Transparenztraum - Manfred Schneider - E-Book

Transparenztraum E-Book

Manfred Schneider

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Beschreibung

Seit der Antike hadern Priester, Richter, Philosophen, Künstler und Politiker mit der Unzugänglichkeit von Herzen, Seelen oder Gehirnen. Nur zu gerne hätten sie das Geheimnis aus der Welt geschafft. Manfred Schneider erzählt die Geschichte des Traums und Albtraums von der Transparenz in zehn Kapiteln. Sein farbiger und lebendig geschriebener Essay führt von Descartes Philosophentraum über die Französische Revolution, die Sozialutopien des 19. Jahrhunderts, die moderne Glasarchitektur, den Surrealismus, die russische Revolution bis zu Walter Benjamin und vielen prominenten Autoren des 20. Jahrhunderts. Er reicht bis zu den intellektuellen und wissenschaftlichen Absurditäten unserer Tage, allen voran den Neurosciences und ihrem Versprechen, dem Gehirn beim Denken zuzuschauen.

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Manfred Schneider

TRANSPARENZTRAUM

Manfred Schneider

TRANSPARENZTRAUM

Literatur,Politik,Medienund das Unmögliche

Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt wie in einen erleuchteten Glaskasten, zu percipiren?

(Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne)

je me suis, je me réponds, je me reflète et me répercute, je frémis à l’infini des miroirs – je suis de verre

(Paul Valéry: Monsieur Teste)

Im Glashaus zu leben, ist eine revolutionäre Tugend par excellence.

(Walter Benjamin: Der Surrealismus)

›GLASS TOWN‹! – Kannstu Dir das vorschtellen, Herta?

(Arno Schmidt: Kaff auch Mare Crisium)

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel:

Was ist der Transparenztraum?

Erfolgsgeschichte eines Wortes

Was Philosophen über Transparenz denken

Momos und seine Freunde

Der Albtraum und das Unmögliche?

Zweites Kapitel:

Der Transparenzträumer René Descartes

Büchersturm

Traumarbeit

Denkarbeit

Drittes Kapitel:

Gläserne Körper, lesbare Herzen: Der Transparenzwahn 1500 - 1800

Die Melancholiker und ihr Glaskörper

Der gläserne Körper wird bruchsicher, dafür aber durchsichtig

Viertes Kapitel:

Jean-Jacques Rousseau: Der Transparenztraum wird politische Theorie

Undurchsichtige Welten

Opakwerden des ersten Wortes

Der republikanische Transparenztraum

Pädagogik und Politik der durchsichtigen Wörter

Fünftes Kapitel:

Transparenzterrorismus und Panvisionen: Marat, Bentham, Ernst Wagner und Google Earth

Demaskierung

Das Auge des Volkes und das Auge Gottes: Jean Paul Marat

Jeremy Bentham und Ernst Wagner

Jean Baudrillard und Google Earth

Sechstes Kapitel:

Glasarchitektur und Sozialutopien

Cristal Palace

Durchsichtige Welt und Gesellschaft: Charles Fourier

Transparente Leidenschaften in transparenter Architektur

Wera Pawlownas Transparenztraum

Siebtes Kapitel:

Die Träume von 1900

Spirituelle Glashäuser: Bruno Taut

Die Zwillinge Fourier und Scheerbart

Gehirnspiegel und andere Einblickstechnologien

Achtes Kapitel:

Die Avantgarde träumt vom gläsernen Leben

Durchblicke ins Unbewusste: Freud

Vom gläsernen Betttuch zu den Grands Transparents: André Breton

Das Unmögliche hier und jetzt und sonst nirgendwo: Antonin Artaud

Theorie des Transparenztraums: Walter Benjamin

Neuntes Kapitel:

Transparenzschrecken

Gipfeltreffen ehemaliger Barbaren

Staat aus Glas: Jewgeni Samjatins Roman Wir

Albträume im Kino: Sergeij Eisensteins Glashaus-Projekt

Transparenzschrecken durch Drogen: Karin Boyes Roman Kallocain

Traumlesemaschine aus Hollywood: Futureworld

Zehntes Kapitel:

Endzeiten des Transparenztraums

Aus der Geschichte des Gehirnlesens

Hirnleser unserer Tage

Whistleblower und WikiLeaks

Abschied von den Piraten

Fliege vor dem Glasfenster: Abgesang auf den Transparenztraum

Anmerkungen

Bibliographie

Erstes Kapitel:

Was ist der Transparenztraum?

Erfolgsgeschichte eines Wortes

Auch unter Wörtern gibt es Stars. Sie können von Moden auf den Zungen verteilt werden und wie Kaugummi für kurze Zeit süß schmecken. Aber es gibt auch Wörter, die lange gewartet haben, bis sie durch Wohlklang, Bedeutungsfülle und Verwendungshäufigkeit aus dem Verbalgetöse ihrer Zeit aufsteigen und sich unersetzlich machen. Transparenz ist ein solcher Star, der sich als semantischer Global Player gegenwärtig in immer mehr Sprachen niederlässt. Dabei stand das Wort transparentia bereits im Mittelalter der gelehrten Bildung zur Verfügung. Der Kirchenlehrer Albertus Magnus beschrieb Mitte des 13. Jahrhunderts in seinem lateinischen Traktat über die Seele Transparenz als Eigenschaft eines Mediums, das unsichtbar ist und dafür Licht sichtbar machen kann.1 Er führte transparens als Synonym des griechischen diaphanäs ein, denn dieses Wort hatte bereits in der antiken Philosophie Karriere gemacht. Der Neoplatoniker Plotin, griechisch schreibender Meisterdenker des 2. Jahrhunderts in Rom, dachte sich die himmlischen Intelligenzen, die selbst immateriell und durchsichtig sind wie Gott selbst, mit Blicken ausgestattet, die alles durchdringen: »Denn alles ist transparent (διαϕανής), es gibt nichts Schwarzes, nichts das Widerstand leistete; jedes himmlische Wesen ist in Weite und Tiefe lichthell für alle andern.«2

In der scholastischen Philosophenepoche des Albertus Magnus aber teilten sich noch verschiedene lateinische Wörter den semantischen Dienst an der Durchsichtigkeit. Das Lexikon führte die Wörter perlucidus, diaphanus, pervius, perspicuus. Aber transparens sollte siegen. Denn im 15. Jahrhundert entschlüpfte das Wort der exklusiven Gelehrtensprache und wurde im Französischen wie im Englischen heimisch,3 während sich die Deutschen mit dem hübschen Adjektiv durchscheinend zufrieden gaben. Glas, Wasser, Spiegel, Lüfte, Steine, Kleider, Stoffe wollten in Deutschland »durchscheinend«, später auch »durchsichtig« heißen, während diese Dinge im Englischen, Französischen und in anderen romanischen Sprachen auf den neuen Namen »transparent« getauft wurden. Bis dahin also füllte das Wort allenfalls eine Fußnote der europäischen Sprachgeschichte. Und auch in den folgenden Jahrhunderten schrieben es Gelehrte, Dichter und andere Schriftkundige nur gelegentlich in ihre Texte, ohne dass sich aus seiner Semantik etwas Besonderes ankündigte. Heute aber, seit gut 20 Jahren, geht von dem Wort Transparenz ein so einzigartiges Versprechen aus, es scheint sich zwischen seinen Buchstaben ein dichtes messianisches Potenzial angesammelt zu haben, als ob es, einmal und immer wieder ausgesprochen, bereits das vollbrächte, was es sagt, als ob das Wort selbst bereits Mauern, Türen, Schlösser, Siegel und Geheimdienstsicherheiten sprengte. An dem Wort hängt immer noch etwas von den himmlisch-spirituellen Privilegien, die Götter und Engel von der Erdenschwere trennen.

Wir brauchen nicht im Einzelnen aufzuzählen, in welche Fachsprachen der neue globale Begriff mit seinen Forderungen und hohen Versprechungen bereits eingedrungen ist: Wirtschaft, Technik, Politik sind im Begriff, sich rhetorisch in lichte Sphären, ja geradezu in immaterielle Scheinwelten zu verwandeln, in denen sich alles zu sehen gibt, was einst dem Auge und der Erkenntnis verschlossen blieb. Man könnte meinen, dass sich die Welt nun so durchsichtig einrichtete, als ob wir alle mit den Blicken der Geisterwesen aufgerüstet wären, die nach der Vorstellung Plotins keine Schalen und Häute mehr kennten. Im Glück der vermeintlichen Diaphaneitäten verwandeln wir uns in Platoniker, die sich nicht mehr um die Sachen kümmern müssen, die den Raum füllen; vor unseren Blicken verdampft alles Herumliegende und Querkommende, das sonst auf fremde Mächte, vor allem auf das Wort und die Schwerkraft hören; wir wollen hindurchblicken durch diese störende Dichte der Welt. Wir sind eine vornehme Elite der Beobachtung, die sich alles, was in den Medien der Fall ist, als ein medienloses Original einbildet. Kein Wunder, dass der Transparenzutopist Julian Assange die Internet-Welt immer noch als protohimmlisches Reich betrachtet und erklärt, dass das »platonische Wesen des Internets (…) durch seine physischen Ursprünge besudelt« wird.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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