Türmer - Daniela Danz - E-Book

Türmer E-Book

Daniela Danz

4,9

Beschreibung

Die Autorin erzählt die Geschichten des Türmers Jan Facher und des Reisenden Michael Thurner, die in die Zeit des Ersten Weltkriegs und ins Belgrad des Jahres 1999 führen - poetisch, geheimnisvoll, überraschend. Der Roman führt in eine merkwürdige Welt: Zweihundertdreiundsechzig Treppenstufen nach oben in einen Turm, wo Jan Fachers Vater endlich eine Arbeitsstelle bekommen hat und im Frühjahr 1913 mit Frau und Sohn die Türmerwohnung bezieht. Er muß rund um die Uhr über die Stadt wachen, nachts hilft ihm sein Sohn. Wenn Jan gehofft hatte, die enge Welt im Turm würde ihn einen Weg zu seinem Vater finden lassen, so sieht er bald, daß er auf sich selbst verwiesen ist. Der Blick von oben auf die Stadt schärft die Wahrnehmung - und er macht einsam. Jans Freunde, Köppen, Donatus und Hellmund, kommen bald nur noch selten. Mehr und mehr werden die Besuche zu Erzählungen von "draußen"; Facher beschleicht das Gefühl, er habe "da unten nichts mehr, was auf mich wartet". Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs holt ihn ins Leben zurück. Daniela Danz entwirft kunstvoll und sprachmächtig ein Dasein im Turm als "Modell der Welt", sie erzählt über die versteckten Formen von Gewalt aus einer Perspektive von oben, die sie spiegelt in einer zweiten Geschichte: Ihr Protagonist ist der Reisende Michael Thurner, 86 Jahre später unterwegs dorthin, wo der Krieg am Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem Attentat seinen Ausgang nahm und wo erneut Gewalt das Zusammenleben der Menschen bedroht: nach Jugoslawien.

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Daniela Danz

Türmer

Daniela Danz

Türmer

Roman

Jan Facher

1913

Jan

Einmal war ich mit Köppen auf dem Dachstuhl. Ich meine, bevor wir auf den Turm zogen, bevor ich ahnen konnte, daß ich hier oben einmal leben sollte, war ich mit Köppen hier. Die dunkle Ecke neben dem Turmaufgang war unser Lieblingsplatz. Und Köppen hatte ein neues Messer, ein Klappmesser mit einem Heft aus rotem Leder. Es war das schönste Messer, das ich je gesehen hatte. Trotzdem habe ich gesagt, daß es etwas schwergängig sei. Köppen war gekränkt. Er wettete, daß er damit die Tür zum Turm öffnen könne, und er gewann. Seit langem wollten wir auf den Turm, aber die alten Türmer achteten immer darauf, daß die Tür zum Aufgang verschlossen war. Wir stiegen die Stufen hoch, bis die erste Tür nach links abging. Es war die Tür zum Dachstuhl. Wir gingen auf den knarrenden Planken in die Mitte des Raumes. Er war sehr hoch, höher noch schien er uns als das Gewölbe unten im Kirchenschiff. Wir stiegen auf den verdreckten Leitern bis zur fünften von sieben Ebenen und setzten uns auf einen Balken. Köppen holte wieder sein Messer hervor. Mir tat es leid, daß ich ihn gekränkt hatte. Gib mal her, sagte ich. Es ließ sich wirklich etwas schwer öffnen, aber ich tat so, als ob es mir keine Mühe machte. Ich begann, in den Balken, auf dem wir saßen, das Datum 8.1.1913 zu ritzen, zwischen Köppen und mich. Wir schwiegen, ganz still war es auf dem Dachstuhl, nur das Kratzen des Messers war zu hören und unser beider Atmen. Als ich fertig war, nahm Köppen das Messer und schnitt ein J unter die Zahl. Und noch ein K, sagte ich, um ihn noch länger betrachten zu können. Von der Seite war sein Gesicht fast das einer Frau, mit der feingeschnittenen Nase, den hohen Wangenknochen und den schmal auslaufenden Brauen. J und K, sagte Köppen und lächelte fast scheu. Laß uns noch ein bißchen herumsehen, fügte er schnell hinzu. Wir streiften weiter durch den Dachstuhl, er auf der linken, ich auf der rechten Seite. Die Streben fügten sich zu immer neuen Mustern. Jan, rief Köppen mit unterdrückter Stimme. Als ich in seine Nähe kam, gab er mir ein Zeichen, langsam zu gehen und leise zu sein. Erst als ich neben ihm stand, bemerkte ich die Traube von schlafenden Fledermäusen, die unter einem Balken hing. Sie hatte etwas beängstigend Unordentliches mit den weichen Pelzen und dem nackten faltigen Leder der Flügel, mit den spitzen Köpfen und großen Ohren. Wir hatten sie gestört, Bewegung kam in sie, unmerklich vom Rand her wie ein Flimmern. Flügel fächerten sich leicht auf, Ohren stellten sich, schwarze Augenpaare sahen uns an. Köppen faßte nach meiner Hand. Er war einen Schritt zu mir getreten, und wir standen jetzt so nah beieinander, daß ich im Gegenlicht eines kleinen Fensters die Härchen auf seiner Wange sehen konnte. Er ließ sich von mir betrachten und sah regungslos auf die Fledermäuse, die sich allmählich wieder zu beruhigen schienen, sie waren zu träge, zu unterkühlt, um aufzuwachen. Köppens Hand war warm und rauh, eine große Hand. Nirgendwo anders hätten wir so stehen können wie hier, wo keiner uns sehen konnte. Als wieder Ruhe in die Traube gekommen war, ließ er langsam meine Hand los, sehr langsam, vielleicht, um die Fledermäuse nicht wieder aufzuwecken.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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