Transberlin - Irina Theisen - E-Book

Transberlin E-Book

Irina Theisen

4,8

Beschreibung

Svetlana Imailova ist eine feste Institution auf dem Berliner Transenstrich. Eigentlich ist sie Privatdetektivin – wenngleich mit bescheidener Auftragslage. Der Anruf einer besorgten Mutter bringt Svetlana auf die Fährte des Medizinstudenten und Laienschauspielers Stefan Ilya. Svetlana vermutet hinter seinem Verschwinden einen Zusammenhang zwischen den angeblich abgeschobenen Strichern Sandy und Angel und dem unauffindbaren Travestiekünstler Sascha Sanders. Als Svetlana ihre Theorie Kriminalkommissar Malte Heinermann anvertraut, nimmt dieser sie nicht ernst. Aufgrund ihrer eigenen Geschlechtsidentität beschließt sie, den Fall zu verfolgen. Doch wer kommt als möglicher Täter infrage? Was hat es mit dieser Laientheatergruppe auf sich? Und warum muss Kriminalkommissar Heinermann eigentlich so verdammt gut aussehen?

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Seitenzahl: 348

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Theisen

Transberlin

Inhaltsverzeichnis

Transberlin

Transberlin

Impressum

Widmung

Transberlin

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Epilog

Kleiner Nachtrag

Quellenhinweise

Programm

Endstation Wirklichkeit

Sommergayflüster

Sekundensache

Der Stammbaum

Club 96

People Always Leave

Lavat

Sehnsuchtsvolles Wiedersehen

Sündhafte Begierde der Verdammnis I

Sündhafte Begierde der Verdammnis II

Betrügerischer Katzenjammer

Quarthiumkrieg I

Irina Theisen

Transberlin

Krimi

Irina Theisen, Transberlin

© HOMO Littera Romy Leyendecker e. U.,

Am Rinnergrund 14, 8101 Gratkorn,

www.HOMOLittera.com

Email: [email protected]

Coverfoto:

© Jo.Sephine / photocase.de

Foto im Buch:

© Jo.Sephine / photocase.de

Das Model auf dem Coverfoto steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des E-Books. Der Inhalt des E-Books sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Models aus.

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet.

Handlung, Charaktere und Orte sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

Die geschilderten Handlungen dieses E-Books sind fiktiv! Im realen Leben gilt verantwortungsbewusster Umgang miteinander und Safer Sex!

Originalausgabe: Oktober 2014

ISBN PDF: 978-3-902885-43-2

ISBN EPUB: 978-3-902885-44-9

ISBN PRC: 978-3-902885-45-6

ISBN Print: 978-3-902885-42-5

Für Teresa und Andreas

Transberlin

„Ein Gang zu zweit: Auge vor Auge, Mund vor Mund. Und bist du bei mir, so will ich dir die Augen aus den Höhlen reißen und an Stelle der meinen setzen, und du wirst die meinen ausbrechen und an Stelle der deinen setzen, dann will ich dich mit den deinen und du wirst mich mit meinen Augen anschauen.“

Jakob Levy Moreno (1889-1974), Erfinder des Psychodramas*

Prolog

Klirrende Kälte. Die Feuchtigkeit kroch die Hosenbeine empor und durch alle Ritzen. Es war Herbst. Einer der wärmsten seit Langem. Aber nicht heute Nacht. In einer schnellen Bewegung stand er auf – zog seinen Parka noch etwas weiter herunter, den Reißverschluss bis zum Anschlag hoch, drückte das Kunstfell der Kapuze tiefer in den Nacken. Die Schaukel quietschte leise, als er sich wieder setzte. Obschon er seine Ohren kaum mehr spürte, fühlte er sich wohl und angenehm erregt. Ein vergnügter Wolf – ein Jäger.

Der Vergleich gefiel ihm. Er musste einen langen Atem haben, und genau das beherrschte er gut. Es war das einzige wirkliche Erfolgsrezept im Leben: dranbleiben. Die Augen immer auf das Ziel gerichtet. Seinem würde er heute ein gutes Stück näher kommen, so viel stand fest.

Noch war es ein wenig früh, aber die Ersten waren schon gekommen, trotz der Kälte. Auch seiner würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Sie brauchte Geld, die Madame. Für sich und ihre Familie, die sich allerdings bald nach einem anderen Ernährer würde umsehen müssen, denn Papa war für Größeres bestimmt. Nicht viele hatten Potenzial, aber diese Lady würde trotz des starken Akzents ein exzellenter Schauspieler werden. Sobald die Truppe komplett war, konnte es losgehen.

Er stand auf und dehnte seine Beine im nach unten gerichteten Hund – Adho mukha shvanasana. Sein Blick fiel auf das Gebüsch am Rande der Sandkiste – dort hatte er sich das letzte Mal erwischen lassen. Diese Schmach! Sein Gesicht brannte, als Blut in die äußeren Hautschichten strömte.

Wenn die Generalprobe schiefläuft, klappt die Aufführung, hatte sein Vater immer gesagt. Jedes Mal, ganz gleich ob die Generalprobe schiefgegangen war oder nicht.

Schließlich betrat seine Madame den kleinen Laden gegenüber dem Spielplatz. Er schob seinen Kopf tiefer in die Kapuze, prüfte ein letztes Mal mit einem schnellen Griff in die Parkatasche sein Equipment und folgte ihr. Während er ein Bier kaufte, das er ohnehin nicht trinken würde, beobachtete er sie aus dem Schutz der Kapuze heraus. Sie lamentierte über eine Laufmasche.

Du wirst im Laufe des Abends noch über ganz andere Dinge winseln, Süßer, dachte er. Ein Schnaps noch und dann wirst du dich wie immer in der ruhigen Seitenstraße an ein Auto lehnen. Ich werde da sein.

Er verließ den Laden, bewegte sich zügig fort aus dem grellen Licht der vorbeifahrenden Autos, entsorgte das Bier auf einem Stromkasten und wählte aus den erprobten Späher-Plätzen seinen Favoriten: eine dunkle Stelle zwischen der Stoßstange eines Autos und dem mächtigen Stamm eines Baumes.

„Du hast doch noch nicht mal ’ne richtige Muschi!“, kreischte eine dürre Wasserstoffblondine einer Konkurrentin hinterher, übergab sich in die Büsche und wankte zur Hauptstraße zurück. Ihn selbst bemerkte sie nicht. Gut so.

Kurz dachte er an seine Wohnung. Eine Insel des Friedens fernab all dieser Taugenichtse. Dann aber hörte er erneut das Tacken von Absätzen auf dem Asphalt. Er war es, seine Madame. Den Schlenderschritt kannte er. Gleich mit einem Kunden im Schlepptau. Mehr Glück als Verstand, das Flittchen. Über den Preis herrschte offenbar Einigkeit, denn es ging gleich zur Sache. Geraschel. Das Ratschen eines Reißverschlusses. Lange dauerte das erfahrungsgemäß nicht. Beim ersten Schmatzen hielt er sich die Ohren zu und zählte stumm bis achtundachtzig. Der Freier war fertig und trollte sich.

Ganz langsam richtete er sich aus dem Schatten des Autos auf, setzte sachte einen Fuß vor den anderen. Er wusste, dass er sich nicht besonders bemühen musste, leise zu sein. Sein Opfer hatte erstens einen im Kahn und zweitens die Stöpsel der Kopfhörer reingesteckt. Jetzt konnte er schon das Schlagzeug hören. Ein schreckliches Geräusch. Wenn er seinen Arm ausstreckte, könnte er ihn berühren. Nein, noch nicht. Noch die Ruhe vor dem Sturm genießen, die Spannung, wie im Theater: Das Ende nah, man weiß, wie es ausgehen wird und doch ist es noch nicht zu spät für eine letzte überraschende Wendung. Er lächelte. Wir beide sind jetzt allein, Engel, dachte er. Und: Bring es zu Ende, damit das Spiel beginnen kann.

1

Svetlana kickte die Badezimmertür mit dem Fuß auf. Eine Wand aus weißem Dampf schlug ihr entgegen. Wie auf Kommando öffneten sich die Poren und ein Schweißfilm legte sich über ihre Haut. Sie stellte das Tablett auf den Klodeckel und trat die Tür wieder zu. Das Badezimmer war winzig, aber bei dem dichten Dampf konnte man sich vorstellen, es wäre eine Nische in einem riesigen Hamam. Eines wie in Almaty, vor dem Frauen Zweige verkauften, mit denen man sich gegenseitig mit kaltem Wasser bespritzte. Mit einem Rascheln fielen die Kleider auf den Boden, und Svetlana stieg mit einem wohligen Seufzer durch die dicke Schaumschicht ins heiße Wasser. Zentimeter für Zentimeter glitt ihr Körper in die Wanne. Das Wasser war so heiß, dass sie kurz die Luft anhalten musste. Sie genoss diesen Moment. Für ein paar Minuten schloss sie die Augen und legte den Kopf auf das Badekissen. Dann streckte sie ihre schaumige Hand nach der Bierflasche auf dem Tablett aus. Gab es etwas Schöneres als bis zum Hals in einer heißen Wanne zu liegen und eiskaltes Bier die Kehle hinunterfließen zu lassen?

Svetlana griff zur Blutwurstsemmel. Erst beim Essen merkte sie, wie hungrig sie war.

Kein Ort ließ sie so entspannen wie eine heiße Wanne, und an keinem Ort bekam sie so heftige Heimwehattacken. Dann dachte sie an Kasachstan und spürte, wie Tränen ihre epilierten Wangen hinabrollten und sich mit dem Badewasser vermischten. Und doch konnte sie nicht zurück; konnte nur hier die werden, die sie eigentlich war.

Ihre Gedanken trieben durch die dichten Schwaden zurück zu jenem Sonntagmorgen, als sie mit ihrer Mutter in der engen Küche gesessen hatte, dem einzigen beheizbaren Raum in der kleinen Wohnung. Ihre Mutter hatte eine lange braune Wolljacke über ihrem Polyesternachthemd getragen. Ihre blonden Haare waren flüchtig gebürstet gewesen, die Schminke vom Vortag noch unter den Augen verschmiert. Der beißende Rauch der verbrannten Eier hatte Svetlana in den Augen gejuckt, aber bei den Außentemperaturen war es undenkbar gewesen, das Fenster aufzumachen. Im offenen Backofen hatten die blauen Gasflämmchen getanzt. Ihre Mutter, die sonst kaum etwas aus der Ruhe bringen konnte, umklammerte das Brot, sodass die Finger ganz weiß wurden. Sie starrte ins Leere, schien in Gedanken versunken, pickte nur ab und zu ein paar Krümel mit dem Zeigefinger vom Teller auf. In der vergangenen Nacht war die Mutter spät nach Hause gekommen. Svetlana hatte Schritte und unterdrücktes Kichern gehört und sich wie immer schlafend gestellt, als die Mutter sie auf die Stirn geküsst und zugedeckt hatte. Erst als die Zimmertür sich wieder geschlossen hatte, schaute Svetlana durch die Ritze in der dünnen Holzwand in das Zimmer der Mutter. Der russische Offizier war wieder da. Die Uniform der Roten Armee hatte er bereits ausgezogen und sorgfältig über die Stuhllehne gelegt. Ihre Mutter kam mit einem Tablett mit zwei Gläsern, bis zum Rand mit Wodka gefüllt. Es folgte das Übliche, und Svetlana schlief zum Quietschen des metallenen Bettgestells im Nachbarzimmer ein. Am nächsten Morgen beim Frühstück sah die Mutter sorgenvoll aus. Noch ehe Svetlana sie nach dem Grund fragen konnte, flüsterte diese: „Wir müssen hier weg! Alles ist verseucht. Die sprengen gar keine Mine!“

Svetlanas Mutter gab ihre Stelle im örtlichen Lebensmittelmarkt auf, packte das Wichtigste in zwei große Koffer und eine Woche später saßen sie im Zug nach Shymkent, einer Stadt im Süden Kasachstans. In Tulkubas empfing sie Svetlanas Oma in ihrem weißen Lada und brachte sie zum Bauernhof in Jabagly. Nur wenige Tage später nahm die Mutter einen Zug in das rund 700 Kilometer entfernte Almaty. Dort wollte sie eine Stelle und eine Wohnung finden und Svetlana in spätestens ein paar Wochen nachholen. Doch wie immer kam alles anders. In den darauffolgenden Jahren blieb Svetlana bei ihrer Großmutter Natascha und hörte von ihrer Mutter wenig.

Jeder war anders in Jabagly. Stalin hatte Menschen aus der ganzen Sowjetunion hierher verpflanzt, und so gab es Russen, Deutsche, Koreaner, Aserbaidschaner, Usbeken, Tadschiken und Kirgisier in Kasachstan. Ihre damaligen Freunde, so dachte Svetlana heute manchmal, hätten einem Benetton-Plakat oder der Wachturm-Zeitschrift der Zeugen Jehovas entlaufen sein können, so unterschiedlich hatten sie ausgesehen. Svetlanas russische Oma allerdings hatte nicht Stalin, sondern die Liebe nach Jabagly gebracht. Natascha war Ingenieurin gewesen und hatte am Schwarzen Meer gewohnt, als sie sich Hals über Kopf in einen kasachischen Soldaten verliebte, der an der Marinebasis der Stadt stationiert war. Sie hatten geheiratet, Natascha bereits mit einem imposanten Bauch, und waren in den Geburtsort ihres Mannes gezogen. Das war ein Schock, hatte sie immer wieder erzählt, denn ein Großteil der Kasachen in Jabagly hatte damals noch in Filzzelten gelebt, in sogenannten Jurten. Diejenigen, die nicht zwangsangesiedelt worden waren, hatten also eine nomadische Vergangenheit.

Svetlana überlegte manchmal, ob das auch ein Grund für deren Toleranz gewesen war. Sie hatten sich immer bewegen und anpassen müssen. Ein Junge, der eigentlich ein Mädchen war – so wie sie selbst – war dabei nur eine von vielen Kuriositäten, die das Leben eben mit sich brachte.

Auch wenn die Menschen Stück für Stück in feste Häuser gezogen waren, eine Ingenieurin hatte Jabagly damals so dringend gebraucht wie den Papst. Natascha hatte also die Zähne zusammengebissen und sich das Reiten beigebracht, denn ohne Pferde kam man in Kasachstan nicht weit. Sie lernte einen Hof zu bewirtschaften und entwickelte eine bahnbrechende technische Neuerung nach der anderen – von der gasbetriebenen Dreikammern-Sauna, die den Winter bei manchmal minus 50 Grad erst erträglich werden ließ, über die erste automatische Melkanlage bis hin zur Rübenputz- und Eiersortiermaschine. Auch als ihr Mann bei einem Unfall starb, hielt sie den Briefen ihrer Familie vom Schwarzen Meer stand, blieb mit ihrer Tochter in Jabagly und führte den erfolgreichen Hof, den die zu klein geratene Eselin Knopka besser als jeder Wachhund beschützte. Nicht, dass man sich in Jabagly vor irgendetwas hätte schützen oder fürchten müssen. Zumindest für Svetlana war die Heimat ihrer Kindheit der Ort mit den harmlosesten Menschen der Welt.

Die schönste Zeit in Jabagly war der späte Frühling, wenn es warm war, aber noch nicht heiß, und überall auf den Wiesen Stuten mit ihren Fohlen grasten. Kinder teilten sich, manchmal zu fünft oder sechst, eines der wenigen Fahrräder und fuhren damit unter großem Gebrüll die Hänge hinunter. Sie jagten Gänse, Kälber oder Schweine vor sich her. Das Dorf bestand aus einer einzigen Straße und ein paar Häusern. Auf der einen Seite die endlose Steppe, auf der anderen hohe Berge, das Revier von Wölfen und Bären. Ob es wohl heute noch so aussah wie in ihren Erinnerungen?

Svetlana öffnete wieder die Augen und griff nach der zweiten Hälfte der Wurstsemmel. Der Dampf im Badezimmer hatte sich gelichtet, das Wasser war nur noch lauwarm und der Schaum fast verschwunden.

„Willkommen in der Realität“, murmelte Svetlana, als ihr Blick an ihren Genitalien hängen blieb. Zu übersehen waren sie nicht. Schon als Kind hatte der Arzt bei der Schuluntersuchung nach einem Lineal gegriffen. Selbst ihrer Gynäkologin war ein leises Pfeifen entwichen: „Und dieses Prachtexemplar wollen Sie loswerden, Frau Imailova!?“

Dass ausgerechnet sie an ein so riesiges Glied geraten war, daran waren die Russen und ihr Atomtestgebiet schuld, da hatte sie keine Zweifel.

Mit einem Ruck setzte sie sich auf, zog den Stöpsel, ließ das kalt gewordene Wasser ab, goss heißes nach, versteckte ihren Penis zwischen den Oberschenkeln und lehnte sich wieder zurück.

Das Bellen Georgettes riss sie aus einem weiteren Tagtraum. Erst jetzt hörte sie das Telefon klingeln und dann den Anrufbeantworter anspringen. Sie stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog den seidenen Kimono an. Ein Geschenk von Jesse, einem ihrer langjährigen Freunde. Er war per Hausgeburt in eine Wohngemeinschaft von Hardcore-Hippies in San Francisco geraten. Die großflächig gepiercte Frau mit den langen Rastalocken, der selbst gedrehten Zigarette im Mundwinkel und der „Fuck me hard“-Tätowierung über der Brust gab sich als seine Mutter aus. Wäre sie nicht taubstumm gewesen, hätte sie wahrscheinlich mit einer rauchigen Stimme Blues gesungen. Wer von den vielen Männern des Hausprojektes sein Vater war, darüber konnte auch Jesses Mutter nur spekulieren. Inzwischen lebte Jesse als Modedesigner in Berlin. Wenn man mit ihm ausging, endete es meistens im Exzess, aber man fühlte sich anschließend immer besser.

Svetlana drückte auf den Wiedergabeknopf des Anrufbeantworters. Erst hörte sie nur dumpfe Verkehrsgeräusche, als hätte jemand von einer Telefonzelle aus angerufen. Gab es die überhaupt noch? Schließlich war eine zittrige Frauenstimme zu hören, vermutlich mit russischem Akzent.

„Frau Imailova. Is’ Maria hier. Ich habe Ihre Nummer von einer Kollegin. Es geht um meinen Sohn. Der ist verschwunden. Also ich habe Auftrag für Sie. Sie können mich nicht zu Hause anrufen. Bitte kommen Sie heute Abend um acht zu Russischer Hof, Nähe Nollendorfplatz. Ich bitte Sie. Ist dringend, ja?“

Svetlana schaute auf die Uhr. Es war kurz nach fünf. Wie konnte jemand davon ausgehen, dass sie so kurzfristig Zeit hatte? Wahrscheinlich hatte die Anruferin die Nummer von Frau Petrovka. Der hatte Svetlana mithilfe ihrer Hündin Georgette erst die alte Mama eingefangen, die aus einem der teuersten Altersheime in der Region, einer sogenannten „Seniorenresidenz“, geflohen war, und drei Monate später den Ehemann beim Sex mit einer Prostituierten gefilmt. Keine Frage, eine gute Kundin – und einer von wenigen Einträgen in Svetlanas elektronischer Kundenkartei.

Einen Auftrag konnte sie wirklich gebrauchen – wenn es denn einer werden sollte. Wahrscheinlich war es aber nur ein pubertierender Sohn, der ganz von selbst wieder auftauchte, wenn er Hunger bekam.

Über den vorgeschlagenen Treffpunkt musste Svetlana trotzdem grinsen. Dieses russische Restaurant war um die Ecke von der Straße, in der die Mädels standen: Coco, Chanel, Linda, Kiki, Lola und wie sie sich alle nannten. Berlins Transenstrich. Ein Ort, an dem Svetlana bereits kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland anschaffen gegangen war. Da ihr kasachischer Schulabschluss nicht anerkannt wurde, lediglich ihre Grundschulzeit, war es praktisch unmöglich gewesen, einen Beruf zu finden, geschweige denn ein Studium anzufangen. Einzig ihre Bewerbung zur Ausbildung als Privatdetektivin war akzeptiert worden.

Es hatte ein halbes Vermögen gekostet – erst ihre Ausbildung und dann die ihrer einzigen Mitarbeiterin, ihrer eigenwilligen Hündin Georgette. Schließlich noch die Utensilien, die ein guter Privatdetektiv für seine Arbeit braucht. Aber Svetlana wusste, dass sie gut sein würde, nicht zuletzt wegen ihrer Wandelbarkeit. Noch gab es ihn, den Wladimir. Leider, dachte Svetlana. Leider.

2

Svetlana zog sich am Holzgeländer die Treppen hoch. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie damals diese Altbauwohnung im vierten Stock gemietet hatte? Das Licht im Treppenhaus war ausgegangen, und einen Moment lang verharrte sie und lauschte dem dumpfen Plätschern des Regens. Ihre schwarze Lederjacke knarzte leise bei jedem Atemzug. Dann schloss sie die weiß lackierte Holztür auf, folgte Georgettes nassen Pfotenabdrücken bis in die Küche und schüttete drei Tassen Trockenfutter in die Schüssel der Hündin. Zum Scheppern der Metallschale und dem Knacken der Futterbrocken, die zerbissen wurden, hängte sie ihre nassen Sachen auf und warf einen Blick auf die Küchenuhr. Es war schon kurz nach sieben, Zeit, sich fertig zu machen. Svetlana ging ins Schlafzimmer, warf einige mögliche Kombinationen von der Kleiderstange auf ihr Bett und entschied sich schließlich für eine ihrer Meinung nach unaufdringlich und professionell aussehende Kombination: dunkle Jeans, kuscheliger schwarzer Angorapullover und schwarzer Blazer. Dazu die Stiefel mit den niedrigen Absätzen und leichtes Make-up. Sie wählte eine etwas größere Handtasche und packte noch einen Block im Lederumschlag und ihren Montblanc-Kuli ein. Dann schlüpfte sie in ihre Regenjacke und tätschelte im Vorbeigehen den Kopf der Hündin. „Bis denne. Wird nicht so spät heute!“

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