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Er ist der Feind. Und doch ist sie ihm längst verfallen. In Isandia ist das Schicksal jeder Hexe vorherbestimmt: Mit einundzwanzig müssen alle an den Blod Ed Trials teilnehmen – einem grausamen Wettkampf, der für eine magielose Hexe wie Amara den sicheren Tod bedeutet. Während der Prüfungen begegnet sie dem gefürchteten General Ivar. Er ist verschlossen, kalt und gefährlich attraktiv – und doch der Einzige, der sie zu sehen scheint. Als er sie gegen jede Vernunft schützt, entbrennt zwischen ihnen ein verbotenes Knistern, das sich nicht aufhalten lässt. Doch in einer Welt, in der Liebe Schwäche bedeutet, steht Amara bald nicht nur zwischen Leben und Tod, sondern auch zwischen Pflicht und Verlangen. Düstere New Adult Romantasy in einem epischen Reich voller Magie, Grausamkeit und Liebe. #EnemiestoLovers #HiddenPowers #ForbiddenLove #TouchHerAndDie //Dies ist der erste Band der düster-magischen New Adult Hexen-Romantasy bei Cove Story. Alle Bände der Reihe: - Band 1: Trials of Magic (Die Krone von Isandia 1) - Band 2: Rebels of Magic (Die Krone von Isandia 2) Die beiden Bände sind keine Standalones und bauen aufeinander auf.//
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Veröffentlichungsjahr: 2025
COVE Story
More than a feeling.
COVE Story ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische E-Books und Prints. Wenn du süchtig machende Romance- und Romantasyromane deutschsprachiger Autor*innen suchst, ob von Newcomer*innen oder Vielschreiber*innen, wirst du hier garantiert fündig. Jede Cove Story lässt dich durch die Seiten fliegen und ist auf ihre eigene Art und Weise einzigartig.
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Kristina Quills
Trials of Magic (Die Krone von Isandia 1)
**Er ist der Feind. Und doch ist sie ihm längst verfallen.** In Isandia ist das Schicksal jeder Hexe vorherbestimmt: Mit einundzwanzig müssen alle an den Blod Ed Trials teilnehmen – einem grausamen Wettkampf, der für eine magielose Hexe wie Amara den sicheren Tod bedeutet. Während der Prüfungen begegnet sie dem gefürchteten General Ivar. Er ist verschlossen, kalt und gefährlich attraktiv – und doch der Einzige, der sie zu sehen scheint. Als er sie gegen jede Vernunft schützt, entbrennt zwischen ihnen ein verbotenes Knistern, das sich nicht aufhalten lässt. Doch in einer Welt, in der Liebe Schwäche bedeutet, steht Amara bald nicht nur zwischen Leben und Tod, sondern auch zwischen Pflicht und Verlangen.
Buch lesen
Vita
Playlist
Danksagung
© privat
Kristina Quills wurde 1993 in der Kyiv geboren. Seit sie lesen kann, hat sie davon geträumt, eines Tages ihr eigenes Buch in den Händen zu halten. Mit der Veröffentlichung ihres Debüts im September 2023 ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Sie liest verschiedene Genres, aber ihr Herz gehört Fantasy und Romantasy. Sie reist gerne und lässt sich für Kulturen und Mythologien verschiedener Länder begeistern, was sich in ihren Büchern widerspiegelt. Über Instagram und TikTok hält Kristina ihre Community über aktuelle Buchprojekte und Schreibupdates regelmäßig auf dem Laufenden. Auf Social Media findest du sie unter @kristinaquills.books.
»Runaway« – Aurora
»Far From Home« – Sam Tinnesz
»Between Wind and Water« – Hael
»Deep End« – Ruelle
»Love and War« – Fleurie
»Game of Survival« – Ruelle
»Scars« – Boy Epic
»Man or a Monster« – Sam Tinnesz (feat. Zayde Wølf)
»Who Are You« – SVRCINA
»Can’t Help Falling In Love (DARK)« – Tommee Profitt, brooke
»In Flames« – Digital Daggers
»Walk Through the Fire« – Zayde Wølf, Ruelle
»Hurts Like Hell« – Tommee Profitt, Fleurie
Die Playlist findest du auch auf Spotify unter Trials of Magic.
Amara
Heute ist der Tag, an dem ich sterben werde. Das ist der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, als ich die Augen öffne.
Ich schwinge meine Beine über den Bettrand und spüre den kalten Holzboden unter meinen Füßen. Aus der Küche ertönt das Klirren von Geschirr, was bedeutet, dass meine Mutter längst wach ist.
Ich zünde zwei Kerzen auf meinem Nachttisch an. Die Flammen tauchen mein kleines Zimmer in ein warmes Orange. Hinter dem Fenster herrscht noch Finsternis, aber das ist nun mal die Zeit, zu der wir für die jährlichen Trials aufgesammelt werden. Im Schutz der Nacht ist es einfacher, ungeheuerliche Dinge zu tun.
Die alte Reisetasche meines Vaters, die ich gestern gepackt habe, steht bereits vor der Tür. Wie eine stille Erinnerung daran, dass ich bald aufbrechen muss.
Ich schleiche auf Zehenspitzen ins Bad, um mich frisch zu machen. Das Wasser im Eimer ist lauwarm, und ich frage mich, wie lange meine Familie schon wach ist, da es offensichtlich für mich vorbereitet wurde.
Nachdem ich mich gewaschen habe, kehre ich in mein Zimmer zurück, um mich umzuziehen. Meine Kleidung liegt gefaltet auf einem Holzstuhl, der mehr eine Ablage als eine Sitzgelegenheit ist.
Illian hat mir geholfen, etwas Passendes für die Prüfungen herauszusuchen. Kleidung, die mir Bewegungsfreiheit schenkt, aber fest genug ist, um nicht wie Seide zu zerreißen. Fast hätte ich ihn gefragt, welche Rolle die Kleiderwahl spielen sollte, da wir beide wissen, dass ich keine Stunde durchhalten werde. Aber diese Stichelei wollte ich meinem Bruder ersparen. Es ist schwer genug für ihn, mich gehen zu lassen.
Ich streife mein Schlafkleid ab und ziehe eine schwarze Stoffhose an, die eng sitzt und an den Knien verstärkt wurde, dazu eine dunkelgrüne Tunika, die ich mit einem breiten Ledergurt um meine Taille befestige. Die kniehohen schwarzen Stiefel schnüre ich fest um meine Beine und binde mein Haar zu einem Pferdeschwanz. Zwar ist es in diesem Teil des Landes üblich, dass Frauen ihr Haar zu ausgefallenen Zöpfen flechten, aber da dies umständlich ist und gewisses Geschick verlangt, das mir fehlt, nutze ich jede denkbare Ausrede, um es nicht zu tun. Und die Teilnahme an den Trials ist dafür mehr als geeignet.
Als ich mich im Spiegel betrachte, wandert mein Blick zu dem Stapel an zerlesenen Zauberbüchern. Ihre Ledereinbände sind aufwendig mit Runen verziert. Unter anderen Umständen hätte ich sie vermutlich eingepackt, doch welchen Nutzen bringen sie einer Hexe, die keine Magie besitzt? Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum sie hier überhaupt noch liegen. Sie sind seit Monaten bloß eine bittere Erinnerung daran, dass ich die Einzige in meiner Familie bin, die mit keiner magischen Gabe gesegnet wurde.
Obwohl es für mich nichts mehr zu tun gibt, bleibe ich vor der Tür stehen und starre sie an. Die Arme habe ich fest an meinen Körper gepresst und meine Hände, die zu kribbeln beginnen, zu Fäusten geballt. Alles in mir sträubt sich dagegen, mein Zimmer zu verlassen – meinen sicheren Hafen. Doch je länger ich hierbleibe, desto weniger Zeit habe ich für den Abschied. Ich atme tief ein und aus und drücke die Türklinke hinunter.
Der Geruch von frisch gebackenen Pfannkuchen steigt mir in die Nase, als ich einen Fuß über die Schwelle setze. Natürlich hat sich Mama Mühe gegeben. Leider wird mir allein bei dem Gedanken an Essen schlecht. Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde, auch nur einen Bissen zu schlucken.
Ich greife nach meiner Tasche, folge dem Duft den langen Flur entlang und trete in die Küche. Schon schlägt mir die Hitze des Herdfeuers entgegen. Meine Mutter steht mit dem Rücken zu mir, und mein älterer Bruder Illian sitzt bereits am Tisch, an dem wie immer drei weitere Stühle stehen: einer für mich, einer für meine Mutter und einer – der einzige, der für immer leer bleiben wird – für meinen Vater. Obwohl seit seinem Tod bereits zehn Jahre vergangen sind, bringt es niemand von uns übers Herz, seinen Stuhl wegzustellen. Meine Mutter meint immer wieder, dass sein Geist uns sicherlich besucht, doch daran glauben weder ich noch Illian. Da der Gedanke unsere Mutter aber zu trösten scheint, behalten wir unsere Meinung für uns.
»Guten Morgen«, sage ich und ringe mir ein Lächeln ab. Noch nie war diese Begrüßung unpassender. Für unsere und neunundsechzig andere Familien ist der heutige Tag einer der schlimmsten im ganzen Leben.
Meine Mutter dreht sich zu mir, und an ihren geröteten Augen erkenne ich, dass sie geweint hat.
»Guten Morgen, Schatz!« Sie bemüht sich um eine fröhliche Stimme, aber das Beben am Satzende verrät sie. Sie wischt ihre Hände an ihrer Kochschürze ab, deren Rot mittlerweile ausgebleicht ist, und schließt ihre Arme um mich – fester als gewöhnlich. Ich beuge mich zu ihr vor und erwidere die Umarmung, atme den süßlichen Duft nach Pfannkuchen und Honig ein, der an ihren Haaren hängt. Meine Augen beginnen zu brennen.
Verdammt. Das ging schneller als gedacht. Ich blinzle mehrfach und verscheuche die aufsteigenden Tränen. Noch ist nicht die Zeit dafür.
Meine Mutter löst sich von mir und deutet auf den Tisch, von dem aus Illian uns schweigend beobachtet. »Ich konnte nicht schlafen und habe schon das Frühstück gemacht. Ich hoffe, du hast Hunger. Du musst unbedingt etwas essen vor der Reise.«
Ich bringe es nicht über mich, ihr zu gestehen, dass das sicher nicht der Fall sein wird, und ihr unsere –höchstwahrscheinlich letzte – gemeinsame Mahlzeit zu verwehren. Darum nicke ich und setze mich neben meinen Bruder.
»Gut geschlafen, Schwesterherz?«, fragt er, schiebt mir eine leere Tasse zu und schenkt roten Beerentee ein.
»Danke«, ist alles, was ich sagen kann. Ich werfe einen flüchtigen Blick in seine Richtung und senke den Kopf. Meiner Mutter Munterkeit vorzutäuschen ist eine Sache, aber Illian? Er kennt mich viel zu gut. Ich brauche es also nicht einmal zu versuchen.
Wir essen schweigend.
Unserer Mutter zuliebe zwinge ich mich, drei Pfannkuchen zu vertilgen, und kippe den Tee hinunter. Das ferne Läuten der Kirchenglocken verkündet die fünfte Stunde.
Ich schlucke schwer.
Einer der Eisenschilde wird pünktlich hier sein, um mich abzuholen, da bin ich mir sicher. Mit laut klopfendem Herzen sehe ich zum Fenster mit dem grob gewebten Vorhang, hinter dem ich nichts als Dunkelheit erkenne.
Ich strecke meine Hand über den Tisch und ergreife die meiner Mutter. Sanft drücke ich sie. »Danke für das Frühstück, Mama.«
Sie lächelt mich an und nickt mehrfach, bevor sie aufsteht und die leeren Teller wegräumt.
Ich drehe mich zu meinem Bruder. Illian ist so still, als wäre jemand gestorben. Oder als würde das bald passieren.
Ich schlucke. Keine Witze, keine Sticheleien … Dieses für ihn untypische Verhalten sorgt für mehr Unruhe in mir als die Garde des Königs, die jederzeit vor unserem Haus auftauchen könnte. Erneut werfe ich einen Blick zum Fenster und bemühe mich, die aufkommende Panik zu unterdrücken.
»Ich sollte mich fertig machen. Sie werden bald hier sein«, sage ich möglichst beiläufig, als wäre es nichts Besonderes. Als würde ich mich auf eine Reise begeben statt zu den blutigen Trials, die unser grausamer König jedes Jahr veranstaltet.
Meine Mutter beißt sich auf die Unterlippe, versucht, sich zusammenzureißen, aber sie ist miserabel darin, etwas vorzutäuschen. Mein Bruder wiederum hat dieses Spiel perfektioniert. Er tätschelt meinen Kopf und zerzaust meine Haare, wofür ich ihm für gewöhnlich eine verpasst hätte. Aber heute bin ich nachsichtig mit ihm.
»Versuch einfach, nicht zu sterben, Wirbelwind«, sagt er. Sein linker Mundwinkel zuckt nach oben und verzieht die Narbe, die seine Lippen durchschneidet. Vor fünf Jahren hat er die Trials überstanden und trug lediglich diesen Schmiss davon. Wie schön es wäre, wenn ich auch so viel Glück hätte.
Er zieht mich an sich, und die Wärme seiner festen Umarmung lässt meine Fassade der Tapferkeit erneut bröckeln. Schnell blinzle ich und hoffe, dass das gegen die aufsteigenden Tränen hilft.
»Denk an alles, was ich dir beigebracht habe«, raunt er mir zu.
»Ich gebe mein Bestes.« Ich bemühe mich darum, das Zittern meiner Stimme zu verbergen. Den Satz, dass eine Hexe, deren magische Gabe immer noch nicht erwacht ist, in solch einem Wettbewerb schnell den Tod finden kann, schlucke ich hinunter. Wir wissen es ohnehin alle.
Während sein Arm um mich geschlungen bleibt, drängt sich etwas Festes in meine Hand. »Nimm ihn«, flüstert er mir zu, sodass nur ich es hören kann.
Meine Mutter ist verständnisvoll genug, um uns Zeit für einen Abschied zu geben, und steht wenige Schritte von uns entfernt. Ich senke den Blick zu dem Gegenstand in meiner Hand.
Meine Augen weiten sich, als ich erkenne, worum es sich handelt: einen Dolch in einer ledernen Scheide. Verständnislos blicke ich Illian an. »Das ist verboten«, flüstere ich.
»Das ist mir egal.« Seine Hand schließt sich um meine. »Trage ihn immer bei dir. Es durchschneidet alles. Verstehst du mich? Alles.«
Ich muss nicht nachfragen, denn ich weiß, was er meint. Es ist Illians Dolch, dem Zauber nichts anhaben können. Ich umarme ihn wieder und wispere: »Trotzdem ist es nicht erwünscht, Waffen mitzubringen.«
»Dann solltest du damit am besten nicht erwischt werden«, sagt er.
Und ohne seinen Gesichtsausdruck zu sehen, weiß ich, dass sich ein Schmunzeln auf seine Lippen geschlichen hat.
Meine Augen brennen erneut. Diesmal schaffe ich es kaum, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Illian scheint es ähnlich zu gehen, denn als er mich loslässt, wendet er sich schnell von mir ab.
Ich schaffe es gerade noch, den Dolch in meiner Schultertasche verschwinden zu lassen, da wirft meine Mutter sich mir an den Hals und drückt mich so fest, dass ich kurz glaube, keine Luft mehr zu bekommen. Aber das halte ich aus. Um meine überfürsorgliche Mutter mache ich mir mehr Sorgen als um mich.
Sie lässt von mir ab und umschließt mein Gesicht mit ihren Händen. Bei der vertrauten Berührung zieht sich mein Herz zusammen. »Denk an alles, was wir dir beigebracht haben«, sagt auch sie nachdrücklich. Ihre geröteten Augen glänzen, doch sie weint nicht. Stattdessen blitzt Entschlossenheit darin auf. »Und glaube an dich.«
Bei ihr klingt es so einfach. Viel zu einfach. Als wären die Prüfungen etwas, was ich allein durch meine Willenskraft beeinflussen könnte.
»Wir alle haben überlebt und das wirst du auch tun.« Das letzte Wort geht beinahe im Zittern ihrer Stimme unter.
Ich schließe meine Arme erneut um ihren schmalen Körper. Ja, alle in meiner Familie haben die Prüfungen überlebt. Was selten ist. Und etwas sagt mir, dass die Glücksreserven bei mir aufgebraucht sein werden.
Schnell schüttle ich den Gedanken ab. Für Selbstmitleid werde ich auf dem Weg in die Hauptstadt noch ausreichend Zeit haben.
Obwohl ich es erwartet habe, zucke ich bei dem dumpfen Klopfen an der Tür zusammen. Es ist so weit.
Mein Bruder ist wieder bei mir, schließt unsere Mutter und mich in eine Umarmung und drückt mir dabei einen Kuss auf die Stirn. Mama tätschelt meine Wange.
Es verlangt mir alles ab, mich von ihnen zu lösen.
Dennoch werfe ich mir einen Kapuzenumhang aus dünnem Wollstoff über die Schulter, nehme meine Tasche und drehe mich zur Tür.
Das Klopfen ertönt erneut.
Ich zwinge mich dazu, meine Familie anzulächeln. Ich möchte nicht, dass die beiden mich weinend in Erinnerung behalten.
Ich atme tief aus und öffne die Tür.
»Amara Andedis?«
Der Mann vor mir muss zwei Meter groß sein und dabei breit genug, um mir die Sicht zu versperren.
Ich nicke.
»Nach dem Gesetz des Königreichs Isandia werden Sie zur Teilnahme an den Blod Ed Trials verpflichtet. Im Auftrag des Königs muss ich Ihre Teilnahme sicherstellen und Sie nach Skuggavik eskortieren.«
Ich unterdrücke ein nervöses Schnaufen, das er – seiner ernsten Miene nach zu urteilen – falsch interpretieren könnte. Er zitiert das Gesetz so, als wüsste ich nicht, warum er hier ist. Lächerlich. Jede Hexenfamilie in diesem Reich prägt sich den Tag der Trials ein. Doch diesen Kommentar verkneife ich mir. Stattdessen recke ich das Kinn und sehe ihm in die Augen. »Wo ist die Kutsche?«
»Da entlang.« Er tritt zur Seite und ich erblicke einen Wagen, der nahezu mit der Dunkelheit der Nacht verschmilzt. »Folgen Sie mir«, sagt er und geht vor.
Und das tue ich, aber nicht, bevor ich ein letztes Mal einen Blick auf meine Familie geworfen habe. Illian hat seinen Arm um die Schulter unserer Mutter gelegt, und sie beide lächeln mir ermutigend zu. Auch ich ringe mir ein Lächeln ab und folge dem königlichen Gardisten zur Kutsche.
Amara
Dafür, dass unsere kleine Stadt in den Bergen liegt, wo es selbst im Sommer schnell abkühlt, ist die Nacht ungewöhnlich warm. Dennoch zittere ich am ganzen Leib, während ich in die schlichte schwarze Kutsche steige.
Auf den zwei dünn gepolsterten Bänken sitzen bereits vier weitere Hexen. Die Kerzenlaterne, die an der Kutschenwand befestigt ist, taucht das fensterlose Innere in ein schwaches Licht, in dem ich die Gesichter der anderen kaum erkennen kann. Klar ist nur, dass sie schlafen oder es zumindest vortäuschen.
Ich nehme den einzig freien Platz direkt neben der Tür, die der Gardist in der nächsten Sekunde zuknallt. Kurz darauf setzt sich die Kutsche mit einem Ruck in Bewegung. Ich schwanke nach vorn, während den anderen Reisenden das Wackeln nichts auszumachen scheint.
Ich verenge die Augen und bemühe mich, eines der schlafenden Gesichter zu erkennen. Denn das ist das Makaberste an der ganzen Sache: Als Hexe kämpfe, überlebe oder sterbe ich mit anderen Hexen und Hexern, die ich seit meiner Kindheit kenne. Natürlich nicht alle. Auch wenn es früher einmal so war. Damals haben wir als Gemeinschaft zusammengehalten. Aber jetzt? Der König hat alles dafür getan, uns zu entzweien, indem er die fünf Oberhäupter der großen Hexenclans getötet und ihre Mitglieder in die Flucht getrieben hat. Trotzdem bemühen wir uns darum, uns dort niederzulassen, wo auch andere Magiebegabte leben.
Der Gedanke, dass ich jemanden in der Kutsche kenne, ist also naheliegend. Doch auch nach einem genaueren Blick bleiben mir die Gesichter fremd, denn natürlich ist es nicht der einzige Wagen, der die Teilnehmer einsammelt.
Kurz schließe ich die Augen und atme erleichtert aus. Es ist immer schwieriger, in den Trials gegen jemanden anzutreten, dem man vertraut ist.
Da wir offensichtlich vollzählig sind, wird unser Weg uns jetzt direkt nach Skuggavik, die Hauptstadt Isandias, führen.
Irgendwann – nach einer kleinen Pause im Wald – ist die Kerze abgebrannt und mit ihr das schwache Licht verschwunden. Ich hatte vor, wach zu bleiben, doch die lange Fahrt in nahezu vollkommener Dunkelheit und die holprigen Landstraßen von Isandia schaukeln mich irgendwann in einen unruhigen Schlaf. Natürlich bemüht sich der König nicht um gut ausgebaute Straßen, zumindest nicht so weit entfernt von der Hauptstadt, wo die Teile der Bevölkerung leben, die ihm ein Dorn im Auge sind.
Schwaches Tageslicht, das durch die Luftschlitze unter der Decke hereinleuchtet, weckt mich. Auch meine Reisegefährten wachen nach und nach auf. Ich lasse meinen Blick unauffällig über sie schweifen. Für gewöhnlich hätte ich bei einer langen Fahrt wie dieser nichts dagegen, mich mit jemandem zu unterhalten, um die Zeit zu vertreiben. Außerdem wäre es nützlich, in Erfahrung zu bringen, mit wem ich es zu tun habe, wenn ich zumindest versuchen möchte, die Trials zu überleben. Zu welchen Clans haben die Hexen und Hexer einst gehört, die hier sitzen? Welche Fähigkeiten beherrschen sie? Doch allein beim Gedanken daran, etwas zu sagen, sträubt sich alles in mir. In meinem Inneren spüre ich bloß Leere. Dunkle, alles verzehrende Leere. Und ich weiß, dass es den anderen genauso geht.
Alle Anwesenden in der Kutsche sind in meinem Alter. Wir werden alle nach unserem einundzwanzigsten Geburtstag eingesammelt, um an den Trials teilzunehmen. Das ist die Strafe des Königs für den Putschversuch unserer Vorfahren vor einem halben Jahrhundert. Schon damals waren es Hexen und Hexer leid, in der ständigen Unterdrückung des Königs zu leben und wie Dreck behandelt zu werden. Verzweifelt haben sie versucht, sich die Freiheit zu erkämpfen. Und das ist – wie unschwer zu erkennen – nicht gerade gut für uns ausgegangen.
Ich sehe in die Gesichter meiner Mitstreitenden. Die zwei jungen Frauen vor mir sehen sich zum Verwechseln ähnlich – beide haben langes, glattes, rabenschwarzes Haar, tief gebräunte Haut, volle Lippen und kantige Gesichtszüge.
Sie sind Zwillinge.
Ich schlucke. Ihre Familie musste sich heute gleich von zwei Kindern verabschieden. Die grausame Erkenntnis sorgt dafür, dass sich die kleinen Härchen auf meinen Armen aufstellen.
Rechts von ihnen erblicke ich die schmale Gestalt eines Mannes. Wüsste ich nicht, dass wir im selben Alter sind, hätte ich ihn auf sechzehn geschätzt. Alles an ihm sieht so jungenhaft aus. Alles bis auf seine Augen, die auf mich gerichtet sind und verraten, dass sie bereits zu viel Leid gesehen haben.
»Will jemand einen Apfel?«, fragt ein anderer Hexer links von mir. Direkt danach schiebt er mir das rote Obst vor die Nase, und ich drehe mich zu ihm um.
Ich sehe zwei helle Augen und ein freundliches Lächeln, das sich bei meinem Anblick auf dem Gesicht des Mannes ausbreitet. Sein rotes Haar ist etwas heller als mein eigenes.
Alle murmeln ein »Nein danke«, aber ich fühle mich genötigt, das Stück Obst anzunehmen. Die erste Person, die einen nett gemeinten Vorschlag ablehnt, kommt einfach davon, aber die letzte? Die ist immer der Fiesling. Außerdem ist es ungewiss, wann wir das nächste Mal an Essen kommen werden.
»Danke«, sage ich und nehme den Apfel an.
»Gern. Ich bin Jacob«, sagt er und streckt mir eine Hand entgegen.
Ich schüttle sie und bemühe mich um ein höfliches Lächeln. »Amara.«
»Schön, dich kennenzulernen, Amara.« Und wieder ist da dieses freundliche Lächeln. Unter den Anwesenden sieht er als Einziger optimistisch aus, was – wenn ich die Umstände bedenke – irritierend ist.
»Aus welcher Familie kommst du?«, fragt er ohne Umschweife und beißt in seinen Apfel.
Ich hasse diese Frage.
»Andedis«, antworte ich widerwillig. »Und du?«
Für einen Moment wandern Jacobs Augenbrauen in die Höhe, und er hält beim Kauen inne. Natürlich hat er von meiner Familie gehört. Einem der fünf Clans, die die Rebellion damals angezettelt haben. Die Rebellion, deren Preis alle Magiebegabten fünfzig Jahre später immer noch bezahlen müssen.
Sämtliche Blicke der Anwesenden richten sich plötzlich auf mich. Eine unangenehme, nahezu greifbare Stille hängt in der Luft. Ich schlucke mein Unbehagen hinunter. Den Namen meiner Familie zu offenbaren ist immer mit einer Ungewissheit verbunden: Manche bewundern meine Großeltern – immer noch –, die anderen hassen sie für ihre Taten. Ich weiß nie, welche Reaktion meine Antwort nach sich zieht.
Die Hexen und Hexer in dieser Kutsche könnten die Tatsache, dass ich die Nichte von Gunnar und Astrid Andedis bin, willkommen heißen, genauso könnten sie mir dafür ins Gesicht spucken. Zwar bin ich nicht scharf darauf herauszufinden, zu welcher Sorte meine Begleiter gehören, aber meinen Namen zu verbergen, ergibt wenig Sinn. Früher oder später werden sie ohnehin erkennen, wer ich bin.
Zu meinem Glück fasst Jacob sich nach einem Moment der Verwirrung wieder. »Ich bin ein Runestrom.«
Ich nicke und beiße in den Apfel. Der Name sagt mir nichts.
Plötzlich ebbt das Wackeln ab, an das ich nach mehreren Stunden Fahrt gewöhnt bin, und die Kutsche gleitet nahezu geräuschlos über die Straße. Die Anwesenden wechseln nervöse Blicke. Wir alle wissen, was das bedeutet: Wir haben die Hauptstadt erreicht.
Nach einigen Minuten Stille, die niemand zu unterbrechen wagt, hält der Wagen an. Ein lautes Klopfen gegen die Wand lässt mich zusammenzucken.
»Wir sind angekommen!«, brüllt der Gardist.
Mein Blick trifft auf Jacobs. Trotz des ermutigenden Lächelns, das seine Lippen umspielt, flackert Angst in seinen Augen auf. Die gleiche Angst, die auch ich verspüre.
Amara
Die Kutschentür schwingt auf und lässt grelles Tageslicht herein. Ich kneife die Augen zusammen, die nach Stunden in der Dunkelheit empfindlich geworden sind. Die Zwillinge sind die Ersten, die aussteigen, ihnen folgt der jungenhafte Mann. Da ich auf meiner Seite des Wagens am nächsten an der Tür sitze, weiß ich, dass ich als Nächstes raus muss, doch ich brauche einen Moment, um Mut zu fassen. Meine Finger kralle ich um den Gurt meiner Tasche, atme einmal ein und aus und zwinge mich dann dazu, einen Fuß auf die Erde zu setzen.
Meine Augen gewöhnen sich immer noch an die Helligkeit, daher schirme ich sie mit der Hand ab.
»Beeindruckend«, sagt Jacob neben mir.
Ich blinzle mehrfach und kann endlich klar sehen. Mein Blick folgt seinem.
Vor uns ragt das königliche Schloss empor. Der Anblick ist atemberaubend und beängstigend zugleich. Natürlich kenne ich den Palast des Königs bereits von Gemälden und aus Büchern, doch ihn mit eigenen Augen zu sehen, ist etwas anderes.
Er ist gigantisch und aus dunkelgrauem Stein erbaut. Die massiven Türme rechts und links ragen hoch in den Himmel und auf jedem steckt eine weiße Fahne mit einem schwarzen Bärenkopf darauf.
Zumindest auf dieser Seite des Schlosses gibt es kaum Fenster, aber dafür einige Schießscharten. Diese sind nur noch eine Erinnerung an die früheren Verteidigungsmaßnahmen. Heutzutage, mit einer Armee von Magiebegabten, wagt es niemand mehr, dieses Land anzugreifen. Der Palast dient lediglich als Residenz des Königs. Obwohl, Palast trifft es nicht ganz, denn auch das Gelände ist riesig. Illian hatte recht. Das Schloss, mit allem, was dazugehört, ist eine kleine Stadt für sich.
Die Menschen nennen es Borg de Fries, das Schloss der Freiheit. Für das Hexenvolk steht es hingegen für Unterdrückung und Ausbeutung.
»Die anderen sind auch schon da«, sagt Jacob.
Zum ersten Mal wende ich den Blick vom Schloss ab und drehe mich um. Der Schlosshof ist von einer hohen knochenweißen Mauer mit dornenähnlichen Zinnen umgeben. Gerade als ich sie betrachte, fährt eine Kutsche durch das massive Eisentor herein. Diese muss die letzte sein, denn im nächsten Moment schließt sich das Tor. Bei dem tiefen metallischen Grollen zucke ich unwillkürlich zusammen. Jetzt bin ich hier endgültig gefangen.
Dutzende andere Kutschen haben sich bereits im Hof versammelt. Ich zähle nicht nach, denn ich weiß bereits, dass es dieses Jahr siebzig Teilnehmende sind. Kinder aus Hexenfamilien des ganzen Reichs, versammelt an einem einzigen Ort, um diesen möglicherweise nie mehr wieder lebendig zu verlassen. Das Schlimmste daran ist: Wir alle wissen, dass uns die Trials bevorstehen, und doch konnten wir uns nur grob darauf vorbereiten. Denn die Prüfungen ändern sich jedes Jahr, und selbstverständlich werden die Aufgaben bis zum Schluss geheim gehalten.
Jemand rammt mich im Vorbeigehen, und ich taumle zurück, entdecke zwei Männer und eine Frau mit aufwendig geflochtenen blonden Haaren.
»Hey!«, ruft Jacob einem von ihnen hinterher. »Pass auf, wo du hingehst!«
Der breitschultrige Mann mit kurz rasiertem dunkelblondem Haar bleibt stehen und dreht sich langsam um. Mit ein paar Schritten ist er bei uns. An seinem kantigen Kiefer zucken die Muskeln. Er neigt den Kopf und sieht zu Jacob. »Sonst was?«
»Sonst bekommst du die Fresse poliert, noch bevor die Prüfungen begonnen haben«, antwortet Jacob.
Ein tiefes, knurrendes Geräusch steigt aus der Kehle des blonden Hexers. Zwar ist Jacob einen halben Kopf größer als er, doch der Fremde ist stämmig. Ich bin unsicher, wer von ihnen eine Schlägerei gewinnen würde. Der breit gebaute Hexer sieht nicht nach einem Typen aus, der sich besinnen und zurücktreten würde. Und offenbar ist auch Jacob weniger sanftmütig, als ich gedacht habe.
Die beiden liefern sich ein Blickduell, und ich verschränke die Arme schützend vor mir. Ein Teil von mir möchte von hier verschwinden. Schließlich habe ich nicht um einen Aufpasser gebeten und kann auf mich selbst achten. Aber ich will auch vermeiden, dass Jacob meinetwegen in Schwierigkeiten gerät.
Seufzend trete ich an die beiden heran. »Jacob, ich glaube, dass es klüger wäre, die Sache auf sich beruhen zu lassen.«
Die Männer behalten einander fest im Blick.
»Lass gut sein, Björn.« Die Frau, die ihn begleitet hat, zieht an seiner Schulter und schenkt mir einen gelangweilten Blick, als müsste sie ihren Kumpel häufiger von Schlägereien abhalten.
Kurz befürchte ich, dass die Situation trotzdem eskaliert. Ich lege meine Hand an Jacobs Oberarm, obwohl ich bezweifle, dass ich ihn damit aufhalten kann. Doch zum Glück hört der Mann auf seine Freundin. Das Trio dreht sich um und geht in Richtung Schloss davon.
Erleichtert atme ich aus und sehe zu Jacob, der sich zum ersten Mal vollständig mir zuwendet. Erst jetzt fällt mir auf, dass seine Iriden unterschiedliche Farben haben. Das linke Auge ist graublau, während das rechte an einen grünen Saphir erinnert. Bei der schwachen Beleuchtung in der Kutsche ist mir das entgangen.
»Tut mir leid«, sagt er und wendet den Blick ab. »Vermutlich ist es keine Entschuldigung, aber meine Schwester war mit so einem Kerl zusammen. Furchtbar. Seitdem regen mich solche Arschlöcher einfach auf.«
Mein linker Mundwinkel zuckt nach oben. Ich will ihm erklären, dass es nicht nötig gewesen wäre, sage dann aber nur: »Danke.«
Im nächsten Moment wirft sich etwas von hinten auf mich, und ich taumle.
»Da bist du ja!«
Die Stimme meiner besten Freundin erkenne ich sofort. Edina schnappt nach meinen Schultern und dreht mich zu sich. Ihr langes dunkelbraunes Haar, das sie so gern offen trägt, ist ausnahmsweise zu einem lockeren Knoten gebunden. Sie schließt mich in eine Umarmung, die ich sofort erwidere. Der vertraute Duft nach Frühlingsblüten steigt mir in die Nase.
»Ich dachte schon, du wärst nicht hier.« Sie blickt hinter uns, wo die meisten Neuankömmlinge sich versammelt haben.
Ich lächle schief. »Wo sollte ich denn sonst sein?«
Meinen deprimierenden Kommentar übergeht sie. »Wie ich sehe, hast du schon Gesellschaft gefunden?« Sie presst die Lippen aufeinander und sieht zu dem Mann neben mir.
»Jacob«, sagt er und streckt ihr eine Hand entgegen.
»Edina.«
Der tiefe, unangenehme Laut eines Rufhorns schallt durch den Hof und übertönt die Stimmen der Anwesenden. Ich widerstehe dem Drang, mir die Ohren zuzuhalten.
»Alle Neuankömmlinge müssen den Wachen in die Eingangshalle folgen!«, donnert eine Stimme durch den Schlosshof.
Ich schlucke. Da ist er. Der Moment, auf den meine Familie mich die letzten Jahre vorbereitet hat. Mein Herz flattert wie ein aufgescheuchter Vogel in einem Käfig. Edina greift nach meiner Hand und drückt sie.
Ich sehe sie an.
»Wir werden es überstehen«, versichert sie mir lächelnd.
Ich presse die Lippen zusammen, um ihr nicht zu widersprechen. Denn vielleicht wird sie das, immerhin ist sie eine Hexe, deren Kraft vor Jahren bereits erwacht ist. Aber ich?
Ich verziehe den Mund. »Wirst du mich umbringen, wenn ich dir sage, dass ich mich über deine Anwesenheit freue?«
Edina schnauft und hakt sich bei mir unter. »Nein. Weil ich auch froh bin, nicht allein hier zu sein.«
Lächelnd steuern wir gemeinsam mit den anderen Hexen und Hexern auf das massive Eingangstor des Schlosses zu. Das Unbehagen, das sich meiner zu bemächtigen versucht, vergrabe ich tief in meinem Inneren.
Amara
Wir treten durch eine riesige zweiflügelige Tür. Zwei Bärenköpfe, deren Mäuler weit aufgerissen sind, schmücken diese von beiden Seiten. Natürlich besteht die Eingangstür aus Gusseisen. Ich schnaufe, weil es so absurd ist. Zwar kann das Metall uns Hexen schaden, aber eine Tür daraus? Das würde wohl kaum jemanden aufhalten. Es ist nicht so, als würden wir in Flammen aufgehen, sobald wir uns in der Nähe von Eisen und Ähnlichem aufhalten. Es ist also eine reine Machtdemonstration. Oder ein Zeichen für die Kurzsichtigkeit des Königs. Vielleicht beides.
Mein Blick wandert über die schlichten grauen Wände des Gangs, dem wir folgen. Fackeln, die in den aufwendig verzierten Halterungen brennen, leuchten uns den Weg. Ich war zuvor noch nie in einem Palast. Hexen bauen keine Schlösser. Selbst die Oberhäupter der Clans – als es sie noch gab – haben sich nie über Mitglieder ihrer Gemeinschaft gestellt. Aber die Menschen sind anders.
Wir betreten ein geräumiges Foyer. An seinem Ende befinden sich zwei symmetrisch geschwungene Marmortreppen mit einem schlichten Handlauf, die an einem Balkon zueinanderfinden.
Einer der Eisenschilde gibt uns ein Zeichen, stehen zu bleiben und zu warten. Um mich herum bricht ein Flüstern aus, die meisten scheinen in ein Gespräch verwickelt zu sein. Zwei Hexen neben mir unterhalten sich darüber, ob die Prüfungen gleich beginnen, was ich ignoriere. Am Ende sind das reine Spekulationen. Der König entscheidet, wann die Blod Ed Trials beginnen und wie lange die Pause zwischen den Prüfungen dauert. Mal wirft er die Hexen und Hexer direkt nach der Ankunft in die erste Prüfung, mal lässt er die Neuankömmlinge wochenlang zappeln. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was davon schlimmer ist. Tot ist tot. Ob das Lebensende eine Woche früher oder später eintritt, macht in meinen Augen wenig Unterschied. Es ist schließlich nicht so, als würde ich dadurch mehr Zeit mit meiner Familie gewinnen. Während der Trials müssen wir uns auf dem Schlossgelände aufhalten.
Edina stupst mich an und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Sie nickt zu der linken Seite des Foyers und deutet auf die Statue einer Frau. Unwillkürlich mache ich ein paar Schritte in ihre Richtung, um sie näher in Augenschein zu nehmen. Ihr Gesicht ist zu einer Schreckensmaske verzerrt, die Augen weit aufgerissen. Als wollte sie sich vor etwas schützen, streckt sie ihre Handflächen nach vorn.
Ich weiß, wer das ist. Laut einer Legende, die die Menschen verbreitet haben, handelt es sich um eine Hexe, die zur Strafe für ihre Vergehen in Eisen verwandelt wurde. Die Vorstellung ist beängstigend, aber absurd. Wir besitzen viele Fähigkeiten, aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der etwas in Eisen verwandeln kann. Schon gar keine lebendigen Wesen.
Aber ich verstehe, warum viele dem Glauben erliegen, es könnte eine lebendige Frau gewesen sein. Es sind die Details. Die feinen Fältchen um ihren Mund, die Textur ihrer Haut, die Kleidung, die in schweren Falten über den Körper fließt. Kurz fühle ich mich von dem Anblick der Skulptur in den Bann gezogen.
Schwere Schritte hinter mir reißen mich aus der Starre, und ich drehe mich um. Einer der Eisenschilde tritt auf den Balkon. Auf den Stufen der beiden Treppen sind weitere Wachen postiert.
Die Stimmen verstummen allmählich, als einer der Eisenschilde, der im unteren Bereich der rechten Treppe steht, laut verkündet: »Die Wächter der Trials!«
Ich halte inne, als drei Leute in schwarzer Lederrüstung auf den Balkon treten. Die Vorstellung war unnötig, denn alle von uns wissen, wer sie sind: Magiebegabte der königlichen Armee.
Das sind sie also. Die Hexen und Hexer, die dem König von Isandia ihre Treue geschworen haben. Illian hat immer gesagt, dass das die schlimmste Sorte von uns ist. Frei von Skrupeln und herzlos. Das mussten sie auch sein, um im Turnier so weit zu kommen und sich danach in der Armee zu einem angesehenen Rang hochzuarbeiten. Schließlich kann man nur über Leichen gehen, um einen solchen Posten zu bekommen. Über die Leichen anderer Magiebegabter.
Einer von ihnen tritt vor. Noch bevor er den Mund öffnet, bin ich mir sicher, dass er in dem Trio das Sagen hat. Es ist seine Präsenz, der Ausdruck in seinen Augen, deren tiefes Grau ich selbst aus der Entfernung ausmachen kann. Während viele Männer in unserem Reich entweder einen glatt rasierten Kopf haben oder langes, zu einem Zopf geflochtenes Haar, ist seins kurz geschnitten. Seine Hände hat er hinter dem Rücken verschränkt, während sein Blick stetig über unsere Köpfe wandert.
Seine Züge bleiben emotionslos, als er uns begrüßt.
»Willkommen bei den fünfzigsten Blod Ed Trials. Mein Name ist Ivar Heidall. Ich bin der General der königlichen Hexenarmee.« Seine Stimme klingt hart und donnert durch den stillen Raum. »Das sind unsere Offiziere: Thorben Bergsson und Marina Skjold.« Er deutet mit einer Kopfbewegung zuerst auf den muskulösen Mann mit dem kurzen aschblonden Bart und dann auf die Frau, die nahezu so groß ist wie er selbst. Eine Klappe verbirgt ihr rechtes Auge. »Wir sind diejenigen, die die Ehre haben, das diesjährige Trial und damit euch im Namen des Königs zu begleiten.«
Die Tatsache, dass unsere Aufseher zwei Hexer und eine Hexe sind, ist wenig überraschend. Schließlich braucht der König ihre Magie, um die Prüfungsbedingungen erschaffen zu können.
Hinter ihnen erblicke ich die Wachen des Königs, die mit genügend Abstand rechts und links von der Truppe stehen, sodass ich aus meiner Position nur ihre Köpfe hinter dem Geländer sehen kann.
»Die Trials bestehen aus drei Prüfungen, bei denen ihr die Chance bekommt, eure Gabe auf die Probe zu stellen und eure Treue unserem König gegenüber zu beweisen.«
Die Chance.
Ich muss ein Schnaufen unterdrücken. Edina gibt mir einen leichten Stoß in die Rippen, und ich weiß, ohne sie anzusehen, dass sie den gleichen Gedanken hatte.
»Jede Prüfung wird rechtzeitig verkündet. Die Art der Aufgaben variiert: In manchen müsst ihr zusammenarbeiten, während ihr euch in anderen gegeneinanderstellen müsst.«
Für die Gleichgültigkeit, mit der er dies verkündet, würde ich ihn am liebsten anschreien.
»Bei jeder einzelnen Prüfung verfolgt ihr zwei Ziele: die Aufgabe, die wir euch zuweisen, zu erfüllen und zu überleben.« Sein wachsamer Blick schweift über die Anwesenden. »Für den Fall, dass ihr in allen drei Aufgaben versagt und dennoch überlebt«, setzt er an, und etwas an seinem Ton sagt mir, dass dies ein unwahrscheinliches Szenario ist, »kehrt ihr nach Hause zurück. Ob ihr das Recht behaltet, Magie auszuüben, entscheidet der König ganz individuell.«
Er schweigt, als würde er auf Fragen warten. Nach einigen Momenten der Stille ergreift Marina mit fester Stimme das Wort. »Während ihr euch im Palast befindet, werdet ihr wie ein Teil der königlichen Armee behandelt, wie Soldaten. Entsprechend habt ihr euch auch zu benehmen. Ihr seid verpflichtet, den Befehlen des Generals und denen der anderen Hexen und Hexer, die im Rang über euch stehen, Folge zu leisten.« Sie verengt ihr Auge. »Solltet ihr euch widersetzen, werdet ihr gemäß dem Gesetz, das für die königliche Armee gilt, bestraft.«
Ich schlucke mein Unbehagen hinunter.
»Dies ist das fünfzigste Jubiläum der Spiele«, sagt Thorben. »Daher hat sich der König entschieden, euch einen besonderen Empfang zu bereiten und heute Abend einen Festball zu veranstalten. Alle weiteren Informationen zu den Prüfungen erhaltet ihr dann dort vom König persönlich. Manche von euch fragen sich sicherlich, wann die Trials beginnen.« Er macht eine kurze Pause, die ausreicht, um meinen Herzschlag zu beschleunigen. »Ihr werdet ein paar Tage Zeit haben, um im Palast anzukommen. So viel können wir euch verraten.«
Ich gebe mein Bestes, um das hysterische Lachen zu unterdrücken, das sich in meiner Kehle nach oben drängt. Ankommen? Um kurz darauf zu sterben? Wie viel grausamer kann der König denn noch werden?
»Fragen?« Marinas Blick schweift über uns hinweg.
Eine Weile herrscht Stille, bis eine weibliche Stimme sich zu Wort meldet. »Gi…gibt es Regeln? In den Prüfungen. Etwas, was … was wir beachten müssen?«
Ich halte inne.
Marina hebt eine Augenbraue. »Regeln? Nutzt eure Gabe, so gut ihr könnt. Zeigt dem König und uns, was ihr draufhabt. Das Königreich braucht die Besten von euch. Mit weniger geben wir uns nicht zufrieden.«
Für einen Moment hängt Anspannung in der Luft.
»Wenn es keine weiteren Fragen gibt, begleiten wir euch in eure Quartiere. Bevor ihr die Stufen hochsteigt, werdet ihr alle persönlichen Gegenstände in dieser Halle zurücklassen. Was auch immer ihr mitgebracht habt, ihr werdet es nicht brauchen.«
Diese Regel ist mir neu, und es vergehen ein paar Sekunden, bevor ich die Bedeutung der Worte begreife.
Scheiße! Das Messer, das Illian mir gegeben hat, liegt in meiner Tasche. Ich kann mich unmöglich davon verabschieden. Regeln hin oder her. Ohne den Dolch sinken meine Überlebenschancen gegen null. Mein Herzschlag pocht laut in meinen Ohren, während ich langsam meine Hand in die Tasche gleiten lasse und nach dem Messer taste. Zum Glück liegt es fast ganz oben. Ich klammere meine Finger fest um den Griff.
»Aber wenn wir all unsere Sachen hierlassen, was sollen wir heute Abend zum Fest anziehen?«, fragt eine Hexe aus der Menge.
Als hätte jemand von uns etwas Passendes dabei.
»Alles, was ihr für euren Aufenthalt und die Veranstaltungen braucht, wird euch zur Verfügung gestellt«, erwidert Marina.
Während weitere Anweisungen folgen, warte ich auf den richtigen Moment, um den Dolch unbemerkt aus der Tasche zu ziehen. Edina erkennt, dass ich etwas vorhabe, und schirmt mich teilweise von den anderen ab, wofür ich ihr unfassbar dankbar bin. Schnell schiebe ich die Waffe unter meinen Umhang. Innentaschen habe ich keine, darum befestige ich den Dolch rechts an meinem Hosenbund. Die harte Lederscheide drückt unangenehm gegen meine Rippen.
Als Marina uns kurz darauf auffordert, die rechte Treppe zu nehmen, entsteht Gedrängel. Als könnten sie es kaum erwarten zu sterben. Ich lasse mich zurückfallen, und die erste Welle zieht an mir vorbei. Edina und Jacob bleiben bei mir.
Als auch ich die Stufen hochsteige, zittern meine Beine. Kurz befürchte ich, dass die Wächter unsere Namen vorlesen. Auf diese Aufmerksamkeit kann ich am ersten Tag verzichten. Doch sie fragen nicht einmal nach unseren Gaben. Wozu auch? Schon nach der ersten Prüfung werden mindestens fünfzehn Leute tot sein. Und ich werde sehr wahrscheinlich dazugehören.
Auf dem Balkon angekommen, trete ich zu Marina und Thorben. Erst aus der Nähe fällt mir auf, dass an ihren Uniformen kein Metall zu sehen ist, im Unterschied zu denen der magielosen Wachen, die uns aus sicherer Entfernung beobachten. Man könnte meinen, dass jemand, der in der königlichen Hexenarmee dient, mit seiner Gabe todessicher umgehen kann und keine weiteren Waffen benötigt. Dennoch sind an den Gurten von Marina und Thorben jeweils zwei Dolche befestigt.
Marina mustert mich ausgiebig, während sich Thorben sichtlich gelangweilt am Geländer abstützt. Mit einem Nicken lässt sie mich passieren. »Warte bei den anderen.«
Zum Glück hat sie mich nicht abgetastet.
Ich will schon in Richtung des breiten Gangs abhauen, neben dem die anderen Teilnehmenden warten, als ich den General bemerke.
Das Spektakel verfolgend, steht er an der Wand, die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Unsere Blicke treffen sich, wenn auch nur flüchtig, und mir fällt auf, dass er aus der Nähe noch jünger wirkt. Wie alt ist dieser Mann? Ende zwanzig?
Du sollst ihn nicht anstarren.
Schnell besinne ich mich wieder und laufe zügig zu den anderen Magiebegabten, die mittlerweile eine Art Warteschlange an der Wand gebildet haben. Edina und Jacob schließen sich als Letzte an.
Schon sind Thorben und Marina bei uns.
»Kommt mit«, sagt Thorben, als er nach vorn tritt.
Schnurstracks schreiten unsere beiden Aufseher den Gang entlang, und wir folgen ihnen.
Plötzlich zupft meine Freundin am Ärmel meines Umhangs, und als ich mich zu ihr drehe, deutet sie mit runden Augen auf jemanden hinter uns. Langsam traue ich mich, einen Blick nach hinten zu werfen, darauf bedacht, es wie eine unauffällige Geste aussehen zu lassen. Auch wenn ich bereits ahne, wen ich dort sehen werde. Und ich behalte recht.
General Heidall ist uns dicht auf den Fersen.
Schnell wende ich den Blick wieder ab. Trotzdem spüre ich seine Präsenz hinter mir. Ist er eine Art Absicherung, damit niemand von uns flieht? Ich kenne keinen, der sich das trauen würde.
Verstohlen taste ich nach meiner Waffe, um sicherzustellen, dass diese an Ort und Stelle steckt. Das Letzte, was ich jetzt brauche, ist eine Waffe, die klirrend dem General vor die Füße fällt. Ich atme tief durch und versuche mich auf die Umgebung, statt auf seine Anwesenheit zu konzentrieren.
Von innen ist das Schloss genauso grau wie von außen. Durch seine Steinwände strahlt es trotz der sommerlichen Außentemperaturen Kälte aus, und die wenigen kleinen Fenster sind mit schweren Eisengittern versehen. Da sie nur wenig Licht hereinlassen, erleuchten Fackeln den Weg. Obwohl die Wände zum größten Teil ungeschmückt sind, treffen wir hier und da auf Marmorstatuen und Gemälde, die Mitglieder der königlichen Familie oder Ereignisse aus der Geschichte zeigen. Von Hexen und Hexern keine Spur.
Der König hat wohl vergessen, wem er dieses Schloss zu verdanken hat. Ohne Hexenmagie hätte er ein Gebäude solchen Maßstabs nie erschaffen können, zumindest nicht in einer derart kurzen Zeit. Es ist das Größte, was Magiebegabte je zusammen erschafft haben.
Weil ich so darin vertieft bin, mir jedes Detail einzuprägen, bemerke ich erst spät, dass die Gruppe stehen geblieben ist. Ich remple den Mann vor mir an und berühre mit meiner Nase fast seinen glatt rasierten Kopf. Darauf dreht er sich zu mir um und wirft mir einen genervten Blick zu. Entschuldigend hebe ich meine Hände.
Wir stehen in einem Foyer, von dem – abgesehen von dem Flur, aus dem wir gekommen sind – zwei weitere Gänge abgehen. Der General stellt sich in die Mitte, und wir sind gezwungen, uns so zu verteilen, dass wir ihn alle hören können.
»Die Zimmer in den beiden Flügeln sind euer Zuhause für die kommende Zeit. Alles, was ihr für euren Aufenthalt braucht, findet ihr dort.«
Während er redet, neige ich den Kopf zur Seite. Von meiner Position aus kann ich ihn unauffällig mustern.
Ich kenne diesen Mann nicht, doch sein Titel sagt mir alles, was ich wissen muss. General. Jemand, der solch einen hohen Posten bekleidet, kann nur ein Monster sein. Das ist eine Voraussetzung für den Job. Vor allem in solch einem jungen Alter.
Jedoch ist er nicht gerade unattraktiv. Ach, wem will ich etwas vormachen? Der General sieht gut aus. Sehr gut sogar. Gerade jetzt betont das Spiel aus Licht und Schatten die markanten Konturen seines Gesichts. Die Farbe seiner Augen gleicht der des Himmels vor einem Sturm. Wie muskulös seine Arme sind, erkenne ich trotz seiner Uniform. Unwillkürlich frage ich mich, wie viele Frauen ihm bereits verfallen sind.
Die meisten Hexen in Isandia haben einen blassen Teint. In dieser Gegend aufzuwachsen, wo die Sonne – selbst zu der warmen Jahreszeit – sich schon am Nachmittag hinter den Spitzen der Berge versteckt, trägt dazu bei. Doch seine Haut ist von einem warmen, goldenen Braun, was bedeuten könnte, dass seine Familie zu denjenigen gehört, die kurz vor der Rebellion mit der großen Flüchtlingswelle aus dem Süden zugewandert sind. Schwer zu glauben, aber Isandia war einst ein sicherer Hafen für Hexen und Hexer, während in anderen Ländern unseresgleichen gefoltert und getötet wurden.
Als wäre ihm meine Aufmerksamkeit aufgefallen, dreht er langsam den Kopf zu mir. Unter seinem Blick fühle ich mich durchschaut. Als wüsste er von dem Mangel an Magie in mir und dem Messer unter meinem Umhang, dessen Scheide sich in meine Haut bohrt. Ich nehme einen tiefen, langsamen Atemzug und halte seinem Blick stand.
»In welchem Flügel ihr untergebracht seid, könnt ihr den Listen an den Eingängen entnehmen. Sucht nach eurem Namensschild an einer der Türen, so findet ihr euren Platz«, sagt er und wendet sich endlich von mir ab. »Ihr werdet um sieben Uhr abends vor euren Zimmern abgeholt. Eure Kleidung wird euch rechtzeitig gebracht. Zieht sie an und wartet vor der Tür.« Er macht eine kurze Pause und nickt schließlich. »Wenn es keine Fragen gibt, seid ihr entlassen.«
Er wendet uns seinen breiten Rücken zu. Marina und Thorben folgen ihm.
Mein Blick haftet an ihnen, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden sind. Erst jetzt wird mir bewusst, wie angespannt ich in ihrer Anwesenheit war, und ich atme erleichtert aus. Edina steht so nah neben mir, dass ich ihr frisches blumiges Parfum riechen kann.
»Ein besonderer Empfang.« Jacob spuckt die Worte nahezu aus. »Den kann er sich sonst wohin schieben.«
Mit gehobenen Brauen drehe ich mich zu ihm um. »Sind wir etwa bereits so vertraut miteinander, dass wir gemeinsam über die Leute des Königs herziehen?«, frage ich schmunzelnd.
Er schenkt mir einen skeptischen Blick. »Gibt es denn einen Magiebegabten, der anderer Meinung ist?«
Ich schweige, unsicher, ob ich der Frage zustimmen soll. Die Propaganda, die die regierende Familie und ihre Gefolgschaft betreiben, reicht weit. Es fängt bereits in den Schulen an, wo Kindern die falsche Version der historischen Rebellion gelehrt wird. Sie wachsen damit auf, diese auswendig zu kennen, sich an die angeblich mutigen Taten der Soldaten zu erinnern, die die Rebellion unterdrückt haben. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sich die meisten Magiebegabten der Lügen des Königreichs bewusst sind, schließlich wird in vielen Familien darauf geachtet, die wahre Geschichte an die jüngeren Generationen weiterzugeben.
»Ich hoffe nicht«, sage ich dann. Genauso wie ich hoffe, das Thema damit beendet zu haben. Sich über den König und seine Leute in seinem Palast auszulassen ist eine schlechte Idee. Selbst unter Hexen und Hexern.
Die ersten Leute reihen sich vor den beiden Listen auf und verschwinden bereits in einem der beiden Korridore.
»Na, so was!«, sagt plötzlich eine Stimme, die mir bekannt vorkommt. »Eine Andedis befindet sich unter uns!«
Jemand neben mir keucht auf, während die anderen zu flüstern beginnen. Ich drehe mich zu dem Mann, der eben meine Anwesenheit verkündet hat, und erkenne den blonden Hexer von vorhin.
Wie war noch mal sein Name? Björn?
»Na, wo bist du?« Ruft er in die Menge. »Zeig dein Gesicht.«
Ich seufze und schließe die Augen. So schnell ist meine Anonymität dahin. Aber wie ein Feigling zu schweigen und den Kerl zu ignorieren, bringt mich nicht weiter. Ich nehme all meinen Mut zusammen. »Das bin ich.«
Alle Blicke richten sich auf mich. Aus manchen lese ich Neugier ab, während die anderen Abscheu ausdrücken. Der blonde Trottel zeigt Letzteres. Überraschung.
Gelassen marschiert er auf mich zu.
»Dich wollte ich schon immer kennenlernen. Schließlich soll jemand aus deiner Familie für all das bezahlen, was wir durchleiden müssen.«
Mein Körper spannt sich an, doch bevor Björn mir noch näher kommen kann, stellt Edina sich ihm in den Weg. »Keinen Schritt weiter, hast du verstanden?«
Sie starrt ihm entgegen, und wenige Sekunden später schwindet sein aufgeblasener Gesichtsausdruck und macht Überraschung Platz, gefolgt von Panik. Mit den Händen umfasst er seinen Hals, als wollte er sich von etwas Unsichtbarem befreien, Sehnen treten auf seiner blassen Haut hervor.
Björn muss Edina ordentlich verärgert haben, wenn sie ihre Fjernk-Fähigkeit auf diese Art einsetzt. Zugegeben, es ist der wirksamste Weg, ihre Macht zu demonstrieren. Und ich bin mir sicher, dass Macht die einzige Sprache ist, die dieser Kerl versteht.
Ein paar Sekunden vergehen, dann lässt sie von ihm ab. Die Erleichterung auf seinem Gesicht ist unverkennbar.
Björn lächelt, offensichtlich darauf bedacht, seine Angst runterzuspielen. »Telekinese?«, fragt er anerkennend. »Kein Grund, zu solchen Mitteln zu greifen.« Er hält seine Hände mit den Flächen nach vorn über den Kopf und weicht zurück, als würde er sich ergeben.
»Sorg dafür, dass du mir in Zukunft keinen Grund mehr gibst.« Obwohl sie Ruhe bewahrt, hat Edinas Stimme einen bedrohlichen Unterton angenommen. Ihr Blick wandert zu den anderen, die das Spektakel schweigend beobachten. »Hat noch jemand ein Problem?«
Manche schütteln den Kopf, während die anderen den Blick abwenden oder sich umdrehen.
Schon bald ist die Aufmerksamkeit um uns erloschen.
»Danke«, flüstere ich.
Sie legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt leicht zu. »Klar doch. Wofür sind denn Freunde da?«
Amara
Dank Björn weiß ich bereits, in welchem Flügel mein Zimmer liegt. Jacob ist dem anderen Flur zugewiesen, und wir verabschieden uns erst mal. Edinas Zimmer liegt zum Glück in meiner Richtung, auch wenn ihres eins der ersten ist. Ich wiederum muss fast ans Ende des Gewölbegangs laufen, bis ich endlich das goldene Schild mit meinem eingeschnitzten Namen entdecke. Ich drehe den Schlüssel und stoße die massive Eichentür auf.
Auf das, was mich dahinter erwartet, war ich nicht gefasst – und für einen Moment bin ich baff. Das soll mein Zimmer sein? Vielmehr ist es ein Gemach. Selbst im gedämpften Licht kann ich den Prunk erkennen. Die Wächter haben es wohl ernst gemeint, dass auf uns ein besonderer Empfang wartet. Angefangen bei unseren Unterkünften.
Die kunstvollen Kronleuchter, die abends zweifellos für ausreichende Beleuchtung sorgen, sind momentan dunkel, weswegen ich zuerst an das hohe Fenster gehe und die schweren dunkelroten Samtvorhänge auseinanderschiebe. Heute ist ein bewölkter Tag, was keine Seltenheit ist, vor allem hier, in einer Stadt, die von einer Seite von Bergen eingekesselt wird. Das Licht, das das Zimmer flutet, reicht jedoch aus, um alles im Raum gut erkennen zu können.
Die Wände sind mit grauen Tapeten verkleidet, die von einem filigranen Muster durchzogen sind. Das Himmelbett dominiert den Raum. Es ist ein massives Holzgestell mit geschnitzten Verzierungen, von schweren dunklen Vorhängen ummantelt.
Alles macht den Anschein, als würde der König besonders wichtige Gäste empfangen, nicht diejenigen, die er zum Sterben hierher befördert hat. Doch das Eisengitter, das außen vor dem großen Fenster angebracht ist, erinnert mich daran, dass ich an diesem Ort kein Gast, sondern eine Gefangene bin.
Der Schmerz, der mir bei meiner nächsten Bewegung durch den Leib fährt, lässt mich aufkeuchen. Ich streife meinen Umhang ab, lege ihn auf den Sessel am Fenster und greife nach dem Dolch. Zischend ziehe ich ihn unter meiner Tunika hervor und betrachte meine Haut. Die Lederscheide hat eine rote Spur darauf hinterlassen.
Während ich die Waffe in meiner Hand drehe, übermannt mich für einen Augenblick ein tiefes Schamgefühl. Ohne die Scheide vom Dolch abzuziehen, weiß ich, was sich darunter verbirgt: Schattenmetall. Das Metall, das jede Hexe vergiften würde, sollte ich es tief genug in ihre Haut jagen. Das ist das Metall, das der damalige König zur Zeit der Hexenrebellion gegen uns verwendet hat, um den Aufstand zu unterdrücken. Nie sollte eine Hexe solch eine Waffe gegen ihresgleichen führen. Aber bei der Wahl zwischen meiner Würde und meinem Überleben entscheide ich mich dann doch für Letzteres. Wie ein Feigling. Ein Feigling, der leben will.
Ich reibe über die Druckstelle und sehe mich um: Wo könnte ich den Dolch verstecken? Es darf kein Ort sein, den eine Dienstmagd beim Putzen leicht entdecken könnte – sofern man uns überhaupt die Ehre erweist, die Räumlichkeiten zu reinigen – und er muss jederzeit griffbereit sein. Ein Messer war auch im Alltag zu Hause mein treuer Begleiter. Für die meisten Hexen und Hexer ist Magie die Waffe, derer sie sich bedienen. Aber zu jeder Regel gehören Ausnahmen. In diesem Fall ich.
Die ersten Anzeichen magischer Kräfte zeigen sich bei Begabten für gewöhnlich direkt nach dem sechzehnten Geburtstag. Trotzdem war meine Familie unbesorgt, als sie bei mir ausgeblieben sind. Bei manchen Hexen offenbart sich die Gabe erst im Laufe des Jahres danach. Je mächtiger sie ist, desto länger braucht sie, um zum Vorschein zu kommen, hat mir Illian damals gesagt.
Als ich siebzehn wurde und immer noch machtlos geblieben war, begann meine Mutter sich zu sorgen, auch wenn sie es zu verbergen versuchte. »Vielleicht hast du einfach eine ganz besondere Gabe«, hat sie damals gesagt. Doch ihr mitleidiger Blick, den sie mir immer wieder zugeworfen hat, hat ihre Zweifel verraten.
Zu meinem achtzehnten Geburtstag schenkte mir Illian meinen ersten Dolch. Seitdem machte er es sich zur Aufgabe, mich zu einer Kämpferin auszubilden. Wir übten mit Waffen jeglicher Art, trainierten Nahkampf und Bogenschießen. Nach drei Jahren intensiven Trainings mit meinem Bruder gibt es kaum etwas, das ich nicht beherrsche. Außer Magie.
Um ehrlich zu sein, habe ich das Training meinem Bruder zuliebe mitgemacht. Dadurch bekam Illian das Gefühl, er hätte alles dafür getan, um mich auf die Trials vorzubereiten und damit meine Überlebenschancen zu erhöhen. Auch wenn wir beide wissen, dass ich mit Kampfgeschick – egal wie ausgeprägt – wenig gegen Magie ausrichten kann.
Hätte ich mir eine Waffe aussuchen können, wäre meine Wahl auf ein Schwert gefallen. Oder eine Axt. Damit fühle ich mich deutlich wohler. Aber etwas so Großes hätte ich kaum hineinschmuggeln können.
Ich sehe mich noch einmal in meinem neuen Zimmer um und entscheide mich für das banalste Versteck der Welt: mein Kissen. Vorübergehend.
Die Bettwäsche aus dunklem Samt ist mit silbernen Fäden bestickt. Unter meinen Fingerspitzen fühlt sie sich weich und geschmeidig an. Unwillkürlich werfe ich mich auf das Bett, das mich wie eine riesige Wolke empfängt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich je in einem so gemütlichen Bett geschlafen habe.
Ich schließe die Augen und überlege, ein Nickerchen zu machen, doch der Empfang beginnt bereits in wenigen Stunden, und ich muss mich noch zurechtmachen. Wenn ich jetzt schlafe, kann es passieren, dass ich erst in fünf Stunden aufwache. In der Vergangenheit gab es bereits Vorfälle dieser Art.
Seufzend stehe ich auf und gehe zum Schrank, der links vom Bett steht. Was nutzt es, einen zu haben, wenn wir all unsere persönlichen Besitztümer in der Eingangshalle abgeben mussten?
Ich will schon die mit Intarsien verzierten Türen öffnen, um nach Kleidungsstücken zu sehen, die uns angeblich zur Verfügung gestellt werden, als es an der Tür klopft. Zögerlich laufe ich darauf zu. Ein Teil von mir befürchtet, dass die letzten Stunden seit unserer Ankunft nur eine Farce waren, womit der König uns in Sicherheit wiegen wollte, nur um uns kurz danach unvorbereitet in die Trials zu werfen. Ein makabres Spiel, das ich ihm zutrauen würde. Doch als ich die Tür öffne, steht eine Magd vor mir. Ihr schlichtes Kleid ist nahezu so grau wie die Sandsteinwände des Schlosses. Das aschblonde Haar ist zu einem strengen Knoten gebunden.
»Ihre Schuhe und Ihr Kleid, Miss«, sagt sie und streckt mir eine riesige schwarze Schachtel entgegen.
Miss?
»Ähm …« Mehr bringe ich nicht zustande.
Die Magd verbeugt sich so tief, dass es mir unangenehm ist, während sie mir noch immer die Schachtel hinhält. So etwas bin ich nicht gewohnt. Wir Hexen behandeln einander ebenbürtig, es gibt keinen Anführer, dem wir Treue schwören müssen und vor dem wir uns verbeugen. Abgesehen von dem König, der dies von uns verlangt, aber das sind die Regeln der Menschen, nicht unsere.
»Danke«, sage ich und nehme die Schachtel entgegen, die schwer in meinen Händen liegt. Ahnend, dass die Magd bleibt, bis ich sie entlasse, füge ich hinzu: »Du kannst gehen.«
Mit einem Fuß stoße ich die Tür zu und werfe die Schachtel aufs Bett. Ich muss zugeben, dass ich neugierig bin. Mit schnell klopfendem Herzen hebe ich den Deckel hoch. Zuerst sehe ich nichts, außer Glitzer und rosigem Tüll. Vorsichtig greife ich nach dem Stoff und hole ihn heraus.
Schon daran, wie der Stoff sich unter meinen Händen anfühlt, erkenne ich, dass dies das Teuerste ist, was ich je anhatte. Doch die beste Methode, ein Kleid zu begutachten, ist die, es anzuziehen, weswegen ich meine Tunika und die Hose abstreife und hineinschlüpfe. Dann trete ich an den großen Wandspiegel heran, der in einen verzierten Holzrahmen gefasst ist.
Ich blinzle zweimal, als ich die Frau darin sehe. Bin das wirklich ich? Die Person, die mir entgegenblickt, ist zweifellos eine Prinzessin. Und ich fühle mich für einen Augenblick auch so.
