Geheimnis am Berg - Toni Traschitzker - E-Book

Geheimnis am Berg E-Book

Toni Traschitzker

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Beschreibung

Geheimnis am Berg In der Fortsetzung zum Buch "Geheimnis am See" erleben die Kinder der Familie Rebers neuerlich sonderbare Abenteuer mit ihren Kärntner Freunden. Diesmal zieht es sie aufs Gebirge hinauf, vor allem Jan. Mit einer Wette will er dem Hotelburschen Alf zu einem Arbeitsplatz verhelfen. 148, Seiten, Illustrationen vom Autor.

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Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Benny sieht Gespenster

Kummer mit Alf

Hilde oder ein Geist?

Sogar in der Kirche

Wenn Jan fürs Gipfelstürmen übt

Ein Musikinstrument als Köder?

Bergführer, Kellner oder Koch

„Vorsicht, Igelfritzen!“

Wer kommt mit?

Frühsport in der Schlucht

Ein anderer Jan

Die Wette gilt!

Trainingsziel Cleary-Brunnen

Wenn Benny Streiche spielt

Falsche Hoffnungen?

Sauwetter

Der Meisterdetektiv

Noch eine Enttäuschung?

ALF + FRED =?

Murlis Plan

Steigen, steigen

... klettern!

Auf dem Berg

... am Berg!

Alf trumpft auf

Vorwort

von Tonya

Liebe Leserinnen,, liebe Leser!

Kennt ihr das Buch „Geheimnis am See“?

Die Familie Rebers aus Deutschland macht zum ersten Mal Urlaub an einem Badesee in Kärnten. Mit Blitz und Donner, richtig zum Angstkriegen, so beginnt das Buch! (Ich weiß das, ich war ja heimlich dabei.) Zum Fürchten ist es vor allem für Mieke Rebers weitergegangen: Sie hat sofort gemerkt, dass ihr ein zwielichtiger Hotelgast hinterherspioniert. Lange hätte sie das wahrscheinlich nicht ausgehalten – wenn da nicht Murli, die Tochter des Hotelbesitzers, gewesen wäre. Die hat Mieke sofort Freundschaft angeboten.

Murli war damals zwölf Jahre alt – ein Jahr älter als Mieke und ein Jahr jünger als Jan, Miekes größerer Bruder. Mit ihm und ihrem kleinen Bruder Benny hat Mieke im Hotel „Seehof“ allerlei mitgemacht, das kann ich euch versichern!

Trotz der Aufregungen und Ärgernisse mit einheimischen Frechdachsen haben Mieke und Jan darauf gedrängt, den nächsten Urlaub wieder bei Murli am See zu verbringen. Jan hat sich sogar vorgenommen, auf den Hühnersberg zu steigen. Für Papa Rebers wäre so eine Kletterei ein Alptraum. Trotzdem hat er zugestimmt, wieder mit der Bahn auf Urlaub nach Kärnten zu fahren. Und jetzt ist es so weit ...

1

Benny sieht Gespenster

„Juchhu! Wir sind draußen! Und die Sonne scheint noch immer!“

Begeistert fing Benny beim Fenster zu hüpfen an. Hinter der Scheibe war’s augenblicklich hell geworden, als der Schnellzug den Tunnel verlassen hatte. Statt finsterem Gemäuer schienen jetzt Bäume und Sträucher vorbeizuflitzen.

„Hör auf mit dem Gehopse, Benny!“, mahnte die Mama, obwohl ihr vor Erleichterung selber zum „Hopsen“ zumute war. Soeben waren sie durch den berüchtigten Tauerntunnel gerast! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hatten sie mitten drin eine Schnellbremsung erlebt. Der Zug war in der langen, unheimlichen Tunnelröhre stehen geblieben – wegen Bauarbeiten, wie sich gleich herausgestellt hatte. Was für ein Schrecken, diese Schnellbremsung! Benny, damals kaum sechs Jahre alt, hatte vor Angst geheult.

Jetzt strahlte er übers ganze Gesicht, wie man so sagt. Freudig rief er: „Schönes Wetter! Auf beiden Seiten des Tunnels! Nicht so ein Graus wie voriges Jahr, als es auf der einen Seite des Berges sonnig war und auf der anderen geschüttet hat. Das werden heuer tolle Ferien!“

„Ja, ja! Setz dich wieder hin, du tolles Bürschchen!“, erwiderte die Mama.

Kurz darauf knackte es im Lautsprecher, und die nächste Haltestelle wurde angekündigt.

„Mallnitz“, wiederholte Jan, Bennys „großer Bruder“. „Bei der nächsten Station müssen wir aussteigen.“

Einige Fahrgäste wollten anscheinend schon jetzt aussteigen. Benny sah sie an der Schiebetür des Zugabteils vorübergehen. Eine eher unauffällig wirkende Frau mit langem, dunkelblondem, gewelltem Haar blieb plötzlich stehen. Sie winkte Benny freundlich zu – geradeso als würde sie ihn kennen.

„Servus, Tante!“, rief der Kleine fröhlich und winkte ebenfalls.

Die „Tante“ lächelte, winkte noch einmal und ging weiter, bevor Bennys Eltern und Geschwister sie gesehen hatten.

„Mit wem redest du, Benny?“, fragte die Mama verwundert.

„Da war grad so eine nette Tante draußen. Sie hat mir ganz lieb zugewinkt und gelacht“, berichtete Benny eifrig. „Aber kennen tu’ ich sie nicht. Sie hat einen lustigen Rock angehabt: ganz weit und dunkelblau mit roten Punkten. Ich glaube, das waren rote Kirschen. Und ihre Bluse war blaugrün, mit langen Ärmeln. Die sind bis zu den Händen immer breiter geworden. Trompetenärmel.“

„Ach, du erzählst ja Märchen!“, erwiderte Mieke, Bennys zwölfjährige Schwester. „Warum sollte dir eine wildfremde Person ganz lieb zuwinken?“

„Na weil sie weiß, dass ich ganz lieb bin“, antwortete Benny überzeugt.

„Woher soll sie das wissen?“ Mieke lachte spöttisch.

„Das ... das ... “ Benny suchte nach einer Antwort. Schließlich meinte er: „Das sieht man ja, dass ich ganz lieb bin.“ Mit treuherziger Miene wandte er sich an die Mama: „Das stimmt doch, Mama. Oder?“

„Ja, ja, ja“, entgegnete sie lachend. „Du bist ganz lieb, solange du dich nicht mit deiner lieben Schwester zankst.“

„Wir zanken ja gar nicht“, widersprach die „liebe Schwester“.

Jan mischte sich grinsend ein: „Nein, die zanken nicht. Die reden nur Blödsinn.“

„Du redest Blödsinn!“, rief Benny.

„Ruhe, Kinder!“, mahnte der Papa. „Beim Bahnfahren wird kein Blödsinn geredet. Also brav sein!“

Benny schob beleidigt die Unterlippe nach vorn. Er überlegte kurz, dann sagte er: „Eine Halskette hat sie auch gehabt. Mit einem großen, silbernen Herz dran.“

„Wer?“, fragte Mieke verwirrt.

„Na, die ... die nette Tante“, entgegnete Benny zögernd. „Aber ihr habt sie sowieso nicht gesehen. Ihr habt überhaupt nicht aufgepasst.“

Im selben Augenblick blieb der Zug mit einem Ruck stehen.

„Schnell, Benny, komm her zum Fenster!“, forderte Mieke ihren kleinen Bruder auf. „Schau hinaus und zeig mir deine – nette Tante! Vielleicht ist sie gerade ausgestiegen.“

Benny huschte zum Fenster. Er drückte seine Nase beinahe an der Scheibe platt, aber er konnte die nette Tante nirgends erspähen.

„Na, wo ist sie denn? Deine Tante mit dem blauen Kirschenrock?“ Mieke lächelte spöttisch.

„Vielleicht ... vielleicht ...“

Benny wusste keine Antwort. Da mischte sich der Papa ein: „Vielleicht ist die Frau gar nicht ausgestiegen.“

Jan fügte grinsend hinzu: „Vielleicht gibt es sie überhaupt nicht, und Benny sieht heute nur Gespenster. Tauerntunnel-Gespenster.“

„Du bist auch ein Gespenst!“, rief Benny erregt. „Und dich seh’ ich auch. Also habe ich die Frau wirklich gesehen.“

„Hört auf zu zanken, ihr Gespenster! Sonst werde ich zum Krampus und renne euch mit der Rute durch den ganzen Zug hinterher.“ Der Papa drohte mit dem Zeigefinger und schmunzelte.

„Das darfst du nicht!“ Benny schmunzelte ebenfalls. „Im Zug darf niemand herumlaufen.“

„Stimmt“, bestätigte der Papa. Er stand auf und sah nach den Koffern im Gepäcknetz. „Macht euch langsam fertig – bei der nächsten Station müssen wir aussteigen.“

„Hoffentlich ist Herr Ennetmoser mit seinem Kleinbus pünktlich dort“, sagte Jan.

2

Kummer mit Alf

Herr Ennetmoser, der Besitzer des Hotels „Seehof“, wartete tatsächlich schon auf dem Bahnsteig, um seine Gäste abzuholen. Neben ihm stand ...

„Nanu – das ist aber nicht Alf!“, stellte Jan verwundert fest. „Ist das ein neuer Hotelbursch?“

Der neue Hotelbursch war kleiner als Alf, der im Vorjahr beim Koffertragen geholfen hatte. Außerdem sah er jünger aus.

„Das ... das gibt’s ja gar nicht! Diese Stirnfransen kenn’ ich doch ...“ Mieke starrte einen Augenblick auf Herrn Ennetmosers Begleiter. Auf einmal platzte sie heraus: „Murli!“ Dann rannte sie los – geradewegs auf den neuen Hotelburschen zu.

„Murli!“, rief sie. „Was hast du mit deinen Haaren gemacht?“

„Nur a bissl kürzer obschneid’n loss’n.“ Murli, die jüngere Tochter des Hotelbesitzers, grinste vom jetzt sichtbaren einen Ohr zum anderen, jetzt ebenfalls sichtbaren Ohr. Sie hatte ihren Kärntner Dialekt, in dem „a“ oft wie „o“ klang, wieder einmal nicht unterdrücken können.

Jan, der seiner Schwester eilig gefolgt war, rief lachend: „Servus, Murli! Ich hab’ schon geglaubt, du wärst eine Mini-Ausgabe von Alf.“

„Von wegen Mini-Ausgabe!“ Murli grinste angriffslustig. „Du kriagst glei’ a Mini-Ausgabe von ana Kärntner Watsch’n. Auf Hochdeutsch: eine Kärntner Ohrfeige.“

„He! Liesl!“, mahnte Herr Ennetmoser. Murli hieß in Wirklichkeit Marlies, ihre Eltern riefen sie „Liesl“. „Wie redest du mit unsere Gäst’?“

„De Gäst’ ...“ Murli zeigte auf Mieke und Jan. „... de sein kane Gäst’. De sein meine Freind. Auf Hochdeutsch: Die sind meine Freunde.“

„A so!“ Herr Ennetmoser grinste. „No scheen! Donn nimm glei’ ihre Koffer und bring se zum Auto!“

Murli lachte und gehorchte. Ihr Vater packte ebenfalls tüchtig mit an, und wenige Minuten später war das Gepäck der Familie Rebers in seinem Kleinbus verstaut.

„Alles einsteigen!“, rief Herr Ennetmoser fröhlich.

Murli setzte sich neben Mieke. Die beiden waren ja im vergangenen Sommer Freundinnen geworden.

„Was ist eigentlich mit Alf?“, erkundigte sich Mieke, als der Kleinbus losfuhr.

„Ach!“ Murli seufzte schwer. „Alfi macht mir Kummer.“

„Wieso?“

Murli seufzte wieder. Dann erzählte sie – so gut sie konnte auf Hochdeutsch –, dass Alf inzwischen die Pflichtschule abgeschlossen, aber keine Arbeitsstelle gefunden habe. Im Sommer könne er zwar im Hotel „Seehof“ aushelfen, weil es da am meisten zu tun gebe. Doch danach sah es für ihn trüb aus. Es bliebe nur eine Lösung, falls Alf im „Seehof“ fix angestellt werden wolle: Er müsse Kellner oder Koch lernen.

„Will er das nicht?“, fragte Mieke.

„Ach, er weiß nicht, was er will.“ Murli seufzte abermals. „Als Kellner kann ich ihn mir – ehrlich gesagt – nicht gut vorstellen.“

„Ich auch nicht“, gestand Mieke. „Im Vorjahr hat er mit uns in den zwei Ferienwochen so wenig gesprochen wie ich mit Jan an einem halben Tag. Außerdem müsste sich Alf endlich dazu aufraffen, mit den Hotelgästen hochdeutsch zu sprechen.“

„Ja. Und mindestens eine Fremdsprache dazu“, bestätigte Murli. „Aber in Englisch wäre er im letzten Schuljahr beinahe durchgefallen; und von Italienisch oder Französisch hat er keinen Schimmer.“

„Da bleibt ihm wohl nur noch der Beruf Koch“, meinte Mieke. „Wie sieht’s damit aus?“

„Na ja, unser Koch, Herr Wutschnig, wird in ein paar Jahren in Pension gehen“, entgegnete Murli. „Da würde mein Papa für ihn einen tüchtigen Nachfolger brauchen. Aber Alf hat einmal gesagt, er will nicht wie ein dicker Mops durch die Gegend laufen.“

„Wieso? Es gibt ja auch schlanke Köche“, erwiderte Mieke.

„Eben!“, bestätigte Murli. „Das hab’ ich ihm ja auch schon gesagt. Aber er hat nur lustlos irgendetwas vor sich hin gebrummt.“

Mieke schwieg nachdenklich. Auf einmal platzte sie heraus: „Soll ich einmal mit ihm reden?“

Murli grinste. „Das wär’ nicht schlecht. Aber wahrscheinlich aussichtslos.“

„Is jo wurscht. I probier’s.“ Mieke grinste ebenfalls, Murli stutzte und fragte verblüfft: „Seit wann redest du Kärntnerisch?“

„Seit ich dich – äh – di kenneng’lernt hob’“, versuchte Mieke wieder auf Kärntnerisch zu antworten. Auf Hochdeutsch fügte sie hinzu: „Man kann alles lernen, wenn man will. Warum sollte das gerade Alf nicht gelingen?“

„Donn red holt du mit ihm!“, schlug Murli vor.

Mieke antwortete nicht. Doch sie spielte schon mit dem Gedanken, wie schön das wäre, wenn sie Alf dazu bringen könnte, Koch zu lernen; oder Kellner ...

Noch am selben Abend bot sich Mieke die Gelegenheit für eine kurze Plauderei mit Alf. Es war bereits spät, alle anderen Gäste hatten den Speisesaal längst verlassen. Wie schon im Vorjahr servierte Herr Ennetmoser persönlich das Abendessen für die Familie Rebers. Murlis ältere Schwester Hilde brachte die Getränke – zu Bennys größtem Erstaunen.

„Hilde!“, rief er aufgeregt. „Wo hast du deine schönen roten Haare vom letzten Sommer? Jetzt ist dein Pferdeschwanz ganz schwarz!“

„Ich weiß, Benny.“ Hilde lachte. „Aber schwarze Haare gefallen mir auch gut.“

„Hmmm.“ Benny verzog seinen Mund zu einem breiten Schmunzeln. „Dir würden vielleicht blaue Haare auch gut gefallen. Oder grüne.“

„Warum nicht?“, entgegnete Hilde. „Hast du noch die rote Perücke, die ich dir voriges Jahr geschenkt habe?“

„Freilich! Sogar im Koffer drin!“ Benny nickte eifrig. „Beim Abschlussfest kann ich sie mir wieder aufsetzen und mit dir tanzen. So wie im Vorjahr. Aber jetzt, wo du schwarze Haare hast, müsstest du mir eine schwarze Perücke schenken.“

„Ach, Benny!“, rief Hilde lachend. „Du redest vom Abschlussfest. Ihr seid doch gerade erst angekommen. Willst du schon wieder nach Hause?“

„Nein, wirklich nicht.“ Benny schüttelte heftig den Kopf. Er überlegte kurz und fragte plötzlich: „Du, Hilde ... gehst du mit mir auf den Hühnersberg?“

„Auf den Hühnersberg? Aufs Gmeineck?“ Hilde riss verblüfft die Augen auf. Dann lachte sie und rief: „Aber Benny! Dieser Berg ist viel zu hoch für uns zwei! Der ist nur etwas für richtige Bergsteiger und Sportler.“

Benny erwiderte: „Du bist ja auch ein Sportler. Du kannst gut tanzen.“

„Ach so!“ Hilde lachte wieder. „Du meinst also, ich könne ganz einfach auf den Berg hinauf tanzen?“

Benny nickte. Da mischte sich sein Bruder Jan ein und fragte Hilde: „Ist der Berg wirklich so arg? Auf den würde ich nämlich auch gern einmal hinauf.“

„Du? Na ja, du bist größer und stärker als Benny“, gab Hilde zu. „Aber ... einen Begleiter, der sich auskennt, würdest du brauchen.“

Plötzlich hörte sie, dass sich hinter ihr jemand näherte. Sie schaute sich kurz um, dann wandte sie sich wieder an Jan und deutete mit dem Daumen über die Schulter zurück: „Frag den da!“

Alf kam angeschlendert!

Neben Hilde blieb er stehen, sah ein wenig verlegen vom einen zum anderen und grüßte: „’ß Gouut.“

Mieke und Jan wussten schon, dass das „Grüß Gott“ bedeutete. Freundlich grüßten sie zurück. Ihre Eltern sagten: „Guten Abend“, und Benny rief: „Hallo, Alf! Gehst du mit mir auf den Hühnersberg?“

„Wos? Wohin?“ Alf schaute den Kleinen verdutzt an.

„Auf den Hühnersberg“, wiederholte Benny. „Hilde sagt, man kann auch ,Gmeineck‘ sagen.“

„Gmeineck? Jo!“ Alf grinste. „Dos is’ wirklich a g’meines Eck. A Kniabeißer.“

„Kni-a-beißer?“

Benny machte ein verwirrtes Gesicht. Hilde klärte ihn auf: „Alf meint ,Kniebeißer‘. Wenn man aufs Gmeineck steigt, tun einem die Knie weh. So anstrengend ist das.“

„Wirklich?“ Benny blickte Hilde einen Augenblick enttäuscht an. Schließlich sagte er unbekümmert: „Ach, ich geh’ sowieso lieber schwimmen.“

Die anderen lachten. Hilde erkundigte sich, ob jemand noch etwas brauche. Doch alle waren mit ihren Getränken zufrieden, also ging Hilde weg. Alf blieb allein bei den Gästen stehen.

„Wie geht’s, Alf?“, fragte Mieke.

„No jo“, brummte Alf, nicht gerade fröhlich.

Mieke musste an ihr Gespräch über ihn mit Murli denken und fragte geradeheraus: „Stimmt es, dass du auf Arbeitssuche bist? Kannst du gleich hier im Hotel bleiben?“

„I waaß nit.“ Alf wischte sich die langen Stirnfransen aus dem Gesicht und starrte verlegen auf den Fußboden.

Mieke setzte nach: „Murli sagt, der Koch geht bald in Pension. Wär’ das was für dich: Hotelkoch?“

„Aaach“, murmelte Alf, und man merkte gleich, dass er darüber nicht sprechen wollte.

Jan mischte sich mit einer anderen Frage ein: „Warst du schon einmal auf dem Gmeineck?“

„I? Freilich.“ Alf nickte.

„Würdest du mit mir hinauf wandern?“

„Aufs Gmeineck? Wondern?“ Alf sah Jan verschmitzt an. „,Steig’n‘ muasst sog’n – nit ,wondern‘.“

„Na und?“ Jan machte ein erwartungsvolles Gesicht.

„Geh liaba schwimmen!“, schlug Alf vor.

Da platzte der Papa mit einem lauten Gelächter heraus und rief: „Recht hat er! Wir sind wirklich alles andere als eine Bergsteigerfamilie.“

„Stimmt!“, bestätigte die Mama.

Mieke überlegte hastig, wie sie mit Alf über seine zukünftige Arbeit sprechen könnte, doch da fragte er: „Brauchen S’ noch etwos?“

Nein, alle hatten genug zu essen und zu trinken. Also verabschiedete sich Alf, drehte sich um und ging weg.

„Der will einfach nicht reden“, dachte Mieke seufzend.

3

Hilde oder ein Geist?

Wie schon im Vorjahr teilten sich Jan und Mieke ein Zimmer, Benny schlief bei den Eltern. Von der langen Eisenbahnfahrt waren alle müde. Trotzdem lagen Jan und Mieke noch lange wach und plauderten miteinander. Irgendwo in der Nachbarschaft bellte ein Hund. Es war wohl derselbe, den Jan im Vorjahr als „Nachteule“ bezeichnet hatte, die ins Bett „abfliegen“ solle. Diesmal mischte sich ein zweiter Hund bellend ein, und bald schien es, als wollten die beiden überhaupt nicht mehr aufhören.

„Die telefonieren wohl miteinander“, meinte Mieke.

„So wie du mit deinen Freundinnen“, stichelte Jan. „Ihr werdet auch nie fertig.“

„Hör auf zu spötteln!“, erwiderte Mieke. „Denk dir lieber etwas aus, wie wir Alf dazu bringen, dass er Koch lernen will!“

„Hm ...“ Jan grinste plötzlich. „Man müsste ihn hungern lassen, sodass er sich immer selber etwas kochen muss. Dann käme er bestimmt bald drauf: Kochen können ist eine feine Sache!“

„Bis er das merkt, vergeht Zeit“, wandte Mieke ein. „Wir bleiben aber nur zwei Wochen hier.“

„Hm ...“ Jan überlegte weiter. „Vielleicht ... vielleicht könnten wir mit ihm irgendeine Wette abschließen.“

„Was für eine Wette?“

„Na ja, zum Beispiel ... dass ich es schaffe, bis zum Gipfel des Gmeinecks zu steigen; obwohl Alf gesagt hat, das wäre ein Kni-a-beißer – ein Kniebeißer.“

Mieke lachte. Dann meinte sie, das Einfachste wäre wohl, wenn Murli ihren Vater überredete, dass er Alf oft zum Küchendienst einteilte. Vielleicht müsste man vorher ein paar Worte mit dem Koch reden, damit er Alf aufs Kochenkönnen neugierig machte.

„Und wie wär’s mit Alf vielleicht doch als Kellner?“, fragte Jan. „Alf – der schweigsamste Kellner von ganz Mitteleuropa!“

„Schweig lieber du mit so verrückten Ideen!“ Mieke kicherte leise.

„Also gute Nacht, ab jetzt schweige ich“, entgegnete Jan. Dann tat er so, als würde er schnarchen.

„Verrückter Bruder, du“, flüsterte Mieke.

„Chrrr! Chrrr!“, schnarchte Jan lautstark auf. Kurz darauf schlief er wirklich.

Mieke lag noch immer wach. Die beiden Hunde draußen hatten aufgehört zu „telefonieren“, der Nachtwind raschelte im Laub der Büsche und Bäume.

Mieke seufzte leise. Sie war froh, dass es vor dem Fenster friedlich blieb und nicht so schaurig zuging wie im Vorjahr in der ersten Nacht am See. Damals hatten Blitz und Donner Mieke ins Zimmer der Eltern verscheucht – und Jan schließlich auch. Am selben Abend hatte sich Mister Cleary bei Wind und Wetter mit seinem Fotoapparat im Freien herumgetrieben. Mister Cleary – der große „Gauner“ aus England!

Mieke musste lächeln, als sie daran zurückdachte. Die Sache mit dem englischen Hotelgast war zuletzt harmlos ausgegangen. Würde er auch dieses Jahr wieder im Hotel „Seehof“ aufkreuzen?

Mieke konnte nicht einschlafen. Immer wieder musste sie an die erste Hotelnacht im Vorjahr denken: an die „Blitzangstpralinen“, die Herr Ennetmoser den Kindern geschenkt hatte; an die ersten Blitze und das grässliche Donnerkrachen; an die Angst, als Mieke das Zimmer verlassen hatte und in den Gang hinausgetreten war, bis zum Gangfenster ...

Plötzlich konnte Mieke nicht anders – sie stand auf und tappte im Halbdunkel zur Zimmertür.

Jan merkte nichts. So wie im Vorjahr schlief er schon fest. Seine Schwester öffnete leise die Tür – und erreichte kurz darauf wieder jenes Gangfenster im zweiten Stock, von wo sie damals den Engländer beobachtet hatte.

Stand er wieder draußen? Mit seinem Fotoapparat?

Unsinn! Diesmal wohnte er gar nicht im Hotel. Vielleicht hatte er nicht einmal Urlaub.

Miekes Augen mussten sich erst an die Dunkelheit unten im Hof gewöhnen. Die Mauer eines Nebengebäudes leuchtete schwach im Restlicht einer Laterne, die man vom Fenster aus nicht sehen konnte. Mieke erkannte die Umrisse jener Eingangstür mit Vordach, unter dem sie Mister Cleary vor einem Jahr entdeckt hatte. Mit Hut und Fotoapparat hatte er dort unten auf irgendetwas gelauert.

Und diesmal?

Ja, da stand wer! Aber ohne Hut ...

Das war nicht Mister Cleary. Das war kein Mann. Die Gestalt da unten hatte schulterlange Haare. Vom Gesicht konnte Mieke in der Finsternis keine Einzelheiten erkennen.

Wer war das? Jemand vom Hotel?

Ein Gedanke durchzuckte Mieke: Hilde!

Stand Hilde da unten? – Dann musste sie ihre Pferdeschwanzfrisur aufgelöst haben.

Schaute Hilde zum Gangfenster herauf? Das Gesicht hatte sie jedenfalls nicht abgewendet; und plötzlich glaubte Mieke, durch das gekippte Fenster jemanden zischeln zu hören: „Pst! Pst! Geh ins Bett!“

Mieke zuckte zusammen. Mit gedämpfter Stimme rief sie: „Hilde! Bist du’s?“

„Nein! Geh wieder ins Bett! Dieser Platz der Erinnerung ist nicht gut für dich.“ Die Fremde trat einen Schritt tiefer in den Schatten des Vordachs hinein – und war auf einmal nicht mehr zu sehen.

„Spinn’ ich?!“, dachte Mieke erschrocken. Sie spürte ihr Herz vor Angst klopfen.

„Geh endlich!“, glaubte sie noch zu hören.

Unter dem Vordach rührte sich nichts mehr. Da machte Mieke kehrt und tappte, so schnell sie konnte, im dunklen Gang zum Zimmer zurück.

Jan schlief noch immer. Er merkte nichts, als sich seine Schwester, zitternd vor Schreck, in ihr Bett verkroch.

4

Sogar in der Kirche ...

„Hab’ ich alles nur geträumt?“, fragte sich Mieke, als sie am Morgen erwachte.

Draußen war es längst taghell. Mieke richtete sich im Bett auf und rieb sich die Augen. Der Wecker zeigte auf dreiviertel sieben Uhr. Jan schlief noch.

„He! Schlafmütze!“, rief Mieke.

Die Schlafmütze rührte sich nicht. Da reizte es Mieke, ihrem Bruder den Kopfpolster wegzuziehen.

„Heee ... Mieke! Was machst du?“ Jan versuchte den Polster festzuhalten.

„Es ist gleich sieben. Zeit für Frühaufsteher und Gmeineckstürmer!“, rief Mieke.

„Gmeineck? – G’meinheit, jemanden so aus dem Schlaf zu reißen!“, beschwerte sich Jan. Doch dann stand er schnell auf.

Mieke beschloss, ihrem Bruder nichts von dem merkwürdigen Erlebnis beim Gangfenster zu erzählen. Vielleicht war’s ohnehin nur ein Traum gewesen ...

Ein paar Minuten danach trieb Jan mit seinen Eltern dasselbe, was Mieke mit ihm getrieben hatte: Er zog ihnen die Kopfpolster weg.

„Gemeinheit!“, schimpfte der Papa lachend.

„Nix Gemeinheit – Gmeineckzeit! Auf zum Gmeineck!“, rief Jan übermütig.

„Ich will mit!“, meldete sich Benny, der vom Gelärm im Zimmer wach geworden war. Die Mama wandte sich ihm zu und sagte: „Verrückter kleiner Gipfelstürmer! Stürm zuerst lieber mit uns hinunter in den Speisesaal, zum Frühstück!“

Etwa eine Viertelstunde später saß die Familie Rebers tatsächlich beim Frühstück, aber nicht im Speisesaal, sondern draußen auf der Terrasse. Die Sonne schien, die Luft war angenehm mild.

Hilde brachte das Frühstück und sagte fröhlich: „Alle so früh auf, obwohl heute Sonntag ist! Mieke, Jan, Benny – wollt ihr mit meiner Schwester in die Kirche gehen?“

Ja, das wollten sie! Zum Schwimmen im See war es ohnehin noch zu kühl. Hilde verständigte Murli, und die spazierte gleich nach dem Frühstück mit Mieke, Jan und Benny zur Kirche. Papa und Mama wollten lieber zur Abendmesse gehen.

„Wir haben jetzt eine Orgelspielerin“, erzählte Murli unterwegs. „Die kann spielen!“

Murli hatte recht. Vor allem Mieke war von der vielstimmigen Musik begeistert und hätte der großartigen Musikantin gern zugeschaut. Aber Murli hatte für sich und ihre drei Begleiter einen Sitzplatz gewählt, von dem man die Orgel nicht sehen konnte.

Mieke blickte über die Schulter zurück – so wie im Vorjahr, als sie ebenfalls vergeblich nach den Orgelpfeifen ausgespäht hatte. Zu ihrem Schrecken hatte sie damals etwas anderes entdeckt: Mister Cleary, den geheimnisvollen Engländer. Er war in der hintersten Bank auf der linken Seite der Kirche gesessen.

Saß er auch jetzt wieder dort?

Nein, natürlich nicht!

Mieke konnte sich noch genau an den Platz erinnern, von wo aus er sie dauernd beobachtet hatte. Diesmal saß dort eine Frau mit langen, gewellten Haaren. Sie lächelte und nickte, als sie merkte, dass Mieke zu ihr zurückschaute.

Verlegen wandte sich Mieke wieder nach vorn. Es gehörte sich nicht, während der Messe unbekümmert nach hinten zu gaffen!

Mieke konnte es nicht lassen: Ein paar Minuten später blickte sie wieder über die Schulter zurück zu der Frau. Die merkte es, lächelte und deutete mit einer Kopfbewegung an, dass Mieke nach vorn sehen solle.

„Nicht zu fassen! Ich bin genau so blöd wie voriges Jahr!“, dachte Mieke. Sie beschloss, sich zu beherrschen und sich nicht mehr umzudrehen. Es gelang ihr nur mit Mühe. Die Person da hinten auf Mister Clearys Platz