Tschick von Wolfgang Herrndorf - Textanalyse und Interpretation - Wolfgang Herrndorf - E-Book

Tschick von Wolfgang Herrndorf - Textanalyse und Interpretation E-Book

Wolfgang Herrndorf

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Beschreibung

Spare Zeit und verzichte auf lästige Recherche!

In diesem Band findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Buch komplett gelesen zu haben.

 

Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert.

 

Inhalt:

- Schnellübersicht

- Autor: Leben und Werk

- ausführliche Inhaltsangabe

- Aufbau

- Personenkonstellationen

- Sachliche und sprachliche Erläuterungen

- Stil und Sprache

- Interpretationsansätze

- 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen

NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen

NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung

 

Layout:

- Randspalten mit Schlüsselbegriffen

- übersichtliche Schaubilder

NEU: vierfarbiges Layout

 

Der Jugendroman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf erzählt von zwei Außenseitern, die aus gescheiterten Familien stammen. Sie entwickeln eine tiefe Freundschaft.

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Seitenzahl: 149

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KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN

Band 493

Textanalyse und Interpretation zu

Wolfgang Herrndorf

Tschick

Arnd Nadolny

Alle erforderlichen Infos zur Analyse und Interpretation plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen

Zitierte Ausgabe: Herrndorf, Wolfgang: Tschick. Roman. Reinbek: Rowohlt 90. Auflage 2021

Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. phil. habil. Thomas Möbius, Studium der Germanistik, ev. Theologie und Philosophie, Studienrat an einem Gymnasium in Mannheim und an der German European School in Singapur, Akademischer Oberrat an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, nach Professuren in Freiburg, Osnabrück, Greifswald und Aachen, Professor für Germanistische Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Für Philipp

1. Auflage 2023

978-3-8044-7078-1

© 2022 by C. Bange Verlag GmbH, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Szene aus dem Film „Tschick“ (Fatih Akin; 2016) © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Studiocanal Film

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

Fußnoten Fußnoten sind im Text in eckigen Klammern mit fortlaufender Nummerierung angegeben. Tippen Sie auf eine Fußnote und Sie gelangen zum entsprechenden Fußnotentext. Tippen Sie im aufgerufenen Fußnotentext auf die Ziffer zu Beginn der Zeile, und Sie gelangen wieder zum Ursprung. Sie können auch die Rücksprungfunktion Ihres ePub-Readers verwenden (sofern verfügbar).

 

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

2. Wolfgang Herrndorf: Leben und Werk

2.1 Biografie

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

3. Textanalyse und -Interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

3.2 Inhaltsangabe

3.3 Aufbau

Die Grundstruktur der Handlung

Thematische Schwerpunkte

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Maik Klingenberg

Andrej Tschichatschow

Isa Schmidt

Herr und Frau Klingenberg

Sprachtherapeutin

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

3.6 Stil und Sprache

3.7 Interpretationsansätze

Tschick als Adoleszenzroman

Tschick als Auseinandersetzung mit Adoleszenzthemen

3.8 Schlüsselstellenanalysen

4. Rezeptionsgeschichte

5. Materialien

Definition „Adoleszenzliteratur“

Werteorientierung junger Menschen zwischen 12 und 29

Nachrufe auf Wolfgang Herrndorf

Begründung der Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises 2011

Jugendliche und Alkohol

Straftaten in Deutschland

6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen

Aufgabe 1 ***

Aufgabe 2 *

Aufgabe 3 *

Aufgabe 4 ***

Aufgabe 5 ***

Aufgabe 6 *

Lernskizzen und Schaubilder

Literatur

Zitierte Ausgabe

Weitere Quellen

Lernhilfen und Kommentare für Lehrer

Sekundärliteratur

Bühnenfassung

Verfilmung

Internetadressen

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

Damit sich alle Leserinnen und Leser in unserem Band rasch zurechtfinden und das für sie Interessante gleich entdecken, hier eine Übersicht:

 

Im zweiten Kapitel beschreiben wir das Leben Wolfgang Herrndorfs und stellen den zeitgeschichtlichen Hintergrund dar.

Wolfgang Herrndorf wurde 1965 in Hamburg geboren und starb 2013 in Berlin. Er studierte Malerei in Nürnberg, arbeitete dann als Illustrator für verschiedene Verlage. Er schrieb zunächst eher als Hobby, 2002 veröffentlichte er sein erstes Werk In Plüschgewittern.

Die Zeit war politisch geprägt durch das Ende des „Kalten Krieges“, den Fall des „Eisernen Vorhangs“ und die deutsche Wiedervereinigung mit allen politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen.

Der Roman Tschick wurde 2010 veröffentlicht. Er zählt zum Genre der Adoleszenzliteratur und weist motivgeschichtliche Parallelen zu anderen jugendliterarischen Werken desselben Genres auf.

Im dritten Kapitel bieten wir eine Textanalyse und Interpretation.

Entstehung und Quellen:

Wolfgang Herrndorf erzählt in einem Interview, dass er im Jahre 2004 die Bücher seiner Jugend wieder gelesen habe. Er nennt als Beispiele Herr der Fliegen von William Golding, Huckleberry Finn von Mark Twain und Der Bericht des Arthur Gordon Pym von Edgar Allan Poe, Pik reist nach Amerika von Franz Werner Schmidt. Er stellt fest, dass diese Bücher drei Gemeinsamkeiten aufweisen: Fehlen der erwachsenen Bezugspersonen, Reise und Wasser. Alle diese Motive wollte er in einem Jugendroman um ein gestohlenes Auto vereinen.

Inhalt:

Die beiden 14-jährigen Klassenkameraden Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow unternehmen während der Sommerferien eine Reise durch Ostdeutschland in einem gestohlenen Auto. Die Familien, aus denen beide Schüler stammen, sind unterschiedlich: Maiks Mutter ist Alkoholikerin, sein Vater scheitert mit Immobilieninvestitionen, Maik selbst ist ein Außenseiter in der Klasse genauso wie Andrej, der „Tschick“ genannt wird und der mit seinem Bruder aus Russland gekommen ist. Auf ihrer planlosen Reise begegnen sie Menschen, die ihnen in schwierigen Situationen helfen: Bei einer Familie können sie ausgiebig zu Mittag essen, Isa, ein Mädchen, das auf einer Müllkippe lebt, zeigt ihnen, wie man Benzin aus einem Tank zapft, eine Sprachtherapeutin leistet nach einem Autounfall erste Hilfe. Zwischen den beiden Jungen entwickelt sich eine enge Freundschaft. Nach dem zweiten Unfall kommt Andrej in ein Heim, während Maik nach einem Krankenhausaufenthalt – nun nicht mehr als Außenseiter – in das neue Schuljahr starten kann.

Chronologie und Schauplätze:

Handlungszeit ist die Gegenwart. Der Roman weist eine Rahmenhandlung auf, die in der Erzählgegenwart spielt und in die ein ca. vier Jahre umfassender Rückblick eingebettet ist, in dem die Zeit von der 5. bis zur 8. Klasse erzählt wird. In den ersten vier Kapiteln befindet sich der Ich-Erzähler Maik Klingenberg erst auf der Polizeistation, dann im Krankenhaus und wird zum Unfallhergang befragt. Im 12. bis 44. Kapitel wird die erzählte Zeit auf 13 Tage verdichtet; hier geht es im Wesentlichen um die Reise der beiden Jungen, die mit zwei Unfällen ein Ende findet. In den letzten vier Kapiteln befindet sich der Ich-Erzähler Maik Klingenberg am Beginn der 9. Klasse.

Die Handlung spielt in Berlin. Die Reise der beiden Jungen findet in der Umgebung von Berlin und überwiegend in Brandenburg statt.

Personen:

Die Hauptpersonen sind

Maik Klingenberg:

unauffällig, mit guten Leistungen in Mathematik und Sport

stammt aus einem bürgerlichen Elternhaus

ist selbstreflektiert, bekennt sich zu seiner Freundschaft mit Tschick

Andrej Tschichatschow (Tschick):

Außenseiter durch sein Aussehen, seine Kleidung und sein Auftreten; weiß sich in der Schule Respekt zu verschaffen

kam vier Jahre vor Beginn der Romanhandlung mit seinem Bruder aus einfachen Verhältnissen aus Russland

ist homosexuell, steht zur Freundschaft mit Maik auch in der Gerichtsverhandlung

Isa Schmidt:

wie Maik und Tschick 14 Jahre alt, neugierig, möchte später zum Fernsehen

bis zum Baden im See ungepflegte, verwahrloste Erscheinung, später mit artikuliertem sexuellen Interesse an Maik, mit dem sie sich anfreundet

will zu ihrer Halbschwester nach Prag, schließt sich den Jungen an und hilft ihnen beim Stehlen von Benzin

Eltern von Maik Klingenberg:

Vater Josef als Immobilienmakler tätig, in den letzten Jahren zunehmend erfolglos

Maiks Mutter ist Alkoholikerin, die immer wieder Entziehungskuren macht

die Ehe zwischen beiden ist gescheitert; am Ende zieht der Vater mit seiner Geliebten Mona zusammen

Sprachtherapeutin:

kommt den Jungen nach dem Unfall zu Hilfe

unvoreingenommene Zuwendung, positiv gezeichnetes Bild eines Erwachsenen

Neben diesen Hauptfiguren existiert eine Reihe von mehr oder weniger bedeutsamen Nebenfiguren wie z. B. die Familie, bei der die beiden Jungen zu Mittag essen, oder die Mitschüler von Maik und Tschick. Im Schaubild zur Figurenkonstellation haben wir versucht, die erwähnten Figuren zu erfassen.

Stil und Sprache:

Der Roman ist in einer Kunstsprache verfasst, die Merkmale der Jugendsprache und des Slang aufweist. Die Sprache des Ich-Erzählers Maik ist über weite Passagen durch einen ruhigen, unaufgeregten Stil geprägt, der dem mündlichen Sprachgebrauch mit einem einfachen Satzbau nachempfunden ist.

Interpretationsansätze:

Zwei Interpretationsansätze bieten sich an:

 

Tschick ist

ein Werk, das formal-gattungsmäßig als Adoleszenzroman zu begreifen ist, da es der für das Genre typischen Struktur der „Heldenreise“ folgt und die Identitätsfindung des Protogonisten zum Ziel hat.

ein Werk, das sich thematisch-inhaltlich mit einer Vielzahl von aktuellen gesellschaftlichen Problemen aus der Perspektive Heranwachsender auseinandersetzt: Freundschaft – Liebe – Sexualität, Familienkonzepte, Sucht und Suchtmittel, straffällige Jugendliche – Umgang mit Gesetzen und Regeln.

2. Wolfgang Herrndorf: Leben und Werk

2.1 Biografie

Wolfgang Herrndorf 1965–2013© picture-alliance / dpa | Erwin Elsner

Jahr

Ort

Ereignis

Alter

1965

Hamburg

Geburt am 12. Juni

 

[nach dem Schulabschluss]

Nürnberg

Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste

ca. 20

[nach dem Studium]

Berlin

Arbeit als Illustrator z. B. für „Luke & Trooke“ und „Titanic“

ca. 30

2002

Berlin

In Plüschgewittern als erstes publiziertes Werk

38

2010

Berlin

Diagnose der Krebserkrankung (bösartiger Hirntumor, sog. Glioblastom)

45

Berlin

Tschick

45

2010–2013

Berlin

Chemotherapien, Bestrahlungen, Operationen

45–48

2011

Frankfurt am Main

Deutscher Jugendliteraturpreis für Tschick

46

2012

Leipzig

Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik für Sand

47

2013

Berlin

15. 7.: Diagnose von Rezidiva[1], weitere Behandlung zwecklos

48

Berlin

26. 8.: Tod; Suizid

48

2013

Berlin

Arbeit und Struktur (posthum)

 

2014

Berlin

Bilder deiner großen Liebe. Ein unvollendeter Roman (posthum)

 

 

Über das Leben von Wolfgang Herrndorf gibt es – zumindest bis zum Jahr 2022 – nur wenige Informationen, eine Biografie existiert nicht.[2] Bekannt ist, dass er nach seinem Malerei-Studium Anfang/Mitte der 1990er-Jahre nach Berlin gezogen ist und dort Illustrationen und Comics für satirische Zeitschriften angefertigt hat, u. a. für „Luke & Trooke“ und „Titanic“. Eher zufällig kam er als Hobbyautor zum Schreiben und publizierte 2002 seinen ersten Roman In Plüschgewittern. Sehr viele Informationen erhält man in dem Moment, als bei ihm ein bösartiger Hirntumor entdeckt wird und er am 8. 3. 2010 mit dem Schreiben eines Tagebuchblogs beginnt (Arbeit und Struktur unter www.wolfgang-herrndorf.de), in dem er detailliert Auskunft gibt über seine persönliche Lage, aber auch über die Arbeitsprojekte, mit denen er sich während seiner Krankheit befasst: So erfährt man in Arbeit und Struktur, dass der Autor an einer Erzählung arbeitet, die den Titel Isa trägt. (Dieses Werk erschien 2014 posthum als Fragment: Bilder deiner großen Liebe.) Auch die Entwicklung seiner Erkrankung wird bis hin zu exakten Mengenangaben der verabreichten Medikamente minutiös geschildert; dokumentiert wird auch, dass das Tumorwachstum nicht zum Stillstand gebracht werden konnte:

„Beim Aufstehen am Morgen drei oder vier Meter rückwärts durchs Zimmer getaumelt und mit Kopf und Nacken gegen die Tischkante geknallt. Mit Rückenschmerzen zum Westhafen, S-Bahn zu Dr. Vier. Befund schlecht wie erwartet. Avastin ohne Wirkung, Glioblastom beiderseits progressiv. Ende der Chemo. OP sinnlos.“[3]

Ein Metallkreuz am Hohenzollernkanal in Berlin erinnert an Wolfgang Herrndorf, der sich hier schwer krebskrank 2013 das Leben nahm. © picture alliance / dpa | Stephanie Pilick

Vor diesem Hintergrund sind seine Aufzeichnungen in Arbeit und Struktur eine Auseinandersetzung mit dem sich abzeichnenden Lebensende; Herrndorfs letzter Eintrag stammt vom 20. August 2013. Er schied freiwillig aus dem Leben: „Wolfgang Herrndorf hat sich am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen.“[4]

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird der zeitgeschichtliche Hintergrund von Wolfgang Herrndorf dargestellt, zum zeitgeschichtlichen Hintergrund der Romanhandlung siehe Kapitel 3.1 dieses Bandes. 

Wichtig für den Zeitraum von den 1960er-Jahren bis heute:

nach dem wirtschaftlichen Wiederaufbau in den 1950er-Jahren Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit in den 1960er-Jahren

Politisierung aller Lebensbereiche in den 1970er- und 1980er-Jahren

Wiedervereinigung in den 1990er-Jahren

Auseinandersetzung mit den ökonomischen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Folgen der Wiedervereinigung seit den 1990er-Jahren

In der Bundesrepublik waren die 1950er-Jahre bestimmt durch den Wiederaufbau, der sich, auch unterstützt durch massive amerikanische Finanzhilfen („Marshallplan“), bald zum sogenannten „Wirtschaftswunder“ entwickelte. Am Ende der 1950er-Jahre waren der Wiederaufbau und die politische Westintegration der Bundesrepublik (Nato-Beitritt 1955, EWG-Vertrag 1957) abgeschlossen. Die einseitige Ausrichtung auf wirtschaftlichen Erfolg und das nach den Kriegsjahren durchaus verständliche Nachholen von Konsumbedürfnissen zeigten in der Adenauer-Ära ihre Schattenseiten beispielsweise in der einseitigen Orientierung an materiellen Wünschen und in der Verdrängung der NS-Vergangenheit: Schon kurz nach Kriegsende forderten erste Stimmen, „endlich“ einen „Schlussstrich“ unter die deutsche Vergangenheit zu ziehen; viele ehemalige Nazis und Parteimitglieder konnten in der Bundesrepublik in Wirtschaft, Justiz und Politik Karriere machen. Nicht zuletzt an diesem Desinteresse an einer Aufarbeitung während der sogenannten „Adenauer-Ära“ entzündeten sich die Studentenproteste Ende der 1960er-Jahre.

Wolfgang Herrndorfs Geburtsjahr 1965 liegt gerade ein Jahr vor dem offiziellen Ende dieser Ära: Von 1966 an regierte die SPD die Bundesrepublik, zunächst in einer großen Koalition, ab 1969 dann in einer Koalition mit den Liberalen unter Bundeskanzler Willy Brandt bzw. Helmut Schmidt. Die SPD setzte mit ihrer innenpolitisch umstrittenen Ostpolitik auf Entspannung und Vertrauensbildung zwischen den Machtblöcken („Ostverträge“ Anfang der 1970er-Jahre). Gesellschaftlich waren die 1960er- und 1970er-Jahre von heftigen Auseinandersetzungen, kulturellen Umbrüchen und Generationenkonflikten geprägt: Eine marxistisch-maoistisch orientierte „Außerparlamentarische Opposition“ (APO) richtete sich gegen die Politik der Großen Koalition (z. B. 1968 gegen die „Notstandsverfassung“), gegen den Krieg der USA in Vietnam sowie grundsätzlich gegen die Werte einer bürgerlichen Gesellschaft („Studentenrevolte“, Auseinandersetzung mit der verdrängten NS-Vergangenheit der Eltern-Generation). In den 1970er-Jahren mündeten militante Ausläufer der Protestbewegung in den Terrorismus der RAF („Rote Armee Fraktion“), in deren Verlauf zahlreiche Straftaten (darunter über 30 Morde) begangen wurden.

Die DDR, die sich seit 1961 durch den Mauerbau vor dem Westen abgeschottet hatte, reagierte in den 1970er-Jahren auf die lauter werdende Kritik ihrer Intellektuellen an der herrschenden Bevormundung und den Entwicklungen im real existierenden Sozialismus mit der Bespitzelung durch Staatssicherheit und einem Heer „informeller Mitarbeiter“, der Verhängung von Berufsverboten, mit Inhaftierung sowie mit Ausbürgerungen und Abschiebungen. Prominente DDR-„Dissidenten“ sind Jürgen Fuchs, Wolf Biermann, Rudolf Bahro, Erich Loest, Hans Mayer und Bettina Wegener.

Die 1980er-Jahre waren in der Bundesrepublik gekennzeichnet durch den Regierungswechsel von der sozial-liberalen zur christlich-liberalen Koalition von CDU und FDP unter Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Opposition gegen den sogenannten „Nato-Doppelbeschluss“ 1979 (Erweiterung der nuklearen Mittelstreckenwaffen in Westeuropa) und ein zunehmendes ökologisches Bewusstsein führten zur Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen, Friedens- und Umweltschutzbewegungen sowie alternativer politischer Gruppierungen. Bei der Bundestagswahl 1983 zog erstmals die 1980 gegründete Partei „Die Grünen“ in den Bundestag ein. Die Neuausrichtung der sowjetischen Politik, die der neue Parteichef Michail Gorbatschow mit den Schlagworten „Perestroika“ (Umgestaltung, Umbau) und „Glasnost“ (Transparenz, Offenheit) betrieb, führte zusammen mit dem gewaltlosen Widerstand der DDR-Bürger 1989 zur Öffnung der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten (9. 11. 1989) und im Jahr darauf zur offiziellen Wiedervereinigung (3. 10. 1990).

Die 1990er-Jahre wurden außenpolitisch bestimmt durch die Neudefinition der Rolle, die das wiedervereinigte Deutschland in Europa und der Welt spielen sollte (Beteiligung an Kampfeinsätzen der NATO, Diskussion über einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat). Insbesondere die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder trug durch die Entscheidung für den ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg (Kosovo-Einsatz 1999) zu der Neubestimmung der Rolle Deutschlands bei. Diese Politik wurde von der schwarz-roten (Große Koalition; 2005–2009, 2013–2021) bzw. schwarz-gelben (2009–2013) Regierung unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel fortgesetzt. Innenpolitisch waren die Anstrengungen darauf gerichtet, die kulturelle und materielle Überwindung der Teilung und den Aufbau der neuen Bundesländer voranzutreiben.

Gleichzeitig kam es zu einer (letztlich bis heute andauernden) gesellschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und der Rolle der Intellektuellen im SED-Staat (Stichwort: Stasi-Akten). Die Diskussion begann bereits 1990 mit dem sogenannten „Literaturstreit“ um die ostdeutsche Autorin Christa Wolf und ihre Erzählung Was bleibt (1990).

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

Werkübersicht

2002 / 2008

In Plüschgewittern (Roman)

2007

Diesseits des Van-Allen-Gürtels (Erzählungen)

2007

Die Rosenbaum-Doktrin (Erzählung)

2010

Tschick (Roman)

2011

Sand (Roman)

2010–2013

Arbeit und Struktur (Online-Tagebuch auf http://www.wolfgang-herrndorf.de), posthum als Buch (2013)

2014

Bilder deiner großen Liebe. Ein unvollendeter Roman (posthum)

 

Darüber hinaus beteiligt sich Herrndorf regelmäßig an dem 1999 gegründeten Internetforum Wir höflichen Paparazzi, in dem Berichte über zufällige Begegnungen mit Prominenten gepostet werden. Außerdem beteiligt er sich an dem Blog Riesenmaschine. Das brandneue Universum, über das die Autoren damals schrieben:

„Die Riesenmaschine ist kein ‚Portal im Internet‘. Die Riesenmaschine ist kein ‚Satiremagazin‘. Die Autoren der Riesenmaschine sind keine ‚Zyniker‘. In der Riesenmaschine schreiben keine ‚Autoren und solche, die es werden wollen‘, sondern Autoren und solche, die schon etwas ganz anderes sind, z. B. Astronom oder Pornodarsteller. Es ist keineswegs ‚jeder dazu eingeladen, sich an riesenmaschine.de zu probieren‘, eingeladen ist vielmehr, wer eingeladen wurde. Die Riesenmaschine ist kein ‚virtuelles Tagebuch‘.“[5]

Das Blog kommentierte aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur.

 

Preise und Auszeichnungen

2004

Kelag-Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs für Diesseits des Van-Allen-Gürtels

2008

Deutscher Erzählerpreis für Diesseits des Van-Allen-Gürtels

2011

Deutscher Jugendliteraturpreis für Tschick

2011

Clemens-Brentano-Preis für Tschick

2012

Hans-Fallada-Preis für Tschick

2012

Preis der Leipziger Buchmesse für Sand

2012

Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft

 

Erläuterungen zu einzelnen Werken 

In Plüschgewittern (2002 / überarbeitet 2008)

Der Ich-Erzähler, ein Mann um die dreißig, kommt vom Land nach Berlin und erlebt dort ein scheinbar schrankenloses Leben zwischen Altbaupartys und Arbeitslosigkeit. Der Roman ist eine scharfsichtige Analyse des Berliner Szenelebens. Der Held leidet an sich und an der Welt, seine Wahrnehmung der ihn umgebenden Realität verdichtet sich in zum Teil sarkastischen Kommentaren.

Diesseits des Van-Allen-Gürtels (2007)

Der Band enthält sechs Erzählungen: Der Weg des Soldaten, Blume von Tsingtao, Im Oderbruch, Herrlich, diese Übersicht, Diesseits des Van-Allen-Gürtels und Zentrale Intelligenz Agentur. Die überwiegend aus der Ich-Perspektive erzählenden Geschichten weisen biografische Anknüpfungspunkte auf (Aufenthalt als Kunststudent in Nürnberg und Wohnsitz in Berlin). Zum Teil widmen sie sich Themen der Adoleszenzliteratur (Identitätsfindung und Aufbau sozialer Beziehungen in Der Weg des Soldaten, Lebensträume/Gesellschaftskritik/Identitätsfindung in Diesseits des Van-Allen-Gürtels). Kriminalliterarische Motive finden sich z. B. in Blume von Tsingtao, in der sich ein Krankenpfleger mit dem Geld eines ermordeten Patienten auf eine Weltreise begibt. Das Motiv der Reise, die wie in Tschick zum Raum der Identitätsfindung wird, spielt in Der Weg des Soldaten und Blume von Tsingtao ebenfalls eine wichtige Rolle. In Der Weg des Soldaten tritt mit Franco Cosic eine Figur auf, die denselben Nachnamen trägt wie Tatjana in Tschick.

Die Rosenbaum-Doktrin (2007)

Fiktives Interview, das Herrndorf mit dem Astronauten Friedrich Jaschke führt. Thematisch geht es um die Frage des Umgangs mit unerklärlichen Dingen, die den Astronauten im Weltraum begegnen könnten. Jaschke zitiert dazu die sogenannte „Rosenbaum-Doktrin“, nach der für solche Fälle die Eliminierung des Phänomens vorgeschrieben ist.

Sand (2011)