Totschlag - Paul Cain - E-Book

Totschlag E-Book

Paul Cain

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Beschreibung

»Totschlag" ist eines der raren Werke des Hardboiled-Poeten Paul Cain, der Ende der zwanziger einen kurzen kometenhaften Aufstieg als Pulp-Autor erlebte, bevor er in den Regalen der Antiquariate verschwand. Seine Stories und Romane erschienen in dem legendären Pulp-Magazin Black Mask, in dem auch Dashiell Hammett und Raymond Chandler ihre Karrieren begannen. Cains Figuren sind Betrüger, heruntergekommene Privatdetektive, Bodyguards, versoffene Sensationsreporter, Cops, Gangster und unberechenbare Frauen, die im prohibitionsgeplagten Los Angeles der späten zwanziger Jahre eine Spur zerbrochener Whiskeyflaschen, eingeschlagener Schädel und geplatzter Illusionen hinterlassen. Das Comeback der Pulp-Story im Ultrahardboiled-Stil.

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Inhaltsverzeichnis

VORWORT

von Gunter Blank

TAUBENBLUT

EINS, ZWEI, DREI

BLACK

ROTE 71

AUSGETRICKST

HINRICHTUNG IN BLAU

BOMBENSTIMMUNG

Impressum

Zum Autor

Zu den Übersetzern

Pulpmaster Backlist

Totschlag

Sieben Pulp-Stories

Paul Cain

VORWORT

von Gunter Blank

Irgendwann in den Zwanzigern, die Prohibition hatte gerade die »Roaring Twenties« in die Speak-Easies verbannt und Gangstern wie Al Capone und Dutch Schultz zu sprudelnden Einnahmequellen verholfen, tauchte ein Mann, der sich Paul Cain nannte, für kurze Zeit in New York auf und lieferte bei Cap Shaw, dem Herausgeber des legendären Pulp-Magazins Black Mask, ein paar Stories und einen Roman ab. Dashiell Hammett und Carroll John Daly hatten gerade das Hardboiled-Genre erfunden. Pulps fanden reißenden Absatz; auf dem Höhepunkt seiner Popularität verkaufte Black Mask mehr als 100.000 Hefte pro Monat. Für fünf Cent pro Wort bediente eine Armee von Pulp-Writern die niederen Instinkte des Publikums und sorgte für eine Revolution, die die amerikanische Literatur für immer veränderte. Cains Beitrag war schmal, aber nachhaltig. Selbst die Literaturkritik der New York Times, die als erste merkte, was sich hinter den grellbunten Covern der Groschenhefte anbahnte, war so beeindruckt, daß sie ins Stottern geriet: »Ein tobendes Chaos voller Blutvergießen und Wahnsinn, ein Tollhaus voll Mord und Irrsinn.«

Doch nicht nur die Unbarmherzigkeit, mit der Cain seine Leser von Blutbad zu Blutbad hetzte, sicherte ihm einen Platz in der Hall of Fame der Pulp-Writer. Er ergänzte die Galerie der schießwütigen Detektive von Hammett und Daly um die Figur des kriminellen Grenzgängers, der in der Grauzone zwischen Gesetz und Gangstern dafür sorgt, daß die Dinge nicht aus dem Ruder laufen; immer darauf bedacht, seinen Schnitt zu machen, auch wenn er am Ende froh sein kann, mit halbwegs heiler Haut davonzukommen. Mit schemenhaften Figuren wie Black, der für eine Handvoll Dollar zwei Kleinstadtbanden gegeneinander ausspielt, Shane, der seiner Jugendfreundin aus der Klemme hilft, oder Doolin, der aus der Rivalität zweier Drogengangs Kapital zu schlagen sucht, schuf er den Prototypen des amoralischen, zynischen Einzelgängers, der später von Jim Thompsons Doc McCoy über Richard Starks Parker bis zu James Ellroys Trashcan Jack Vincennes unzählige Male variiert wurde. Auch seine Stilisierung der Gangsterbosse zu morbiden Décadents, hat ihre Spuren in den Protagonisten der Neo-Noir-Kultur hinterlassen. Christopher Walkens altruistischer Drogenzar in Abel Ferraras »King of New York« läßt sich ebenso zu Cains lungenkranken Morphiumschmuggler Halloran zurückverfolgen wie Dennis Hoppers Frank in David Lynchs »Blue Velvet«.

Im Gegensatz zu seinen Protagonisten ist der Autor Cain fast so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht ist. Während Hammett und Chandler zu Ikonen der populären Kultur wurden, und Leute wie Daly oder Dent sich in die Anonymität der Suburbs zurückzogen bleibt Cain bis heute eine enigmatische Figur. Verbürgt ist, daß er 1902 als George Carroll Sims in Des Moines, Iowa zur Welt kam und 1966 in Hollywood starb. Zwar untermauerten Hardcover-Editionen von »Fast One« — zuvor als Fortsetzungsroman in Black Mask erschienen — und »Seven Slayers« — eine Short-Story-Sammlung bei Avon — seine Reputation als einer der besten und härtesten Pulp-Writer, doch wie viele seiner Kollegen nutzte er die Chance, diese Reputation Anfang der Dreißiger in Hollywood zu versilbern. Da er seine Pseudonyme so schnell wechselte wie seine Geliebten, zu denen angeblich auch einmal eine junge Tänzerin namens Myrna Williams zählte, die er davon überzeugte, sich fortan Myrna Loy zu nennen, verliert sich seine Spur in den Autorenbüros der Universal-Studios — nicht ohne allerdings auch dort ein Glanzlicht hinterlassen zu haben.

Als Peter Ruric zeichnete er für das Drehbuch für Edgar Ulmers sinistre Version von »The Black Cat« (1934) verantwortlich. Wie die Pulp-Writer den Kriminalroman aus der Muffigkeit der viktorianischen Landhäuser auf die kalten Straßen der amerikanischen Metropolen holten, führte der Drehbuchautor Cain den Horrorfilm aus den romantischen Luftschlössern der Poes, Stokers und Shelleys in die Wirklichkeit des heraufziehenden Faschismus. Die eisige Höflichkeit seiner Pulp-Bösewichter hallt in der Stimme von Boris Karloff nach, der als reich gewordener Kriegsverbrecher sein Opfer Bela Lugosi zum tödlichen Duell verführt: »We shall play a little game, Vitus. A game of death, if you like.«

TAUBENBLUT

Die Frau beugte sich weit über das Lenkrad ihres offenen Sportwagens. Ihre Augen — zu schwarzumränderten Schlitzen zusammengekniffen — blickten abwechselnd auf die feucht glänzende Straße und in den kleinen Rückspiegel über der Windschutzscheibe. Die beiden hellen Lichtkreise im Rückspiegel wurden zusehends größer. Langsam und mit gleichbleibendem Druck, trat sie auf das Gaspedal; außer dem Brausen des Windes und dem tiefen Dröhnen des kraftvollen Motors war nichts zu hören.

Plötzlich ein scharfes Krachen; auf der Windschutzscheibe erschien ein kleiner, milchiger Kreis. Die Frau trat das Gaspedal voll durch. Sie wurde blaß; jetzt waren ihre Augen groß, ernst und ängstlich, ihre Lippen fest zusammengepreßt. Die Reifen quietschten auf dem nassen Asphalt, als der Wagen sich dröhnend in eine langgezogene Kurve legte. Die Scheinwerfer des Wagens hinter ihr wurden immer größer.

Der zweite und dritte Schuß verfehlten ihr Ziel; einer ging ins Leere, der andere drang, ohne größeren Schaden anzurichten, in die Karosserie des Wagens ein, der vierte traf den linken Hinterreifen — der Wagen brach jäh aus und schleuderte halb über die Straße. Plötzlich, wie aus dem Nichts, helles, gelbes Licht am Straßenrand. Die Frau stieg auf die Bremse und riß das Lenkrad kräftig herum; laut knirschend schlitterten die Reifen über den Kies vor der Tankstelle, der Wagen kam zum Stehen, der andere raste mit fünfundsiebzig Meilen vorbei. Ein letzter Schuß schlug dumpf in die Rückenlehne des Beifahrersitzes ein, dann war der andere Wagen in der Dunkelheit verschwunden.

Zwei Männer kamen aus der Tankstelle gerannt, ein dritter

stand in der Tür. Die Frau saß regungslos in ihrem Sitz, die Augen weit aufgerissen; sie atmete schwer und unregelmäßig.

Einer der Männer legte seine Hand auf ihre Schulter und fragte: »Sind Sie in Ordnung, Lady?«

Sie nickte.

»Straßenräuber?« fragte der andere. Er war untersetzt, mittleren Alters und seine Augen funkelten neugierig.

Die Frau öffnete ihre Handtasche und nahm eine Zigarette heraus. Mit unsicherer Stimme erwiderte sie: »Nehme ich an.« Sie drückte auf den Zigarettenanzünder in der Konsole, wartete, bis er aufglühte, und hielt ihn dann an ihre Zigarette.

Der jüngere der beiden Männer untersuchte den hinteren Teil des Wagens. »Die haben den Tank getroffen«, sagte er. »Gut, daß Sie angehalten haben — Sie wären nicht mehr weit gekommen.«

»Ja — ich denke, es war eine gute Idee, anzuhalten«, sagte sie mechanisch. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette.

»Das ist hier schon der dritte Überfall in dieser Woche«, sagte der andere Mann.

Die Frau wandte sich an den jüngeren: »Können Sie mir ein Taxi rufen?«

»Sicher«, sagte er. Dann kniete er sich neben den platten Reifen. »Schau mal, Ed — die haben ihn fast in zwei Hälften zerlegt.«

Der Mann, der in der Tür stand, rief: »Wollen Sie ein Taxi, Lady?«

Sie lächelte, nickte, und der Mann verschwand in der Tankstelle. Nach einer Minute erschien er wieder in der Tür und kam zum Wagen. »Es wird nicht lange dauern, Lady. Das Taxi wird gleich hier sein.«

Sie bedankte sich.

»Das hier ist eine der übelsten Strecken auf Long Island — wegen der Straßengangster.« Er lehnte sich gegen die Wagentür. »Haben die versucht, Sie von der Straße abzudrängen — oder haben sie einfach angefangen zu schießen?«

»Sie fingen einfach an zu schießen.«

»Wir haben eine Werkstatt hier, wollen Sie, daß wir Ihren Wagen reparieren?«

Sie nickte. »Wie lange wird es dauern?«

»Einige Tage. Wir müssen eine neue Windschutzscheibe von der Werksfiliale in Queens besorgen — und den Tank rausnehmen ...«

Sie zog eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche, reichte sie ihm und sagte: »Rufen Sie mich an, wenn er fertig ist.«

Kurz darauf kam ein Taxi aus der Dunkelheit einer Seitenstraße gebogen und fuhr auf die Tankstelle. Die Frau stieg aus ihrem Wagen, ging zu dem Taxi und sprach mit dem Fahrer: »Kennen Sie eine Abkürzung nach Manhattan? Vorhin hat man versucht, mich zu überfallen, oben an der Hauptstraße, vielleicht lauern sie noch irgendwo. Ich verspüre wenig Lust, das nochmal zu erleben — ich will nach Hause.« Ihre Stimme klang eindringlich.

Der Fahrer, ein großer Ire mit gerötetem Gesicht, grinste und sagte: »Lady — ich kenn ’ne Million Schleichwege. Bei mir sind Sie so sicher wie in Ihren eigenen vier Wänden.«

Mit einer leichten Bewegung der Hand verabschiedete sie sich von den drei Männern, die um ihren Wagen herumstanden, und stieg in das Taxi. Nachdem es außer Sichtweite war, zog der Mann, dem sie sie gegeben hatte, die Visitenkarte aus der Tasche, kniff die Augen zusammen und las laut vor: »Mrs. Dale Hanan — Fünf Acht Null Park Avenue.«

Der untersetzte Mann mittleren Alters nickte wissend. »Klar doch — habe sofort registriert, daß sie Klasse hat. Sie ist die Frau von Hanan — dem Millionär. Hat seinen Zaster mit Öl gemacht — Oklahoma. Sein Chauffeur hat mir erzählt, wie er angefangen hat — hatte keinen müden Cent, rein gar nichts, da hat er sich einfach in den großen Zeh geschossen und von der Unfallversicherung zehn Riesen kassiert und damit die Ausrüstung für sein erstes Bohrloch finanziert. Cleverer Bursche. Hat ein riesiges Anwesen unten in Roslyn.«

Der Mann, der die Visitenkarte hielt, nickte. »Das trifft sich prima«, sagte er. »Den können wir richtig abziehen.« Er steckte die Karte wieder in seine Tasche.

Als das Taxi Ecke Dreiundsechzigste und Park Avenue anhielt, stieg die Frau aus, bezahlte den Fahrer und hastete ins Haus. Von ihrem Apartment aus meldete sie ein Ferngespräch nach Roslyn, Long Island an; als die Verbindung hergestellt war, sagte sie: »Dale - man will mir an den Kragen. Ich wurde verfolgt, als ich zurück in die Stadt fahren wollte — man hat auf mich geschossen — ich habe fast den Wagen zu Schrott gefahren ... Ich weiß nicht, was ich tun soll. Selbst wenn ich Crandall jetzt anrufe und ihm sage, daß ichs nicht ernst gemeint habe, daß ich nicht zur Polizei gehen werde - er wird mich wahrscheinlich umbringen lassen, nur um auf Nummer sicher zu gehen ... Ja, ich werde zu Hause bleiben — ich habe Angst... In Ordnung, Liebling. Wiedersehen.«

Sie legte auf, ging zu einem großen Tisch, goß sich Whiskey in ein hohes Glas, setzte sich hin und starrte es ausdruckslos an — ihre Hand zitterte ein wenig. Unvermittelt verzog sich ihr Mund zu einem schiefen Lächeln, sie hob das Glas an die Lippen und trank es in einem Zug aus. Dann stellte sie es auf den Boden, lehnte sich zurück und schaute auf ihre winzige Armbanduhr.

Es war zehn nach neun.

Ein paar Minuten nach zehn hielt eine viertürige, schwarze Packard-Limousine vor einem schmalen Gebäude aus hellgrauem Stein an der Vierundfunfzigsten Straße Ost; ein hochgewachsener Mann stieg aus, überquerte den Gehweg und drückte auf die Klingel. Der Wagen fuhr weiter. Als die Tür geöffnet wurde, trat der Mann in einen langen, hell erleuchteten Flur, gab Hut und Stock an der Garderobe ab und stieg eilig die niedrigen Stufen hinauf in die erste Etage. Sein Blick schweifte durch den großen, mit Menschen überfüllten Raum, dann durchquerte er ihn und begab sich in eine Ecke, gleich neben einem Fenster mit Blick auf die Vierundfunfzigste Straße, setzte sich an einen kleinen Tisch und lächelte den Mann, der ihm gegenübersaß, matt an.

»Mr. Druse, nehme ich an«, sagte er.

Der andere war etwa fünfzig, elegant gekleidet und sah, einem feinen Lebensstil entsprechend, sehr gepflegt aus. Seine kräftigen grauen Haare waren streng nach hinten gekämmt. Er ließ seine zusammengefaltete Zeitung auf den Tisch sinken und starrte nachdenklich auf den großen Mann.

»Mr. Hanan«, sagte er mit sehr tiefer und metallisch klingender Stimme.

Der große Mann nickte kurz, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor seiner schmalen Brust. Er schien alterslos. Vielleicht war er fünfunddreißig, vielleicht fünfündvierzig; sein dünnes, farbloses Haar war kurz geschnitten, und sein langes und knochiges, braungebranntes Gesicht bildete den scharfen und kantigen Rahmen für braune Seehundaugen. Sein Mund war geschwungen und wirkte sehr lebhaft.

»Kennen Sie Jeffrey Crandall?« fragte er.

Druse betrachtete ihn einen Moment lang ruhig, ohne jeglichen Ausdruck im Gesicht, dann hob er seinen Kopf und nickte einem Kellner zu. Hanan bestellte einen Whiskey Sour.

»Ich kenne Mr. Crandall flüchtig«, sagte Druse. »Warum?«

»Vor etwa einer Stunde haben Crandall oder Crandalls Leute versucht, Mrs. Hanan umzubringen, nachdem sie von meinem Haus in Roslyn weggefahren ist.« Hanan beugte sich vor, seine Augen waren weit geöffnet und blickten besorgt.

Der Kellner servierte Hanans Whiskey Sour und plazierte eine kleine Flasche Perrier und ein kleines Glas vor Druse auf dem Tisch.

Langsam goß Druse das Wasser in sein Glas. »Ja, und?«

Hanan nippte an seinem Drink. »Das ist kein Fall für die Polizei, Mr. Druse. Wenn ich recht unterrichtet bin, interessieren Sie sich für Angelegenheiten dieser Art, deshalb habe ich mir die Freiheit genommen, Sie anzurufen und um dieses Treffen zu bitten. Ist das richtig?« Er war nervös und fühlte sich ganz offensichtlich unwohl.

Druse zuckte mit den Schultern. » Welcher Art? Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Es tut mir leid — ich glaube, ich bin ein wenig gereizt.« Hanan lächelte.

»Ich meine, ich kann mich doch auf Ihre Diskretion verlassen?«

Druse sah ihn finster an. »Ich denke schon«, sagte er ruhig. Er trank ein halbes Glas Perrier, betrachtete es dann argwöhnisch, als würde es fürchterlich schmecken.

Hanan lächelte nichtssagend. »Sie kennen Mrs. Hanan nicht?«

Druse schüttelte langsam den Kopf und drehte beständig sein Glas im Kreis.

»Wir leben schon seit ein paar Jahren getrennt«, fuhr Hanan fort. »Wir mögen uns noch immer sehr, sind sehr gute Freunde, aber wir kommen nicht besonders gut miteinander aus — zusammen. Verstehen Sie?«

Druse nickte.

Hanan nippte wieder an seinem Glas, sprach dann hastig weiter: »Catherine hatte schon immer eine ausgesprochene Schwäche fürs Glücksspiel. Bevor wir geheiratet haben, hat sie den Großteil ihres Erbes durchgebracht — ein ziemlich beträchtliches Erbe. Seit unserer Trennung hat sie so um die hundertfünfzehntausend Dollar verloren. Ich habe ihre Schulden selbstverständlich beglichen.« Hanan hüstelte. »Heute am frühen Abend hat sie mich in Roslyn angerufen und sagte, sie müsse mich sofort sehen — es sei außerordentlich wichtig. Ich bot ihr an, in die Stadt zu kommen, aber sie sagte, sie wolle lieber rauskommen. Gegen sieben kam sie.«

Hanan machte eine Pause, schloß die Augen. Mit zwei Fingern einer Hand rieb er sich bedächtig die Stirn. »Sie ist in eine unangenehme Sache mit Crandall verwickelt.« Er schlug seine Augen auf und ließ die Hand auf den Tisch sinken.

Druse trank sein Perrier, stellte das Glas ab und betrachtete Hanan aufmerksam.

»Vor ungefähr drei Wochen«, fuhr Hanan fort, »beliefen sich Catherines Schulden bei Crandall auf achtundsechzigtausend Dollar. In dem Irrglauben aller Spieler, Verluste wieder wettmachen zu können, hatte sie sehr viel riskiert. Sie scheute davor zurück, sich an mich zu wenden, da sie wußte, daß ich geschäftlich einige schwere Rückschläge erlitten hatte. Sie schob es immer wieder auf die lange Bank und versuchte, aus den roten Zahlen zu kommen, bis Crandall das Geld verlangte. Sie sagte ihm, sie könne nicht zahlen — und zusammen heckten sie einen Plan aus, das Geld zu beschaffen. Catherine besaß einen Satz Rubine — Edelsteine, so rot wie Taubenblut —, die schon seit fünf oder sechs Generationen im Besitz ihrer Familie waren. Sie sind vielleicht hundertfiinfundsiebzigtausend wert — ihr Vater hat sie vor vierzig Jahren mit hundertflinfunddreißig tausend versichert, und die Versicherungsprämien sind seitdem immer gezahlt worden ...« Hanan trank seinen Whiskey Sour aus und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

»Ich vermute«, sagte Druse, »der Plan sah vor, die Rubine verschwinden und Mrs. Hanan die Versicherungssumme einfordern zu lassen. Man hätte Crandall ausbezahlt und mit den restlichen siebenundsechzigtausend hätte man bis in alle Ewigkeit glücklich und zufrieden weitergelebt.«

Hanan hustete; sein Gesicht hatte sich leicht gerötet.

»Genau.«

»Ich vermute weiter«, sagte Druse, »daß die Versicherungsgesellschaft keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Forderung hatte, daß sie zahlte und daß Mrs. Hanan ihrerseits Crandall auszahlte.«

Hanan nickte. Er zog ein Etui aus Schildpatt aus der Tasche und bot Druse eine Zigarette an.

Druse schüttelte den Kopf und fragte: »Hat die Versicherungsgesellschaft ihre Detektive eingeschaltet — machen sie Crandall oder demjenigen, der die Arbeit für ihn erledigt hat, irgendwelche Schwierigkeiten?«

»Nein. Der Diebstahl war perfekt geplant. Ich glaube nicht, daß Crandall sich darüber den Kopf zerbricht.« Hanan zündete sich eine Zigarette an. »Wie verabredet, wollte Catherine ihre Rubine zurück.« Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Crandall hat ihr Similisteine zurückgegeben, erst vor ein paar Tagen hat sie herausgefunden, daß sie nicht echt sind.«

Druse lächelte und sagte bedächtig: »In diesem Fall, würde ich sagen, ist wohl eher Crandall in eine unangenehme Sache mit Mrs. Hanan verwickelt und nicht umgekehrt.«

Hanan bewegte sein langes Kinn vor und zurück. »Wir sind in New York. Männer wie Crandall machen, was sie wollen. Catherine ist zu ihm gegangen, aber er hat sie nur ausgelacht; sagte, die Rubine, die er ihr gegeben habe, seien die gestohlenen Rubine gewesen. Es gab für sie nur einen Ausweg: zuzugeben, daß sie an dem Versicherungsbetrug beteiligt gewesen war. Das ist ja das Desaster — sie hat gedroht, genau das zu tun.«

Druse riß die Augen auf und starrte Hanan an.

»Catherine ist eine sehr impulsive Frau«, sprach Hanan weiter. »Sie war so wütend über den Verlust der Rubine und darüber, daß sie so zum Narren gehalten wurde, daß sie Crandall drohte. Sie sagte ihm, falls die Rubine nicht binnen dreier Tage wieder in ihrem Besitz seien, werde sie auspacken, sagen, daß er die Rubine gestohlen habe — auch auf die Gefahr hin, ihre Komplizenschaft aufdecken zu müssen. Natürlich würde sie das nie tun, aber sie war so verzweifelt und glaubte, dies sei ihre einzige Chance, Crandall einzuschüchtern und die Rubine zurückzubekommen — und er hat es ihr abgenommen. Seit ihrem Gespräch am Mittwoch ist man hinter ihr her. Morgen ist Samstag, also der dritte Tag. Auf ihrem Weg zurück in die Stadt heute abend wurde sie verfolgt, man hat auf sie geschossen — und sie fast umgebracht.«

»Hat sie nochmal versucht, mit Crandall Kontakt aufzunehmen?«

Hanan schüttelte den Kopf. »Stur, wie sie ist, hat sie nur darauf gewartet, daß er ihr die Rubine zurückgibt — bis zu diesem Zwischenfall heute abend. Jetzt hat sie Angst und sagt, es werde ihr nichts mehr nützen, mit Crandall zu reden, da er ihr nicht glaubt, und außerdem sei es ein Kinderspiel für ihn, sie aus dem Weg zu räumen.«

Druse winkte den Kellner heran und bat ihn, die Rechnung zu bringen.

»Wo befindet sie sich jetzt?«

»In ihrem Apartment — Dreiundsechzigste Ecke Park Avenue.«

»Was gedenken Sie in der Sache zu tun?«

Hanan zuckte nur mit den Achseln. »Deswegen wende ich mich ja an Sie. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Freunde haben mir von Ihnen und Ihrer Tätigkeit erzählt...«

Druse zögerte und sagte dann ruhig: »Lassen Sie mich meinen Standpunkt klarstellen.«

Hanan nickte und zündete sich eine weitere Zigarette an.

»Ich bin einer der wenigen noch vorhandenen Leute«, sagte Druse, »die tatsächlich daran glauben, daß man mit der Wahrheit am besten fährt. Die Wahrheit ist mein Geschäft — in erster Linie bin ich Geschäftsmann —, und ich fahre gut damit.“

Hanan grinste über das ganze Gesicht.

Druse beugte sich vor. »Ich bin kein Rechtsverdreher«, sagte er. »Meine Beziehungen sind weitreichend und unterschiedlichster Natur — ich bin in der glücklichen Lage, gewissen Einfluß ausüben zu können. Aber vor allem bin ich auf der Suche nach mehr Gerechtigkeit — ich meine wahre Gerechtigkeit und nicht die, die man in irgendwelchen Büchern findet — ich war lange Zeit Richter und ich kenne den Unterschied sehr genau.« Sein großflächiges Gesicht warf geradezu Falten, als er es zu einem Lächeln verzog.

»Und ich werde dafür bezahlt — gut bezahlt.«

»Interessiert Sie mein Fall?« fragte Hanan.

»Er tut es.«

»Würden fünftausend genügen, um mich Ihrer Dienste zu versichern?«

Druses breite Schultern ließen den Hauch eines Achselzuckens erkennen. »Sie schätzen die Rubine auf einen Wert von hundertfünfündsiebzigtausend«, sagte er. »Ich garantiere für die Rückgabe der Rubine und die Unversehrtheit von Mrs. Hanans Leben.« Erwartungsvoll sah er Hanan an. »Welchen Wert würden Sie Mrs. Hanans Leben beimessen?«

Verlegen runzelte Hanan die Stirn und zog seine Mundwinkel nach unten. »Das ist selbstverständlich unmöglich zu ...«

»Sagen wir noch einmal hunderfünfundsiebzig.« Druse lächelte nonchalant. »Das sind dann dreihundertfünfzigtausend. Ich arbeite auf Zehnprozentbasis — macht fünfünddreißigtausend —, ein Drittel davon im voraus.« Er lehnte sich zurück und hatte immer noch das nonchalante Lächeln im Gesicht. »Zehntausend sind als Vorschuß genug.«

Hanans verlegenes Stirnrunzeln war noch nicht aus seinem Gesicht gewichen. »Abgemacht«, sagte er und nahm ein Scheckbuch und einen Füllfederhalter aus seiner Tasche.

»Falls eines meiner Vorhaben scheitern sollte«, sprach Druse weiter, »werde ich Ihnen den Scheck natürlich zurückgeben.«

Hanan nickte mit dem Kopf, stellte ohne Zögern den Scheck aus und reichte das unleserliche Gekritzel über den Tisch. Druse zahlte die Getränke, notierte sich Hanans Telefonnum¬mer und die Adresse von Mrs. Hanans Apartment. Sie standen auf und gingen hinunter auf die Straße; Druse sagte Hanan, daß er ihn in der nächsten Stunde anrufen werde und stieg in ein Taxi. Hanan sah dem Taxi nach, wie es im nach Osten fließenden Verkehr verschwand, zündete sich nervös eine Zigarette an und ging in Richtung Madison Avenue.

»Sagen Sie ihr, Mr. Hanan schickt mich«, sagte Druse.

Die Telefonistin sprach in ihr Mikrofon, wandte sich dann zu Druse. »Sie können raufgehen — Apartment 3 D.«

Als Reaktion auf ein langgedehntes »Herein« öffnete Druse die Tür und betrat das Apartment. Catherine Hanan stand am Salontisch. Mit einer Hand stützte sie sich auf, die andere hatte sie in der Tasche ihres langen, blauen Hausmantels vergraben. Sie besaß die Schönheit einer Frau, die zu schnell und heftig gelebt hatte. Ihr Teint war sehr dunkel, die schimmernden Augen waren groß und schwarz und beherrschten die herben Züge ihres eher kleinen Gesichts. Ihr Mund war groß, dunkelrot und sah nicht besonders kraftvoll aus.

Druse verbeugte sich leicht und sagte: »Guten Abend, wie geht es Ihnen?«

Sie lächelte, und ihre Augen waren schwer, fast geschlossen. »Großartig — und Ihnen?«

Er bewegte sich langsam in ihre Richtung, legte seinen Hut auf den Tisch und fragte: »Können wir uns setzen?«

»Sicher.« Sie deutete mit dem Kopf auf einen Stuhl.

»Sie sind betrunken«, sagte Druse.

»Richtig.«

Er lächelte und seufzte sanft. »Ein empfehlenswerter Zustand. Ich bedaure zutiefst, daß mein Magen mir dies versagt.« Er blickte sich flüchtig in dem Zimmer um.

In einer recht dunklen Ecke in der Nähe eines Fensters, um das schwere Vorhänge drapiert waren, lag ein Mann rücklings auf dem Boden. Seine Arme waren rechts und links vom Kopf ausgestreckt, seine Beine waren auf eine merkwürdige Art gekrümmt, als wären sie gebrochen, und sein Gesicht war blutig.

Druse hob seine buschigen, weißen Augenbrauen, und ohne Mrs. Hanan anzusehen, fragte er: »Ist er auch betrunken?«

Sie lachte kurz auf: »Hm, hmm — in gewisser Weise.« Sie wies mit dem Kopf auf einen Golfschläger, der neben dem Mann auf dem Boden lag. »Er hat das siebener Eisen nicht vertragen.“

»Ein Freund von Ihnen?«

»Das bezweifle ich«, sagte sie. »Er ist von der Feuerleiter aus eingestiegen und hatte eine Waffe in der Hand. Zufällig habe ich ihn gesehen, bevor er mich gesehen hat.

»Wo ist die Waffe?«

»Ich habe sie.« Sie zog eine kleine, schwarze Automatik halb aus der Tasche ihres Hausmantels.

Druse ging hinüber, kniete sich neben ihn und hob eine Hand des Mannes. »Dieser Mann ist zweifellos tot«, sagte er langsam.

Mrs. Hanan stand da und starrte vielleicht eine halbe Minute schweigend auf den Mann am Boden. Ihr Gesicht war bleich und ausdruckslos. Dann ging sie unsicher zu einem Sekretär, nahm eine Whiskeyflasche und goß sich einen kräftigen Drink ein. »Das weiß ich«, sagte sie mit erstickender, fast flüsternder Stimme. Sie trank den Whiskey, drehte sich um, lehnte sich gegen den Sekretär und starrte Druse aus großen, leeren Augen an. »Ja und?«

»Jetzt reißen Sie sich mal zusammen und vergessen die Geschichte — wir müssen uns momentan mit wichtigeren Dingen beschäftigen.«

Druse erhob sich. »Wie lange? ...«

Sie zuckte zusammen. »Etwa eine halbe Stunde — ich wußte nicht, was ich tun soll...«

»Haben Sie versucht, Crandall zu erreichen? Ich meine, als Sie heute abend nach Hause kamen und bevor das hier passiert ist?«

»Ja — er war nicht da.«

Druse ging zu einem Sessel und setzte sich. »Mr. Hanan hat mich mit diesem Fall beauftragt«, sagte er. »Würden Sie sich bitte setzen und mir ein paar Fragen beantworten?...«

Sie sank in einen niedrigen Sessel in der Nähe des Sekretärs. »Sind Sie Detektiv?« Ihre Stimme klang noch immer sehr gedämpft und angespannt.

Druse lächelte. »Ich bin Anwalt, jedoch nicht unbedingt im juristischen Sinne.« Nachdenklich betrachtete er sie. »Wenn wir die Rubine zurückbekommen und dafür sorgen, daß Ihnen nichts passiert, und — « er räusperte sich, »wir Mr. Hanan dazu bewegen können, der Versicherung die Summe zurückzuerstatten, wäre das doch in Ihrem Sinne, richtig?«

Sie nickte, wollte etwas sagen.

Druse unterbrach sie: »Haben die Rubine — ich meine jetzt die Steine an sich — eine ganz besondere Bedeutung für Sie? Oder hatte dieses Theater, das Sie veranstaltet haben — diese Bedrohung Crandalls — weniger handfeste Gründe, Selbstachtung zum Beispiel oder ähnliches?«

Sie lächelte schwach und nickte. »Es ist mir ein Rätsel, wie es möglich ist, daß ich überhaupt noch irgendwelche Selbst-achtung besitze. Ich habe mich furchtbar lächerlich gemacht — aber ich habe sie noch. Das Bewußtsein, so zum Narren gehal-ten worden zu sein - nachdem ich über hunderttausend Dollar an Crandall verloren habe — hat man mich dazu gebracht.«

Druse lächelte. »Die Rubine als solche«, sagte er, »ich meine die Rubine nur als Edelsteine, losgelöst von irgendwelchen ideellen Erwägungen - bedeuten Mr. Hanan also weitaus mehr, stimmt das?«

»Natürlich«, sagte sie. »Er war schon immer verrückt nach Edelsteinen.«

Druse kratzte sich nachdenklich an der Nasenspitze. Seine Augen waren geweitet und blickten ins Leere, seine vollen, aufeinandergepreßten Lippen krümmten sich in einem langen Bogen nach unten. »Sind Sie sicher, daß Sie verfolgt wurden, als Sie am Mittwoch Crandall verließen?«

»So sicher, wie man nur sein kann, wenn man es nicht genau weiß — es war eher ein Gefühl, verfolgt zu werden. Nachdem sich diese Vermutung bestätigt hatte, hätte ich natürlich schwören können, ein Dutzend Männer gesehen zu haben.«

»Hatten Sie früher schon mal so ein Gefühl«, fragte er, »ich meine, bevor Sie Crandall gedroht haben?«

»Nein.«

»Vielleicht haben Sie es sich einfach nur eingebildet, weil

Sie damit gerechnet haben, verfolgt zu werden — und es gab doch einen Grund, Sie zu verfolgen?«

Sie nickte. »Aber es ist ganz eindeutig, daß es heute abend keine Einbildung war.«

Druse beugte sich vor und stützte seine Ellbogen auf die Knie. Er sah sie eindringlich an und sagte sehr ernst: »Ich werde Ihre Rubine zurückholen, und ich kann für Ihre Sicherheit garantieren. Ich gehe sogar so weit, Ihnen zu versprechen, daß auch die Sache mit der Rückzahlung an die Versicherungsgesellschaft geregelt wird. Ich habe mit Mr. Hanan noch nicht darüber gesprochen, aber ich denke, er wird im Sinne der Gerechtigkeit entscheiden.«

Sie lächelte matt.

»Ich gebe Ihnen mein Wort«, fuhr Druse fort, »und als Gegenleistung möchte ich, daß Sie bis morgen früh genau das tun, was ich Ihnen sage.«

Ihr Lächeln wich einem schallenden und ziemlich betrunkenem Lachen. »Muß ich irgendwelche Babys vergiften?« Sie stand auf und goß sich einen Drink ein.

»Das da«, sagte Druse, »ist etwas, von dem ich nicht möchte, daß Sie es tun.«

Sie hob das Glas und sah ihn mit spöttischem Ernst an. »Sie sind ein Moralist«, sagte sie. »Und das hier ist etwas, das ich ganz bestimmt tun werde.«

Er zuckte leicht mit den Schultern. »Ich habe für Sie im Laufe des Abends eine äußerst wichtige und sehr delikate Aufgabe. Ich habe gedacht, es wäre das Beste.«

Für ein paar Augenblicke lächelte sie nicht ganz eindeutig, dann lachte sie, stellte das Glas ab und ging ins Badezimmer. Er lehnte sich bequem in seinen Sessel zurück und starrte an die Decke; seine Arme lagen auf den Lehnen, und seine großen, plumpen Finger spielten eine Tonleiter, die nur in seiner Einbildung existierte.

Kurz darauf kam sie wieder zurück. Sie hatte sich umgezogen und streifte sich Handschuhe über. Mit dem Kopf deutete sie auf den Mann am Boden, und einen Moment lang schwand die Gelassenheit, die ihr der Alkohol verliehen hatte, sie zitterte, ihr Gesicht war bleich und verzerrt.

Druse erhob sich und sagte: »Er wird wohl eine Weile bleiben müssen, wo er ist.« Er ging zum Fenster mit den schweren Vorhängen, hinter dem sich die Feuerleiter befand, schob einen Vorhang zur Seite und schloß es. »Wieviele Eingänge gibt es zu diesem Apartment?«

»Zwei.« Sie stand in der Nähe des Tisches. Sie zog die schwarze Automatik aus einer Tasche ihres Kostüms, nahm eine graue Handtasche aus Wildleder vom Tisch und legte die Automatik hinein.

Ausdruckslos beobachtete er sie. »Wie viele Schlüssel?«

»Zwei.« Sie lächelte, nahm zwei Schlüssel aus der Handtasche und hielt sie hoch. »Es gibt nur noch einen Hauptschlüssel — den des Verwalters.«

»Das ist gut«, sagte er, ging zum Tisch, nahm seinen Hut und setzte ihn auf. Sie gingen hinaus in den Flur und schlossen die Tür hinter sich ab. »Gibt es einen Seiteneingang zu dem Gebäude?«

Sie nickte.

»Dann nehmen wir besser den.«

Sie ging voran und führte ihn durch den Flur und drei Treppen hinunter zu einer Tür zur Dreiundsechzigsten Straße. Sie verließen das Gebäude, liefen über die Dreiundsechzigste zur Lexington Avenue und stiegen in ein Taxi; er sagte dem Fahrer, daß er sie zur Vierzigsten Straße Ecke Madison Avenue fahren solle, dann lehnte er sich zurück und sah aus dem Fenster.

»Wie lange sind Sie und Mr. Hanan schon geschieden?«

Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Hat er behauptet, wir seien geschieden?«

»Nein.« Druse wandte sich ihr langsam zu, und ganz allmählich erschien ein Lächeln in seinem Gesicht.

»Warum glauben Sie dann, daß wir es wären?«

»Ich glaube es nicht. Ich wollte nur sichergehen.«

»Wir sind es nicht.« Sie sagte es sehr bestimmt.

Er wartete ab und schwieg.

Sie warf ihm von der Seite einen Blick zu und bemerkte, daß er darauf wartete, daß sie fortfuhr. Sie lachte weich. »Er will die Scheidung. Er hat mich vor einigen Monaten gebeten,

in die Scheidung einzuwilligen.« Sie seufzte, spielte nervös mit ihren Händen im Schoß. »Das ist auch wieder eine von den Geschichten, auf die ich nicht sehr stolz bin — ich wollte es nicht. Ich weiß nicht genau, warum. Wir waren nie wirklich ineinander verliebt, und wir sind auch noch nicht sehr lange verheiratet — aber ich habe gewartet und gehofft, wir könnten etwas daraus machen ...«

Mit sanfter Stimme sagte Druse: »Ich glaube, ich verstehe — es tut mir leid, daß ich Sie danach fragen mußte.«

Sie gab keine Antwort.Kurz darauf hielt das Taxi an. Sie stiegen aus, Druse bezahlte den Fahrer, und sie gingen quer über die Straße in ein Bürogebäude in der Mitte des Häuserblocks. In vertrautem Ton sprach Druse mit dem schwarzen Liftboy; in der fünfundvierzigsten Etage stiegen sie aus und gingen zwei schmale Treppen nach oben, dann durch eine schwere, stählerne Feuertür zu einer schmalen, brückenähnlichen Passage und kamen an deren Ende zu einem verschachtelten, zweigeschossigen Penthouse, das sich über die eine Hälfte des Dachs erstreckte. Druse drückte auf die Klingel, und ein junger, schmalgesichtiger Filipino ließ sie herein.

Druse ging voran und führte sie in einen sehr großen, ho-hen Raum, der die Länge und annähernd die Breite des Gebäudes hatte. Er war geschmackvoll und freundlich eingerichtet und öffnete sich nach einer Seite zu einer geräumigen Terrasse. Sie gingen durch den Raum auf die Terrasse, wo Liegestühle, mit Segeltuch bezogene Gartenschaukeln und eine Unmenge an Topfpflanzen und kleinerer Bäume standen. Auf dem gefliesten Boden lagen hier und da Kokosläufer. Eine große, buntgestreifte Markise nahm die ganze Breite der einen Seite ein. Auf der gegenüberliegenden Seite, dort, wo sich das Licht des Wohnzimmers in Dunkelheit auflöste, fiel der Boden unversehens ab — es gab weder ein Geländer noch eine Brüstung —, das nächste ebenso hohe Gebäude lag einige Häuserblocks entfernt.

Mrs. Hanan setzte sich und blickte auf die in der Ferne funkelnden Lichter des nördlichen Manhattans. Nur schwach, einer weit entfernten Brandung ähnlich, drang der Lärm der

Stadt zu ihnen herauf. »Es ist wunderschön«, sagte sie.

»Freut mich, daß es Ihnen gefällt.« Druse ging an den Rand der Terrasse und warf einen Blick in die Tiefe. »Ich habe nie ein Geländer anbringen lassen«, sagte er, »weil mich die Vorstellung des Todes reizt. Immer wenn ich deprimiert bin, schaue ich mir mein Sprungbrett ganz aus der Nähe an und werde daran erinnert, daß das Leben sehr schön ist.« Er starrte in den Abgrund und rieb sich sanft sein Kinn. »Nichts, über das man steigen, keine Fenster, die man erst öffnen müßte — man muß einfach nur weitergehen.«

Sie lächelte verkrampft. »Ein Moralist — dazu noch ein morbider. Haben Sie mich hierher mitgenommen, um mir einen Selbstmord nahezulegen?«

»Ich habe Sie hierher mitgenommen, damit Sie einfach nur dasitzen und dekorativ aussehen.«

»Und Sie?«

»Ich werde auf die Jagd gehen.« Druse kam zu ihr herüber und schaute sie eindringlich an. »Ich werde versuchen, mich zu beeilen. Der Diener wird Ihnen alles bringen, was Sie wünschen — sogar guten Whiskey, wenn Sie nicht darauf verzichten können. Der Ausblick wird Sie in seinen Bann ziehen — und drinnen finden Sie eine der ausgewähltesten Sammlungen von Büchern zum Themenkomplex Satanismus, Dämonologie und Schwarze Magie.« Er unterstrich seine Worte mit Bewegungen des Kopfes und der Augen. »Rufen Sie niemanden an

— und vor allem, bleiben Sie hier, auch wenn ich mich verspäte.«

Sie nickte gedankenverloren.

Er ging zu den breiten Türen, die in das Wohnzimmer führten, drehte sich noch einmal um und sagte: »Ach, noch etwas — wer sind Mr. Hanans Anwälte?«

Sie sah ihn verwundert an. »Mahlon und Stiles.«