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Zu den „Wunderwaffen“, mit denen das Kriegsglück noch hätte gewendet werden sollen, gehörte bei der Luftwaffe die auf Torpedos umgerüstete, aber damals, 1943/44, schon veraltete Ju 88. Mit ihr wollte man die feindlichen Geleitzüge, den Nachschub im Mittelmeer, im Kanal, im Eismeer vor Murmansk stoppen.
Es war buchstäblich ein Schlag ins Wasser. Gegen die höllische feindliche Abwehr war nicht anzukommen. Trotzdem mußte geflogen werden – ein Himmelfahrtskommando, wie es im Buche stand. Und war man tatsächlich mal an ein Schiffsziel herangekommen, dann erwies sich der Torpedo noch als taube Nuß: Frustration ohne Grenzen. „Von 44 Torpedofliegerbesatzungen, die ich kannte“, berichtet Bodo Diemer in seinem tagebuchartig aufgezogenen und atemberaubend spannend geschriebenen Einnerungsbuch – erste Niederschriften gleich 1945 nach Kriegsende –, „sind nur drei zurückgekehrt.“ Eine davon war seine eigene. Und es war wie ein Wunder, wobei er sich selbst die Augen rieb. Fliegerglück? Pilotengeschick? Beides kam zusammen. Dabei hatte sogar noch der allerletzte Flug am 6. Mai 45 mit einer ramponierten Ju 88 direkt in englische Gefangenschaft in Dänemark um ein Haar in einem Desaster geendet! Diemer bietet eine facettenreiche Innenbeschau der späten, auf ihr Ende zusteuernde Luftwaffe mit ihrem sinnlosen Todesmut, ihren Frustrationen, Besäufnissen, Selbstbetäubungsexzessen. Der Leser fühlt sich gleichsam in der Kanzel mitgenommen bei den Einsätzen und in Hochspannung versetzt. Und wer auf flugtechnische Details Wert legt, kommt voll auf seine Kosten.Diemer resümiert: „Wie die meisten meiner Kameraden war ich noch nicht einmal 24 Jahre alt. Zerstörung, Töten und Getötetwerden, unter den Irrlichtern von Vaterlandsliebe und Fahnentreue, das war unsere bisherige Welt. Jetzt waren wir allein gelassen, verraten von unseren feigen und unfähigen Marschällen, die uns gegen jede menschliche Vernunft kraft ihrer Befehlsgewalt in die totale Kapitulation geführt haben. Jetzt waren sie am Ende … VAE VICTIS – wehe den Besiegten!“
Nicht zuletzt hat im Buch ein Flieger-Generalfeldmarschall Sperrle, feist wie Göring, seinen gespenstisch-grotesken Auftritt. Hinweis: Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine NeuauflageDas E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Bodo Diemer
Überlebenschance gleich Null
Vom sinnlosen Sterben der Torpedoflieger
Autobiographie
Helios
Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!
Zur Einführung
Staffelkapitän Geismann stellt sich vor
Februar 1943
Die neue Besatzung
Auch gleich ein erster Absturz
Trauermusik und Ehrengeleit
Was sich daheim in Ebingen tut
Der eine hat’s, der andere nicht
Sturzflug und Überleben
Töten und Getötetwerden
Das Rucki-Zucki-Manöver
13. April 1943
Linker Motor brennt!
Belohnung: Sonderurlaub in Palavas
Die Anonymität des Mordens
Was hat der dicke Meier mit uns vor?
Die unheilige Landser-Dreieinigkeit
Gedichte von Eichendorff und Rilke
Neuer Standort: Ostpreußen
Studium der Heidespinnen
Ein Hauptmann namens Paetz
Wie es zu sogenannten Heldentoten kommt
Ju 88 auf Torpedo umgerüstet
Das große Fest in Willenberg
Sechs Männer, zwei Frauen
Ein alter Schulfreund taucht auf
Kunstgenuß: Beethovens Neunte
Mein 100. Start Ju 88
Nach Wormditt zur III. Gruppe
Es geht ums Überleben
26. Oktober 1943
Am Ziel: 8. Torpedostaffel KG 77
Draufgänger mit Ritterkreuz im Sinn
Jeden Tag über der Ostsee
Flitterwochen im Hotel
Wie geschaffen für den Lebensborn
Tief- und Tiefstflüge werden geübt
Daheim in Kassel: Feuersturm
Die neue Dimension des Krieges
Das Nachtleben von Wormditt
Ein dumpfer Knall: Vier Kameraden tot
Noch einmal davongekommen
Auf zum neuen Besäufnis
Die Kehrtkurve ist die Achillesferse
Ein schmächtiger Weihnachtsbaum
Kriegsjahr 1944
Von Wunderwaffen keine Spur
Torpedo – eine englische Erfindung
Wie man verheizt werden soll
Ein Aussteigen gibt es nicht
Wenn Besatzungen nicht zusammenpassen
Zurück mit brennendem Motor
Zwei schöne Fäßchen Marsala
Kameradschaftsabend und Maskenball
Der Flugplatzstreß in der Provence
Kemmler prallt gegen einen Fels
Befehl: Tonnagevernichtung
Überlebenschance gleich Null
Nachts: die Stunde der „Maquis“
Schöck hofft auf Ritterkreuzpunkte
Schoka-Kola, Kekse und Pervitin
Die Hölle ist schon los
Zurück mit rüttelnden Propellern
Warum nicht einige Wochen in Spanien?
Von zwölf Besatzungen blieben noch sieben übrig
Die Aale sind taube Nüsse
Uralte Platanen und ein Château
Mondscheineinsatz mit Beleuchtern
Wie man Nachtjäger abschüttelt
Das Verhängnis: Wasserberührung
Die Toten grüßen die Todgeweihten
Großalarm: Die Invasion
Mit stumpfen Waffen in der großen Schlacht
Deutsche Luftwaffe fällt aus
Ein toter Ami fällt vom Himmel
Junge Leutnante – ahnungslos wie Pimpfe
Die Letzten beißen die Hunde
Der Irrtum der Strategen
Nachschub für die Resistance
Im Visier der eigene Flak
Wunderwaffe V1 zischt vorbei
Generalfeldmarschall Sperrle kommt
Die Partisanen werden immer frecher
Stockbesoffen in die Luft
Dieses England – Feindesland
Endlich mal ein Treffer
Orden und Ehrenzeichen zwecks Motivation
6. Juli 1944
Abgeschossen von der eigenen Flak – Das Fiasko von La Rochelle
Freund Hein auf Liebespfaden
EK II für Tapferkeit
Bomben auf die Heimatstadt
Zur Strafe: Der Hitlergruß
Da wird sich der dicke Meier freuen
Jetzt Feldwebel und mehr Sold
Abschied von Plan de Dieu
Plattfuß rechts – und raus!
Einer ist am Feldberg zerschellt
Die Erzählungen des Vaters
Stauffenberg – der eigentliche Held!
Der behinderte Atomprofessor Hahn
Oktober 1944
„Solwejgs Lied“ von Eduard Grieg
Ein Bordhund namens Schwänzchen
So schön wie Garmisch-Partenkirchen
Die Tommys haben die „Tirpitz“ versenkt
Der endlose Rückzug der Landser
Der Schaumanzug fürs Eismeer
Jetzt auch noch das EK I. Klasse
Der Reichsmarschall will einen Flugzeugträger
Was im Morgenthauplan steht
Januar 1945: Dem Ende entgegen
Rudi Schurike und Zarah Leander
Gruppe aufgelöst und ab nach Dänemark
Die Schrecken der Eismeerflüge oder elf Mann sterben den Sekundentod
Hitzekammer gegen Läuse
Neues Quartier: Schloß Engelsholm
Ein Faß Rotwein wird entdeckt
Eine Reuse für den Fischfang
Das war Goebbels Wlassow-Armee
Mit der Eisenbahn nach Travemünde
War das Himmler auf der Flucht?
Nicht Me 410, sondern Ju 188
Zwischenlandung: Fliegerhorst Aalborg
Ein Augenzeuge vom Untergang Dresdens
Geheimmeldung: Selbstmord Hitlers
Ein Nazi desertiert nach England
Der Krieg ist aus
Mit knapper Not nach Gardemöen
VAE VICTIS – wehe den Besiegten!
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Jill & Moni
von
EK-2 Publishing
Titelillustration:
Bodo Diemer vor seiner Ju 88
Hintergrundbild: Ehrenwache für einen Kameraden
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Ich war 11 Jahre alt als Hitler am 30. Januar 1933 zum deutschen Reichskanzler ernannt wurde. Die NSDAP- die nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei – hatte gesiegt, Hitler war an die Macht gekommen.
Mein Vater war damals 49 Jahre alt. Auch er – und meine Mutter – hatten die NSDAP gewählt. Fast alle, außer den strenggläubigen Katholiken, den Ur-Sozis und den Ur-Kommunisten, hatten die NSDAP gewählt. Adolf Hitler, der demagogische Parteiführer, wurde von der NS-Propaganda meisterhaft zum Heiland der Nation stilisiert, – zum Erretter aus der Not der Arbeitslosigkeit, – zum Kämpfer gegen den gefürchteten Kommunismus und zum Erlöser aus der Schmach und der Knechtschaft des Versailler Vertrags. Die politisch enttäuschte Weltkriegsgeneration hatte sich in ihrer großen Mehrheit dem Nationalsozialismus verschrieben.
Und die Jugend, – wir Jungen und die Mädchen? Unsere Lehrer waren mit wenigen Ausnahmen über Nacht zu überzeugten Nationalsozialisten geworden und trugen stolz das Parteiabzeichen am Revers. Die Hakenkreuzfahne flatterte über der Schule, und manche Lehrer hinterfragten uns mahnend und werbend: „Bist Du auch ein Hitlerjunge?“
Selbstverständlich waren wir Hitlerjungen. Wir wollten, so wie wir es bei den Erwachsenen sahen, doch auch unsere nationalsozialistische Gesinnung zeigen, wir wollten auch das Braunhemd mit Koppel und Schulterriemen tragen, wir wollten bei den Aufmärschen auch hinter der Hakenkreuzfahne marschieren. In der Schule und bei der Hitlerjugend wurde uns die nationalsozialistische Ideologie beigebracht, wir lernten nationalsozialistisch zu denken: Reinerhaltung der germanischen Herrenrasse, Leben für und mit der uniformen Volksgemeinschaft, Kampf den Kommunisten und dem internationalen Judentum.
Kampf erfordert Kraft und Mut. „Hart wie Kruppstahl, flink wie die Windhunde“, – ein Führerwort an die Jugend – und genau so wollten wir werden. Täglich wurde geturnt, gelaufen, gesprungen und am Wochenende rückten wir mit Tornister und Zeltplane aus zum paramilitärischen Geländespiel. Befehl und Gehorsam bestimmten dann unser spielerisches Tun. Am romantischen Lagerfeuer sangen wir begeistert Kampf- und Soldatenlieder. Nachts kampierten wir in Heu- und Strohhaufen unter dem Sternenhimmel oder knöpften unsere Zeltplanen zu Zelten, wenn es regnete. „Blut und Ehre“ war in die Klingen unserer Fahrtenmesser eingraviert, welche wir stolz in einer schwarzen Scheide neben dem Brotbeutel am Koppel trugen. In der Stadt gingen wir mit Sammelbüchsen auf die Straße und sammelten Geld für die Auslandsdeutschen oder verkauften Abzeichen für das Winterhilfswerk. Unser Jungenleben außerhalb des Elternhauses hatte einen Inhalt bekommen, wir mußten Leistungen vollbringen und dienten der Volksgemeinschaft. Und über allem stand er, der Führer.
Die allgemeine Wehrpflicht war am 15. März 1935 wieder eingeführt worden, und am 9. März 1935 wurde die durch den Versailler Vertrag verbotene Deutsche Luftwaffe gegründet. Der Hitlerjugend wurde die vormilitärische Ausbildung des Flugpersonals im Rahmen der neu aufgestellten HJ-Fliegergruppen übertragen. Beim Segelflug konnten wir flugbegeisterten Hitlerjungen jetzt unseren Traum vom Fliegen verwirklichen.
Und unser Führer hatte Wort gehalten. Arbeitslose gab es offiziell nicht mehr. Der Bau der Autobahnen und der anlaufende Vierjahresplan hatten sie von den Straßen gefegt. Den Kommunisten war mit der aufstrebenden Wirtschaft der Boden entzogen. Die Parteiführer waren verschwunden. Der Versailler Vertrag war Makulatur geworden. Die neu erstandene Wehrmacht hatte das von den Franzosen verwaltete Rheinland 1936 wieder besetzt, Osterreich war 1938 „heim ins Reich“ gekommen, das Sudetenland war annektiert worden. Und dann im März 1939 marschierten deutsche Truppen trotz wirkungslosem Protest der Westmächte in die Tschechei ein. Das Protektorat Böhmen und Mähren wurde errichtet und gleichzeitig das von Litauen annektierte Memelgebiet zurückgewonnen. Die wirtschaftlichen und politischen Erfolge versetzten ganz Deutschland samt dem ins Reich „heimgekehrten“ Österreich in einen Adolf-Hitler-Rausch, und in meisterhaft organisierten Massenaufmärschen jubelten hunderttausende Volksgenossen ihrem geliebten Führer zu. Und besonders die Jugend war begeistert. Voll Idealismus und mit brennenden Herzen stellten wir unser junges Leben bedingungslos unter die Maxime: „Für unseren Führer und für die Zukunft des deutschen Volkes.“
Aber im Osten rumorte es. Im „Völkischen Beobachter“ stand geschrieben, daß in Polen die dort lebenden Volksdeutschen von den polnischen Behörden in unerträglicher Weise drangsaliert würden und daß Polen einen Angriff auf die noch unter dem Protektorat des Völkerbundes stehende, aber immer deutsch gebliebene Stadt Danzig vorbereite. Kriegsgefahr lag in der Luft, denn das konnte sich das unter dem Nationalsozialismus jetzt wieder groß gewordene Deutsche Reich nicht bieten lassen.
Und dann, am 1. September 1939, frühmorgens kam die Rundfunkmeldung: „Deutsche Truppen in Polen einmarschiert.“ Zwei Tage später: „Großbritannien und Frankreich erklären dem Deutschen Reich den Krieg.“ Der Weltkrieg Nummer II hatte begonnen. Ohne Jubel, nicht wie seinerzeit im August 1914, das Erlebnis des 1. Weltkriegs war den Erwachsenen noch in zu wacher Erinnerung. Aber das Vaterland war in Gefahr, der alte Feind England hatte Deutschland wieder den Krieg erklärt, Frankreich hatte sich angeschlossen. Jetzt galt es für unsere Soldaten das Vaterland zu verteidigen.
Nach wenigen Wochen war der Polenfeldzug siegreich beendet, aber der Tribut des Sieges waren 10.000 tote deutsche Soldaten und in der Heimat konnte man in den Todesanzeigen lesen: „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland.“ Zur Maxime unserer Jugend „Für Führer und Volk“, war jetzt das in Not geratene „Vaterland“ hinzugekommen.
Im November 1939 wurde ich 18 Jahre alt und damit wehrfähig. Das Vaterland brauchte Soldaten, – Flieger‚ – und es war eine Selbstverständlichkeit, daß ich mich noch am Geburtstag zur Luftwaffe als Freiwilliger zum fliegenden Personal meldete. Am 10. Januar 1940 wurde ich von der Schulbank weg eingezogen. Wegen Überfüllung der Flugschulen, Kraftstoffengpässen beim Schulbetrieb und Fehlplanungen bei der Waffenausbildung kam ich erst im Frühjahr 1944 als Torpedoflieger zum Einsatz. Am 11. April 1944 startete ich von Südfrankreich aus zu meinem ersten Angriff auf ein von Gibraltar nach Malta laufendes alliiertes Geleit. Bis zum Kriegsende im Mai 1945 flog ich zusammen mit meiner Besatzung 18 Torpedoeinsätze gegen Geleitzüge im Mittelmeer, zur Abwehr der Invasionsflotte im Ärmelkanal und gegen die vom Atlantik zum russischen Nordmeerhafen Murmansk verkehrenden Konvois.
Die Lufttorpedowaffe war die in der Flottenbekämpfung effizienteste, aber auch verlustreichste Gattung der Deutschen Luftwaffe. Zusammen mit meiner Besatzung zählte ich am Kriegsende zu den wenigen Überlebenden der Staffel, mit welcher ich im März 1944 als Torpedoflieger zum Einsatz gekommen war. Am 9. Mai 1945 endete mein Kriegseinsatz mit einer letzten Landung auf dem Fliegerhorst Gardemöen bei Oslo.
Unter dem unmittelbaren Eindruck des Erlebten entstand das erste Manuskript zu dem vorliegenden autobiographisch geschriebenen Buch nach meiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft. In den Gefühlswirren und dem vermaterialisierten Denken jener unmittelbaren Nachkriegsjahre sah ich mich jedoch nicht in der Lage mein Kriegserlebnis objektiv und dem Opfertod meiner vielen Kameraden gerecht zu Papier zu bringen. Jetzt, nach sechs Jahrzehnten dauernder gedanklicher Auseinandersetzung mit diesem Kriegserlebnis, entschloß ich mich zur Niederschrift in Form einer autobiographischen Erzählung. Meine Absicht dabei ist, das Kämpfen und Sterben der damals jungen und durch den Nationalsozialismus verführten Generation aus dem Blickwinkel und der Denkweise des damaligen Erlebens darzustellen und damit den nachfolgenden Generationen verständlicher zu machen.
„Für Führer, Volk und Vaterland“, das war die betrügerische Maxime unter welcher die politischen und militärischen Machthaber im Dritten Reich das Leben der Jugend forderten. Die Generation der Hitlerjugend hatte sich gläubig dieser Maxime unterworfen und für viele endete diese Unterwerfung tödlich. Die kalkulierte Verführung und der verbrecherische, meist tödliche Mißbrauch jener
Hitlerjugend-Generation durch Politik und Militär ist eines der großen, ungesühnten Kriegsverbrechen, welche in Nürnberg nicht zur Aburteilung standen. Wir Helden – in einem längst verlorenen, sinnlosen Krieg.
Von 44 Torpedofliegerbesatzungen, die ich kannte, sind nur drei zurückgekommen.
Die Handlung und die in meiner Geschichte vorkommenden Personen sind authentisch. Einige Namen habe ich aus Gründen des Personenschutzes geändert. Die Sprache und die Diktion der Erzählung sind die des einfachen Fliegersoldaten. Auf Ursachenforschung und kriegshistorische Deutungen wurde bewußt verzichtet.
Bodo Diemer, Oktober 2010
Februar 1943
„Besatzung Unteroffizier Diemer!“, brüllte der Spieß, ich hob den rechten Arm und laut schreiend las er weiter aus seiner Liste „Beobachter Gefreiter Münster, – Bordfunker Unteroffizier Marschner, – Bordschütze Gefreiter Sender.“
Jetzt mußten alle drei hinter mir stehen. Ich drehte mich langsam um. Da standen sie und grinsten mich an. Keine Hans-Albers-Typen, – eben Kommißköpfe, wie alle anderen auch. Beobachter und Funker nicht zu groß, also in der Maschine schön handlich, aber der Schütze, – groß und wuchtig. Ein Kerl wie ein Eisenbrecher.
Ich sagte: „Servus, Kumpels, – probieren wir‘s miteinander“, und drehte mich wieder nach vorn.
Die Besatzungseinteilung war beendet. Der Offizier vom Dienst schaute Richtung Schreibstube und von dort kam jetzt „er“, – Oberleutnant Johannes Geismann – 1./KG 77, Ritterkreuz am 21. Dezember 1942 († 15. August 1994). Über 100.000 Bruttoregistertonnen hat er und dazu noch eine ganze Reihe Kriegs- und Handelsschiffe beschädigt. Ein lässiger Typ, mehr Flieger als Soldat, aber knüppelhart als Stuka gegen alliierte Schiffsziele. Das hatten uns die „Alten“, die Lehrbesatzungen hier bei der IV. Gruppe, schon erzählt.
Der OvD, ein Leutnant, brüllte: „Stillgestanden!“ – und knallte die Hacken zusammen: „Melde Herrn Oberleutnant, fliegendes Personal 10. Staffel, zum Appell angetreten.“
Kurzes Antippen der Mütze: „Danke, rühren.“
Da stand er. Groß, scharf geschnittenes Gesicht mit hellwachen Augen, die zerbeulte Offiziersmütze hoch und schräg über der Stirn, Fliegerbluse auf Taille, Offiziersbreeches mit eleganten Reitstiefeln und – bescheiden oder snobistisch – nichts auf der Brust, nur das für uns so wunderbar glänzende Ritterkreuz am Hemdkragen.
Was für ein Mann! Wir wußten, er hatte Orden genug, daß man hätte eine ganze Staffel damit ausrüsten können, aber ihm genügte zur Demonstration seiner selbst das Höchste, – das Ritterkreuz.
Sein dauernder Begleiter, ein schwarzer Wolfshund, stand hinter ihm und sank nun gelangweilt zu Boden, jedoch mit gespitzten Ohren seinen Herrn nicht aus den Augen lassend. Offenbar wollte uns Oberleutnant Geismann eine Begrüßungsrede halten: „Ich bin Oberleutnant Geismann, Ihr neuer Staffelkapitän. Ich begrüße Sie, – die Flugzeugführer, die Beobachter, die Bordfunker und die Bordschützen‚ – bei der 10. Staffel des Kampfgeschwaders 77. Sie gehören jetzt zu uns – und dem Kampfgeschwader 77 anzugehören ist eine Ehre, deren Sie sich bei Ihren zukünftigen Feindflügen als würdig erweisen müssen.
Wir 77-er haben eine lange, siegreiche Tradition als Bomber und Sturzbomber. Gegen England und Rußland waren unsere Kampfgruppen im Verlauf dieses Krieges erfolgreich auf Erdziele eingesetzt, aber unsere größten Erfolge hatten wir in den letzten zwei Jahren auf Seeziele hier im Mittelmeer. Ich selbst habe viele Sturzangriffe auf Schiffe und Häfen geflogen.
Sie sind jetzt nach einer langen, gründlichen Ausbildung von den Schulen hierher zum Einsatzverband gekommen und Sie brennen darauf, möglichst rasch Kampfeinsätze zu fliegen, um das Wissen und Können, das Sie sich auf den Schulen erarbeitet haben, in militärischen Erfolg umzusetzen. So weit, so gut, – aber, Himmelsstürmer, lassen Sie es sich von mir gesagt sein: jetzt erst beginnt der Ernst Ihres Fliegerlebens!
Bisher fiel bei der Schulerei vielleicht gelegentlich mal einer vom Himmel, aber jetzt, – im Einsatz beim Kampfverband‚ – wird Ihnen die gesamte gegnerische Abwehr, seien es nun Jäger, Flak oder Schiffsartillerie, nach dem Leben trachten. Sie werden dabei als Stukaflieger in Ihrer Maschine immer ganz allein auf sich selbst gestellt sein und deshalb merken Sie sich etwas ganz genau: eine gute Ausbildung, der unbeirrbare Wille zum militärischen Erfolg, ruhig Blut und viel, viel Fliegerglück, das sind die Voraussetzungen für einen erfolgreichen und was auch wichtig ist, – überlebenden‚ – Stukaflieger.
Leider ist es nämlich so, daß trotz der Überlegenheit unserer Luftwaffe und dem Kampfesmut unserer Besatzungen, nicht nur der Feind, sondern auch wir Verluste hinnehmen mußten. So hat unser Geschwader in den letzten Monaten, trotz oder wegen unseres großen militärischen Erfolgs, viele Besatzungen verloren. Der Gegner hat sich auf unsere Taktik des Sturzangriffs eingestellt. Ein im Sturz angreifendes Flugzeug ist für die gegnerische Flak ein leichtes Ziel geworden und – die Feindjäger stürzen mit.
Da hilft nur eines: Sturz ohne Bremsen, Zielsicherheit und Nerven wie Stahlseile. Und genau das sollen Sie hier bei der IV. Gruppe, der Ersatzgruppe des Geschwaders, unter Anleitung unserer erfahrenen Lehrbesatzungen lernen und üben.
Unser Vogel ist, wie Sie ja schon wissen, die Ju 88. Eine Mischung aus Ziegenbock, Esel und Rennpferd. Sie werden sie in den nächsten Wochen unter den Arsch kriegen und hoffentlich mit ihr zurecht kommen. Ich selbst habe ein Faible für diesen Bock. Drei Stück davon habe ich schon verbraucht, – zerschossen, zerfranst von Jägern und Flak. Aber sie hat mich und meine Besatzung immer wieder nach Hause gebracht.
Also, Flieger, Sie werden bei unseren Einsatzstaffeln dringend gebraucht und erwartet. Nützen Sie die Zeit hier bei der IV. Gruppe und geben Sie ihr Bestes, damit wir Sie in kurzer Zeit als frontflugfähige Stukaflieger an Ihre endgültige Kampfstaffel weitergeben können. Und zum Schluß noch etwas ganz wichtiges: Erfolg und Mißerfolg als Kampfflieger hängen zum großen Teil mit der Zusammenarbeit und der Harmonie innerhalb der Besatzung zusammen. Wenn die Einstiegsleiter weg und die Luke zu ist, gilt die Parole: Einer für alle und alle für einen! Unser unvergessener Kommandeur Major Hahn, dem wir den Hahn in unserem Geschwaderwappen verdanken, pflegte zu sagen: Die Besatzung eines Kampfflugzeugs ist eine Schicksalsgemeinschaft am Rande der Existenz! Sie werden die Wahrheit dieser Worte noch am eigenen Leibe verspüren.
Heute wurden Sie nun alle, die neu zu uns gekommen sind, als Besatzungen zusammengeführt. Dies ist ein Meilenstein in Ihrer Fliegerlaufbahn. Von nun an werden Sie immer zusammen fliegen und Sie werden zusammen Erfolg haben oder‚ – und das muß auch gesagt werden‚ – sie werden zusammen zum Teufel gehen. Guten Tag!“
Sagt‘s, tippt kurz an seinen Mützenschirm, dreht sich um und geht. Der Hund hinterher.
„Mann, der ist nicht von Pappe!“, läßt sich von hinten mein neuer Bordfunker hören.
Jetzt gab der Spieß, – der Hauptfeldwebel‚ – den anschließenden Dienstplan bekannt. Zusammenziehen der Besatzungen jeweils auf eine Bude. Dann einräumen und gegenseitiges Kennenlernen. Nachmittags Fortsetzung des Terrassenbaus, – seinem Lieblingsprojekt. Wahrscheinlich, damit er und seine Schreiber ihren Bauch in die Sonne legen können.
Mit meinen alten Flugschulkumpels Karl Barthel und Uwe Beck, mit denen zusammen ich seit Juni 1941 die Flugschulen in Göppingen und später in Zeltweg in der Ostmark absolviert hatte, ging ich zurück auf unsere Stube. Wir waren vor wenigen Tagen, aus der schönen Steiermark kommend, nach einer tagelangen Bahnfahrt hier auf dem Fliegerhorst Montpellier in Südfrankreich eingetroffen. Wir hatten gehofft, daß wir am westlichen Ausläufer der Côte d‘Azur südliche Temperaturen antreffen würden Aber hier blies seit Tagen der Mistral eiskalt aus dem Norden. Nachts froren wir wie die Hunde, wenn der eisige Wind durch die Baracken pfiff und mit Türen und Fenstern klapperte.
Wir hatten immer zusammen auf Stube gelegen, Karl, Uwe und ich, aber jetzt mußten wir uns trennen. Ich einigte mich mit den beiden, daß ich mit meiner Besatzung hier in der Bude bleibe und sie mit ihren Besatzungen in andere Stuben ziehen.
Im Laufe der nächsten halben Stunde kamen dann meine zukünftigen Mitstreiter mit ihren Fliegersäcken und sonstigem Landsergepäck bei mir an, und jeder schnappte sich den Spind und die Falle, welche noch frei war.
Die drei kannten sich persönlich auch noch nicht. Das Zusammenwürfeln der Besatzungen war reine Schreibstubensache. Die Schreiber waren die Schicksalsgötter. Glück oder Pech, mit wem man da schicksalsträchtig verbunden wurde. Das war ein Problem und ich merkte wie sich die drei unter sich und auch mich mißtrauisch beäugten. Ich stellte sie einander nach Dienstgrad und Namen vor. Mehr wußte ich ja auch nicht. Dann wurden, solange ich am Tisch saß, die Matratzen bezogen und die Landserhabseligkeiten in den Spinden verstaut.
Ich betrachtete sie so beiläufig und versuchte aus ihrem Gebaren Schlüsse zu ziehen. An der Art wie sie zu Werke gingen, sah ich, daß alle drei alte Hasen waren. „Der Spind ist die Heimat des Soldaten“, sagte mir zu Beginn meiner Luftwaffenkarriere einmal einer von diesen Schleifern und ließ mich meine seinerzeitige Heimat fünfmal aus- und wieder einräumen. Die Taschentücher lagen nicht genau auf Kante. Nun, jetzt beim Kampfverband ging es etwas legerer zu, aber ich konnte mit Genugtuung feststellen, daß sich der angedrillte preussisch-akkurate Ordnungssinn bei allen dreien erhalten hatte.
Die Geschäftigkeit ließ etwas nach, und ich sagte so beiläufig: „Hört mal, wenn Ihr fertig seid, dann setzt Euch hier mit an den Tisch, damit wir uns etwas kennenlernen.“
Als hätten sie darauf gewartet, saßen alle gleich auf den 08/15-Kommißstühlen, den Blick erwartungsvoll auf mich gerichtet.
„Also, um das gleich klar zu stellen, in der Besatzung sind wir per Du und per Vornamen. Wir sind ja alle lange genug bei dem Verein, so daß jeder wissen muß, wie er mit dem anderen umzugehen hat.“
Beifälliges Nicken allerseits.
„Zu meiner Person. Ich bin Unteroffizier Diemer – Vornamen Bodo – und komme aus dem Schwabenländle. Ihr werdet‘s ja schon gehört haben. Zwischen Stuttgart und Bodensee, auf der Alb, bin ich zu Hause. Dort hab ich Kriegsabitur gebaut und bin als Freiwilliger seit Januar 40 dabei. Wie das Schicksal so will, kam ich zuerst einmal zur Baukompanie, weil die Flugschulen ja alle überfüllt waren. Dort habe ich den Norwegenfeldzug als Kraftfahrer mitgemacht. An der Südspitze von Norwegen haben wir einen Feldflugplatz für die Me 109 gebaut. 1941 kam ich dann auf A/B-Schule nach Göppingen und später auf C-Schule nach Zeltweg.
Fliegen ist meine Leidenschaft, der Kommißbetrieb weniger. Ich will später mal Luftfahrtingenieur studieren, das steht aber noch auf einem anderen Blatt. 3 Tage vor Kriegsbeginn habe ich als Segelflieger noch den amtlichen Luftfahrerschein gemacht. Ich war also schon vorbelastet, was ein großer Vorteil war. Ich will keine großen Sprüche machen, aber ich glaube, daß ich ein ganz guter Flieger mit dem richtigen Gefühl im Arsch bin. Ihr wisst ja‚ das fliegerische Gefühl steckt im Arsch, so hat‘s mir auf jeden Fall mein Fluglehrer Mager beigebracht.
Im übrigen, – ich halte nicht viel vom Herumschreien und Befehle verteilen, aber etwas muß klar sein: soweit es sich um‘s Fliegerische dreht,bin ich der Chef, und was ich sage, wird gemacht.
So, das war zu meiner Person zu sagen, jetzt streng nach Dienstgrad, was ist mit dir los, Funker?“
Es schien mir gelungen zu sein die Stimmung etwas aufzulockern, denn der lachte schon etwas und fing an: „Isch bin a woschächder Soggse un bai Dreschden derheme, – aber ich kann auch Hochdeutsch reden.
Also, ich bin Unteroffizier Marschner, Vornamen Fritz, von Beruf bin ich Dachdecker und habe bei meinem Vater als Geselle gearbeitet. 39 habe ich mich freiwillig gemeldet, damit ich zur Luftwaffe kam. Nach meiner Grundausbildung und Bordfunkerschule wurde ich auf der A/B-Schule Pardubitz Hilfslehrer, weil ich im Geben und Hören ganz gut war. Später habe ich bei einer Verbindungsstaffel Frontkurierflüge in Rußland mitgeflogen. So kam ich bisher auf über 500 Starts und weit über 1.000 Flugstunden. Ich wollte aber zu einem Kampfverband, und jetzt bin ich hier. Im übrigen: ich bin kein Held, wie man so sagt, aber auf mich könnt Ihr Euch verlassen.“
„Prima, Fritz, das ist ein Wort! Im Geben und Hören hab ich‘s auf Flugschule nur auf 70/80 gebracht. Aber das Funken überlasse ich ab sofort Dir. Jetzt, Beobachter, was hast Du zu berichten?
„Ich bin bei Köln daheim und bin also eine rheinische Frohnatur. Gefreiter Münster, Vorname Heinrich, aber eigentlich sagt man Hein zu mir. Ich hab bei Dynamit-Nobel technischer Zeichner gelernt und bis 41 dort gearbeitet. Dann kam ich als Freiwilliger zur Grundausbildung nach Heiligenhafen, später zum Anwärterbataillon auf die „Monte Rosa“. Im Oktober dann auf die Bombenschützenschule in Bug auf Rügen. Dort haben wir so lange herumgegammelt, weil es keinen Sprit gab. Im August 42 kam ich dann endlich zur Kampfbeobachterschule 2 in Hörsching und von dort hierher. Ich war in der Beobachterschule ganz gut, aber wenn ich hier die alten Hasen so höre, wie die mit ihren Bleistiftstummeln und zerknüllten Karten herumnavigieren und doch immer ans Ziel kommen, dann geht mir doch etwas die Muffe. Aber meinen Kumpels geht‘s ja auch nicht anders. Die Alten können‘s ja und die sollen‘s uns beibringen. Ich
weiß auf jeden Fall wo der Nordpol und wo der Südpol liegt. Das ist doch schon allerhand.“
Für seinen Witz Beifall heischend, schaute er in die Runde und ich sagte lachend: „Wir zwei werden uns schon noch mit einander beschäftigen. Ich habe, weil wir monatelang keinen Sprit hatten, auf der A/B-Schule so viel Navigation verpasst bekommen, daß ich mir mein Brot als Navi-Lehrer verdienen könnte.
Jetzt, Schütze, wo kommst Du denn her?“
Der kratzte sich geziert hinterm Ohr: „Ihr werdet es nicht glauben, aber ich komme aus der vierten Ecke des Großdeutschen Reiches. Ich bin ein Ostpreusse. Wir haben in der Nähe von Insterburg an der polnischen Grenze einen Bauernhof, und ich habe Schmied gelernt, weil man das auf einem einsamen Hof mit Pferden, Fuhrwerken und Pflügen jeden Tag braucht. Ich bin im Herbst 40 eingerückt und hab mich als Freiwilliger zum fliegenden Personal gemeldet. Ich war zuerst Fallschirmjäger in Braunschweig und kam dann auf Bordschützenschule nach Graudenz. Dort haben wir monatelang herumgegammelt bis wir dann endlich unsere Einweisungs- und Schießübungsflüge machen konnten. Jetzt gammle ich schon wieder vier Wochen hier herum und habe mich dabei zum Hilfsfourier hochgedient. Ich glaube ich übernehme in der Besatzung am besten die Beschaffung der Fresserei. Ich kann auch Schweine und Ochsen schlachten, aber hier habe ich bisher nur Esel und ein paar Ziegenböcke gesehen. Ich heiße übrigens Walter!“
Damit war die Vorstellung zu Ende. Jeder hatte seine Antrittsrede in stark Dialekt beladenem Hochdeutsch zum Vortrag gebracht und ich dachte so bei mir, nur gut, daß der alte Luther das Hochdeutsche erfunden hat, wie könnten wir vier uns sonst verständigen.
Mein erster Eindruck machte mich sehr optimistisch. Offensichtlich waren die Drei nicht auf den Kopf gefallen und auch sonst ganz manierlich. Prima war, daß Fritz schon Erfahrung hatte. Die Funker, welche direkt von der Schule kamen, hatten meist nicht viel drauf, und der Funker war wichtig.
Es war Mittag geworden und damit höchste Zeit in der etwas entfernt liegenden Kantine einen möglichst großen Schlag deutscher Soldatenkost gegen Essensmarke in Empfang zu nehmen und zu vertilgen.
„14.00 Uhr Mittagsappell“, verkündete der Dienstplan. Meldung an den Staffelkapitän, welcher heute ausnahmsweise zum Mittagsappell gekommen war. Mit Hund selbstverständlich. Er schien uns etwas Dringendes mitteilen zu wollen: „Leute, auf dem heutigen Dienstplan steht Terrassenbau. Das war das bisherige Gammelprogramm. Aber damit ist es ab sofort aus. Wir brauchen keine Terrassen, wir brauchen kampfstarke Staffeln. Nachdem die Besatzungen zusammengestellt sind, will ich ab sofort nur noch zielstrebige und besatzungsintensive Schulung sehen. Ab Montag beginnen wir mit der Einweisung der Flugzeugführer auf die Ju 88. Parallel dazu läuft das Schulungsprogramm der Gruppe getrennt nach Tätigkeitsbereichen. In den Freistunden machen die Besatzungen auf den Stuben Einsatz- und Navigationsübungen. Lassen Sie sich dabei ja nicht von mir beim Faulenzen erwischen. Ich mache die Flugzeugführer für die exakte Einhaltung des Dienstplanes verantwortlich und werde selbst laufend Kontrollen durchführen. Unterlagen werden auf der Schreibstube ausgegeben. Heute Nachmittag von 14.00 bis 17.00 Uhr Übungen auf Stube. Weggetreten!“
Der Spieß zog ein schiefes Maul. Er hätte lieber an seiner Terrasse weiterbauen lassen.
Also wieder lernen und üben. Wehmütig schaute ich zum Himmel, wo sich reger Flugbetrieb abspielte. Die 12. Staffel, welche uns bedeutend voraus war, machte heute Sturzübungen. Immer wieder setzte eine Ju 88 in 4.000 Meter Höhe zum Sturz an und heulte dann nach dem Abfangen mit infernalischem Lärm über den Platz. Nun, nächste Woche sollte ich dieses Esel-Ziegenbock-Rennpferdwunder ja auch unter den Arsch bekommen. Ich konnte es kaum erwarten.
Hein kam von der Schreibstube mit den heutigen Schulungsunterlagen. Wir hatten einen Angriff von Catania auf Sizilien nach Malta auf dort vor Anker liegende Schiffe zu fliegen. Wetter, Wind, Seegang, Abflugzeit, alles war vorgegeben. Anflug im Tiefflug auf eine von Aufklärern nach Zielquadrat gesetzte Funkboje. Hochschrauben auf 5.000 Meter und Sturzangriff auf Tanker und Truppentransporter. Starke Flak- und Jagdabwehr vorausgesetzt.
„Also, ran an die Bouletten, Hein, bring Deinen Knemeyer und das Zeug, was wir brauchen. Fritz, Du hast hier die Funkstandorte und die Frequenzen. Walter, Du passt auf. Es ist kein Fehler, wenn Du von Navigation auch ein bisschen eine Ahnung bekommst. Vielleicht brauchen wir‘s mal. Man weiß nie!“
Der Knemeyer war eine Rechenscheibe zur Errechnung aller Navigationsdaten. Mit den Kursdreiecken zeichnete man die Kurse und die Standlinien in die Karte.
Wir waren gerade so eine halbe Stunde am Werk, da hörten wir in der Nachbarstube „Achtung“.
„Aha, der Alte kommt.“ Die Torpedofliegerei war stark marineorientiert, deshalb war der Staffelkapitän der „Alte“, eine Marinemarotte.
Schon wurde unsere Türe aufgerissen und der begleitende Unteroffizier vom Dienst brüllte wieder „Achtung“. Wir sprangen auf und der Alte kam herein.
„Unteroffizier Diemer meldet Besatzung bei theoretischer Einsatzübung.“
Unser Handwerkszeug auf dem Tisch zeigte, daß wir tätig waren.
„Danke, – wo haben Sie geschult, Diemer?“
„A/B-Schule in Göppingen und C-Schule in Zeltweg, Herr Oberleutnant.“
„In Göppingen war doch Hauptmann Schock Lehrgangsleiter, der war mal mein Fluglehrer. Wissen Sie wie‘s ihm geht?
„Er hat sich zu einem Jagdverband weggemeldet und ist, soviel ich weiß, bei den ersten Einsätzen abgeschossen worden.“
„Was‚ – der auch, – der Krieg frisst uns alle!“
Er merkte sofort, daß er dies hätte nicht sagen sollen, und fügte flapsig schnell hinzu „ – sprach Zarathustra! Also, – weitermachen.“
Kurze Berührung des Mützenschildes, und draußen war er wieder, nächste Stube.
Wir setzten unseren theoretischen Flug nach Malta fort. Plötzlich hörten wir das typische Aufheulen einer abstürzenden Maschine ganz in unserer Nähe. Ich dachte mir noch, wie ist doch dieser Motorenlärm so ganz anders als bei gewollten Sturzflügen, da erschütterte eine Detonation unsere Baracke derart, daß alles Mobiliar in Bewegung geriet und die Pendellampe über dem Tisch in Schwingung kam. Wir waren aufgesprungen.
„Jetzt hat‘s einen erwischt“, sagte Fritz mit gepresster Stimme und wir stürzten nach draußen.
Da stand sie schon, die Rauchwolke der Aufschlagsdetonation, am Rande der Barackenanlage. Kohlschwarz und vielleicht schon 200 Meter hoch. Von allen Seiten liefen Landser herbei. Die Horstfeuerwehr nahte mit Tatü – tata. Der Sanitätswagen preschte mit Alarmsignal heran. Aber hier brauchte man weder Feuerwehr noch Sanität, hier brauchte man nur noch ein paar Aufräumer mit guten Nerven, welche die Leichenteile, die in der Gegend herumlagen, einsammeln und einander zuordnen konnten. Kein Anblick für zarte Jungfrauen.
Die Maschine hatte ein tiefes Loch in die Erde gebohrt Vom Flugzeug selbst war nur noch das Leitwerk zu sehen, welches steil zum Himmel ragte. Überall lagen Maschinentrümmer umher, und der im Loch steckende Rumpf mit den Motoren qualmte schwarz und schmutzig. Die Tanks waren beim Aufschlag explodiert.
Langsam gingen wir zurück zu unserer Baracke. Keiner sprach ein Wort und doch wußte jeder vom andern, was er dachte. Wird das auch einmal unser Ende sein?
In unseren Feindflug nach Malta wollte kein richtiger Schwung mehr kommen, und wir waren froh, als es 17:00 Uhr war.
Da kam Karl Barthel und berichtete, daß er auf der Flugleitung war und dort gehört habe, es seien 3 Mann Besatzung in der Maschine gewesen, ein alter Kutscher mit Deutschem Kreuz in Gold, ein junger Flugzeugführer und ein Funker. Es werde vermutet, daß die beiden Flugzeugführer beim wechselseitigen Umsteigen vom Beobachter- auf den Pilotensitz sich irgendwie an der Steuersäule verfangen hätten, was die Maschine dann ins Trudeln brachte, aus welchem sie infolge Bewegungsunfähigkeit durch die beim Trudeln auftretenden Zentrifugalkräfte nicht mehr herauskamen.
Am nächsten Tag stand für Nachmittag „Trauerfeier für Absturzbesatzung“ auf dem Dienstplan.
Der Fliegerhorst hatte ein Anschlussgleis der französischen Eisenbahn mit einem großen Abstellplatz für die Tankfahrzeuge. Dort sollte die Trauerfeier stattfinden.
Die drei Staffeln der Gruppe waren im offenen Karree vor dem Eisenbahnwaggon angetreten, mit welchem die drei Toten in die Heimat zurücktransportiert werden sollten. Die drei Särge waren nebeneinander vor dem offenen Waggon aufgebahrt, jeder mit einer Reichskriegsflagge und einem darauf liegenden Stahlhelm bedeckt. Die Horstkompanie war als Ehrenkompanie feldmarschmäßig mit Stahlhelm und Gewehr vor den Särgen auf marschiert
Jetzt nahte ein PKW mit dem Gruppenkommandeur und dem Horstkommandanten. Der stellvertretende Gruppenkommandeur, ein Hauptmann, kommandierte nut schneidender Stimme:
„Gruppe stillgestanden.“
Der Fahrer hatte schon die Türe des Kübelwagens aufgerissen und die beiden Offiziere waren ausgestiegen:
„IV. Gruppe KG 77 zur Trauerfeier angetreten.“ „Danke, – lassen Sie rühren.“
„Gruppe, – rührt Euch“!“
Ich kannte die Zeremonie, welche nun folgen mußte, denn während meiner zweijährigen Flugschulung war immer wieder mal ein Kamerad, selbstverschuldet oder unschuldig, abgestürzt. Dann kam immer diese Zeremonie mit der Verladung des Sargs in den Eisenbahnwaggon zum Heimtransport zu Eltern oder Familie, mit vaterländischer Ansprache, Trauermusik und Ehrensalut.
Der Gruppenkommandeur, hoch dekoriert, hielt eine kurze Ansprache. Man spürte, er war vom Schicksal der drei Toten betroffen, was er allerdings mit der Routine des arrivierten Luftwaffenoffiziers überspielte. Er ging kurz auf die Einzelschicksale der drei Verunglückten ein. Der Feldwebel mit dem Deutschen Kreuz in Gold hatte über 100 Feindeinsätze geflogen und mußte nun – Hohn des Schicksals – auf diese Weise sterben. Er war verheiratet und hatte ein Kind.
Die beiden anderen waren Neuankömmlinge wie wir, unverheiratet. Die Empfangsadresse ihrer Särge waren die wahrscheinlich jetzt noch ahnungslosen Eltern.
Dann kam die Sache mit dem ehrenvollen Tod für Führer, Volk und Vaterland, und dann hieß es:
„IV. Gruppe zur Totenehrung stillgestanden, Peloton vortreten.“
Sechs Landser der .Horstkompanie mit Stahlhelm und Gewehr traten vor und standen jetzt in Linie mit umgehängtem Gewehr vor den Särgen.
„Gewehr ab“, die Gewehre kamen in Fußstellung.
Jetzt intonierte die Fliegerhorstkapelle das alte und doch ewig junge Lied vom guten Kameraden.
„Zur Salve fertig!“, die Gewehre sausten in Hüftanschlag
„Hoch legt an!“, man sah, die Landser hatten die Sache gut exerziert, die Gewehre zeigten akkurat in einer Linie schräg über die Särge hinweg in den Himmel.
„Feuer“, die Salve krachte über die Toten, und viele der nicht-infanterieschussfesten Fliegersoldaten zuckten zusammen.
„Durchladen“, die Gewehre kamen in Hüfthaltung und wurden durchgeladen.
„Hoch legt an – Feuer“, zweiter Schuss.
„Durchladen“, die Gewehre wurden wieder durchgeladen.
„Hoch legt an, – Feuer“, dritter Schuss.
Der Pulverdampf der Platzpatronen sank ganz langsam herab auf die Särge.
Die jeden Soldaten immer wieder ergreifende Melodie des militärischen Abschiedsliedes „Ich hatt‘ einen Kameraden – “ und die Zeremonie der Ehrensalve hatten die in vier Jahren Krieg verhärteten Soldatenherzen aufbrechen lassen und manche nicht mehr zurückzuhaltende Träne rollte über Gesicht und Montur.
Die Trauerfeier war beendet. Die hohen Offiziere bestiegen ihren PKW, die Staffeln rückten ab. Die Horstkompanie verlud die Särge in den Waggon.
Als wir auf Stube gingen, sagte Walter nachdenklich: „Es ist doch ein saudummes Gefühl, wenn Du überlegst, dein Vater macht den Sarg auf und du liegst drin wie Wurstsalat.“
Am Abend lag ich noch lange wach und dachte über diesen Ausspruch von Walter nach. Ich stellte mir vor, wie die bisher auf ihren Ehemann mit dem Deutschen Kreuz in Gold sicherlich sehr stolz gewesene und nunmehr ins menschenmöglich tiefste Leid gestürzte Witwe den Sarg mit den Leichenteilen ihres Liebsten in Empfang nehmen mußte. Sicherlich sagt ihr dann auch am Grab irgend so ein Nazibonze den Spruch von dem ehrenvollen Tod für Führer, Volk und Vaterland.
„Der Krieg frisst uns alle“, hatte unser Alter gestern gesagt.
Jetzt habe ich sie geflogen, die berühmte Ju 88‚ das Arbeitspferd der Deutschen Luftwaffe. So hatten wir es auf der C-Schule von unseren Fluglehrern gehört. Aber jetzt nach den wenigen Flügen, welche ich mit ihr gemacht hatte, gefiel mir eigentlich die Charakterisierung unseres Alten: „Mischung aus Ziegenbock, Esel und Rennpferd“ viel besser und zutreffender.
Der Ziegenbock stand dafür, daß sie nicht so ganz einfach war und gelegentlich, – besonders bei falscher Behandlung‚ – ganz schön bockig reagierte. Der Bezug zum Esel kam zweifelsfrei davon, daß man sie mit allem, seien es Flächenbomben, Sturzbomben, Luftminen, Torpedos und ähnlichen Mordwerkzeugen bis an die Grenze des zulässigen Fluggewichts beladen konnte. Das Synonym Rennpferd verdiente sie sich mit ihrem Temperament aus den 3.000 PS. Das machte sie gegenüber vergleichbaren Flugzeugtypen schneller, wendiger und steigfähiger. Es hieß, sie sei sogar schon als schwerer Jäger eingesetzt worden.
Dreitausend Pferdestärken, – soviel hatte ich noch nie unterm Hintern!
Ich wurde jetzt zur Kampfausbildung einem alten Kutscher, – so wurden die Piloten im Fliegerjargon genannt -. zugeteilt, wobei mit dem Begriff „alt“ weniger das Lebensalter, als vielmehr das Überlebensalter gemeint war. Feldwebel Wendel, genannt „Fips“. Weshalb er mit Fips gerufen wurde, wußte er selbst nicht. Er hatte die Goldene Frontflugspange und das Eiserne Kreuz I. Klasse. Das Deutsche Kreuz in Gold sei für ihn unterwegs, – hieß es.
Diese übrig gebliebenen Kampfbesatzungen, welche durch die pausenlos geflogenen Einsätze in ihrer psychischen Substanz ziemlich verbraucht waren, kamen, – wenn sie Glück hatten – ‚ als Lehrbesatzungen zur IV. Gruppe. Wenn sie Pech hatten schickte man sie 14 Tage in Urlaub und verheizte sie dann vollends.
Ich meldete mich also bei meinem Ausbilder, und er begrüßte mich: „Zu mir kannst Du Fips sagen, so machen‘s alle. Der Alte hat mir gesagt, daß Du nach Deiner Fliegerakte ein ganz passabler Kutscher sein müßtest. Da machen wir nicht viel Heckmeck mit der Umschulerei. Ich flieg Dir eine Platzrunde vor und dann fliegst Du mir einige Platzrunden nach. Darauf machen wir im Lauf der nächsten Wochen die Einweisungsflüge, hauptsächlich Gefahreneinweisung, – die ist nämlich dringend notwendig bei dem Bock. Das machen wir zwei zusammen, soweit möglich nehmen wir Deinen Funker mit. Beobachter und Schütze bleiben am Boden. Wenn wir soweit sind, dann geht‘s zweigleisig weiter, wir zwei machen Sturzausbildung und nebenher machst Du mit Deiner kompletten Besatzung Technikflüge, Ziellandungen, Höhenflüge und Navi-Überlandflüge. Einmotorenflüge stehen dann auch noch auf dem Programm. Ich führ Dir dann vor wie das geht. Der Vogel macht das ganz gut, und das braucht man immer wieder. Meistens im dümmsten Augenblick.
Mir hat mal eine Hurricane im Sturz den rechten Motor zerschossen, und ich bin abgesackt auf 20 Meter überm Wasser, bis ich dann endlich im Einmotorenflug war, – und dabei immer noch den Burschen im Genick. Zu meinem Glück kamen ein paar Me‘s und haben den Tommy abgeknallt. Sonst wäre ich jetzt bei den Fischen und könnte Dir nicht mehr zeigen, wie man rucki-zucki, mit einem Motor weiterfliegt. Jetzt ist halt der Tommy bei den Fischen. Glück muß man haben bei unserem Verein, alles andere ist Scheiße!“
Dann kam meine erste persönliche Bekanntschaft mit diesem so genannten Vogel. Fips rollte zum Start, ich saß auf dem Beobachtersitz.
„Die Rollerei am Boden ist ja so wie bei allen anderen Mühlen auch. Da brauchst Du also nicht Neues lernen. Den Knüppel mit Steuerhorn kennst Du von der Ju 86 her. Alles gleich, nur viel enger hier.“
Dann standen wir am Startpunkt.
„Also, – jetzt nicht vergessen <Heckradsperre ein>, sonst schlingerst Du über die Piste wie besoffen. Dann Klappen auf <Start> und prüfen: Trimmung auf Normal und Luftschraubenverstellung auf Start. Alles klar?“ Ich nickte mit dem Kopf, und er schob die beiden Ladedruckhebel bis zum Anschlag nach vorn. Dann brüllte er den Motorenlärm übertönend:
„Jetzt Motoren auf Voll-Last, – Füße von den Bremsen – und ab geht die Post.“
Er hatte die Füße noch einen Moment länger auf den Pedalen gehalten, damit die Maschine mit einem Ruck anrollte. Um mir das Temperament der Dame vorzuführen, wie er mir später erläuterte.
Fips war jetzt trotz Kehlkopfmikrofon und Ohrmuscheln wegen der auf höchster Drehzahl laufenden Motoren nicht mehr zu verstehen, aber ich sah an dem Ausdruck seines Gesichtes, daß dem alten Flieger mit Tausenden von Starts, das urfliegerische Hochgefühl des Sich-in-die-Lüfte-Erhebens nicht verloren gegangen war. Ich spürte aber auch, daß er sich bemühte, einen Start ganz nach Vorschrift zu machen, um mir ja kein schlechtes Beispiel zu geben. Wäre er allein mit seiner Besatzung gewesen, dann hätte der Start sicherlich anders ausgesehen, aber so flog er auch die Platzrunde und die Landung nach wenigen Minuten streng nach Vorschrift.
Wir rollten zum Abstellplatz und stiegen um, ich auf den Pilotensitz und Fips auf den Beobachterplatz. Ich wunderte mich im Stillen, wie er meinen Flugkünsten so ohne Einschränkung vertraute, und ich war etwas stolz auf meine Fliegerakte, welche hierfür sicherlich der Grund war. Ich selbst hatte immer ein ungutes Gefühl im Bauch, wenn ich bei Start und Landung nicht selbst den Knüppel in der Hand hatte.
„Alles klar?“, fragte ich Fips. Er nickte und ich rollte los.
Ich spürte schon im Rollen, daß hier hinter allen Funktionen ganz andere Kräfte steckten, als bei den bisher von mir geflogenen Typen.
Am Startpunkt dann Hebel auf <Heckrad fest> und <Klappen 25 Grad>, Luftschraubenverstellung und Trimmung i. O. Prüfender Blick zuerst in die Runde, dann zu Fips, ein leichtes Nicken seinerseits und jetzt beide Hebel auf Voll-Last, Bremsen frei!
Ich empfand diesen Augenblick als das Ziel einer langen, langen Reise, von Flugzeugtyp zu Flugzeugtyp, von Schwierigkeit zu Schwierigkeit und beglückt spürte ich aus der Vibration der gesamten Maschine die geballte Kraft der beiden Motoren, – 3.000 PS!
So hatte ich das noch nie empfunden, diese Symbiose aus Aerodynamik und Motorenkraft, beherrscht von mir, -. dem Piloten! Ich fühlte mich eins mit ihr, – dieser Ju 88 – ‚ und meine Handgriffe und Reaktionen muteten mich an wie selbstverständlich, wie schon immer so gemacht. Mit diesem Flugzeug konnte ich fliegen, – auch in Gefahr, dessen war ich mir sicher.
Schweigend flogen wir unsere Platzrunde, und trotz erstmaligem Versuch gelang mir eine schöne, weiche Landung.
„Die Erde hat uns wieder“, sagte Fips ganz einfach, und „das hast Du gut gemacht, der Vogel ist der Deine, das hab ich gleich gemerkt.“
Für diesen Spruch habe ich Fips in mein Herz geschlossen.
Wir flogen an diesem Nachmittag dann noch die restlichen vier Platzrunden, wobei wir eine etwas nach Süden ausdehnten. Fips wollte mir die an der Küste, am Strand von Palavas liegende, Strandvilla zeigen, welche für das Badevergnügen unserer Staffel requiriert war.
Heute ist Feldpost gekommen, gesammelte Feldpost, von der C-Schule hierher zur IV. Gruppe nachgeschickt. Sie war schon wochenlang unterwegs und deshalb nicht mehr ganz aktuell. Trotzdem, jeder Brief wurde heißhungrig verschlungen. Fünf Briefe, – zwei von zu Hause, einer von meinem Bruder Arno, einer von meinem ältesten Bruder Rudolf und einer von Helen, meiner kleinen Gymnasiastenliebe.
Zu Hause war alles soweit in Ordnung, wenn man die Kriegsverhältnisse so bezeichnen durfte. Mein Vater schrieb mir, daß unsere Textilfabrik auf Machenschaften der örtlichen Wirtschaftsnazis endgültig geschlossen, die Maschinen zwangsvermietet und das Fabrikgebäude von einer benachbarten, nazigeführten Rüstungsfirma beschlagnahmt werden sollten. Er wolle jetzt aber nach Berlin zu Göring fahren, um diese Bedrohung mit dem Argument abzuwenden, daß hiermit für alle drei Söhne der Familie, welche als Flugzeugführer bei der Luftwaffe im Feld stehen, die Existenzgrundlage in der Heimat zerstört werde.
Großartiger Vater, – ich bewunderte ihn ob seiner unerschütterlichen Entschlossenheit für seine Familie, Widerstand selbst gegen das Regime zu leisten.
Meine Mutter schrieb mir, daß die Bestrebungen zur Autarkie der Familienversorgung gute Fortschritte mache, wir hätten jetzt 64 Stück Federvieh und einen Stall voll Hasen auf dem Grundstück Ich solle nur bald in Urlaub kommen, Küche und Keller seien bereit.
Mein Bruder Rudolf war Fluglehrer an der Luftkriegsschule 4 in Fürstenfeldbruck. Er schrieb mir, daß die Offiziersausbildung immer mehr gestrafft und die Jahrgänge der Offiziersanwärter immer jünger würden. Ich wußte das, denn die von der C-Schule mit mir hierher gekommenen Leutnante waren alle jünger als ich.
Der Brief von meinem Bruder Arno war schon in halb Europa herumgereist, bis er jetzt endlich in meine Hände kam. Wir beide hatten einen Geheimcode zur Verschlüsselung von Mitteilungen, welche eigentlich unter Geheimhaltung fielen. So schrieb er mir, daß er seit Sommer letzten Jahres bei der 3. Staffel des Kampfgeschwaders 6 sei und die Ju 88 als Stuka fliege. Er habe bereits einige Nachteinsätze nach England mitgeflogen. Jetzt liege seine Einheit in Dänemark als Absprungsbasis nach England.
„Die Ju 88 ist ein harmloser und ganz gutmütiger Apparat, wenn man sie richtig behandelt und nicht fickerig wird“, schrieb er mir.
Ja, diesen Eindruck hatte ich nach meinen wenigen Flügen mit der Maschine auch. Es mutete mich seltsam an, daß wir beide jetzt letztendlich bei der gleichen Waffe und bei der gleichen Einsatzmustermaschine gelandet waren.
Sein früherer Optimismus klang in diesem Brief sehr gedämpft. Zu unserem brieflich geführten Dialog über unsere Zukunftspläne nach dem Krieg, schrieb er mir:
„Leider kann man, glaube ich, das Gefühl nicht mehr entbehren, am Start zu stehen, langsam beide Gashebel auf Voll-Last zu schieben, dann den Kasten anzudrücken und behutsam weg zu heben. Doch genug der Sentimentalität, die Sache wird sowieso mal mit einem Bums enden.“
Mit einem „Bums“ enden! Ich mußte unwillkürlich an die Kameraden denken, welche wir vor wenigen Tagen im Sarg in die Heimat verabschiedet hatten. So ähnlich wird es sein, wenn ein Stuka im Angriff abgeschossen wird. So ähnlich wird sich das Wrack in die Erde bohren und so ähnlich werden die Männer in der Maschine zerfetzt werden. Ein grauenvoller Gedanke und dennoch nackte Realität!
Ganz anders der Brief meiner kleinen Freundin Helen. Sie erinnerte mich an unser letztes Rendezvous. Als ich im vergangenen Sommer in Urlaub war und wir verliebt und eng umschlungen in der Abendsonne über die involler Blüte stehenden Wiesen gingen. Beim Abschied war sie großzügiger, als sie es eigentlich hatte sein wollen, und wir trennten uns zuletzt in Glück und Schmerz zugleich. Jetzt schickte sie mir ein neues Foto und eine Locke ihres schönen blonden Haares, liebevoll mit einem roten Bändchen garniert.
Mit meiner Besatzung habe ich Glück gehabt. Alle drei ruhige Burschen, keine Heldentypen, – wie ich ja auch nicht. Im täglichen Umgang echte Kumpels, verträglich und kalkulierbar. Das war wichtig.
Von der Ausbildung her war Hein sicherlich auf der Beobachterschule ganz gut gewesen, es fehlte eben noch die Praxis, und die stand uns jetzt bevor. Auf jeden Fall nahm ich mir vor, ihm das was navigatorisch zum Überleben notwendig war, noch einzubleuen.
Fritz war ein ganz ruhiger Typ. Etwas introvertiert. Was die Funkerei betraf, hätte ich keinen Besseren erwischen können. Durch seine Tätigkeit als Hilfslehrer auf Funkerschule und die Einsätze in Rußland hatte er viel mehr zu bieten, als die frisch von der Schule kommenden jungen Bordfunker.
Walter war der lebhafteste von den dreien. Er war immer unterwegs, um irgendetwas zu organisieren. Seine Fähigkeiten an Bord waren noch nicht abzuschätzen, da der Bordschütze erst im Ernstfall zeigen kann, was er gelernt hat. Soweit er im Flugzeug technische Aufgaben zu erfüllen hatte, war er von seinem Beruf her der richtige Mann.
Mir war wichtig, daß wir alle vier einen guten Draht zueinander gefunden hatten. Es gab keine Reibereien, jeder hatte den richtigen Ton im Umgang mit den anderen schon nach wenigen Tagen intus.
Karl Barthel erzählte mir, daß er einige Probleme mit seiner Besatzung habe. Sein Beobachter kam aus dem Frankenland und hieß Gruber. Er war nicht der Schnellste und schien auch auf der Beobachterschule nicht immer richtig aufgepaßt zu haben. Er lag mir und sicherlich auch Karl nicht so richtig. Sein Funker brachte Karl mit dem Hochadel in Verbindung. Er war ein geborener von Kirnberg. Das Geschlecht hatte irgendwelche Verbindungen zum höchsten österreichischen Adel. Er war an sich nicht verkehrt, aber etwas weltfremd und leider auch nicht der Schnellste in seinem Kriegsmetier als Bordfunker. Den militärischen Ehrgeiz seiner Vorfahren hatte er nicht, ich glaube, er wollte den Krieg ganz gerne überleben. Der Schütze Morawitz war dann in der Besatzung noch das Extrem nach unten. Er kam aus Wiener-Neustadt und war nach echter Wiener Art dauernd am Granteln, auf Soldatendeutsch: am Maulen und Meckern.
Armer Karl, – und gerade Du hättest eine erstklassige Besatzung gebraucht. Karl war kein guter Flieger, es fehlte bei ihm einfach das notwendige Gefühl. Schon auf A/B-Schule hatte er Schwierigkeiten, und nur seine besondere Bemühung in Theorie und Praxis verhinderten seine Ablösung.
Mit dem Fliegen ist es so eine Sache, – einer hat‘s und der andere hat‘s eben nicht, – das fliegerische Gefühl. Unter Fliegern sagt man, „es sitzt im Arsch“ und es sei ein körperliches Gefühl, womit der Pilot durch den Druck seines Körpers auf die Sitzfläche jederzeit spüre in welcher Lage und in welcher Bewegung sein Flugzeug sich befinde und wie er zu reagieren habe. So einfach ist das, – und doch so kompliziert!
Bei Karl sagten die Fluglehrer auf der A/B-Schule, vielleicht lernt er‘s noch und schickten ihn weiter auf C-Schule. Aber das mit dem Gefühl kann man eben nicht lernen und später dann auf C-Schule war es zu spät zum ablösen. Jetzt war schon zu viel in seine Ausbildung investiert. Mit abgeschlossener C-Schule, also Pilot einer großen, mehrsitzigen Maschine, wurde das Problem noch größer. Wenn ein Flugzeugführer im einsitzigen Jagdflugzeug fliegerische Fehler macht oder im Luftkampf unterlegen ist, dann riskiert er nur sein eigenes Leben. Wenn aber ein Kampfflieger mit Beobachter, Funker und Schützen an Bord, das gleiche macht, dann trifft das Risiko die gesamte Besatzung.
In der Kriegsfliegerei ist es für die Besatzungen ein teuflisches Gesetz, daß im Extremfall einzig und allein die fliegerischen Fähigkeiten, das Reaktionsvermögen und das Verantwortungsbewußtsein des Flugzeugführers über Leben und Tod der gesamten Besatzung entscheiden. Beobachter, Bordfunker und Bordschütze sind ihm, dem Piloten, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er entscheidet, gewollt oder unter dem Zwang der Verhältnisse, das Schicksal aller Mitflieger.
Die Staffel war jetzt voll im Schulungsbetrieb. Fast täglich wurde geflogen. In der übrigen Zeit machten wir Übungsaufgaben. Nebenher gab es theoretischen Unterricht in Einsatztaktik, Navigation und Technik, wobei uns die Lehrbesatzungen hauptsächlich ihre eigenen Erfahrungen mitteilten.
Fliegerisch machten wir unser Schulungsprogramm ohne Schwierigkeiten. Start und Landung war zuerst einmal wichtig.
„Jede Landung ist der Zusammenstoß eines Flugzeug mit dem Planeten Erde, wobei der Pilot die Aufgabe hat, diesen Zusammenstoß so sanft wie möglich zu gestalten“, so pflegte mein früherer Fluglehrer Mager den kritischen Augenblick des Aufsetzens eines Flugzeugs zu definieren. Besser konnte man die Kunst 15 Tonnen Fluggewicht bei einer Geschwindigkeit von 150 km/h vom Zustand des Fliegens in den des der Erde verhafteten Rollens zu überführen, nicht zum Ausdruck bringen.
Dann folgten Ziellandungen und Höhenflüge. Keine Probleme. Fips war zufrieden. Jetzt, meinte er, müßten wir die Gefahreneinweisung fliegen. Er war am Steuer und stieg auf 4.000 Meter. Dann überzog er den Vogel total bis zum Abriß der Strömung an den Tragflächen. Jetzt schüttelte sich die Mühle wie ein nasser Hund und fiel dann kopfüber in fast senkrechten Sturzflug. Fips riß die Steuersäule an den Bauch, und fast 1.000 Meter waren weg, bis wir endlich im Horizontalflug waren.
Wieder stiegen wir auf 4.000 Meter, und Fips machte die gleiche Übung, schob aber im Augenblick des Abkippens kurz den rechten Motor auf Voll-Last.. Die Maschine kippte jetzt über die linke Fläche und kam sofort ins Trudeln. Nun galt es die Trudelbewegung mit Seitenruder und Querruder auszusteuern. Fips machte das prima, aber bis wir wieder im Normalflug waren zeigte unser Höhenmesser nur noch knappe 2.000 Meter. Dann flogen wir noch Steilkurven, Messerflug und all jene Gefahrenzustände, welche ich auf den Schulen mit anderen Flugzeugtypen schon laufend geflogen hatte.
Zum Platzwechsel landeten wir im Gedenken an unsere beim vermuteten Sitzwechsel abgestürzten Kameraden von der 12. Staffel und stiegen am Abstellplatz um. Dann kam ich an die Reihe und mußte Fips das gesamte Programm nachfliegen. Einige Übungen flogen wir mehrmals, und letztendlich war mein guter Fips zufrieden. Ich auch, denn manchmal dachte ich still bei mir: hoffentlich bricht uns der Bock nicht auseinander. Aber die Ju 88 hält viel aus, und mit dieser beruhigenden Erkenntnis rollte ich zum Abstellplatz, um Fips aussteigen und meine Besatzung einsteigen zu lassen.
Gefahreneinweisung mit Besatzung: Hein und Walter zeigten sich in Erwartung von etwas ihnen noch unbekanntem sehr zurückhaltend, Fritz hatte schon mehr Flugpraxis und nahm die Sache gelassen. Mir selbst ging es darum, die drei nicht über Gebühr zu erschrecken, sondern ihnen nur zu zeigen, wie sich die Maschine in den verschiedenen Gefahrensituationen verhält, und wie ich als Kutscher darauf zu reagieren habe. Der Flug sollte Vertrauen, – Vertrauen zu mir und der Maschine‚ – in ihnen erwecken und nicht ihnen Angst machen.
Trotz allem waren meine drei Kumpels etwas grün im Gesicht, als ich dann etwa eine knappe Stunde später zum Abstellplatz rollte und wir den aufregenden Flugtag beendeten.
Karl Barthel, der mit seiner Besatzung das gleiche Programm parallel zu uns geflogen hatte, kam am Abend zu mir und erzählte mir, daß er mit seinem Lehrer, einem Oberfeldwebel, ziemlich Probleme hatte. Dieser habe ihn zur Sau gemacht und ihn angeschrieen‚ er wolle ihn, den Oberfeldwebel, wohl umbrin24
gen. Ich konnte mir die Situation schon in etwa vorstellen, aber ich habe Karl getröstet, indem ich dem Oberfeldwebel einen schlechten Tag unterstellte. Mit zwei Flaschen Rotem in der Kantine haben wir seine Schwierigkeiten dann ins Reich des Vergessens weggespült.
Morgen sollte der Flugdienst ausfallen und ein besonders unterhaltsames Intermezzo war angesagt.
Auf dem Flugplatz Montpellier befanden sich zwei große Flugzeughallen und diese waren vollgepfropft mit Jagdflugzeugen der ehemaligen „Armee de l‘air“. Alle vom Typ Dewoitine1
1 Dewoitines war die Bezeichnung des modernsten französischen Jagdflugzeugs 520, dem zu Kriegsbeginn modernsten französischen Jagdflugzeug.
Diese sollten nun als Beutegut nach Deutschland überführt werden. Da unsere Piloten diese Maschinen ohne Umschulung aber nicht fliegen konnten, wurden ehemalige französische Militärpiloten in Zivil herbeigekarrt. Die Dewoitines wurden soweit aufgetankt, daß sie gerade den Zielflugplatz erreichen konnten. Die Überführung sollte in 3 Schwärmen erfolgen unter jeweiliger Begleitung von drei deutschen Bf 109-Jägern. Einer als Pfadfinder voraus, zwei als Aufpasser hinterdrein.
Den französischen Aviateuren wurde klipp und klar mitgeteilt, daß jedes Ausscheren aus dem Schwarm den sicheren Abschuß durch eine der Jäger zur Folge habe.
Die französischen Flieger standen mit finsteren Gesichtern bei ihren Dewoitines. Wir versuchten sie kollegial etwas aufzuheitern, aber da bissen wir auf Granit. Die Wunde des verlorenen Feldzugs war noch offen und die Schmach, den vom Feind erbeuteten Stolz der Armee de l‘Air unter diesen Bedingungen auch noch ins Siegerland Überführen zu müssen, stand allen ins Gesicht geschrieben. Wir konnten unsere französischen Kollegen gut verstehen.
Gegen Mittag startete der erste Schwarm und verschwand samt Eskorte in Richtung Deutschland am Horizont. Die beiden anderen folgten in halbstündigem Abstand.
Später haben wir dann gehört, daß die Dewoitines an unsere Balkanverbündeten verkauft wurden. Dort waren sie immer noch König gegen die noch älteren Maschinen der Gegenseite.
Ich habe wieder Feldpost bekommen. Einen Brief von daheim.
N u n i s t m e i n A n g s t r a u m W i r k l i c h k e i t g e w o r d e n .
Meine Mutter schrieb mir mit ihrer klaren und wahrhaftigen Schrift, daß mein Bruder Arno in der Nacht vom 15. auf den 16. März von einem Feindflug nach England nicht zurückgekommen ist.
2 2. KG 6, Start 19.40 Uhr in Deelen/NL, Ju 88 A-14, 3 E + EK, W.-Nr. 144532, Abschuß vermutlich durch englische Nachtjäger, 4 Vermißte
Als ich den Brief so weit gelesen hatte, faltete ich ihn wieder zusammen und verließ still die Stube. Ich konnte das Gelesene nicht fassen, trotzdem ich es schwarz auf weiß gesehen hatte.
Verstört ging ich durch den Korridor und trat ins Freie. Die Kameraden, denen ich begegnete und welche mich wie üblich ansprachen, schauten mir verwundert nach. Geistesabwesenheit waren sie bei mir nicht gewohnt. Aber ich mußte jetzt allein sein, – ganz allein.
Ich ging Richtung Rollfeld. Ich wußte dort standen abgestellte französische Beutefahrzeuge. Ich hatte mich dahin schon des öfteren, wenn der Mistral blies, zum Lesen in einen alten Renault-Kastenwagen zurückgezogen. Jetzt setzte ich mich auf den Beifahrersitz und las den Brief weiter.
Meine Mutter schrieb, sie hätten die Nachricht durch einen Parteimann amtlich übermittelt bekommen. Mein Bruder gelte nach den kriegsmäßigen Bestimmungen jetzt als vermißt, bis eventuell nähere Einzelheiten über den Verbleib von Flugzeug und Besatzung über das Rote Kreuz bekannt würden. Das war der lapidare Inhalt der Routinemitteilung. Mehr konnten die örtlichen Parteileute, denen die Pflicht der Zustellung dieser täglich eintreffenden Gefallenen- und Vermißtenmeldungen aufgehalst war, auch bei redlichem Bemühen nicht bekanntgeben. Meiner Mutter brachte ein etwas entfernt wohnender Nachbar, welcher vom städtischen Straßenwart zu einer Parteistellung aufgerückt war, die Nachricht. Er war selbst betroffen, denn er hatte meinen Bruder auch gekannt und er wußte, daß die üblichen Sprüche von Führer, Volk und Vaterland, die er sich für diese Todesbotengänge zurechtgelegt hatte, hier falsch am Platze wären.
Mein Bruder Rudolf, mit welchem von zu Hause aus telefonische Verbindungsmöglichkeit bestand, wolle versuchen, auf dem Dienstweg nähere Einzelheiten zu erfahren. Meine älteste Schwester Marianne, Studentin der Medizin, habe bereits über die Feldpostnummer an die Einheit meines Bruders geschrieben und um jede nur denkbare Nachricht über den Verbleib von Flugzeug und Besatzung gebeten. Eine andere Möglichkeit der Verbindungsaufnahme mit der Staffel, als über die Feldpostnummer, gab es nicht, da bei den fliegenden Verbänden Truppenteil und Truppenstandort unter Geheimhaltung fielen.
Aus dem Brief spürte ich, trotz aller Disziplin, mit welcher er geschrieben wurde, die große Verzweiflung, in welche diese Nachricht die ganze Familie gestürzt hatte. Meine jüngeren Schwestern Sonja und Jolanda, – sie waren 16 und 14 Jahre alt – ‚ hatten mir auf den Brief noch einen kurzen Gruß geschrieben. Sie hatten beim Schreiben geweint, ihre Tränen hatten sich mit der Tinte vermischt.
Ich konnte nicht weinen. In unserer Familie haben Männer nicht geweint. Aber ich war so tief traurig und verzweifelt, daß ich nach innen, in meine Seele hinein, geweint habe. Mein Bruder, der Kumpan meiner Jugend, war nicht mehr.
Wir sind nicht nur Brüder gewesen, wir waren zugleich Freunde, – Freunde im echtesten Sinne des Wortes. Wir haben alles mit einander unternommen, zwischen uns gab es keine Geheimnisse, und mit Nibelungentreue hat oft der eine für den anderen Hiebe empfangen und Schläge ausgeteilt. Wir sind zusammen zur Luftwaffe eingerückt, und es war für uns ausgemachte Sache, daß wir beide Flugzeugführer werden wollten. Das Schicksal hatte uns nun zur gleichen Waffe und in den gleichen Maschinentyp beordert. Und jetzt war er nicht mehr da! Vom Feindflug nicht zurückgekehrt!
Ich hatte aus seinem letzten Brief gespürt, daß ihm das Erlebnis seiner ersten Feindflüge nach England sehr nahe gegangen war, und daß seine bisherige optimistische Lebensperspektive einen Knacks bekommen hatte. „– die Sache wird sowieso mal mit einem Bums enden“, hatte er mir geschrieben. Ich habe diesen Bums kennengelernt und der Gedanke, daß mein Bruder jetzt irgendwo in England zerstückelt, als geächteter Feind, – als Hunne, wie uns die Engländer bezeichneten‚ – verscharrt wurde, ließ mich in ein Seelenloch fallen, aus welchem ich nur langsam wieder hervorkriechen konnte.
Aber es war ja fast ein Zwang des Schicksals, daß dieser furchtbare Moloch Krieg auch nach unserer Familie griff. Arno war das Opfer, – das erste Opfer!
Ich hatte lange Zeit in dem Renault gesessen, und als ich in unsere Stube zurückkam, traf ich meine Besatzung ratlos, ohne ihren Flugzeugführer, bei der befohlenen theoretischen Einsatzübung an.
Fritz schaute mir ins Gesicht und sagte: „Hast Du schlechte Nachricht von zu Hause?“ Ich antwortete leise: „Mein Bruder Arno ist gefallen.“ Ich sagte gefallen, denn ich glaubte nicht an die Möglichkeit einer Notlandung oder eines Fallschirmabsprungs. Ich war mit der Materie zu vertraut, ich wußte, was es hieß im März 1943, über die Nordsee kommend, eine Stadt in England anzufliegen und dort irgendwelche Ziele als Sturzkampfflieger anzugreifen. Die englische Flak, die englische Nachtjagd hatten aufgeholt und die Sturzangriffstechnik war längst überholt. Diese Angriffsart war über England zum Himmelfahrtskommando geworden.
Meine drei Kumpels schauten mich unsicher an. Was sollten sie sagen?
Ich sagte ihnen deshalb was ich selbst wusste, und ich spürte‚ daß sie alle voll Mitgefühl waren, denn ich hatte ihnen schon viel von meinem zu Hause und meinem Verhältnis zu meinem Bruder erzählt.
Wir unterhielten uns noch über die Chancen der Stukafliegerei, welche ja unsere tägliche Lernaufgabe war, und dann setzte ich mich hin und schrieb einen dienstlichen Brief an die Feldposteinheit meines Bruders mit der Bitte, einen zweiten von mir geschriebenen Brief einem Kameraden meines Bruders zur Beantwortung zu übergeben.
Für den nächsten Tag hatte Fips die ersten Sturzübungen angesetzt, und ich träumte die ganze Nacht von diesem unfaßbaren und unersättlichen Ungeheuer Krieg, das uns alle fressen will, ganz besonders die chancenlos gewordenen Stukaflieger.
Vor dem Start am nächsten Morgen erklärte mir Fips, wie er die Sturzeinweisung machen wollte: „Wir fingieren nur mal alles ohne Übungsbomben. Wir fliegen in 4.500 Meter, an und zuerst mache ich einen 08/15 Sturz, also ganz nach Vorschrift, mit Bremsen und Abwurfhöhe 1.000 bis 1.200 Meter Höhe. Nachher zeige ich Dir dann, wie die Sache in der Praxis aussieht, das heißt ohne Bremsen und Bomben weg in 800 bis 1.000 Meter. Nur so kann man noch überleben. Mit Bremsen kommen wir auf eine Sturzgeschwindigkeit von 500 Kilometer, ohne Bremsen dann auf 700. Damit kannst Du nachstürzende Jäger abhängen und kommst unten der Flak leichter aus den Zähnen.