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Alfred Marquart

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Beschreibung

Der einsame Wolf streicht durch die Straßen der großen Stadt immer auf der Suche nach Gerechtigkeit. Desillusioniert und doch – voller Hoffnung. Er kämpft, weil er weiß: Das Recht ist für die Starken da. Für die Schwachen nur, wenn einer ihnen hilft – einer wie Marlowe. Die Person des Unbestechlichsten aller Detektive ist immer noch geheimnisumwittert. Alfred Marquart geht in seinem Porträt den ungelösten Fragen im Leben des Philip Marlowe mit Eigensinn und Sachkenntnis auf den Grund. Und er befragt einen Mythos: War Humphrey Bogart Phil Marlowe? (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 94

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Alfred Marquart

Über Philip Marlowe

Mit Illustrationen von Hans Hillmann

FISCHER E-Books

Inhalt

VorbemerkungDer Tote in der Noon StreetDrogisten schießen nicht – oder doch?Das eiserne TorL.A.Die schwierige Kunst des SchreibensUnruhiges BlutEinsatz in DeutschlandDie BullenEin merkwürdiger FallBlondinen bevorzugt?Seltene FreundeMarlowe Goes to HollywoodMarlowes letzter FallDer einsame WolfChandlers Werke um Philip Marlowe

Vorbemerkung

Raymond Chandler ist nicht nur einer der großen amerikanischen Schriftsteller dieses Jahrhunderts gewesen, sondern auch ein detailgenauer Biograph von Philip Marlowe, der bis ins Kleinste Gehabe und Umwelt seines Detektives geschildert hat.

Von Marlowes Haarfarbe bis zum Kalenderbild über seinem Schreibtisch, von seiner Whiskysorte bis zum Schachproblem, das er am liebsten löste, erfährt man in Chandlers Romanen und Geschichten alles über Marlowe (mit e). Bei einigen unwahrscheinlich klingenden Details habe ich etliche Fundstellen notiert – bei anderen wird der geneigte Leser gebeten, durch Lektüre der Romane selber draufzukommen.

Der Tote in der Noon Street

Die Frau, die schrie, hatte sich eigentlich in dem dunklen Seitenhof nur die Strümpfe glattziehen wollen. Sie war Mitte dreißig, schlank, dunkelhaarig, und die Beine waren ein wenig zu lang und zu gerade. Ansonsten war sie ein erfreulicher Anblick, fand der Polizist, der herbeigestürzt kam. Sie brachte kein Wort heraus, sondern zeigte nur kreischend in das Halbdunkel.

Zwischen umgestürzten Mülltonnen, leeren Orangenkisten und kaputten Fahrrädern zeigten sich die Umrisse eines männlichen Körpers. Der Mann war groß, nicht übertrieben schlank, das dunkle Haar war angegraut. Seine Glieder waren merkwürdig vom Körper abgewinkelt, als ob sie nicht dazugehörten. Es stellte sich später heraus, daß beide Oberarme gebrochen waren. Hiebe mit Baseballschlägern machen solche Verletzungen. Sein Hut lag neben ihm – Blut und anderes verschmierte seinen Hinterkopf. Man hatte ihm den Schädel eingeschlagen. Der Uniformierte glaubte einen Moment, der Tote sei eventuell ebenfalls Polizist – befand dann aber, er sehe doch nur entfernt wie einer aus.[1]

Er untersuchte ihn flüchtig. Die Brieftasche fehlte, Geld hatte er ebenfalls keines in den Taschen. Man hatte ihn ausgeraubt. Nur eine Lizenz war zu finden. Der Mann war 1906 geboren, also zur Tatzeit 56 Jahre alt.

Sein Name war Philip Marlowe.

Die Untersuchungen wurden flüchtig und ohne übertriebenen Eifer durchgeführt. Ein Schnüffler weniger in der großen Stadt, mehr nicht. Die Staatsanwaltschaft entschied sich für Raubmord; es wurde Anklage gegen Unbekannt erhoben, aber der gute Herr Unbekannt wurde nie gefunden. Bernie Ohls, stellvertretender Chef der Mordkommission,[2] stellte einige Ermittlungen auf eigene Faust an, aber man klopfte ihm schnell auf die Finger. Und da der Tote keine Familie und nur wenige Freunde gehabt hatte, kümmerte sich bald niemand mehr um die Sache.

Bei der Beerdigung war nur eine kleine Gruppe anwesend: Ohls, ein Journalist namens von Ballin,[3] George Peters[4] von einer großen Detektivagentur, der Polizeireporter Lonnie Morgan[5] vom »Journal«, Dr. Carl Moss, ein Arzt[6], und drei Frauen: Birdie Keppel, ein junges Mädchen vom Lande,[7] die reiche Linda Loring, der man intimere Bekanntschaft mit dem Toten nachsagte,[8] und die Tochter eines ehemaligen Polizisten, die rothaarige Ann Riordan.[9]

Die Beerdigung war schnell vorüber. Einige aus der kleinen Gruppe, die sich kannten, standen hinterher noch kurz beisammen. »Daß er so enden mußte«, sagte Linda Loring. »Erschlagen in einem Hinterhof.«

Bernie Ohls grunzte. »Man hat Baseballschläger genommen. Ihm die Knochen gebrochen.«

»Warum?«

»Weil er das Maul nicht aufgekriegt hat. Er hat nie das Maul aufgekriegt, wenn er nicht wollte. Er war ein sturer Hund.«

»Und jetzt liegt er da«, sagte die Millionärin. »Von irgendeinem Lumpen umgebracht, der ihm seine paar Dollars nehmen wollte.«

»Das glaube ich nicht«, meinte Ann Riordan.

»Kleine Diebe erschlagen niemand. Und benutzen keine Baseballschläger. Er war hinter irgendwas her und ist jemandem in die Quere gekommen. Er hat immer gewußt, daß das einmal passieren wird – daß er nicht davonkommen wird. Die ganz großen Tiere wissen, wie man Gegner beseitigt. Vor allem, wenn sie nur kleine Schnüffler sind. Wer weiß – vielleicht trugen die Herren mit den Baseballschlägern sogar Uniform.«

Sie blitzte Bernie Ohls an. Ohls nahm die unangezündete Zigarette aus dem Mund[10] und warf sie ohne ein Wort zu sagen auf den Boden. Er nickte nur kurz.

So starb Philip Marlowe. Seine Mörder wurden nie gefunden. Es hätte ihn auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre.

Drogisten schießen nicht – oder doch?

Als in San Francisco die Erde bebte, wurde Philip Marlowe in der kalifornischen Kleinstadt Santa Rosa geboren. Im Jahre 1906 zeigte Roger Flanagan Marlowe, Drogist, stolz die Geburt seines Sohnes Philip an. Marlowe, von irischem Geblüt, hatte vier Jahre zuvor Anna Franca Orlandi geheiratet. Anna war bereits in den Staaten geboren, aber ihr Vater stammte aus Palermo. Ihre Mutter war eine gebürtige New Yorkerin. In Philip Marlowes Adern floß also ein wenig italienisches Blut. Die Orlandis zeigten ausgeprägten Familiensinn: Vor allem mit der Familie Sacco, mit der sie weitläufig verwandt waren, fühlten sie sich verbunden.

Vater Marlowe war stolz darauf, von Iren abzustammen. Er hielt sich für ein Original und führte solcherart auch seine kleine Drogerie: Unliebsame Kunden schnauzte er an oder warf sie gar hinaus. Dennoch mochten ihn die Einwohner von Santa Rosa. Kleinstädte pflegten sich damals noch gerne mit Originalen zu schmücken. Sein Geschäft ging gut – die schweren Wirtschaftskrisen von 1904 und 1907 überstand er relativ unbeschadet. Die Erinnerungen seines einzigen Sohnes Philip an seine Kindheit sind deshalb ungetrübt.[11]

Roger Marlowe verkehrte in sozialistischen Kreisen. Bis zur russischen Revolution beachtete das kaum jemand. Man hielt es für eine Spinnerei. Als jedoch Sacco und Vanzetti[12] zum Tode verurteilt wurden, änderte sich diese Einstellung: Immer mehr brave Bürger von Santa Rosa schauten Mr. Marlowe sen. schief an. Man sah geradezu, wie Mißtrauen und Angst sie umtrieben. War der freundliche, harmlose Drogist etwa insgeheim ein Umstürzler, der ihnen ihre Ersparnisse und ihre Häuser nehmen wollte? Vater Marlowe bemerkte davon nichts. Er hatte sich für die Begnadigung der beiden angeblichen Attentäter eingesetzt (Sacco war schließlich ein Verwandter seiner Frau) und meinte, jedermann müsse die Berechtigung seines Kampfes für das Recht und gegen die Falschheit des Urteils erkennen. Daß der amerikanische Mittelstand die Machenschaften der Konzerne und Politiker, die für die große Industrie und die Reichen im Lande eintraten, begeistert unterstützen könnte, begriff er nicht. Vernunft war das Wort, das neben Gerechtigkeit für ihn den höchsten Stellenwert hatte. Daß in Santa Rosa langsam aus dem ›guten alten Marlowe‹ der ›rote Marlowe‹ wurde, wollte er nicht sehen. Auch nicht, als man ihm mit Steinen die Schaufensterscheiben einschlug.

Der junge Philip Marlowe bekam diesen Stimmungsumschwung nicht mit. Er wurde von seinen Eltern auf ein kleines College in Santa Barbara geschickt,[13] wo er mit Fleiß und Engagement Französisch studierte – eine Sprache, in der er es zu einer gewissen Meisterschaft bringen sollte. Er las auch späterhin noch viele französische Bücher im Original.[14] Die Zustände im väterlichen Santa Rosa verheimlichten ihm seine Eltern. Während dort die Scheiben klirrten und die Kundschaft immer seltener wurde, spielte Philip Football.

Er war damals schon recht groß für sein Alter, aber noch nicht so kräftig wie später, eher dünn gebaut. Dennoch war er ein vorzüglicher Footballspieler. Und ein fairer dazu, was ihm aber nichts nützte.

Es geschah bei einem Freundschaftsspiel. Ein bulliger Pole, etwas älter als Marlowe, ein Verteidiger der gegnerischen Mannschaft, rempelte ihn schon beim Einlaufen an. Der Pole hieß Koslowski.

»Bist du der Sohn vom roten Marlowe?« wollte er wissen.

»Marlowe ist mein Name, ja. Mit e.« Darauf legte Philip schon damals Wert.

»Auch so’n Kommunistenschwein wie dein Vater, was?«

Ehe der völlig verdutzte Philip Marlowe antworten konnte, begann das Spiel. Er versuchte sich von dem Polen fernzuhalten, aber das gelang nicht. Ein paar mal flog er ganz schön auf die Schnauze, aber schwere Zusammenstöße vermied er – bis kurz vor Schluß: Koslowski, dadurch gereizt, daß er Marlowe nie richtig erwischt hatte, hielt dagegen, als Marlowe einen Fallstoß blockieren wollte. Koslowskis Fuß landete in Marlowes Gesicht. Die Schiedsrichter unternahmen nichts gegen dieses brutale Foul. Marlowe mußte ins Krankenhaus, ein Metzger, der sich als Arzt ausgab, operierte zwei Stunden an seiner Nasenscheidewand herum. Die stümperhafte Operation führte dazu, daß Marlowe späterhin beim Schlafen immer durch den Mund atmen mußte.

Während er im Krankenhaus lag, beschäftigte ihn nur eines: warum Koslowski das getan hatte. Er kannte ihn nicht, war ihm nie vorher begegnet – zu Koslowskis Glück traf er ihn auch später nie mehr – und hatte mit ihm nichts zu tun. Kaum konnte er wieder einigermaßen atmen, fuhr er nach Hause.

Für seinen Vater waren die Zustände inzwischen fast unhaltbar geworden. Ein großer Konzern, der überall im Lande seine Filialen errichtete, hatte sich für die Drogerie des alten Marlowe zu interessieren begonnen. Der Alte hatte ein finanzielles Angebot abgelehnt, der Konzern daraufhin den Kampf gegen ihn begonnen: Scheinbar billigere Angebote (es waren Lockangebote – in Wirklichkeit arbeitete der Konzern wesentlich teurer als die kleinen Handelsleute, die er zu verdrängen suchte) nahmen Roger Marlowe die Kunden weg. Als er dennoch nicht weichen wollte, setzten Beauftragte des Konzerns, bezahlte Lokalpolitiker und Journalisten immer neue Gerüchte über die angeblich verbrecherischen kommunistischen Neigungen des Drogisten in die Welt. Sogar von vergifteten Lebensmitteln war die Rede. Während die Mutter zur Aufgabe riet, versteifte sich der Vater immer mehr. Er wollte nur der Gewalt weichen. Und er mußte der Gewalt weichen.

Der junge Sohn des örtlichen Sheriffs gehörte nicht gerade zu denjenigen Einwohnern, auf die Santa Rosa besonders stolz sein konnte: Er war ein Trinker, ein Spieler und hinter jedem Weiberrock her. Eines Morgens fand man ihn erschossen im Unterholz. Wer ihn wirklich getötet hatte und warum, das interessierte niemand mehr. Der Distriktanwalt, der schon seit einiger Zeit im Solde des Konzerns stand, erklärte öffentlich, die Kommunisten und vor allem Roger Marlowe stünden hinter diesem Mord. »Drogisten schießen nicht!« sagte einer der wenigen Bürger von Santa Rosa, der seinen Verstand zusammengehalten hatte, aber das nutzte Roger Marlowe nichts. Er wurde verhaftet; es wurde Anklage erhoben.

In der Haft schnitt sich Roger Marlowe die Pulsadern auf. Einer der Wärter, der ihn in seinem Blute liegen sah, wartete sicherheitshalber noch eine halbe Stunde, ehe er den Gefängnisarzt alarmierte. Der stellte den Tod des alten Drogisten fest.

Philip Marlowe sprach später so gut wie nie über diese Zeit, und wenn, dann erwähnte er nur seine Herkunft aus Santa Rosa. Mehr nicht. Er gab sein Studium auf und meldete sich freiwillig zum Militär. Seine Mutter zog zu ihren Verwandten. Doch sie hatte die tödliche Krankheit schon im Leibe. Als Sacco und Vanzetti hingerichtet wurden, starb Mrs. Marlowe an Nierenversagen. Philip bekam zur Beerdigung keinen Ausgang. Die amerikanische Armee bereitete den Einmarsch in Nicaragua vor – und Philip Marlowe war dabei. Daß er die Armee nicht liebte und die Armee ihn auch nicht, versteht sich von selbst.

Marlowe klagte nie, er machte nie jemanden verantwortlich für den Tod seiner Eltern, die Gesellschaft nicht und nicht den Konzern, der aus der Drogerie einen hübschen Drugstore machte. Nicht die braven Bürger von Santa Rosa noch den korrupten Distriktanwalt. Auch nicht den wahren Mörder des jungen Mannes, einen Strichjungen aus Los Angeles, der es mit der Angst zu tun bekommen hatte und zur Waffe griff, als der Sohn des Anwalts betrunken auf ihn losging.