Treue um Treue - Frank Wells - E-Book

Treue um Treue E-Book

Frank Wells

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Beschreibung

Western Helden – Die neue Reihe für echte Western-Fans! Harte Männer, wilde Landschaften und erbarmungslose Duelle – hier entscheidet Mut über Leben und Tod. Ob Revolverhelden, Gesetzlose oder einsame Reiter auf der Suche nach Gerechtigkeit – jede Geschichte steckt voller Spannung, Abenteuer und wilder Freiheit. Erlebe die ungeschönte Wahrheit über den Wilden Westen Die hundert Meilen durch die Hochwüste von Idaho hatten Mann und Pferd an den Rand der Erschöpfung gebracht. Hundert Meilen trostloser Öde lagen hinter ihnen, doch jetzt winkten die kahlen Hügel und die schroffen Berge dahinter ganz nah. Bis zur Nacht musste das Ziel erreicht sein! Robin Ford schaute immer wieder besorgt auf den linken Vorderhuf des Wallachs. Vor Stunden schon war »Golden Star« in ein tückisches, vom Alkalisand zugewehtes Loch getreten. Seitdem begann der Falbe immer zaghafter aufzutreten und leicht zu lahmen. Es schien so, als schwelle die Fessel direkt über dem Huf allmählich an. Das war schlimm, besonders für einen Mann, der nicht wusste, wie weit sein Ziel noch entfernt lag. Und der es eilig hatte, weil ein Freund ihn um Hilfe bat. Der Brief Audie Brandons brannte in Robins Tasche. Sie hatten sich seit langen Jahren nicht gesehen. Seit dem Bürgerkrieg, in dem sie Bügel an Bügel geritten waren, hatten ihre Wege sich getrennt. Hin und wieder ein Lebenszeichen, das war alles. Robin Ford kannte jede Zeile des Schreibens auswendig. »Alter Junge!«, schrieb Audie. »Habe durch Zufall Deine Fährte wieder ausgegraben. Ein durchreisender Felljäger brachte mir Deinen Gruß … just zur rechten Zeit. Komm bitte sofort nach Ox Bow.

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Western Helden – 3 –

Treue um Treue

Frank Wells

Die hundert Meilen durch die Hochwüste von Idaho hatten Mann und Pferd an den Rand der Erschöpfung gebracht. Hundert Meilen trostloser Öde lagen hinter ihnen, doch jetzt winkten die kahlen Hügel und die schroffen Berge dahinter ganz nah. Bis zur Nacht musste das Ziel erreicht sein!

Robin Ford schaute immer wieder besorgt auf den linken Vorderhuf des Wallachs. Vor Stunden schon war »Golden Star« in ein tückisches, vom Alkalisand zugewehtes Loch getreten. Seitdem begann der Falbe immer zaghafter aufzutreten und leicht zu lahmen. Es schien so, als schwelle die Fessel direkt über dem Huf allmählich an. Das war schlimm, besonders für einen Mann, der nicht wusste, wie weit sein Ziel noch entfernt lag. Und der es eilig hatte, weil ein Freund ihn um Hilfe bat.

Der Brief Audie Brandons brannte in Robins Tasche. Sie hatten sich seit langen Jahren nicht gesehen. Seit dem Bürgerkrieg, in dem sie Bügel an Bügel geritten waren, hatten ihre Wege sich getrennt. Hin und wieder ein Lebenszeichen, das war alles.

Robin Ford kannte jede Zeile des Schreibens auswendig.

»Alter Junge!«, schrieb Audie. »Habe durch Zufall Deine Fährte wieder ausgegraben. Ein durchreisender Felljäger brachte mir Deinen Gruß … just zur rechten Zeit. Komm bitte sofort nach Ox Bow. Sag niemandem, wer Du bist und dass wir Freunde sind. Richte es möglichst so ein, dass Du nachts auf meiner Ranch ankommst – auf der Zelt-Ranch hoch in den Hügeln. Dort, wo der Stadtweg in die Breaks eindringt, findest Du einen Wegweiser. Du brauchst also niemanden nach mir zu fragen. Alles Weitere mündlich. Komm möglichst bis zum 25. August! Nur Du kannst mir helfen. In Eile – so long! Audie.«

Ein Brief, den man nur zwischen den Zeilen lesen konnte. Und wer Audie Brandon kannte wie Robin Ford, der wusste, dass dem ehemaligen Leutnant der Dragoner das Wasser am Halse stehen musste. Denn Audie Brandon war einer der furchtlosesten Männer, die Robin je kennengelernt hatte. Das hatte Audie an jenem Tage bewiesen, als er den verwundeten Robin aus dichtem Feuerhagel in das Lazarett und unter Doc Harbins Messer geschleppt hatte.

Der Brief hatte ihn drüben in Wyoming in Fort Sumpter erreicht, wo er seit einem halben Jahr Zivilscout bei der Armee war. Der Colonel hatte ihm sofort Urlaub auf unbegrenzte Zeit gewährt, denn die Rothäute verhielten sich in ihren Reservationen still und es gab kaum Arbeit für einen Scout.

Den Weg von insgesamt mehr als vierhundert Meilen hatte Robin in fünf Tagen bewältigt. Erst dieser letzte Tag im brennenden Alkalistaub der Hochwüste war ihm und seinem Mustang an die Nieren gegangen.

Robin trug nur einen Revolver, und er trug ihn so hoch wie ein unerfahrener Mann. Für einen Kenner musste die Waffe viel zu weit hinten auf der Hüfte sitzen. Aus dem beinengen Stiefelschaft schaute der Griff eines Hirschhornmessers. Indianische Arbeit – das Skalpmesser eines Sioux-Häuptlings, der nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Das Winchester-Gewehr war natürlich nicht auf dem Büffelmist der Rothäute gewachsen. Auf dem silbernen im Kolben eingelegten Schild stand eingraviert: »Dem Sieger Robin Ford. Laramie 1867.«

Yeah, dies Gewehr war eine Präzisionswaffe. Eine Waffe, wie es sie unter Tausenden nur einmal gab. Alle drei Jahre veranstaltete die Stadt Laramie einen Schießwettbewerb, bei dem der Sieger die beste Winchester des Jahres aus der Werkstatt des berühmtesten Büchsenmachers als Preis bekam. Um diese Waffen hatte es schon Mord und Totschlag gegeben, doch als Robin Ford sie im Vorjahr gewonnen hatte, war keiner seiner Konkurrenten auf die Idee gekommen, sie ihm streitig zu machen. Nicht einmal Utica Kimball, der berüchtigte Man-Killer, der von weither gekommen war, um den Preis zu gewinnen.

Jetzt dachte Robin allerdings nicht an die flüchtige Begegnung mit dem Banditen Kimball. In wachsender Sorge beobachtete er die stetig länger werdenden Schatten zwischen den kahlen Wellen der Wüstenhügel. Seit Stunden dasselbe Bild trostloser Einsamkeit. Kein Baum, kein Strauch, kein Grashalm. Sand, Staub, Felsen und Sonne – und kreisende Geier als einzige Begleiter. Die Stille schien zu summen und in den Ohren zu dröhnen. Stille konnte schrecklich sein.

Doch da … das war ein anderes Geräusch. Es klang wie eine in der Ferne verwehte Stimme. Auch Golden Star hob den müde hängenden Kopf und spielte mit den Ohren. Er legte einen Schritt zu und bei dem beschleunigten Tempo konnte Robin Ford deutlich feststellen, wie sehr der Wallach schon lahmte.

Wieder ein Hügel, doch dahinter öffnete sich plötzlich und durch nichts vorauszusehen ein lang gezogenes breites Becken. Auf den ersten Blick schien es genauso kahl und vegetationslos zu sein wie die gewaltige Hochfläche der Wüste, die hinter ihm lag. Doch dann erkannte Robin Ford in den violetten Schatten des Abends die breit hingelagerten flachen Gebäude einer Ranch inmitten der Mulde, sah staubige Sträucher und tiefer im Tal das matte schmale Band eines Flüsschens. Er sah wie hingesprenkelt und hingetupft die Gruppen von rostbraunen Rindern zwischen verdorrtem Gras. Und er sah den Reiter, der aus einer Mulde jenseits des Tales galoppiert kam und in den Park hinter dem Ranchhaus einbog. Falls man die Anhäufung von verstaubten Pinien, Cottonwoods und Fettholzsträuchern als Park bezeichnen wollte …

»Well«, murmelte Robin Ford, »ich dachte schon, es gäbe auf dieser ganzen elenden Welt überhaupt nichts mehr als Sonne und Sand. Pirschen wir uns ran, Golden Star. Für einen Schluck Wasser wirds schon reichen.«

Er dachte nicht mehr an die Mahnung des Freundes, die Menschen dieses Countys zu meiden. Vielmehr, er dachte schon daran, aber es konnte nichts daran liegen, wenn er für sich und sein Pferd einen Schluck Wasser erbat. Seinen Namen oder den Audies brauchte er deshalb ja nicht zu nennen …

*

Zwischen den flach an die Erde geduckten Gebäuden des Schlafhauses und eines Stalles erreichte Robin Ford den Ranchhof.

Nur das Herrenhaus war zum Teil aus Stein gebaut. Es wirkte wie eine Festung, und zweifellos hatte es schon manchen Sturm überdauert. Nicht nur den ›Blizzard‹, der im Winter mit grimmiger Kälte und ungeheuren Schneemassen von Norden hereinbrach, sondern gewiss auch das höllische Kriegsgeschrei der Rothäute. Nicht umsonst war die Brüstung der Veranda mit Schießscharten ausgestattet. Nicht umsonst hatte der Erbauer dieses Hauses die Fenster so klein gehalten, dass sie eher den vergitterten Löchern von Gefängniszellen glichen.

Robin führte den Wallach zum Brunnen unmittelbar vor dem Stall. Drei breitästige Sykomoren schirmten den gemauerten Brunnen ein wenig gegen die Sonne ab. Dennoch waren die Steine noch heiß, als Robin sich darauf setzte und den Elmer am Lasso in die Tiefe senkte. Er holte ihn halb gefüllt wieder herauf und fasste prüfend mit der Hand ins Wasser. Es war wunderbar kühl, doch nicht zu kalt für den erhitzten Falben.

Robin stülpte den Hut um, füllte ihn und trank. Dann hielt er Golden Star den Eimer vor und achtete sorgfältig darauf, dass das Tier nicht zu gierig trank. Er nahm den Rest Mais aus dem kleinen Sack hinter dem Sattel und hing dem Wallach den Futterbeutel um. Immer noch rührte sich nichts auf der Ranch.

Doch – da knarrte eine Tür drüben im Herrenhaus. Sie wurde sofort wieder geschlossen, und das Klappen klang in der tiefen Stille wie ein Schuss. Robin Ford wartete auf die Schritte, die jetzt zu ihm herüberkommen mussten, doch anscheinend hatte nur jemand im Haus kurz, vor die Tür geschaut und sich sofort wieder zurückgezogen. Vermutlich hatte ihn noch niemand bemerkt oder man hielt ihn für einen Cowboy der Ranch.

Aber, so überlegte er, man würde ihn bestimmt hören, wenn er weiterritt. Und auf einer so einsamen Ranch sah man es meistens nicht gern, wenn Fremde sich unbemerkt davonstehlen wollten. Manche Rancher kriegten so was in die falsche Kehle und wurden wild. Es war also auf alle Fälle besser, wenn er sich drüben kurz für das Wasser bedankte. Am Rande der Wüste war auch ein einfacher Schluck Wasser Gold wert.

Robin tätschelte dem Pferd den Hals und ging langsam über den Hof. Als er die Treppe zur Veranda erreichte, hörte er Stimmen drinnen im Herrenhaus. Sie klangen seltsam dumpf, wie aus einer Gruft. Zweifellos lag der merkwürdige Ton an den dicken Steinwänden des festungsähnlichen Gebäudes.

»… Sie treten das Glück Ihrer Tochter mit Füßen!«, hörte Robin die erregte Stimme eines Mannes. »Ich möchte wissen, was Sie gegen mich haben, Mister Wynn!«

Robins Fuß stockte. Er störte nicht gern die Unterhaltung fremder Menschen – noch dazu eine anscheinend wichtige Unterredung. Er blieb zögernd auf der untersten Treppenstufe stehen.

»Ich werd’s Ihnen sagen«, entgegnete die raue schwere Stimme eines älteren Mannes. »Ihr Gesicht gefällt mir nicht, Ihr Umgang noch weniger und das Hocken am Spieltisch überhaupt nicht.«

»Das sind Ihre Gründe? Ich glaube Ihnen nicht. Mister Wynn. Sie haben einfach etwas gegen mich, weil ich aus den Hügeln komme. Weil ich in Ihren Augen ein armer Pinscher bin und keine hunderttausend Acres Weide habe wie Sie. Aber das kann sich ändern!«

»Narrheit! Sie sind ganz einfach ein Taugenichts. Ich habe einen Blick für Männer! Sie sind kein Mann und werden auch keiner. Ich wünsche, Sie nicht mehr hier zu sehen. Und wenn ich es noch einmal erleben muss, dass Sie Elena den Kopf verdrehen wollen …«

»Das ist Ihr letztes Wort, Mister Wynn?«, kam die scharfe und gepresste Gegenfrage des jüngeren Mannes.

»Natürlich«, grollte der alte Wynn. »Glauben Sie, ich mache Sprüche? Ich kann Ihren Vetter einfach nicht begreifen, dass er Sie in seinem Haus duldet. Oder hat er Sie etwa geschickt? Well – einerlei! Scheren Sie sich hinaus! Ich will Sie nie wieder sehen!«

»Gut! Wie Sie wollen! Sie werden mich nicht wiedersehen! Sie nicht! Sie verdammter alter Narr«

Ein kurzes bösartiges, heiseres Lachen – und dann der trockene scharfe Knall eines Schusses. Noch ein Schuss und noch einer …

Robin Ford stand eine Sekunde völlig erstarrt, wie vor den Kopf geschlagen.

Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Nicht mit Mord.

Er hörte das Stöhnen und gurgelnde Seufzen des zu Tode Getroffenen und dann einen dumpfen Fall. Mit zwei langen Sätzen war er die Treppe hinauf und bei der Tür. Er riss sie auf, die Hand am Colt.

Im gleichen Augenblick klappte hinten im Haus eine andere Tür. Und während Robin seine Augen noch hastig durch den dämmerigen, von einer Petroleumlampe nur schwach erhellten Raum fliegen ließ, hörte er das dumpfe Hämmern von Hufen hinten im Park.

Zu spät. Der Mörder war entkommen.

*

Robin Ford ließ die Tür behutsam ins Schloss gleiten. Er schob den Colt in den Halfter zurück und ging zu dem reglosen Mann hinüber, der quer vor dem Sessel lag, in dem er gesessen halte.

Blicklose Augen starrten ihn an. Augen, über denen schon der Schatten des Todes lag.

Hier musste jede Hilfe zu spät kommen. Zu gut hatte der Mörder gezielt – hatte aus nächster Entfernung die drei Geschosse ins Leben des alten Mannes gejagt. Erbarmungslos, grausam wie ein Raubtier. Ein Mann, der vorgab, die Tochter des Ermordeten zu lieben.

Wenn Robin Ford ein frisches Pferd gehabt hätte, wäre er dem Verbrecher sofort nachgejagt. Gewiss, ihn ging dieser Tote nichts an. Er hatte ihn nie gesehen. Aber Mord ging jeden an! Vor allem in einem Land, in dem das Gesetz noch auf wackeligen Füßen stand – falls es überhaupt schon bis hierhin vorgedrungen war.

Immer noch blieb alles still. Zu still für Robin Fords Geschmack. Sollte dieser alte Mann tatsächlich allein in diesem riesigen Haus sein? Wo steckte seine Mannschaft? Hatte er keinen Koch?

»Hallo!«, rief Robin mit dröhnender Stimme. »Ist hier niemand?«

Keine Antwort. Auch gut. Dem alten Mann war nicht mehr zu helfen, und vielleicht war es ganz gut, wenn niemand ihn, den fremden Mister Robin Ford, zu Gesicht bekam. Womöglich kam noch jemand auf die verrückte Idee, dass er der Mörder sein könnte …

Nach kurzem Überlegen blies Robin die Lampe aus und verließ die Halle. Auf der Veranda stand er eine Weile und schaute über den Hof. Doch in den Schatten regte sich nichts. Der Himmel mochte wissen, wo die Mannschaft dieser geheimnisvollen Ranch steckte. Vor allem schien es Robin seltsam, dass die Tochter des Ranchers sich nicht blicken ließ. Er hielt es einfach für unmöglich, dass auf einer so großen Ranch kein Mann als Wache zurückblieb, wenn schon der größte Teil der Mannschaft aus irgendwelchen Gründen unterwegs sein musste.

Golden Star stand auf drei Beinen, vor dem Brunnen und prustete, als Robin ihm die Hand auf die Kuppe legte. Robin füllte noch einmal den Wassereimer, ließ den Mustang saufen, schaute nach dem lahmen Bein und knurrte einen Fluch, denn die Fessel wies jetzt eine faustdicke Schwellung auf.

»Well, alter Junge – wir müssen trotzdem weiter«, murmelte er. »Tut mir leid, aber ein paar Meilen musst du noch aushalten. Pass auf, ich lockere dir den Bauchgurt und marschiere vor dir her. Ist das okay?«

Der Wallach stupste Robin mit den feuchten Nüstern an und schnaubte zärtlich. Das Tier verstand, die Stimme seines Freundes sehr gut zu deuten.

Robin nahm den Mantelsack ab, wickelte die weichen Mokassins aus und wechselte sie gegen die hochhackigen Reitstiefel, die er beim Marschieren nicht gebrauchen konnte. In den Mokassins konnte er lange Meilen in zügigem Tempo zurücklegen.

Er schnallte den Mantelsack wieder auf, schnürte die Stiefel zusammen und hing sie über das Sattelhorn neben Tomahawk und Gewehr.

Gewehr? Ja, zur Hölle – wo war die Winchester? Siedendheiß durchzuckte der Schreck Robins Glieder. Er glitt um den Wallach herum, griff zum Gewehrhalter, als könne er den eigenen Augen nicht trauen … aber der Scabbard war und blieb leer. Mitsamt der schützenden Lederhülle war das Gewehr verschwunden. Seine Winchester – der Siegespreis der Stadt Laramie, mit seinem eingravierten Namen!

Plötzlich begriff er, dass er nicht allein auf dem Ranchhof war. Dass irgendein verdammter Bursche durch die Schatten kroch, vielleicht schon mit dem Finger am Drücker. Vielleicht ein Komplize des Mörders … oder gar der Mörder selbst?

Nein, das war nicht möglich. Er hatte deutlich gehört, wie der Hufschlag des Mörders sich entfernte. Er bezweifelte auch, dass der Mörder etwas von seiner Anwesenheit geahnt, hatte. Denn ohne Zweifel hätte der heimtückische Bursche sich gehütet, die Kugeln abzufeuern, wenn er einen Zeugen hätte fürchten müssen.

Also ein anderer. Und wahrscheinlich kein Komplize des Mörders, denn der war allein gekommen. Eher schon ein Mann dieser Ranch, der vielleicht im Schlafhaus gepennt hatte und durch die Schüsse geweckt worden war. Der das Pferd gesehen und sich das Gewehr angeeignet hatte. Der vielleicht jetzt wieder im Schlafhaus steckte und warte.

Robin Ford traf seine Entscheidung sofort. Er huschte zum Schlafhaus hinüber, glitt unter den Fenstern entlang, stieß die Tür auf und sprang blitzschnell hinein.

Er wartete auf die Detonation, die nun kommen musste. Doch nichts störte die unheimliche Stille. Nur ein Fensterflügel schwang langsam, wie von Geisterhand bewegt. Es zerrte höllisch an den Nerven.

Robin glitt im Gang vor den Betten entlang zum offenstehenden Fenster. Die Hitze des Tages lastete noch im Raum und trieb den Schweiß aus den Poren. Er schaute vorsichtig aus dem Fenster. Allmählich setzte sich jetzt das silberne Sternenlicht durch und erhöhte die Sicht. Die erste dunkelste Stunde der Nacht neigte sich ihrem Ende zu.

»Vielleicht hat er sich im Stall verkrochen«, dachte Robin.

Er schwang sich durchs Fenster hinaus und schaute lange auf die geschlossene Stalltür. Er war der Meinung, sie hätte vorhin einen Spaltbreit offengestanden, doch so genau hatte er sich das nicht eingeprägt. Es konnte auch ein Irrtum sein. Immerhin war es ein Versuch wert.

Just hatte er die Ecke des Schlafhauses erreicht, als drüben im Korral die Mustangs wild durcheinanderwirbelten. Es waren mehr als hundert Schritte bis dorthin, aber Robin begann sofort zu rennen. Natürlich konnte er auf diese Entfernung nichts Genaues unterscheiden. Er fluchte leise, denn eigentlich hätte er sich denken können, dass der Dieb seines Gewehres ein Pferd zur Flucht brauchte. Und wenn er tatsächlich ein Boy dieser Ranch war, musste er sich schon einen Mustang im Korral fangen …

Yeah – wer vom Rathaus kam, war immer schlauer! Robin hatte noch nicht die Hälfte der Strecke zum Korral zurückgelegt, als er das scharfe Zuschnappen des Riegels am Tor hörte. Er lief schneller, sprang mit Panthersätzen auf die kompakte Masse der im Kreise galoppierenden Mustangs zu – und sah die Silhouette des Reiters, der im jagenden Tempo um die Ecke des Korrals bog und in die Wüste hineinjagte. Bei jedem Galoppsprung des Pferdes wurde der Mann fußhoch aus dem Sattel gehoben.

»Stop!«, schrie Robin in wildem Zorn. Er hob den Colt – und ließ ihn wieder sinken. Er schoss nicht auf den Rücken eines Mannes. Schon gar nicht auf einen Boy, der vielleicht im Recht zu sein glaubte. Der ihn, Robin Ford, für einen Mörder hielt und deshalb das Gewehr genommen hatte …

Langsam machte Robin kehrt. Dieses Land hatte ihm einen hübschen Empfang zugedacht! Das erste Gesicht, das er sah, war das eines Toten. Und sein gutes Gewehr gestohlen. Well, es wurde Zeit, dass er sich hier aus dem Staub machte. Wenn dieser Boy die Mannschaft der Ranch alarmierte, war dicke Luft!

*

Eine Weile folgte Robin Ford dem staubigen Weg, der ihn von der Wüste und der Ranch weg an die Hügel heranführte, die er den ganzen Tag über schon gesehen hatte. Allmählich wurde der Boden unter ihm härter und felsiger.

Dann, unmittelbar vor den düsteren Wänden eines Felsmassivs, bog der Weg rechts ab. Zur Linken führte ein Saumpfad in einen Felsenspalt hinein. Hier rastete Robin und hielt Umschau.

Er war mindestens schon eine Stunde unterwegs, und er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung er reiten musste. Er wusste nicht einmal mit Sicherheit, ob die Wüstenranch, die er soeben kennengelernt hatte, überhaupt zum Ox-Bow-County gehörte.

Er schüttelte den Sand aus den Mokassins, führte Golden Star ein Stück in die Felsspalte hinein und kletterte auf eine überhängende Felsnase. Dort gewann er einen weiten Blick – und sah in der Ferne die Lichter einer Stadt. Genau in der Richtung, in die der Weg weiterlief. Die Entfernung dorthin mochte drei Meilen betragen, so gut sich das bei Nacht schätzen ließ.

War das nun Ox Bow oder nicht? Am besten pilgerte er zu den Lichtern hinüber – freilich nicht auf dem Stadtweg, denn dort lief er garantiert den Boys der Ranch entgegen, die inzwischen wohl schon alarmiert worden waren.

Es war schon eine verdammte Geschichte! Da aber nun sein Kopf halb in der Schlinge steckte, musste er aber sehen, dass er ihn wieder herausbrachte. Schließlich war er nicht nach Ox Bow gekommen, um sich hängen zu lassen!

Langsam kletterte er wieder zur Schluchtsohle hinab, klopfte den Schmutz aus den Handschuhen und ging auf Golden Star zu. Der Wallach schnaubte leise – und plötzlich spürte Robin Ford, dass er nicht mehr allein war. Sein Instinkt flüstere ihm die Warnung zu, und er reagierte blitzschnell.