Treffpunkt Räuberhöhle - Toni Traschitzker - E-Book

Treffpunkt Räuberhöhle E-Book

Toni Traschitzker

4,9

Beschreibung

Die zwölfjährige Johanna wird von zwei Burschen vor dem Eingang der berüchtigten Räuberhöhle vertrieben. Die beiden behaupten, sie hätten dort eine wichtige Arbeit zu erledigen. Johanna glaubt ihnen nicht und versucht mit ihrem Bruder Mario und ihren Freundinnen, Näheres über diese Arbeit herauszufinden. Ihr Misstrauen erweist sich als berechtigt. - Eine spannende Feriengeschichte, die zum Nachdenken über Jugendliche anregt, die auf die schiefe Bahn zu geraten drohen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 144

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
17
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Ein schlimmer Bub

Mulmig

Gefährlich ...

Vertrieben

Bürste, Holzkopf und eine Mädchenbande

Keine Angst!

Leicht zu knacken ...

Alles harmlos ...

Schwindler?

Regendetektivin

Telefonino und Sprechomobil

Belauschen!

Mampe, Hupo und andere Rätsel

Schnüffler

Verdächtiger Fund

Eine Falle?

Treffpunkt Räuberhöhle

Unfall!

Gewitternacht

Johannas größte Mutprobe

1

Ein schlimmer Bub

„Wenn du schlimm bist, steck’ ich dich in die Räuberhöhle!“

Johanna musste schmunzeln. Schon oft hatte der Vater sie mit dieser Drohung geneckt. Der gute Papa! Er ahnte nicht, dass sie gerade jetzt, am ersten Tag der Sommerferien, frühmorgens schnurstracks zu dieser „Räuberhöhle“ spazierte! Die Zeiten waren vorbei, in denen man Johanna mit Schauermärchen Angst einjagen konnte.

Nicht Angst, sondern Neugier trieb sie an: Es hieß, die Höhle auf dem Solsterberg wäre früher einmal der Anfang eines Geheimgangs zur Burg Riebenstein auf der anderen Talseite gewesen. Das Unglaubliche an der Geschichte: Dieser unterirdische Gang hätte auch unter der Treibnitz, also unter einem Fluss, durchführen müssen! Wie hätte man das fertigbringen sollen? Das Grundwasser wäre ein unüberwindbares Hindernis gewesen. Oder sollten die Bauleute damals schon so schlau gewesen sein wie jene, die es geschafft haben, einen Eisenbahntunnel zwischen Frankreich und England zu bauen – geradewegs durch den Ärmelkanal?!

Johanna war jedenfalls neugierig geworden. Vor vielen Jahren hatten die Eltern ihr und ihrem jüngeren Bruder Mario bei einem Ausflug die „Räuberhöhle“ gezeigt. „Wo sind denn die Ro–ro–Roiba?“, hatte Mario aufgeregt gestammelt; und Johanna hatte sogleich mit dunkler Stimme gerufen: „Huuu! Huuu! Ich bin ein Räuber!“ Lachend hatte der Papa erwidert: „Sei still! Du bist nur ein schlimmer Bub.“

„... ein schlimmer Bub ...“ Damit spielte der Papa auch heute noch gern auf Johannas Haare an, die sie sich immer kurz schneiden ließ. Nur die Stirnfransen und die Nackenhaare durften etwas länger sein – aber „bloß ein kleines bisschen“.

Wegen ihres Haarschnitts hatten die Mitschülerinnen Johanna einen Spitznamen verpasst: „Hansi“. Das war aber nicht spöttisch gemeint. Immerhin hatte die Klasse – fast ausschließlich Mädchen – „die Hansi“ zur Klassensprecherin gewählt.

Für „schlimm“ hielt sich Johanna nicht, höchstens ab und zu für ein wenig frech. „Ich bin nicht schlimm. Du bist der Schlimme in unserer Familie“, hatte sie einmal zu ihrem Bruder gesagt. „Papa und Mama haben eine Riesenfreude gehabt, als ich zur Welt gekommen bin. Drum haben sie sich noch mehr Kinder gewünscht. Aber als du ein Jahr nach mir aufgetaucht bist, hat es ihnen gereicht. Du bist also der Schlimme.“

Mario hatte über diese Äußerung gelacht, und das bewies: Er war schlau genug, die Späße seiner älteren Schwester zu durchschauen. Schlimm war er wirklich nicht. Wie Johanna besuchte er das Gymnasium. Er wollte einmal „etwas Besonderes“ werden. Was das genau sein sollte, wusste er noch nicht. Johanna hingegen war schon jetzt als Zwölfjährige davon überzeugt: Sie würde Geschichte studieren, so wie ihre Tante und Namensvetterin Hanni. Was in der Vergangenheit geschehen ist und wie es sich auf die Gegenwart auswirkt, das wollte Johanna wissen! Märchen und Sagen hatte sie schon immer gern gelesen, und sie fragte sich oft, ob daran etwas Wahres sein könne.

Was bedeutete das also im Fall der Räuberhöhle? War sie wirklich der Anfang eines Geheimgangs? Er musste ja nicht bis zur Burg Riebenstein und somit unter der Treibnitz durchgeführt haben. Aber wohin sonst?

Zügig schritt Johanna vorwärts. Die Sonne schien noch lange nicht so heiß, wie sie es am späten Vormittag tun würde. Da konnte sich Johanna unbekümmert auf den weiten Fußweg einlassen. Dass sie auf das Fahrrad verzichtete, hing mit ihrem Bruder Mario zusammen. Der trainierte seit zwei Jahren im Fußballverein und hielt sich für einen „Mordssportler“. Seine Schwester bezeichnete er als „Anti-Sportler“, weil sie „für alle paar hundert Meter“ jedes Mal ein Fahrrad brauche, geradeso als hätte sie ihre Beine wie ein Säugling nur zum Strampeln und nicht zum Gehen. Johannas Einladung, zur Räuberhöhle mitzukommen, und zwar zu Fuß, hatte Mario abgelehnt. Dieser „Mordssportler“! Lieber blieb er am ersten Ferientag bis neun Uhr faul im Bett liegen ...

2

Mulmig

Nach etwa zwanzig Minuten erreichte Johanna die Solster Straße. Die wand sich in mehreren Kurven teils ungewöhnlich steil auf den Solsterberg hinauf. Oben verzweigte sie sich nach links zur Solsterbergsiedlung und nach rechts in Richtung Stuckdorf. Auf der höchsten Stelle der Solster Straße – daran konnte sich Johanna noch erinnern – musste man nach links über die Böschung in einen kleinen Wald hinein, wenn man zur „Räuberhöhle“ wollte.

„Vielleicht war sie wirklich bloß ein Unterschlupf für Räuber und Gesindel“, überlegte Johanna, während sie an jenem Haus vorbeikeuchte, wo die steilste Strecke der Solster Straße endete. Nach einer unübersichtlichen Rechtskurve stieg die Straße aber noch immer an. Manchmal kamen Autos nicht gerade langsam von oben heruntergerast, sodass Johanna über die Leitschienen froh war, die den Weg für Fußgänger absicherten.

Kurz vor der nächsten Linkskurve zweigte ein geschotterter Fußweg ab. Er führte knapp oberhalb der Straße an einer ausgedehnten Wiese entlang weiter, bis er sich am Beginn eines Waldes wieder mit der Straße vereinigte, abermals durch Leitschienen vor Fahrzeugen geschützt.

„Jetzt heißt’s aufpassen!“, dachte Johanna gespannt. „Dort oben muss ich nach links über die Böschung hinauf.“

Allzu hoch war diese Böschung nicht – anfangs kaum vier Meter und an der höchsten Stelle der Straße nur noch etwa zwei Meter. Johanna blieb stehen und schaute zur Abzweigung, zu der die Straße von hier aus wieder leicht abfiel.

Aus Richtung Stuckdorf tauchte hinter den Bäumen am Straßenrand ein schwarzer PKW auf und näherte sich rasch. Die Windschutzscheibe blitzte in der Morgensonne auf, sodass Johanna nicht erkennen konnte, wer hinter dem Lenkrad saß. Ob derjenige oder diejenige sich über das zwölfjährige Mädchen wunderte, das sich frühmorgens mutterseelenallein neben der Landstraße herumtrieb? Oder verwechselte der Lenker oder die Lenkerin – was schon vielen passiert war – Johanna mit einem Buben?

Na wennschon! Das war doch völlig wurscht!

Johanna wartete, bis der Wagen vorbeigebrummt war, dann stieg sie mit raschen Schritten über die Böschung hinauf zum Wald. Er wirkte weder dicht noch dunkel, es schien nur ein schmaler Waldstreifen zu sein. Johanna wusste noch, dass sie ein Stück nach links, also in Richtung Südosten gehen musste. Zwischen den Baumstämmen wucherte niedriges Gestrüpp, aber zum Glück hatte sich Johanna daheim für eine lange Hose und einen langärmligen, dünnen Pullover entschieden. Ohne einen Kratzer abzubekommen, schob sie widerspenstige Zweige zur Seite und erreichte eine Lichtung. Dort fiel ihr gleich ein bemooster Steinklotz auf, der in einer Mulde lag. War er schon ein Vorbote der Höhle?

Richtig! Kaum zwei Meter hinter dem Klotz bemerkte Johanna eine Vertiefung. Graues Felsgestein ragte dort auf – der Höhleneingang! Auf seiner rechten Seite wuchs – wie ein grüner Höhlenwächter – eine kleine Fichte. Auch oberhalb des Gesteins krallten sich dürre Bäume mit ihren Wurzeln fest, sodass man darunter auf den ersten Blick gar keine Höhle vermuten würde.

Aufgeregt trat Johanna näher. Da lag es vor ihr, das ganze Geheimnis: eine unscheinbare Erhebung in einem unscheinbaren Wäldchen, eine felsige, kaum zwei Meter breite Öffnung. Der unterirdische Gang also? Da waren ja zwei Löcher!

Johanna bückte sich, um besser in die Öffnung hineinsehen zu können.

Das linke Loch führte schräg nach unten und verengte sich rasch. Sollte das wirklich ein Gang sein? Da musste man ja kriechen! Oder hatte man ihn zugeschüttet?

Johanna hockte sich nieder und überlegte.

Der Gang zog sich schräg nach unten in Richtung Nordwesten.

Nordwesten?

Das war doch die falsche Richtung! Wenn der Gang zur Burg Riebenstein führen sollte, musste er nach Südwesten ausgerichtet sein! Oder machte er eine Biegung?

Auf allen vieren kroch Johanna ein Stück in das Loch hinein – über einen dicken Ast, über Schutt und Steinklötze, die so dalagen, als hätte man mit ihnen den Anfang des Gangs verstopfen wollen. Weiter unten sah es so aus, als würde er nach links biegen. Oder täuschte das nur? War er dort schon zu Ende? Um das feststellen zu können, hätte Johanna eine Taschenlampe gebraucht; und um näher an die Biegung herankriechen zu können, hätte sie sich dünn wie ein Fuchs machen müssen. Immer näher rückten Seitenwände und Höhlendecke aneinander heran, immer enger und bedrohlicher wirkten sie, obwohl sich Johanna noch keine zwei Meter tief in die Höhle hineingewagt hatte.

Konnte die Decke plötzlich einstürzen?

Nein. Sie war aus festem Gestein. Aber in einem Gang sollte man doch gehen können! Hatte man nur den Anfang absichtlich zugeschüttet? Gelangte man, wenn man sich durch die Engstelle gezwängt hatte, doch noch in einen richtigen Gang hinein?

Johanna gab auf. Sie kroch wieder zurück und wandte sich dem zweiten Loch auf der rechten Seite zu. Sollte diese Öffnung die richtige sein?

Johanna war alles andere als dicklich; aber um da hineinzukommen, hätte sie noch dünner als spindeldürr sein müssen. Jedenfalls musste man auch auf dieser Seite tiefer hinunter. Und dann? Täuschte das nur, oder führte dort unten ein Quergang vorbei – von Osten nach Westen? Führte das Loch auf der linken Seite ebenfalls zu diesem Quergang hinunter? Oder war da unten gar kein Quergang, sondern einfach Schluss mit der Höhle?

Johanna glaubte plötzlich etwas Bräunliches aufleuchten zu sehen. Sie rückte ein Stück zur Seite, damit das Tageslicht besser durch den Höhlenspalt fiel.

Ein Stück braunes Glas; eine zerbrochene Flasche! Mehr nicht?

Johanna seufzte. Ohne Taschenlampe war nichts zu machen, allein schon gar nicht. Wenn wirklich etwas passierte und kein Zweiter da war, der Hilfe holen konnte ... nein, danke!

Mit weichen Knien kroch Johanna vollends aus der Höhle hinaus. Draußen richtete sie sich unsicher auf und betrachtete abwechselnd die beiden Löcher.

Wenn da unten wirklich ein Gang war – so, wie er aussah, stimmte die Richtung nicht! Warum sollte man sich die Mühe machen, aus einem harten Gestein zuerst einen Umweg herauszuhauen? Oder hatte man den Eingang bewusst so angelegt, um Neugierige abzuschrecken und erst gar nicht auf den Gedanken kommen zu lassen, dass man von hier aus unterirdisch zur Ruine Riebenstein gelangen könnte? Oder war die Höhle nichts anderes als ein hundsgewöhnliches Loch? Aber wie sollte es entstanden sein, wo es doch ringsherum keine Quelle und keinen Bach gab, der dieses Loch ausgewaschen haben könnte?

Johanna seufzte und wischte sich Schweiß von der Stirn. Es war Zeit, umzukehren, bevor die Sommerhitze einsetzte. Aber vielleicht ... vielleicht lohnte es sich, noch einmal hierher zurückzukehren – mit einer Taschenlampe ...

3

Gefährlich ...

Etwa eine Dreiviertelstunde später öffnete Johanna zu Hause das Gartentor und schlenderte über den Hofweg.

„Johanna! Hansi! Juchhu! Ferien!“, rief plötzlich jemand vom Nachbargarten her.

„Guten Morgen, Claudia!“, rief Johanna zurück, und sie rannte gleich zu ihrer Nachbarin und Freundin, die beim Zaun stand und fröhlich winkte.

„Juchhu, Ferien! Endlich wieder daheim!“, jubelte Claudia.

„Wieso daheim?“, fragte Johanna verdutzt. „Du warst doch gar nicht verreist.“

„Von wegen nicht verreist! Zwangsverreist müsste man das nennen!“, erwiderte Claudia. Sie verzog das Gesicht zu einer grimmigen Miene und sagte: „Du hast ja leicht reden. Du gehst in ein altmodisches Gymnasium, wo man nicht von früh bis spät in der Schule sitzen muss. Aber ich! Da haben sich meine Eltern geplagt und ein wunderschönes Haus gebaut mit einem noch wunderschöneren Garten davor; und was hab’ ich davon? – Nichts, weil ich in eine sogenannte Ganztagsschule gehen muss. Immer nur in einer Schulklasse oder in einem langweiligen Schulhof herumhocken – bäh! Im Winter muss ich in der Früh, wenn’s noch stockfinster ist, in die Schule; und wenn ich heimkomme, ist’s auch schon wieder dunkel. Da verblödet man ja. Das ist ja richtig gefährlich!“

„Gefährlich?“ Johanna lachte. „Willst du wirklich behaupten, dass die Schule gefährlich wäre?“

„Freilich! Es ist ja wirklich gefährlich, wenn ...“ Claudia überlegte hastig. „... wenn ... ja wenn man zum Beispiel den ganzen Tag mit Mitschülerinnen verbringen muss, die man nicht ausstehen kann. Das macht einen fertig! Püschologisch sozusagen.“

„Püscho... haha!“, platzte Johanna heraus. „Du meinst psychologisch.“

„Ist ja schnuppe, wie’s heißt!“, fauchte Claudia. „Immer nur dieselbe Umgebung, wo’s doch daheim viel schöner sein könnte! Das ist wirklich gefährlich – gefährlich für ... für die Seele sozusagen.“

„Die Schule ist gefährlich für die Seele. Sozusagen! – Das wär’ ein tolles Aufsatzthema!“ Johanna lachte wieder.

„Lach nicht! Die Schule ist gefährlich“, entgegnete Claudia ernst. Hastig fügte sie hinzu: „Richtig gefährlich ist die Schule sowieso, wenn zum Beispiel Verrückte mit ihren Gewehren auftauchen und reihenweise Lehrer und Schüler niederschießen.“

„Wir sind doch nicht in Amerika“, wandte Johanna ein.

„Na und? Dort ist es schlimm genug. Da stecken diese ... diese Waffenmenschen dahinter.“

„Waffenmenschen?“ Johanna lachte abermals. „Du meinst wohl die Waffenhersteller. Oder die Waffenhändler. Die Waffenlobby.“

„Klar! Das ganze Gesindel eben, das sich mit Waffen dumm und dämlich verdient!“, sprudelte Claudia heraus. „Unser Geschichtelehrer hat einmal erzählt, dass gegen sie sogar der Präsident von Amerika machtlos war, als er strengere Waffengesetze einführen wollte!“

„Der Geschichtelehrer hat das gesagt?“ Johanna wurde nachdenklich.

„Ja, der Geschichtelehrer!“, bestätigte Claudia leidenschaftlich. „Er hat gesagt, das könnte bei uns ebenso werden. Immer mehr Leute wollen sich bewaffnen. Aus Angst vor Gaunern! Und die Waffenleute machen mit dieser Angst das große Geschäft.“

Johanna runzelte die Stirn und meinte: „Dann müsste man ja erst recht Angst kriegen, wenn immer mehr Dummköpfe mit Waffen herumrennen und vor Angst jedes harmlose Kätzchen zusammenschießen.“

„Genau!“, rief Claudia. „Dann knallt es auch bei uns immer öfter. Und so ein Knallkopf könnte in der Schule auftauchen. Drum sag’ ich ja: Die Schule ist gefährlich.“

„Ach, du übertreibst“, entgegnete Johanna. „Wir haben viel strengere Waffengesetze als die Amerikaner. Aber ... wenn du schon von ,gefährlich‘ redest – gefährlich ist etwas ganz anderes. Magst du zum Beispiel mitkommen zur Räuberhöhle?“

„Räuberhöhle?“ Claudia zog verdutzt die Brauen hoch. „Du meinst doch nicht die verrufene Höhle auf dem Solsterberg!“

„Genau die meine ich.“ Johanna nickte schmunzelnd. Genussvoll fügte sie hinzu: „Von dort komme ich gerade. Ich will herausfinden, ob da wirklich ein Gang beginnt, der zur Burg Riebenstein führt.“

„Na klar – unter der Treibnitz durch!“, brüllte plötzlich eine übermütige Stimme.

Johanna drehte sich erschrocken um und entdeckte ihren Bruder Mario. Unwirsch rief sie ihm zu: „Ha, du Gauner! Du hast uns belauscht!“

„Warum nicht? Ihr habt ja laut genug gequatscht.“ Mario kam grinsend näher.

„Also schön“, erwiderte Johanna entschlossen. „Wollt ihr mir helfen, die Höhle zu ... erforschen?“

„Erforschen? Pah!“ Mario winkte spöttisch ab. „Erforsche lieber dein Gewissen und frag, was Papa und Mama zu so einer Schnapsidee sagen würden!“

„Lass es bleiben!“, brummte Johanna beleidigt. Dann wandte sie sich an ihre Freundin: „Hast du Lust?“

„Ehrlich gesagt: nein“, antwortete Claudia. „In Höhlen herumkriechen und so – das ist mir viel zu gefährlich.“

„Tja ... kein Wunder, dir ist ja schon die Schule zu gefährlich“, stichelte Johanna. Doch Claudia ging nicht darauf ein und erwiderte gutmütig: „Komm zu mir Musik hören! Das interessiert mich mehr als deine Räuberhöhle.“

Johanna seufzte und ging zu ihrer Freundin. Die ahnte nicht, wie sehr sie sich noch für die Räuberhöhle „interessieren“ würde.

4

Vertrieben

„Anti-Sportler!“ Nicht Mario hatte das zu seiner Schwester gesagt, sondern diesmal war’s umgekehrt: Sie hatte ihn so genannt, weil er sie an diesem Dienstagmorgen – dem zweiten Ferientag – nicht zur Räuberhöhle auf dem Solsterberg begleiten wollte; nicht einmal mit dem Fahrrad.

„Ich bin kein Bergsteiger“, brummte er sie verschlafen an, ohne sich in seinem Bett aufzurichten. „Wenn du unbedingt Räuberbraut spielen willst, geh gefälligst allein auf deinen Berg!“

„Anti-Sportler!“, wiederholte Johanna. Sie ließ ihren Bruder im Bett liegen und machte sich wieder zu Fuß auf den Weg, diesmal mit einer kleinen Taschenlampe, die in die Hosentasche passte.

„Schade, dass Claudia nicht mitkommen will“, dachte Johanna, als sie mit zügigen Schritten über die steilste Stelle der Solster Straße keuchte. „Claudia ist mit ihren dreizehn Jahren viel stärker gebaut als ich. Die kann zupacken! Zu zweit könnten wir ein paar von den Steinen aus der Höhle schaffen, sodass wir zum Gang durchkommen – falls da wirklich einer ist.“

Und wenn da kein Gang war? Wenn sich Johanna zum zweiten Mal nutzlos über die Straße hinauf plagte?

Na wennschon – dann war’s eben ein Ferienspaziergang!

Wieder einmal brummte ein Auto hinter Johanna heran.

„Dem geht auch schon fast die Luft aus, so wie mir“, dachte sie grinsend. Mit einem raschen Seitenblick stellte sie fest, dass es ein alter, hellgrauer Kombiwagen war, der sich jetzt genau neben ihr bergauf quälte.

„Arme Rostschüssel! Du fällst gleich auseinander vor lauter Anstrengung!“, rief Johanna dem Fahrzeug in Gedanken zu. Es kümmerte sich nicht darum, rollte in die Rechtskurve am Ende der steilsten Stelle und verschwand hinter einer kleinen Baumgruppe. Kurz darauf änderte sich das Dröhnen des Motors. Der Lenker hatte auf einen anderen Gang geschaltet. Als auch Johanna die Kurve erreichte, konnte sie den Wagen nicht mehr sehen.

„Ein Auto müsste ich sein!“, dachte sie seufzend. „Dann wär’ ich in null Komma nichts auf dem Solsterberg. Außerdem hätte ich einen großen Laderaum, mit dem ich den ganzen Schutt aus der Räuberhöhle abtransportieren könnte – bis der unterirdische Gang frei wäre ...“

Johanna musste über ihren eigenen Einfall schmunzeln. Ein Kinderbuch fiel ihr ein. Darin hatte sie gelesen, wie ein sonderbares Wesen von einem fremden Stern den Menschen ein „Wundermittel“ geschenkt hatte. Davon bekamen sie statt der Beine schnelle Räder und flitzten durch die Gegend wie Rennwägen.