Touch of Flames - Mariella Heyd - E-Book

Touch of Flames E-Book

Mariella Heyd

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als würde es nicht schon reichen, dass ihre Familie aus Boston in eine Geistervilla mitten im Nirgendwo zieht, weiß bald auch jeder, dass Gwens Vater als Dämonologe arbeitet. Ihr Ruf an der neuen Schule ist ruiniert. Ohne ihren einzigen Freund Harry würde sie sicher verzweifeln – und dann ist da auch noch dieser Außenseiter, der von allen "Feuerteufel" genannt wird und der ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen will. Sebastian ist gutaussehend und gibt sich gar nicht erst Mühe, seine dunkle Vergangenheit zu verbergen. Es scheint, als spiele Gwen sprichwörtlich mit dem Feuer…

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die AutorinMariella Heyd, geboren 1989, studiert und lebt ganz in der Nähe von Frankreich. Ihre Freizeit widmet sie ihren drei Katzen und der Belletristik. Seit ihrer Kindheit ziehen sie Romane aller Art in ihren Bann. Besonders R. L. Stines Fear Street- Reihe hat in ihr schon früh das Interesse am Sonder- und Wunderbaren geweckt. Bereits im Alter von zwölf Jahren schrieb Mariella Heyd Kurzgeschichten und verwirklichte sich 2016 mit ihrem Debütroman Elfenfehde den Traum vom eigenen Buch. Ihre Arbeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin half ihr stets dabei, über den Tellerrand der Realität hinaus zu blicken und neue Welten zu erschaffen. 2017 wurde sie mit dem Indie Autor Preis ausgezeichnet.

Das Buch

Als würde es nicht schon reichen, dass ihre Familie aus Boston in eine Geistervilla mitten im Nirgendwo zieht, weiß bald auch jeder, dass Gwens Vater als Dämonologe arbeitet. Ihr Ruf an der neuen Schule ist ruiniert. Ohne ihren einzigen Freund Harry würde sie sicher verzweifeln – und dann ist da auch noch dieser Außenseiter, der von allen „Feuerteufel“ genannt wird und der ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen will. Sebastian ist gutaussehend und gibt sich gar nicht erst Mühe, seine dunkle Vergangenheit zu verbergen. Es scheint, als spiele Gwen sprichwörtlich mit dem Feuer…

Mariella Heyd

Touch of Flames

Vom Feuer berührt

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © P2forYou – Pia Pirrung  ISBN 978-3-95818-183-0  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

1. Kapitel

Weihnachten und Silvester waren ein Desaster gewesen. Zwischen Umzugskartons und vergilbten Tapeten war keine Festtagsstimmung aufgekommen. Die notdürftig parat gestellten Plastikteller und Partybecher hatten ihr Übriges dazu beigetragen, die Feiertage zu vermiesen. Einen Weihnachtsbaum hatten Gwens Eltern erst gar nicht gekauft. Entsprechend lustlos waren die Geschenke vor dem laufenden Fernseher ausgepackt worden. Gwens Großmutter hatte zwar zum Festtagsessen eingeladen, aber durch den anstehenden Umzug war die Zeit wie im Flug verstrichen. Es mussten noch etliche Sachen sicher in Kisten verstaut werden, weshalb sie dieses Jahr auf den Weihnachtstruthahn verzichteten.

Der Morgen des vierten Januar wirkte nach all den Strapazen wie eine Erleichterung.

»Kinder, kommendes Weihnachten wird großartig«, verkündete ihr Dad und drückte Gwen und ihrem Bruder Wilson jeweils einen leichten Karton in die Hände. »Ihr werdet sehen, wir werden uns selbst einen Tannenbaum im Wald fällen.«

Der Wecker hatte die gesamte Familie um vier Uhr nachts aus dem Bett geworfen. Vor dem Gebäude parkte der angemietete Umzugswagen, um alle in ihr neues Heim zu befördern. Mit leisen Schritten trugen sie kistenweise ihr Hab und Gut auf die Ladefläche des LKWs. Eine Dreiviertelstunde später türmte sich ihr komplettes Leben auf vier Rädern, bereit zum Abtransport.

Wilson saß schon im Wagen, aber Gwen stand auf dem Bürgersteig und sah sich um.

Die Nacht hing dunkelblau und schwer über ihr. Die meisten Häuser lagen noch im Dunkeln. Nur hinter wenigen Gardinen brannte Licht oder flackerte bläulich ein Fernseher. Alles hier war ihr so vertraut. Sie würde Boston vermissen. Ihre Eltern reichten dem Vermieter soeben die Wohnungsschlüssel und klärten letzte Formalitäten. Erleichtert, dass die Übergabe problemlos vonstattengegangen war, schlenderten sie auf den Wagen zu.

»Steig ein, Gwen. Es kann losgehen«, forderte Dad sie auf und verstaute die beschlagene Brille im Handschuhfach.

Auf Wiedersehen, altes Leben.

Skeeter saß aufgeregt hechelnd und sabbernd auf der Rückbank zwischen Gwen und Wilson, als der Wagen losfuhr.

»Hey, Will, alles klar?«

Ihr Bruder vergrub das Gesicht unter einer Supermankuscheldecke, damit Gwen nicht sehen konnte, wie er bitterlich weinte. Sie wuschelte ihm durchs Haar.

»Komm schon. Dad hat recht. Es wird toll.«

Ich wünschte, ich könnte mir das selbst einreden.

»Du bekommst endlich ein richtiges Zimmer. Diesmal suchst du dir eins aus, bei dem Mom dich nicht gleich erwischt, wenn du zockst«, flüsterte sie. Dabei verstanden ihre Eltern ohnehin kein Wort. Mom fuchtelte mit einer Landkarte aus den 80ern, während Dad nach einem passenden Radiosender suchte.

Wilson heulte noch immer.

»Mit wem soll ich denn spielen, wenn ich keine Freunde mehr habe?«

Behutsam legte sie ihm eine Hand auf den Rücken.

»Du wirst neue Kumpel kennenlernen. Ich meine, wir ziehen in ein Haus im Wald. Wenn das nicht zum Spielen einlädt, weiß ich auch nicht. Und Mom wird es freuen, wenn du mehr an die frische Luft kommst.« Das Beben seines Körpers ebbte langsam ab. Er schien sich zu beruhigen.

»Skeeter wird es lieben, im Wald spazieren zu gehen.«

»Was ist, wenn ich keine Freunde finde?«

»Natürlich wirst du welche finden. Sobald die Schule losgeht, lernst du gleich Jungs kennen«, munterte sie ihn auf.

»Und was tu ich bis dahin?«

Gwen überlegte. »Bis es so weit ist, werde ich mit dir spielen. Wir machen lange Spaziergänge, suchen nach einer Hundeschule für Skeeter und gehen ins Kino.«

Sie bereute diese Zusage jetzt schon, aber wenn Wilson weinte, keimte Geschwisterliebe in ihr auf und er tat ihr unbändig leid.

»Versprochen?« Wilson reckte eine Hand unter der Decke hervor und hielt ihr den kleinen Finger zum Schwur entgegen.

»Ehrenwort.« Sie hakte ein. Gwen hörte, wie er die Nase hochzog und kurz darauf aus seinem Versteck kam. Mit verweinten Augen sah er sie an.

»Danke, Gwen. Ich hab dich lieb.«

Bei diesen Hundeaugen wurde selbst sie weich und beschloss, dass ihr Taschengeld in gemeinsamen Kinobesuchen gut angelegt war.

Einen kleinen, nervigen Bruder hat man schließlich nur einmal.

Ihr Blick wanderte aus dem Fenster. In den frühen Morgenstunden waren nur wenige Pendler auf den Straßen unterwegs, so dass es kein nervenaufreibendes Stop-and-go gab. Wenn sich in knapp einer Stunde der Berufsverkehr staute, würden sie die Stadt längst hinter sich gelassen haben.

Im Radio freute sich die Moderatorin über die sonnigen Wetteraussichten und Gwens Mom Vivian nippte an einem heißen Kaffee aus der Thermoskanne, dessen Duft sich im Fahrzeug ausbreitete. Skeeter hatte sich inzwischen beruhigt und brummte zufrieden vor sich hin, den Kopf zwischen den Pfoten. Wilson war noch einmal eingeschlafen und seine schlaffen Beine baumelten im Takt des Wagens. Bei Schlaglöchern wurde er kurz aufgerüttelt, schlief aber sofort wieder ein. Von der Hektik der vergangenen Wochen war nichts mehr zu spüren. Gwen zog Kopfhörer an, drehte die Musik auf und lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe. Draußen rauschten Straßenschilder, Autos, Häuser und ein paar Menschen auf dem Weg zur U-Bahn an ihr vorbei.

Megan war ihre beste Freundin, aber ihre Anrufe waren während der freien Tage seltener geworden. Das letzte Mal hatte sie zu Weihnachten von ihr gehört. Am Tag der großen Neuigkeit hatte Gwen sie angerufen und erklärt, sie würde bis zu den Ferien nicht mehr zur Schule gehen, um sich in den Umzugsstress stürzen zu können. Sie hatte Megan angehört, dass sie sie damit gekränkt hatte. Es überraschte sie also nicht, die Freundschaft allmählich bröckeln zu sehen. Megan hatte sich an ihrem ersten Schultag an der West Boston High School an Gwens Fersen geheftet und war nun gezwungen, sich ebenfalls einen neuen Freundeskreis aufzubauen.

Gwen hatte trotzdem fest damit gerechnet, sie würde sich bei ihr verabschieden, aber am Morgen war Megan nicht aufgetaucht. Gwen war ein wenig froh gewesen, als ihr Vater den Motor gestartet hatte und sie ohne Tränen oder dramatische Abschiedsszenen ihre alte Wohnung hinter sich lassen konnte. Für sie war es der vierte Umzug in fünf Jahren, und inzwischen kannte sie den Ablauf: Zuerst schimpfte man über die Eltern. Dann weinte man miteinander wegen der Entfernung, und zuletzt versprach man sich, ständig zu telefonieren und sich in den Ferien oder an den Wochenenden zu besuchen. Bisher war es jedes Mal gescheitert: Hannah, Betty, Judy – immer das Gleiche. Nach dem Wohnungswechsel war es nur eine Frage der Zeit, bis die Anrufe seltener wurden. Man konnte sich nicht treffen, weil man verreiste, und bei Gesprächen fand man keinen gemeinsamen Nenner mehr. Jeder lernte neue Leute kennen, die den jeweils anderen nicht im mindesten interessierten.

Die bunten Lichter der Werbetafeln und das Brummen der Busse zogen an Gwen vorüber. Ein bisschen würde sie den Trubel und die Hektik der Großstadt vermissen. Man konnte in den Straßen zwischen den unzähligen Menschen untertauchen und herrlich durchschnittlich sein; nicht die Tochter eines Geisterjägers und einer Psychologin. Zu allem Übel waren Gwen, Wilson und ihre Eltern rothaarig, sommersprossig und pummelig, wodurch sie ohnehin überall auffielen.

Wie viele Einwohner hatte ihr neues Zuhause? Würde die neue Stadt den gleichen Komfort bieten und sich wie ein Tarnmantel um sie hüllen? Oder würde sie aus der Masse herausstechen? Der Gedanke an ein winziges Dorf bereitete ihr Unwohlsein. Durch die Hektik der vergangenen Tage war Gwen nur flüchtig dazu gekommen, ihre neue Heimat zu googeln. Aber bis auf ein paar Luftaufnahmen, einem Artikel über einen Sportpokal und das alljährliche Hot-Dog-Wettessen hatte die Suchmaschine keine wissenswerten Informationen ausgespuckt. Ihre Eltern waren auch so sehr mit dem anstehenden Umzug beschäftigt gewesen, dass sich kaum ein längeres Gespräch zwischen ihnen ergeben hatte.

»Irgendwie geht man immer mit einem weinenden und einem lachenden Auge, wie Granny zu sagen pflegt«, murmelte Gwen und prägte sich ein letztes Mal die Bilder der Großstadt ein. Als sie die Autobahn erreichten, wich das Schwarz der Nacht langsam einem milchig-gelben Morgen.

***

Vivian rüttelte an Gwens Knie. Sie zuckte zusammen und zog die Kopfhörer aus den Ohren.

»Was ist passiert? Bin ich eingeschlafen?« Müde rieb sie sich die Augen und sah sich um. Sie standen auf einem fußballfeldgroßen Parkplatz zwischen mehreren LKWs, die mit zischenden Bremsen neben dem Umzugswagen zum Stehen kamen. Das Straßenschild vor der nächsten Ausfahrt nannte Ortsnamen, die ihr nicht bekannt vorkamen.

»Sind wir etwa schon da?«, fragte Gwen und sah sich verschlafen um.

»Nein. Noch lange nicht. Wir sind an einer Raststätte. Hast du Lust zu frühstücken?«

»Und wie«, freute sie sich. Ihr Magen rebellierte bereits lautstark.

»Hey, Schlafmütze«, weckte Vivian ihren Sohn. »Pipipause. Los, wachwerden.« Widerwillig streckte sich Wilson, schnappte sich den Nintendo 3DS und kletterte aus dem Wagen.

Bei Croissants und heißem Latte Macchiato planten ihre Eltern die Fahrt und grübelten, welche Strecke wohl die kürzeste wäre. Ihr Vater hatte sich vehement gegen Google Maps ausgesprochen. Als Geisterjäger hatte er einen Hang zu längst Vergangenem und liebäugelte deshalb mit altmodischen Karten – statt mit diesem unzuverlässigen Internet, wie er zu sagen pflegte. Gwen klinkte sich aus dem Gespräch aus und vertrat sich stattdessen die Beine, bevor sie die stundenlange Reise fortsetzten.

»Ich schnappe mir Skeeter und drehe eine Runde.«

Draußen hockten vor der Kulisse einer lärmenden Autobahn ein paar Trucker mit fleckigen Pullovern und Lederwesten. Lautstark schlürften sie Kaffee, pusteten Zigarettenrauch in die Luft und gafften das blonde Boxenluder von Seite eins an. In einem Van daneben saß ein Ehepaar. Der Mann hielt ein brabbelndes Baby auf dem Schoß, während die Frau hektisch eine rosafarbene Tasche mit einer Schnullerkette am Henkel durchwühlte. Trotzdem hatten sie alle eines gemeinsam: Sie waren auf der Durchreise. Die Raststätte war nur ein kurzer Zwischenstopp.

Genug frische Luft geschnappt.

Gwen lief zurück zu ihren Eltern, die sich noch immer beratschlagten.

»Wie weit ist es denn noch?« Wilson war seit seinem Twinkie hellwach.

»Weit«, sagte ihre Mom, sog Luft ein und hob die Augenbrauen in die Höhe, während sie einen skeptischen Blick auf die Karte warf.

»Nochmal so weit wie eben?«

»Weiter.«

Noch war Gwen ihrem alten Leben näher als ihrem neuen Heim. Sie wagte einen Blick auf ihr Handy. Megan hatte sich noch immer nicht gemeldet. Traurig schob sie es zurück in die Jackentasche. Sie gehörte nicht mehr zu Boston, aber auch noch nicht zu ihrem neuen Zuhause.

Vielleicht sollte ich einfach hier an der Raststätte bleiben – für den Rest meines Lebens. Zwischen den Stühlen.

Nachdem sie wieder losgefahren waren, spielte Wilson weiter mit seinem Spielzeug. Um die Stimmung nicht zu verderben, ignorierten alle das nervige Piepsen. Doch nach nicht einmal zwei Stunden wurde es Wilson allmählich langweilig. Er legte das 3DS beiseite, rutschte unruhig auf dem Sitz herum und fragte im Minutentakt: »Sind wir schon da?« Auch Skeeter begann nach einer Weile zu jaulen und verteilte seinen fauligen Atem im Wageninnern. Nervös versuchte er sich immer wieder hinzustellen oder im Kreis zu drehen, wobei er jedem im Wagen seinen haarigen Hintern ins Gesicht drückte. Die lange Fahrt strapazierte inzwischen die Gelenke und Laune aller.

Die Autobahn hatten sie vor etwa einer halben Stunde verlassen und fuhren seitdem durch Dörfer, die kaum mehr als eine Tankstelle zu bieten hatten.

Bevor die Nerven endgültig blank lagen, bog ihr Dad auf einen Waldweg ein. Der Boden war uneben und holprig. Gwen, Skeeter und Wilson rüttelte es auf der Rückbank ordentlich durch. Auch die Plastikhawaiianerin auf dem Armaturenbrett schüttelte kräftig ihr Strohröckchen.

»Da sind wir. Willkommen in Frost. Einem Örtchen im Herzen von Maine«, sagte Dad und strich sich erschöpft durchs Haar. Mit einem Quietschen hielt der Wagen an. Alle lösten mit einem Klack dankend ihre Sicherheitsgurte. Die achtstündige Fahrt hatte Spuren in den Gesichtern hinterlassen. Skeeter war der Erste, der schwanzwedelnd und aufgeregt schnuppernd über das Grundstück spazierte.

»Wow, Dad.« Gwen schirmte mit einer Hand die Augen vor der Wintersonne ab und betrachtete ihr neues Heim. »Das ist kein Haus, das ist die reinste Villa.« Ihr huschte ein Lächeln übers Gesicht, das ihrem Dad nicht entging. Zufrieden machte er sich daran, die ersten Kartons zur Haustür zu schleppen.

»Du hast kein Sterbenswörtchen darüber verloren, dass wir in ein richtiges Anwesen ziehen. Wow!«

Die Villa stand auf einer Anhöhe und blickte anmutig auf Gwen herab. Die Fassade war zwar verwittert, aber die hohen Fenster mit den halbrunden Oberlichtern und den verzierten Fenstersimsen zeugten vom Glanz alter Zeiten. Besonders der halbrunde Erker in der unteren Etage hatte es Gwen angetan. Der Schnee, der zentimeterdick auf dem Dach und den Büschen vor dem Haus lag, gab dem Gebäude einen zusätzlichen Schub Romantik. Nur der alte Ford Defender, den ihr Dad vor dem Umzug hierher verfrachtet hatte und von dem er sich seit seiner Studentenzeit nicht trennen konnte, wirkte fehl am Platz.

»Herrschaftlich, nicht wahr?«, fragte ihr Vater im Vorbeigehen und stemmte sich den nächsten Karton auf die Schultern. »Es wurde Ende des 18. Jahrhunderts erbaut. Der Bau hat allerdings Jahrzehnte gedauert und offiziell wurde das Gut erst 1892, fast einhundert Jahre später, fertiggestellt. Der Baustil fällt in den romantischen Historismus. Man findet aber hier und da verschiedene Elemente aus der Neorenaissance.« Er kniff die Augen zusammen und zeigte vage auf einen Balkon.

»Wenn es dich interessiert, können wir uns gerne gemeinsam auf die Spuren der Vergangenheit begeben«, bot er zwinkernd an und schleppte den Umzugskarton Richtung Haus.

Auch Gwen beteiligte sich, stapelte zwei schuhkartongroße Kisten übereinander und trug sie ihrem Vater hinterher. Ihre Mutter hatte bereits alle Fenster geöffnet, um den muffigen Geruch zu vertreiben, der sich über die Jahre hinweg in den Teppichen und Samtvorhängen festgesetzt hatte.

»Man merkt, das Haus steht schon lange leer.« Hustend stand sie in einer flimmernden Staubwolke. Als könnte sie damit den Vorgang des Lüftens beschleunigen, wedelte sie mit einer alten Zeitung Sauerstoff herein.

»Wie cool«, rief Wilson begeistert die Treppe herab. Er hatte als Erster das Haus ausgekundschaftet, um sich den besten Raum unter den Nagel zu reißen.

»Mom«, sagte Gwen anklagend. »Wilson tut es schon wieder. Bei jedem Umzug darf er sich ein Zimmer aussuchen.«

»Liebes, beruhig dich. Wir schauen uns später das Haus gemeinsam an und dann werden wir sehen, wer in welches Zimmer zieht. Das Objekt ist so riesig, da wird sich doch für jeden etwas finden.«

Skeptisch verzog Gwen die Mundwinkel, stellte die Kisten ab und folgte der Stimme ihres Bruders. Wilson stand auf dem Dachboden und lugte durch ein rundes Fenster.

»Okay, das kannst du meinetwegen haben.« An den Dachschrägen würde sie sich sonst täglich den Kopf stoßen.

»Hier gibt es einen See«, freute sich Wilson. Als sie sich ihm näherte, zog er sie am Ärmel heran und tippte gegen das Glas, um ihr seine Entdeckung zu zeigen. Hinter meterhohen Tannen ruhte tatsächlich ein See mit grünem Wasser. »Siehst du den See? Das ist voll cool. Dad, dürfen wir darin im Sommer schwimmen?« Ihr Vater war ebenfalls auf den Dachboden gekommen, aber schenkte den Kindern wenig Aufmerksamkeit.

»Ja, ja. Tut, was immer ihr wollt«, sagte er, ohne zu wissen, in was er eingewilligt hatte. In den Händen hielt er ein piepsendes Messinstrument, mit dem er alle Winkel des Hauses absuchte. Gwen beobachtete ihn bei seinem Treiben. Konzentriert wanderte er durch den Raum, drehte an Rädchen und richtete das Gerät zuerst auf die Decke und anschließend mit einer geschmeidigen Bewegung auf den Boden.

»Dad, sag mir bitte nicht, wir sind in ein Geisterhaus gezogen.« Sie riss die Augen auf, als das Instrument stakkatoartig piepste und signalisierte, dass es anscheinend ein elektromagnetisches Feld ausfindig gemacht hatte. Ihr Vater schnaufte, stellte das Instrument aus und sah sie an.

»Gwen, du weißt doch, das ist mein Job. Paranormale Phänomene, das ist genau mein Ding.«

»Ich weiß ja, Dad. Ich würde mich nur wohler fühlen, wenn ich nachts keine Panik vor dem schwarzen Mann haben müsste, oder der Frau im Spiegel.« Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. »Verrätst du mir, was das Übernatürliche an diesem Haus ist?«

Vorsorglich hielt sie Wilson die Ohren zu, um ihn nicht in Angst und Schrecken zu versetzen. Dan straffte die Schultern und überlegte einen Moment, ob es eine gute Idee war, seine Tochter einzuweihen.

»Na schön. Im Jahr 1928 soll es hier einen grausamen Mord gegeben haben. Seitdem wird immer wieder von Geistererscheinungen berichtet.«

Gwen nickte. »Gespenster …« Mehr wollte sie über die Vergangenheit des Hauses schon nicht mehr erfahren. Gwen war mit Geistergeschichten und anderen übersinnlichen Phänomenen groß geworden und fürchtete sie eigentlich nicht. Trotzdem versuchte sie solchen Erscheinungen tunlichst aus dem Weg zu gehen.

»Gwen, wir haben das Anwesen für einen Bruchteil seines Wertes bekommen, weil es niemand wollte.«

»Verständlich, bei der Vergangenheit.« Sie runzelte die Stirn und sah sich unbehaglich um.

»Komm schon. Wenn wir hier wieder ausziehen, können wir es zu einem viel höheren Preis verkaufen. Wir machen einen wahnsinnigen Gewinn mit diesem alten Gemäuer. Wir müssen es nur richtig renovieren.« Liebevoll klopfte er gegen die Wand und ein Stück Putz bröckelte ab. »Und sanieren.«

»Ja, wenn wir dann noch leben«, witzelte Gwen mit einem Fünkchen Ernst in der Stimme. »Aber hey, möglicherweise kann ich dann auch endlich meinen Führerschein machen.« Sie lachte und ihr Dad fiel in ihr Lachen ein. Er wusste selbst, dass dieses Versprechen zu einem Running Gag geworden war. Mehr als ein paar Fahrstunden konnte sie mit fast 18 Jahren noch immer nicht vorweisen.

»Außerdem will ich von Umzugsplänen erst mal kein Sterbenswörtchen hören. So, ich schau mich ein wenig um. Vielleicht finde ich ja ein schönes Zimmer, das nicht heimgesucht wird.« Gwen deutete mit ihren Fingern gespenstige Züge an.

»Du darfst überall einziehen, außer im Keller. Dort habe ich bereits eine Temperaturmessung vorgenommen, und da unten gibt es tatsächlich den ersten Cold Spot«, erklärte ihr Dad. Er widmete sich wieder den Messinstrumenten.

»Sehr beruhigend.«

2. Kapitel

Der erste Tag an einer neuen Schule war immer der Schlimmste. Mit Herzklopfen packte Gwen die noch nicht gebrauchten Schulbücher in den Rucksack, den sie aus einem der Kartons gefischt hatte. Der Umzug lag erst zwei Tage zurück und noch stapelten sich die meisten ihrer Sachen in Kisten. Kurz blätterte sie durch das Mathematikbuch, aber bis auf ein paar Auffrischungsübungen kam ihr keine Formel bekannt vor. Wenn ihr die Inhalte der übrigen Schulfächer genauso fremd waren, musste sie schon jetzt um ihre Sommerferien bangen. Nichts war schlimmer als bei blauem Himmel und Sonnenschein die Schulbank drücken zu müssen. Wilson saß bereits in der Küche und rührte lautstark seinen Kakao um.

»Wo ist Mom?«, fragte Gwen, als sie in die Küche kam, um sich Frühstück zuzubereiten. Automatisch griff sie nach dem karierten Küchentuch und tupfte die Milchflecken trocken, die Wilson auf dem Fußboden verkleckert hatte. Er zuckte mit den Schultern. Kein Wort von Wilson? Das sah ihm nicht ähnlich.

»Hey, was ist los? Bist du etwa aufgeregt?« Mit einem gekonnten Tritt schloss sie die Kühlschranktür, schnappte sich Messer, Brot und Marmelade und setzte sich zu ihm an den Tisch. Wieder zuckte er mit den Schultern.

»Mach dir keine Sorgen. Es wird cool«, versuchte sie ihn aufzumuntern.

»Du hast leicht reden. Du gehst schon ewig auf die Highschool.«

»Ja, mag sein, aber auch ich hatte dort einmal meinen ersten Tag. Und hoffentlich bald den letzten.« Sie verdrehte die Augen, klatschte die beiden Brothälften aufeinander und stopfte sie in eine Papiertüte. Sie ging zwar schon eine Weile auf die Highschool, aber heute war auch wieder ein erster Tag für sie. Es warteten fremde Lehrer, unbekannter Stoff, neue Mitschüler und Gebäude auf sie, in denen sie sich zurechtfinden musste. Sie wollte Wilson allerdings keinen Grund geben, weiterhin nervös zu sein, und verschwieg ihre eigene Unruhe.

»Komm, lass uns gehen. Sonst kreuzen wir an unserem ersten Tag noch zu spät auf.« Sie nahm Wilson die Tasse ab und stellte sie ins Spülbecken. Unmotiviert folgte er ihr und warf lustlos den Schulranzen über die Schultern.

»Stell dich nicht so an. Du kannst dich sowieso nicht davor drücken. Außerdem ist es doch total aufregend. Außer dem Haus und dem Wald haben wir von der Gegend noch nichts gesehen.«

Die Bushaltestelle lag an der Hauptstraße, und um dorthin zu kommen, mussten sie einen kurzen Fußmarsch durch den Wald auf sich nehmen. Sie liefen den gleichen holprigen Weg mit den eingefahrenen Reifenspuren entlang, über den sie am Tag ihres Einzugs gekommen waren.

»Es ist eiskalt«, beschwerte sich Gwen und schloss die Jacke. »Hast du dir einen Schal mitgenommen?«

Statt zu antworten, zupfte er am Kragen und entblößte einen Schal in den Mannschaftsfarben seiner alten Footballmannschaft.

»Wilson, du willst doch sicher schnell neue Freunde finden, stimmt’s?«

»Klar.«

»Dann solltest du keinem von Dads oder Moms Job erzählen. Verstanden?«

»Oh Mann, warum denn nicht?«, maulte er. Scheinbar wollte er genau damit Interesse an seiner Person wecken und erste Kontakte knüpfen. Gwen stöhnte auf.

»Weil das außer dir niemand cool findet. Verstanden?«

»Kapiert«, antwortete er widerwillig.

»Wilson, ich meine es ernst. Kein Wort zu irgendjemandem. Wenn ich rauskriege, dass du es an die große Glocke hängst, werde ich dich eigenhändig töten.«

Über ihnen öffnete sich das Blätterdach der Bäume, der Weg wurde breiter und das Schild der Bushaltestelle kam zum Vorschein.

»Ja, Sir. Jetzt lass mich endlich in Ruhe!« Wilson hatte keine Lust auf weitere Regeln und legte trotzig einen Zahn zu. An der Bushaltestelle achtete er darauf, genügend Abstand zu seiner Schwester einzuhalten.

»Keine Sorge. Außer uns ist niemand hier. Keiner wird je erfahren, dass ich deine große Schwester bin«, sagte Gwen, während sie den Fahrplan studierte.

Minuten später hielt der gelbe Bus. Die stämmige Fahrerin mit den gekräuselten Haaren interessierte sich nicht im Geringsten dafür, ob die beiden gültige Fahrkarten besaßen, und winkte sie mit mürrischer Miene durch. Wilson lief auf die hinteren Sitzplätze zu, wogegen Gwen gleich in der zweiten Reihe einen Platz neben einem schlafenden Jungen entdeckte. Sie wollte sich möglichst leise neben ihn setzen, aber die Busfahrerin fuhr ruckartig und unerwartet an. Gwen geriet ins Stolpern und landete unsanft auf ihm. Erschrocken zuckte er zusammen.

»E-Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich und verstaute den Rucksack zwischen den Beinen. Er nickte ihr kurz zu, zog sein Basecap tiefer ins Gesicht und schloss die Augen wieder.

Das fängt ja gut an.

Fast alle fuhren in Maine mit dem Bus zur Schule und schon an der nächsten Haltestelle stieg eine Handvoll Schüler ein. Die meisten davon mussten in ihrem Alter sein und besuchten vielleicht sogar in die gleichen Kurse wie sie. Aus den Augenwinkeln musterte sie das Grüppchen und versuchte zu hören, worüber sie sprachen. Eine Gemeinsamkeit, zum Beispiel eine beliebte Band, konnte ein Türöffner sein, wenn sie sich dadurch in das Gespräch einklinken konnte. Gwen erhaschte allerdings nur ein paar Wortfetzen, und die Jungs sahen sichtlich genervt aus.

Der Bus war randvoll und die Fahrgäste stauten sich in dem schmalen Gang und schwankten in jeder Kurve auf Gwen zu. Verschiedene Gerüche von billigem Parfum und Deodorant über Wurstbrote und Weichspüler verteilten sich in dem geschlossenen Raum. Das würde ihr täglicher Alptraum werden. Sie wagte einen kurzen Blick zu ihrem Bruder, um sicherzugehen, dass er keine Dummheiten machte. Wilson hockte inzwischen in einem Viererabteil und starrte lachend und mit den Füßen wippend auf die Playstation Portable eines gleichaltrigen Jungen. Immerhin hatte er seine Ängste schon über Bord geworfen und Anschluss gefunden. Um ihn würde sie sich heute keine Sorgen mehr machen müssen.

Als sie sich in Fahrtrichtung drehte, bemerkte sie, dass sie von einigen angestarrt wurde. Dieser Ort war nicht Boston. Hier konnte man nicht zwischen Menschenmassen unsichtbar werden. Jeder Neuling fiel sofort auf wie ein bunter Hund. Zwei Mädchen tuschelten, während sie in Gwens Richtung schauten und sie musterten. Gwen strengte sich an, sich die Nervosität nicht anmerken zu lassen, und sah aus dem Fenster. Sie spürte die Blicke der beiden immer noch und wünschte sich, die Fahrt wäre endlich vorüber. Natürlich hatte sie modisch schon völlig danebengegriffen: Die beiden trugen Umhängetaschen, während sie einen klobigen Rucksack schulterte. Mit solchen Fehlgriffen landete man auf der Highschool verdammt schnell im Aus.

Zwei Haltestellen später endete die Fahrt. Durch das Drängeln des Mannes neben ihr wurde sie in den schmalen Gang gedrückt und strömte mit einer Welle Fahrgäste aus dem Bus.

Vor ihr lagen die Frost Highschool und die Junior High. Die beiden Schulformen teilten sich einen Gebäudekomplex, der verglichen mit Schulen in Boston und anderen Großstädten winzig wirkte. Wilson war gemeinsam mit zwei anderen Jungen an ihr vorbeigelaufen, als ginge er seit Monaten in diesen Hallen ein und aus. Unsicher blieb Gwen einen Moment an der Bushaltestelle stehen. Eingerahmt von Buchsbaumbüschen stand das verfallene Namensschild der Bildungsstätte zwischen grauen Kieselsteinen. Dahinter erstreckte sich eine Treppe, die durch ein Eisengeländer in Ein- und Ausgangsbereich getrennt wurde. Grüppchen drängten in die Schule, während sich andere Schüler noch vor dem Eingang austauschten und sich gegenseitig Bilder oder Videos auf ihren Handys zeigten. Gwen huschte an ihnen vorbei und versuchte niemanden anzurempeln.

Der Schulflur wurde mit Neonröhren beleuchtet und es roch nach altem PVC-Bodenbelag. Immerhin war es angenehm warm. Links und rechts säumten militärgrüne Spinde den Gang. Zwischen zwei Türen hing eine schwarze Pinnwand. Daran heftete auch ein Gebäudeplan. Gwen kramte einen Zettel aus der Jackentasche. Er war zerknittert, aber man konnte noch entziffern, welche Kurse sie in welcher Stunde in welchem Raum wahrnehmen musste.

»Geschichte, acht Uhr bis neun Uhr dreißig, Raum 1102«, las sie laut vor. Auf dem Lageplan klebte ein dicker, roter Punkt, der ihren jetzigen Standort anzeigte. Raum 1102 befand sich in Gebäude eins.

»Immerhin«, flüsterte sie, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie im richtigen Bau gelandet war.

»Du musst die Treppe raufgehen. Dein Saal ist direkt die zweite Tür auf der linken Seite«, erklärte ihr eine freundliche Stimme. Neben Gwen stand ein gleichaltriges Mädchen und lächelte sie aufmunternd an. »Dein erster Tag hier?«

»Ja, genau«, antwortete Gwen und freute sich über die Hilfe. »Musst du zufällig auch dahin?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich besuche andere Kurse als du, wenn ich richtig gelesen habe.«

Diese Antwort versetzte Gwen einen Dämpfer. Doch keine potentielle Verbündete. Wenigstens schienen die Leute hier nett und hilfsbereit zu sein.

»Oh, schade. Na ja, danke für deine Mühe. Ich werde mich mal auf die Suche machen. Viel Spaß noch, vielleicht sieht man sich ja mal«, verabschiedete sich Gwen und wandte sich winkend von ihr ab.

»Ja, dir auch.« Sie kreuzte die Finger, um ihr Glück zu wünschen, und verschwand ebenfalls in der Menge wuselnder Schüler.

Der Raum lag mit verschlossener Tür vor ihr. Durch das vergitterte Fenster konnte Gwen schon einige ihrer Mitschüler auf den Plätzen sitzen sehen. Manche hatten es sich auf den Bänken bequem gemacht und ein Papierflieger kreiste über ihren Köpfen. Ohne zu klopfen, trat Gwen ein. Erschrocken nahmen alle auf ihren Stühlen Platz und die Gespräche erstarben. Als der erste von ihnen erkannte, dass es sich bei Gwen nicht um eine Lehrkraft handelte, hörte man ein erleichtertes Raunen und die Plaudereien wurden fortgeführt. Nichtsdestotrotz lagen sämtliche Augen auf ihr. Scheu lächelte Gwen und winkte in die Klasse hinein.

»Hi.«

Drei Leute lächelten ihr knapp zu, bevor sie sich daran machten, ihre Bücher und Hefte auszuräumen. Alle anderen drehten die Köpfe zur Seite. Gwen lief auf eine freie Bank zu.

»Hi, ist hier noch frei?«, fragte sie das Mädchen, das an dem Tisch nebenan saß, zögerlich.

»Nein. Hier ist besetzt.« Sie warf Gwen einen feindseligen Blick zu. Gwen versuchte es an einer weiteren Bank. Noch ehe sie fragen konnte, schüttelte der Junge dahinter den Kopf.

»Hier sitzt Maddie. Da kannst du dich nicht hinsetzen.« Kaugummikauend wies er ihr einen Sitzplatz in der letzten Reihe. Immerhin war es ein Fensterplatz. Dankend sattelte sie ihren Rucksack neu auf und lief hinüber.

»Na super.« Der Stuhl wackelte, unter dem Tisch klebte ein Kaugummi und die Arbeitsplatte war mit Kritzeleien vollgemalt. Gefrustet setzte sie sich und schaute durch die Reihen.

»Ellie ist ’ne Bitch. Eigentlich ist neben ihr frei. Sie will nur nicht, dass du dich dahin setzt.« Der Junge, der vor ihr saß, hatte sich zu Gwen umgedreht und plapperte fröhlich drauflos. »Mein Name ist übrigens Harry, und du heißt?«

»Gwen.« Sie wollte ihm die Hand reichen, aber er schüttelte unmerklich den Kopf.

»Gwen wie Gwendolin?«, hakte er stattdessen nach. Sie verdrehte die Augen und lächelte schüchtern.

»Leider ja, aber nenn mich bitte Gwen.«

»Also gut, Gwen. Ich heiße dich hiermit herzlich willkommen an der Frost High.« Er erzeugte mit zwei Bleistiften einen kurzen Trommelwirbel auf dem Holzpult.

»Wieso möchte diese Ellie nicht neben mir sitzen?«, fragte sie vorsichtig, ohne ihre Mitschülerin dabei aus den Augen zu lassen.

»Sagte ich doch: Ellie ist ’ne Bitch. Außerdem will niemand neben dir sitzen.« Verdutzt sah Gwen den Jungen an.

»Wieso das denn? Ich bin erst hierher gezogen. Ihr kennt mich doch noch gar nicht.«

»Stimmt es, dass du in der alten Villa eingezogen bist?«, stellte er eine Gegenfrage, ohne ihre Frage zu beantworten.

Sie nickte.

»Genau deshalb. Wird ein klasse Jahr für dich«, bemerkte er ironisch.

»Okay, aber was ist so schlimm daran, dort zu wohnen? Es ist doch bloß ein Haus.«

»Bloß ein Haus? Mann, haben euch die Verkäufer denn gar nichts über dieses Bloß-ein-Haus erzählt?« Harry lachte auf. Einige drehten die Köpfe zu ihnen um. Ein Papierkügelchen flog in hohem Bogen in Harrys braunen Lockenkopf.

»Yo, Alter. Schon kapiert, ich halt die Klappe«, beruhigte er den Papierkugelwerfer, welcher ihm einen mahnenden Blick zuwarf. Harry drehte Gwen den Rücken zu und vergrub das Gesicht in einem Buch.

»Verstehst du mich so noch?«, flüsterte er ihr zu. Anscheinend wollte er seinem Mitschüler nicht gehorchen.

»Ja«, wisperte sie zurück und hielt sich unauffällig eine Hand vor den Mund.

»Also, in der Villa hat es vor langer, langer Zeit eine Mordserie gegeben. Der Besitzer, Frank Wiltshire, soll seine Frau Linda und die beiden Töchter Ruby und Grace angezündet haben. Ihre sterblichen Überreste sollen im angrenzenden See liegen.« Zur Tarnung blätterte er eine Seite um.

Das steckt also hinter dem Mord, von dem Dad erzählt hat.

»Was heißt hier sollen? Wurden sie denn nie gefunden?«

»Nein. Auch Frank Wiltshire hat seit dem Tag niemand mehr gesehen. Das Kindermädchen hat am nächsten Tag nur noch Brandspuren vorgefunden, und Schleifspuren, die zum See führten. Klarer Fall, wenn du mich fragst.« Seine Stimme war während der Erzählung immer düsterer geworden.

»Vielleicht war es ja nur ein schreckliches Unglück. Viele Leute bauschen Dinge, die sie sich nicht erklären können, zu sagenhaften Geschichten auf.« Sie wusste das nur zu gut, weil ihr Dad regelmäßig Poltergeister als paarungswütige Frettchen enttarnte.

»Ja, aber seitdem sind erst zwei Familien in diese Villa gezogen und beide haben von merkwürdigen Geräuschen in der Nacht, Kinderlachen und Geistern berichtet. Du wirst sie auch noch hören«, wurde Gwen von einer Männerstimme gewarnt. Ein blonder Junge stützte sich an ihrer Stuhllehne ab, sah jedoch hochnäsig an ihr vorbei zu Harry. Es war der Typ mit den Papierkügelchen.

»Archie, Mann, komm schon. Ich musste ihr doch wenigstens erklären, was los ist. Das ist unfair. Totaler Bullshit.« Harry lehnte sich entschuldigend nach hinten.

»Du musst hier nicht den Ritter in der goldenen Rüstung spielen. Sie kann sich ja mit Sebastian zusammentun.« Der Junge schlenderte zu seinem Platz und ließ Harry kommentarlos zurück. Bevor er sich setzte und jedes weitere Wort von Harry belauschte, flüsterte dieser Gwen zu: »Archie hat seine Gründe. Ich erzähle es dir irgendwann.« Schnell rutschte er an seinen Tisch und warf Archie sein entzückendstes Lächeln zu.

Die Türklinke wurde heruntergedrückt und eine ältere, hochgewachsene Frau mit roter Brille, Dutt und spitzem Mund betrat den Raum. Sie ließ ihre Ledertasche auf das Lehrerpult fallen und sah prüfend durch die Reihen. Um den Mund herum hatte sie feine Falten, die sie streng und autoritär wirken ließen.

»Ah, da hinten.« Ihr Blick erreichte Gwen. »Sie habe ich gesucht. Kommen Sie bitte nach vorne und stellen Sie sich Ihren Mitschülern vor.«

Sie zog die Mundwinkel nach unten und nahm hinter dem Pult Platz. Es würde schwer werden, dieser Frau ein Lächeln abzugewinnen. Schon jetzt ahnte Gwen, dass die einzige Mimikvariation aus herabhängenden Mundwinkeln oder zusammengepressten Lippen bestand.

Mit klopfendem Herzen stand Gwen auf, lief an den Bankreihen vorbei und stellte sich vor ihre neuen Mitschüler. Die Ärmel des Pullovers zog sie in ihrer Nervosität bis zu den Fingerspitzen herab.

»Hi, mein Name ist Gwendolin, aber alle nennen mich Gwen. Ich bin mit meiner Familie nach Frost gezogen.«

Die Lehrerin schien noch nicht zufrieden zu sein und musterte sie ebenso skeptisch wie ihre Klassenkameraden. Händeringend suchte Gwen nach interessanten Details.

»Ich habe bis vor kurzem in Boston gelebt – tja, jetzt bin ich hier. Ich hoffe, ich finde mich schnell zurecht.« Sie lachte schüchtern.

»Nehmen Sie wieder Platz, Miss Allington«, verwies die Lehrerin sie unbeeindruckt auf ihren Stuhl. Ein Danke oder Herzlich willkommen hatte Gwen schon erwartet, aber von dieser Frau war kein Funken Freundlichkeit zu erhoffen. Leisen Schrittes schlich sie zurück zu ihrem Stuhl. Den schlimmsten Moment des Tages hatte sie hinter sich gebracht.

»Mein Name ist übrigens Miss Gravedigger. Miss, nicht Mrs.«

Gwen presste die Lippen aufeinander und versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Mit der ernsten Miene, ihrer spindeldürren Erscheinung und der schwarzen Kleidung konnte sie tatsächlich als Totengräber durchgehen. Miss Gravedigger kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und beäugte Gwen genau. Ihr war Gwens belustigter Ausdruck scheinbar nicht entgangen. Empört richtete sie ihren Dutt.

»An Ihrer Stelle würde ich mich nicht über meinen Nachnamen lustig machen, denn ich werde in diesem Jahr Ihre Klassenlehrerin sein und Sie in einigen Fächern unterrichten.«

Na super, dachte Gwen und das Grinsen verging ihr prompt. Mit Miss Gravedigger hatte sie es sich verscherzt. Harry warf ihr einen kurzen, teilnahmsvollen Schulterblick zu.

»Miss Allington, haben Sie sich schon das Buch Geschichte und Kultur, Band 2, zugelegt?«, fragte Miss Gravedigger und hielt ihre eigene Ausgabe hoch. Man hatte Gwen zwar eine lange Liste mit Publikationen zukommen lassen, aber noch waren nicht alle Bücher bei ihr angekommen.

»Nein, tut mir leid«, entschuldigte sie sich.

Miss Gravedigger rümpfte die Nase.

»Miss Gravedigger?« Harry reckte eine Hand in die Luft. »Sie könnte solange mit mir ins Buch schauen, bis sie ihr eigenes hat, versteht sich.«

Miss Gravedigger nickte ihm anerkennend zu. »Dann hat Miss Allington nochmal Glück gehabt, dass sie so einen freundlichen Mitschüler hat«, bemerkte sie mit geschürzten Lippen.

»Danke, Harry«, flüsterte Gwen, was Miss Gravedigger nicht entging. Ihr Mund formte sich zu einem missfallenden O und sie warf Gwen einen herablassenden Blick zu. Ihre linke Augenbraue schoss gefährlich in die Höhe.

»Miss Allington, Sie sollten sich angewöhnen, Ihre Mitschüler bei deren Familiennamen zu nennen. Sie sind hier nicht mehr im Kindergarten.« Damit hatte sich Gwen den zweiten Patzer für den ersten Tag geleistet.

»Ach, und Miss Allington?«

Scheinbar hatte sie noch nicht genug von ihr. »Haben Sie in den Ferien einen der empfohlenen Kurse besucht?« Der Anflug eines boshaften Lächelns war auf ihrem Gesicht zu erkennen. Sie ahnte, dass Gwen an keinem der Nachhilfekurse teilgenommen hatte, und wollte es nur aus ihr herauskitzeln, um sie endgültig vor den anderen bloßzustellen.

»Nein, leider kam der Umzug sehr kurzfristig und da –« Gwen wurde von Miss Gravedigger jäh unterbrochen.

»Miss Allington, Ihre Ausflüchte interessieren mich nicht im Geringsten. Es ist Ihre Angelegenheit, wie viel Zeit Sie in schulische Aktivitäten investieren und welche Noten daraus resultieren.« Mit diesem Machtwort wendete sich Miss Gravedigger der Tafel zu und Gwen ließ geschlagen den Kopf auf die verschränkten Arme sinken. Treffer Nummer drei: versenkt.

3. Kapitel

Den Rest der Stunde machte sich Gwen auf dem Stuhl unsichtbar, indem sie sich ständig Notizen zu den Unterrichtsinhalten auf ein Blatt Papier kritzelte. Keinesfalls wollte sie von Miss Gravedigger noch einmal vorgeführt werden. Als die Pausenklingel sie von dieser Lehrerin des blanken Horrors erlöste, stürmte sie in einer Welle mit den anderen nach draußen in den Schulflur. Sie hatte es geschafft an Miss Gravedigger vorbeizukommen, ohne sich einem Rede-Antwort-Spiel stellen zu müssen.

»Hey, hier geht’s lang, falls du in der nächsten Stunde auch Mr Whittle hast.« Harry tauchte hinter ihr auf und zog sie zur Seite.

»Ja, ich glaube.« Sie studierte ihren Plan.

»Lass mal sehen.« Harry warf einen Blick darauf. »Cool. Wir besuchen fast immer die gleichen Kurse.« Seine Augen scannten den Stundenplan. »Ja. Whittle. Da steht’s.« Er zeigt mit dem Finger auf den Namen des Lehrers. »Der Saal liegt am Ende von Gebäude eins. Unsere Pause geht immer drauf, wenn wir dorthin laufen müssen. Komm.«

Insgeheim freute Gwen sich darüber, dass Harry soeben unsere Pause gesagt hatte. So ein bisschen gehörte sie, zumindest für ihn, schon dazu. Dankbar folgte sie ihm.

»Wird Archie nicht wütend, wenn er dich mit mir sieht?«

Harry verdrehte die Augen. »Archie ist immer sauer. Auf jeden. Auf einen bösen Blick mehr oder weniger kommt es nicht an.« Er drehte sich kurz zu Gwen um und lächelte sie an. Unvermittelt blieb er stehen und sie prallte gegen seine Brust. Einen Moment lang standen sie da und sahen sich an, während Schüler an ihnen vorbeirauschten und wie Ameisen zu den Unterrichtsräumen eilten.

»Harry?«

»Ja?«

»Danke. Du bist heute mein Held.«

Sein Grinsen wurde breiter.

Sie liefen die Treppe eine Etage nach oben. Der Flur lag noch überfüllter vor ihnen als im ersten Stock. Allerdings roch es hier beißend nach heißem Frittierfett.

»Was stinkt hier so?«, rief sie Harry hinterher, der sich schneller einen Weg durch die Menge bahnen konnte und hier und da ein bekanntes Gesicht grüßte.

»Kantine.« Er drehte sich für eine Sekunde zu ihr um und erkannte, dass sie ihm nicht so flott folgen konnte. Mühselig zwängte sie sich zwischen prallen Rucksäcken und breiten Schultern hindurch. Einen Moment hielt er inne, bis sie zu ihm aufschloss. »Da hinten geht’s zur Mensa. Es schmeckt, wie es riecht – erbärmlich.« Er schüttelte sich.

Langsam löste sich der Schülerandrang auf und fast alle verschwanden in den Räumen. Türen wurden verschlossen und der Schulflur wurde stiller. Eine Frau mit hochgestecktem Haar und blauem Hosenanzug eilte an ihnen vorbei. Gwen blieb wie angewurzelt stehen und lugte ihr hinterher.

»Harry, wo genau ist denn unser Saal?«

»Gleich hier.« Er zeigte auf Raum 1216. »Du kannst dich gerne zu mir setzen«, bot er an.

»Das wäre echt nett. Ich muss noch kurz etwas erledigen. Wärst du so lieb und würdest meinen Rucksack mitnehmen?«

»Klar, gib schon her, aber beeil dich.« Trabend verschwand er wenige Meter weiter hinter einer Tür.

Gwen lief langsam ein paar Schritte rückwärts und starrte auf das Schild neben der Tür, hinter der die Frau soeben verschwunden war.

Schulpsychologischer Dienst, stand in schwarzen Lettern unter einer festgeschraubten Plexiglasplatte.

»Mom?« Ohne zu klopfen, riss Gwen die Tür auf. Entsetzt blickte sie in die Augen ihrer Mutter, die dabei war, in dem kahlen Raum Pflanzen und Fotos dekorativ anzurichten.

»Liebes, wie schön dich zu sehen.« Freudestrahlend lief Vivian auf ihre Tochter zu und drückte sie kurz an die Brust. »Überraschung!«, rief sie quietschend aus. »Das ist mein Büro.«

Fassungslos sah sich Gwen um.

»Mom, sag mir bitte nicht, du arbeitest hier. Hier an meiner Schule.«

»Und wie ich das tue. Ich bin die neue Schulpsychologin.« Sie verwies auf ihr nigelnagelneues Namensschild, das auf dem Schreibtisch prangte.

»Wann hattest du vor, Wilson und mir diese Neuigkeit mitzuteilen?«

Vivian schmunzelte und blickte auf die Armbanduhr. »Nach dieser Stunde hättet ihr es automatisch erfahren.«

»Nach dieser Stunde? Was soll das heißen? Mom, ich hatte bis jetzt einen beschissenen Start, ich möchte keine Überraschungen.«

Vivian verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihre Tochter enttäuscht an. Sie hatte sich etwas mehr Anerkennung für die neue Position erhofft. »In der Pause findet die Neujahrszeremonie in der Aula statt. Dort wird der Schuldirektor eine Ansprache halten und auch meine Wenigkeit vorstellen.« Sie nahm auf dem grauen Bürostuhl Platz, rollte an den Tisch heran und legte das Kinn auf die gefalteten Hände.

»Mach dir keine Sorgen, Liebes. Du musst ja niemandem erzählen, dass ich deine Mutter bin.«

»Mom, das wird auch nicht nötig sein. Wir sind beide neu hier und tragen denselben Nachnamen.«

Vivian hatte keine Lust mehr, sich die gute Laune von ihrer aufmüpfigen Tochter vermiesen zu lassen. Statt auf Gwens Problem einzugehen, schaute sie erneut auf die Uhr und fragte: »Solltest du nicht im Unterricht sitzen?«

»Oh, verdammt!« Gwen schrak zusammen. Sie hatte die Zeit vergessen. Die Pause war längst vorbei und der Schulflur wie leergefegt. Aus Raum 1216 konnte sie eine Männerstimme vernehmen, die glucksend lachte. Die Schüler schwiegen. Der Unterricht hatte ohne sie angefangen. Leise klopfte sie an die Tür.

»Herein.« Der eben noch belustigte Tonfall des Lehrers bekam einen gestressten Unterton. Als Gwen den Raum betrat, streckte der Mann den prallen Bauch vor und zupfte sich die gepunktete Krawatte zurecht.

»Da haben wir ja Miss Allington. Wie mir scheint, hat Miss Gravedigger mit ihrer Annahme recht, dass Sie aus der Reihe tanzen.« Anklagend zeigte er auf die tickende Wanduhr. »Keine Schulbücher, mangelnder Anstand, Unpünktlichkeit; wo soll das Ihrer Meinung nach hinführen?« Seine Wangen röteten sich gefährlich.

Gwen wich seinem Blick aus und sagte mit gesenktem Haupt: »Entschuldigung. Ich werde mich bessern.« Schnell setzte sich Gwen auf den Stuhl, den Harry freigehalten hatte.

Der Lehrer nickte ihr verächtlich zu. Scheinbar hatte Miss Gravedigger ihn schon um ihre knorrigen Hexenfinger gewickelt.

»Keine Sorge. Mr Whittle ist cool drauf. Er beruhigt sich schon wieder«, flüsterte Harry.

»Das glaub ich kaum. Die Totengräbertante hat ihm schon ein unschönes Bild von mir vermittelt.«

»Ach, die Gravedigger ist doch immer so. Das zieht sie mit jedem ab. Schreib in der ersten Klausur einfach eine Eins und sie wird dich in Ruhe lassen.«

»Einfach eine Eins …«

Archie warf Harry einen sträflichen Blick zu und dieser verstummte für einen Moment.

»Vielleicht sollten wir Archies Nerven für heute nicht überstrapazieren«, schlug er widerwillig vor.

Gwen wagte einen kurzen Blick zur Seite und starrte in die Augen ihres Mitschülers, die keine Widerrede duldeten.

Hoffentlich besuchen Archie und ich nicht dieselben Kurse. Lass mich wenigstens einen Kurs ohne ihn haben.