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Hans Ruf schrieb eine Chronik von Türkheim. Diese verschwand. Niemand wusste wohin. Zufällig tauchte nach 40 Jahren ein Teil der Chronik wieder auf . Dieser war in einem Papierkorb des Rathauses gefunden worden. Dieser Teil der Türkheimer Chronik wird hier veröffentlicht.
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Seitenzahl: 136
Vorwort
1900
1901
1902
1903
1904
1905
1906
1907
1908
1909
1910
1911
1912
1913
1914
1915
1916
1917
1918
1919
1920
1921
1922
1923
1924
1925
1926
1927
1929
1930
1931
1932
1933
1934
1935
1936
1937
1938
1939
1940
1941
1942
1943
1944
1945
1946
1947
1948
1949
1950
Hans Ruf schrieb jahrzehntelang an einer „Chronik von Türkheim“. Er wertete dabei vor allem Archivalien im Staatsarchiv in Neuburg a.D., im Münchener Hauptstaatsarchiv und im Türkheimer Gemeindearchiv aus. Als die umfangreiche Chronik fertig war, wollte er sie veröffentlicht sehen. Die Marktgemeinde Türkheim sollte den Druck dieses Werkes ermöglichen. Aus diesem Grund gab er das Manuskript dem damaligen Bürgermeister. Dieser wollte es zur Begutachtung weiterreichen. Schließlich war das Manuskript von Hans Ruf jedoch verschwunden. Nicht mehr auffindbar! Nicht nur, dass man es versäumte, Hans Ruf zum Ehrenbürger des Marktes zu machen, nein, man ließ seine Chronik, sein Lebenswerk, einfach so verschwinden. Ein Skandal!
Vor wenigen Wochen klingelte es an meiner Haustüre. Obwohl „Corona“, öffnete ich. Vor der Türe stand der ehemalige Hausmeister des Türkheimer Rathauses und drückte mir eine Geheft in die Hand. Darauf stand „1900 – 1950“. Rasch war mir klar, dass es sich hierbei um einen Teil der „Türkheimer Chronik“ von Hans Ruf handelt. Das Geheft war nummeriert von S. 193 bis S. 304 und überschrieben „1900 – 1950“. Er habe, so erzählte der ehemalige Hausmeister, vor langer Zeit dieses Geheft aus einem Papierkorb im Türkheimer Rathaus gefischt. Wie die Nummerierung zeigt, umfasste Rufs Chronikmanuskript über 300 Seiten. Mehr als die Hälfte, nämlich 192 Seiten (die Chronik bis 1900) wurden anscheinend von niemand aus dem gemeindlichen Papierkorb gezogen. So springt Türkheim mit seiner Geschichte um!
Als ich es überflog hatte ich sofort den Wunsch, dieses Manuskript zu veröffentlichen, denn es enthält viel Wissenswertes und bisher Unbekanntes. Zwar hatte ich mir vorgenommen, nichts mehr für und über Türkheim zu schreiben, aber ich fühlte mich dem Erbe von Herrn Ruf gegenüber verpflichtet, hier eine Ausnahme zu machen.
So schrieb ich das Manuskript von Hans Ruf ab, dann überflog ich es, dann las ich er Korrektur und dann stellte ich fest, dass andere Arbeiten liegen blieben. Eine zweite Korrektur hätte sicher noch manchen Fehler gefunden. Vielleicht findet sich einmal jemand, der mich bei den nächsten Heimatschriften beim Korrekturlesen unterstütz.
Ich übertrage Rufs Manuskript wörtlich. Ich füge nur Überschriften bei.
Der Herausgeber
Straßen
Am Anfang des Jahrhunderts herrschte eine friedvolle Zeit. Man lebte unbekümmert und genügsam. Auf den Straßen zogen noch die Post- und Botenwagen. Von Türkheim ging ein Postwagenkurs nach Kirchheim. Zum Bahnhof fuhr man meist mit dem Stellwagen.
Der Zustand der Straßen war zu dieser Zeit noch denkbar schlecht. In trockenen Zeiten lag der Staub zollhoch auf den Straßen und wenn es regnete zog der Wegmacher den Straßenkot mit der Krucke an den Straßenrand. Im Frühjahr und Herbst wurden alle Orts- und Ortsverbindungsstraßen im Frondienst aufgekiest. Nur die Hauptstraße hatte einen Basalt-Schotter-Belag. Vereinzelt ratterten jetzt schon Automobile über die Straßen.
Lebensmittelpreise
Um die Jahrhundertwende standen die landwirtschaftlichen Produkte sehr niedrig im Preis.
Zwei Eier kosteten 5 Pfennig,
ein Liter Milch 7 bis 8 Pfennig,
ein Pfund Kalb- oder Schweinefleisch (Lebendgewicht) 32 bis 40 Pfennig,
ein Liter Braunbier (dunkles Bier) 24 Pfennig,
ein Liter Sommerbier 12 Pfennig.
Löhne
Die Gemeinde bezahlte 1900 einem gemeindlichen Arbeiter 1,70 Mark für den Arbeitstag. Die Arbeitszeit betrug noch 12 Stunden am Tag, einschließlich am Samstag. Ein langwirtschaftlicher Taglöhner erhielt pro Tag 1 Mark und die Kost.
Schulhausbau
Schon wenige Wochen nach dem Rathausbrand beschloss die Gemeinde ein neues Schulhaus zu bauen. Der Gemeinderat genehmigte die erforderlichen Mittel kurzfristig. Bald darauf wurde mit dem Neubau an der heutigen Bahnhofstraße – damals nur ein schmales Sträßchen, das zu den paar Häusern westlich der Hauptstraße und zum Mittelfeld führte – begonnen. Die Gesamtkosten für den großen neuzeitlichen Schulbau betrugen 31.000 Mark.
Mädchenschule und Kinderbewahranstalt
Nun wurde auch ein Neubau für die Mädchenschule gefordert, da die Schulräume im Dominikanerinnen-Filialkloster längst nicht mehr ausreichend waren. Ausgelöst wurde diese Forderung durch zahlreiche Anträge aus der Einwohnerschaft, endlich eine Kinderbewahranstalt einzurichten, für die schon längst Mittel aus einer Stiftung zur Verfügung standen. Der hohen Kosten wegen musste das Projekt jedoch noch einmal verschoben werden.
Bürgermeister
Im Jahre 1902 verstarb Bürgermeister Kratzer, der das Geschick der Marktgemeinde seit 1894 umsichtig geleitet und bei der Bevölkerung in hohem Ansehen gestanden hatte. Die Gemeindeversammlung übertrug nun dem bisherigen 2. Bürgermeister Josef Wiedemann die Amtsgeschäfte des 1. Bürgermeisters, die er regsam und tatkräftig dreieinhalb Jahrzehnte zum Wohle des Marktes ausübte.
Brückenzoll
Durch die aus dem Schulhausbau entstandene Verschuldung wurde der Wertachbrückenzoll, der ein paar Jahre zuvor aufgehoben worden war, wieder eingeführt. Dadurch wurde erneut der Unwille der Einwohnerschaft heraufbeschworen.
Bürgerrechtsgebühren
Anfang des Jahres wurde auch die gemeindliche Bürgerrechtsgebühr neu festgesetzt. Es wurden nun 21.-, 42.- und 84.- Mark erhoben und die Beträge jeweils der Schulstiftung zugeleitet. Der Zuzug von Auswärts war zu dieser Zeit noch erschwert. Das Heimatrecht wurde nur auf Antrag des vorherigen Wohnortes erteilt und dem Zuzug nur bei günstiger Beurteilung zugestimmt.
Molkereigenossenschaft
In diesem Jahr wurden auch zwei Molkereigenossenschaften gegründet. Beide errichteten in den überwiegend bäuerlichen nördlichen und östlichen Ortsteilen zeitgemäße, gut ausgestattete Molkereibetriebe. Bald nannte man sie „die obere“ und „die untere“ Käsküche.
Acetylen-Gasanlage, Straßenbeleuchtung
Gleichfalls in diesem Jahr entschloss sich die Gemeinde, eine Acetylen-Gasanlage zur Ortsbeleuchtung zu beschaffen. Dazu wurden einige Beurteilungen solcher Anlagen eingeholt. Sie fielen überaus günstig aus. Die Installation wurde zum Teil noch im gleichen Jahr durchgeführt. Der Gaskessel kam westlich der Schlossmauer zur Aufstellung. Zuerst wurde die Knabenschule, das Rathaus, einige Gasthäuser und Geschäfte und ein großer Teil der Straßenbeleuchtung angeschlossen. Zu letzterer kamen vorerst 17 Gaskandelaber zur Aufstellung. Bis zu dieser Zeit gab es nur wenige Petroleumlampen in den Ortsstraßen, die nur ein kümmerliches Licht verbreiteten. Über die Helligkeit der neuen Beleuchtung war man sehr befriedigt. Anfänglich ließen nur wenige Privathäuser die Gaslampen installieren, da der Gasgeruch oft sehr stark war und man Angst vor Vergiftungen und Explosionen hatte. Mit der die Beleuchtung einrichtenden Firma musste die Gemeinde einen 15-jährigen Vertrag abschließen. Er wurde jedoch nur 12 Jahre eingehalten.
Die neue Straßenbeleuchtung musste – wie schon die Petroleumlampen – abends angezündet und morgens ausgelöscht werde. Das besorgte über viele Jahre Franz Dörr, den man den Liachtlafranz oder Laterafranz nannte.
Eisenbahnstrecke
Ebenfalls in diesem Jahr wurde mit der Projektierung einer Eisenbahnstrecke Türkheim-Bahnhof – Ettringen über Türkheim-Markt begonnen. Damit wurden auch die ersten Grundstücksankäufe in den Weg geleitet. Von der dazu ermittelten Summe von 45.000 Mark hatte die Gemeinde Türkheim 63% und Ettringen 37% aufzubringen. Der Türkheimer Anteil betrug 30.000 Mark. In die Planung der Bahnlinie wurde auch der Bau einer Bahnunterführung östlich des Türkheimer Bahnhofes einbezogen. Hier wurde nach dem Abschluss der Grundstücksankäufe (2.- Mark für das Dezimal) sofort mit dem Bau begonnen.
Noch im gleichen Jahr wurde, nachdem die Streckenführung an der Westseite des Marktes und der Standplatz des Bahnhofes bekannt war, die Schulhausstraße – die spätere Bahnhofstraße – verlängert. Dazu musste Grund erworben und auch ein altes Haus, das im Bereich der geraden Straßenführung lag, angekauft und abgebrochen werden. Bald darauf entstanden an der neue Straße einige Häuser.
Bernhart-Primiz
Am 15. August feierte Joseph Bernhart, der spätere bedeutende Schriftsteller, Essayist und Religionsphilosoph in Türkheim seine Primiz.
Straßen und Hausnummern
Im Jahre 1905 zählte man in Türkheim 1900 Einwohner und 320 Hausnummern. An Straßenbezeichnungen gab es nur Hauptstraße (bis 1880 Herrnstraße genannt), dann Kirchenstraße, Schmiedstraße und „auf dem Graben“ (heute Grabenstraße) und die neu angelegte Schulhausstraße, die spätere Bahnhofstraße.
Gernhöfe
Im gleichen Jahr erwarb die Gemeinde den zweiten der Gernhöfe (den sog. Säuberlichhof) mit dem gesamten Grund ca. 50 Tagwerk). Sie bezahlte nach der Schätzung dafür 13.720 Mark. Damit wurde der gemeindliche Grundbesitz erheblich vergrößert. Die Wiesen und Äcker wurden alsbald aufgeforstet. Somit erlosch der Weiler Gern, der schon im ausgehenden Mittelalter bestanden hat und in Urkunden mehrmals als „Schloß“ genannt wird.
Telephon
Bemerkenswert ist auch die Einrichtung des Ortstelephonnetzes. Bis zu dieser Zeit gab es nur eine Fernsprechanlage in der Postexpeditur.
Mädchenschule und Kinderbewahranstalt
Nun konnte auch die neue Mädchenschule bezogen werden. Der Neubau war 1904 begonnen worden und wurde im Frühsommer 1905 fertig gestellt. Mit erheblichen Kosten war ein lichter, geräumiger Schulbau entstanden. Im Erdgeschoß wurde nun auch die längst geplante Kinderbewahranstalt eingerichtet. Der Unterhalt wurde aus der Ledermann’schen Stiftung bestritten und später dann von der Gemeinde getragen. Die Betreuung übernahmen die Dominikanerinnen. Bald kam der noch heute übliche Name „Kinderschule“ auf. Die Spiele der Drei- bis Sechsjährigen erfreuten nun alljährlich an Weihnachten Eltern und Freunde der Kinder.
Klopferstag
Im Juli 1906 wurde auf einen Antrag des Türkheimer Arztes Dr. Anton Noder vom Gemeinderat die Abschaffung des Klopferstages beschlossen. Dr. Noder hatte bereits im Januar des gleichen Jahres mit einem Artikel im Türkheimer Anzeiger auf die Missstände dieses Brauches hingewiesen und das Verbot gefordert. Trotz des nochmaligen Vorstoßes des beliebten Türkheimer Arztes wurde das Verbot noch mehrere Jahre nicht beachtet und erst von 1910 an, auf eine erneute Eingabe Noders, schärfer überwacht. Der Arzt ging von der Erwägung aus, dass den Kindern an den Klopferstagen viele minderwertige Backwaren und Dörrfrüchte gegeben werden. Noder verschaffte sich mit seinem Betreiben viele Feinde, doch wird von alten Türkheimern bestätigt, dass seine wiederholten Anträge nicht unberechtigt waren. Als Ersatz für die nun ausgefallenen Klopferstage beschloss die Gemeinde, „einmal im Jahr alle Kinder auf Gemeindekosten zu bewirten.“ (Als Dr. Noder 1910 nach München verzogen war, kam der alte, an vorschristliche Überlieferung anknüpfende Brauch des Klopferstages erneut auf.)
Kriegerdenkmal
Im August 1906 wurde im nördlichen Teil des alten Friedhofes an der Pfarrkirche ein Denkmal für die Gefallenen des Krieges von 1870/71 enthüllt. An der Feierstunde nahmen noch viele Veteranen, Teilnehmer der Kämpfe um Sedan und Weißenburg, teil. Die erheblichen Kosten des Denkmals wurden ausschließlich durch Spenden der Bevölkerung aufgebracht.
Schulgeld
Im Monat Dezember 1906 wurde an den Türkheimer Volksschule das Schulgeld aufgehoben. Die Angelegenheit hatte, da sie vom größten Teil der Einwohnerschaft längst ungerecht gefunden wurde, seit Jahren viel Staub aufgewirbelt. Eine schon längere Zeit bestehende Freischulstiftung, die die unsoziale Handhabung des Schulgeldeinzuges endlich beseitigen sollte, trug nun alle Kosten. Mit der Schulgeldbefreiung wurden langjährige Zwistigkeiten beseitigt.
Eisenbahn
Im Frühsommer 1907 wurde nun mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Türkheim-Bahnhof – Ettringen begonnen. Über längere Zeit wurde für Taglöhner, Söldner und Gespannehalter eine gute Verdienstmöglichkeit geschaffen. Die Eröffnung der Eisenbahnlinie erfolgte im Oktober 1908.
Handwerkerzeichenschule
Im Herbst 1907 wurde in Türkheim eine Handwerkerzeichenschule eingerichtet. Es wurde im Freihand-, Linear- und Projektionszeichnen unterrichtet. Die Unterhaltskosten wurden von der Distriktsgewerbeinnung getragen.
Bodenzins
Im Jahre 1908 gab die Gemeinde nach staatlicher Aufforderung an Kleinbauern Kapitalien zur Ablösung der Bodenzinsen aus. Nur eine geringe Anzahl der meist schon an Viehjuden verschuldeten Söldner machte davon Gebrauch. Die Rückzahlung der aufgenommenen Gelder erfolgte nach einem umfangreichen gemeindlichen Holzeinschlag.
Primiz von Richard Kempf
Am 9. August 1908 hielt Richard Kempf in der Türkheimer Pfarrkirche seine Primiz. Wie es damals bei Primizfeiern üblich war, nahm die ganze Einwohnerschaft, auch die Bevölkerung der Dörfer der Umgebung daran teil. Bei Primizen wurden zu dieser Zeit einige Marktstände aufgeschlagen und es herrschte ein fast volksfestartiger Betrieb.
König-Ludwig-Denkmal
Anfang des Jahres 1909 stiftete die Gemeindeverwaltung 25 Mark zu einem Denkmal für den bayerischen König Ludwig II. in München. (Die Broncebüste des „Märchenkönigs“ wurde schon 10 Jahre später wieder vom Denkmal entfernt.)
Zeppelin
In den ersten Apriltagen bereitete ein besonderes Ereignis viel Freude im Wertachmarkt. Man hatte schon gegen Ende des Monats März in Erfahrung gebracht, dass Graf Zeppelin, der geniale Erfinder des lenkbaren Luftschiffes, bei günstiger Witterung im 1. April mit seinem Zeppelin-Luftschiff eine Fahrt von Friedrichshafen nach München unternehmen werde. Gleichzeitig wurde bekannt, dass der Kurs des Luftschiffes wahrscheinlich auch über das Türkheimer Gebiet führen wird. Auf einen Telefonanruf am frühen Morgen des ersten Apriltages erfuhr man, dass der Zeppelin bereits um 5 Uhr in Richtung München gestartet sei. Schon bald darauf wurde mit der Rathausglocke der Abflug von Friedrichshafen bekannt gegeben. Manche Einwohner hielten die Sache für einen Aprilscherz, doch bald gewann man schon Klarheit und hielt von allen möglichen Aussichtspunkten Ausschau nach dem Luftschiff. Es folg jedoch erst gegen 7 Uhr weit nördlich, vielleicht schon auf der Höhe von Siebnach, in Richtung München. Die halbe Bevölkerung Türkheims war auf den Haldenberg, den Ludwigsberg und auf den Goldberg gelaufen und war tief enttäuscht, als der Zeppelin so weit entfernt ostwärts zog. Am Nachmittag des nächsten Tages, des 2. April, an einem Sonntag, kam von München die telefonische Nachricht, dass das Luftschiff in Richtung Heimathafen gestartet sei und wahrscheinlich diesmal Türkheim überfliegen werde. Diese Nachricht verbreitete sich mit Windeseile im Markt. Man stieg auf den Kirchturm, auf Dächer und Bäume und als der Zeppelin tatsächlich über Amberg auftauchte, brach eine Begeisterung los, wie man sie selten erlebt hatte. Schon bald darauf überflog das Luftschiff, von der Einwohnerschaft umjubelt, in geringer Höhe den Markt. In der offenen Gondel konnte man durch die längst bekannte weiße Luftschiffermütze, den Grafen Zeppelin deutlich erkennen. Mit gebührendem nationalem Stolz sah man dem Luftschiff nach, bis es am westlichen Abendhimmel entschwunden war. Noch am gleichen Abend sandte die Gemeindeverwaltung Türkheim ein herzlich gefasstes Gruß- und Dankestelegramm an den Grafen Zeppelin, den großen, unentwegten Pionier des Luftschiffwesens.
Halley’scher Komet
Anfang des Jahres 1910 brachte die Nachricht vom sog. Halley’schen Kometen auch in Türkheim viel Unruhe. Für den März war das Erscheinen des Kometen „mit einem mächtigen Feuerschweif“ angekündigt. Als man dazu noch erfuhr, dass es möglicherweise auch einen Zusammenstoß des Kometen mit der Erde geben kann, kam bald eine Weltuntergangsstimmung auf. Die Angst legte sich erst wieder, als man den Komet am Himmel ganz klein und mit einem unscheinbaren Schweif entdeckte.
Friedhofs-Pieta
Im Mai 1910 kam ein lebensgroßes, in Kupfer getriebenes Versperbild (Pietà) im südlichen Teil des Kirchhofes zur Aufstellung. Die Darstellung der Maria mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß, gilt als vorzügliche Arbeit des damaligen Kupfertreib-Ateliers Abt von Mindelheim. (Dieses Vesperbild wurde vor einigen Jahren in den nördlichen Teil des alten Friedhofes an der Pfarrkirche verlegt.)
Bankenkrach
Großes Aufsehen erregten 1910 mehrere Bankkrache, durch die auch einige Türkheimer Sparer an ihren Einlagen bittere Verluste hinnehmen mussten und an den Rand des Ruins gebracht wurden.
Wertachhochwasser
Mitte Juni 1910 führte die Wertach starkes Hochwasser. Der höchste Pegelstand war am 16./17. Juni erreicht. Am 17. Juni morgens wurde das Wertachwehr bei der Waltermühle von den Fluten weggerissen. Auch an der Türkheimer Wertachbrücke unterspülten die Wassermassen den linken Straßendamm erheblich. Dadurch wurde die aus dem Jahre 1887 stammende eiserne Wertachbrücke stark gefährdet. Mit erheblichen Kosten musste der Schaden des Wehrdruchbruches und an der Wertachbrücke noch im Laufe des Sommers behoben werden.
Postbuslinie
Im Herbst wurde die Postomnibuslinie (Pferdepost) Türkheim-Bahnhof – Türkheim-Markt – Tussenhausen – Zaisertshofen – Markt Wald eingestellt. Zur letzten Fahrt hatte man den zu allen Zeiten gern gesehenen Postwagen reich geschmückt. Postillion Kunder blies auf dem Posthorn „Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen“.
Manöver
Im September fanden in der Türkheimer Gegend Divisions-Corpsmanöver statt. Der Türkheimer Anzeiger brachte schon Tage vorher spaltenlange Berichte über die bevorstehende Einquartierung und die Belegung des Ortes mit königlichbayerischen Truppen. Er brachte ferner einen Aufruf an die Bevölkerung, „den Marsjüngern“ (damit waren die einfachen Soldaten gemeint) Fleisch und Würste bereitzuhalten, da das junge Soldatenvolk sicher einen guten Appetit mitbringen werde. Gleichzeitig wurde auch aufgerufen, genügend Tabak und Zigarren zu beschaffen.
Vom 10. September an erfüllte nun über mehrere Tage ein reges militärisches Leben den Markt. An den Straßen standen Geschütze, Feldküchen, Bagage- und Trainwagen. Die Ställe waren mit Pferden gefüllt. In den Post- und Gaststallungen der Krone standen allein 25 Pferde. Vom Divisionsstab lagen im Quartier: 2 Generäle, 7 Stabsoffiziere, 37 Hauptleute, Rittmeister und Leutnants; dann 100 Unteroffiziere und 2000 Mannschaften mit 260 Pferden. An den Abenden war auf dem Kronenhof Standkonzert und nach dem Abschluss des Manövers im Kronensaal Manöverball. Man war nicht wenig stolz, die einquatierten Soldaten in die Wirtshäuser führen und dort bewirten zu können.
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