Totenkult - Finde die Wahrheit - Robert Gregory Browne - E-Book
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Totenkult - Finde die Wahrheit E-Book

Robert Gregory Browne

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Beschreibung

Gehorche ihnen, oder du stirbst: Der abgründige Thriller »Totenkult – Finde die Wahrheit« von Robert Gregory Browne jetzt als eBook bei dotbooks. »Casa de la Muerte«, Haus des Todes, wird das verlassene Gebäude kurz hinter der mexikanischen Grenze genannt, seit dort eine Gruppe Nonnen brutal hingerichtet wurde. True-Crime-Schriftsteller Nick Vargas recherchiert die schreckliche Bluttat vor Ort – und wird plötzlich von einer Gruppe verdächtiger Gestalten überfallen. Nur knapp kann er mit seinem Leben entkommen – doch die tödliche Gefahr hält ihn nicht davon ab, weitere Nachforschungen anzustellen. So stößt er auf die junge Staatsanwältin Beth Crawford: Diese liegt seit Monaten im Krankenhaus, nachdem sie von einer Sekte angegriffen wurde – denselben Männern, die auch Nick töten wollen? Gemeinsam setzen sie ihr Leben aufs Spiel, um den mörderischen Kult zu zerschlagen und Beths Schwester aus seinen Fängen zu befreien. Aber haben sie auch nur den Hauch einer Chance gegen diese Übermacht? »Machen Sie sich auf einen Höllenritt gefasst.« New York Times Bestsellerautorin Kay Hooper Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Thriller »Totenkult – Finde die Wahrheit« von Robert Gregory Browne schickt Fans der Bestsellerautoren Don Winslow, Chris Carter und David Baldacci auf eine mörderische Jagd! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 438

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Über dieses Buch:

»Casa de la Muerte«, Haus des Todes, wird das verlassene Gebäude kurz hinter der mexikanischen Grenze genannt, seit dort eine Gruppe Nonnen brutal hingerichtet wurde. True-Crime-Schriftsteller Nick Vargas recherchiert die schreckliche Bluttat vor Ort – und wird plötzlich von einer Gruppe verdächtiger Gestalten überfallen. Nur knapp kann er mit seinem Leben entkommen – doch die tödliche Gefahr hält ihn nicht davon ab, weitere Nachforschungen anzustellen. So stößt er auf die junge Staatsanwältin Beth Crawford: Diese liegt seit Monaten im Krankenhaus, nachdem sie von einer Sekte angegriffen wurde – denselben Männern, die auch Nick töten wollen? Gemeinsam setzen sie ihr Leben aufs Spiel, um den mörderischen Kult zu zerschlagen und Beths Schwester aus seinen Fängen zu befreien. Aber haben sie auch nur den Hauch einer Chance gegen diese Übermacht?

Über den Autor:

Robert Gregory Browne, wurde 1955 in Baltimore geboren und lebt heute mit seiner Familie in Kalifornien. Nach erfolgreichen Jahren in der Film- und Fernsehbranche entschied er, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Heute ist er ist Autor zahlreicher Thriller, die in den Vereinigten Staaten und weltweit veröffentlicht wurden, darunter »Totenkult – Finde die Wahrheit«, der für den ITW-Thriller-Preis nominiert wurde.

Robert Gregory Browne veröffentlichte bei dotbooks bereits »Der Seelenjäger – Er wird sie töten«, »Devil's Kiss – Dir bleiben 48 Stunden« und »Der Witwer – Klebt ihr Blut an deinen Händen?«.

Die Website des Autors: robertgregorybrowne.com/

Der Autor bei Facebook: facebook.com/RobertGregoryBrowneBestsellingAuthor/

***

eBook-Erstausgabe September 2023

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2010 unter dem Originaltitel »Down Among the Dead Men« bei St. Martin's Press, Pan Macmillan, London.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2010 by Robert Gregory Browne

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/sumikphoto, Piste9, Roksolana Seniv

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-803-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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***

Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Robert Gregory Browne

Totenkult – Finde die Wahrheit

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Heike Holtsch

dotbooks.

Für Lani und Matthew

und in Gedenken an Ignacio »Nick« García.

Ruhe in Frieden, mein alter Freund.

PROLOG

PATIENTEN-JOURNALTAG 56?

23:36 Uhr

An die Schüsse kann ich mich nicht mehr erinnern, aber den Schmerz werde ich niemals vergessen.

Manchmal spüre ich ihn noch, wenn ich hier in meinem Bett liege und an jene Nacht zurückdenke. Die Nacht, die mein Leben verändern sollte.

Aus irgendeinem Winkel meines lädierten Hirns steigt ein Bild auf, und ich sehe mich selbst. Mit dem Gesicht nach unten liege ich auf dem zerfurchten Asphalt, ein Brennen im Brustkorb. Von weit her ertönt Akkordeonmusik aus einem Radio.

Ich weiß nicht, wo ich bin und wie ich dorthin gekommen bin. Unter mir fühlt es sich feucht an. Blut? Oder bin ich in eine Pfütze gefallen? Wahrscheinlich ist es Blut. Sehr viel Blut.

Etwas stimmt nicht mit meinem Kopf. Dort ist ebenfalls eine feuchte Stelle. Ich verspüre einen Druck, so als bohrten sich die Absätze von Stöckelschuhen in mein offenes Hirn. Niemals werde ich diesen Schmerz vergessen. Ein Schmerz, der mir die Sinne vernebelt.

Dann kommt die Dunkelheit – eine innere Finsternis. Alles verschwimmt und treibt auf das schwarze, nebulöse Nichts zu.

Von weit her höre ich einen Schrei, hoch und schrill. Schritte nähern sich und verhallen im Äther, sobald die Dunkelheit vollkommen von mir Besitz ergreift.

Ich schwebe fort, und mein letzter Gedanke ist, dass ich vielleicht nie wieder aufwache. Manchmal wünschte ich, es wäre so. Eigentlich wünsche ich mir das fast immer.

TEIL EINSCASA DE LA MUERTE

VARGAS

Kapitel 1

Man fand die Leichen in der Wüste, etwa zwanzig Meilen südwestlich von Tolentino.

Zwei texanische Motocross-Biker aus El Paso, Vater und Sohn, waren auf einer Tour durch die Dünen und fanden eine der Toten im Gebüsch, mit aufgeschlitzter Kehle, blutüberströmt.

Doch das war noch nicht alles.

Vargas musste es den beiden Männern hoch anrechnen, dass sie die Policia verständigt hatten, anstatt sich mit ihren Motorrädern in Richtung Grenze aus dem Staub zu machen. Die meisten Amerikaner hielten diese Region Mexikos für einen gesetzlosen, verruchten Teil der Hölle, wo es von korrupten Bullen nur so wimmelte und man beim geringsten Anlass ins Gefängnis geworfen wurde. In einem Haus voller Leichen auf die Polizei zu warten, war eine riskante Angelegenheit, insbesondere für ein paar Gabachos.

Doch offenbar war den beiden daran gelegen, das Richtige zu tun. Vargas wusste das ebenso sehr zu schätzen wie die Tatsache, dass sie eingewilligt hatten, ihm den Ort des Verbrechens zu zeigen.

Der Vater, Jim Ainsworth, war ein hagerer, sonnengebräunter Cowboy, der Vargas an einen Schauspieler aus Herr der Ringe erinnerte. Viggo Soundso. Sie trafen sich an einem Freitagnachmittag im Café Tacuba, einer Kaschemme am Highway 45. Dort setzten sie sich in die Nische an einem Fenster, das seit mindestens zehn Jahren nicht mehr geputzt worden war.

Die Jukebox in der Ecke spielte Songs von Julietta Venegas zu Akkordeonmusik. Eine steinalte Kellnerin, deren Gesichtszüge an ein Maultier erinnerten, wiegte sich im Takt der Musik, während sie einen der Tische abwischte.

Nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten, sagte Ainsworth: »Sie haben mir immer noch nicht verraten, für welchen dieser Dreckfänger Sie arbeiten.«

Vargas sah ihn fragend an. »Dreckfänger?«

»Zeitungen. Mehr kann man damit doch nicht anfangen. Ich lege meine Kaninchenställe damit aus.«

Ainsworth zwinkerte ihm zu. Vargas war nicht sicher, ob es sich um eine spitze Bemerkung oder lediglich um einen schlechten Witz gehandelt hatte.

»Ich arbeite nicht für eine Zeitung«, antwortete er.

Ainsworth stutzte. »Ich dachte, Sie seien Journalist.«

»War ich mal. Jetzt arbeite ich freiberuflich. Ich schreibe Bücher.«

Das war ein wenig übertrieben. Genauer gesagt handelte es sich um Vargas’ ersten Versuch, einen längeren Text zu verfassen. Er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt Talent dazu hatte. Nachdem er fünfzehn Jahre lang für die Los Angeles Tribune – und zuvor für den San José Reader – prägnante Artikel von 1000 Wörtern geschrieben hatte, kam ihm die Vorstellung, sich 400 bis 500 Seiten über das Wer, Was, Wann, Wo und Warum einer Geschichte aus den Fingern zu saugen, wie ein Gewaltmarsch vor. Aber dieses Buch war seine letzte Chance.

Ainsworth nickte und kratzte die letzten Bohnen von seinem Teller. Das Essen hatte Vargas spendiert. Als er die Speisekarte überflog, hatte er im Stillen jeden einzelnen Peso zusammengezählt, um sich auszurechnen, wie viel Geld er noch ausgeben konnte, bis sein Vorschuss aufgebraucht war.

»Ich konnte mit Büchern nie viel anfangen«, sagte Ainsworth. »Meine Frau, Gott sei ihrer Seele gnädig, hat jedes noch so unsinnige Taschenbuch verschlungen, das sie in die Finger bekam. Ich fand das immer ziemlich sinnlos.«

Vargas sagte nichts darauf. Er hatte keinerlei Interesse daran, mit jemandem wie Ainsworth über den Wert von Literatur zu diskutieren.

»Aber eines muss ich zugeben«, fuhr Ainsworth fort. »Ich hatte nichts dagegen, wenn sie erotische Geschichten las.« Er setzte ein verschwörerisches Grinsen auf. »Sie war einfach eine Wucht.«

»Das war sie sicher«, sagte Vargas und lächelte höflich. Mit einem Blick auf Ainsworths leeren Teller fragte er: »Möchten Sie noch etwas essen?«

Ainsworth lehnte sich seufzend zurück und tätschelte sich den Bauch. »Ich glaube, das reicht.«

Vargas wies auf den Teller neben ihm. Tacos, Bohnen und mexikanischer Reis waren kaum angerührt worden. Der Sitzplatz dahinter war leer.

»Was ist mit Ihrem Sohn?«

»Er war noch nie ein großer Esser«, antwortete Ainsworth. »Wenn er seinen Hintern endlich vom Baño herunterbekommt, können wir aufbrechen.«

Kapitel 2

Mit Ainsworths F150 fuhren sie hinaus in die Wüste. Die beiden Motorräder, vollkommen verstaubt vom roten Wüstensand, waren auf der Ladefläche angekettet. Ein Blick auf Vargas‘ zehn Jahre alten, verrosteten Corolla hatte Ainsworth genügt.

»Ich brauche Platz für meine langen Beine«, hatte er gesagt und hinzugefügt: »Ich würde die Motorräder auch nur ungern hier stehen lassen.«

Vargas hatte nichts dagegen einzuwenden. So würde er Sprit sparen. Darüber hinaus hatte Ainsworth gesagt, sein Truck sei klimatisiert, ein Luxus, mit dem der Corolla nicht aufwarten konnte. Zwar war es bereits Mitte Oktober, doch der Südwesten Mexikos wurde von einer langen Hitzewelle heimgesucht. Vargas war nachmittags schweißgebadet in dem Café angekommen.

Er kletterte auf den Beifahrersitz neben Ainsworth. Junior, etwa zwanzig Jahre alt und eine magere Kopie seines alten Herrn, saß auf der Rückbank des ausgebauten Fahrerhauses. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Jungen. Die meiste Zeit starrte er mit leerem Blick vor sich hin und sprach ebenso wenig, wie er aß. Wenn er überhaupt einmal etwas sagte, setzte er ein irres, abwesendes Lächeln auf, als stünde er unter Morphium. Ganz im Gegensatz zu Ainsworth, der offenbar gern und viel redete.

»Junior und ich, wir kommen alle paar Wochen hier herunter. Ist mal eine Abwechslung zu El Paso. Einfach die Motorräder auf den Truck laden, und los geht’s.«

»Warum Chihuahua?«, fragte Vargas. »In Texas gibt es doch auch reichlich Wüste.«

Ainsworth zuckte mit den Schultern. »Irgendwie ist es hier anders. Alles geht langsamer. Jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram. Nicht diese Hektik, wo einem ständig jemand in die Quere kommt.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Außerdem ist der Preis für eine dieser süßen mexikanischen Muschis einfach unschlagbar. Nicht wahr, Junior?«

»Chúpamelo mamacita«, meldete sich Junior zu Wort.

Mit Befremden nahm Vargas zur Kenntnis, dass das so viel hieß wie: »Blas mir einen, Baby.« Eigentlich schien Junior viel zu unbedarft für eine derart vulgäre Bemerkung, insbesondere auf Spanisch.

Ainsworth aber lachte in sich hinein und warf seinem Sohn einen Blick über den Rückspiegel zu.

»Wenn deine Mutter noch lebte, würde sie dir den Mund mit Ajax extrastark auswaschen.« Zu Vargas sagte er: »Sie müssen die Ausdrucksweise meines Sohnes entschuldigen.«

»Hab schon Schlimmeres gehört.«

»Und ich habe wahrscheinlich schon Schlimmeres gesagt. Ich muss schon zugeben, ich habe wohl nicht den besten Einfluss auf den Jungen. Als er fünfzehn war, habe ich ihn das erste Mal mit in ein Bordell genommen. Sie hätten sehen sollen, was für große Augen er gemacht hat beim Anblick all der niedlichen Chiquitas, die mit halbnacktem Hintern für ihn Spalier standen. Sich eine auszusuchen, hat länger gedauert als das Ganze an sich.«

»In Ruhe zielen, schnell feuern«, sagte Junior. »So wie Big Papa es mir beigebracht hat.«

Ainsworth lachte dreckig. »Ganz genau, mein Junge. Das habe ich dir beigebracht.«

Nach zwanzig Meilen auf dem Highway nahmen sie die Ausfahrt gleich hinter einem zerbeulten, von Kugeln durchlöcherten Schild mit der Aufschrift DUNAS DEL HOMBRE MUERTO. Dünen des toten Mannes.

Welch treffende Ironie, dachte Vargas angesichts dessen, was Ainsworth und Junior dort entdeckt hatten.

Eine schmale Schotterstraße führte zu einer verlassenen Tankstelle, die den Eindruck erweckte, als sei dort seit den frühen 1960ern nichts mehr los gewesen. Die Fenster waren mit ausgeblichenen Sperrholzbrettern vernagelt. Sie waren mit mehreren Schichten Graffiti beschmiert, sowohl in spanischer als auch in englischer Sprache. Puta, Joto und Fuck war an mehreren Stellen zu lesen.

Ainsworth parkte den Truck neben den Tanksäulen und stellte den Motor ab.

»Da wären wir.«

Er wies auf ein freies Feld hinter der Tankstelle: Staub, Dünen und Gebüsch – eigentlich nichts Außergewöhnliches. Bis hinauf nach Texas bot sich meilenweit der gleiche Anblick.

Was dieses Stück Land jedoch zu etwas Besonderem machte, war das Haus, dessen Silhouette sich in einiger Entfernung abzeichnete. Etwa zwei Monate zuvor hatte der alte Kasten in den Lokalnachrichten und den Zeitungen von Chihuahua für Schlagzeilen gesorgt.

Trotz der Hitze lief Vargas ein kalter Schauer über den Rücken, und sein Herz schlug schneller.

»Zeigen Sie mir alles ganz genau«, bat er Ainsworth. »Jeden einzelnen Schritt, den Sie gemacht haben.«

»Kein Problem. Oder, Junior?«

Junior hörte überhaupt nicht zu. Mit leerem Blick starrte er auf das Haus. Das entrückte Lächeln war ihm vergangen, und er machte eher den Eindruck, als hätte man ihn seiner Seele beraubt.

»Ich will nach Hause«, sagte er.

»Stell dich nicht so an! Wir haben das doch besprochen.«

»Ist mir egal«, gab Junior zurück. »Ich will hier weg. Jetzt gleich. Mir gefällt es hier nicht. Überhaupt nicht.«

Ainsworth wandte sich mit einem dünnen Lächeln an Vargas: »Seit dem Unfall ist der Junge nicht mehr ganz richtig im Kopf. Sein halber Schädel war zertrümmert. Hätte beinahe seiner Mama im Leichenhaus Gesellschaft geleistet.« Dann richtete er den Blick wieder auf Junior. »Ich habe dir doch gesagt, du kannst jetzt nicht schlapp machen, Junge. Wir haben dem Mann hier etwas versprochen, und bei Gott …«

»Das macht doch nichts«, sagte Vargas. »Er kann draußen warten, wenn ihm das lieber ist.«

»Habe ich Sie um Ihre Meinung gebeten?«, fragte Ainsworth ungehalten.

»Ich meine ja nur, wenn ihm nicht ganz wohl bei der Sache ist …«

»Wenn Gott uns auf die Erde geschickt hätte, damit uns nicht ganz wohl ist, Bohnenfresser, dann würden wir alle mit eingezogenem Schwanz herumlaufen.«

Vargas richtete sich auf. »Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, heiße ich Ignacio«, begann er und fügte hinzu: »Die meisten nennen mich Nick.«

»Also gut, Nick. Wir tun Ihnen hier einen Gefallen. Es wäre mir lieber, wenn Sie sich nicht einmischen würden, wenn es um meinen Sohn geht. Er mag ein wenig minderbemittelt sein, aber er ist zweiundzwanzig Jahre alt. Es wird also Zeit, endlich zu beweisen, dass er einen Arsch in der Hose hat.« Mit einem Blick in den Rückspiegel fügte er hinzu: »Ist das klar, Junior?«

Junior schwieg, versunken in seine eigene Welt.

»Ob das klar ist?«

»Ich will nach Hause«, wiederholte Junior. »Was ist, wenn sie immer noch da sind?«

»Wer?«

»Diese Leute. Die Toten.«

»Wie kommst du denn darauf?«

»Ich hab sie gesehen. Die haben da gelegen und mich die ganze Zeit mit ihren toten Fischaugen angestarrt.«

In Erwartung eines erneuten Zornesausbruchs vernahm Vargas erstaunt, dass Ainsworth mit sanfter Stimme sagte: »Hör mal, Junge, du bist ein wenig durcheinander. Ich verspreche dir, es ist niemand mehr dort.«

»Woher weißt du das?«

»Die mexikanische Polizei hat alle fortgebracht. Erinnerst du dich nicht mehr? Wir haben doch hier auf sie gewartet.«

Junior dachte eine Weile nach und schien vollends verwirrt. Doch dann ging ihm ein Licht auf, und er nickte. »Sie haben uns Fragen gestellt.«

»Ja, stimmt«, sagte Ainsworth.

»Und ich habe nichts Falsches gesagt.«

»Stimmt ebenfalls. Dein Papa war stolz auf dich.«

»Und dann haben sie die Leute in große schwarze Plastiktüten gesteckt und sie auf einen Lastwagen geladen.«

»Jawohl, alle nacheinander. Nun wollen wir Mr. Vargas zeigen, wo wir die Leute gefunden haben. Er möchte ein Buch darüber schreiben. Darin kommst du auch vor, und dann wirst du vielleicht berühmt. Na, was hältst du davon?«

Junior lächelte wieder. »So wie Elvis the Pelvis?«

»Ganz genau wie Elvis«, sagte Ainsworth.

Kapitel 3

Das Haus war weiter entfernt, als es auf den ersten Blick schien. Der ehemalige Zufahrtsweg bestand nur noch aus Erdklumpen, was die Fahrt mit dem Truck erheblich erschwerte. Vargas wurde ordentlich durchgerüttelt und musste sich am Haltegriff festhalten.

Ainsworth hatte vorgeschlagen, ihn mit den Motorrädern zum Haus zu bringen, aber Vargas hatte abgelehnt. Ein einziges Mal war er auf dem Sozius eines Motorrads mitgefahren und hatte sich vor Angst beinahe in die Hosen gemacht. Auf eine solche Erfahrung konnte er gut verzichten, insbesondere mit jemandem wie Ainsworth auf dem Fahrersitz.

Auf halbem Weg hielt Ainsworth an und wies mit dem Kinn auf eine Düne hinter ein paar Sträuchern.

»Als ich über den Hügel dort gefahren bin, habe ich mit dem Vorderrad beinahe in ihrem Gesicht aufgesetzt. Ich hätte mich fast überschlagen.«

»War sie die Einzige, die Sie draußen gefunden haben?«, fragte Vargas.

Ainsworth nickte. »Diese Dreckskerle müssen eine Garotte benutzt haben, scharf wie ein Rasiermesser. Die haben ihr praktisch den Kopf abgeschnitten. Dann haben sie noch ein paarmal auf sie geschossen. Die Policia ging davon aus, dass sie zunächst flüchten konnte und dann wieder eingefangen wurde.«

»Oh? Das hat die Polizei Ihnen erzählt?«

Ainsworth schnaubte verächtlich. »Natürlich nicht. Die hätten uns nicht einmal gesagt, wie spät es ist. Erst dachte ich sogar, die würden uns jeden Moment Handschellen anlegen und uns auf Nimmerwiedersehen in den Knast stecken. Aber das hielt sie nicht davon ab, einfach vor uns drauflos zu plappern. Ich hatte wohl nicht erwähnt, dass wir beide Spanisch sprechen.« Mit einem Grinsen fügte er hinzu: »Ich hielt es für besser, sie in dem Glauben zu lassen, wir wären Touristen.«

»Mi padre es un bastardo elegante«, meldete sich Junior erneut zu Wort.

Ainsworth grinste abermals. »Da hast du ganz recht, mein Junge. Ich bin so etwas wie ein Wolf im Kostüm eines Bauerntrampels.«

Die beiden lachten herzhaft über Ainsworths Wortspiel, während Vargas auf den Fundort der Leiche starrte. Nach so vielen Wochen war das Blut im Wüstensand versickert, und der Wind hatte sämtliche Spuren verweht. Doch Vargas hatte während seiner Zeit als Journalist genug Tatorte gesehen, um sich lebhaft vorstellen zu können, welch einen Anblick die Tote geboten haben musste.

Aber es schien besser, sich nicht allein auf seine Fantasie zu verlassen, denn das hatte ihm vor einiger Zeit mehr als genug Ärger eingebracht.

»Was hatte sie an?«, fragte er. »Ihre Ordenstracht?«

Ainsworth schnaubte abermals. »Sehen Sie hier irgendwo ein Kloster? Sie sah aus wie eine dieser Tussis, die illegal über die Grenze wollen. Jeans und T-Shirt. Deshalb dachte die Policia ja auch, es wären ein paar Bohnenfresser auf dem Weg nach El Paso.«

»Haben die von der Policia sich so ausgedrückt?«, fragte Vargas gereizt.

Ainsworth musterte ihn einen Moment lang. »Hören Sie mal, Nick, Sie sind ein netter Kerl. Aber wenn Sie mit dieser selbstgefälligen Art weitermachen, können Sie Ihre Story vergessen.«

Alles klar. Aufgewachsen in Südkalifornien, wo der Begriff »Beerenpflücker« nicht gerade als Kosename galt, war Vargas Engstirnigkeit keineswegs neu. Sein Vater hatte auf den Obstplantagen gearbeitet, so viele Stunden täglich für einen derartigen Hungerlohn, dass man hätte heulen können. Aber er hatte sich nie beklagt, trotz der Feindseligkeit, die man ihn immer wieder spüren ließ, insbesondere seitens der Familien, die das Obst kauften – und zwar zu Preisen, die durch billige Arbeitskräfte wie Vargas’ Vater überhaupt erst möglich gemacht wurden.

Doch diese Fahrt nach Chihuahua war nicht dazu gedacht, alte Wunden aufzureißen. Was seine Arbeit anging, hatte Vargas stets darauf geachtet, seine Gefühle im Zaum zu halten. Und es bestand nicht der geringste Anlass, nun etwas daran zu ändern.

Er wies auf das Haus. »Zeigen Sie mir, wo Sie die anderen Leichen gefunden haben.«

BETH

Kapitel 4

»Ich weiß ja nicht, was du für heute Abend geplant hast«, sagte Jen, während sie sich das schwarze Cocktailkleid anhielt und einen Blick in den Spiegel warf, »aber ich will jemanden aufreißen.«

Eigentlich sollte Beth diese Ankündigung nicht schockierend finden, denn Jen legte in solchen Dingen grundsätzlich eine schonungslose Offenheit an den Tag. In nahezu allen Dingen, wenn man es genau betrachtete.

Dennoch war Beth geschockt. Vermutlich lag es daran, dass sie ihr halbes Leben lang die Ersatzmutter gespielt hatte und sich wieder einmal moralisch verpflichtet fühlte, ihr Missfallen auszudrücken.

»Müssen wir uns wirklich über so etwas unterhalten?«

»Deine kleine Schwester hat sich verknallt«, sagte Jen, wobei sie Beths Frage geflissentlich überhörte. Sie legte das Kleid auf ihre Schlafkoje und fragte: »Hast du den Hintern von diesem Jungen gesehen?«

»Junge? Ich kann mich nicht erinnern, hier überhaupt einen Jungen gesehen zu haben.«

»Im Grunde sind sie doch alle noch Jungen. Das solltest du eigentlich am besten wissen. Denk nur mal an Peter.«

Ein weiteres Thema, das Beth vermeiden wollte. Nach wie vor hatte sie unter der Scheidung zu leiden und wollte lieber gar nicht daran denken. Schließlich war sie hier, um sich zu amüsieren. Nicht unbedingt so, wie Jen es sich vorstellte, aber doch genug, um zu vergessen, dass ihr Leben zu einem Desaster geworden war.

Die Kreuzfahrt an die mexikanische Riviera war Jens Idee gewesen. Nachdem ihre beste Freundin Debbie in letzter Minute abgesprungen war, hatte sie Beth gefragt, ob sie mitkommen wollte. Beth hatte die Gelegenheit beim Schopf gepackt, wenigstens für ein verlängertes Wochenende allem zu entfliehen. Nun hoffte sie, dass sie nicht über Jens Reisebekanntschaften Buch führen musste.

Besagter Junge, Julio, war einer der Barkeeper an Deck, wo sie vor dem Essen noch am Pool in der Sonne gelegen hatten. Wenngleich nicht besonders groß, war Julio dunkelhäutig und durchaus attraktiv. Selbstverständlich hatte auch Beth zur Kenntnis genommen, wie perfekt sein Hintern in den engen weißen Shorts saß. Und so konnte sie Jens Begeisterung zum Teil verstehen.

»Soweit ich es beurteilen kann, ist Julio kein Junge mehr«, sagte Beth. »Er hat schon Bartwuchs und so weiter.«

Jen grinste. »Eben darum interessiere ich mich ja für ihn.«

»Gibt es nicht eine Regelung, die es dem Schiffspersonal verbietet, sich mit Passagieren einzulassen?«

»Nun mach mal halblang! Schließlich bist du hier nicht vor Gericht. Wir haben Urlaub, schon vergessen? Da gibt es keine Regeln.«

»Er könnte seinen Job verlieren, wenn du mit ihm ins Bett gehst.«

Jen grinste noch breiter. »Glaub mir, ich bin das Risiko wert.«

»Du lieber Himmel!«, sagte Beth und verdrehte die Augen.

»Warum musst du dich immer so anstellen?«, fragte Jen.

»Ich stelle mich überhaupt nicht an, ich meine ja nur …«

»Ja, ja, schon gut, nur wenn es um mich geht.« Seufzend zog Jen ihr T-Shirt aus und öffnete das Bikinioberteil. »Vielleicht ist es dir entgangen, Schwester, aber ich bin erwachsen. Du brauchst nicht mehr den Aufpasser zu spielen. Wenn überhaupt, sollte ich auf dich aufpassen.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Wo wir gerade beim Thema sind, wie geht es deinem Kopf?«

»Er hämmert, dank dir.«

»He, ich kann doch nichts dafür, dass du aus allem, was auch nur im Entferntesten provokativ sein könnte, ein Drama machst. Du solltest dir selbst so einen Julio an Land ziehen.«

»Danke, kein Interesse«, sagte Beth.

Sie wandte den Blick ab, als Jen ihr Bikinioberteil abstreifte. Im Verlauf der Jahre hatte sie ihre Schwester oft nackt gesehen, aber hier schien es ihr wie eine Verletzung von Jens Privatsphäre.

Vielleicht lag es an der Brustvergrößerung, deren Resultat Jen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Schau stellte. Möglicherweise lag es auch an der beengten Kabine, die sie sich als Pauschalreisende teilen mussten. Es gab nicht einmal ein Fenster – beziehungsweise ein Bullauge, um es nautisch korrekt auszudrücken. Die Beleuchtung war düster und deprimierend. Jens Neuerwerbungen derart nah vor Augen zu haben, trug nicht gerade zu Beths Wohlbefinden bei.

»Ich bin natürlich kein Arzt«, sagte Jen und streifte ihr Bikinihöschen ab, »aber ich wette, nach ein paar Stunden mit dem richtigen Typen bist du deine Kopfschmerzen los.«

»Das ist wohl deine Lösung für alles.«

»Für fast alles«, gab Jen achselzuckend zurück.

»Tu mir endlich den Gefallen und geh unter die Dusche«, sagte Beth. »In einer Viertelstunde bekommen wir unsere Plätze zugewiesen.«

Kapitel 5

Das Dinner auf einem Kreuzfahrtschiff ist eine heikle Angelegenheit.

Man sitzt mit den Mitreisenden – einige davon aufgetakelt wie Fregatten – an langen, nach einem ausgeklügelten System gedeckten Tischen, für die mindestens jeweils zwei Kellner zuständig sind. Das Fünf-Gänge-Menü, dem man angesichts der Mengen, die aus der Bordküche herausgeschleppt werden, allenfalls zutraut, es sei mittelmäßig, erweist sich wider Erwarten als recht gut.

Beth wählte Weinbergschnecken als Appetizer, anschließend einen Caesarsalat, eine Meeresfrüchtesuppe, Medaillons vom Rind und zum Abschluss eine Käseplatte sowie eine Kugel Eiscreme der Geschmacksrichtung Grüner Tee. Ein eindeutiger Fall von ›Augen größer als der Mund‹.

Seitdem sie nachmittags an Bord gegangen waren, gab es überall Essen im Überfluss. Am Pooldeck hatte Beth auf Hamburger, fettige Pommes Frites, Pizza und Softeis verzichtet, so dass sie nun vollkommen ausgehungert war.

Jen hingegen hielt sich größtenteils an Flüssignahrung. Noch bevor das Dinner richtig angefangen hatte, war sie bereits betrunken. Den Appetizer sowie einen kleinen Salat spülte sie mit ein paar farbenfrohen Cocktails hinunter, die in hohen Gläsern serviert wurden, auf denen das Logo der Kreuzfahrtlinie prangte. Infolge der drei Bier, die der gute Julio ihr bereits am Pool serviert hatte, dauerte es nicht lange, bis sie Anspruch auf eine Ausnüchterungszelle hätte erheben können.

Doch noch war das Schiff weit vom nächsten Hafen entfernt, und so schied diese Option vorerst aus. Beth unternahm mehr als einen Versuch, Jen dazu zu bewegen, einen Gang herunterzuschalten, aber ihre Schwester wollte nichts davon hören.

»Jetzt bleib mal locker, du Moralapostel! Ich fange doch gerade erst an.«

Das eigentliche Problem bestand darin, dass Jen mit steigendem Alkoholpegel zunehmend unberechenbarer wurde. Man konnte nie wissen, welcher Teil ihrer Persönlichkeit die Oberhand gewinnen würde. Sämtliche Versionen waren zwar hübsch anzusehen, manche allerdings gar nicht nett.

Als das Dessert serviert wurde, flirtete sie bereits hemmungslos mit dem frisch vermählten Herrn, der neben ihr saß – sehr zum Leidwesen von dessen mausgrauer Ehefrau.

Es als Flirten zu bezeichnen, war untertrieben, denn Jen ging mit einem Frontalangriff aufs Ganze. »Los, lass uns tanzen!«

»Äh … eigentlich tanze ich nicht«, antwortete der Frischvermählte mit einem peinlich berührten Blick zu seiner Frau.

»Oh? Ich finde aber, du siehst aus wie ein guter Tänzer«, rief Jen und beugte sich vor, um seinen Bizeps zu prüfen. »Unter diesem schicken Jackett stecken doch eine Menge Muskeln.«

Der Mann errötete und gab achselzuckend zurück: »Ich gehe ins Fitnessstudio.«

»O je!«, sagte Jen, führte den Strohhalm an die Lippen und nahm geräuschvoll einen Schluck ihres zweiten Drinks. »Ich kann Fitnessstudios nicht ausstehen. Beim Anblick all dieser Geräte bekomme ich Ausschlag. Wenn ich schon ins Schwitzen komme, dann muss es sich auch lohnen. Wenn du verstehst, was ich meine.«

Sie konnte nur noch lallen, aber irgendwie schaffte sie es, ihr berüchtigtes Leg-mich-flach-Lächeln aufzusetzen. Beth musste sich fragen, was aus der spontanen Leidenschaft für Julio geworden war.

»Wenn ich ein paar Kilo runterkriegen will«, fuhr Jen fort, »dann wende ich mich an jemanden mit dem richtigen Gerät.«

Der Frischvermählte lief rot an, aber Jen schüttelte lachend den Kopf.

»Doch nicht das Gerät! Ich meinte meinen Chirurgen.«

»Chirurgen?«

»Schon mal was von Fettabsaugen gehört?« Jen wedelte mit einem imaginären Fettsauger herum und machte eine halbe Drehung. Für jemanden, der derart betrunken war, ein gewagtes Manöver, doch es gelang ihr, ohne zu Boden zu gehen. »Rate mal!«

»Was?«

Sie hob ihre brandneuen Brüste an. Es war eindeutig zu sehen, dass sie unter ihrem Cocktailkleid keinen BH trug. Nicht dass sie einen gebraucht hätte.

»Was, glaubst du, haben die beiden Schätzchen gekostet?«

Beth schob ihren Teller mit Eiscreme beiseite. »Jennifer, das reicht!«

Jen warf ihr einen missbilligenden Blick zu und fragte: »Willst du einen Cracker?« Dann wandte sie sich wieder an den Frischvermählten. »Na? Schätz mal?«

Ungeachtet seiner missmutig dreinblickenden Ehefrau starrte dieser ungeniert auf Jens Auslage. Beth war klar, dass wohl noch am selben Abend Gewitterwolken in der Hochzeitssuite aufziehen würden.

»Weiß nicht. Ein paar Tausend vielleicht?«

Jen lachte auf. »Ein paar Tausend? Wo lässt deine Frau denn anfertigen? Im Penny-Markt?«

Ihre Stimme – ohnehin bereits ein Kreischen – wurde noch schriller und übertönte das Gemurmel im Speisesaal. Alle am Tisch starrten Jen an (und ließen beinahe ihre Löffel in die Crème Brulée oder das kohlehydratfreie Mousse au Chocolat fallen). Auch an den Nachbartischen verrenkte man sich die Hälse.

»Jen, du hast zu viel getrunken. Lass uns auf unsere Kabine gehen.«

Ohne von Beth Notiz zu nehmen, wandte Jen sich an das ältere Ehepaar, das ihr gegenübersaß.

»Jetzt mal ehrlich, sehen die etwa aus, als hätten sie bloß lächerliche Zwei- oder Dreitausend gekostet?«

Nach diesen Worten zog sie kurzerhand die Träger ihres Cocktailkleids herunter und stellte ihre Neuerwerbungen vor dem erlesenen Publikum zur Schau.

Kapitel 6

Bereits auf dem Weg zur Kabine musste Jen sich übergeben. Sie hielt sich am Geländer der Treppe zu Deck 7 fest und fragte: »Warum schaukelt das hier so?«

»Wir sind auf einem Schiff«, sagte Beth und stützte sie.

»Uh, irgendwie geht es mir nicht gut. Wie viele Drinks hatte ich eigentlich?«

»Vor oder nach dem Essen?«

»Das muss an dem Rum liegen. Ich hätte es wissen müssen, Rum haut mich jedes Mal von den Füßen.«

»Ich glaube, deine Füße sind das geringste Problem.«

»Häh?«

»Ach, vergiss es«, sagte Beth. »Sehen wir zu, dass wir dich ins Bett schaffen.«

Ursprünglich hatten sie geplant, nach dem Dinner das Casino zu besuchen, und anschließend den Dance Club auf dem Oberdeck. Aber nach Jens Alkoholexzess und dem darauffolgenden Bedürfnis, sich Erleichterung zu verschaffen, richtete Beth sich darauf ein, den Rest des Abends mit einem guten Buch im Bett zu verbringen.

»Was ist vorhin passiert?«, fragte Jen. »Bilde ich es mir nur ein, oder habe ich schon wieder meine Brüste entblößt?«

Schon wieder? Beth konnte sich an keine Entblößung erinnern, die der heutigen vorausgegangen wäre – abgesehen von den winzigen Bikinioberteilen, die Jen bereits als Teenager getragen hatte. Schon immer hatte ihre Schwester einen Hang zur Selbstdarstellung gehabt. Wenn sie betrunken war, brauchte man nur eine Kamera auf sie zu richten, und schon vergaß sie jeglichen Anstand. Vermutlich musste sie dafür nicht einmal betrunken sein.

»Sagen wir es einmal so«, sagte Beth. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass deine beiden neue Freunde auf dem Schiff zum Tagesgespräch werden. Wahrscheinlich bekommen wir morgen früh einen Anruf des Chefstewards.«

Jen lehnte sich an die Wand. »Ich bin so dämlich! Warum mache ich immer solche Sachen?«

»Spar dir den Katzenjammer lieber für später.«

»Ich hatte mir fest vorgenommen, nicht so viel zu trinken. Und was tue ich als allererstes?«

»Es ist ja auch gar nicht so leicht, nein zu sagen, wenn man ständig etwas angeboten bekommt.«

Jen schüttelte den Kopf. »Verflucht noch mal, es ist immer dasselbe mit mir. Jetzt verderbe ich dir auch noch den Urlaub. Ich ruiniere immer alles.«

»Mach kein Drama daraus«, sagte Beth und versuchte zu lächeln. »Wenn sie uns nicht morgen früh vom Schiff werfen, hast du immer noch drei Tage Zeit, um …«

Jen hielt sich den Bauch. »Uh! Warum hört das denn nicht auf? So ein Mist!«

Ein Appetizer, ein kleiner Salat, drei Bier und zwei Bahama Mamas landeten auf dem blau-grün gemusterten Teppich in Kreuzfahrt-Standardausführung – und auf Beths nagelneuen Kenneth-Cole-Sandalen.

Augenblicklich erstarb ihr Lächeln. »O … nein … verdammt … noch … mal!«, sagte sie und war kurz davor, sich ebenfalls zu übergeben.

VARGAS

Kapitel 7

Vargas hätte nicht gedacht, dass er am helllichten Tag so schreckhaft war. Als er vor dem Haus stand, lief ihm ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

Es schien wie eine böse Vorahnung. Das pure Grauen.

Es war eines dieser Häuser, wie sie überall in der Gegend zu finden waren: ein verfallener Kasten aus getrockneten Lehmziegeln. Vermutlich hatte es einmal zu der Tankstelle gehört. Auch hier waren die Wände voller Graffiti, darunter eine Schmiererei neueren Datums: CASA DE LA MUERTE. Haus des Todes.

Diffuses Sonnenlicht schien durch das verfallene Dach und verbreitete im Inneren des Hauses eine düstere Atmosphäre – nahezu unheilverkündend. Der Eingang bestand nur noch aus einem Loch in der Wand, die Tür fehlte. Vargas fühlte sich an ein geöffnetes Maul erinnert, das drohte, jeden, der über die Schwelle trat, lebendig zu verschlingen.

Und er war nicht der Einzige, der ein gewisses Unbehagen verspürte.

»Ich gehe da nicht noch einmal rein«, sagte Junior und blieb mit verstörtem Gesichtsausdruck auf der Rückbank des Trucks sitzen.

Ainsworth spuckte in den Sand und warf seinem Sohn durch die offene Fahrertür einen verächtlichen Blick zu.

»Was habe ich dir vorhin gesagt, Junge?«

»Ich mag das Haus nicht.«

»Es ist nur ein Haus, verdammt noch mal! Es wird dich schon nicht beißen.«

Ainsworth senkte die Stimme, doch er klang weniger sanft als zuvor. »Dann bleib im Auto sitzen, du Hosenscheißer! Oder mal dir deinen jämmerlichen Hintern weiß an und lauf davon wie eine Antilope. Was ist dir lieber?«

Junior schwieg, doch er hielt dem Blick seines Vaters nicht lange stand.

»Okay«, sagte er schließlich.

»Okay, was?«

»Ich komme mit.«

Ainsworth sah seinen Sohn durchdringend an und sagte: »Du wirst noch eine ganze Menge mehr tun, Freundchen. Du wirst nämlich vorausgehen. Führ uns in das Haus hinein und zeig Nick, wo wir die anderen Leichen gefunden haben!«

Junior nickte feierlich und sagte: »Ja, Sir.«

Nachdem er aus dem Truck geklettert war, starrte er das Haus an, bevor er auf den verfallenen Eingang zuging. Auf der Schwelle blieb er stehen und warf seinem Vater einen ängstlichen Blick zu. Dann bedeutete er Vargas, ihm zu folgen.

Kapitel 8

Vargas glaubte nicht an Gespenster. Als Kind hatte er die üblichen Geschichten gehört, etwa die von La Llorona, der untröstlichen Witwe, die durch das Land geisterte und um ihre toten Kinder weinte. Oder die des ermordeten Ehemannes, der auf der Suche nach seinem goldenen Arm herumspukte.

Vargas hatte all dem nicht mehr Bedeutung beigemessen als nötig. Es waren harmlose Überlieferungen und Fantastereien, die sein älterer Bruder Manny in gedämpftem Tonfall erzählte, um dem kleinen Nick einen gehörigen Schrecken einzujagen, wenn sie zusammengekauert im Dunkeln auf ihrem Zimmer hockten.

Dieses Haus mitten in der Wüste jedoch hatte etwas derart Bedrohliches an sich, dass Vargas sich sogleich an jene Abende erinnert fühlte. Würde sein Bruder noch leben, hätte er die Situation garantiert weidlich ausgenutzt.

Er folgte Junior in einen kleinen Raum mit staubigem Holzfußboden und verblichenen, gelblichen Wänden, ebenfalls voller Graffiti. Paraíso – Paradies – war in roten Lettern über die anderen Worte gesprüht worden.

An einer Wand standen ein uraltes Sofa mit aufgeschlitzten Polstern und ein paar ramponierte Gartenstühle – vermutlich die Hinterlassenschaft von Landstreichern, die das Haus vorübergehend in Beschlag genommen hatten. Benutzte Spritzen und Zigarettenkippen lagen auf dem Fußboden.

»In diesem Raum war niemand«, erklärte Ainsworth, nachdem er hinter Vargas das Haus betreten hatte. »Sah in etwa so aus wie jetzt.«

»Hier entlang«, sagte Junior und ging voraus zu einer Tür auf der linken Seite.

Vargas folgte ihm durch einen engen, mit Müll übersäten Korridor. Sie gelangten in einen größeren Raum mit Spüle; ein Kühlschrank lag auf dem Boden. Offenbar die Küche. Sie führte zu einem Gang, der vor der einzigen Tür endete, die noch in den Angeln hing – ein ramponiertes Holzbrett mit abblätternder roter Farbe und einem Loch, wo einst der Türknauf gewesen war.

Junior blieb stehen, wies auf die Tür und sagte: »Da haben wir sie gefunden. Big Papa und ich.«

»Alle vier?«

»Fünf«, sagte Ainsworth.

Überrascht drehte Vargas sich um. »Vier hinter dieser Tür und eine draußen vor dem Haus, oder?«

Ainsworth schüttelte den Kopf. »Insgesamt waren es sechs.«

»Aber seitens der Polizei war die Rede von …«

»Ich gebe einen Scheiß darauf, was die Ihnen erzählt haben. Eine draußen und fünf in diesem Raum. Selbst Junior kann das zusammenzählen.«

»Der zuständige Ermittler hat nur fünf Leichen erwähnt.«

»Polizisten reden viel, wenn der Tag lang ist. Was nicht heißen muss, dass sie immer die Wahrheit sagen, insbesondere in dieser Gegend hier.«

»Warum sollte der Mann lügen?«

Ainsworth zuckte mit den Schultern. »Vermutlich will er nicht, dass jemand von der Amerikanerin erfährt.«

»Dass jemand von wem erfährt?«, fragte Vargas nach kurzem Schweigen.

»Sie haben mich schon verstanden.«

Vargas stutzte. Er hatte den Polizeibericht selbst gelesen. Darin war keinerlei Rede davon, dass eines der Opfer aus den Vereinigten Staaten stammte. Rojas, der leitende Ermittler, hatte ihm die Tatortfotos nicht zeigen wollen, um die Würde der Opfer zu wahren. Das hatte er zumindest behauptet. Waren die Akten etwa bereinigt worden?

Wenn es stimmte, was Ainsworth behauptete, erschien der Fall in einem vollkommen neuen Licht. Es war also doch keine Zeitverschwendung gewesen, sich mit der Story zu beschäftigen. Ganz im Gegenteil.

»Damit haben Sie wohl nicht gerechnet, Sherlock?«, sagte Ainsworth grinsend.

»Schluss mit diesen dämlichen Scherzen!«, gab Vargas zurück. »War unter den Opfern wirklich eine Amerikanerin?«

Ainsworth drängte sich an Junior vorbei.

»Ich zeige Ihnen, wo wir sie gefunden haben«, sagte er und stieß die Tür auf.

Kapitel 9

Vargas ging hinter Ainsworth her, dicht gefolgt von Junior. Er konnte sich nicht erklären, warum, doch plötzlich fühlte er sich zwischen den beiden Männern unbehaglich.

Er verdrängte den Gedanken und betrat den großen Raum, der einmal das Hauptschlafzimmer gewesen sein musste. Es gab nur ein Fenster mit Blick auf die Wüste, dessen Scheiben fehlten. Die tiefstehende Nachmittagssonne schien auf ein altes Bett mit einer breiten Matratze, die von Dreck und geronnenem Blut verkrustet war. Eine Menge Blut musste darin versickert sein.

Auf dem Fußboden klebte ebenfalls Blut, und auch die Graffiti an den Wänden hatten einige Spritzer abbekommen.

Abermals lief Vargas ein kalter Schauer über den Rücken, schlimmer als zuvor, gemischt mit einem Anflug von Abscheu.

Hier war es also geschehen – das Massaker, von dem er auf Channel Z zum ersten Mal gehört und anschließend im Diario de Chihuahua Genaueres gelesen hatte: ein Haus voll ermordeter Nonnen. Aus einem unerfindlichen Grund hatte die Story ihn von Beginn an nicht mehr losgelassen. Nun, am Ort des Geschehens, konnte er sich lebhaft vorstellen, wie die panischen Schmerzensschreie in der Wüste verhallt waren. Ungehört, abgesehen von den Mördern.

Ainsworth zeigte auf den Fußboden. »Drei lagen hier.«

Er stand in der Mitte des Raums und hatte ein entrücktes Lächeln auf den Lippen, beinahe so wie sein Sohn. »Drei Frauen«, fuhr er fort. »Mexikanerinnen. Zweien hatte man die Kehle durchgeschnitten und der dritten ins Herz geschossen.«

»Was war mit der Amerikanerin?«

»Die lag auf dem Bett. Hübsches Mädchen. Neben ihr lag noch eine Mexikanerin, aufgeschlitzt. Die Amerikanerin hatte mindestens zwei Schüsse in der Brust.« Kopfschüttelnd fügte er hinzu: »Es muss ein höllisches Spektakel gewesen sein.«

Vargas nickte. »Woher wollen Sie wissen, dass eine der Frauen Amerikanerin war?«

Ainsworths Blick wurde unruhig. Mit einer solchen Frage hatte er offenbar nicht gerechnet.

»Ich weiß es eben.«

»Woher?«

»Sie sah so aus. Machte einen gepflegten Eindruck. Die hatte bestimmt noch nie in ihrem Leben hart gearbeitet. Außerdem trug sie ein USC-Sweatshirt.«

»Ein Sweatshirt der University of Southern California heißt noch lange nichts. Hatte sie einen Ausweis bei sich oder einen Führerschein?«

Von der Türschwelle aus meldete sich Junior zu Wort: »Wir haben nichts angerührt. Wir haben nichts mitgenommen.«

»Halt deine dämliche Klappe!«, fuhr Ainsworth ihn an und wandte sich wieder Vargas zu. »Glauben Sie etwa, wir haben als erstes die Ausweise der Opfer kontrolliert? Dass eine der Frauen Amerikanerin war, müssen Sie mir schon glauben.«

Plötzlich wurde Vargas alles klar. Diese beiden texanischen Drecksäcke hatten die Leichen geplündert, nachdem sie sie gefunden hatten. Geld, Schmuck, alles, was sie einsacken konnten – wahrscheinlich keine reiche Beute, aber Vargas war sich sicher, dass sie alles hatten mitgehen lassen.

Doch warum hatten sie anschließend die Polizei gerufen? Etwas passte einfach nicht zusammen.

»Wenn die Frau tatsächlich Amerikanerin war«, sagte er, »warum haben die Medien nichts davon verlauten lassen?«

»Versetzen Sie sich einmal in die Lage der Polizei von Chihuahua«, antwortete Ainsworth achselzuckend. »Ein paar tote Bohnenfresser sind nichts Besonderes. Eine Randnotiz in der Zeitung. Vielleicht schaffen sie es sogar in die Lokalnachrichten. Dann kommt das unvermeidliche Zeug, von wegen Casa de la Muerte und so, und die Angelegenheit ist erledigt. Ein paar illegale Auswanderer, die es erwischt hat.«

»Abgesehen davon, dass es sich in diesem Fall um Nonnen handelt«, gab Vargas zu bedenken.

Abermals zuckte Ainsworth mit den Achseln. »Ein pikantes Detail, das jenseits der Grenze ein wenig Wirbel verursacht und vielleicht ein paar Jesusanhänger ins Schwitzen bringt. Aber damit kann man leben. Machen wir uns doch nichts vor, es geht nur um ein paar tote Bohnenfresser.« Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Nun stellen Sie sich einmal vor, was passiert, wenn ein hübsches, weißes Mädchen aus den Vereinigten Staaten ins Spiel kommt. Dann bekommt das Ganze nämlich eine internationale Tragweite. Und schon hat man sie alle am Hals: die amerikanische Botschaft, die Familie der Kleinen, vielleicht sogar das FBI, einen Haufen Reporter und eine Horde aufgebrachter Texaner, die über Juarez und Tolentino herfallen und um sich schießen. Ein nationaler Albtraum!«

»Wollen Sie etwa behaupten, die Polizei habe etwas vertuscht?«

»Wie naiv sind Sie eigentlich?«

»Ich versuche lediglich, die Wahrheit herauszufinden«, gab Vargas zurück. »Haben Sie irgendeine Ahnung, wer diese Amerikanerin war?«

»Woher sollte ich?«

»Angie«, platzte Junior heraus. »Sie hieß Angie.«

Ainsworth fuhr herum und warf ihm einen tadelnden Blick zu. »Hatte ich nicht gesagt, du sollst die Klappe halten?«

»Aber ich habe gehört, wie sie ihren Namen gesagt hat, Pa.«

Abermals fuhr Vargas ein eisiger Schauer in die Glieder. Er sah von der blutigen Matratze zu Ainsworth und fragte: »Sie lebte noch?«

Ainsworth schüttelte den Kopf. »Das bildet Junior sich nur ein. So etwas passiert ihm öfter. Der Motor läuft, aber niemand sitzt am Steuer.«

»Aber ich habe es doch gehört, Pa. Sie hat ihren Namen gesagt, als …«

»Verdammt noch mal, Junior!« Ainsworth schob sich an Vargas vorbei, packte Junior am Kragen und zerrte ihn auf den Gang hinaus. »Geh nach draußen und sieh nach, ob Sergio schon da ist!«

»Wer ist Sergio?«, fragte Vargas mit wachsendem Unbehagen.

Ainsworth drehte sich um. »Ein Freund, der Sie kennenlernen möchte.«

»Mich?«, fragte Vargas. »Warum?«

»Ich stelle keine Fragen, Bohnenfresser. Ich tue nur, was man von mir verlangt«, antwortete Ainsworth.

Und noch bevor Vargas etwas erwidern konnte, schlug er ihm die Faust ins Gesicht.

BETH

Kapitel 10

Beth stand am Bug des Schiffes und betrachtete den schimmernden Pazifik. In dem Moment hätte sie sich keinen schöneren Anblick vorstellen können.

Im Mondlicht glitt das Schiff über die Wellen, unter ihr toste der Ozean, und der kühle Wind auf ihrer Haut fühlte sich herrlich an. Allmählich kehrten ihre Lebensgeister zurück.

Sie war allein an Deck. Jen schlief tief und fest, während die meisten der Passagiere sich im Casino, in einer der Varieté-Shows, an den Late-Night-Buffets oder im Dance Club vergnügten – und sich zweifellos über die Verrückte mokierten, die vor allen Leuten einen halben Striptease hingelegt hatte. Nach ihrer anfänglichen Enttäuschung war Beth beinahe erleichtert, dass Jen schlappgemacht hatte. So bestand wenigstens keine Gefahr, sich noch einmal zu blamieren.

Beth liebte ihre Schwester aufrichtig, aber manchmal war sie ihr einfach zu anstrengend. Mit ihren 29 Jahren benahm sie sich noch immer wie ein Kind, wie Peter Pan, der nicht erwachsen werden wollte.

Beth selbst hingegen hatte bereits in jungen Jahren erwachsen werden müssen, nachdem ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz in Brasilien ums Leben gekommen waren. Damals waren Jen und sie zu ihrer Großmutter gezogen. Doch Oma Jean war gesundheitlich ein wenig labil, und so blieb es an Beth hängen, sich um ihre Schwester, den Wildfang, zu kümmern.

Keine ungewöhnliche Geschichte, und auch keine besonders weltbewegende. Ungeachtet ihrer Unerfahrenheit gab Beth sich alle Mühe, aber es gelang ihr nie, ihre Schwester zu bändigen.

Dabei war Jen nicht immer so draufgängerisch gewesen. Als kleines Mädchen, lange bevor die Eltern starben, war sie sogar die Stillere von ihnen beiden. Regelrecht schüchtern, brachte sie es nicht einmal fertig, ohne Hilfe der großen Schwester einen Schokoriegel zu kaufen. Noch als Teenager zog Jen sich zunächst am liebsten zurück und verbrachte die meiste Zeit mit Büchern und Schularbeiten.

Doch nach dem Flugzeugabsturz war nichts mehr wie zuvor.

Sie hatten es von ihrer Schulleiterin, Mrs. Llewellyn, erfahren. Die Chartermaschine war im brasilianischen Dschungel abgestürzt, und es gab keine Überlebenden. Zunächst klammerten Beth und Jen sich an den Gedanken, es müsse sich um einen Irrtum handeln – eine Verwechslung.

Doch diese Hoffnung wurde zunichte gemacht, als die Leichen ihrer Eltern zurück nach Santa Barbara gebracht wurden.

Nach der Beerdigung schien es, als sei bei Jen unbemerkt ein Schalter umgelegt worden. Ihre Zurückhaltung trat in den Hintergrund und verschwand schließlich ganz. Sie begann die Schule zu schwänzen, um sich mit den älteren Mädchen in den Wald zu stehlen und Zigaretten und wer weiß was sonst noch zu rauchen. Sie flirtete mit dem Schulgärtner, der sechs Jahre älter war und abgesehen von seinem Nebenjob bereits aufs College ging.

Oft kam es Beth vor, als sei ihre Schwester von einem Dämon besessen, der lediglich aussah und klang wie die echte Jennifer.

Als Mrs. Llewellyn ihnen mitteilte, dass sie das Internat zum Ende des Schuljahres verlassen würden, um zu ihrer Großmutter nach San Luis Obispo zu ziehen, rannte Jen schreiend davon. Stunden später fand man sie auf dem Glockenturm des Schulgebäudes. Sie drohte, sich kopfüber in das seichte Wasser des Springbrunnens zu stürzen.

Eine Gruppe Schaulustiger – darunter einige kichernde Klassenkameradinnen – hatte sich bereits versammelt. Mrs. Llewellyn bat Jen inständig, wieder herunterzukommen, aber Jen weigerte sich hartnäckig. So musste Beth auf den Turm klettern, um ihrer Schwester diese Dummheit auszureden. Das war selbstverständlich nicht Mrs. Llewellyns Idee gewesen, aber Beth die Pflichtbewusste tat, was nötig war, ungeachtet des Protests der Schulleiterin.

Während Polizei und Krankenwagen mit Blaulicht vorfuhren, kletterte sie auf den Turm hinauf und setzte sich neben Jen auf die Brüstung.

»Was hast du vor?«, fragte sie in ruhigem Tonfall. »Was willst du hier oben?«

»Sie sind an allem schuld«, sagte Jen mit Tränen in den Augen. Damals war sie fünfzehn, zwei Jahre jünger als Beth.

»Mom und Dad?«

Jen nickte. »Wenn sie uns wirklich geliebt hätten, wären sie bei uns geblieben. Oder sie hätten uns mitgenommen. Dann wären wir jetzt alle zusammen im Himmel.«

»Aber es war doch eine Geschäftsreise. Sie konnten uns nicht mitnehmen.«

Trotzig sah Jen Beth an. »Und was ist mit der Woche in Paris? Oder mit der Kreuzfahrt zu den griechischen Inseln? Waren das auch Geschäftsreisen?«

Beth schwieg.

»Mach dir nichts vor, Schwester, sie wollten uns nicht bei sich haben. Diese Schule ist mehr unsere Familie, als es unsere Eltern je waren.«

»Sie mussten sich um die Firma kümmern.«

»Und um ihre Kinder! Außer in den Ferien haben wir nie etwas von ihnen gehabt. Manchmal bin ich beinahe froh, dass sie tot sind.«

»Hör auf damit!«, befahl Beth.

Nach langem Schweigen sagte Jen: »Ich will nicht bei Oma Jean wohnen. Ich will hier im Internat bleiben.«

»Ich weiß. Ich würde auch lieber hierbleiben.«

»Außerdem wird Oma Jean nicht begeistert sein, wenn sie erfährt, dass …« Jens Stimme überschlug sich.

»Wenn sie was erfährt?«

Abermals füllten Jens Augen sich mit Tränen. »Ich glaube, ich bin schwanger.«

Kapitel 11

Gottlob war es nur falscher Alarm.

Durch die emotionale Erschütterung war Jens Zyklus aus dem Gleichgewicht geraten. Drei Tage später bekam sie ihre Periode und erzählte Beth, nie zuvor habe sie sich derart gefreut, einen Tampon benutzen zu können.

Doch allein die Tatsache, dass Jen bereits Sex hatte, war schockierend für Beth, die selbst noch niemandem ihre Jungfräulichkeit hatte opfern wollen. Obwohl auch sie lieber auf dem Internat geblieben wäre, hoffte sie, dass der Umzug zu ihrer Großmutter positive Veränderungen mit sich bringen würde.

Doch leider war das nicht der Fall, dabei gaben Jen und sie sich alle Mühe.

Abgesehen von ihren gesundheitlichen Problemen war Oma Jean nicht die liebevollste Großmutter, die man sich hätte denken können. Allmählich konnte Beth verstehen, warum ihre eigene Mutter stets so unnahbar gewesen war. Sollte sie jemals selbst Kinder bekommen – und eines Tages wollte sie das ganz sicher –, würde sie sie lieben wie sonst nichts auf der Welt. Das schwor sie sich. Und wenn sie einmal sterben würde, sollte keines ihrer Kinder behaupten können, froh darüber zu sein.

Nachdem die beiden Schwestern sich an der San Lucas Highschool eingelebt hatten, machte Jen dort weiter, wo sie aufgehört hatte. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Zigarettenpausen nicht mehr im Wald, sondern hinter dem Musiksaal stattfanden. Jen fand bald neue Freunde, und da San Lucas eine gemischte Schule war, mangelte es ihr auch nie an potenziellen Liebschaften. Die Tatsache, dass sie sich zu einem flotten Teenager gemausert hatte, der sämtliche Blicke – auch die einiger Lehrer – auf sich zog, machte es auch nicht leichter.

»Denk daran, was du mir auf dem Glockenturm gesagt hast«, rief Beth ihr warnend ins Gedächtnis.

»Von einem Blowjob ist ja wohl noch niemand schwanger geworden«, gab Jen leichthin zurück, und dem hatte Beth nichts entgegenzusetzen.

Nun stand sie an der Reling, ließ sich die frische Brise um die Nase wehen und dachte über die vergangenen zehn Jahre nach. Ein Jahrzehnt, das ihr vorkam wie ein Jahrhundert.

Während sie selbst das College und anschließend die Juristische Fakultät besuchte, blieb Jen sich selbst treu und setzte ihr zügelloses Leben fort. Zeitweilig war sie verheiratet – mit einem tätowierten Motorradmechaniker namens Bradley –, ein netter Junge, aber auf Dauer nicht der Richtige für Jen. Wenn er zu Hause bleiben wollte, zog es sie hinaus, um sich zu amüsieren. Hatte er einen Sonntagsausflug geplant, war sie viel zu verkatert, um auf den Sozius seines Motorrads zu steigen.

Die Ehe hielt drei Jahre lang, und Jen zufolge auch nur, weil sie so grandiosen Sex hatten.

Beth selbst hatte ihre Zeit produktiver genutzt. Nach dem Abschluss an der Juristischen Fakultät hatte sie zunächst ein Jahr lang als Angestellte des Amtsgerichts in Santa Barbara gearbeitet und schließlich eine Stelle bei der Bezirksstaatsanwaltschaft von Los Angeles bekommen.

Dort verliebte sie sich in einen jungen Staatsanwalt namens Peter, von dem sie jahrelang geglaubt hatte, er sei ein guter Mensch.

Doch die Zeiten änderten sich.

Der Gedanke an Peter war nach wie vor schmerzhaft. Beth fröstelte. Sie trug noch immer ihr Abendkleid, und so sehr sie den Blick auf das Meer genoss, beschloss sie doch, in die Kabine zurückzugehen. Sie wollte sogleich ins Bett schlüpfen – in der Hoffnung, dass Jen ihre Lektion gelernt hatte. Morgen wäre ein neuer Tag, und Beth hatte sich fest vorgenommen, ihn zu genießen.

Gerade wollte sie Tür öffnen – besser gesagt die Luke, oder wie immer man das nun wieder nannte –, als jemand hinter ihr sagte: »Eine wundervolle Nacht, oder?«

Beth erstarrte. Als sie sich umdrehte, sah sie die Silhouette eines Mannes, der hinter ihr im Dunkeln saß.

Hatte er die ganze Zeit über dort gesessen?

Offenbar sah man ihr die Überraschung an, denn sogleich sagte er: »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«

Er sprach mit leichtem Akzent, kaum merklich, aber doch vorhanden. Er erhob sich und trat ins Mondlicht – einer dieser Momente wie im Film, wenn die Zeit für einen Augenblick stillzustehen scheint. Er war Mitte Dreißig, hispanischer Herkunft. Das dunkle Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden – nicht unbedingt Beths Geschmack, aber das spielte in diesem Fall keine Rolle, denn der Mann sah einfach umwerfend aus.

Irritiert wich Beth einen Schritt zurück.

»Ich habe Sie also tatsächlich erschreckt.«

»Nein«, stammelte Beth, »das heißt … ein wenig vielleicht.«

Sie versuchte zu lächeln, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Da war sie nun: 31 Jahre alt, Staatsanwältin in einer der größten Städte der Welt, und sie benahm sich, als könne sie nicht einmal bis drei zählen.

Reiß dich zusammen, Mädchen!

»Sie fühlten sich hier draußen ungestört. Es war unhöflich von mir, Sie unbemerkt zu beobachten, und noch unhöflicher, Sie zu erschrecken.«

Beth schüttelte den Kopf. »Kein Problem. Ich wollte ohnehin wieder hineingehen.«

»Ach? Dann darf ich Sie vielleicht zu einem Drink einladen, gewissermaßen als Entschuldigung.«

Beth zögerte. Vier Jahre bei der Bezirksstaatsanwaltschaft hatten dazu geführt, dass ein gewisses Maß an Misstrauen ihr zur zweiten Natur geworden war. Doch bei genauerer Betrachtung fiel das Angebot des Fremden nicht in die Kategorie ›kriminelle Handlungen‘.

So wie ihr Leben sich derzeit darstellte, konnte sie kaum glauben, dass überhaupt jemand Interesse daran hatte, sie zu einem Drink einzuladen. Ein so gutaussehender Mann schon einmal gar nicht. Sie fragte sich, was er eigentlich damit bezweckte.

»Das ist nett«, antwortete sie, »aber es gibt nichts, wofür Sie sich entschuldigen müssten.«

Er nickte. »Also gut, dann eben keine Entschuldigung, sondern nur ein Drink. Ich bin Rafael Santiago.« Er reichte ihr die Hand, und nach kurzem Zögern ergriff Beth sie.

VARGAS

Kapitel 12

»Wo hast du denn so lange gesteckt?«

»Sein Wagen sprang nicht an. Diese dämliche Karre!«, sagte der Mann namens Sergio.

Vargas war nur halb bei Bewusstsein, und ihm brummte der Schädel. Er stellte fest, dass er an den Handgelenken mit einem groben Seil gefesselt war. Er wurde halb getragen und halb über den Boden geschleift. Er wagte nicht, die Augen zu öffnen, denn damit hätte er einen weiteren Fausthieb riskiert – oder schlimmer, noch einen Schlag auf den Kopf. Genau das wollte er dringend vermeiden.

»Hast du herausgekriegt, wie viel er weiß?«, fragte Sergio.