Über die Grenzen des Unbekannten - Klaus Kayser - E-Book

Über die Grenzen des Unbekannten E-Book

Klaus Kayser

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Beschreibung

Dieses technisch und inhaltlich innovative Buch kann mit Hilfe eines Smartphones (QR Code) digitalisiert, die farbenfrohen, tiefsinnigen und humorvollen Erzählungen, von denen einige durch Literaturpreise ausgezeichnet wurden, können so als professionelles Hörbuch erlebt werden. Begleitende Hinterglasmalereien ergänzen die Erzählungen, die mit kurzen Überleitungstexten zu einem ‚Patchwork-Roman' zusammenwachsen. Die einzelnen Kapitel behandeln aktuelle Fragen nach Glaube und Wissen, Barmherzigkeit und Hilfe, Demokratie und Macht, sowie den Einfluss der Globalisierung und elektronischen Netzwerke auf Moral und Zukunft der Menschheit, auf Geburt und Entwicklung einer rein ‚elektronischen Ethik und Zielgestaltung'. Hierbei werden die Grenzen des Glaubens (Die Rede des Allmächtigen vor der UN; Die hilflose Barmherzigkeit; Luther und das Luderob Konzil); die Grenzen einer ‚vernünftigen' Demokratie (all you can demonstrate), Eigenschaften unterschiedlicher Kulturen (Das Rot der Feuerbäume; Shen Quilin, der gute Geist von Sichuan), autonome Ethik und Moral virtueller Welten (Die Schutzengel der Pokemon Go Spieler; Das irreale Glück des Inneren Existenznetzes) in humorvoller und anregend tiefgreifender Fassung dargestellt, ebenso wie Fragen der Immigration (Der getürkte Franke oder von der Freiheit eines Frankenmenschen; Des Hauptmanns alte Kleider) oder einer tatkräftigen Hilfe und wahrheitsgetreuen Berichterstattung (Aus dem Leben einer Kirchenmaus; Der Regenschirmstock; Die wahre und die Ware Wahrheit). Dieses Buch erweckt Freude am Lesen, Hören und Sehen, regt an zum Nachdenken über Zufall und Verantwortung, zum Verstehen menschlicher Verhaltensweisen bei Sieg und Niederlage, Glück und Pech, Kommunikation und Isolation, zur Diskussion ethischer, politischer und kirchlicher Ziel­set­zun­gen. So wird erzählt: „Wir sind keine Götter. Aber wir tun unser Bestes, um hier und überall als Götter behandelt zu werden.“

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Klaus Kayser

Über die Grenzen des Unbekannten

Für Benidikt, Charlotte, Christina, Johannes, Julia, Marias, Noel, Theresa sowie Claudia, Corinna, Gian, Maria-Consuelo und Martin

Der Autor

Klaus Kayser, Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Professor für Pathologie und Epidemiologie an den Universitäten Heidelberg und Berlin 1940 in Berlin geboren, Studium der Physik und Medizin in Göttingen und Heidelberg, lebt seit 1970 in Heidelberg.

Neben mehreren Fachbüchern schrieb der Autor humorvolle und kritische Bücher:

Zeitgedanken und Spiegeldenken, Rendezvous, Baden-Baden, 2000 Der Tod eines Körperspenders, Lehmanns Media, Berlin, 2005 Terror im T-Team, Lehmanns Media, Berlin, 2012, Rheindorf Literaturpreis Restrisiko oder die heiligen Kühe der Nation, Lehmanns Media, Berlin, 2013 Die wunderlichen Erzählungen des Jupp Kiepenlad, Lehmanns Media, Berlin, 2016 Erlebtes Erleben, Ein Gedichtporträt, Lehmanns Media, Berlin, 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet abrufbar unterwww.dnb.de

Alle Rechte vorbehaltenDieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmungdes Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen, Verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitungauf DVDs, CD-ROMs, CDs, Videos, in weiteren elektronischen Systemen sowie fürInternet-Plattformen.

©Lehmanns Media GmbH, Berlin 2019Helmholtzstr. 2-910587 Berlin www.lehmanns.de

Bild: Michael Hug ∙ Heidelberg Ton: Clemens Kerz ∙ Mainz

Hinweis für die Benutzung der QR Codes/Links

Die Erzählungen dieses Buches sind mit QR Codes/Links ausgestattet, die mit jedem Smartphone, i-Phone etc. eingescannt/geklickt und als ‚Hörtext‘  abgespielt werden können.

Bei der Benutzung einer ‚kabelfreien‘ Datenübertragung (LTE, G3 etc.) können in seltenen Fällen zusätzliche Kosten entstehen, zum Beispiel, wenn keine Flatrate vorhanden oder diese bereits ausgeschöpft worden ist.

Vorwort

Grenzen sind eine grundlegende Eigenschaft der Natur. Gleichgültig, ob ein Berg unsere Aufmerksamkeit erregt, ob das blaue Meer zum Baden einlädt, ob wir eine Ameise, einen Vogel, einen Elefanten oder Zirkusclown bewundern, ob wir unsere geistigen, finanziellen oder physischen Kräfte testen, ob wir Einsteins allgemeine Relativitätstheorie analysieren, ob wir Zeit, Raum, Gedanken, Hilfsbereitschaft, Glauben, Wissen oder Verstehen betrachten, Grenzen sind notwendig für jede Selbsterkenntnis, Existenz und Ethik. Um unser Handeln einzurichten und in unsere Umgebung zu übertragen.

Selbst Gott, der Allmächtige, der Grenzenlose ist begrenzt. Er kann auf Erden nicht eingreifen, sonst wäre er nicht grenzenlos. Grenzenlos wäre er vergleichbar mit dem ‚Nichts‘.

Grenzen sind Strukturen, die dirigieren, unterstützen und zugleich behindern. Sie bestimmen letztlich die Vorstellungwelten, Erfolg und Misserfolg, Glück und Unglück, Leben und Tod eines jeden von uns.

Grenzen sind nicht unveränderlich, nichts ‚Absolutes‘. Sie können altern, zerfallen, überschritten, von innen oder von außen zerstört oder neu errichtet werden.

Die Natur liefert tagtäglich Beispiele. Neue Erkenntnisse, sportliche Weltrekorde, Messungen des Universums, Energiebedarf, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, Ressourcenmangel, Artensterben, Klimawandel sind Ereignisse, die Grenzen verschieben und zu falschen Schlussfolgerungen verführen können.

Letztendlich sind Grenzen Randbedingungen eines labilen Gleichgewichtsystems, deren Einhaltung für den Fortbestand notwendig ist, deren Überschreiten den Übergang in eine sich ‚aufschaukelnde‘ und ‚abstürzende‘ Maschinerie bewirken kann.

Die Geschichte der Menschheit erzählt zahlreiche Beispiele. Herrschsüchtige, fürchterliche Tyrannen wie Napoleon, Caligula oder Hitler haben durch maßlose Überschätzung ihrer Kräfte in direkter Folge den eigenen Untergang herbeigeführt.

Überschreiten der ‚Glaubensgrenzen‘ hat letztendlich den Fehlschlag der Kreuzzüge oder den Untergang des Kalifats, des Islamischen Staates bewirkt.

Grenzenlose Barmherzigkeit und Unkenntnis von Mitleid und Hilfe haben vor wenigen Jahren den jämmerlichen und zerbrechlichen Zustand des eigenen Staates, den der Bundesrepublik Deutschland, offenbart.

Das surrealistische Gerangel im britischen Parlament hat eindrucksvoll die Folgen einer vorausgegangenen, die Grenzen der Demokratie überschreitenden Volksabstimmung vor Augen geführt.

Wie sind Grenzen erkennbar? Welche Grenzen sind ‚bekannt‘? Welche unbekannt? Wie können wir über ‚unbekannten Grenzen‘ berichten, wenn wir nicht einmal wissen oder gar verstehen, wie sie ‚aussehen‘?

Diese Fragen versuchen wir in den vorliegenden zweiundzwanzig Erzählungen an humorvollen und teilweise surrealistischen sowie fiktiven Beispielen zu verdeutlichen und zu beantworten. Grenzen des Glaubens, des Wissen, Verstehens und Handelns stehen im Vordergrund, ausgeschmückt mit Visionen in die Zukunft und Auswirkungen der Globalisierung, der passiven, interaktiven und vermutlich bald autonomen Kommunikation, sowie einer eigenen, rein virtuell-elektronischen Selbsterkenntnis, Handlungsweise und ‚Computer‘-Ethik.  

Die im Vordergrund stehenden Erzählungen sind durch kurze Überleitungen verbunden, die, zusammen betrachtet, eine in sich geschlossene ‚Geschichte‘ darstellen und im Kontext als ein ‚Patchwork-Roman‘ angesehen werden können.

Die Erzählungen selbst können zusätzlich als ‚Hörtext‘ oder entsprechend einem ‚Hörbuch‘ mit jedem Smartphone abgerufen und angehört werden.

Hierzu ist jede Erzählung mit einem QR Code ausgestattet, der rechts neben dem Farbbild abgebildet ist. Der QR Code kann mit jedem Smartphone aufgenommen und der zugehörige ‚Link‘ aktiviert werden. Frei zugängige Apps sind unabhängig von dem Smart-(i-)Phone-Fabrikat erhältlich und normalerweise bereits in dem Gerät installiert.

Diese innovative und zugleich den Zugang zu den enthaltenen Erzählungen erleichternde Darstellung stellt einen ersten Versuch dar, visuellen und akustischen Kunstgenuss einheitlich zu verbinden. Hierzu sollen auch die eingefügten Hinterglasmalereien beitragen.

Zusammen mit Dr. Michael Hug als Schöpfer der Hinterglasmalereien und Clemens Kerz als Sprecher des vertonten Textes wünsche ich viel Vergnügen, Anregungen und ‚Gedankenblitze‘.

Heidelberg, April 2019, Klaus Kayser

Zu der 1. Erzählung: Die Rede des Allmächtigen vor der UN

‚Gott sei ewig Dank, dass Ihr doch endlich einmal wiederkommt. Wie elend, elend hättet Ihr indes hier werden können!‘, so berichtet die Magd Daja am 15. Oktober 1779 in Mannheim ihrem Herrn Natan, der nach einer langen Geschäftsreise nicht mehr sein wohlerhaltenes und behütetes Heim, sondern eine verbrannte, im Krieg zerstörte Ruine vorfindet.  

„Es war damals und ist auch heute gefährlich, von Zerstörung, Mord und Totschlag zu berichten, besonders, wenn der Glaube die Gläubigen vergiftet“, erklärt eine junge Studentin ihrem Begleiter.

„Hm, der Glaube an die gläubige Zukunft der Menschheit hat so seine Tücken.“

„Schon die Erwähnung von Tätern, die der Obrigkeit nicht genehm sind, kann eine tödliche Gefahr für Beobachter, Berichterstatter, Kriminalisten, Journalisten, auch Richter oder Geheimagenten bedeuten.“

„Ich verstehe nicht viel von Geschichte, erinnere mich aber schwach, dass auch der Autor dieses Theaterstückes in große Schwierigkeiten bei seinem Lehnherrn kam, weil er ein Wegbereiter der Aufklärung und Toleranz war. In seiner Zeitschrift Zur Geschichte und Literatur. Aus den Schätzen derHerzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttelärgerten die Beiträge ‚Fragmente eines Unbekannten‘ seinen allmächtigen Herzog so sehr, dass dieser eine strenge Überprüfung jeglicher Texte durch seine Sittenpolizei anordnete.“

„Durch die Sittenpolizei? Waren die Herrschaft des Mannes und die Unterwürfigkeit der Frau angegriffen worden?“

„Nicht direkt, aber indirekt. Gestritten wurde über den Glauben der ‚vernünftigen Verehrer Gottes‘. Diese Gläubigen sahen die übernatürlichen Geschehnisse während der Lebenszeit des Jesus von Nazareth, des Gottessohnes, für ungeschehen, Fake News   oder gar Teufelssagen an.

Keine Obrigkeit kann es sich leisten, Zweifel an den Grundmauern ihrer Macht zu tolerieren, seien es die Heilige Schrift, der Koran, oder das Grundgesetz in unserer Republik.

Jedweder Zweifel daran ist eindeutig sittenwidrig. Er zerstört Macht und Ansehen der irdisch und göttlich Mächtigen, natürlich auch Einkommen und soziales Gleichgewicht, die Chance, wiedergewählt oder unsterblich zu werden. Außerdem wird die Stellung der Benachteiligten, insbesondere der Frauen, gestärkt. Deshalb war es für den Herzog nur folgerichtig, die Sittenpolizei eingreifen zu lassen.“

Die junge Frau lehnt sich anschmiegsam an ihren Begleiter, der über das Wissen seiner Freundin nur staunt.

‚Wie kann eine junge Studentin im Zeitalter des Smartphones so detaillierte Kenntnisse über Geschichte, Glauben und Philosophie besitzen?

Die Ringparabel, die auf der Erzählung Decamerone des italienischen Dichters Giovanni Boccaccio beruht, beschreibe den allmächtigen Gott aus der Sicht der gläubigen Menschen.

Je nach ihrem absoluten Glauben würde der Glaubensstein mit unterschiedlicher Beleuchtung und aus anderer Richtung bestrahlt. Über den Widerschein der jeweiligen Farbe und ihrer Stärke würden die Gläubigen erregt streiten und sogar versuchen, sich gegenseitig zu vernichten. Denn nur das eigene Überleben könne die absolute Wahrheit des Glaubens beweisen.

Was aber, wenn der Allmächtige nicht der Mittelpunkt des Glaubens sei? So, wie die Erde nicht der Mittelpunkt des Sonnensystems oder gar des Universums ist? Sie existiert ohne Zweifel, steht aber sicher nicht im Mittelpunkt.

Er ist Ingenieur und vertraut mit den Dingen des Ineinandergreifens und absoluter Maßeinheiten.‘

So denkt der junge Mann, vermittelt die Gedanken seiner Angebeteten und streichelt ihr Haar.

Sie aber schüttelt den Kopf.

„Was berichtet der Allmächtige, der liebe Gott, über diese Gedanken? Ist er denn nicht beleidigt, dass seine Gläubigen ihn so unterschiedlich erkennen? Kränkt es ihn nicht, dass sie nur glauben und nicht wissen, wie er eigentlich beschaffen ist?

Hat er nicht versucht, die Menschen nach seinem Vorbild zu erschaffen? Ihnen Güte und Mitleid eingehaucht? Ihnen Ohren zum Hören der Hilfeschreie, Augen zum Erblicken von Not und Gefahr, Hände zum Helfen aus dem Elend und Füße zum Tragen der Erschöpften aus dem wütenden Meer in ein sicheres Land gegeben?“

„Der Allmächtige kann nur reden, aber nichts tun. Sonst müsste er gegen sich selbst und seine eigenen Geschöpfe kämpfen. Er müsste sich selbst und viele von ihnen vernichten.

Er wäre nicht mehr allmächtig. Denn die Menschen würden sehr schnell mit ihren neuartigen statistischen Methoden und Studien erkennen, wie der Allmächtige denke und was er beabsichtige. Erhebungsbögen und Umfragen würden sofort seine göttlichen Absichten in das irdische Licht der Unvollkommenheit führen. Er darf hören und schauen, aber niemals aktiv werden. Sonst ist es mit seiner Allmacht vorbei.“

So spricht der junge Liebhaber.

Seine schöne Freundin nickt bewundernd, fragt jedoch schüchtern nach:

„Wenn aber die Menschheit sich selbst zerstört und zugrunde richtet? Kann der Allmächtige auch dann nichts, gar nichts tun? Dann, dann wäre er ebenfalls nicht allmächtig?“

„Liebes, da hast du recht. So ist es nun einmal mit der Allmächtigkeit. Sie ist ein Widerspruch in sich selbst. Allmächtigkeit gilt nur für den Himmel, für die Heimat des Allmächtigen.“

Der Allmächtige hört das Gespräch der beiden Liebenden. Soweit er sich erinnern kann, waren die Menschen zufrieden und glücklich, als er ihnen seinen Atem einhauchte.

‚Jetzt aber machen seine Geschöpfe sich Sorgen um ihre Zukunft? Wenn das der Wahrheit entspricht, dann muss er, der Allmächtige, der Herr der Christen, der allmächtige Allah, der begnadete Buddha, der jauchzende Jehova sich überlegen, wie die Dinge zu ändern seien. Das sei schließlich seine göttliche Pflicht.

Denn nur er, der Allmächtige, sei hierzu in der Lage. Jeder andere, auch ein Politiker, ein Diktator oder eine Weltorganisation seien des Teufels, würden nur teuflische Veränderungen bewirken.‘

Weil der Allmächtige in irdischen Angelegenheiten nur göttlich hören und schauen kann, beauftragt er seine himmlischen Botschafter, die Umstände auf der Erde und der an ihn Glaubenden genau zu analysieren und ihm zu berichten.

Danach ruht er. Denn es ist der siebte Tag, an dem sich seine Botschafter über den Zustand der Erde und seiner Menschen erkundigen.

Die Rede des Allmächtigen vor der UN

Bitte den QR Code klicken oder per Smartphone scannen um den gesprochenen Text abzuspielen.

Seine Hoheit, der Herr der Christen, der allmächtige Allah, der begnadete Buddha, der jauchzende Jehova, war zufrieden mit sich, seinem Werk, der Erschaffung der Erde und des Menschen. Erschöpft von seinen Einfällen und Taten, war er in wundersames Träumen verfallen, als ihn seine Engel unsanft dem Schlaf entreißen. Sie berichten:

‚Heute gehe es auf der Erde teuflisch und nicht mit rechten Dingen zu! Die Menschen seien selbstmordgefährdet und vollkommen verrückt geworden.

So würden die, die ihm, dem Allmächtigen Allah und seinem Propheten Mohammad, unverrückbar vertrauen, sich gegenseitig abschlachten, die Köpfe abhacken.

Die anderen, die ihn als ihresgleichen, als menschliche Hoheit und Bezwinger des Teufels ansähen, würden sich seiner Allmacht entziehen. Sie täten alles, um im Klimawandel ertrinken und in Wüsten verdorren zu dürfen.

Die dem jauchzenden Jehova Gläubigen würden, obwohl selbst gequälte Opfer, im teuflischen Übermut ihrer Unbesiegbarkeit den Nachbarn das Land stehlen; ihnen mit strahlenden, weltvernichtenden Waffen drohen.

Auch die unter dem Schutz des begnadeten Buddhas stehenden Menschen täten ihr Bestes zur Selbstvernichtung. Sie seien dank seiner Fürsorge so zahlreich geworden, dass sie, um zu überleben, bald ihre Brüder schlachten und verzehren müssten.

Es sei vollkommen egal, wie er, der Schöpfer aller Dinge, von den Menschen betrachtet und geglaubt würde. Unverkennbar seien die Menschen in einen teuflischen Selbstmordwahn geraten. Um sie zu retten, müsse er, ihr Vater, eingreifen. Am besten auf der nächsten UN Vollversammlung.‘

So zieht der Allmächtige seine wundertätige Amtskleidung an und spricht am vereinbarten Termin zu Herz und Hirn der gläubigen Staatsvertreter:

„Geliebte Gläubige, die ich euch mit Herz und Hirn zu unser beider Freude und Wissensseligkeit erschaffen habe, sagt mir, ist das wahrhaftig wahr, was mir meine Engel und eure Propheten berichten? Habe ich euch nicht gelehrt, wie ihr ein glückliches und zukunftsweisendes Leben führen sollt? Ich frage euch: Warum wollt Ihr euch, und damit auch mich, euren sorgevollen Vater, unbedingt vernichten?“

Und sie antworten ihm mit ihrem Hirn und Herzen:

„Warum scheltest du uns? Wir sind doch deine Kinder und du bist unser allmächtiger Vater! Du hast uns geschaffen nach deinem Vorbild! Wir sind viele und du bist der einzige alleinige Allmächtige. Kannst du nicht voraussehen, dass sich viele Gläubige stets streiten und prügeln, ein einziger Gläubiger aber nicht?“

Und die der Mensch gewordenen Hoheit Gläubigen sagen: „Wir glauben an dich und deine Schöpfung hier auf Erden. Du hast uns Mitleid befohlen, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Wir sollen die Elenden und Kranken, die Vertriebenen und Verhungernden aufnehmen und versorgen, selbst wenn nicht nur sie und ihre Kultur, sondern auch wir dabei zugrunde gehen. Du befiehlst uns Mitleiden und verlangst von uns Helfen. Wie aber können wir helfen, wenn wir mitleiden und den Bemitleideten die Zukunft verweigern! Hast du das nicht bedacht?“

Und die Allah Gläubigen bitten Mohammed um Einspruch und sagen: „Wir befolgen deine Befehle und versuchen alles, um dein himmlisches Paradies betreten und hier auf Erden verwirklichen zu dürfen. Im Quran 3:91 hast du uns angewiesen »Wahrlich jene, die ungläubig sind oder im Unglauben sterben,… diese sollen eine schmerzhafte Strafe und keine Helfer haben.« Alles geschieht auf deine Weisung. Du hast uns im Quran 3:45-47 gelehrt: »Wenn Er etwas beschlossen hat, spricht Er nur zu ihm: ‚Sei‘, und es ist.« Hast du das nicht bedacht?“

Und die begnadeten Buddha Gläubigen verbeugen sich und sagen: „Wir sind nur auf Durchreise im Übergang zu dem ewigen Nirwana. Die vier edlen Wahrheiten verpflichten uns, Leid und Unvollkommenheit zu überwinden, uns auf den Weg zum ewigen Glück zu begeben. Wie aber können wir das tun, ohne dabei zu viele zu werden? Zu viele bedrängen uns und hindern uns am Bestehen der Prüfungen. So müssen wir wiederkommen und zu viele werden. Hast du das nicht bedacht?“

Und die an die Gesetze der Tora Gläubigen sagen: „Wir sind das auserwählte Volk auf Erden. Deine bevorzugten Kinder. Immer haben unsere Nachbarn uns bedrängt. Wir sind geflohen, haben mit Hilfe Jehovas das ägyptische Heer ertränkt, den Staat Israel gegen die Übermacht der Araber verteidigt. Wir müssen wachsam den Anfängen wehren. Hast du das nicht bedacht?“

Noch bevor der Allmächtige diese Vorwürfe bedenken, noch bevor er antworten kann, beginnen sich die Hirne und Herzen der Staatsvertreter untereinander zu streiten. ‚Mitleid sei das Edelste der menschlichen Gefühle. Die gläubigen Christen allein seien Gottes Abbild. Nur sie würden ihn verstehen und als Herrengutmenschen handeln.‘

‚Das Wichtigste sei die Aufnahme der Menschen in Allahs Paradies. Deshalb müsse man Schweine und Gläubige, die deren Fleisch essen, auf Erden vernichten.‘

‚Buddhas befohlener Kampf gegen Unglück und Leid erzeuge viele Kinder. Das sei unvermeidbar und müsse durch deren Vernichtung korrigiert werden.‘

‚Die arabischen Nachbarn würden lautstark darauf lauern, das Judentum auszulöschen. Atombomben seien unabdingbar.‘

Der Streit eskaliert. Jeder wütet für seinen Glauben, treibt alle in den Selbstmordwahn. Enttäuscht grübelt der Allmächtige, ‚warum‘?

Die Engel erkennen in dem nicht umkehrbaren Zeitablauf die Ursache der nahenden irdischen Katastrophe. Sie beschließen, einzugreifen.

‚Neugier und Intelligenz sollen die Gläubigen in eine Welt mit umkehrbarer Zeit führen. Jedweder Glaube, jedes Wissen und Handeln sollen zurückgespult und neu gestaltet werden können. So sei die kommende Selbstvernichtung der Menschheit aufzuhalten.‘

‚Die Menschheit halte die hierfür notwendigen Bauteile schon in Bereitschaft.‘

‚Er, der Christen Herr, der allmächtige Allah, der begnadete Buddha, der jauchzende Jehova, solle sich nicht sorgen. Er könne ruhig wieder träumen. Denn elektronische Netzwerke, Chipimplantate, Roboter, Avatars und virtuelle Welten, die Digitalisierung könnten, wenn zurück auf Anfang gestellt, jeden Selbstmord verhindern.‘

Schon im Halbtraum hört der Allmächtige den silbernen Ton des goldhaarigen Harlekinengels fragen: „Werden es so noch Menschen sein?“

Zu der 2. Erzählung: Die himmlische Tat des Karl oder das geglückte Glück des Johannes

Bänke haben ihre eigene Geschichte. Aufgestellt für wandernde Träumer, romantisch Natur bewundernde Wanderer, Einsamkeit suchende Liebespaare oder besorgte Jagdhüter, lernen sie die unterschiedlichsten Eigenschaften ihrer Besucher kennen.

Am Rand eines auch für Mountainbiker freigegebenen markierten Wanderweges steht eine verwitterte Bank, die einen wunderbaren Blick über die Wälder des nördlichen Odenwaldes erlaubt bis hinab in die ausladende Rheinebene.

Sie ist guten Mutes, dass ihre Bretter noch zahlreiche Jahre Regen, Eis und Sonnenschein überstehen. Auch, dass keine nachwachsenden Bäume die einladende Sicht ihrer Besucher versperren werden.

Um auf ihr ausruhen zu können, müssen die Besucher einen steilen Anstieg des Wanderweges überwinden.

Ein Mountainbiker, in einer eleganten schwarz-weißen Ausrüstung mit goldgelbem Helm und so um die fünfzig Jahre alt, setzt sich außer Atem auf die Bank.

„Das war ein schwieriger Aufstieg. Aber es braucht immer eine enorme Anstrengung, um in luftige Höhen mit so herrlichem Ausblick zu gelangen.“

Ein athletischer Wanderer, der schon einige Minuten auf der Bank ausruht und dem atemlosen Radfahrer seine Zustimmung gab, sich zu ihm zu setzen, blickt ihm freundlich in die Augen, sieht den Schweiß auf seiner Stirn und sagt:

„Ja, das kenne ich. Es ist ein Naturgesetz: Ohne Fleiß, kein Preis! Oder: Anstrengung und Mühen lassen Freude blühen.

Schauen Sie über die herbstlichen Wälder, die bereits bunt gefärbten Wingerte, den rot erblühenden Himmel im Westen, die heimkehrenden Krähen, die sich jetzt ihre Schlafbäume suchen. Sind wir nicht nur ein winziger Abschnitt im Lebenskreis eines Tages, eines Monats, eines Jahres, unseres eigenes Ichs?

Liegt in dem wunderbaren Ausblick auf einer alten zerbrechlichen Bank nicht wenigstens ein winziger, unbedeutender, aber angenehmer Sinn unseres Lebens, den man erst nach schwerer Arbeit, Hunger und Durst, Muskelkater und Herzstechen erreichen kann? Ist die einfühlende Harmonie von Landschaft, Wald, Wingert und Wolken nicht Sinn genug? Wozu noch mehr Sinn?“

„Ich denke eher an die berauschende Abfahrt, an die ohne kraftraubende Beinarbeit erreichbare Geschwindigkeit, den schmalen Wanderweg hinabzurasen. Das sind Lohn und Sinn meines mühsamen Aufstiegs. Jedenfalls für heute.“

„Und morgen?“

„Morgen fahre ich zu einem anderen Ort. Hier in der Nähe. Ich bin im Urlaub und habe noch drei Tage frei.“

„Dann ist morgen der Sinn Ihrer Mühen derselbe wie heute?“

„Ja, natürlich. Ich bin ja noch im Urlaub, lebe in der gleich gestalteten Zeit.

In meiner normalen Zeit arbeite ich als Schaffner bei der Bundesbahn. Das ist ein sehr interessanter Job. Ich lerne die unterschiedlichsten Menschen kennen. Ehrliche, Betrüger, friedliche Beschwerden bei Verspätungen, aber auch aggressive Pöbeleien und Unverschämtheiten. Da bleibt mir als Sinn meiner Lebenszeit nur der Lohn, den ich am Monatsende auf meinem Bankkonto sehe, und …“

„Was und?“

Nach einer Pause: „Abschalten, einfach sich aus der Zeit zurückzuziehen. Das zu tun, was mir am Beginn meines Lebens, meines Eintritts in die Zeit, erfuhr, und was ich am Ende meines Lebens, beim Verlassen der Zeit, wieder zurückgeben werde.“

Er blickt zu Boden, gibt sich einen Ruck, schaut hinab in die herbstliche Rheinebene, wendet seinen Blick zu dem Wanderer und fährt fort:

„Ich stelle mir mein Leben, nicht nur mein Leben, sondern alle Dinge, die ich erfahren und erleben kann, wie in und übereinander gelagerte Ringe vor. Wie Ringe, die von der Zeit gedreht werden. Jeder Ring, egal ob ein Himmelskörper, ob ein Gebirge, ein Fluss, eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch, überschreitet die Grenze der Zeit zweimal, zu Beginn und am Ende seiner Existenz. Was, meinen Sie, ist jenseits dieser Grenze?“

„Ich weiß es nicht? Vielleicht Gott?“

„Sie meinen, der Sinn der Existenz, also auch unseres Lebens?“

„Ich habe darüber nicht nachgedacht. Aber vielleicht sind der Sinn des Lebens und das Ziel der Schöpfung zwei unterschiedliche Dinge, die nichts miteinander zu tun haben?“

„Sehen Sie, da haben Sie’s. Erkennen Sie den großen Baum mit gelbbraun gefärbten Blättern, da unten, vor dem weißen Haus mit dem Flachdach rechts? Es ist wahrscheinlich ein Nussbaum.

Was ist der Sinn seines Lebens, was das Ziel seiner Schöpfung?

Den Sinn seines Lebens gibt es wahrscheinlich nicht, denn er ist nur vom Leben selbst, also vom Nussbaum zu bestimmen, und ein Nussbaum weiß nicht, dass er existiert.

Als Ziel seiner Schöpfung könnte ein Tierforscher die Ernährung der Wildschweine und Eichhörnchen aufführen. Ein Umweltfreund die Verbesserung der Baumvielfalt in den heimischen Wäldern. Ein Wikinger hätte vielleicht die Freude Wotans am Bootsbau aus Nussbaumholz genannt.“

„Ich verstehe, der Sinn eines Lebens ist ein Bestandteil des Lebewesens selbst, kann nur von ihm selbst bestimmt, anerkannt oder mit der Zeit verändert werden.

Auf die Frage nach dem Ziel der Schöpfung gibt es viele verschiedene Antworten. Wenn aber die unterschiedlichsten Antworten auf eine Frage möglich sind, dann ist die Fragestellung falsch, denn sie führt nicht zum Ziel.“

„Ganz so weit würde ich nicht gehen. Viele Wege führen nach Rom. Auf dem Weg nach Rom bleiben die Dinge zurück, die von der Zeit als wichtig betrachtet und vor der Ewigkeit versteckt werden.“

„Und welche sind das? Was kann man vor der Ewigkeit verstecken?“

„Taten und Gedanken, die wie die Nüsse des Walnussbaums dem Ziel der Schöpfung dienen.“

„Also Ideen, die unsere Welt verändern, Maschinen, mit denen Raum und Zeit zu überwinden sind, oder Erfindungen, die das Zusammenleben der Menschen dirigieren?

Können Sie mir ein Beispiel, oder besser, zwei Beispiele nennen?“

„Ich meine, ja. Bänke mit Ausblick auf Wald, Wiese, Gärten, Flüsse, Burgen und Dome sind wunderbare Fahrzeuge in die Ziele der Zeit.“

Die himmlische Tat des Karl oder das geglückte Glück des Johannes

Bitte den QR Code klicken oder per Smartphone scannen um den gesprochenen Text abzuspielen.

Zum Glück gehören immer zwei,

Gibst du mir Glück, bist du dabei!

So singt man auf der Bank aus Stein, die am Ufer des breiten, damals träge dahinfließenden Flusses aufgestellt ist. Sie erlaubt einen wunderbaren Blick auf den Fluss und das gegenüberliegende Ufer. Der hoch in den Himmel ragende Dom war noch nicht erbaut, als, wie man sagt, der große Karl und sein ehemaliger Feind, der vor wenigen Monaten getaufte Sachsenherzog Widukind, hier Platz nahmen.

‚Welch ein wunderbarer Herbstabend‘, begann der große Karl das Gespräch. ‚Ob der getaufte Herzog Widukind, der neue Freund und Mitbewohner seiner christlichen, zurzeit noch irdischen, danach sicher himmlischen Herrschaft, friedfertig und glücklich mit ihm den golden versinkenden Tag genieße? Die Jagd des Tages und die Nachricht, dass sein Botschafter Isaak gesund und, Widukind solle sich das einmal vorstellen, zusammen mit einem übergroßen Tier, das zwei Schwänze, einen wie üblich am Hinterteil und einen in der Mitte zwischen zwei Riesenohren, besitze, von seiner Reise zum Kalifen von Bagdad, Harun al Raschid, heil zurückgekehrt sei, hätten ihn mit den zuletzt schweren Schicksalsschlägen etwas versöhnt. Widukind wisse sicher, dass seine Frau Hildegard und sein Sohn Lothar vor Kurzem verstorben seien.‘

‚Ja, das täte ihm sehr leid. Auch sein Herz erfreue sich der wunderbaren Herbststimmung, der golden sich verabschiedenden Sonne mit ihrem roten Licht, das an seine Heimat am Sachsenmeer erinnere. Auch seine Gedanken seien wehmütig, denn das Schicksal seiner Landsleute sei eine schwere Last für ihn.‘

‚Er rede frei heraus‘, ermunterte der große Karl, und Widukind erklärte: ‚Seinen Landsleuten sei befohlen, ihre Heimat zu verlassen und in ein weit entferntes, fremdes Gebiet umzusiedeln. Ihre Kundschafter hätten berichtet, dass es dort keine Odinbäume, kein aufbrausendes Meer, ja nicht einmal sprudelnde und überschäumende Flüsse gäbe. So würden sie nicht nur ihren Glauben, das sei ja notwendig, um das christliche Paradies zu erreichen, sondern auch ihren Mut verlieren, um sich neues Zuhause aufbauen zu können.‘

Der große Karl blickte erstaunt in das betrübte Gesicht des Widukind.

‚Er sagt es wie ein Tor! Er redet aus der törichten Sicht seiner Kindheit. Er aber, der große Karl, spreche von dem himmlischen Auftrag, für das Glück der Franken und seiner Völker zu sorgen. Habe nicht er, der große Karl, ihn, den aufbäumenden Widukind, wie einst der Täufer Johannes Jesus im ruhenden See des Friedens getauft oder wie der heilige Christophorus Jesus auf Armen über den reißenden Fluss des Krieges hin zu den Wassern des irdischen und himmlischen Glücks getragen? Habe er nicht Widukind vor dem ewigen Höllenfeuer bewahrt? Für sein himmlisches Seelenheil gesorgt?‘

Der große Karl drückte den ob der harten Worte erschrockenen Widukind väterlich die rechte Hand und sprach leise: ‚Schwierig und ermüdend sei es gewesen, ihn, den tapfer widerstrebenden Widukind in das wahre Glück zu führen. Jetzt, am Ziel dieses Weges, sei aber auch er, der wehmütige große Karl, glücklich.

In der Tat, Widukind habe ihn sehr glücklich gemacht. Und siehe, auch er, der getaufte Widukind, werde glücklich werden, wenn er seine widerstrebenden Landsleute in ihre neue Heimat geleiten werde. Das sei ihr gemeinsamer, im Wohl der Völker endender Auftrag.‘

Man erinnerte sich Jahre später, als der große Dom das jenseitige Ufer des Flusses machtvoll beherrschte, an dieses Gespräch. Beide, der große Karl und Herzog Widukind, waren bereits vor Jahrhunderten verstorben, ihre Körper in den heiligen Stätten des Christentums, der des großen Karls im Dom zu Aachen, der des Herzogs Widukind in der Stiftskirche zu Enger, aufbewahrt, als sich auf die Bank aus Stein der leicht vorgealterte Johannes Gensfleisch, gerufen Gutenberg, und sein Geschäftspartner Johannes Fust setzten.

Johannes Gutenberg war in Geldnot. Er hatte sich auf ein risikoreiches Geschäft mit der Produktion von Wallfahrtsspiegeln eingelassen. Dabei nicht bedacht, dass die Pest in den Städten wütete, die Wallfahrer abschreckte und der Verkauf von Andenken und Frömmigkeitsbeweisen zum Erliegen gekommen war.

Johannes Fust verlieh Geld. So setzten sich die beiden Johannes auf die Bank aus Stein mit dem bewundernswerten Ausblick über den breiten, jetzt zur Zeit des Hochsommers wasserarmen, mühsam fließenden Fluss.

‚Er sehe, dass er, sein erfindungsreicher Freund Johannes, schon ein gut Stück mit der Druckerei vorangekommen sei‘, eröffnete Johannes Fust das Gespräch.

‚Ja, dem sei so‘, stimmte Johannes Gutenberg zu. ‚Die Druckerfarbe sei kräftig, das Gießen der Bleibuchstaben einwandfrei, und die Gestaltung der Presse in der letzten Erprobungsphase.‘

‚Die Materialien seien somit ausgereift und vorhanden?‘, erkundigte sich Johannes Fust.

‚Ja, das sei richtig‘, erklärte Johannes Gutenberg. ‚Aber, um es frei und offen zu sagen, er benötige Geld, um die Sache glücklich zu Ende zu bringen.‘

‚Er benötige also Geld für seinen Erfolg, für sein Glück?‘

‚Ja, es werde ein gutes, einmalig unsterbliches Geschäft. Die noch nie dagewesene Konstruktion beinhalte die schnelle und kostengünstige Verbreitung von Information, Ideen, Nachrichten, Religion, sogar die Geburt eines neuen Berufes, des Journalismus.‘

‚Hm, dazu benötige er Geld?‘

‚Ja, das würde ihn in einer jetzigen Situation sehr helfen, ihn glücklich machen.‘

‚Nun, wenn er ihn mit seinem Geld glücklich machen könne, so werde er helfen. Aber, er erwarte auch seinen Anteil an dem Glück. Wie wäre es mit Sicherheiten? Es mache ihn überhaupt nicht glücklich, das Risiko, das ja zweifelsfrei bestehe, allein zu tragen.‘

‚Auch er wolle seinen möglichen Geschäftspartner zum Glück verhelfen. Es sei doppeltes Glück, wenn beide glücklich seien. Er könne Sicherheiten anbieten. Zum Beispiel die getesteten Geräte und Materialien.‘

Johannes Fust zeigte auf den Fluss. Ein leichter Sommerwind kräuselte das Wasser und sanfte Wellen plätscherten an das Ufer. Ein Frosch meldete sich. Nach kurzer Zeit beteiligten sich andere Frösche und starteten ein frohes, um Partner werbendes Froschkonzert.

‚Die drückende Sommerhitze wird einem erlösenden Regen weichen‘, meinte Johannes Gutenberg.

Johannes Fust fügte hinzu: ‚Er sei auch dieser Meinung. Ob achthundert Gulden ausreichen würden für die Entwicklung der Presse? Er wünsche sich aus kommerziellen und anderen Gründen den Druck der Bibel. Wenn er schon so viel Geld investiere, dann solle das auch dem Seelenheil der Menschheit dienen.‘

Johannes Gutenberg stimmte frohen Herzens ein. ‚Er danke Johannes Fust. Er werde ihm die Geräte als Pfand überschreiben. Er sei erfreut, sein Werk zügig und für das himmlische Wohl aller Menschen vollenden zu können.‘

Jeder der beiden Johannes verließ zufrieden die Bank aus Stein. Das Froschkonzert veränderte das Wetter. Starker Regen vertrieb die sengende Hitze.

Nach der Wetteränderung gerieten die beiden Johannes in Streit. Sie beklagten sich gegenseitig vor Gericht. Den einen Johannes vergaß die Zukunft, der andere wird für immer als Pionier der Presse gefeiert.

„Er hat Glück gehabt“, erklärt Karl seiner schönen Gefährtin Aischa, die rechts neben ihm auf der Bank aus Stein sitzt.

„Das Glück formt bis heute, Jahrtausende nach der Taufe des Mensch gewordenen Gottes, der Flussüberquerung des Christophorus, viele Jahrhunderte nach dem großen Karl, den beiden Johannes, nach den fürchterlichen Kriegen um Geld und Seelenheil, zwei Jahrhunderte nach dem roten, zur Proletarier Vereinigung rufenden Karl, fast ein Jahrhundert nach dem großen braunen Krieg, und nahezu ein Jahrzehnt nach dem Aufflammen der neuen Religionskriege, hier, auf dieser Bank aus Stein, Menschenleben, auch das von uns beiden.“

„Ich verstehe nicht, Karl“, antwortet die Schöne. „Johannes und Karl und all die Leute, die auf dieser Bank aus Stein saßen, sind vergangen, zu Allah heimgekehrt. Denn die Menschen handeln auf Allahs Anweisung. Das sagen meine Mutter, mein Vater und auch der Allweisheit gläubige Imam.“

„Denke dir nur, Aischa“, Karl streichelt sanft ihre Hand, „ohne das Glück auf dieser Bank wären der große Dom auf der anderen Seite des Flusses nicht erbaut, kein Buch, keine Bibel, kein Manifest, auch kein Koran gedruckt worden. Deshalb können heute viele Menschen lesen, und …“

„Ja, in diesem Land können viele Leute lesen, aber nur wenige wissen von, und noch weniger Menschen verstehen Allah. Denn, wie du sagst, hat das Glück Johannes und Karl geführt, als sie auf dieser Bank aus Stein saßen. Und alles Glück kommt von Allah, dem Allmächtigen. Denn nur er kann die Menschen zum Glück führen.“

„Du führst mich zu unserem Glück“, sagt Karl leise und bittet: „Darf ich dein Kopftuch lösen?“

Aischa erschrickt. „Nein, bitte nicht. Vater sagt mir immer: Das bringt Unglück, wenn ein fremder Mann, noch dazu ein Ungläubiger, dein Haar erblickt. Und der Imam hat es auch verboten.“

Karl fasst ihre Hände, setzt sich eng neben sie, schaut ihr tief in die Augen und bittet: „Dann machen wir beide es zusammen. Das wird uns beide, dich und mich, glücklich machen.“

„Was wird uns glücklich machen?“, fragt sie und bemerkt schaudernd, dass ihre Hände den Knoten des Kopftuches lösen. Während es langsam neben der Bank auf die Erde schwebt, lösen sich die Hände und umarmen ihre Körper. Er küsst sie und sie küsst ihn und das himmlische Glück entführt sie zum erregten Wasser des Flusses.

Später, nach Jahren, als Karl sein Studium beendet und, wie man so sagt, seinen Platz im Leben gefunden, als Aischa sich an das Tragen des Kopftuches wieder gewöhnt und dem Willen des Vaters gebeugt hat, in diesen Jahren sitzen zwei bärtige dunkelhaarige Burschen auf der Bank aus Stein. Sie blicken auf den zum Himmel ragenden Dom. Der Fluss rauscht prall mit Wasser gefüllt in kreisenden Wirbeln. Sie beraten:

„Können wir das teuflische Christenwerk in die Luft sprengen?“

„Ich glaube nicht. Die Mauern sind aus Stein. Nehmen wir lieber einen Kleintransporter und sprengen Allahs Glücksdiebe in den Himmel. Unsere Tat wird uns und Allah ewig erfreuen.“

Beide umarmen sich, versichern sich ihrer Treue und besprechen die Verse des Quran (23:112-113) ‚Glaubt ihr denn, wir hätten euch in Sinnlosigkeit erschaffen und ihr würdet nicht zu uns zurückgebracht?‘

Bevor sie die Bank aus Stein verlassen, sagt der Ältere dem Jüngeren:

„Pack dir das Glück!

Bring es Allah zurück!“

Ob Allah damit glücklich wird, das sagt er nicht.

Zu der 3. Erzählung: Monnemum circulum oder die Invasion der Punkte

Menschen sind Geschöpfe der Zeit. Sie leben in einem dreidimensionalen Raum. Hier können sie sich frei bewegen. Sie laufen um die Wette, stolpern über Steine, fliegen in den Wolken, schwimmen auf dem Wasser, tauchen in das Meer.

Zu den schönsten Erlebnissen gehört jedoch das Sitzen im bequemen Sessel, das Anschauen von Filmen, Bildern, Trickzeichnungen und Animationen.

„Mama, der schwarze Panther Baghira hat Mogli, den kleinen braunen Jungen, der so alt ist wie ich, zu den Wölfen gebracht. Ich bin so froh, dass er vor dem bösen Tiger gerettet wurde. Mama, schau, wie die Wölfe sich um Mogli kümmern. Aber, Mama, warum können sie nicht über ihn springen? Warum verschwindet Mogli hinter seiner Wolfsmama Akila, wenn er in die Höhle geht? Ist Mogli dann nicht ein ganzer, zusammenhängender Junge? Ist dann nicht sein Kopf von seinen Beinen getrennt, denn in der Mitte seines Körpers ist ja Akila zu sehen?“

„Nein, Corinna, nein. Sieh doch, wenn Akila auf der Suche nach etwas Essbarem in den Dschungel läuft, dann ist Mogli wieder vollkommen zusammengewachsen. Sein Kopf sitzt wieder auf seinem Hals, sein Hals wird wieder von seinem Körper getragen und seine Hände und Beine sind direkt mit seinem Körper verbunden.“

„Aber Mama, das verstehe ich nicht. Wenn ich ‚Mensch ärgere dich nicht‘ spiele mit Papa, dann darf ich nur auf dem Spielbrett meine Steine bewegen. Du weißt, ich nehme immer die roten Steine. Ich darf sie nur auf dem Brett hin und her schieben, nicht in der Luft darüber setzen. Mama, das ist gemein. Wenn ich mogeln dürfte, dann würde ich mit meinem Stein den vom Papa einfach überspringen. Das kann man doch, oder?“

„Ja, Kind, das kann man in unserer Welt, beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel und auch beim Weg in den Kindergarten, wenn du über einen Stein oder eine schöne Blume springst. Aber Mogeln ist natürlich verboten.“

„Und bei Mogli im Film? Ist da auch Mogeln verboten? Kann er nicht über Akila springen oder neben ihr stehen und sie streicheln, weil Mogeln im Dschungel verboten ist?“

„Mogeln ist bei jedem Spiel verboten. Auch im Dschungel. Aber im Dschungel, in dem Film mit Akila, Mogli und Baghira, ist Mogeln gar nicht möglich, denn Mogli und seine Freunde, alle Tiere, Bäume und Pflanzen, auch die Berge und Flüsse, alles lebt nur auf dem Spielbrett. Sie springen nur nach vorn und nach hinten, aber nicht nach unten oder nach oben.“

„Und wenn Mogli nach oben springt, dann sind seine Füße vom Kopf getrennt?“

„Ja, Kind, so ist es. Aber du kannst nach oben springen, ohne deinen Kopf zu verlieren.“

„Aber beim Laufen verliert Mogli nicht seinen Kopf?“

„Nein, mein Kind, beim Laufen nicht. Auch nicht beim Tanzen.“

„Du, Mami, ich möchte auch so tanzen können wie der dicke Bär.“

„Das wirst du, Kind. Schon bald, sehr bald.“

Sie überlegte, ob Rudyard Kipling, der im Jahr 1884 das Dschungelbuch schrieb, sich die Fragen ihrer Tochter jemals hätte vorstellen können. Und, was hat denn das Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel mit dem Zeichentrickfilm von 1967 zu tun?

Monnemum circulum oder die Invasion der Punkte

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Es lebte einmal in jener unendlich fernen Zeit des Morgen, die bereits hinter der Zeitenwende liegt und deshalb der äußersten Vergangenheit zugerechnet werden kann, der Kreismensch Monne-mum circulum.

Die Aufzeichnungen in seinem Tagebuch berichten Folgendes:

„Der Allmächtige hat mich, Monnemum circulum, als flachen Kreismenschen erschaffen. Ich lebe wie meine Kreismitmenschen auf einer flachen, unendlich weiten Weltscheibe.

Wir Kreismenschen sind einheitlich rund gestaltet, leben als zweidimensionale Kreise in unterschiedlicher Größe, Farbe, Ausdünstung und unterschiedlichem Glauben, sind groß oder klein, schmal, oval oder dick-rund, in leuchtend gelbe, liebevoll rote, todblasse oder mordschwarze Farben gekleidet und mit höchst verschiedenen Gerüchen und Eigenschaften ausgestattet.

Der Allmächtige schuf uns stinkend faul wie ein Ei, Parfüm gleich eitel, Zucker lockend süß, Gülle abstoßend böse oder Brennnessel mordaktiv. Wenn wir hungrig sind oder gewalttätig werden, schrumpfen wir zu Punkten, damit wir als rollende Bälle wie flüchtende Vögel, die zwitschernd sich entleeren, der Gefahr schneller entrinnen und die Feinde effektiver vernichten können.

Auf unserer Weltscheibe bewegen wir uns Kreismenschen durch Versteifungen und wechselnde Krümmungen an der Oberfläche. Wenn wir einander berühren, grüßen wir uns freundlich, schleichen unserer Wege oder verharren längere Zeit gezerrt dicht aneinander gepackt. Das Dichtpacken verbindet uns mit unterschiedlichen Handlungen wie Sex, Alterspflege, Züchtigung, Kampf oder Mord. Es wird direkt vom Allmächtigen gesteuert, der das Geschehen auf unserer Lebensplatte ununterbrochen im Auge behält.

Das muss er auch. Denn unser zweidimensionales Leben mag auf den ersten Blick dem auf einer raumhaften Erde gleichen, ist jedoch grundlegend unterschiedlich.