Transport 3: Todeszone - Phillip P. Peterson - E-Book

Transport 3: Todeszone E-Book

Phillip P. Peterson

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Beschreibung

Der dritte Teil der Erfolgsreihe von Phillip P. Peterson. Während Russell und die anderen Siedler von New California mit General Morrow und seinen Söldnern um die Unabhängigkeit ihrer Kolonie streiten, taucht eine neue Gefahr auf. Die Transporter entpuppen sich als fürchterliche Waffen, die nicht nur die Menschen auf New California, sondern die gesamte Milchstraße bedrohen. Eine Gruppe Freiwilliger begibt sich schließlich auf eine Reihe gefährlicher Missionen mit dem Transporter, um der Gefahr entgegenzutreten. Aber am Ende muss sich Russell fragen, wer der größere Feind ist: die geheimnisvolle Macht hinter den Transportern oder General Morrow.

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34. Impressum

1.

 

Quälend langsam kam Russell zu sich. Ein dumpfer, pochender Schmerz wütete in seinem Schädel und machte es ihm fast unmöglich, sich zu konzentrieren. Dann war da noch ein anderer brennender Schmerz in seiner Lunge, der ihm den Verstand zu rauben drohte, vor allem beim Einatmen. Wo war er und was zum Teufel war geschehen?

Zögernd öffnete er die Augen. Ein grelles Licht von oben verstärkte die Schmerzen auf ein beinahe unerträgliches Maß und er wandte etwas zu ruckhaft den Kopf zur Seite. Die Strafe war eine fürchterliche Übelkeit, er würgte und hustete. In seinem Mund hatte er einen schrecklichen Geschmack, der ihn an gelegentliche Sauftouren aus lange vergangenen Zeiten erinnerte. Er fuhr mit der Hand zu seinen Lippen, die verkrustet und ausgetrocknet waren.

Russell raffte alle Kräfte zusammen, stützte sich auf der Unterlage ab und setzte sich auf. Stöhnte, blickte sich um. Er saß auf einem Metallbett, dessen mit einem weißen Laken umwickelte Matratze viel zu hart war. Eine grüne Bettdecke lag unbenutzt am Fußende. Der Raum war klein. Höchstens drei Meter lang und so schmal, dass er, auf dem Bett sitzend, die Hand nach der gegenüberliegenden Wand ausstrecken konnte. Abgesehen von dem Bett gab es nur eine chemische Toilette aus weißem Plastik an der Wand. Ein dickes Gitter verdeckte einen schmalen Lüftungsschacht unter der Decke. Neben dem Bett stand ein Krug aus Blech, der mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Russell hob ihn hoch und setzte ihn an seine Lippen. Eklig warm rann es seine Kehle hinab, aber immerhin war es Wasser, mit dem er seinen Durst löschen konnte.

Zu seiner Linken begrenzte eine metallene Tür den Raum. Er wusste schon vom Hinsehen, dass sie verschlossen war. Sie hatte auf seiner Seite nur ein Schlüsselloch. Russell befand sich in einer Zelle und war ein Gefangener.

Mit zitternden Händen wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Es war heiß. Sogar geradezu mörderisch heiß, die Luft trocken. Unwillkürlich wähnte er sich bei einem lang zurückliegenden Militäreinsatz in Somalia. Hatten die Rebellen ihn gefangen genommen? War er in eines der verdreckten Wüstenkäffer verschleppt und in die Zelle einer alten Polizeistation geworfen worden? Würden die Rebellen ein Lösegeld von der UN fordern oder ein Exempel statuieren und seinen Kopf mit einer verrosteten Machete abschneiden, während er in das Objektiv einer Kamera blicken musste?

Dann kehrte allmählich sein Erinnerungsvermögen zurück. New California! Der Angriff der Biester im Canyon! Die Atombombe! Sie hatten gewonnen und gefeiert. Dann die Nacht mit Elise. Sie waren überfallen worden. General Morrow!

Russell zuckte zusammen. Sein alter Vorgesetzter war nach zwanzig Jahren mit einem Einsatzkommando in ihrer Siedlung aufgetaucht. Der Transporter! Sie hatten alle außerirdischen Geräte im Sonnensystem zerstört, aber offenbar musste es noch einen weiteren gegeben haben. Offenbar hatten sie ihn, Russell, bewusstlos geschlagen und verschleppt. Auf New California konnte er nicht sein, dafür war es zu heiß. Anscheinend hatten sie ihn durch den Transporter gebracht. Wenn er in einem Gefängnis war, konnte er nur auf der Erde sein. Möglicherweise in Nevada, wo vor zwanzig Jahren sein unwahrscheinliches Abenteuer begonnen hatte.

Stöhnend stand Russell auf und stützte sich an der gegenüberliegenden Wand ab, als er einen heftigen Hustenanfall bekam. Was auch immer Morrow hier mit ihm vorhatte, der Krebs würde ihn sowieso erledigen. Er legte die Hand auf die Stahltür. Das Metall war so warm wie die Luft. Russell stolperte rückwärts, bis er unter dem Lüftungsschacht stand, und blickte nach oben, was ihm einen Schwindelanfall bescherte. Er spürte einen schwachen Luftzug, der aber ebenfalls nur warm und stickig war.

Russell dachte an Elise und die Kinder. Ob sie auch hier irgendwo waren? Vielleicht hatten sie alle Bewohner der Siedlung durch den Transporter auf die Erde gezwungen und wie ihn in Zellen geworfen, irgendwo in einem militärischen Sperrgebiet.

Plötzlich hörte Russell Schritte. Irgendjemand näherte sich seiner Zelle und schon drehte sich ein Schlüssel mehrfach in einem für ihn nicht sichtbaren Schließzylinder. Mit einem lauten Knall wurde ein Riegel zurückgezogen, dann öffnete sich quietschend die Tür.

Russell blickte in die Gesichter zweier schwer bewaffneter Soldaten. Ihre Felduniformen hatten die gelbliche Tarnfärbung von Einheiten, die in wüstenartigem Gelände stationiert waren. Die winkelförmigen Streifen der Schulterklappen wiesen beide als Unteroffiziere aus, obwohl Russell die genaue Form der Symbole unbekannt war. Es konnten durchaus Soldaten der Air Force sein - vielleicht hatte man das Design in den vergangenen zwanzig Jahren leicht verändert. Aber wo normalerweise der Schriftzug der US Luftstreitkräfte über der Brusttasche prangte, war ein blaues Symbol in Form eines Sterns mit breiten Flügeln angebracht, die nach oben zeigten. Auf den schwarzen Baretts der Männer prangte ein Wappen, das Russell auch nichts sagte. Es war gelb mit einem schwarz ausgefüllten Kreis in der Mitte und erinnerte ihn eher an ein Firmenlogo. Beide Soldaten trugen je ein Schnellfeuergewehr vor der Brust, das wie eine Weiterentwicklung des M-16 aussah.

»Mr. Harris, folgen Sie mir bitte!«, sagte der vordere der beiden, der etwas kleiner war und eine randlose Brille trug.

»Worum geht’s denn, Jungs?«, fragte Russell, ohne sich von der Stelle zu rühren.

Der Brillenträger blinzelte nicht einmal. »Ich möchte Sie bitten, mir zu folgen, Mr. Harris.«

Es war offensichtlich, dass es sich nicht um eine Bitte handelte. Russell traute den Männern zu, ihn notfalls mit Gewalt auf den Flur zu befördern. Er hatte keine Wahl, aber in dieser Zelle wollte er sowieso nicht bleiben. Vielleicht würde er endlich erfahren, was Morrow mit ihm vorhatte.

»Also schön. Gehen wir.«

Mit zittrigen Beinen wankte Russell hinter dem kleineren Mann her. Der andere schloss die Tür und folgte ihnen in einem Abstand von zwei Metern.

Langsam gingen sie einen engen Korridor hinunter, der von grellen Deckenleuchten erhellt wurde. Russells Zelle war die hinterste von vieren. An einigen Stellen war der Putz von den Wänden abgebröckelt und entblößte nacktes, beiges Gestein. Die Anlage schien unterirdisch zu liegen und direkt aus dem Fels geschlagen oder gesprengt worden zu sein. Auch hier draußen war die Hitze mörderisch.

»Jungs, habt ihr keine Klimaanlage?«, fragte Russell, aber er bekam keine Antwort.

Am Ende des Korridors hielten sie vor einer schweren Stahltür an. Der Soldat vor ihm schulterte seine Waffe und schloss sie mit einem kleinen Schlüssel auf.

Ein weiterer Korridor. Auf der ersten Türe zur Rechten war ein breites, rotes Kreuz angebracht. Medizinische Station stand in schwarzen Lettern darunter.

Eine Frau fluchte laut. »Wegen so einem Kratzer halten Sie mich von der Arbeit ab? Da, nehmen Sie das und verarzten Sie sich selber.«

Gerade als Russel an der Tür vorbeiging, öffnete sie sich und ein junger Soldat, dem Blut von einer kleinen Wunde an der Stirn bis hinunter in die Augen rann, stürmte hinaus. In der Hand hielt er ein breites Pflaster. Durch den Spalt erkannte Russell ein grimmiges Frauengesicht, das ihn anstarrte. Die Dame mochte um die Fünfzig sein. Sie hatte kurze, blonde Haare, die in alle Richtungen abstanden, und trug einen weißen Arztkittel. Ihre Blicke trafen sich kurz, bevor sie die Tür mit Schwung zuknallte.

Zu seiner Linken passierte Russell weitere Zugänge, laut Aufschrift zum Lager und zur Küche. Zu seiner Rechten bog ein weiterer Korridor ab. Die kargen Wände waren in einer gelblichen Farbe gestrichen. Zwei Männer in weißen Laborkitteln, die lautstark miteinander diskutierten, gingen vorbei, ohne Notiz von Russell und seinen Begleitern zu nehmen. Ein merkwürdiger Ort. Ein reines Gefängnis war das hier definitiv nicht.

Kurz darauf bogen sie nach links ab und blieben an der ersten Tür auf der rechten Seite stehen. Brig. Gen. R. Morrow prangte dort in dünnen, schwarzen Buchstaben. Russell atmete tief ein. Er erinnerte sich an den Hass in den Augen seines ehemaligen Vorgesetzten. Von dem folgenden Gespräch hatte er garantiert nichts Positives zu erwarten. Schlimmstenfalls würde er in seinem Leben nichts anderes mehr sehen als das Innere einer Zelle. Aber seine Lebensuhr lief sowieso ab. Nur - er hätte gerne vorher wenigstens noch einmal seine Familie gesehen.

Der Soldat klopfte an die Tür und öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten. »Sir, Mr. Harris!«

Russell trat in den Raum. Es war ein winziges Büro. Morrow saß hinter einem hässlichen, grauen Metallschreibtisch. An der Wand stand ein Regal, das zur Hälfte mit Aktenordnern gefüllt war. Eine Flagge der USA lehnte daran.

Der General sah Russell wortlos an. Er hatte Mühe, Morrows Blick standzuhalten. Die Augen waren wie aus schwarzem Eis. Wie früher schon war es unmöglich zu erkennen, was in Morrow vor sich ging. Fühlte er Genugtuung, dass er Russell nach so vielen Jahren doch noch geschnappt hatte? War es sogar Hass? Russell konnte es nicht sagen.

Mit einer knappen Handbewegung zeigte Morrow auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch und langsam setzte sich Russell. Die Soldaten positionierten sich an der Tür.

»Warten Sie draußen«, sagte Morrow tonlos.

»Sollen wir ihm Handschellen anlegen, Sir?«

»Er kann hier nicht raus.«

Ohne Erwiderung verließen die Männer den Raum.

Lange Minuten vergingen, in denen er und Morrow sich wortlos anstarrten. Es fiel Russell schwer, sich einzugestehen, dass zwanzig Jahre seit seiner letzten Begegnung mit dem General vergangen waren. Das Gesicht war so schmal und eingefallen, die Haare so grau, wie Russell es in Erinnerung hatte. Vielleicht waren einige Falten dazugekommen, während andere sich tiefer gegraben hatten, aber die Augen waren so wach und klar, wie sie es immer gewesen waren. Russell hatte nie genau gewusst, wie alt sein ehemaliger Vorgesetzter eigentlich war, aber er musste nun mindestens achtzig sein und hätte schon lange pensioniert werden müssen.

»Sie haben mich enttäuscht«, sagte Morrow. »Maßlos enttäuscht!«

Seine Stimme war ruhig und emotionslos.

»Tut mir leid, General«, antwortete Russell ebenso ruhig.

»Ausgerechnet Sie, Harris!« Morrow lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Sie waren einmal mein bester Mann. Sie hätten nach Nevada als Volksheld in die Geschichte eingehen können. Stattdessen haben Sie sich zum größten Verräter deklassiert, den unser Land jemals hervorgebracht hat. Ich habe es bis heute nicht verstanden, Harris. Warum?« Der General schüttelte den Kopf.

Diese Frage musste Morrow unzählige schlaflose Nächte gekostet haben. »Ich sehe es eher so, dass wir durch die Zerstörung der Sphäre die Zukunft der Erde gerettet haben.« Russell sah Morrow in die Augen. »Scheinbar ohne Erfolg.«

Der General nickte. »Irgendwie haben Sie es sogar geschafft, die anderen Transporter im Sonnensystem zu vernichten. Sie haben keine Vorstellung davon, welchen Tumult Sie mit der Sprengung auf dem Mars ausgelöst haben. Ein Raumschiff befand sich schon fertig montiert im Erdorbit und wartete nur noch auf die Crew, um zum Mars aufzubrechen und den Transporter dort für die Vereinigten Staaten in Besitz zu nehmen. Bis unsere Satelliten den Gammablitz registrierten. Unsere Instrumente erfassten auch die Atomexplosionen auf den anderen Planeten und Monden.«

»Und trotzdem haben Sie sich einen Transporter beschafft«, sagte Russell resigniert.

»In der Tat. Sie haben einen schweren Fehler gemacht und uns unterschätzt. Schließlich hatten wir bereits eine Menge Daten von der Transportertechnologie gewonnen, bevor Sie die Höhle in Nevada gesprengt haben. Wir haben wieder einen, obwohl es alles andere als einfach war. Und natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis wir auf Ihren Fluchtplaneten stießen.«

Russell nickte. Der Verfolgung der Abtrünnigen hatte man ganz gewiss eine hohe Priorität eingeräumt. »Und was haben Sie jetzt mit mir vor? Rache?«

Morrow verzog keine Miene. »Rache? Nein.«

»Sondern?«

»Vergeltung!«

Russell blinzelte. »Ist das nicht dasselbe?«

»Rache ist eine emotionale Reaktion. Vergeltung hingegen eine logische. Haben Sie geglaubt, dass wir Sie davonkommen lassen? Welches Zeichen würde das setzen für andere Staatsfeinde der USA?«

Russell lächelte gequält. »Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie durchaus eine persönliche Genugtuung ist, uns aufgespürt zu haben.«

Morrow sah ihn an, ohne zu blinzeln. »Sie haben keine Vorstellung davon, was ich durchmachen musste, nachdem der Transporter unter meinem Kommando zerstört wurde. Zwanzig Jahre hat es gedauert, bis ich meinen Ruf halbwegs reparieren konnte.« Seine Lippen bebten. »Ja, Harris. Ich habe diesen Tag lange herbeigesehnt, an dem wir uns endlich wiederbegegnen. Jeder bekommt am Ende, was er verdient.«

Russell musste es endlich wissen. »Wo ist meine Familie? Sind sie auch hier?«

»Nein. Kein Einwohner von New California, wie Sie offenbar Ihren Planeten genannt haben, wird jemals wieder den Boden der Erde betreten. Im Pentagon wurde beschlossen, als Strafe eine Verbannung festzulegen. Die Kolonie wurde eingenommen, unter militärisches Kommando gestellt und zu einem Außenposten umgebaut.«

»Mit mir haben Sie offenbar andere Pläne.«

»In der Tat«, sagte der General schroff. »Sie sind der Rädelsführer des Aufstands. Sie werden vor ein Gericht gestellt und nach einem fairen Prozess hingerichtet.«

Ein fairer Prozess, bei dem das Urteil bereits feststeht? Russell begann, leise zu lachen.

»Dürfte ich erfahren, was Sie daran so lustig finden?«, fragte Morrow.

»Die Mühe hätten Sie sich sparen können. Ich bin krank. In zwei bis drei Wochen werde ich sterben. Bringen Sie mich zu meiner Familie zurück, denn einen Prozess werde ich ohnehin nicht mehr erleben.«

Morrows Mundwinkel kräuselten sich. »Wir haben Sie untersucht, als Sie bewusstlos waren. Ihr Zustand ist mir also bekannt. Sie werden behandelt und als gesunder Mann in den Prozess gehen.«

Russell schüttelte den Kopf. »Gegen Lungenkrebs im Endstadium gibt es keine Heilung.«

»Die Zeit ist auf der Erde in den vergangenen zwanzig Jahren nicht stehen geblieben. Ihre Behandlung beginnt in Kürze. Anschließend werden Sie an das Gericht überführt.«

Russell sah den General ungläubig an. »Sie wollen mir das Leben retten, um mich dann am Ende doch noch umzubringen?«

»Sie werden der Gerechtigkeit nicht entkommen. Und damit eins klar ist: Ihre Familie werden Sie nie wiedersehen.«

Morrows letzte Worte hallten in Russells Bewusstsein nach. Er blickte zu Boden. Es musste doch eine Möglichkeit geben, diesem Irrsinn zu entkommen! »Und wenn ich mich der Behandlung verweigere?«

»Dann werden wir Sie eben mit Gewalt behandeln, wenn das Ihr Wunsch ist.« Der General drückte auf einen Knopf an der Seite seines Schreibtisches.

Kurz darauf öffnete einer der Soldaten die Tür. »Sir?«

»Wir sind hier fertig. Bringen Sie Mr. Harris in seine Zelle zurück.« Er wandte sich wieder an Russell und lächelte boshaft. »Ihre Verhandlung wird ohne Ihre Anwesenheit stattfinden, da die Entfernung zur Erde keine direkte Kommunikation zulässt. Das Urteil wird dann hier vollstreckt.«

Die Entfernung zur Erde? »Sind wir denn nicht in Guantánamo?«

Morrow lachte rau. »Wie kommen Sie denn darauf? Haben Sie es immer noch nicht begriffen? Ich dachte, Ihnen sei klar, welchen Fehler Sie gemacht haben!« Er lachte wieder.

»Wo zum Teufel sind wir hier?«

»Auf der Venus.«

2.

 

»Verdammt nochmal, es reicht langsam!«, schrie Travis Richards, nachdem er in Marlenes Büro gestürmt war und die Tür so heftig hinter sich zugeknallt hatte, dass eine der von Albert geschnitzten Figuren auf dem Schreibtisch umgekippt war. Sein Kopf war rot und seine Hände zitterten, was sie von dem fähigen Mechaniker so gar nicht gewohnt war.

Marlene blieb ruhig an ihrem Schreibtisch sitzen. »Beruhige dich erst mal.«

»Ich will mich nicht beruhigen! Es reicht mir! Soll ich dir was zeigen?«

Es war keine Frage. Der großgewachsene Richards, der sich in den vergangenen Jahren auch als fähiger Farmer hervorgetan hatte, zog seine Jacke aus, warf sie vor sich auf den Boden und krempelte seinen rechten Ärmel hoch. Auf der hellen Haut war ein Bluterguss zu sehen.

»Einer von diesen Rüpeln hat mir den Arm umgedreht, als ich mit Rhonda in einen Jeep steigen wollte, um die Felder zu inspizieren.«

Marlene stöhnte auf. »Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt den Anweisungen der Soldaten vorerst Folge leisten.«

Richards zerrte seinen Ärmel wieder nach unten, trat vor und beugte sich über Marlenes Schreibtisch. »Wenn wir uns nicht schnell um die Felder kümmern, wird schon bald nichts mehr übrig sein, was man noch ernten kann«, zischte er.

Marlene blickte ihm einige Sekunden lang in die Augen, dann lehnte sie sich zurück in ihren Sessel und stieß einen tiefen Seufzer aus. Als wüsste ich das nicht selber.

Vor drei Nächten waren die Soldaten unter der Führung von Morrow in Eridu eingedrungen. Sie hatten alle Siedler zusammen mit ihren Kindern aus den Häusern gezerrt und auf dem Platz vor dem Verwaltungsgebäude versammelt. Während die Kolonisten noch versucht hatten zu begreifen, was geschehen war, hatten die Fremden die Häuser durchwühlt und sämtliche Waffen sichergestellt. Die Fahrzeuge waren zur Werkstatt gebracht worden und standen seitdem unter ständiger Beobachtung. Stundenlang waren die Kolonisten ohne jeden weiteren Kommentar unter freiem Himmel festgehalten worden, bis endlich General Morrow aufgetaucht war. Marlene hatte es kaum glauben wollen, als sie plötzlich sein markantes Gesicht mit der hohen Stirn und dem spitzen Kinn vor sich sah. Er hatte sich vor sie gestellt und in formalem Ton verkündet, dass New California von nun an unter dem Befehl der US-Regierung stand und bis auf weiteres niemand die Siedlung verlassen dürfe. Marlene wollte mit ihm sprechen, aber der General hatte sich nur umgedreht und war in der Dunkelheit verschwunden. Erst später erzählte ihr eine aufgelöste Elise, dass die Soldaten den todkranken Russell verschleppt hatten. Marlene vermutete, dass er nun auf der Erde war.

Morrow hatte ein gutes Dutzend Soldaten zurückgelassen, die seitdem durch die Siedlung patrouillierten. Alle zwölf Stunden wurden sie abgelöst, wenn neue Uniformierte aus Richtung des Transporters eintrafen.

Marlene hatte zur Besonnenheit aufgerufen und gemeinsam hatten sie entschieden, sich vorerst dem Willen der Eindringlinge zu beugen. Marlene vermutete, dass sie in Kürze Antworten erhalten würden, aber seit drei Tagen war nichts weiter geschehen.

Und Richards hatte recht! Wenn sie nicht bald wieder auf die Felder kamen, würde ihnen ein harter Winter bevorstehen. Warum ließ Morrow sie nicht wenigstens für die Ernte die Siedlung verlassen? Lag es vielleicht daran, dass der Transporter auf halber Strecke zwischen Eridu und den Feldern lag?

»Was ist nun?«, fragte Richards.

Marlene gab sich einen Ruck und schob sich mühsam aus ihrem Sessel. Ihr Rücken schmerzte, eine Spätfolge des Kampfes gegen die Wotans, aber andere waren noch übler dran. Sie hatte gehofft, dass sich nach dem Sieg über die Monster die Zeiten bessern würden. Und nun das!

»Komm mit«, sagte sie zu Richards. »Wir reden mit ihnen.«

Sie ging zur Tür, öffnete sie und trat ins Freie. Die Sonne schien und ein sanfter Wind streichelte ihr Gesicht. Es wäre ein perfekter Tag für die Ernte gewesen. Richards folgte ihr auf den Platz vor dem Verwaltungsgebäude. Zu ihrer Rechten sah sie zwei von Morrows Soldaten stehen, die mit grimmiger Miene und geschultertem Gewehr die Werkstatt im Auge behielten, wo Albert an einem der Jeeps herumschraubte.

Mit Richards an ihrer Seite ging Marlene langsam zu den Männern hinüber. Die Soldaten wandten den Kopf und blickten ihnen missmutig entgegen.

Marlene sah auf ihre Ärmelabzeichen. Einer war ein Sergeant, »P. Conrad«, wie das aufgenähte Namensschild auf seiner rechten Brust informierte.

»Wer ist hier der Kommandierende?«, fragte sie.

»Das bin ich, Ms. Wolfe», sagte der Mann. Er war großgewachsen und hatte durchdringende Augen, die sie abschätzig, fast schon arrogant, fixierten.

»Captain Wolfe, Sergeant!«

Die Lippen des Mannes kräuselten sich leicht, als hätte sie einen lustigen, aber unpassenden Witz gemacht. »Sie sind nicht mehr Angehörige der US-Streitkräfte. Sie verfügen über keinen Dienstgrad mehr, Ms. Wolfe.«

Marlene zuckte mit den Schultern. Sie war nicht gekommen, um über ihren Dienstgrad zu diskutieren. Sie beschloss trotzdem, so autoritär wie möglich aufzutreten. »Ich will wissen, wie es nun weitergeht, Sergeant. Wir haben Arbeiten zu erledigen, die keinen Aufschub mehr zulassen. Wir haben lange genug gewartet und verlangen nun endlich Antworten.«

Der Mann schien nicht sonderlich beeindruckt. »Sie werden weitere Antworten erhalten, sobald General Morrow zurückkehrt. Bis dahin können Sie sich in der Siedlung frei bewegen. Mehr kann ich nicht für Sie tun.«

»Wir haben Felder, die abgeerntet werden müssen. Und das muss bald geschehen, Sergeant.«

»Niemand verlässt die Siedlung! Das ist ein Befehl.«

Richards trat vor und machte eine drohende Geste mit seiner Faust. »Verdammt nochmal, ich ...«

Marlene sah, dass der Sergeant den Gewehrkolben nach hinten zog. Gleich würde er Richards eine verpassen. Sie ergriff ihren Freund an der Schulter und zog ihn zurück. »Beruhige dich!«, zischte sie ihn leise an, bevor sie sich wieder an den Soldaten wandte. »Wenn wir die Felder nicht sehr bald abernten, werden wir nichts zu essen mehr haben, wenn der Winter kommt. Unsere Reserven sind wegen der Krise mit der Flut erschöpft. Also, wenn Sie uns weiter daran hindern, unsere Nahrungsmittel zu ernten, dann kann ich nur hoffen, dass Sie uns genügend Essen von der Erde herüberschaffen, denn sonst werden wir verhungern.«

Der Soldat lachte leise. »Es wird keine Nahrungsmittel von der Erde geben.«

»Wann wird General Morrow hier eintreffen und mit uns reden? Wo ist er überhaupt?«, fragte Marlene direkt.

»Ich bin nicht befugt, darüber Auskunft zu geben, Ms. Wolfe. Und jetzt möchte ich Sie bitten, sich wieder um Ihren Kram zu kümmern.«

Sie schnaubte. »Was meinen Sie denn, was ich gerade mache?« Doch Marlene sah ein, dass bei dieser Diskussion nichts herumkommen würde. Der Typ hatte nichts zu melden und befolgte nur seine Befehle. Bevor nicht Morrow auftauchte oder ein anderer Offizier, würde sich nichts weiter tun. »Sagen Sie dem General, dass uns die Nahrungsmittel ausgehen. Und wenn die Leute bezweifeln, dass sie im nächsten Winter noch etwas zu essen haben, wird es einen Aufstand geben. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob Sie uns erschießen, denn dann werden wir sowieso verhungern.«

Demonstrativ zackig drehte sie sich um und ging davon. Den wütenden Richards zog sie mit sich. Als sie nach einigen Metern einen kurzen Blick über die Schultern warf, konnte sie sehen, dass Sergeant Conrad sein Funkgerät in der Hand hatte.

»Verdammte Arschlöcher!«, fluchte Richards.

»Lass gut sein. Ich denke, dass es nicht mehr lange dauert.«

Vor der Tür des Verwaltungsgebäudes blieben sie stehen. Richards zitterte immer noch, aber er schien sich allmählich zu beruhigen und atmete tief durch. »Wofür?«

Marlene starrte ihn an. »Was meinst du?«

»Wofür haben wir gekämpft? Um jetzt von diesen Arschlöchern in unserer eigenen Siedlung eingesperrt zu werden?« Er schüttelte den Kopf. »Dabei bin ich auch selber schuld.«

»Bist du?«

»Ich habe mir die ganzen Jahre immer gewünscht, dass sie uns endlich finden. Dass einfach jemand von der Erde hier auftaucht und sagt: Ihr könnt nach Hause.« Er zeigte auf die Soldaten. »Und jetzt das!«

Marlene nickte. »Ich verstehe es auch nicht. Russell und seine Freunde haben den Transporter damals zerstört. Damit haben wir aber nichts zu tun und dennoch behandeln sie uns alle als Verräter. Dabei sollte ausgerechnet Morrow wissen, dass er uns nicht über einen Kamm scheren kann.«

»Ich habe ihn nie kennengelernt«, sagte Richards. »Aber ich habe nicht viel Gutes über ihn gehört. Er geht über Leichen, um seine Ziele zu erreichen, sagt man.«

Marlene schüttelte den Kopf. »Das war nicht immer so. Als er noch Oberst war, hat er sich immer für seine Männer eingesetzt. Er war hart, aber beliebt. Erst, als er im Pentagon teure Rüstungsprojekte gemanagt hat, wurde er zum opportunistischen Politiker.« Sie machte eine wegwerfende Geste. »Zurück zur Ernte. Wie viel Zeit haben wir noch, um das Zeug von den Feldern zu kriegen?«

»Anderthalb Wochen. Vielleicht! Und eine Woche brauchen wir für die Arbeit mindestens.«

Marlene blickte in Richtung Werkstatt. Wenigstens lassen sie Albert und Lee die notwendigen Reparaturen an den Fahrzeugen durchführen.

»Warten wir es ab. Geh nach Hause und ruh dich aus. Die letzten Wochen waren hart und ich habe die Befürchtung, dass uns weitere harte Zeiten bevorstehen.«

Richards Zittern hatte aufgehört. Jetzt sah er einfach nur noch müde aus. »Wird mir wohl kaum was anderes übrig bleiben.«

»Wie geht es Marianna?«

»Ihre Verletzung am Bein heilt gut.«

»Freut mich zu hören. Der Sniper hat sie ganz schön erwischt.«

Richards nickte. »Da ist sie nicht die Einzige. Der Doc hatte ganz gut zu tun.«

»Das hat er immer noch. Ich denke, ich werde zu ihm gehen und sehen, wie es mit Mike aussieht.« Der Sohn von Sammy Yang hatte eine ordentliche Ladung Säure abbekommen, als ein Wotan direkt neben ihm von einer Mine in tausend Fetzen gesprengt worden war. »Willst du mitkommen?«

Richards schüttelte den Kopf. »Nein. Ich würde doch nur im Weg herumstehen.« Er atmete tief ein. »Ich gehe nach Hause.«

»In Ordnung. Ich werde dich rufen, sobald ich etwas Neues weiß.«

Ohne ein weiteres Wort drehte sich Richards herum und ging davon. Marlene sah ihm noch für einen Moment nach und machte sich dann auf den Weg zum Lazarett. In der Siedlung sah sie kaum jemanden. Die meisten Kolonisten hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen und harrten offenbar der Dinge, die da kommen würden. Tun konnten sie eh nicht viel seit der Besetzung Eridus.

Dr. Lindwall stand neben der Tür der Krankenstation. Sein abgetragener Medizinerkittel war mit blassen, rötlichen Flecken übersät. Die meisten davon waren alt und ließen sich einfach nicht mehr auswaschen. Es gab aber auch viele neue. In seiner Hand hielt Lindwall eine Zigarette und blies dicke Rauchwolken in die Luft. Er bemerkte Marlene und lächelte schwach.

»Wie bist du denn an die gekommen?«, fragte sie.

»Habe sie einem der Soldaten abgeschwatzt, der mit einer Schürfwunde in die Krankenstation gekommen ist.«

Darüber wunderte sich Marlene. »Haben die keinen eigenen Sanitäter dabei?«

Lindwall nahm einen weiteren tiefen Zug. »Jedenfalls nicht hier in Eridu. Ich habe versucht, etwas aus ihm herauszuquetschen, aber die haben anscheinend eine strikte Vorgabe, nicht mit uns zu reden. Jedenfalls nicht über ihre Mission.«

»Ja, die Erfahrung habe ich auch schon gemacht. Sie warten alle auf die Rückkehr des Generals.«

»Ich habe eine Liste mit Dingen angefertigt, die wir gut brauchen könnten. Darunter Verbandszeug und Antibiotika.«

Marlene hob beschwichtigend die Hände. »Erst mal abwarten, wie es weitergeht. Vielleicht sind wir in ein paar Tagen alle wieder auf der Erde.«

Der Mediziner seufzte. »Die Erde. Wie lange habe ich mir gewünscht, wieder dorthin zurückkehren zu können.« Nachdenklich zog er an seiner Zigarette. »Aber jetzt, wo uns diese Möglichkeit vielleicht unmittelbar bevorsteht, bin ich mir nicht mehr so sicher. Wir haben so viel Arbeit in unsere Kolonie gesteckt.«

»Ja«, sagte Marlene. »Und zuletzt haben wir für unsere neue Heimat gekämpft. Ich weiß auch nicht, ob ich mit dem Leben auf der Erde noch zurechtkäme.«

»Was haben die wohl mit uns vor?«

Marlene schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich finde ihr Auftreten sehr merkwürdig. Als hätten sie ein feindliches Dorf besetzt. Oder als wären wir alle Verräter.«

»Dann hätten sie uns doch einfach durch den Transporter zur Erde bringen und dort einsperren können.«

»Mit Russell haben sie wohl genau das getan.«

Lindwall warf den Zigarettenstummel achtlos auf den Boden. »Aber warum nur mit ihm? Was unterscheidet ihn von uns anderen? Wenn sie es auf die Verräter abgesehen haben, dann hätten sie doch auch Holbrook, Elise und die anderen mitnehmen müssen.«

»Russell war der Anführer. Er hat die Entscheidung getroffen, den Transporter auf der Erde zu zerstören. Die anderen haben ihn zwar unterstützt, aber er trug die Verantwortung. Und General Morrow weiß das genau. Ich vermute, dass sie an ihm ein Exempel statuieren wollen.«

»Können wir etwas dagegen tun?«, fragte Dr. Lindwall leise. Er nestelte in der Tasche seines Kittels herum, zog die Schachtel mit den Zigaretten heraus, überlegte es sich offenbar anders und ließ das Päckchen wieder verschwinden.

»Im Moment nicht. Ich muss mit Morrow reden und in Erfahrung bringen, was man mit uns vorhat. Dann sehen wir weiter.« Marlene holte tief Luft. »Wie geht es Mike?«

Lindwall lächelte. »Besser. Die Entzündung ist zurückgegangen. Er wird sein Bein behalten können.«

Marlene atmete auf. »Gott sei Dank!«

»Allerdings gehen uns jetzt endgültig die Antibiotika aus, um wieder auf die Liste zurückzukommen.«

»Ich werde mich darum kümmern, aber zunächst muss ich mit General Morrow reden.«

Der Mediziner neigte den Kopf und fixierte mit seinen Augen einen Punkt hinter ihr. »Dazu wirst du umgehend die Gelegenheit bekommen«, sagte er mit tonloser Stimme.

Marlene drehte sich um. Der General näherte sich ihnen aus Richtung der Verwaltungsbaracke. Der mittelgroße, hagere Morrow trug eine gefleckte Felduniform. Ein schwarzes Barett bedeckte seinen Kopf. Sein Gesicht war blass, als hätte er in den vergangenen Wochen und Monaten die Sonne nicht zu Gesicht bekommen. Unbewusst wollte Marlene ihre Hand zum militärischen Gruß erheben, aber sie stoppte sich. Der General blieb zwei Schritte vor ihr stehen.

»General Morrow«, begann Marlene. »Es wird Zeit, dass ...«

Er beendete ihren Satz mit einer unwirschen Handbewegung.

Marlene musste schlucken. Der Mann strahlte eine ungeheure Autorität aus.

»Ms. Wolfe. Sie haben recht, es wird höchste Zeit, dass wir uns unterhalten«, sagte der General mit rauer Stimme. »Rufen Sie Ihren Stab zusammen. Wir treffen uns in einer Stunde in Ihrem Mannschaftsgebäude.«

 

»Wollen Sie endlich sagen, was Sie von uns wollen, oder glotzen Sie mich noch eine Stunde weiter so an, General?«, sagte Christian Holbrook in einem ätzenden Tonfall.

Marlene war nicht entgangen, mit welch boshaften Blicken Morrow den ehemaligen Astronauten bedachte. Zu ihr war der General schon nicht übermäßig freundlich gewesen, aber Holbrook und Albert zählten für ihn offensichtlich zur Kategorie der Verräter. Marlene saß am Kopfende des langen Tisches, der General ihr gegenüber. Der Rat von Eridu hatte an den Längsseiten Platz genommen, die Stühle direkt neben dem General blieben frei. Neben Albert und Holbrook saßen noch Dr. Dressel, Dr. Lindwall, sowie Lee Shanker, ihr Stellvertreter Sammy Yang und Travis Richards. Elise hatte um die Teilnahme an der Besprechung gebeten, um etwas über das Schicksal von Russell zu erfahren, aber Marlene hatte es für klüger gehalten, sie vorerst von Morrow fernzuhalten.

»Wir sind vollzählig, General«, sagte Marlene knapp.

Endlich wandte Morrow den Blick von Holbrook ab. Nach langen Sekunden nickte er. »Gut. Ich werde Ihnen nun mitteilen, wie es mit Eridu, wie Sie Ihre Kolonie so phantasievoll genannt haben, weitergeht.«

Richards schnaubte laut.

»Die Siedlung wird dem Kommando der US-Regierung unterstellt, deren Repräsentant ich bin. Mein Stellvertreter, Major Palmer, wird sich Ihnen in Kürze vorstellen. Sie können Ihren Rat und Ihren eigenen Befehlshaber behalten, aber das wird nur noch eine rein administrative Tätigkeit sein, um die Durchsetzung unserer Anweisungen zu organisieren. Ein Trupp Soldaten wird ständig anwesend sein, um die Siedlung zu überwachen. Niemand verlässt Eridu, ohne sich vorher beim befehlshabenden Offizier abzumelden.«

Marlenes Puls stieg, aber sie zwang sich zu einem sachlichen Tonfall. »Sie wollen uns unter Arrest stellen? Wer gibt Ihnen das Recht dazu? Und wer gibt Ihnen das Recht, unsere Kolonie zu besetzen? Wir haben sie in jahrelanger Arbeit aufgebaut, nachdem der Kontakt zur Erde abgerissen war, und sie zuletzt mit unserem Leben verteidigt. Und jetzt kommen Sie und stellen unsere Siedlung unter Kriegsrecht?«

Morrow zuckte nicht einmal. »Der Transporter in Nevada wurde von Verrätern und Meuterern vernichtet, mit denen Sie gemeinsame Sache machen.«

»Wir hatten wohl kaum eine andere Wahl«, sagte Lee entrüstet.

Der General ging nicht darauf ein. »Diese Kolonie wurde von Ihnen, also von ehemaligen Soldaten und Angestellten der US Army, aufgebaut. Mit Material der Armee und der Regierung der Vereinigten Staaten. Der Aufbau eines Stützpunktes war Ihre Aufgabe. Und nun, da der Kontakt wieder hergestellt ist, fordern wir diesen Stützpunkt zurück und werden ihn für unsere Zwecke nutzen.«

»Das ist über zwanzig Jahre her, General«, sagte Marlene. »Für uns ging es ums nackte Überleben. Sie haben selbst gesagt, dass wir nicht mehr Angehörige der Streitkräfte sind, also was soll das jetzt? Und warum diese Feindseligkeit? Der Großteil der Kolonisten hat mit der Zerstörung des Transporters in Nevada nichts zu tun, sondern selber darunter gelitten.« Marlene beugte sich in ihrem Stuhl nach vorne. »In der Tat gibt es einige Kolonisten, die gerne wieder mit Ihnen zurück auf Erde gehen würden.«

Der General blinzelte. »Niemand von New California wird jemals wieder die Erde betreten.«

»Ja, aber ...«, begann Dr. Lindwall.

Morrow machte eine wegwerfende Handbewegung. »Auch ich und meine Soldaten werden möglicherweise nie wieder einen Fuß auf die Erde setzen. Sie unterliegen einem Denkfehler.« Er machte eine kurze Pause. »Wir kommen nicht von der Erde.«

Marlene war einen Moment sprachlos. Nicht von der Erde? »Ich verstehe nicht ...«, sagte sie.

»Ich hätte Sie für intelligenter gehalten«, sagte Morrow, wandte den Kopf und blickte Holbrook an. »Sie haben jeden Transporter im Sonnensystem zerstört. Bis auf eine Ausnahme.«

Der ehemalige Astronaut runzelte die Stirn, dann wurde er blass. »Mein Gott, die Venus! Sie kommen von der Venus!«

»Wir waren schon auf dem Weg zum Mars, als der Satellit MAVEN einen Gammastrahlenblitz auf der Oberfläche registrierte. Es hat Ihnen ja offensichtlich nicht gereicht, den Transporter in Nevada zu vernichten, Sie mussten ja unbedingt noch alle anderen Transporter des Sonnensystems zerstören. Aber den auf der Venus haben Sie übersehen.«

»Nicht übersehen«, sagte Holbrook heiser.

Morrow nickte. »Oder vielmehr haben Sie keine Möglichkeit gehabt, mit Ihren Mitteln auf die Venus zu gelangen. Sie hielten den Transporter dort inmitten der tödlichen Umweltbedingungen für unzugänglich genug, aber das war ein Fehler. Vor fünfzehn Jahren begannen die Planungen für die Errichtung einer Basis auf unserem Nachbarplaneten.«

»Aber wie?«, fragte der Astronaut ungläubig.

Morrow machte eine unwirsche Handbewegung. »Das würde hier viel zu weit führen. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen, dass es Unsummen gekostet hat. Ein Großteil der Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten ist dafür draufgegangen. Und es hat trotzdem nur für eine Einwegmission gereicht.«

»Ich verstehe«, sagte Marlene. »Sie haben einen Stützpunkt auf der Venus errichtet und wahrscheinlich auch für regelmäßigen Nachschub gesorgt, aber Sie haben nicht die Mittel für eine Rückkehr zur Erde.«

Morrow nickte. »Das ist korrekt. Wir haben zwar zwei Schiffe, die zwischen Erd- und Venusorbit pendeln. Mit Wiedereintrittskapseln an Fallschirmen bringen wir Menschen und Material auf den Boden. Eine Möglichkeit zurück in die Umlaufbahn haben wir leider nicht.«

Marlene schüttelte sich. Die Regierung hatte diese Menschen auf eine Mission ohne Wiederkehr geschickt. Die Venus besaß fast dieselbe Masse wie die Erde und eine große Rakete wäre nötig, um die Männer und Frauen vom Boden zurück in die Umlaufbahn und zu ihrem Schiff zu bringen, das nur wenige hundert Kilometer über ihnen seine Kreise um den Planeten zog. Sie stellte sich Kolumbus vor, der mit einem Beiboot am Strand der neuen Welt landete, aber keine Möglichkeit hatte, mit ihm zur Santa Maria zurückzukehren und dem Schiff zum Abschied nur deprimiert zuwinken konnte. Ein gruseliges Bild. Was für Männer und Frauen waren bereit, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen?

»Unser Auftrag lautet, den Transporter zu sichern«, fuhr Morrow fort. »Wir haben eine Basis um ihn herum gebaut und ein Wissenschaftlerteam untersucht das Artefakt rund um die Uhr. Die Erkenntnisse werden dann zur Erde gesendet. Die Wissenschaftler und Soldaten, mich eingeschlossen, sind Freiwillige. Wir haben die Hoffnung, dass die gewonnenen Daten ausreichen, einen eigenen Transporter auf der Erde zu bauen und irgendwann auf diesem Weg zurückzukehren, wobei es allerdings auch Planungen gibt, eine Fähre zu bauen, die Material vom Boden der Venus wieder in die Umlaufbahn bringt.«

»Und wenn das fehlschlägt?«, fragte Marlene. Im selben Moment wusste sie schon die Antwort.

»Dann werden wir uns bei Ihnen auf New California niederlassen, wenn unsere Arbeit getan ist. Bis dahin werden Sie und Ihre Kolonie uns bei unserer Arbeit unterstützen. Das ist der Befehl.«

Es herrschte Stille im Besprechungsraum, als die Kolonisten das verdauten. Marlene kaute auf ihrer Unterlippe. Sie waren nicht länger unabhängig. Von jetzt an würde die Erde und somit Morrow über die Geschicke der Kolonie entscheiden. Einerseits konnte der erneute Kontakt Vorteile haben. Über den Umweg Venus konnte man ihnen Medikamente und dringend benötigte Ersatzteile und Ausrüstung zukommen lassen. Andererseits bereiteten ihr das Auftreten Morrows und seiner Soldaten Sorgen. Sie war nicht bereit, so ohne weiteres auf die Autonomie ihrer Kolonie zu verzichten. Zu hart hatten sie dafür gekämpft. Aber wie die Dinge standen, hatten sie zumindest im Moment keine Wahl. Es galt, aus der Situation das Beste zu machen, und dieser Weg führte nur über die Kooperation mit Morrow.

»Was erwarten Sie von uns?«, fragte sie den General.

Er räusperte sich. »Zum einen erwarte ich Gehorsam. Sie haben meinen Befehlen Folge zu leisten. Versuchen Sie nicht, mich zu hintergehen. Das würde ich als Meuterei ansehen und in Anbetracht des Kriegsrechts harte Strafen verhängen. Übergriffe gegen meine Männer werden mit der vollen Härte geahndet. Sie wissen, was das bedeutet?«

Hinrichtung! Marlene nickte.

»Weiterhin benötigen wir Nahrungsmittel und Wasser für die Versorgung des Venus-Stützpunktes. Ich erwarte, dass Sie alle geernteten Lebensmittel zentral einlagern und Buch führen über alle Entnahmen.«

Richards stand auf. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Wir haben kaum selber genug für uns nach dem Kampf gegen die Bestien. Außerdem hindern Ihre Männer uns seit Tagen daran, auf den Feldern unsere Arbeit zu machen.«

»Von wie vielen Personen, die versorgt werden müssen, reden wir überhaupt?«, fragte Marlene.

»Fünfzig«, sagte Morrow knapp. Er wandte sich Richards zu. »Aber wir haben noch Vorräte in den Lagern auf der Venus. Es wird also zu keinen Engpässen kommen. Sie können ab sofort wieder die Felder bearbeiten und die Geländewagen nutzen. Aber Sie müssen sich beim Kommandierenden abmelden, wenn Sie die Siedlung verlassen. Ich will jederzeit wissen, wo sich jeder Kolonist aufhält.«

»Wo ist Russell?«, unterbrach Albert den General. Marlene hielt das für keinen guten Zeitpunkt, ließ ihn aber gewähren.

Morrows Kopf ruckte herum. »Mr. Harris befindet sich auf der Venus und wartet auf seinen Prozess, Mr. Bridgeman. Wenn es nach mir ginge, würde ich Sie, Mr. Holbrook und Ms. Slayton ebenfalls an die Wand stellen lassen, aber meine Vorgesetzten haben entschieden, lediglich an Mr. Harris als Rädelsführer der Meuterei ein Exempel zu statuieren.«

»Mein Gott!«, sagte Marlene. »Sie wollen ihn hinrichten lassen!«

»Er bekommt einen fairen Prozess. Aber die Beweislast ist so erdrückend, dass es am Ende ganz sicher darauf hinauslaufen wird. Er hat sich der schlimmsten Form des Hochverrats schuldig gemacht. Das kann nicht ohne Folgen bleiben.«

»Aber ...«, begann Holbrook.

»Halten Sie den Mund!«, zischte der General und drehte sich so ruckhaft um, dass sein Barett verrutschte. »Sie waren einmal ein hochdekorierter Militärastronaut. Dann haben Sie Ihrem Land seinen vielleicht wichtigsten Besitz genommen. Das werden Sie nie wieder gutmachen können, und was mich angeht, ist Verbannung dafür nicht Strafe genug.«

»Verbannung?«, fragte Marlene.

Der General rückte sein Barett wieder zurecht. »Die Gruppe der ehemaligen Meuterer wird nie wieder einen Fuß auf die Erde setzen und hier sterben - ganz gleich, ob es uns gelingt, dem Transporter auf der Venus seine Geheimnisse zu entreißen.« Er griff nach seiner Tasche, die neben ihm stand. »Ich denke, wir sind für’s Erste fertig. In Kürze wird Major Palmer hier eintreffen und genaue Instruktionen mit sich führen. Ich erwarte, dass Sie sich genau daran halten.«

Der General erhob sich und machte einen Schritt in Richtung Tür.

»Einen Moment. Eine Frage habe ich noch«, sagte Holbrook.

Der General blieb stehen und wandte leicht den Kopf, ohne sich jedoch umzudrehen. »Was?«

»Der Transporter. Vor einigen Tagen haben wir erfolglos versucht, auf einen anderen Planeten zu gelangen. Das waren Sie, nicht wahr?«

Nun drehte sich Morrow doch um und blickte seinem ehemaligen Untergebenen in die Augen. Er erlaubte sich ein leichtes Lächeln. »Sehr scharfsinnig, Mr. Holbrook. Sie haben es erfasst! Wir haben bereits einige Fortschritte mit Technologie und Steuerung des Transporters erreichen können. Wir haben Ihren von der Venus aus lahmgelegt.«

 

3.

 

Russell lag auf der unbequemen Pritsche seiner Zelle und zerbrach sich den Kopf.

Auf der Venus!

Morrow hatte recht gehabt. Er hätte von selbst darauf kommen müssen. Vor zwanzig Jahren hatte Russell zusammen mit Chris alle Transporter im Sonnensystem zerstört, um sie dem Zugriff der Menschheit zu entziehen. Bis auf den einen auf der Venus! Der Druck auf der Oberfläche des Höllenplaneten betrug fast hundert Bar. Das entsprach dem Druck in einer Wassertiefe von einem Kilometer. Die Temperatur lag bei mörderischen fünfhundert Grad Celsius und die Atmosphäre bestand aus einer giftigen Mischung aus Kohlendioxid, Stickstoff und Schwefeldioxid. In größeren Höhen regnete es dicke Tropfen von Schwefelsäure. Wie man unter diesen Bedingungen eine Basis auf dem von dicken Wolken umhüllten Planeten errichten konnte, war Russell ganz und gar schleierhaft. Alleine der Flug wäre vor zwanzig Jahren eine absolute Unmöglichkeit gewesen. Aber offenbar hatte man Lösungen für die technischen Probleme gefunden. Die Anstrengungen und Kosten dafür mussten gigantisch gewesen sein.

Die meiste Zeit dachte Russell jedoch an seine Familie. Es durfte einfach nicht sein, dass er Elise und seine Kinder niemals wiedersah. Er zerbrach sich den Kopf über einen Ausweg. Vielleicht konnte er Morrow einen Deal anbieten, aber ihm wollten einfach keine guten Argumente einfallen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Irgendwann wurde er von denselben zwei Soldaten abgeholt, die ihn vorhin schon zu General Morrow gebracht hatten. Vor dem Lazarett blieben sie stehen. Der Soldat mit der Brille, den Russell für sich John Lennon nannte, klopfte. Nach einigen Sekunden ohne Reaktion klopfte er erneut.

»Ich bin ja nicht taub, verdammt nochmal!«, brüllte eine raue Frauenstimme durch die geschlossene Tür. Lennon zuckte kurz zusammen und verzog das Gesicht. Gemeinsam warteten sie.

Russell zeigte auf das Emblem über Lennons Brusttasche. »Es erinnert mich an das Symbol der Air Force. Habt ihr das Design geändert?«

Lennon schüttelte den Kopf. »Darkbridge«, sagte er knapp.

Russell verstand. Darkbridge war der Name einer Rüstungsfirma, die schon vor zwanzig Jahren dabei gewesen war, stark zu expandieren. Also hatte die Regierung den Aufbau und den Betrieb des Venuslabors in die Hände einer Privatfirma gelegt. Und die Männer neben ihm waren eigentlich keine Soldaten, sondern Söldner. »Ist die Eroberung des Weltraums nicht die Aufgabe der NASA?«

Der größere der Männer verzog belustigt den Mund. »Die NASA gibt es nicht mehr. Und jetzt halten Sie die Klappe.«

Die Tür zum Lazarett öffnete sich und die grimmig dreinblickende Ärztin winkte sie hinein.

---ENDE DER LESEPROBE---