Überraschung in der Hochzeitsnacht - Annie Burrows - E-Book

Überraschung in der Hochzeitsnacht E-Book

Annie Burrows

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Beschreibung

Paris, Anfang des 19. Jahrhunderts: Wie kann die bezaubernde Heloise nur der Heirat mit einem grausamen französischen General entkommen? Spontan bittet sie in ihrer Not den attraktiven Engländer Charles Fawley, Earl of Walton, sie zu heiraten. Eine Vernunftehe, die ihr Leben rettet ? und seine Ehre, wurde er doch gerade von ihrer Schwester verschmäht. Doch schon in der Hochzeitsnacht scheint ihr Plan zu scheitern: Jäh wird Heloise von ungeahnt leidenschaftlichen Gefühlen für ihren frisch angetrauten Ehemann überrascht. Aber wird sie jemals in Charles? Armen die heiß ersehnte Erfüllung finden? Schließlich war von Liebe nie Rede …

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Seitenzahl: 331

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IMPRESSUM

Überraschung in der Hochzeitsnacht erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2008 by Annie Burrows Originaltitel: „The Earl‘s Untouched Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd. London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe MYLADY ROYALBand 52 - 2010 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Mira Bongard

Abbildungen: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9780263865875

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Paris, Februar 1815

Als Giddings die Haustür öffnete, stand Seine Lordschaft mit einer so zornigen Miene vor ihm, dass es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Wortlos reichte der Earl of Walton ihm Hut und Mantel und begab sich sofort in Richtung Salon. Dort lag seit dem Vorabend Mr. Conningsby auf einem Sofa. Es war besser, fand der Butler, Seine Lordschaft war in dieser Stimmung mit einem Mann konfrontiert, der sich zu wehren wusste, und nicht mit einem unglücklichen Mitglied des Personals.

Doch Charles Algernon Fawley, der neunte Earl of Walton, ignorierte Conningsbys Gegenwart. Er schritt durch den Raum auf den Serviertisch zu, zog den Stöpsel aus einer Kristallkaraffe und schüttete den gesamten Inhalt in das letzte saubere Glas, das auf der Ablage stand.

Conningsby öffnete ein Auge und blinzelte zum Earl hinüber. „Frühstück im Café Tortoni?“, krächzte er heiser.

Charles leerte das Glas in einem Zug und griff erneut nach der Karaffe.

„Es sieht nicht so aus, als ob Sie Ihren Brandy genießen würden“, stellte Conningsby fest und richtete sich schwankend auf.

„Nein.“ Als Charles realisierte, dass die Karaffe leer war, fasste er sich mit den Fingern um den Hals, als ob er sich würgen wollte. „Möchten Sie mir wieder einen Vortrag halten, was ich tun soll?“

„Das würde ich niemals wagen, Mylord. Ich meinte lediglich …“

„Nein, ich habe mir gestern alles angehört, was Sie mir zu sagen hatten, und auch wenn ich dankbar für Ihre Besorgnis bin, bleibt es bei meiner Entscheidung. Ich werde mich nicht wie ein ausgepeitschter Köter aus Paris hinausschleichen. Niemand soll behaupten können, ich hätte es nicht verkraftet, sitzen gelassen zu werden. Ich bleibe hier, bis mein Mietvertrag ausläuft, und werde keine Stunde eher abreisen. Haben Sie mich verstanden?“

Conningsby rieb sich kraftlos über die Stirn. „Nur zu gut.“ Mit Bedauern betrachtete er die leere Karaffe. „Hält Sie die Tatsache, dass Sie der ganzen Welt beweisen wollen, wie gleichgültig es Ihnen ist, dass Ihre Verlobte mit einem mittellosen Künstler durchgebrannt ist, davon ab, uns einen Kaffee bringen zu lassen?“

„Bildhauer“, verbesserte Charles ihn ärgerlich.

Conningsby sank wieder zurück in die Sofakissen und winkte erschöpft mit einer Hand ab, um die Unwichtigkeit der Berufsbezeichnung zu unterstreichen. „Ihrer Stimmung nach zu urteilen, waren die Klatschmäuler bereits am Werk. Es wird nicht leicht für Sie werden …“

„Meine momentane Laune hat überhaupt nichts mit der flatterhaften Mademoiselle Bergeron zu tun“, knurrte er. „Es ist das Verhalten ihrer Landsleute, das mich beinahe dazu bringt, diese vermeintlich zivilisierte Stadt zu verlassen und nach London zurückzukehren, wo das Gefährlichste, worunter ich leiden könnte, akute Langeweile ist.“

„Aber gerade um der Langeweile zu entfliehen, sind Sie doch nach Paris gekommen!“

Charles überging die Ungenauigkeit dieser Bemerkung. Bei seinem invaliden Halbbruder in London zu bleiben, war ihm einfach unerträglich geworden. Auch Wycke war als Zufluchtsort nicht infrage gekommen. Der Reichtum des riesigen Guts rief ihm nur schmerzhaft die Ungerechtigkeit in Erinnerung, die begangen worden war, damit er alles allein erben konnte. Daher war ihm Paris als eine perfekte Lösung erschienen. Seit Bonapartes Abdankung war es in Mode gekommen, über den Kanal zu reisen und die Sehenswürdigkeiten an der Seine zu besuchen.

Mit einem Arm gegen den Kaminsims gelehnt, erwiderte er: „Ich werde mich ganz bestimmt nie wieder über Langeweile beschweren.“

„Was hat Sie denn derartig erzürnt?“, erkundigte sich Conningsby.

„Ein weiterer Mord.“

„Wieder einmal Du Mauriac, nehme ich an?“ Conningsbys Miene verfinsterte sich. Der französische Offizier war berüchtigt dafür, hitzköpfige junge Engländer so lange zu provozieren, bis sie sich mit ihm duellierten. Dann tötete er sie mit skrupelloser Kaltblütigkeit. Anschließend pflegte er seine Taten zu feiern, indem er im Café Tortoni gebratene Nieren frühstückte. „Wen hat es denn heute Morgen erwischt? Ich hoffe, niemanden, den wir kennen?“

„Der arme Kerl, den er heute vor dem Frühstück abgeschlachtet hat, war ein Offizier namens Lennox.“ Da Conningsby die Stirn runzelte, fügte Charles hinzu: „Oh, ich glaube nicht, dass er Ihnen bekannt ist. Er war ein typisches Opfer für unseren Schlächter, ein unbedeutender junger Mann ohne Beziehungen.“

„Aber woher …?“

„Er diente im selben Regiment wie mein unglücklicher Halbbruder. Er war einer der Männer, die regelmäßig durch mein Londoner Haus liefen, um meinen Halbbruder aufzumuntern.“ Manchmal war es ihm vorgekommen, als ob ein ganzes Regiment durch seine Flure marschiert wäre, um das bedauernswerte Wrack von Mann zu besuchen, der einst ein tapferer Soldat gewesen war. Allerdings hatten nur wenige ihm einen zweiten Besuch abgestattet, denn Captain Fawley hasste es, bemitleidet zu werden.

Mitleid! Als ob das der Grund wäre! Wenn er, der neunte Earl, so schwer verletzt worden wäre, gäbe es keinen einzigen Wohlgesinnten an seiner Bettkante, der versuchen würde, ihn aufzuheitern. Im Gegenteil, die Geier würden über ihm schweben und begierig auf die Entscheidung warten, wer seinen Titel und seinen Besitz erben würde …

„Wenigstens war es diesmal ein Soldat.“

„Er hatte keine Chance gegen Du Mauriac, und das wusste dieser hinterhältige Mörder nur zu gut! Er hat sich über das glatte, fast bartlose Gesicht des Jünglings lustig gemacht und ihm höhnisch in sein leichenblasses Antlitz gegrinst, als er ihm gegenübertrat … Gott, der Junge muss krank vor Angst gewesen sein.“

Charles schlug eine Faust in die Handfläche. „Wenn Lennox mich wenigstens gebeten hätte, sein Sekundant zu sein, dann hätte ich einen Weg gefunden, es zu verhindern!“

Conningsby blickte ihn erstaunt an. Vor dessen Ankunft in Paris wusste er über den Earl nur, dass er für Aufruhr gesorgt hatte, indem er seine Vormünder aus dem Haus seiner Ahnen vertrieben hatte und anschließend jede Verbindung mit dem mütterlichen Zweig der Familie abgebrochen hatte. Er kannte niemanden, der sich rühmte, mit dem eigenwilligen jungen Lord befreundet zu sein. In seiner Eigenschaft als Berater in der englischen Botschaft hatte er ihm pflichtbewusst geholfen, die Wohnung in der Rue Richelieu zu finden, und ihm den Weg in die Pariser Gesellschaft geebnet. Eher zufällig hatte er den Earl am Vorabend nach Hause begleitet, nachdem dieser erfahren hatte, dass seine bildhübsche französische Verlobte mit ihrem Geliebten durchgebrannt war. Der Earl hatte seinen Kummer im Alkohol ertränkt, wobei er mehr zu vertragen schien als er selbst.

„Er hätte sich dem Duell doch gar nicht mehr entziehen können“, bemerkte Conningsby mitfühlend. „Bestimmt wollte er nicht öffentlich als Feigling dastehen.“

„Jemand hätte Lennox davor bewahren müssen“, beharrte Charles. „Wenn nur …“

Er wurde daran gehindert, fortzufahren, weil der Butler die Tür öffnete. „Sie haben einen Besucher, Mylord.“

„Ich empfange niemanden“, knurrte Charles.

Giddings räusperte sich, blickte vorsichtig zu Mr. Conningsby hinüber und sagte schüchtern: „Die junge Dame besteht darauf, Sie zu sehen.“ Er trat einen Schritt vor und flüsterte: „Sie sagt, ihr Name sei Mademoiselle Bergeron.“

Charles fühlte sich, als ob ihm jemand einen Schlag versetzt habe.

Während er noch Luft holte, stand Conningsby, der ein ausgezeichnetes Gehör besaß, langsam auf. „Sie will Sie sicherlich um Verzeihung bitten …“

„Da kann sie lange warten!“ Charles drehte sich um und stützte sich mit beiden Händen gegen den Kaminsims. „Ich will sie nicht mehr. Wenn sie diesem Künstler den Vorzug gibt, soll sie mit ihm glücklich werden!“

„Vielleicht liegt ein Missverständnis vor. Im Hause Bergeron herrschte gestern eine solche Aufregung. Wer weiß, was tatsächlich passiert ist?“

Sie hatten Felice zu einem Ball abholen wollen, auf dem die Verlobung angekündigt werden sollte. Doch sie fanden nur den in sich zusammengesunkenen Monsieur Bergeron und Madame Bergeron vor, die hysterisch schluchzend auf der Chaiselongue lag. Die einzige Information, die dem Paar zu entlocken war, bestand darin, dass sie das verfluchte Dienstmädchen entlassen hatten, das ihrer undankbaren Tochter geholfen hatte, mit einem Habenichts durchzubrennen, anstatt einen englischen Earl zu heiraten.

Charles atmete schwer. „Ich bin nicht in der Lage, sie zu sehen.“ Er drehte sich wieder um. Aus seinem Gesicht war die letzte Spur von Farbe gewichen. „Es besteht die Gefahr, dass ich sie erwürge.“

„Das würden Sie nicht tun“, widersprach Conningsby.

Charles warf ihm einen scharfen Blick zu. „Nein“, bestätigte er, und seine Gesichtszüge verhärteten sich zu einer unnahbaren Maske, „das würde ich nicht tun.“ Er setzte sich in einen der Sessel in der Nähe des Kamins und legte lässig ein Bein über das andere. „Sie können Mademoiselle Bergeron hereinführen, Giddings“, befahl er.

Conningsby beschlich das eigenartige Gefühl, unsichtbar geworden zu sein. Und auch wenn es dem Earl gleichgültig zu sein schien, hatte er nicht die geringste Lust, Zeuge der bevorstehenden Auseinandersetzung zu werden. Es war die eine Sache, einem Mann in freundschaftlicher Weise Gesellschaft zu leisten, wenn dieser seine Sorgen im Alkohol ertränken wollte. Welcher Mann war schließlich nicht schon einmal in eine ähnlich missliche Lage geraten? Aber mit hysterischen Französinnen konfrontiert zu werden, solange man unter heftigen Kopfschmerzen litt, war eine andere Sache. Er schaute sich im Raum nach einem alternativen Fluchtweg zu jener Tür um, durch die Mademoiselle Bergeron in Kürze eintreten würde. Den einzigen anderen Ausweg boten die Fenster.

Einen Augenblick später schwang er sich über das Sofa, auf dem er die Nacht zugebracht hatte, und verschwand hinter den schweren Vorhängen.

„Mademoiselle Bergeron“, hörte er Giddings’ Ankündigung, während er den Fensterriegel öffnete.

Charles erfüllte plötzlich Genugtuung, als sie an der Türschwelle innehielt und ihre behandschuhten Hände nach dem Schleier griffen, der um ihren Hut drapiert war.

Anstatt sich zu erheben, lehnte er sich bewusst in seinem Sessel zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie frostig an. Sie kam zögerlich näher. Doch dann rannte sie plötzlich durch den Raum und warf sich vor ihm auf die Knie. Sie ergriff seine Rechte und küsste sie durch den Schleier.

Unwillig zog er seine Hand zurück. Was auch immer gestern in sie gefahren war, er würde ihr nicht ohne eine gute Erklärung verzeihen – und vermutlich selbst dann nicht. Die Heftigkeit seiner Gefühle hatte sich noch nicht einmal durch eine Unmenge an Alkohol betäuben lassen, und eine solche Erfahrung wollte er nie wieder machen. Gerade wollte er ihr das sagen, als sie ihren Schleier lüftete.

„Danke, Mylord! Vielen Dank, dass Sie mich hineingelassen haben. Ich hatte furchtbare Angst! Sie können sich nicht vorstellen, wie unangenehm es ist, ohne Begleitung durch die Straßen zu laufen …“

Charles lehnte sich taumelnd zurück. „Sie sind nicht …“

„Felice? Nein.“ Die junge Frau, die vor ihm kniete, hielt seinem Blick stand. „Ich bedaure die Täuschung, aber ich fürchtete, Sie würden heute außer ihr niemanden empfangen. Daher habe ich Ihren Diener glauben lassen, ich wäre Felice. Außerdem war es nicht wirklich gelogen. Sie erwarteten Mademoiselle Bergeron, und ich bin Mademoiselle Bergeron …“

„Aber Sie sind die falsche Mademoiselle Bergeron“, fuhr er sie an. Wie hatte er nur die viel kleinere und unansehnliche Heloise mit ihrer hinreißenden jüngeren Schwester verwechseln können? Weder der breitkrempige Hut noch der Schleier, der ihr Gesicht verbarg, hätten ihn täuschen dürfen. Ich wollte Felice sehen und sie erklären hören, dass sie keinen anderen Mann als mich will, gestand er sich widerstrebend ein. Er hatte sich an die schwache Hoffnung geklammert, einem Missverständnis zum Opfer gefallen zu sein. Deshalb hatte er gesehen, was er sehen wollte. Was für ein Narr ich doch bin!

Heloise schluckte nervös. Sie hatte mit seiner Feindseligkeit gerechnet, aber die Begegnung mit einem Mann, dessen Herz gebrochen worden war, entmutigte sie.

„Nein“, erwiderte sie schließlich, „Sie werden Ihre Meinung ändern, wenn Sie meinen Vorschlag angehört haben …“

„Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass es irgendetwas bringt, sich hier vor mir niederzuwerfen“, unterbrach er sie zornig.

„Solange Sie nicht wissen, worum es geht, können Sie das natürlich nicht verstehen. Geben Sie mir ein paar Minuten, um alles zu erklären!“ Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie noch immer wie eine Bittstellerin zu seinen Füßen kniete.

„Darf ich in einem der Sessel Platz nehmen, Mylord? Der Boden ist sehr hart, und ich fürchte, Sie nehmen mich nicht ernst, bevor ich mich nicht beruhigt habe. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen wäre, wenn Sie mich nicht ins Haus gelassen hätten.“ Sie stand auf und fuhr atemlos fort: „Ich bin den ganzen Weg vom Jardin des Tuileries bis hierher von einem Trupp der Nationalgarde verfolgt worden. Sie wollten mir nicht glauben, dass ich eine anständige Dame bin und lediglich einen englischen Freund der Familie besuchen wollte. Dass ich zu einem Engländer unterwegs war, macht mich ja nicht zu einer Verbrecherin oder einer unpatriotischen Person. Wenn sie unbedingt jemanden verhaften wollen, sollen sie sich die Menge, die sich im Park eine Schlägerei liefert, vornehmen und nicht jemanden, dem die Abdankung des Kaisers ebenso egal ist wie die erneute Thronbesteigung eines Bourbonen. Ich hatte Glück, dass Ihr freundlicher Diener mich sofort einließ, als er meine Lage erkannte …“

Charles war von ihrem Wortschwall wie benommen. Sie holte erst Luft, als Giddings mit einem Tablett zurückkehrte, auf dem eine Flasche Madeira und zwei Gläser standen.

Sie hatte inzwischen ihren Hut abgenommen, die Handschuhe ausgezogen und sich schließlich auf die Kante eines Sessels ihm gegenüber gesetzt. Dabei hatte sie unentwegt vor sich hin geplappert.

Dankbar lächelnd ergriff sie das von Giddings angebotene Getränk, aber ihre Hände zitterten, weshalb sie einige Tropfen auf ihren Mantel verschüttete.

„Es tut mir leid, dass Sie solchen Beleidigungen ausgesetzt waren“, hörte er sich sagen, während sie ohne viel Erfolg über die Flecken auf ihrer Kleidung rieb. „Allerdings hätten Sie wissen müssen, dass Sie nicht ohne Begleitung zu meinem Haus kommen sollten.“ Paris war weit davon entfernt, die besucherfreundliche Idylle zu bieten, die man ihm angekündigt hatte. Viele Pariser zeigten offen ihre Feindschaft gegenüber den Engländern. Aber auch die Spannungen zwischen den eingefleischten Bonapartisten und den Unterstützern der wieder eingesetzten Bourbonendynastie nahmen zu. Wenn nun die verfeindeten Gruppen in den Tuilerien ihre Streitigkeiten austrugen, war es für Mademoiselle Bergeron alles andere als ratsam, sich allein hinauszuwagen. „Ich werde Sie nach Hause bringen …“

„Oh, nein, noch nicht!“, widersprach sie erschrocken. „Nicht bevor Sie erfahren haben, warum ich gekommen bin!“

„Ich bin ganz Ohr“, antwortete er trocken. „Ich höre Ihnen zu, seit Sie eingetreten sind.“

Heloise leerte ihr Glas und stellte es mit einer eleganten Bewegung auf dem Tischchen ab, das Giddings aufmerksamerweise neben sie gestellt hatte.

„Verzeihen Sie mir. Wenn ich nervös bin, habe ich die Angewohnheit, wie ein Wasserfall zu reden. Ich war schon angespannt, als ich das Haus verließ, und dann hat mich der Vorfall im Jardin des Tuileries völlig eingeschüchtert …“

„Mademoiselle Bergeron!“ Charles schlug gereizt mit der Hand auf die Armlehne. „Würden Sie bitte zur Sache kommen?“

Sie schluckte und errötete. Es war nicht einfach, auf den Punkt zu kommen, wenn man mit einem derart erbosten Mann wie dem Earl of Walton konfrontiert war. Wäre sie nicht furchtbar verzweifelt gewesen, keine zehn Pferde hätten sie hierher gebracht. Unter seinen verächtlichen Blicken verlor sie ihren ganzen Mut. Auch die Tatsache, dass sie nun auf einem Sessel saß und nicht mehr zu seinen Füßen kniete, änderte nicht viel an ihrer Position. Nach wie vor musste sie zu ihm aufblicken, denn der Earl war ein hochgewachsener Mann. Und seiner Feindseligkeit konnte sie nichts als ihre Willensstärke entgegensetzen, denn sie verfügte weder über Schönheit noch über weibliche Raffinesse. Äußerlich kam sie nach ihrer Mutter. Während Felice die edlen Gesichtszüge des Vaters geerbt hatte, litt sie unter der Stupsnase, der geringen Körpergröße und dem leicht dunklen Teint der mütterlichen Linie. Ihr einziger Trumpf war eine unmögliche Idee! Wenn er sie akzeptieren würde, wären sie beide ihre Probleme mit einem Schlag los!

„Eigentlich ist es ganz einfach“, erklärte sie. „Ich denke, Sie sollten mich anstelle von Felice heiraten.“

In Erwartung seiner Antwort legte sie den Kopf zur Seite wie ein Straßenspatz, der um Brotkrümel bettelt. Noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, ergriff sie erneut das Wort.

„Auf den ersten Blick muss es Ihnen natürlich absurd erscheinen. Aber denken Sie nur an die Vorteile!“

„Für wen besitzt das Vorteile?“, fragte er spöttisch. Bisher hatte er die kleine Heloise nicht für eine durchtriebene Person gehalten, die auf Geld aus war. Aber er hatte sie auch noch nie so wortgewandt erlebt. Immer wenn sie für ihn und ihre Schwester die Anstandsdame gespielt hatte, hatte sie sich derartig still verhalten, dass er ihre Gegenwart völlig vergaß. Nur hin und wieder hatte er versucht, sie ein wenig aufzuziehen.

„Nun, für Sie besitzt es natürlich Vorteile! Außer Ihre Verlobung mit Felice ist noch nicht in England angekündigt worden … Natürlich denken viele in Paris, Sie hätten Felice heiraten wollen. Doch denen, die tatsächlich nachfragen, brauchen Sie nur mit Entschiedenheit zu entgegnen ‚Sie irren sich‘, wenn man mich anstelle meiner Schwester an Ihrer Seite sieht!“

„Warum sollte ich das behaupten?“

„Damit niemand merkt, dass sie Ihr Herz gebrochen hat!“ Das aufrichtige Mitgefühl, das aus ihren direkten Worten sprach, berührte etwas in seinem tiefsten Inneren.

„Ich kann mir vorstellen, wie sehr Ihr Stolz unter Felices Verhalten gelitten hat“, fügte sie hinzu und überraschte ihn mit ihrer Beobachtungsgabe. Sogar Conningsby hatte kaum glauben wollen, wie tief seine Gefühle verletzt worden waren, bis er ihm am Vorabend unter dem Einfluss von viel Alkohol die ganze traurige Geschichte erzählt hatte. Doch dieses Mädchen, von dem er nie ernsthaft Notiz genommen hatte, schien in ihm wie in einem offenen Buch zu lesen.

„Niemand wird von Ihren wahren Empfindungen erfahren, denn Sie können sich ausgezeichnet verstellen! Es wird ein Leichtes sein, die Leute davon zu überzeugen, dass meine Familie die Verbindung mit Felice wollte, Sie jedoch nur an mir interessiert waren, zum Beispiel weil ich die Ältere bin … Ihnen fällt bestimmt ein überzeugender Grund ein. Und sollten bereits Gerüchte über eine Mademoiselle Bergeron in London die Runde machen – ich habe Ihnen ja eben bewiesen, wie sehr man sich darin täuschen kann, welche Mademoiselle Bergeron den Raum betritt. Niemand muss erfahren, dass Sie ursprünglich eine andere Mademoiselle Bergeron im Sinn hatten. Wenn Sie mich heiraten, können Sie erhobenen Hauptes durch Paris spazieren und ohne das Gesicht zu verlieren nach Hause zurückkehren!“

„Sie reden Unsinn, baren Unsinn!“ Er sprang vom Sessel hoch und marschierte auf den Serviertisch zu. Bösartiges Gerede hatte er schon einmal überstanden. Er würde es ein weiteres Mal schaffen. „Die Verbindung zu Ihrer Familie ist aufgelöst“, zischte er, griff nach der Karaffe und schleuderte sie missmutig zurück auf die Abstellfläche, als er bemerkte, dass sie nach wie vor leer war. Er würde sich nicht aus Paris vertreiben lassen, nur weil ein paar Klatschbasen sich das Maul über eine gescheiterte Liebesaffäre zerrissen. „Ich sehe keine Notwendigkeit, diese Verbindung wiederherzustellen!“

Er drehte sich um und bemerkte den Ausdruck von Angst in ihrem kleinen Gesicht. Niedergeschlagen ließ sie ihre Schultern hängen. Gerade wollte er seinem Ärger Luft machen, als er sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Doch erneut überraschte sie ihn. Zitternd, aber würdevoll stand sie auf und sagte: „Wenn das so ist, bitte ich Sie, mein Eindringen zu entschuldigen. Ich werde jetzt gehen.“

Sie hatte schon die Tür erreicht und war dabei, ihre Handschuhe wieder anzuziehen, als er plötzlich rief: „Warten Sie!“ Schließlich konnte sie nichts dafür. Sie hatte ihm in der ganzen Zeit, in der er Felice den Hof gemacht hatte, niemals Ärger bereitet. Sie hatte nie geklagt, egal wohin sie sie mitgeschleppt hatten, obwohl er mehrfach bemerkt hatte, wie unwohl ihr dabei zumute gewesen war. Sie hatte sich stets vollkommen zurückgehalten und sich so unsichtbar wie möglich gemacht. Diese Zurückhaltung entspricht vermutlich ihrer wahren Natur, überlegte er. Hierherzukommen und ihm diesen albernen Vorschlag zu unterbreiten, musste sie eine ungeheure Überwindung gekostet haben. Und wahrscheinlich stand nicht nur die Begegnung mit der Nationalgarde hinter ihrer unverkennbaren Furcht. Er besaß kein Recht, seinen Ärger an ihr auszulassen. Außerdem konnte er sie als Gentleman nicht einfach schutzlos auf die Straße hinauslassen.

„Mademoiselle, wie ich bereits sagte, werde ich Sie sicher nach Hause geleiten“, erklärte er steif. „Würden Sie bitte wieder Platz nehmen, bis die Kutsche bereitsteht?“ Er läutete nach Giddings und erteilte ihm den Auftrag.

„Ich danke Ihnen.“ Sie seufzte und lehnte sich gegen die Tür. „Es war alles andere als angenehm auf der Straße. Ich hatte keine Ahnung! Ich glaubte, es wäre leicht, unbeobachtet aus dem Haus zu gelangen, nachdem Mama das Dienstmädchen hinausgeworfen hatte.“ Schuldbewusst schüttelte sie den Kopf. „Erst als ich an der Menschenmenge in den Tuilerien vorbeimusste, wurde mir klar, wie leichtsinnig mein Handeln war …“

Ihre enorme Anspannung weckte Charles’ Neugierde.

„Bitte setzen Sie sich zum Warten hin.“

Sie tat wie geheißen und bemerkte, dass sie ihren Hut auf dem Sitzkissen liegen gelassen hatte. Während sie ihn in die Hände nahm und ihn betrachtete, als habe sie ihn nie zuvor gesehen, fuhr er fort: „Was hat Sie denn dazu gebracht, mich hier aufzusuchen, Mademoiselle? Ich glaube nicht, dass Sie sich solche Sorgen um meinen verletzten Stolz machen oder mein …“ Er hielt inne, um sein gebrochenes Herz nicht beim Namen zu nennen.

Sie lief rot an und nestelte nervös an den Bändern ihres Huts herum. Ihr Unbehagen erregte in ihm einen plötzlichen Verdacht.

„Sie haben sich doch nicht etwa in mich verliebt?“ Die Vorstellung, dass diese unansehnliche junge Frau eine geheime Leidenschaft für ihn hegte, während er vor ihren Augen mit ihrer Schwester geflirtet hatte, war ihm äußerst unangenehm. „Ich hatte keine Ahnung davon! Ich wusste nicht einmal, ob Sie mich überhaupt sympathisch finden!“

Heloise schaute auf, denn es schien ihr, als ob sie erstmals eine Spur von Mitgefühl aus seiner Stimme herausgehört hätte. „Würden Sie mich denn heiraten, wenn ich zugäbe, Sie zu lieben?“, fragte sie schwer atmend und sah ihn hoffnungsvoll an.

Als er ihre Blicke mit frostiger Härte erwiderte, sank sie wieder in sich zusammen, kaute auf ihrer Unterlippe herum und ließ den Kopf hängen.

„Es bringt nichts“, stellte sie seufzend fest. „Ich kann Sie nicht anlügen. Ich bin nicht raffiniert genug, um Sie zu täuschen. Und außerdem“, fuhr sie fort, während Charles wieder in seinem Lieblingssessel neben dem Kamin Platz nahm, „habe ich Sie offen gestanden nicht gemocht, als Sie Felice hofierten und sie Ihre Werbung freudig erwiderte. Felice und meine Mutter haben sich sogar bei mir beklagt, dass ich meine Abneigung gegen Sie nicht gut genug verberge. Aber ich konnte einfach nicht anders.“ Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. „Obwohl es gar nicht um Sie persönlich ging, sondern mehr um die Tatsache selbst, verstehen Sie?“

Er wollte gerade sein Unverständnis zum Ausdruck bringen, als sie hinzufügte: „Doch als ich Sie besser kennenlernte und merkte, wie viel Sie wirklich für Felice empfanden, konnte ich Sie nicht mehr hassen. Ehrlich gesagt, tut es mir sehr leid, weil ich wusste, dass meine Schwester nie ernsthaft an Ihnen interessiert war.“

Als Heloise sein Erstaunen bemerkte, erklärte sie: „Sie ist schon seit Ewigkeiten in Jean-Claude verliebt. Auch nachdem Mama und Papa die Verbindung untersagten, weil er überhaupt kein Geld besitzt, änderte sich daran nichts. Ich habe Sie dafür gehasst, dass Sie alle mit Ihrem Reichtum und Ihrer Eleganz geblendet haben und Felice augenscheinlich dazu brachten, Jean-Claude zu vergessen.“ Ihr Gesicht hellte sich auf. „Aber das entsprach natürlich nicht der Wahrheit. Sie hat Ihre Besuche nur genutzt, um Mama vorzugaukeln, dass sie sich an ihr Verbot hielt. Dadurch gewann Jean-Claude die nötige Zeit, um ihre gemeinsame Flucht vorzubereiten.“ Sie seufzte verträumt. „Mit ihrer wahren Liebe hat sie kein falsches Spiel getrieben.“ Mit einem Mal setzte sie sich gerade hin und blickte ihn empört an. „Aber Ihnen gegenüber ist es sehr grausam gewesen, Mylord. Obwohl Sie Engländer sind, haben Sie das nicht verdient.“

Charles musste plötzlich lachen. „Und jetzt wollen Sie mich heiraten, weil Ihre Schwester mich schlecht behandelt hat und Sie Mitleid mit mir empfinden?“

Erneut schaute sie zu Boden und schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist es nicht. Das ist es nicht allein. Auch wenn ich Ihnen gern einen Gefallen täte. Ich weiß, dass Sie für mich nie dasselbe empfinden werden wie für meine Schwester, doch zumindest bliebe Ihr Stolz gewahrt, und der Verrat würde geheim bleiben. Wenn Sie noch heute handeln und Papa seine Zustimmung gibt, könnten wir am Abend alles öffentlich machen und das Gerede im Keim ersticken.“ Mit leuchtenden Augen blickte sie ihn an. „Zusammen könnten wir den Scherbenhaufen rasch beseitigen, den Felice hinterlassen hat. Bei uns zu Hause herrscht Katastrophenstimmung. Mama hat sich auf ihr Schlafzimmer zurückgezogen, und Papa droht, sich umzubringen, weil er keinen anderen Ausweg mehr sieht.“ Sie wickelte eines der Hutbänder um ihren rechten Zeigefinger und schaute ihn flehentlich an. „Sie müssten lediglich hineinspazieren und erklären ‚Felice ist mir egal. Ich nehme die andere‘, in dieser vollkommen beiläufigen Art, die Sie so gut beherrschen, als ob Ihnen alles gleichgültig wäre. Mein Vater würde vor lauter Dankbarkeit vor Ihnen auf die Knie fallen. Niemand würde dann noch annehmen, dass sie Ihr Herz gebrochen hat!“

„Ich verstehe“, erwiderte er langsam. „Sie wollen Schaden von Ihrer Familie abwenden. Das ist bewundernswert, aber …“

Ihr schuldbewusster Blick ließ ihn innehalten. Erneut schien sie widersprechen zu wollen.

„Also geht es Ihnen doch nicht um die Familienehre?“, hakte er nach.

Verschämt schüttelte sie den Kopf und flüsterte: „Nein, natürlich wäre das auch ein Motiv, aber …“ Sie vergrub die Hände in dem mittlerweile völlig deformierten Hut. „Mein Hauptgrund ist egoistischer Natur. Wenn Sie mich zur Frau nähmen, könnte mein Papa mich nicht mehr mit dem Mann verheiraten, den er für mich ausgesucht hat.“

„Dann ist es mit mir folglich besser auszuhalten als mit diesem anderen?“, erkundigte sich Charles.

„Ja, es ist um vieles besser!“, rief sie. „Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich ihn verabscheue. Wenn Sie zustimmen, verspreche ich, die beste Ehefrau der Welt zu sein! Ich werde Ihnen bestimmt niemals Schwierigkeiten bereiten! Ich könnte irgendwo in einem Landhäuschen leben und Ziegen hüten, und Sie müssten mich gar nicht sehen, wenn Sie es nicht wünschen. Ich werde mich in nichts einmischen und Sie niemals davon abhalten, sich zu vergnügen. Nicht einmal, wenn Sie mich schlügen, würde ich mich beklagen!“, erklärte sie mit Nachdruck, wobei sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten.

„Warum sollte ich Sie denn schlagen?“, wollte Charles wissen.

„Weil ich eine lästige Person bin!“

Nur weil Heloise beinahe weinte, unterdrückte Charles das Lachen.

„Papa äußert das ständig, und Gaspard hat es ebenfalls gesagt.“

„Gaspard?“

„Mein Bruder. Er meinte, jeder Mann, der dumm genug wäre, mich zu heiraten, würde mich früher oder später verprügeln. Aber ich weiß ganz sicher …“, ihre Unterlippe zitterte unheilvoll, „… dass Sie mich nur schlagen würden, wenn ich es wirklich verdiene. Sie sind nicht grausam und auch nicht kaltherzig, egal, was die Leute von Ihnen behaupten. Hinter Ihrer rauen Schale verbirgt sich ein guter Kern. Das weiß ich, weil ich Sie beobachtet habe. Mir boten sich eine Menge Gelegenheiten dazu, da Sie niemals von mir Notiz nahmen, wenn Felice im selben Raum war. Ich habe keine Angst, mit Ihnen fortzugehen. Sie würden eine Frau niemals aus Freude am Schlagen quälen, wie er es tun würde …“

„Also wirklich“, wandte Charles ein, als er sah, wie Tränen ihre erhitzten Wangen hinunterkullerten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Vater Sie zwingen würde, einen derart grausamen Mann zu ehelichen …“

„Ihr Engländer habt keine Ahnung!“ Sie sprang auf. „Ohne zu zögern würde er mich einem solchen Mann opfern, um den Rest der Familie vor Schaden zu bewahren!“ Sie zitterte am ganzen Körper und konnte vor lauter Entrüstung nicht ruhig stehen. Während sie zwischen Sofa und Kamin auf und ab lief, bemerkte sie gar nicht, dass sie auf dem Hut herumtrat, der bei ihrem Aufstehen zu Boden gefallen war. Als sie zum dritten Mal über ihre Kopfbedeckung schritt, musste er daran denken, dass ihre Schwester nie so nachlässig mit ihrer Kleidung umgegangen wäre. Niemals hätte sie ihre Gefühle in dieser Weise offenbart.

„Und er ist nicht nur grausam, sondern auch noch alt!“

„Sie wissen, dass ich auch schon fünfunddreißig Jahre alt bin?“, fragte er.

Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Die hellblauen Augen des Earls funkelten, und in seinem Gesicht war keine Falte zu erkennen. Die elegante Kleidung bedeckte, dessen war Heloise sich sicher, einen muskulösen Körper. Sein hellbraunes Haar war an diesem Morgen nicht gut frisiert, aber es zeigte sich kein einziges graues Haar. „Ich wusste nicht, dass Sie bereits so alt sind“, gab sie freimütig zu.

Wieder einmal musste Charles sich zusammenreißen, um nicht laut über die kleine Person zu lachen, die in seine Höhle eingedrungen war.

„Geben Sie es zu, Sie sind zu jung, um überhaupt jemanden zu heiraten!“

„Ja, das stimmt!“, räumte sie bereitwillig ein. „Aber Felice ist noch jünger, und trotzdem wollten Sie sie zur Frau nehmen. Außerdem werde ich natürlich mit der Zeit reifer. Bis dahin haben Sie sich vielleicht an mich gewöhnt. Sie können mich auch lehren, mich richtig zu verhalten!“, schlug sie vor. „Obwohl ich bezweifle, dass es etwas nutzt.“

Sie ließ sich wieder auf den Sessel ihm gegenüber fallen und stützte die Ellbogen auf den Knien auf. „Ich ahnte schon, dass ich als Ehefrau nicht für Sie infrage komme.“ Traurig blickte sie ihn an. „Dennoch wäre ich mit Ihnen besser dran. Auch wenn Sie so alt sind, wie Sie sagen, sind Sie doch nicht …“ Sie rang um Worte. „Sie stinken nicht so wie er.“

„Vielleicht können Sie Ihren Verehrer überreden, ein Bad zu nehmen“, spottete er.

Verärgert schloss sie die Augen und holte tief Luft. „Oh, es ist leicht für Sie, sich über mich lustig zu machen! Sie denken, ich wäre nur ein dummes kleines Ding. Aber es gibt keinen Grund zu lachen. Immer wenn er mir nahekommt, möchte ich zum nächsten Fenster rennen, um frische Luft zu atmen. Es ist, als ob man in einen Raum käme, der jahrelang nicht gelüftet wurde und in dem etwas verfault ist. Und bevor Sie wieder mit Ihrem Badewitz ankommen, muss ich Ihnen erklären, dass ich den Gestank im tiefsten Inneren meines Herzens rieche!“ Sie schlug sich gegen die Brust. „Er ist in zu viel Blut herumgewatet!“

Egal wie seltsam sie sich benahm, es gab keinen Zweifel daran, dass sie sich von dem Mann, den ihr Vater zu ihrem Gatten auserkoren hatte, zutiefst abgestoßen fühlte. Es war beschämend, dass eine so sensible Person zu einer Heirat gezwungen wurde, die ihr derart zuwider war. Auch wenn er nicht im Entferntesten in Betracht zog, sie zur Frau zu nehmen, empfand er aufrichtiges Mitgefühl. „Demnach handelt es sich um einen Soldaten?“, erkundigte er sich.

„Um einen Helden Frankreichs“, erwiderte sie mit finsterer Miene. „Meine Familie fühlt sich geehrt, weil ein solcher Mann um meine Hand anhält. Mein Vater wundert sich ohnehin, dass jemand sich für eine graue Maus wie mich interessiert. Sie überlegen sicher, wieso ich den Mann so verabscheue.“ Charles nickte, wobei er sich insgeheim wunderte, warum Giddings so lange brauchte, um eine Droschke zu organisieren. Sie fuhr fort: „Er hat Gaspards Regiment in Spanien kommandiert. Mein Bruder hat manchmal über diesen Feldzug gesprochen und darüber, was für unglaubliche Barbareien ihm dort von den Offizieren befohlen wurden!“ Sie erschauderte. „Wie kann ich einen Mann heiraten, der Frauen und Kinder wie Vieh zum Abschlachten getrieben und Untergebene gezwungen hat, dasselbe zu tun. Und wie kommt es, dass Du Mauriac unversehrt und wohlgenährt heimkehrte, während mein Bruder hinter den Linien von Torres Vedras verhungerte?“ Sie ballte die Hände zu Fäusten.

„Du Mauriac?“, fragte Charles nach. „Der Mann, den Sie heiraten sollen, ist Du Mauriac?“

Heloise nickte. „Als Kommandeur von Gaspards Regiment war er oft in unserem Haus zu Gast, als mein Bruder noch lebte. Stets bestand er darauf, dass ich neben ihm Platz nahm und ihn persönlich bediente. Auch nach Gaspards Tod besuchte er uns weiter. Mein Vater meint, ich solle mich geehrt fühlen, von einer so herausragenden Persönlichkeit umworben zu werden, wo ich doch nicht einmal Schönheit besitze. Er merkt nicht, dass sich Du Mauriac nur von meinem Widerwillen angezogen fühlt. Dieser Unmensch genießt es, dass meine Eltern mich zwingen werden, ihn zu heiraten, obwohl ich ihn verabscheue!“

Heloise hielt inne und versuchte, sich zu sammeln. Dann schaute sie dem schweigenden Earl of Walton wieder ins Gesicht. Jede Belustigung und Nachsicht war aus seinem Blick gewichen, der jetzt wieder hart und einschüchternd wirkte. Allerdings kam es ihr vor, als ob sich seine Wut nun nicht mehr gegen sie richtete. Es schien ihr, als ob sie für ihn gar nicht mehr anwesend wäre.

„Gehen Sie nach Hause, Mademoiselle!“, forderte er sie barsch auf, erhob sich und zog am Strang der Glocke. „Das Gespräch ist beendet.“

Diesmal schien es endgültig. Mutlos taumelte Heloise zur Tür. Sie hatte sich und ihre Gefühle preisgegeben. Sie hatte alles versucht, um den Earl of Walton mit ihrer Ehrlichkeit zu überzeugen. Nichtsdestotrotz hatte sie verloren.

2. KAPITEL

Charles erschrak, als Conningsby über die Fensterbank kletterte, nachdem Heloise den Raum verlassen hatte.

„Wenn ich doch nur gewusst hätte, dass dieser Raum oberhalb der Straße liegt und ich gezwungen sein würde, das ganze Gespräch abzuwarten, anstatt wie geplant durch den Garten zu entfliehen …“

„Und sicher haben die Vorhänge Sie nicht daran gehindert, jedes Wort zu verstehen, oder?“ Charles seufzte. „Ich nehme an, Sie wissen die Vertraulichkeit dieser Unterredung richtig einzuschätzen?“

„Ich arbeite im diplomatischen Dienst!“, brachte Conningsby dem Earl in Erinnerung. „Außerdem würde kein halbwegs vernünftiger Mann ein einziges Wort dieses absurden Vorschlags wiederholen!“

Obwohl Charles das Anliegen von Heloise selbst als abwegig empfand, sträubte er sich dagegen, dass ein Außenstehender darüber in dieser Weise urteilte. „Ich denke, es war ausgesprochen mutig von ihr, hierherzukommen, um ihrer Familie zu helfen.“

„Natürlich, Mylord, wenn Sie meinen“, stimmte Conningsby zögerlich zu.

„Außerdem dulde ich nicht, dass jemand meine Verlobte verunglimpft“, fügte der Earl mit Entschiedenheit hinzu.

„Sie werden doch nicht ernsthaft auf diesen skandalösen Vorschlag eingehen?“, fragte Conningsby und schnappte nach Luft.

Charles betrachtete eingängig seine Fingerkuppen.

„Sie werden wohl kaum bestreiten, dass diese Lösung eine Menge Vorteile besitzt.“

„Nun“, erwiderte Conningsby, der abgeneigt war, sich mit einem Mann von Lord Waltons Rang anzulegen, „die Kleine ist zweifellos bezaubernd und ziemlich amüsant. Überdies besitzt sie ein außerordentliches Schauspieltalent, sodass es mir selbst fast die Sprache verschlug. Ich musste mir die Hand auf den Mund pressen, um nicht laut loszulachen, als sie sich bemühte, Ihre Sprechweise zu imitieren!“

Der Earl starrte ihn an. Bezaubernd? Bis zu diesem Morgen hatte er sie kaum wahrgenommen. Wie ein winziger Zaunkönig hatte sie sich stets im Hintergrund gehalten. Und selbst dann, wenn er sie eines Blickes gewürdigt hatte, gab es wenig Bemerkenswertes. Sie hatte eine Stupsnase und schmale Lippen sowie ein etwas spitzes Kinn. Ihr Haar war schwarz, und es gab keine einzige Locke, die Aufmerksamkeit erregte. Ihre Augen allerdings …

Zuvor hatte sie stets zu Boden geschaut, wenn er in ihre Richtung geblickt hatte. Doch heute hatte er ein enormes Temperament in ihren Pupillen aufblitzen sehen.

„Was sie ist oder nicht ist, ist völlig unerheblich“, erklärte er kühl. „Sie zur Frau zu nehmen scheint mir eine geeignete Kampfansage an Du Mauriac.“

Conningsby lächelte beunruhigt. „Sind Sie sicher, dass Sie in der Lage sind, eine Frau zu heiraten, nur damit ein anderer sie nicht bekommt?“

„Sie erwartet keine besondere Zuneigung. Sie würde sogar Schläge über sich ergehen lassen, wie Sie bestimmt vernommen haben. Sie will sich lediglich aus ihrer misslichen Lage befreien. Meinen Sie nicht, dass ich ihr dabei entgegenkommen sollte?“

„Nun, ich …“ Conningsby fuhr sich mit den Fingern unter den Halskragen.

„Mal ganz ehrlich, ich kann doch nicht einfach zusehen, wie ihr Vater sie mit diesem Schlächter verheiratet, oder? Dieses Schicksal hat sie gewiss nicht verdient.“

Nein, bestimmt nicht, dachte Conningsby, aber einen Mann zu heiraten, der nur danach trachtet, Rache an ihrem Verehrer zu üben, und überhaupt nichts für sie empfindet, ist auf längere Sicht keine viel bessere Lösung.

Heloise nahm den Kohlestift und beugte den Kopf über ihren Zeichenblock. Sie versuchte, sich ganz auf ihre Tätigkeit zu konzentrieren, damit das Gejammer ihrer Mutter in den Hintergrund trat. Sie hatte nichts erreicht. Sie hatte sich umsonst auf die Straße gewagt, die Beleidigungen der Soldaten und den Spott des Earls ertragen. Wie habe ich nur hoffen können, ihn zu überzeugen? Wütend machte sie einige Striche über die ganze Seite. Sie hatte auf eine Spur Mitgefühl gehofft und war stattdessen auf Verachtung gestoßen. Das Beste an meinem morgendlichen Ausflug ist, dass niemand im Haus davon Notiz genommen hat, überlegte sie und zeichnete mit einiger Befriedigung eine wenig schmeichelhafte Karikatur des Earl of Walton in Gestalt eines Tigerkaters, der die Zähne fletschte. Sie hätte es nicht ertragen, wenn jemand erfahren hätte, wo sie gewesen war. Es war schon schlimm genug, dass ihre Mutter ihr die Schuld an Felices Flucht gegeben hatte – als ob sie je den geringsten Einfluss auf ihre eigensinnige und verhätschelte jüngere Schwester gehabt hätte!

Mit ein paar Strichen fügte Heloise eine verängstigte kleine Maus hinzu, die auf das Maul des Katers starrte. Es war töricht von mir, diesen Mann aufzusuchen und mich so vor ihm zu erniedrigen!

Jemand betätigte den Klopfer an der Haustür.

Madame Bergeron putzte sich die Nase, bevor sie in leidendem Tonfall rief: „Wir empfangen heute keine Besucher. Sie kommen alle nur, um sich über uns lustig zu machen …“

Heloise stand auf, um die Order an den Diener weiterzuleiten. Da ihr Stuhl sich am Fenster befand, wo es am meisten Licht zum Zeichnen gab, hatte sie einen guten Blick auf die Eingangstreppe.

„Es ist der Earl!“, japste sie, und die Zeichenkohle glitt ihr aus den zitternden Fingern.

„Das ist unmöglich!“ Ihr bis dahin regloser Vater sprang vom Sessel auf. „Was kann er jetzt noch von uns wollen?“, murmelte er beunruhigt und linste durch das Fenster. „Ich hätte wissen müssen, dass ein Mann seines Standes eine solche Kränkung nicht einfach auf sich sitzen lässt. Er wird uns wegen Wortbruchs verklagen“, prophezeite er, während Heloise ihren Kohlestift aufhob. „Ich werde mich erschießen. Das wir ihm als Satisfaktion genügen!“, verkündete er. Sie nahm wieder Platz und vertiefte sich erneut in die Zeichnung, denn sie wollte die Hoffnung verbergen, die sich zaghaft in ihrem Mienenspiel zeigte.

„Nein!“, jammerte ihre Mutter aus der Sofaecke. „Du darfst mich jetzt nicht verlassen! Wie kannst du mir so etwas antun, nach allem, was wir gemeinsam durchgestanden haben?“

Zerknirscht fiel Monsieur Bergeron vor seiner Frau auf die Knie, ergriff ihre rechte Hand und übersäte sie mit Küssen. „Verzeih mir, meine Teure.“

Heloise bewunderte ihre Eltern für ihre gegenseitige Hingabe, aber manchmal wäre ihr etwas weniger Theatralität lieber gewesen.

„Du weißt, dass ich dich immer verehren werde, mein Engel.“ Er gab ihr noch ein Dutzend Handküsse, bevor er sie leidenschaftlich an seine Brust zog. „Du bist viel zu gut für mich.“

Gerade daran hegte Heloise Zweifel. Zwar hatte die Mutter weit unter den Standeserwartungen ihrer Familie geheiratet, denn sie war eine Tochter des Großgrundbesitzers, der Vater jedoch ein unbedeutender Beamter. Demnach war es vielleicht verwerflich von ihrem Vater gewesen, eine Adlige dazu zu bringen, mit ihm durchzubrennen. Andererseits hatte gerade dies sich als das Vernünftigste herausgestellt, was ihre Mutter je getan hatte. Die Heirat hatte sie vor dem Schicksal bewahrt, das viele Frauen ihres Standes während der Revolution zu erleiden hatten.