin seiner Mutter zu besuchen. Er und sein Bruder hassten es, dorthin zu fahren. Mehrmals im Jahr blieben sie für eine Woche vor Ort. Da ihre Eltern Game Boys ablehnten, vertrieben sich die Brüder die lange Autofahrt mit Car Cricket. Sein Bruder war immer als Erster am Schlagen. Die Jungs starrten aus den hinteren Fenstern des Volvos und hielten nach Pubs Ausschau. Wenn sie einen gefunden hatten, lasen sie den Namen oder sahen sich das auffällige Schild an, das über dem Eingang hing. Für jedes Bein, das im Pubnamen auftauchte (physisch oder bildlich), bekam der Schläger einen Run, maximal jedoch sechs pro Pub. Enthielt der Name keine Beine, war der Spieler out, und der andere Spieler war an der Reihe. Pubs wie The Coach & Horses und The Highwayman bekamen immer sechs Runs, da sie entweder Pferde im Namen oder auf dem Schild hatten. Manche Pubnamen lösten Diskussionen aus, andere brachten sie zum Lachen, und manche taten beides – The Cock war einer davon. Ihr Vater sagte, er bevorzuge beinlose Pubs, ihre Mutter machte sich darüber lustig.

In Wales spielten sie mit einem dort ansässigen Freund – Richie Williams. Er wohnte auf der anderen Straßenseite und hatte nach Meinung ihrer Mutter einen schlechten Einfluss auf ihn und seinen Bruder. Die Jungen spielten Ball zusammen oder gingen mit Richie auf Entdeckungstour. Bei mehreren Gelegenheiten waren sie vom Fairway des Prestatyn Golf Clubs verjagt worden. Doch dieser letzte Ausflug dorthin war anders verlaufen. Sein Bruder hatte nicht mitkommen wollen – er war sechzehn und lernte für sein General Certificate of Secondary Education – aber der vierzehnjährige Jack war mit dabei. Er hatte sich rausgeschlichen, um Richie zu treffen, und damit begannen, nach Ansicht seiner Eltern, seine Probleme.

Richie prahlte damit, dass er wüsste, wo der Golfclub das Feuerwerk für den Sommerball aufbewahren würde. Er forderte Jack heraus, einzubrechen und eine Rakete zu stehlen. Und Jack tat es. Aber Jack, der nie vor einer Herausforderung zurückschreckte, gab sich nicht mit einer Rakete zufrieden. Jack nahm vier Raketen und zwei bildschirmgroße Feuerräder mit. In der Nacht kletterte er auf das Dach des örtlichen Tesco-Supermarktes und baute sein eigenes Feuerwerk auf. Die Überwachungskameras hatten die örtliche Polizei auf ihre Aktivitäten aufmerksam gemacht, aber nicht, bevor Richie und Jack das Feuerwerk gezündet hatten. Als Jack über den Parkplatz sprintete, wurde er jedoch nicht nur von dem aufblühenden Feuerwerk, sondern auch von den aufgeblendeten Scheinwerfern eines Range Rovers der Polizei von Nordwales angestrahlt. In dieser Nacht wurde er zum ersten Mal in eine Polizeizelle gesteckt, und es war das letzte Mal, dass er Richie Williams gesehen hatte. Es war auch das letzte Mal, dass sie nach Prestatyn gefahren waren. Dieses Ereignis war der Anfang vom Ende seiner Beziehung zu seinen Eltern gewesen. Sie waren nicht seine richtigen Eltern, Tate hatte lange Zeit bei ihnen in Pflege gelebt. Er vermisste sie nicht, aber er vermisste ihren Sohn, seinen Bruder. Und das war der Grund, warum er auf einem Roadtrip durch die USA unterwegs war.

Tate riss die Augen auf, als die Tür knarrte. Der Polizist vom Empfangstresen kam herein. »Ich muss Ihre Fingerabdrücke abnehmen, Anweisung von Chief Donoghue. Wird das ein Problem werden?«

»Überhaupt kein Problem.«

»Brite?«

»Engländer.«

»Genau wie die Queen.« Der Polizist hielt ein schwarzes Plastiketui in DIN-A4-Größe in der Hand. Er holte eine Karte heraus. Darauf befand sich eine gedruckte Tabelle mit Spalten, für jeden einzelnen Fingerabdruck eine eigene. »Halten Sie die Hände hoch.« Tate tat wie befohlen, und der Polizist färbte die Fingerspitzen mit einer Art Schwamm aus seinem Koffer ein. »Jetzt rollen Sie jede Fingerspitze auf der Karte langsam einmal von links nach rechts.«

Tate gehorchte. Als der Polizist mit den Abdrücken zufrieden war, stand er abrupt auf und verließ den Raum. Tate starrte auf seine schmutzigen Finger, überlegte, ob er die Tinte an seiner Jeans abstreifen sollte, aber er ließ es dann doch lieber sein. Stattdessen stand er auf und wischte sie an der sauberen, weiß getünchten Wand direkt neben der Tür ab. Es war wie Fingermalerei, ein kindlicher, aber befriedigender Akt des Trotzes. Tate setzte sich wieder. Er wusste nicht, wie lange er noch in diesem Raum festsitzen würde. Wie lange würde es dauern, bis die örtlichen Behörden ihren Fehler bemerkten? Eines der vielen Mottos in der Armee lautete: Iss, wenn du kannst, und schlaf, wenn du kannst, denn man wusste nie, wann man wieder eine Chance dazu bekommen würde. Es gab nichts zu essen, also schloss Tate die Augen und versuchte zu schlafen. Flüchtig blühte das gestohlene Feuerwerk in seiner Erinnerung auf, und dann wachte er mit einem Ruck wieder auf, sein Nacken war steif und sein Kopf fühlte sich wie betäubt an.

»Stehen Sie auf und folgen Sie mir.« Es war wieder der Polizist vom Empfang.

Der Mann führte Tate quer durch den offenen Mannschaftsraum bis zu dem Büro im hinteren Teil des Raumes. Der große Mann, den er bei seinem Eintreffen gesehen hatte, saß an einem Schreibtisch. Er wies Tate mit einem Nicken an, sich ihm gegenüber auf einen leeren Stuhl zu setzen.

»Ich bin Chief Donoghue vom Camden Police Department. Würden Sie mir bitte den Grund für Ihre Anwesenheit in Maine nennen, Mr. Tate?«

Tate betrachtete seine tintenfarbenen Fingerspitzen. »Urlaub.«

»Das haben Sie meinen Männern auch schon gesagt. Aber ich würde gern den wahren Grund erfahren.« Donoghue lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Finger in seinem Schoß. Tate bemerkte, dass seine massige Gestalt mehr aus Muskeln als aus Fett bestand. Mit seinem kurzen, schnörkellosen Haarschnitt und seiner ernsten Miene sah er wie ein alter Soldat aus. »Sehen Sie, die Sache ist die, Mr. Tate, wir glauben, dass Sie genau die Person sind, nach der wir gesucht haben.«

Tate blieb stumm. Seiner Erfahrung nach hörten Männer, die Verantwortung trugen, gern dem Klang ihrer eigenen Stimme zu, unabhängig davon, wie viel Macht sie tatsächlich besaßen. Und dies war Donoghues Schreibtisch, in Donoghues Stadt. Er hatte Donoghues Büro betreten. Die gleichen weißen Wände wie in seiner Arrestzelle, aber hier war der Betonboden mit grauem Teppichboden ausgelegt. An der Wand direkt hinter Donoghues Schreibtisch hingen mehrere gerahmte Urkunden, die anscheinend allen, die auf Tates Platz saßen, die Legitimierung des Mannes bestätigen sollten. Der Schreibtisch selbst war leer, bis auf einen Laptop und eine blaue NYPD-Kaffeetasse. Ansonsten fiel Tate noch ein moderner Kaffeevollautomat auf einem kleinen Schrank und ein Couchtisch mit zwei bequemen Stühlen auf.

»Welchen Job machen Sie in Großbritannien?«, fragte Donoghue.

»Ich bin Berater für Personalangelegenheiten.«

»Und der Name Ihres Arbeitgebers ist?«

»Fir Tree Consulting.«

»Überall Äste? Das ist niedlich«, sagte Donoghue humorlos. »Können Sie das irgendwie beweisen?«

»Ich habe bestimmt eine Visitenkarte in meiner Brieftasche. Sie ist in meinem Auto, aber ich bin sicher, dass Ihre Männer die schon überprüft haben.«

»Sie sind ganz schön dreist, Mr. Tate.«

»Das stimmt, Chief Donoghue, aber wir verschwenden hier beide gerade unsere Zeit.«

»Haben Sie ein Problem mit Autoritätspersonen, Mr. Tate?«

Tate zuckte die Achseln. »Nicht, wenn ich welche sehe.«

Die Nasenflügel des Polizeichefs blähten sich, aber sein Ton blieb neutral. »Was genau machen Sie hier während Ihres Urlaubs?«

»Ich fahre herum und schaue mir die Sehenswürdigkeiten an.«

»Wie lange haben Sie vor, in den USA zu bleiben?«

»Wie es auf meinem Mietvertrag steht, einen Monat.«

»Das ist aber ein langer Urlaub.«

»Es gibt eine Menge zu sehen.«

»Haben Sie gedient, Mr. Tate?«

»Sie meinen, wie ein Butler?«

Donoghue schürzte die Lippen. »Sie wissen, was ich meine.«

Tate zuckte mit den Schultern. »Sie haben meine Daten und meine Fingerabdrücke. Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen schon bald ein ziemlich umfangreiches Dossier über mich vorliegen wird.«

»So wollen Sie das Spiel also spielen? Wirklich?« Donoghues Augen verengten sich. »Warum sind Sie so wenig kooperativ, Mr. Tate?«

Tate seufzte. »Ja, ich habe gedient.«

»Wo?«

»Afghanistan.«

»Infanterie?«

»Ja.«

»Waren Sie in vielen Gefechten?«

»In mehr als mir lieb ist. Wessen werde ich beschuldigt?«

»Im Moment wegen nichts, abgesehen von einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.«

»Warum hat man mir dann nicht meine Rechte vorgelesen?«

»Sie wissen vielleicht, oder vielleicht auch nicht, dass mir der novellierte Patriot Act von 2017 erweiterte Befugnisse gibt, um Personen von Interesse ohne Anklage festzuhalten und zu befragen. Sie, Mr. Tate, sind eine Person von Interesse.«

»Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich so interessant finden, aber ich weiß immer noch nicht, was das alles soll.«

»Okay.« Donoghue schürzte erneut seine Lippen. »Heute Mittag wurde ein prominenter Einheimischer ermordet. Es scheint ein Auftragsmord gewesen zu sein. Es wurde nur ein einziger Schuss abgefeuert. Ich warte noch immer auf die Bestätigung, welches Geschoss verwendet wurde, aber es war ziemlich groß, wir glauben, aus einer Art Scharfschützengewehr.«

Tates Augenbrauen hoben sich. Es war wirklich etwas Ernstes. »Und Sie denken, dass ich etwas damit zu tun habe?«

»Möglicherweise etwas, oder vielleicht nichts, oder vielleicht auch alles. Ein SUV, wie der, den Sie fahren, wurde beim Verlassen des Geländes beobachtet. Eine Überwachungskamera hat einen Verdächtigen aufgenommen, auf den Ihre Beschreibung passt.«

»Wer war das Mordopfer?«

»Ein Senator im Ruhestand namens Clifford Piper. Haben Sie jemals von ihm gehört?«

Tate schüttelte den Kopf. Der einzige Piper, der ihm in den Sinn kam, war der Wrestler Rowdy Roddy Piper.

»Seine Frau wurde letztes Jahr bei einem Terroranschlag getötet. Danach hat er sich in den Ruhestand zurückgezogen.«

Tate erinnerte sich vage an die Schlagzeilen. »Ich habe noch nie von ihm gehört, und ich war auch nicht bei ihm. Mein SUV hat einen GPS-Tracker, den können Sie mit Ihren Reports abgleichen.«

»Reports?«

»Ihre Berichte.«

»Ja, sehen Sie, ich weiß, was Reports sind. Ich bin nur überrascht, dass Sie diesen Begriff verwenden. Ich glaube nicht, dass Sie der sind, der Sie zu sein vorgeben, Mr. Tate.«

»Also werden Sie mich festhalten, bis Sie entscheiden, dass ich den Senator nicht mit einem Barrett-Scharfschützengewehr erschossen habe?«

»Wer hat etwas von einem Barrett gesagt, Mr. Tate?«

Tate schwieg einen Moment lang, er war müde und gereizt. »Meiner Meinung nach ist es das zuverlässigste Kaliber-0.50-Gewehr, und ich würde es benutzen, wenn ich sicher sein wollte, ein Ziel mit einem Schuss auszuschalten. Mit einer großen Patrone. Es gibt auch einen ziemlich guten Schalldämpfer dafür, und in einer stadtnahen Umgebung will man so wenig Lärm wie möglich machen.«

»Ha«, sagte Donoghue mit einem wissenden Nicken.

Tate langweilte sich langsam, eigentlich wollte er schon längst wieder unterwegs sein. »Sie haben die Mordwaffe nicht – nur ein großes Loch und eine verformte Patrone. Und die Tatsache, dass Sie keinen Zeugen erwähnt haben, der den Schuss gehört hat, bringt mich zu der Annahme, dass der Schütze einen Schalldämpfer benutzt hat. Ein Kaliber 0.50 verursacht ohne Schalldämpfer einen höllischen Knall.«

»Was haben Sie in Afghanistan gemacht, Mr. Tate?«

»Ich war Soldat.«

»Und was genau haben Sie in Afghanistan getan?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Oh, doch, das können Sie. Haben Sie mir nicht zugehört? Der Amended Patriot Act von 2017 gibt mir …«

Tate stand auf. »Ja, ich habe es verstanden.«

Donoghue kam überraschend schnell auf die Beine. »Wo zum Teufel wollen Sie denn hin? Setzen Sie sich!«

Die beiden Männer musterten sich gegenseitig, Donoghue verärgert, Tate gelassen. Ein lautes Klopfen an der Bürotür, gefolgt von einem Polizisten, der den Raum betrat, beendete diese verfahrene Situation.

»Chief, es ist dringend.«

»Bin schon unterwegs. Officer Kent, bitte begleiten Sie Mr. Tate zurück in seine Arrestzelle. Er wird keinen Ärger machen, oder, Tate?«

»Überhaupt keinen«, sagte Tate mit ausdrucksloser Stimme.

Kapitel 2

Camden, Maine

Oleg Sokol blickte auf die Wellen hinaus und atmete die frische Meeresbrise ein. Camden war so anders als seine Heimatstadt Sotschi, aber die Seeluft roch genauso. Er sah Vögel in der Thermik aufsteigen und lächelte beim Klang ihrer aufgeregten Rufe. Olegs Nachname Sokol bedeutete auf Russisch Falke, und auch er wünschte sich, er könnte unbeschwert fliegen und die Schönheit der Bucht und die Augustsonne genießen, aber leider war dies weder die Zeit noch der Ort dafür. Olegs Zeit in Maine würde mit dem kommenden Angriff abrupt enden. Natürlich würden dabei wahrscheinlich viele unschuldige Menschen ihr Leben verlieren, und obwohl er Mitleid mit ihnen hatte, konnte er nichts dagegen tun, also war es nicht seine Angelegenheit. Für ihn war nur interessant, ob die Technologie, die er im Labor mitentwickelt hatte, im Einsatz funktionieren würde. Er beobachtete in der Bucht eine Jacht, deren Besatzung sich nicht bewusst war, dass in achtunddreißig Stunden die Welt, wie sie sie kannten, auf spektakuläre Art und Weise verschwinden würde. Wie lange sie verschwinden würde, wusste er nicht. Konnten die USA in sechs Monaten oder in einem Jahr wieder alles aufbauen, ans Netz bringen und neu starten? Er schüttelte den Kopf, als das Schiff abdrehte, um an der Küste entlang nach Süden zu fahren. Vielleicht waren diese achtunddreißig Stunden alles, was der Besatzung noch blieb.

»Guten Tag.« Die Stimme, die seine Gedanken unterbrach, klang beschwingt.

»Guten Tag«, antwortete Oleg.

»Höre ich da einen russischen Akzent heraus?«, fragte die ältere Frau.

»Ja, das ist richtig.« Oleg war einmal ein von Natur aus freundlicher Mensch gewesen. Als Student hatte er Englisch gelernt, hatte sich darum bemüht, englische Muttersprachler zu treffen, um zu üben, neue Wörter zu erlernen und sein Sprachverständnis zu verbessern. Dieser Oleg wäre überglücklich gewesen, in den USA zu sein. Er wäre gesprächig, gesellig und freundlich gewesen, aber das war nicht der Oleg, der er jetzt war. Er hatte eine Mission zu erfüllen, und mit irgendjemandem zu sprechen, konnte diese Mission gefährden. Er blickte auf die alte Frau hinunter, ihr Haar war schneeweiß und tadellos frisiert. Sie trug eine Bluse in kräftigem Rosa über einer gleichfalls hellen, lindgrünen Hose, ein festes Paar Wanderstiefel und einen Tagesrucksack auf dem Rücken.

»Und was führt Sie hierher?«

Camden war eine Stadt mit lediglich fünftausend permanenten Einwohnern, und jeden Sommer kamen bis zu zehntausend weitere hinzu, die sich in Ferienhäusern und Ferienwohnungen einquartierten. Doch selbst auf dem Höhepunkt der Touristensaison war es fast unmöglich, dort nicht aufzufallen. Die Einheimischen waren, wie Oleg, von Natur aus freundliche Menschen.

»Ich bin nur hier, um eine Weile zu entspannen. Ich arbeite in Washington, deshalb ist es schön, mal der Stadt zu entfliehen.«

Die alte Frau lächelte. »Ich liebe es hier – zumindest im Sommer. Im Winter fahre ich runter nach Florida oder mache Kreuzfahrten.«

Oleg lächelte, er mochte Kreuzfahrten ebenfalls, einmal hatte er den Zug von Moskau bis nach Kiew genommen und war von dort aus mit einem Schiff den Fluss Dnipro hinunter bis zum Schwarzmeerort Odessa gefahren, wo er seiner Frau einen Heiratsantrag gemacht hatte. Er spürte, wie er traurig wurde, und schwieg deswegen.

Die alte Dame redete einfach weiter, ohne den gedankenverlorenen Kummer hinter seinem Lächeln zu bemerken. »Meine Leidenschaft ist Bergwandern. Gib mir einen anständigen Hügel und ich bin glücklich. Morgen wandert eine Gruppe von uns nach Rockport und zurück. Der Wetterbericht sagt, es wird einen klaren Himmel und Sonnenschein geben. Also, auf Wiedersehen.«

»Viel Glück und auf Wiedersehen«, antwortete Oleg, während er der Frau beim Weggehen zusah. Dabei fiel ihm ein knuddeliger Panda-Schlüsselanhänger auf, der hinten an ihrem Tagesrucksack hing. Oleg nahm sich weitere fünf Minuten Zeit, um die Aussicht zu genießen, bevor er sich auf den Weg zurück zu seinem Tahoe machte. Es würde interessant sein zu beobachten, wie viele Jachten und andere Schiffe nach dem Angriff hier ankamen und inwieweit sie, wenn überhaupt, in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Er fummelte sein verschlüsseltes Satellitentelefon aus der Hosentasche und las die Nachricht, die ihm sein Auftraggeber geschickt hatte. Der Plan war unverändert. Sein Team sollte die Folgen des Angriffs überwachen, bevor es sich sechs Stunden nach dem Ereignis zur regionalen Operationsbasis zurückziehen würde. Oleg blickte auf seine Uhr, er hatte noch Zeit für eine zusätzliche Versorgungsfahrt. Er würde am Hotel vorbeifahren, in die Conway Road einbiegen und den Hannaford Supermarkt ansteuern. Vielleicht würde er sogar ein paar Flaschen Wild Turkey kaufen, um sie mit nach Hause zu nehmen, der Preis für den Bourbon würde sprunghaft in die Höhe schießen, sobald die Vorräte in den Geschäften aufgebraucht waren und die Produktion eingestellt werden musste.

Polizeistation Camden, Maine

»Wie ist der Kaffee?«, fragte Donoghue.

»Gut. Danke«, antwortete Tate, vier Stunden nachdem er dem Chief das letzte Mal gegenüber gesessen hatte.

»Ich dachte, ihr Briten trinkt Tee.«

»Das sind nur die Frauen, echte Männer trinken Kaffee.«

Der Polizeichef nickte. »Sehen Sie das?« Er zeigte auf zwei A4-Blätter auf seinem Schreibtisch. »Das ist alles, was wir nach der Überprüfung Ihrer Fingerabdrücke im System gefunden haben. Hier, der oberste Ausdruck ist das, was ich eigentlich sehen wollte … die ganz gewöhnlichen Details über Ihre Einreise in die USA, Ihre Bewegungen im Land usw. Doch auf dem zweiten Blatt steht das, was ich sehen konnte, nachdem ich einen alten Kumpel von mir angerufen habe, der mir noch einen Gefallen schuldete, und das hat so lange gedauert.«

»Bin ich immer noch eine Person von Interesse, Chief?«

»Auf alle Fälle sind Sie ein interessanter Mensch, Mr. Tate. Sie waren beim SAS.«

Tate runzelte die Stirn. »War ich das?«

Donoghue nickte bei seiner Antwort. »Deshalb konnte ich auch nicht allzu viel über Sie herausfinden. Es war als geheim eingestuft, aber die drei Zeilen, die ich schließlich von meinem Kumpel, der Zugang zu den Unterlagen hat, erhielt, haben mir tatsächlich die Augen geöffnet.« Donoghue sah auf das Blatt hinunter, um den Effekt zu verstärken. »Sie sind direkt nach der Schule in das Parachute Regiment der British Army eingetreten und wurden dann drei Jahre später für den Special Air Service ausgewählt. Nach siebzehn Jahren haben Sie die Armee verlassen und nahmen einen Job bei Hush Hearing an. Und das ist alles, was ich über Sie herausbekommen habe. Die Frage, die sich mir stellt, ist also: Warum ist ein ehemaliges Mitglied einer elitären Spezialeinheit zur gleichen Zeit in meiner Stadt wie ein Killer?«

»Zufall.«

»Sehen Sie, Tate, ich habe aber noch ein weiteres Problem. Der Tracker an Ihrem Tahoe zeigt an, dass Sie in der Nähe des Tatorts der Piper-Schießerei waren. Könnten Sie das erklären?«

»Ich bin heute Morgen von Bangor nach Camden gefahren.«

»Und haben Sie irgendwo angehalten?«

»Ja. Ich musste mal pissen.«

»Hat Sie jemand dabei gesehen?«

»Ich hoffe nicht, ich habe in die Büsche gepinkelt.«

»Denken Sie, dass das witzig ist, Tate? So eine Art Scherz?«

»Nein, das denke ich nicht.« Tate fixierte Donoghue mit seinen stahlgrauen Augen. »Aber dass Sie glauben, ich hätte etwas damit zu tun, finde ich urkomisch. Ich bestehe darauf, dass Sie die britische Botschaft in Washington anrufen und ihnen mitteilen, dass ich hier ohne Anklage festgehalten werde.«

»Jetzt geben also Sie mir Befehle?« Donoghue verschränkte die Arme, um seine Verärgerung im Zaum zu halten. »Okay, wir werden tun, was Sie sagen, und dort anrufen, so als wären Sie ein US-Bürger mit verfassungsmäßigen Rechten.«

»Danke.«

»Für wen arbeiten Sie wirklich?«

»Fragen Sie nach Simon Hunter, er ist der Handelsattaché. Ich habe ihn letztes Jahr bei einer Handelsmission getroffen. Er wird für mich bürgen.«

»Da bin ich mir sicher.« Ein dünnes Lächeln erschien auf Donoghues Lippen. »Wissen Sie, ich habe mir die Daten Ihres Trackers zweimal angesehen, nachdem ich darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Sie in der Nähe von Pipers Haus waren und dass Sie angehalten haben. Aber dann ist mir klar geworden, dass Sie nicht der Schütze sein können, da Sie weniger als eine Minute lang gestoppt haben.«

»Ich verstehe.« Tate war verärgert; Donoghue hatte im Trüben gefischt und wusste nun über Simon Hunter Bescheid.

»Und außerdem hat Ihr Tracker zu dem Zeitpunkt, als das erste Mal geschossen wurde, den Geländewagen vor einer Pizzeria dreißig Meilen entfernt registriert.«

»Das erste Mal?«, fragte Tate erstaunt.

Donoghue ignorierte die Unterbrechung. »Wir haben das Restaurant kontaktiert und ihnen Ihr Polizeifoto geschickt. Sie haben bestätigt, dass Sie während der gesamten Zeit, in der der Tahoe laut Tracker stillstand, dort gegessen haben.«

»Na klar, weil ich dort war«, sagte Tate knapp. »Wie oft wurde denn geschossen?«

»Zweimal. Einmal gestern und einmal heute mit der gleichen Methode – jeweils eine einzelne Kugel vom Kaliber .338. Sehen Sie, während Sie sich in meiner Zelle abkühlten, haben wir das zweite Geschoss identifiziert. Es gibt eine bestätigte Übereinstimmung mit dem ersten. Kein Kaliber .50, wie Sie sagten, sondern ein Kaliber .338, allerdings immer noch groß genug, um die Opfer fast in zwei Teile zu spalten.« Donoghue schüttelte den Kopf. »In Maine wurde noch nie jemand erschossen, aber jetzt läuft ein Verrückter mit einem Kaliber-Magnum-Gewehr frei herum.«

Tate nickte, er hatte einen Fehler gemacht. »Natürlich.«

»Natürlich was?«

»Natürlich war es eine .338. Ich habe vorhin nicht richtig nachgedacht.«

Der Polizeichef verschränkte die Arme vor seiner breiten Brust: »Okay, ich beiße an. Fahren Sie fort.«

»Zwei Anschläge an zwei Tagen mit demselben Gewehr. Wenn es sich also nicht um die Operation eines Einsatzteams handelte, kann man davon ausgehen, dass beide von demselben Schützen verübt wurden. Korrekt?«

Der Polizeichef nickte.

»Und die Ziele befanden sich in einer städtischen Umgebung?«

»Nun, so städtisch wie es in einer Kleinstadt in Maine eben geht. Die Männer waren zu Hause, in ihren Gärten, an schönen grünen Orten. Worauf wollen Sie hinaus?«

»Der Schütze war vielleicht in der Lage, sich zu verstecken und das Geräusch des tödlichen Schusses zu dämpfen, aber wie hat er sein Gewehr verborgen? «

»Sie meinen, als er sich zu dem Ort, von dem aus er geschossen hat, hin und dann wieder von dort weg bewegte?«

»Ja.«

»Er trug es in einer Tasche?«

»Aber wie groß war die Tasche? Gewehre sind in der britischen Armee nicht umsonst als longs bekannt. Ein Typ, der eine Tasche trägt, die so lang ist wie ein Billardqueue, würde auffallen.«

»Ganz einfach. Er hat sie zerlegt.«

Tate schloss für einen Moment die Augen, dachte nach, stellte sich alles vor und fuhr dann fort: »Aber soweit ich weiß, gibt es nur zwei Typen von Präzisionsgewehren, die im Feld schnell zerlegt und wieder zusammengebaut werden können. Das eine wird von der US-Armee verwendet, das andere von etwa einem Dutzend internationaler Polizeieinheiten.«

»Das grenzt also die verwendete Waffe ein und hilft herauszufinden, woher sie stammt? Aber von dem Gewehr, das von der US-Armee benutzt wird, müssen doch Millionen im Umlauf sein?«

»Das war es aber nicht.«

»Warum nicht?«

»Das Remington MSR hat einen Lauf, der entfernt werden kann, um das Kaliber der Waffe zu ändern, nicht um ihn zu verstecken. Und die Genauigkeit des Remington ist nicht das, was ich ein Präzisionsgewehr nennen würde, gerade weil der Lauf gewechselt werden kann. Einzelne Teile sind danach verstellt – das Zielfernrohr, der Lauf und die Mechanik.«

»Ich verstehe schon. Es ist das andere und das hilft mir, weil es was ist, seltener oder so?«

»Ja, besonders mit Kaliber .338. Sehr selten. Sie suchen einen Schützen mit einem deutschen Scharfschützengewehr, einem Blaser R93 LRS2. Es ist die LRS2-Version, die mit .338-Lapua-Magnum-Munition geladen wird. Die gleiche, die Sie bei der Analyse gefunden haben. Sie macht große Löcher, ohne das Gewicht einer .50 Kugel zu haben, die Munition wurde für den Krieg in Afghanistan entwickelt. Allerdings ist es extrem schwierig, einen Schalldämpfer dafür zu bekommen, der in den USA vermutlich nicht im Handel erhältlich ist.«

»Und was ist, wenn Sie sich erneut irren, Mr. Tate?«

»Ich mache nie zwei Fehler am selben Tag.«

»Okay.« Donoghue klappte seinen Laptop auf und betätigte mit seinen großen Fingern ein paar Tasten. »Sagen Sie mir noch einmal den Namen des Gewehrs?«

»Ein Blaser R93 LRS2.«

»Ich werde dazu recherchieren, denn ich habe noch nie eines gesehen.«

Eine Frage tauchte in Tates Kopf auf, während der Polizeichef seine Google-Ergebnisse überprüfte. »Gibt es irgendwelche Verbindungen zwischen den Opfern?«

Donoghue blickte nicht auf. »Keine, von denen wir wüssten. Das erste war ein Banker namens Darren Sant, das zweite war Senator Piper.«

»Und diese Anschläge fanden in der Gegend von Camden statt?«

»Der erste in Rockport – ganz in unserer Nähe und der heutige in Camden.« Donoghues Gesichtsausdruck veränderte sich. »Na, das ist ja interessant.«

»Haben Sie etwas gefunden?«

Donoghue tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. »Auf Wikipedia gibt es eine Liste von Verwendern dieses Gewehrs. Und der am nächsten gelegene Nutzer ist die New Jersey State Police. Ich werde dort mal anrufen und ein paar Fragen stellen.« Donoghue sah endlich auf und räusperte sich. »Hören Sie, Mr. Tate, ich glaube, Sie haben eine Entschuldigung verdient.«

»Ich verstehe.« Tate lächelte dünn.

Donoghue fuhr fort: »Wenn etwas zu schön ist, um wahr zu sein, dann ist es meistens genau das, nämlich nicht wahr, und Sie wegen dieser Vorfälle zu verhaften, war genau so eine Sache. Das FBI und die nationalen Nachrichtensender werden spätestens morgen Mittag über uns herfallen. Sie können gehen, Ihr Mietauto wurde draußen auf dem Parkplatz abgestellt.«

»Gut.« Tate stand auf.

Der Polizeichef reichte ihm die Hand. »Nichts für ungut? Denn immerhin sind Sie zu schnell gefahren.«

»Okay«, sagte Tate mit mehr Begeisterung, als er tatsächlich verspürte. Der Mann hatte zwar seinen Tag ruiniert, aber er war ein Mann in Uniform, und er hatte auch nur seinen Job erledigt.

»Wo wollen Sie denn jetzt hin?«

»Ich habe eine Reservierung im Elm Street Inn.«

Donoghue lächelte schief. »Ich wohne gleich gegenüber. Als ich einzog, hieß das Lokal allerdings noch anders, und die Bar war noch nicht das, was sie jetzt ist. Meine Frau ist nicht besonders glücklich darüber, aber ich schon.«

»Wenn ich Sie dort sehe, gebe ich Ihnen ein Bier aus.«

»Würden Sie etwa versuchen, einen Polizisten zu bestechen, Mr. Tate?«

Tate lächelte. »Keine Ahnung. Wie gut ist das hiesige Bier?«

»Gut. Und danke für Ihre Hilfe bei der Identifizierung des Gewehrs, falls Sie recht haben sollten.«

»Das habe ich.«

Kapitel 3

Camden, Maine

Donoghue verzichtete auf den Strafzettel für die Geschwindigkeitsüberschreitung, sodass Tate nur noch für seine Uhr gegenzeichnen musste. Er verließ die klimatisierte Kühle der Polizeistation. Draußen war der späte Nachmittag noch warm, und Staubpartikel tanzten in den Sonnenstrahlen, als er die Fahrertür des Tahoe öffnete. Die im Innenraum aufgestaute Hitze schlug ihm entgegen. Tate seufzte. Der Wagen war nicht im Schatten geparkt worden. Er setzte sich in das stickige Innere, ließ die beiden vorderen Fenster herunter und schaltete das Satellitennavigationssystem ein. Endlich war er wieder im Urlaub. Frische Luft wehte ihm ins Gesicht, als er die Mechanic Street entlangfuhr, dann in die Elm Street einbog und Minuten später beim Inn ankam. Das Elm Street Inn bestand aus drei Gebäuden, die, wie in Neuengland üblich, mit weißen Holzverschalungen verkleidet waren. Zwei der Gebäude waren lange zweistöckige Wohnhäuser, die im rechten Winkel zueinander an einem Parkplatz standen. Das dritte Haus, das ursprüngliche Gebäude auf dem Grundstück, war gedrungen, gut ausgebaut und zur Straße hin ausgerichtet. Rechts von den beiden Wohnhäusern lag eine Rasenfläche mit einem abgeteilten Bereich, in dem sich ein Pool befand. Tate hielt mit dem Geländewagen an der Rezeption und stieg aus. Nachdem er den größten Teil des Tages zum Privatvergnügen der örtlichen Polizei verschwendet hatte, war es inzwischen später Nachmittag geworden. Er streckte sich und betrachtete das Inn kurz von allen Seiten, wobei ihm eine große Gestalt in Jeans und schwarzem Polohemd auffiel, die den Parkplatz zu fotografieren schien. Tate blinzelte im Sonnenlicht … nein, der Mann fotografierte die dort abgestellten Fahrzeuge. Tate hob eine Augenbraue, betrat dann die Rezeption und nannte dem alten Mann hinter dem Schalter seinen Namen.

»Ah, unser Gast aus England?«, fragte der ältere Herr mit munterer Stimme, und ohne auf Tates Antwort zu warten, fuhr er fort: »Ich war selbst schon ein paar Mal da, mein Vater war im Krieg dort stationiert. Sehr hübsches Land, England. Aus welchem Teil kommen Sie?«

»Camden.«

»Camden?«, fragte der alte Mann stirnrunzelnd.

»Camden, London. Und es ist nicht so schön wie Camden, Maine.«

Die Tür hinter Tate schwang auf, und der Fotograf trat ein. Er nickte dem Mann an der Rezeption zu und sagte auf Englisch mit russischem Akzent: »Nummer sieben.«

»Geht in Ordnung, Sir.« Der Rezeptionist reichte ihm einen Schlüssel.

Tate musterte den großen Mann. Und groß war eine Untertreibung – er war riesig. Er überragte Tate sowohl von der Körpergröße als auch von der Schulterbreite her um einige Zentimeter. Sein Haar war kurz geschnitten, aber nicht in einer Weise, die man als modisch bezeichnen könnte. Das war sicherlich nicht das Werk eines ausgebildeten Friseurs. Tate bemerkte, dass die Stiefel, die der Mann trug, stark abgenutzt waren, während seine dunkelblaue Levis und sein schwarzes Ralph-Lauren-Poloshirt immer noch die Packfalten aufwiesen. Der Mann nickte knapp, bevor er wieder hinausging, wobei ihn Tate beobachtete. Er registrierte dabei, wie der Mann seinen Rücken durchdrückte und die Brust herausstreckte, die Haltung eines Soldaten, oder zumindest von jemandem, der bis vor Kurzem einer gewesen war. In Tates Kopf tauchten einige Fragen auf, und als wollte er zumindest die erste beantworten, sprach ihn der alte Mann an.

»Wir haben zwei Russen bei uns wohnen, die vorgestern aus Portland gekommen sind. Er ist der größere der beiden. Ich bin Joe.«

»Jack, Jack Tate.«

»Das ist lustig, denn wir haben eine Reservierung auf Ihren Namen.« Joe lächelte über seinen eigenen Witz, als ob er ihn zum ersten Mal erzählen würde. »Nun, Jack, wenn Sie mich einen Blick auf Ihren Pass und Ihre Kreditkarte werfen lassen, werde ich mich darum kümmern, dass Sie Ihr Zimmer bekommen. Oh, und wenn Sie die Daten Ihres Fahrzeugs in dieses Formular eintragen könnten?«

»Gibt es hier irgendwo etwas zu essen?«, fragte Tate, während seine Daten in einen antiquiert aussehenden Computer eingegeben wurden.

»Sicher. Haben Sie nicht das Eric's in der Elm Street gesehen? Das ist das Restaurant und die Bar, die zu diesem Hotel gehören. Gleicher Besitzer, tolles Essen, toller Koch – der bin nämlich ich. Mögen Sie Austern?«

»Ja, aber die letzten, die ich gegessen habe, waren mangelhaft.«

»Mangelhaft?«, wiederholte Joe fragend.

»Ja, ich hatte fünf Stück, aber nur drei davon haben funktioniert.«

Tate sah, wie Joes Blick für einen Moment leer wurde, bevor er zu kichern anfing. »In meinem Alter wären wohl die meisten mangelhaft gewesen.« Er reichte Tate einen Schlüssel. »Hier, Zimmer Nummer sechs, im linken Gebäude neben unseren russischen Freunden. Jetzt sollten Sie gehen und Ihre Sachen wegbringen, und dann sehen wir uns etwas später im Eric’s.«

»Danke.«

Tate kehrte auf den Parkplatz zurück und fuhr die fünfzig Meter bis zum Wohnblock. Während er seine Tasche aus dem Kofferraum holte, suchte er die Türen nach der Nummer sechs ab. Kurz danach hatte er sein Zimmer gefunden, seine Tasche auf den Boden abgestellt und er schaute aus dem Fenster über den Parkplatz hinweg auf den dichten Wald. Tate schüttelte den Kopf und lächelte, Camden, Maine, gefiel ihm eindeutig besser als Camden, London, auch wenn hier ein skrupelloser Scharfschütze auf der Jagd war. Tate blieb regungslos stehen und betrachtete die Szenerie eine Minute lang, bevor er sich auszog und ins Badezimmer ging. Er zog an der Schnur für die Badezimmerlampe. Die Glühbirne flackerte kurz auf, bevor sie mit einem leisen Klirren erlosch. Tate seufzte, nahm den Abfalleimer und blockierte mit ihm die Badezimmertür, bevor er die Dusche anmachte.

***

Oleg seufzte, als der Barkeeper einen mit Essen vollgepackten Teller vor seinem Kollegen abstellte.

»Double Bacon Cheeseburger mit Coleslaw und Pommes. Und extra Zwiebelringe.«

»Danke.« Der große Russe rieb sich voller Erwartung die Hände.

»Wäre das alles?«

»Ja, das ist alles.«

»Lassen Sie es sich schmecken.« Der Barkeeper zog sich zurück.

»Du isst viel zu viel. Wenn du fünfzig bist, bist du fett und vollkommen außer Form«, stellte Oleg fest.

Sergej grinste seinen älteren Kollegen höhnisch an. »Wenn ich in zwanzig Jahren so alt bin wie du, Oleg, dann werde ich mir Sorgen machen. Doch heute werde ich gutes, heißes amerikanisches Essen essen, denn übermorgen werde ich das nicht mehr können.«

Oleg blickte sich misstrauisch im Raum um. »Außerdem bist du so diskret wie ein T62-Kampfpanzer!«

»Es tut mir leid. Kann ich jetzt endlich essen?«

Die beiden verstummten, während der große Russe seine Mahlzeit verschlang. Oleg trank langsam von seinem Bier. Das Bier schmeckte gut, und er musste es trinken, um den Anschein eines Mannes im Urlaub zu wahren, aber er wusste auch, dass es seine Sinne betäubte, und er wollte nichts verpassen, was für seine Mission von Bedeutung sein könnte.

»Und, hat sich nichts geändert?«, fragte Sergej, während er sich den Mund mit einer roten Papierserviette abwischte.

»Ich habe keinen Anruf erhalten. Alles läuft nach Plan. Wir bleiben hier, um das Ereignis zu beobachten, und ziehen dann nach sechs Stunden ab.«

»Und dann werden wir als Nationalhelden nach Russland zurückkehren, während Amerika in die Knie gezwungen wurde.«

Olegs Augen weiteten sich. »Sag jetzt nichts mehr!«

Sergej kicherte. »Glaubst du, dass hier irgendjemand Russisch spricht?«

»Vielleicht! In den nächsten fünfunddreißig Stunden dürfen wir nicht unvorsichtig werden.«

»In fünfunddreißig Stunden wird sich niemand mehr Gedanken darüber machen, was er dich oder mich hat sagen hören, selbst wenn er Russisch verstehen sollte.«

Ausnahmsweise bargen Sergejs Worte eine gewisse Logik, aber Oleg wollte das Schicksal nicht herausfordern. Der Mann sorgte dafür, dass er sich unwohl fühlte. Oleg trank sein Fassbier und beobachtete dabei weiterhin die Gäste in der Bar. Er fragte sich, was mit dieser Bar und den vielen tausend Orten geschehen würde, die ihr ähnlich waren, und zwar nicht nur in technischer, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht? Eine Unzahl unbeantworteter Fragen marschierte ihm durch den Kopf, wie Soldaten bei einer Moskauer Militärparade. Würde das lokale Stromnetz den Betrieb wieder aufnehmen oder würden die Notstromaggregate anspringen? Würde die Bar als Versammlungsort genutzt werden? Würden die Barbesitzer ihre Lebensmittel- und Wasservorräte mit gestrandeten Gästen und bedürftigen Einheimischen teilen? Und was war mit kriminellen Banden, würden sie die Macht an sich reißen und sich mit den machtlosen Behörden anlegen? All diese Fragen beschäftigen ihn. Sie waren Teil seiner Mission.

***

Tate betrat nach einem erfrischenden Nickerchen das Eric's und suchte sich einen Hocker am Ende der Bar. Es war zwar noch früh am Abend, aber immerhin war es ein Samstagabend, und trotzdem waren nur weniger als die Hälfte der rund ein Dutzend Tische besetzt. Er entdeckte den großen Russen, der mit einem anderen Mann an einem Ecktisch saß. Sie hatten von dort aus den gesamten Raum im Blick. Das war genau der Platz, den er aus alter Gewohnheit auch gewählt hätte. Von dort aus hatte man eine ungehinderte Sicht auf den Ausgang, niemand konnte sich einem unbemerkt nähern. Aber die Russen waren ihm zuvorgekommen. Die Situation wirkte etwas verwirrend, vor allem die Art und Weise, wie sie sich nicht ansahen, sondern quer durch den Raum blickten, fast so, als warteten sie auf eine Kabarettvorstellung. Er überlegte, ob der große Mann Militärangehöriger war und ob man auch den zweiten militärisch ausgebildet hatte? Der Mann war älter und grauhaarig, doch nach Tates schneller Analyse wirkte er zu weich für einen Offizier. Er musterte Tate misstrauisch. Also, was war mit dem Mann los? Tate seufzte und schüttelte leicht den Kopf. Er war im Urlaub, und so wie die nagelneuen Klamotten des großen Russen aussahen, waren sie es auch. Tate sollte sich entspannen und seine Auszeit genießen. Man hatte ihm befohlen, sich einen Monat lang freizunehmen, um auszuspannen und sich zu erholen, und er wusste, dass seine Chefin nicht glücklich darüber sein würde, wenn er das nicht tat. Langsam drehte er den Kopf weg, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

»Was kann ich Ihnen bringen?«

Tate war beim Anblick der Bardame kurz verdutzt, er musste sich bewusst zurückhalten, nicht auf ihr Dekolleté zu starren. »Nur ein Bier, das reicht fürs Erste.«

»Gezapft oder aus der Flasche?«

»Was ist denn besser?«

Die Bardame öffnete eine Flasche und stellte sie vor ihm auf einen Bierdeckel.

»Danke.« Tate betrachtete die Flasche. Auf dem Etikett stand King Titus und dass es von der Maine Beer Company gebraut worden war. Tate nahm einen Schluck und nickte anerkennend. »Wollen Sie auch eins?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ist zu früh für mich. Bleiben Sie hier?«

»Ja.« Er nahm einen gierigen Schluck von seinem Bier.

Die Frau hob die Augenbrauen. »Sie sind der Typ aus London.«

»Fast. Camden.« Sie runzelte die Stirn und Tate erklärte: »Camden ist ein Stadtteil von London.«

»Komisch, das wusste ich gar nicht.«

Tate nahm einen weiteren Schluck. »Es gibt bestimmt eine Bezeichnung für Leute, die reisen, um den Zwilling ihrer Stadt zu finden. Allerdings kenne ich sie nicht.«

»Es gibt noch ein Camden in New Jersey, aber der Ort ist angeblich die zweitgefährlichste Stadt in den USA und die ärmste, wie ich in einem Artikel gelesen habe.«

»Also ein wenig anders als hier.«

»Ganz anders.«

»Ich bin Jack.«

»Sara.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen.«

»Freut mich, dass Sie das so sehen.« Sara wandte sich ab und bediente einen anderen Kunden.

»Haben Sie sich schon die Speisekarte angesehen, Jack?«, fragte Joe, während er aus der Küche in die Bar kam.

»Nö. Sara hat mir keine gegeben.«

»Sie haben gesagt, Sie wollten nur ein Bier haben«, blaffte sie vom anderen Ende der Bar aus.

»Zum Trinken, ja, aber ich bin auch hungrig.«