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Irmela Brender

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Beschreibung

Der kleine Pater Brown mit dem großen detektivischen Spürsinn kam nicht mit Brevier und Soutane auf diese Welt. Erst ein Sündenfall besonderer Art brachte Pater Brown die eigene sündige Seele näher und damit die innere Berufung zum geistlichen Stand. Diese und andere amüsante Details – von denen selbst G. K. Chesterton nichts gewusst haben dürfte – kann der neugierige Pater-Brown-Leser in der Lebensgeschichte des geistlichen Detektivs nachlesen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Irmela Brender

Über Pater Brown

Mit Illustrationen von Sepp Buchegger

FISCHER E-Books

Inhalt

Einleitung, Dank, Motto und WidmungKindheit in Poppy’s PondJugend zwischen Kneipe, Kunst und KircheIn London (kurz) und Dublin (lang)In den Gefängnissen von Chicago und HartlepoolStille Tage in CobholeDer unvergleichliche FlambeauVom Krieg und den schlimmsten Verbrechen der WeltReisen und KrisenAuferstehung, Ende und Anfang

Einleitung, Dank, Motto und Widmung

Die Pater-Brown-Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Der kleine geistliche Detektiv mit dem großen Einfühlungsvermögen machte so um 1911 zum ersten Mal öffentlich von sich reden, nach 1935 fehlt jede weitere Nachricht über ihn. Weil seine Personalakte 1937 bei einem Archivbrand (aus immer noch ungeklärter Ursache) in der Diözesanverwaltung Westminster ein Raub des Löschwassers wurde, herrscht sogar Ungewißheit über seine genauen persönlichen und beruflichen Daten.

Die meisten Berichte über sein Wirken verdanken wir seinem Landsmann Gilbert Keith Chesterton, der in fünf Bänden Fälle des unschuldigen, weisen, ungläubigen, geheimnisvollen und skandalösen Pater Brown[1] aufgezeichnet hat. Der verehrungswürdige GKC war allerdings kein gewissenhafter Biograph; vor allem scheute er die genaue Recherche und setzte, wo immer ihm Fakten über Pater Brown fehlten, Feststellungen über seinen Freund Pater O’Connor[2] an deren Stelle. (Nicht nur aus diesem Grund nennt Carl Amery in seinem Chesterton-Essay[3] die Pater-Brown-Kollektion »eine Sammlung von Hobelspänen, die von ernsthafteren Werkbänken abgefallen sind«.)

Weiteres Material erschloß mir Mr. Roy Kidd, Archivar der amerikanischen Wochenzeitung »Eastcoast Star«, der mir Einblick in die Faszikel des bis 1939 erschienenen Wochenblattes »Western Sun« gab. Wichtige Informationen vermittelte mir ein Vertrauter im Vatikan; verständlicherweise muß sein Inkognito gewahrt bleiben. Von größtem Nutzen war mir der verschollen geglaubte schriftliche Nachlaß von Mrs. Carolina Smith, einst Haushälterin bei Pater Brown. Ihre Urgroßnichte Olive Smith-Flambeau erlaubte mir freundlicherweise, die Briefe und Tagebücher zu lesen und daraus zu zitieren. Margarete Fischer hat durch ihre Spurensicherung meine Arbeit wesentlich unterstützt.

Allen diesen Förderern danke ich herzlich im Sinne des Mottos von Pater Brown:

»Ich kann das Unmögliche glauben, aber nicht das Unwahrscheinliche.«

Gewidmet sei dieses Buch einer Minderheit: den kleinen, dicken, klugen, gütigen Männern.

Kindheit in Poppy’s Pond

»Ich selber bin ein englischer Bauer«, sagte Pater Brown einmal und schränkte gleich ein: »Zumindest bin ich, zusammen mit anderen Rüben, in Essex aufgewachsen.« So war es richtiger, denn als Bauern galten die Browns in Poppy’s Pond nie. Sie waren Häusler, William Brown verdingte sich als landwirtschaftlicher Tagelöhner, und als sein ältester Sohn geboren wurde (der genaue Zeitpunkt ist, wie gesagt, nicht mehr zu ermitteln, aber früher als 1880 und später als 1885 kann es nicht gewesen sein), da ging es ihm wirtschaftlich so schlecht wie nie zuvor. Bis dahin hatte er nämlich wie andere Häusler Eigentumsrecht auf das Gemeindeland gehabt, das von einem Gutsgericht des Dorfes verwaltet wurde. Er durfte einen Streifen Akkerland bebauen, er bekam Reisig und Torf zum Feuern, Binsen für sein Dach, der Dorfhirte hütete auch seine Kuh, sein Schwein und seine Gänse, und außer Korn zum Brotbacken und Hopfen zum Bierbrauen brauchte er kaum Nahrungsmittel zu kaufen.

Nun aber wurde gemäß einem Einhegungsgesetz der Boden neu eingeteilt; er war nicht mehr gemeinsamer Besitz der Armen, sondern wurde Privateigentum der Reichen, die aus den Ackerflecken größere, gleichmäßige Felder machten und sie mit verbesserten landwirtschaftlichen Methoden bestellten. Das hatte seine volkswirtschaftlichen Vorteile: Es wurde mehr Getreide für die anwachsende Stadtbevölkerung angebaut, viel braches Land urbar gemacht, der Viehbestand um ein Vielfaches erhöht. Für William Brown und alle anderen betroffenen Kätner aber bedeutete die Einhegung das Ende der selbständigen Existenz. Wer nicht in die Industriestädte zog, mußte sich als Landarbeiter verdingen. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Einhegungen durchgeführt waren, und Poppy’s Pond in Essex erreichte die Bodenreform fast ganz zuletzt.[4]

Für den, der in sie hineingeboren wird, hat die Armut keine Poesie – es sei denn die Romantik der Herkunft. Adel und Besitzbürgertum bleiben meist unter sich, und ihre Stammbäume sind von so langweiligem Gleichmaß wie die Zweige einer Edeltanne. Bei den kleinen Leuten seefahrender Nationen jedoch ist beinah alles möglich, zudem kann sich, wer nichts Genaues weiß, allerhand denken. Pater Brown mochte der Nachkomme kühner Normannen, stolzer Portugiesen, wilder Kelten und nachdenklicher Sachsen sein, und oft im Leben fühlte er sich ihnen allen artverwandt. Äußerlich aber wirkte er so englisch wie jedes Klischee von Ale bis Plumpudding, und das hatte er von seinem Vater William.

Der war ein kräftiger Mann, nicht groß, untersetzt, bedächtig und von einer gewissen Vorsicht. Er redete nicht viel, sann um so mehr und verriet selten, worüber. Doch wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte, nach langem Bedenken und mit großer Sorgfalt, dann war der nicht mehr umzustoßen. Er kannte weder Ehrgeiz noch Habgier, und was er sich im Leben wünschte, war das wunderbar Gewöhnliche: Gesundheit, ein Haus, ein zufriedenes Familienleben.

Die Mutter, Kathleen geborene O’Keefe, war Irländerin, Tochter eines trunksüchtigen Schulmeisters aus Cork. In ihrer frühen Jugend hatte sie Lesen und Schreiben, Hungern, Darben und Prügeleinstecken gelernt und ein durch nichts zu erschütterndes Gottvertrauen. Als sie wie viele andere arme Iren nach England gegangen war, hatte sie im Gegensatz zu den meisten bereits einen Arbeitsplatz: Ihr Beichtvater, Pater O’Bryan, hatte ihn besorgt, und dank seiner englischen Mitbrüder verlor er auch später sein Kommunionskind nie aus den Augen.

Kathleen hatte bei allem, was sie tat, etwas Heftiges. Sie lachte herzlicher und weinte bekümmerter als andere, und eins konnte auf das andere so unvermittelt folgen wie die Sonne auf ein Maigewitter. Als sie bei einem Dorftanz William Brown begegnete, wurde sie von einer so leidenschaftlichen Zuneigung für ihn gepackt, daß Schlimmstes zu befürchten war. Doch William, schweigsam und versonnen wie stets, arbeitete bereits beim ersten Dreher an dem Entschluß, dieses Mädchen mit den grünen Augen und dem schwarzen Haar zu seiner Frau zu machen. Ein halbes Jahr später war es dann soweit.[5]

Als sie ihr erstes Kind geboren hatte, verlangte Kathleen mit gewohnter Heftigkeit, daß der Sohn römisch-katholisch getauft werden sollte, und zwar Patrick, nach ihrem Vater. William hatte bereits beschlossen, den Jungen Henry zu nennen, nach seinem Vater. Gegen die römisch-katholische Kirche hatte er nichts. Er war Anglikaner auf eine vage, herkömmliche Art und maß dem Unterschied zwischen den Konfessionen keine große Bedeutung bei.

Ein Jahr lang hatte der kleine Henry Patrick Brown die überströmende Liebe seiner Mutter und die staunende Bewunderung seines Vaters ganz für sich allein. Dann wurde seine Schwester Deirde[6] geboren, ein Jahr darauf kam Maureen zur Welt, wieder ein Jahr später Joan, und da war er schon fast groß genug, seiner Mutter beim Ährenlesen und Kartoffelklauben zu helfen. Mit schwerköpfiger Würde stolperte er hinter ihr über die Felder und mühte sich vergeblich, die Ähren in seiner weichen Faust festzuhalten oder Kartoffeln von Erdklumpen zu unterscheiden. Sie lobte ihn dennoch: Henry Patrick war ein ungeschicktes Kind, doch voller Freundlichkeit. Geduldig schaukelte er die kleinste Schwester in ihrer Hängewiege am Balken in der Küche, und wenn Deirde, die trotzige, wieder einmal schrie, bis sie blau wurde, legte er ihr tröstend die Arme um den Hals, bevor die Mutter mit dem Krug voll kaltem Wasser kam, das sie zur Besinnung bringen sollte. Mit einer Puppe konnte er sie nicht ablenken – für Spielzeug hatten die Browns kein Geld. Die Kinder bauten mit Holzscheiten wackelige Türme und machten, wenn die Mutter sie ließ, mit Löffeln auf Töpfen und Pfannen Musik.

Den Vater sahen sie selten. Solange er als Tagelöhner auf dem Gut gearbeitet hatte, war er zwar jeden Abend nach Hause gekommen, aber erst später, wenn die Kinder schon schliefen. Seit er bei einem Bauunternehmen in der Stadt beschäftigt war, blieben ihm nur die Sonntage für die Familie, und wenn es regnete oder stürmte, war ihm manchmal der Fußmarsch von zweiundzwanzig Meilen nach Poppy’s Pond zuviel; schließlich mußte er am gleichen Tag wieder zurück. Wenn er dann aber doch da war, gesund, im eigenen Haus, bei seiner Familie, strahlte er eine Zufriedenheit aus, die Kathleen zum Singen brachte und die Kinder sanft und still machte.

Eines Tages, Henry Patrick ging schon in die Dorfschule, wurde William Brown nach Hause gefahren. Seinetwegen hatte der Chef ein Pferd vor den Wagen gespannt und saß selbst auf dem Bock. Es gehörte sich so, daß er der Witwe die Nachricht überbrachte: Nein, William hatte nicht gelitten. Er war vom Gerüst gestürzt und gleich tot gewesen.

Henry Patrick lernte an diesem Tag in der Schule, woher sein Dorf den Namen hatte: Poppy’s Pond hieß nicht nach den Mohnblumen[7] auf den Kornfeldern, sondern nach Lord Poppy, der vor vielen, vielen Jahren im Teich[8] am Wald ertrunken war.

Als Henry Patrick nach Hause kam, saß die Mutter weinend am Küchentisch, und ein verlegen blickender Herr saß neben ihr und drehte einen Hut, wie er ihn noch nie gesehen hatte, einen Zylinderhut zwischen den Händen. Die beiden sagten ihm, was zu sagen war, und er wurde ganz steif vor Entsetzen. Daß es den Tod gab, hatte er schon gewußt. Aber nun erfuhr er an einem Tag, daß es ihn auch in der Nähe gab, und das Schlimmste: daß er ganz nah kommen konnte und zu jeder Zeit.