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Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld E-Book

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Beschreibung

Das Übersetzen aus dem Lateinischen ist wichtigster Lehr- und Prüfungsgegenstand, und zwar überall dort, wo diese Sprache vermittelt wird. Auch kommt dem Übersetzen aus dem Lateinischen in der Wissenschaft eine immer größere Bedeutung zu: Überhaupt kann nur bei wenigen die Fähigkeit vorausgesetzt werden, das Lateinische flüssig zu lesen. Und vor allem lateinische Quellentexte aus Antike, Mittelalter und Neuzeit werden überwiegend in übersetzter Form rezipiert. Trotz dieser enormen und immer weiter wachsenden Bedeutung der Übersetzung aus dem Lateinischen fehlen moderne translationswissenschaftliche Ansätze für diese Sprache. Der vorliegende Sammelband versucht, dieses Terrain aus unterschiedlichen Richtungen zu erschließen: Zunächst werden translationswissenschaftliche Grundsatzfragen gestellt, dann folgen exemplarische sprach- und literaturwissenschaftliche Annäherungen zu Einzelfragen und didaktische Überlegungen, am Ende stehen übersetzungspraktische Erwägungen über Prosa- und Dichtungstexte sowie zweisprachige Ausgaben.

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Stefan Freund / Nina Mindt

Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld

Aufgaben, Fragen, Konzepte

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Umschlagabbildung: Fotografie des Ponte d’Augusto, Narni © 2018, Gerhard Menzel

 

Prof. Dr. Stefan Freund

Bergische Universität Wuppertal

Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften

Klassische Philologie

Gaußstr. 20

D-42119 Wuppertal

https://orcid.org/0000-0002-2335-4368

 

PD Dr. Nina Mindt

Humboldt-Universität zu Berlin

Philosophische Fakultät II

Institut für Klassische Philologie

Unter den Linden 6

D-10099 Berlin

https://orcid.org/000-0002-9765-6908

 

DOI: https://doi.org/10.2357/9783823392873

 

© 2020 · Stefan Freund / Nina Mindt

Das Werk ist eine Open Access-Publikation. Es wird unter der Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen | CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, solange Sie die/den ursprünglichen Autor/innen und die Quelle ordentlich nennen, einen Link zur Creative Commons-Lizenz anfügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Werk enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der am Material vermerkten Legende nichts anderes ergibt. In diesen Fällen ist für die oben genannten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.

 

ISBN 978-3-8233-8287-4 (Print)

ISBN 978-3-8233-0211-7 (ePub)

Inhalt

Vorwort

Das vorliegende Buch geht im Wesentlichen auf den Workshop „Übersetzen aus dem Lateinischen. Fragen, Aufgaben, Konzepte“ zurück, der am 29. Juni 2018 an der Bergischen Universität Wuppertal stattfand. Den Impuls für die Veranstaltung und ihre Publikation gab die Fach-Arbeitsgruppe Latein für das Praxissemester. Denn dort stellte sich in den Gesprächen zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus Schule und Universität insbesondere ein fachliches Desiderat für die Lehrerbildung heraus, nämlich wissenschaftlich fundiert über das Übersetzen zu reflektieren. Diesem Punkt entspricht eine Leerstelle in der Forschung: Es gibt keine Translatologie in der Klassischen Philologie, allein die Fachdidaktik diskutiert Methodik und geeignete Formen unterrichtlichen Übersetzens. Hier setzen der Workshop und die daraus hervorgegangene Publikation an. Im vorliegenden Buch sollen Sondierungen aus unterschiedlichen Richtungen das Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld erschließen, nämlich ausgehend von der Translationswissenschaft, von der Sprach- und Literaturwissenschaft, von der Didaktik, des schulisch- und lehrbildungspraktischen Kontextes sowie von der Übersetzungspraxis.

 

Am Anfang des Buches steht eine thematische Einleitung von Nina Mindt: „Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld – auf dem Weg zu einer lateinischen Translatologie?“. Dieser einführende Beitrag stellt die Notwendigkeit heraus, das Forschungsfeld ‚Übersetzen aus dem Lateinischen‘ zu etablieren und dabei möglichst viele an diesem Vorgang beteiligte Teildisziplinen und Perspektiven zu berücksichtigen. Der aktuelle Forschungsstand wird skizziert, der aufzeigt, auf welchen Gebieten die größten Desiderate vorliegen und welche Wege einzuschlagen wären, um eine lateinische Translatologie zu erstellen.

 

Den ersten thematischen Block bilden die translationswissenschaftlichen Perspektiven. Hier nähert sich zunächst wiederum Nina Mindt unter dem Titel „Translation (history) studies: ‚Übersetzungstheoriegeschichte‘ und Übersetzungsforschung aus latinistischer Perspektive. Standortbestimmung und Konsequenzen“ dem Thema aus diachroner Perspektive an. Der Beitrag gibt einerseits einen Überblick über Reflexionen, die im Kontext des Übersetzens antiker Texte entstanden sind (von Schleiermacher, Humboldt, Wilamowitz-Moellendorff, Schadewaldt und Fuhrmann), und bietet so einen Einblick in die disziplinäre Übersetzungstheoriegeschichte. Er zeigt andererseits Ansätze und Ergebnisse auf, die aus historisch-deskriptiven Untersuchungen zum Übersetzen aus dem Lateinischen gewonnen werden können. Darauf folgt eine grundsätzliche Positionsbestimmung von Carsten Sinner („Ein translatologischer Blick auf die Übersetzung aus dem Lateinischen und die theoretische Auseinandersetzung mit der Übersetzung aus dem Lateinischen“). Der Translatologe versucht eine Systematisierung der Auseinandersetzungen mit der Übersetzung aus dem Lateinischen aus translatologischer Perspektive. Im Mittelpunkt stehen die Analyse der im Zusammenhang mit der Übersetzung aus dem Lateinischen untersuchten Aspekte, die Identifizierung der vorherrschenden Erkenntnisinteressen bei der Auseinandersetzung mit Übersetzungen aus dem Lateinischen, die Analyse der Frage, warum in der Auseinandersetzung manche Strömungen der modernen Translatologie nicht oder nur ausnahmsweise aufgegriffen wurden, sowie die Frage nach dem Verständnis von Übersetzung. Betrachtet wird in diesem Zusammenhang auch, warum bislang der Übersetzung ins Lateinische praktisch keine Aufmerksamkeit zugekommen ist. Ein solcher außerdisziplinäre Blick auf den Umgang mit dem Übersetzen innerhalb der Latinistik macht deutlich, in welche Richtungen zukünftig vertiefter gearbeitet werden sollte.

 

Danach folgen die Beiträge aus der Klassischen Philologie selbst: In einem zweiten Block sind sprach- und literaturwissenschaftliche Perspektiven zusammengestellt. Beide umfassend führt Alexander Arweiler in seinem eigens für die Publikationsfassung erstellten Beitrag „Übersetzungspraxis und Beschreibungssprache – Über das Ende der Wörtlichkeit und den Anfang der Reflexion im Hilfsbüchlein des 19. Jahrhunderts“ metasprachliche, philologiehistorische und sprachsystematische Aspekte zusammen: Die Untersuchung der bestehenden Beschreibungssprache, also derjenigen Ausdrücke, Bezeichnungen und Wortfelder, die verwendet werden, um über einen jeweiligen Gegenstand, in diesem Fall das Übersetzen aus dem Lateinischen, seine Regeln und Ziele, zu sprechen, zeigt ein Defizit der Lateinischen Philologie auf diesem Gebiet. Am Gebrauch der Bezeichnungen „hier“, „eigentlich“, „wörtlich“, „textnah“ und der Opposition „frei“ versus „treu“ (mit ihren Äquivalenten) ergibt sich, dass die meisten Aussagen, die mit diesen und vergleichbaren Bezeichnungen hantieren, zu wenig differenziert und zu unklar sind, um zur Formulierung sinnvoller Sätze über das Übersetzen zu führen. Im Gegenteil: Gerade dann, wenn Übersetzungen aus dem Lateinischen als „wörtlich“, „textnah“ und „treu gegenüber dem Original“ bezeichnet werden, sind sie nicht selten am weitesten von eben diesem Original entfernt. Übersetzen aus dem Lateinischen ist, so Arweiler, nicht weniger aporetisch als das Übersetzen aus anderen Sprachen. Verstöße gegen die Syntax der Zielsprache, gegen deren Idiomatik oder Konstruktionsweisen sind weder notwendig noch ein geeignetes Mittel, den ‚Geist‘ oder ‚das Fremde‘ eines lateinischen Textes erfahrbar zu machen. Um das Forschungsfeld auf dem Weg der Revision der Beschreibungssprache und einer intensiveren Beachtung der Fachgeschichte weiter zu umreißen, zeigt er, welches Potential das bereits vorhandene Instrumentarium besitzt, beginnend mit wertvollen Beobachtungen aus dem 19. Jahrhundert, und wie das von ihm vorgeschlagene dreigliedrige Modell der Relationen zwischen beteiligten Sprachen und Aussage des Originaltextes sich als hilfreich erweisen könnte.

Roland Hoffmann stellt seinen Beitrag unter die Überschrift „Der Vorgang des Übersetzens aus dem Lateinischen aus der Perspektive heutiger linguistischer Theorien“: Übersetzen gehört, so Hoffmann, zum unverzichtbaren Alltagsgeschäft der Latinistik hinzu, wird jedoch kaum reflektiert. Da der Übersetzungsvorgang zwei unterschiedliche Sprachsysteme betrifft, liegt es nahe, auch die Linguistik in eine Wissenschaft der Übersetzung miteinzubeziehen, wie dies in der Frühphase der Übersetzungswissenschaft, etwa in J.C. Catfords Buch von 1965, nachdrücklich geschah. Die großen systemlinguistischen Entwürfe zur Syntax eines Noam Chomsky oder Simon C. Dik und die Forschung in der heutigen syntaktischen Sprachtypologie zeigen aber wenig Interesse an der Übersetzung und scheinen deren Theorie und Praxis der kontrastiven und der Textlinguistik zu überlassen. Dennoch kann die heutige Linguistik als Solo- oder Begleitinstrument im vielstimmigen Orchester der Translationswissenschaft einen nicht unwesentlichen Part spielen. Dies wird an drei zentralen linguistischen Bereichen aufgezeigt: in der Syntax an den sogenannten ab urbe condita-Konstruktionen, in der Semantik an den evaluativen Satzadverbialien und der Ambivalenz unterschiedlicher Kasusrollen, in der Pragmatik schließlich an der Verwendung von Konjunktionen als Diskurspartikeln und an der Fokus-markierten lateinischen Wortstellung. Die Linguistik ist und bleibt so eine wichtige Bezugswissenschaft, in der optimale Übersetzungen im syntaktischen, semantischen und pragmatischen Bereich zu finden, zu begründen und gegenüber anderen Lösungen zu bewerten sind.

Ebenfalls sprachwissenschaftlich orientiert sind die Überlegungen von Bianca Liebermann („Schnittstellen zwischen Systemlinguistik und Translatologie – Problemorientierte Beispielanalyse“): Die Einteilung der Grammatik nach Subsystemen (Verbalsystem, Präpositionalsystem, Pronominalsystem etc.) und die funktionale Abgrenzung der einzelnen Elemente untereinander bergen in sich die Möglichkeit, semantische Konzepte einzelner Morpheme klarer zu erkennen (z.B. Perfektmorphem vs. Imperfektmorphem, ad vs. apud, (ali)quis vs. unus etc.). Durch Oppositionsbildung innerhalb eines Sprachsystems wird die verbreitete Methode, ein Morphem in der Ausgangssprache in Opposition zu einem Morphem in der Zielsprache zu setzen und es so zu definieren, relativiert. Denn diese Methode ist als alleinige Methode unbefriedigend, da die Differenzqualität der Morpheme häufig diffus bleibt. Die Unklarheit der gedanklichen Konzepte, die mit einem Morphem verknüpft sind, und der daraus resultierende Mangel an Präzision machen eine Übersetzung nicht selten zu einem inkohärenten Text. Liebermann zeigt auf, dass durch den geschärften Blick auf solche linguistischen Phänomene die Genauigkeit und die Richtigkeit der Übersetzung profitieren.

Eine literaturwissenschaftliche Annäherung bietet Bardo Gauly unter dem Titel „Interkultureller Transfer? Zur Übersetzung spätantiker Texte“: Die Übersetzung spätantiker Texte ist mit spezifischen Problemen verbunden, etwa dem nicht immer rekonstruierbaren Kommunikationszusammenhang, in dem die Texte stehen (Briefcorpora, Schulunterricht, Intertextualität), der mitunter bis zur Dunkelheit schwierigen Sprache oder den Komplikationen, die sich ergeben, wenn die übersetzten Texte selbst Übersetzungen sind. Zu diesen den Ausgangstexten immanenten Problemen kommt die allenfalls bedingte Vertrautheit des modernen Lesers mit der ihm weitgehend fremden Kultur der Spätantike. Wie weit können durch die Übersetzung zugleich Informationen über die Voraussetzungen des übersetzten Textes vermittelt werden? Muss sich die Übersetzung auf den Anspruch beschränken, den Leser über die Inhalte der Texte, d.h. die Kultur der Zeit, in Kenntnis zu setzen oder lässt sich etwas von der ästhetischen Gestalt des Ausgangstextes bewahren? Der Beitrag diskutiert solche Probleme aus der Praxis des Herausgebers einer Sammlung von Übersetzungen, der zum einen Übersetzern präskriptiv Übersetzungsmodelle oder -verfahren an die Hand geben will, zum anderen eingereichte Übersetzungen zu bewerten und zu redigieren hat.

Mit der christlichen Latinität setzt sich Stefan Freund in seinem Beitrag „Ist Noahs Arche eine Kiste? Zu den Herausforderungen bei der Übersetzung christlicher lateinischer Texte“ auseinander: Einen ersten Problemkreis stellt die Terminologie dar. Zwar gibt es Fälle, in denen sich Äquivalente finden lassen, die einen ähnlichen Grad an christlicher Denotation aufweisen (z.B. resurrectio und Auferstehung), in anderen Fällen muss sich, wer übersetzt, für einen christlichen Begriff (Bibel, Sakrament, Bischof, Arche) entscheiden, obwohl das Lateinische (divinae litterae, sacramentum, antistes, arca) weniger eindeutig terminologisch ist und ein nicht-christliches Verständnis (göttliche Schriften, Geheimnis oder Treueeid, Kultvorsteher, Kiste) offenlässt. Eine zweite Herausforderung für eine Übersetzung besteht in der Präsenz der Bibel: Zitate lateinischer Bibelübersetzungen stellen aufgrund deren oft unidiomatischer Wiedergabeweise einen für ein antikes Publikum spürbaren Bruch dar, der beim Übersetzen ins Deutsche höchstens punktuell durch bewusste Anstöße nachgeahmt werden kann. Auch ergeben sich durch Rekurse auf Bibeltexte, die der christliche Leser bemerkt, die dem paganen Leser aber auch ohne Erkennen der Vorlage verständlich erscheinen, Stellen mit doppelter Lesbarkeit, die ebenfalls in einer Übersetzung schwierig herstellbar sind. Die Folgerung daraus muss die klare Unterscheidung zwischen dokumentarischen Übersetzungen zur Erschließung des Originaltextes mit seinen Facetten und makrotextuell verstehbaren, in Bezug auf den Inhalt wirkungsäquivalenten Leseübersetzungen sein.

 

Der dritte Block nimmt die didaktische Perspektive ein, wobei universitäre Fachdidaktik sowie schul- und lehrerbildungspraktische Perspektiven berücksichtigt werden. Peter Kuhlmann fasst in seinem Beitrag „Is’ doch Latein – das klingt eben komisch: Übersetzung aus dem Lateinischen als sprachwissenschaftliches, literaturwissenschaftliches und didaktisches Aufgabenfeld“ mehrere Perspektiven zusammen: In der Klassischen Philologie hat man sich seit dem Beginn des 19. Jahrhundert vielfach theoretisch mit der Frage des Übersetzens beschäftigt. Dabei spielte besonders die Opposition zwischen zwei Übersetzungsgrundsätzen eine zentrale Rolle: Es gab Forderungen nach einem (eher „wörtlichen“) Übersetzen, das den Rezipienten in das antike Denken versetzen sollte; umgesetzt ist dieses Prinzip etwa in Schleiermachers Platon- oder Schadewaldts Ilias-Übersetzung. Daneben gab und gibt es das Prinzip eines (eher „freien“) Übersetzens, das die Antike in die Gegenwart überträgt und den Rezipienten den Übersetzungscharakter eines Textes vergessen lässt. Später wurden die Übersetzungsprinzipien nach den Grundsätzen der Skopos- und Äquivalenztheorie ausdifferenziert, die in der Klassischen Philologie nur wenig rezipiert wurde, aber neuerdings in den Schulcurricula und der Fachdidaktik eine gewisse Rolle zu spielen beginnt. Der Beitrag stellt Beispiele für die curriculare Umsetzung sowie die praktischen Möglichkeiten und Grenzen einer Anwendung moderner Übersetzungstheorien in den Bereichen Universität und Schule vor.

Monika Vogel („Übersetzungen im digitalen Austausch – das Internet als Übersetzungsplattform und Reflexionsanlass für den Lateinunterricht“) betrachtet die Rolle des Internets, das aus der heutigen Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler nicht mehr wegzudenken ist. Dies betrifft auch die Bewältigung schulischer Aufgaben wie das Anfertigen einer Übersetzung für den Lateinunterricht. So wird auf der Suche nach der vermeintlichen Lösung einer Übersetzung vielfach das World Wide Web bemüht. Hier lassen sich zwei Bereiche unterscheiden: zum einen vollständige Übersetzungen eines Textes, die auf verschiedenen Plattformen gesammelt und übersetzungsgeplagten Schülerinnen und Schülern bereitgestellt werden, zum anderen Foren, in denen gezielt Übersetzungen erfragt, Übersetzungsversuche präsentiert und diskutiert werden. Gerade diese Plattformen verdienen eine genauere Analyse, die Aufschluss über die Belange der Schülerinnen und Schüler sowie die von ihnen wahrgenommenen Anforderungen an eine Übersetzung geben kann. Im vorliegenden Beitrag werden auf der Grundlage einer Durchsicht verschiedener Internetforen ausgewählte Diskussionsbeiträge exemplarisch analysiert: einerseits im Hinblick auf dort auftretende Probleme aus Sicht der Lateinlernenden und den „Experten“ der Foren, andererseits im Hinblick auf Reflexionsanlässe, die aus didaktischer Perspektive interessant sind. Aus neuen Erkenntnissen, die sich hieraus ergeben, lassen sich Konsequenzen für die Unterrichtspraxis ableiten.

Die Beiträge von Jens Heße und Ulf Hamacher basieren auf ihrem gemeinsamen Vortrag „Non verbum de verbo, sed sensum exprimere de sensu – Übersetzen in Schule und Lehrerausbildung“: Das Übersetzen ist ein Proprium des Lateinunterrichts und trägt damit auch zur Legitimation des Lateinischen im Fächerkanon der Schulen bei. Daher sollte in Schule wie Lehrerausbildung auch darüber reflektiert werden, und zwar mit einem Rückgriff auf die Antike selbst. Jens Heße stellt in seinem Teil („Leid und Lust des Übersetzens“) Texte griechischer und römischer Autoren vor, die Schülerinnen und Schülern sowie Referendarinnen und Referendaren Theorie, Probleme und Freuden des Übersetzens nahebringen können. Einige grundlegende fachdidaktische Überlegungen zum Übersetzungsprozess, Gütekriterien schulischen Übersetzens und zum Übersetzungsvertrag schließen sich an. Im zweiten, von Ulf Hamacher verfassten Teil werden vielfältige, sich teils widersprechende Thesen zum Thema „Übersetzung“ auf der Folie von Übersetzungsvarianten kritisch geprüft. Im Fokus stehen Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzertätigkeit in der Schule – auch mit Blick auf den emotional aufgeladenen und divergenten Umgang mit überkommenen und aktuell diskutierten Parametern zur Bewertung von schulischen Übersetzungsleistungen.

 

Der vierte Block schließlich ist der Perspektive aus der Übersetzungspraxis gewidmet. Kai Brodersen fasst seine Erfahrungen zusammen unter der Überschrift „Glasschrank und Nähkästchen: Übersetzungen aus dem Lateinischen auf dem deutschen Buchmarkt“: Der Beitrag reflektiert den Status und die Bedeutung von Übersetzungen innerhalb der Fachwissenschaft und auf dem deutschen Buchmarkt. Er schließt mit einem Appell, dem sich durchaus auch in der Nachfrage im Buchhandel manifestierenden Interesse an lateinischen (Fach-)Texten außerhalb der Altertumswissenschaft nachzukommen, also zu übersetzen.

Niklas Holzberg stellt ein Problem bei der Übersetzung antiker Dichtung in den Mittelpunkt: „Schwiegersohn statt Eidam. Metrisches Übersetzen lateinischer Texte zwischen Voß und heutigem Deutsch“. Der Beitrag versucht, Vor- und Nachteile des heute immer weniger praktizierten metrischen Übersetzens aufzuzeigen, und nimmt dabei auf praktische Erfahrungen des Autors Bezug. Ovids erotische Dichtung in elegischen Distichen ist wegen der Thematik für deutsche Verse eher ungeeignet, und das gilt erst recht für die zum Teil sehr obszönen Epigramme Martials. Denn Sexuelles kann in gebundener Sprache mit ihrer begrenzten Silbenzahl unfreiwillig komisch wirken. Besser geeignet sind dagegen Hexameterdichtungen, vor allem narrative wie Vergils Aeneis und Ovids Metamorphosen; vorausgesetzt werden muss freilich, dass die in Voß’scher Tradition stehende Lexik und Syntax, die sich noch in jüngsten Verdeutschungen findet, unbedingt gemieden werden sollte; eine systematische Übersicht anhand von Textbeispielen zeigt, wie heute nahezu unverständliche bzw. lächerlich wirkende Formulierungen älterer Versübersetzungen durch solche in modernem Deutsch ersetzt werden können. Am Ende der Untersuchung stehen die jambischen Verse des Fabeldichters Phaedrus, die, weil das Deutsche ja auch zum Teil „jambisch“ betont, durchaus geeignet für die metrische Wiedergabe sind. Insgesamt gilt, dass im 21. Jahrhundert, in dem die allgemeine Kenntnis klassischer Metrik auch deutscher Poesie mehr und mehr zurückgeht, Versübersetzungen wenigstens einen gewissen Eindruck vom Original vermitteln können.

 

Die verschiedenen Perspektiven, die auf das Übersetzen aus dem Lateinischen eingenommen werden, führen, so wird deutlich, auch zu unterschiedlichen Gewichtungen der einzelnen zum Übersetzungskomplex gehörenden Problematiken. Da ein Dialog bislang noch viel zu selten unternommen wurde, vermag auch diese Publikation kein geschlossenes Konzept vorzulegen. Sie möge aber gerade dadurch als Anstoß dazu dienen.

 

Wenn nun das Buch fertig vorliegt und, wie wir hoffen, ein neues Forschungsfeld grob kartiert, so haben die Herausgeber vielen zu danken, ohne die das Buch nicht zustande gekommen wäre: Das sind zunächst die Mitglieder der Fach-Arbeitsgruppe Latein für das Praxissemester an der Bergischen Universität Wuppertal (Dr. Ulf Hamacher, Jens Heße, Leoni Janssen, Bernhard Liesen, Bettina Schameitat und Jun.-Prof. Dr. Monika Vogel), von denen der Impuls für den Workshop ausging. Sodann ließen sich alle Eingeladenen als Referentinnen und Referenten und als Beiträgerinnen und Beiträger bereitwillig auf das ungewöhnliche Thema ein. Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Universität und Schule – stellvertretend genannt sei Herr Dr. Thomas Doepner von der Bezirksregierung Düsseldorf, dem auch für ein ermunterndes Grußwort zu danken ist – unterstrichen durch ihr erfreulich zahlreiches Kommen die Bedeutung des Themas für die Lehrerbildung und ließen durch ihre engagierten Diskussionsbeiträge viele Dinge klarer werden. Herr Ralf Wamser und zahlreiche studentische Hilfskräfte sorgten für eine reibungslose Durchführung der Tagung, Frau Dr. Peggy Leiverkus für eine ansprechende und zügige Publikationsfassung. Das Projekt „Kohärenz in der Lehrerbildung“ (KoLBi) der Bergischen Universität Wuppertal, das im Rahmen der gemeinsamen Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird (Förderkennzeichen: 01JA1507), ermöglichte durch seine finanzielle Unterstützung den Workshop und die vorliegende Veröffentlichung.

 

Wuppertal und Berlin, im März 2020 die Herausgeber

Einleitung

Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld – auf dem Weg zu einer lateinischen Translatologie?

1Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld. Aufgaben, Fragen, Konzepte

Der von Stefan Freund und der Facharbeitsgruppe Latein der Bergischen Universität Wuppertal initiierte, konzipierte und organisierte Workshop „Übersetzen aus dem Lateinischen als Forschungsfeld. Aufgaben, Fragen, Konzepte“ im Juni 2018 hat erstmals Fragen, Aufgaben und Konzepte dieses Forschungsfeldes skizziert. Zu diesem Zweck kamen Vertreterinnen und Vertreter der Übersetzungsforschung und Translationswissenschaft, der Übersetzungspraxis, der lateinischen Sprachwissenschaft, der lateinischen Literaturwissenschaft und der lateinischen Fachdidaktik zusammen. Es wurden die Grundprobleme einer lateinischen Translationswissenschaft ausgeleuchtet und Richtungen für weitere Forschungsbewegungen in diesem Bereich ermittelt. Es sind einerseits interessante Ansatzpunkte deutlich geworden, gleichzeitig wurde andererseits umso klarer, wie viel auf diesem Gebiet noch zu tun ist, damit der Vorgang des Übersetzens lateinischer Texte aus einer – nach translatologischen Maßgaben – noch „vorwissenschaftlichen“ Behandlung gehoben wird.

2Zur Bedeutung des Übersetzens und zur Notwendigkeit einer lateinischen Translatologie

Das Übersetzen, verstanden als konkretes interlinguales Übersetzen zwischen zwei Sprachen,1 zwischen Latein und Deutsch, ist zum einen wichtigster Lehr- und Prüfungsgegenstand überall dort, wo diese Sprache vermittelt wird, vom schulischen Anfangsunterricht bis zur universitären Abschlussprüfung. Der Übersetzungsprozess ist eine für das Fach Latein zentrale Arbeitsform und die Übersetzung eine zentrale Prüfungsleistung. Die Prozeduren zu reflektieren, die während des Übersetzens ablaufen und die zu einer Übersetzung führen, ist von didaktischer, auch hochschuldidaktischer Relevanz.

Zum anderen kommt dem Übersetzen aus dem Lateinischen in der Wissenschaft eine immer größere Bedeutung zu: Nicht mehr bei allen möglichen Rezipienten von Studien, die im Rahmen der Klassischen Philologie und verwandter Fächer entstehen, kann die Fähigkeit, das Lateinische selbst flüssig zu lesen, vorausgesetzt werden. Und vor allem lateinische Quellentexte aus Antike, Mittelalter und Neuzeit werden überwiegend in übersetzter Form rezipiert.2 Da zudem bei einem immer größer werdenden, auch breiteren Publikum, welches über die Wissenschaftscommunity hinausgeht und auch eine allgemein interessierte Leserschaft umfasst, die Übersetzung weithin anstelle des lateinischen Originals rezipiert wird, kommt dem Übersetzen aus dem Lateinischen eine enorme Bedeutung und dem Fach Latinistik eine große Verantwortung für die Vermittlung lateinischsprachiger Texte zu.3

Dieser herausragenden Bedeutung und Aktualität des Übersetzens steht eine unterentwickelte wissenschaftliche Reflexion und Theorie des Vorgangs selbst in der Klassischen Philologie gegenüber, sowohl was das ‚didaktische Übersetzen‘ auf der einen Seite als auch das ‚literarische und/oder vermittelnde Übersetzen‘ auf der anderen Seite betrifft, wie man das Übersetzen in den beiden eben genannten Felder bezeichnen könnte.4 Ob und inwiefern zwischen dem Übersetzen von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden einerseits und dem Übersetzen mit dem Ziel einer gedruckten Fassung andererseits ein genereller Unterschied gemacht werden muss, kann an dieser Stelle nur hinterfragt werden. Denn es sollte eben nicht so sein, dass Schülerinnen und Schüler und Studierende per se möglichst ‚wörtlich‘,5 Übersetzer aber per se ‚frei‘ übersetzen müssen/sollen/dürfen. Das hängt freilich mit dem Ziel der jeweiligen Übersetzungen zusammen, mit ihrem Zweck (zu dieser wichtigen Kategorie s.u. mehr).

3 Forschungsstand zum Übersetzen aus dem Lateinischen

13.Allgemeines: zum Forschungsfeld „Übersetzen aus dem Lateinischen“ und zu den Aufgaben einer lateinischen Translatologie

Das Übersetzen aus dem Lateinischen ist ein komplexes Forschungsfeld, das eine multidisziplinäre Perspektive und Kompetenzen in verschiedenen Disziplinen verlangt: Übersetzungsforschung und Übersetzungswissenschaft auf der einen Seite, lateinische Sprachwissenschaft (in Anschluss an die Allgemeine Linguistik) und lateinische Literaturwissenschaft auf der anderen. Es müssen auch zielsprachliche (konkret: germanistische) Kompetenzen auf diesen Gebieten vorhanden sein. Hinzu kommt selbstverständlich auch eine (fach-)didaktische Komponente. Die Zusammenführung der für das Übersetzen aus dem Lateinischen relevanten Teildisziplinen ist bisher ausgeblieben. Bei der Frage, woran die Latinistik bisher angeknüpft hat, ist daher lediglich eine selektive Beteiligung des Faches an den Diskussionen der am Übersetzungsprozess beteiligten Disziplinen zu verzeichnen:1

Zum einen gibt es übersetzungshistorisch ausgerichtete Untersuchungen zum Übersetzen aus dem Lateinischen.2 Die seit den frühen 2000er-Jahren immer stärker werdende historische Übersetzungsforschung stellt einen deskriptiven und zieltextorientierten Ansatz dar. Sie nimmt häufig eine Makroperspektive auf das Übersetzen und dessen Funktionen ein, insbesondere die Descriptive Translation Studies (DTS) mit Vertretern wie Hermans, Lefevere oder Toury.3 Die DTS gehen von einer nicht-präskriptiven, historisch ausgerichteten und kontextorientierten Konzeption aus. Sie konzentrieren sich auf das Ergebnis des Übersetzens, die Übersetzung, und tendieren dazu, dem Ausgangstext und dessen Sprache weniger Gewicht zuzumessen als dem Übersetzungsprodukt in der Zielsprache und Zielkultur. Sie gehören damit der auf kulturelle Aspekte ausgerichteten Translatologie an. Schwerpunktmäßiger Gegenstand dieser komparatistischen und historisch perspektivierten Übersetzungsforschung in Deutschland bilden aber oftmals nicht antike Texte und deren Übersetzung ins Deutsche, sondern vor allem Texte der italienischen Renaissance und der französischen Klassik. So hat etwa der überaus produktive Göttinger Sonderforschungsbereich 309 „Die literarische Übersetzung“ die historisch-empirische Erforschung der deutschen Literaturübersetzung mit vielerlei Beiträgen aus zahlreichen Disziplinen bereichert; die Klassische Philologie aber war nicht vertreten.4 Die Untersuchungen zu Übersetzungen antiker und somit auch lateinischer Texte hat jedoch durchaus auch einen Aufschwung erlebt, allen voran durch das Teilprojekt B7 „Übersetzung der Antike“ des Sonderforschungsbereichs 644 „Transformationen der Antike“ (Berlin, 2005–2016), welches Übersetzungstheorie und Übersetzungspraxis ab etwa 1800 bis in die Gegenwart in den Blick nahm.5 In der Klassischen Philologie ist es im Vergleich zu anderen Disziplinen dabei meist so, dass die oben genannte Tendenz, den Ausgangstext und dessen Sprache selbst in den Hintergrund treten zu lassen, weniger ausgeprägt ist als bei anderen Philologien – häufig ist noch immer eine gewisse Neigung zu merken, den Ausgangstext als eine Art ‚heiligen Text‘ möglichst unangetastet lassen zu wollen, auch wenn sich dies langsam zu ändern scheint. Neben den Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 644 zu Übersetzungen antiker Texte sind weitere Einzeluntersuchungen erschienen, welche wichtige Ergebnisse vorweisen können und die vom Ansatz her ebenfalls den translation studies zuzuordnen sind. Sie nehmen meist nicht die Form von Monographien ein, sondern werden eher im Rahmen eines Aufsatzes oder Sammelbandbeitrages präsentiert,6 was auch viel über die zu geringe Wertschätzung der Übersetzungsthematik in der Fachwissenschaft aussagt. Kritisch ist zudem anzumerken, dass nicht alle übersetzungsgeschichtlichen Untersuchungen zu antiken Texten aus dem Kreis der Klassischen Philologie auch den Anforderungen einer anspruchsvollen Übersetzungsforschung gerecht werden, sondern in den eigenen Fachgrenzen und deren Paradigmen verbleiben.7

Zum anderen mag man fragen, wie Ergebnisse zu Übersetzungsverfahren etwa aus der Frühen Neuzeit oder aus dem 18. und 19. Jahrhundert, denen sich die komparatistische historisch perspektivierte Übersetzungsforschung zu antiken Texten in Deutschland widmet, für die aktuelle Übersetzungsdiskussion genutzt werden können.8 Eine solche literatur- und kulturwissenschaftlich ausgerichtete Übersetzungsforschung verfährt nämlich in der Regel retrospektiv-deskriptiv, während es die Übersetzungs- bzw. Translationswissenschaft ist, die neben deskriptiven Untersuchungen auch prospektiv-präskriptiv ausgerichtet ist und nach dem Übersetzen selbst fragt.9 Übersetzungsforschung und Übersetzungswissenschaft gilt es sinnvoll zu verbinden und für das Lateinische zu konkretisieren.

Anders als dies in modernen Fremdsprachen der Fall ist, existieren für das Lateinische kaum sprachspezifische translationswissenschaftliche Entwürfe. Ansätze sind allenfalls in der lateinischen Fachdidaktik seit den 1970er-Jahren vorhanden (v.a. durch Rainer Nickel).10 Auch derzeit sind es vor allem die Vertreter der Fachdidaktik, die sich intensiv mit den vielfachen Anforderungen beschäftigen, welche das Übersetzen des Lateinischen stellt (s. Nickel 2016, mit einer Betrachtung des Übersetzungsprozesses in Anlehnung an die Generative Grammatik, aber auch in seiner ästhetischen Dimension), und es ist die Fachdidaktik, die Möglichkeiten diskutiert, welche vom herkömmlichen Schema des Übersetzens als doppelte Anforderung der Dekodierung und Rekodierung abweichen (s. etwa Herkendell und Glücklich sowie die fachdidaktischen Beiträge des Workshops)11. Die in der lateinischen Fachdidaktik derzeit vielbeachteten Arbeiten von Lena Florian12 stellen zwar den Übersetzungsvorgang ins Zentrum (mit einem kognitionswissenschaftlichen und empirischen Schwerpunkt), weisen aber methodische Schwächen auf, und es fehlt – bezeichnenderweise! – eine Einführung in die zugrunde gelegte Theorie oder Methodik des Übersetzens.13

Im deutschen Sprachraum haben sich Vertreter der Klassischen Philologie, also Literaturwissenschaftler, auch solche, die selbst übersetzen, nur sehr vereinzelt explizit auf moderne linguistische und translationswissenschaftliche Theorien berufen (eine Ausnahme ist etwa Manfred Fuhrmann)14. Übersetzer antiker Texte, darunter literaturwissenschaftlich profilierte Philologen, geben meist in Vorworten Bemerkungen zur Übersetzung bei, welche das eigene übersetzerische Tun reflektieren und Übersetzungsentscheidungen begründen. Das ist gut und sinnvoll für den Umgang mit der jeweiligen Übersetzung. Eine systematische Darstellung des Übersetzungsprozesses ist in diesem Rahmen aber nicht geleistet worden und ist auch nicht zu leisten, da sich die Vor- oder Nachworte heutzutage eben auf den konkreten Text beziehen und keinen Raum für umfangreiche Grundsatzuntersuchungen bieten.

Kurzum: Aus der Übersetzungspraxis ist also bisher keine Translatologie des Lateinischen hervorgegangen, ebenso wenig hat sich die Übersetzungswissenschaft ihrerseits mit dem Lateinischen auseinandergesetzt,15 und die Klassische Philologie wiederum betreibt, wenn überhaupt, vornehmlich rezeptionsgeschichtlich ausgerichtete Übersetzungsforschung.

 

Aus dem Bereich der klassisch-philologischen Auseinandersetzung mit der Übersetzungsthematik mag einzig das Instrumentarium zur Analyse von Übersetzungen von Poiss/Kitzbichler/Fantino 2016 als Ausgangspunkt für ein entsprechendes Vademecum der lateinischen Translatologie dienen können. Dort werden Anwendungsmöglichkeiten der (Text-)Linguistik und Pragmatik mitberücksichtigt und ein ausdifferenziertes Modell linguistisch fundierter, auf den Vergleich von Ausgangstext und Übersetzung gerichteter Analyse vorgeschlagen. Von der Übersetzungsanalyse, also der Analyse vorhandener Übersetzungen, müsste dann der Schritt zu Kriterien des aktuellen Übersetzens selbst vollzogen werden. Poiss/Kitzbichler/Fantino 2016 bauen auf die anhand moderner Forschungsansätze erarbeiteten Ausführungen von Acatürk-Höß 2010 auf, die einen wichtigen Beitrag zur Verwissenschaftlichung der Übersetzungsanalyse/-kritik geleistet hat, und wenden diese auf antike Literatur an. Der Beitrag bezieht Sprachwissenschaft, Textlinguistik und Pragmatik mit in literaturwissenschaftliche Fragestellungen ein, konzentriert sich allerdings auf die „literarische Kommunikation“ und somit auf die sog. literarische Übersetzung, vor allem von Poesie. Die vorgeschlagenen Kriterien sind ebenso detailliert für andere lateinische Texte und andere Übersetzungen auszuarbeiten.16 Daneben ist auch eine zeitliche Beschränkung zu konstatieren: Der Beitrag bezieht sich auf die Übersetzung antiker Texte. Schon spätantikes Latein stellt jedoch bereits besondere Anforderungen.17 Gerade für das Übersetzen des nachantiken Lateins fehlen translatologische Studien, obwohl insbesondere in diesem Bereich die Menge des Unübersetzten unüberschaubar groß und die Relevanz für nicht-altertumswissenschaftliche Disziplinen oft besonders hoch ist.

Doch auch für das antike Latein sind bisher zu wenig fundierte Untersuchungen unternommen worden. Ansätze finden sich bei Glücklich/Nickel/Petersen 1980 sowie Kienpointner 2010, nützlich sind auch noch immer ältere Stilistiken wie die von Nägelsbach 1870. Poiss/Kitzbichler/Fantino 2016 behandeln den Punkt „Sprachenpaar“ sehr knapp,18 obgleich der Rolle der beiden Sprachen beim Übersetzen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt.19

Dort, wo jetzt schon auf mikrostruktureller Ebene (z.B. in Kommentaren) übersetzerische Fragen angesprochen werden, wird kaum auf die Translatologie und lateinische Linguistik rekurriert. Auf diesen Gebieten, Translatologie und Linguistik, ist die größte Lücke hinsichtlich des Forschungsthemas innerhalb der deutschen Latinistik auszumachen, die es dringend zu schließen gilt.20 Eine Translationsgrammatik des Lateinischen existiert nicht einmal in Ansätzen21 – Nützliches und Relevantes ist vereinzelt auf verschiedene Grammatiken oder sprachpraktisch orientierte Publikationen verteilt. Ziel muss es daher sein, in gebündelter und umfassenderer Weise Grundlagen einer lateinischen Translatologie zu entwerfen, die auch eine Translationsgrammatik umfasst.

 

Zur wissenschaftlichen Etablierung des Forschungsfeldes gehört auch die Beschreibung der Übersetzungskompetenz(en) für das Übersetzen aus dem Lateinischen. Für die Übersetzungskompetenzmodelle sind die bisherigen Ausführungen (etwa von Glücklich/Nickel/Petersen 1980 und Nickel 2016) deutlich auszubauen. Erste Ansätze bieten Poiss/Kitzbichler/Fantino 2016, aber eher deskriptiv zu vorhandenen Übersetzungen, nicht auf zukünftige Übersetzungsprozesse selbst bezogen. Die Translationsprozessforschung, ein recht junger Forschungszweig innerhalb der Translationswissenschaft mit ihren Modellen zu Übersetzungsprozess und Übersetzungskompetenz,22 sieht die zweisprachige Kompetenz (hier: Latein–Deutsch) zu Recht als eine Subkompetenz neben anderen:23 Außer der zweisprachigen Kompetenz sind außersprachliche Subkompetenz, Subkompetenz Übersetzungskonzeption, instrumentelle Subkompetenz und strategische Subkompetenz nötig. Diese gilt es für das Lateinische zu konkretisieren, um eine Verwissenschaftlichung des Forschungsfeldes „Übersetzen aus dem Lateinischen“ voranzubringen und in der Konsequenz den Übersetzungsvorgang aus dem Lateinischen zu professionalisieren und auch spezifischere Übersetzungen erstellen zu können.

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Teil 1: Translationswissenschaftliche Perspektiven

Translation (history) studies: ‚Übersetzungstheoriegeschichte‘ und Übersetzungsforschung aus latinistischer Perspektive

Standortbestimmung und Konsequenzen

Nina Mindt

Der Beitrag gibt einerseits einen Einblick in Reflexionen über das Übersetzen aus dem Lateinischen der letzten zweihundert Jahre, über ‚Übersetzungstheoriegeschichte‘ (translation history studies) seit der Schwellenzeit um 1800.1 Freilich ist nämlich der Blick zurück in vorausgegangene Reflexionen zum Übersetzen gewinnbringend. Deswegen enthält das Literaturverzeichnis einige Hinweise auf solche Texte, deren erneute Lektüre auch heute sinnvoll ist. Der Beitrag zeigt andererseits Ansätze und Ergebnisse auf, die aus historisch-deskriptiven Untersuchungen zu Übersetzungen, den translation studies, gewonnen werden können. Es wird eine Standortbestimmung vorgenommen, wo sich die Klassische Philologie innerhalb historischer Übersetzungs(theorie)forschung und auch in ihrer Rezeption anderer translationswissenschaftlicher Ansätze aktuell befindet. Zudem sollen Forschungsfragen skizziert werden, die es zukünftig zu verfolgen gilt. Historische Übersetzungsforschung und Translatologie gilt es schließlich zu verbinden und für das Lateinische zu konkretisieren.

1Einleitung: Translationswissenschaft – Übersetzungswissenschaft – Übersetzungsforschung

Eine wissenschaftlich fundierte Translatologie des Lateinischen kann nur unter Berücksichtigung der Übersetzungswissenschaft, der Linguistik, der Literaturwissenschaft und der Didaktik erarbeitet werden. Jede Perspektive ist in diesem Band ihrerseits durch mehrere Beiträge vertreten. Für die translatologische Perspektive ist dies besonders wichtig, da sich die Disziplin der Übersetzungs- bzw. Translationswissenschaft, etwas vereinfacht dargestellt, (mindestens) zweiteilt in translation science und translation studies: Ein Teil derjenigen, die sich wissenschaftlich mit der Übersetzung beschäftigen, schaut auf die Übersetzungsgeschichte zurück, andere schauen, wie denn übersetzt werden solle, und zwar in Gegenwart und Zukunft.

linguistisch ausgerichtete Übersetzungswissenschaft,

translatology, translation science

historische Übersetzungsforschungtranslation studies, v.a. descriptive translation studies(DTS)

neben deskriptiv auch prospektiv-präskriptiv

primär deskriptiv-historisch

(v.a. in den Anfängen) linguistisch ausgerichtet

vom Ansatz her literatur- und kulturwissenschaftlich ausgerichtet, Rezeptionsforschung

fragt nach dem Übersetzen selbst

fragt nach der Übersetzung

beide Sprachen (das Sprachenpaar) betrachtet

Übersetzungsprodukt und dessen Kontext im Vordergrund

Abb. 1: Zwei Teildisziplinen bzw. Ausrichtungen der Translationswissenschaft/Translatologie

Die Wissenschaftsgeschichte der Disziplin „Übersetzungswissenschaft“ bzw. „Translationswissenschaft“/„Translatologie“ kann in diesem Rahmen nicht detailliert dargestellt werden (schon die Bezeichnungen der Disziplin selbst sind nicht einheitlich, s. auch die englischsprachigen Bezeichnungen translation science/translatology/translation studies).1 Translatologie und translation science sind inzwischen die üblichsten Bezeichnungen für die gesamte Disziplin, welche linguistische Translatologie ebenso umfasst wie die auf kulturelle Aspekte ausgerichtete Translatologie. Die hier vorgenommene zweigeteilte Gegenüberstellung deckt also nicht die gesamte Disziplin der Translationswissenschaft ab,2 sondern hat vielmehr Darstellungsgründe, um zwei verschiedene Ansätze auf das Übersetzen bzw. die Übersetzung deutlich zu machen. Diese beiden Perspektiven sind zudem genau diejenigen, die bisher in der Klassischen Philologie eingenommen wurden.

Die historische Übersetzungsforschung stellt also einen deskriptiven und zieltextorientierten Ansatz dar, welche häufig eine Makroperspektive auf das Übersetzen und dessen Funktion einnimmt. Sie geht von einer nicht-präskriptiven, historisch ausgerichteten und kontextsensitiven Konzeption aus. Sie konzentriert sich auf das Ergebnis des Übersetzens, die Übersetzung, das Übersetzungsprodukt in der Zielsprache und Zielkultur. Daher kann es sein, dass die Ausgangssprache bei solchen Studien in den Hintergrund tritt.3 Der vorliegende Beitrag nimmt seinen Anfangspunkt von dieser historischen Übersetzungsforschung her, und zwar aus der Sicht der Klassischen Philologie,4 während die Perspektive der Translationswissenschaft selbst durch den nachfolgenden Beitrag des Translationswissenschaftlers Carsten Sinner vertreten ist.5 Es soll der Nutzen historischer Übersetzungsforschung und der Analyse vorliegender Übersetzungen für Einsichten in das Übersetzen aus dem Lateinischen deutlich werden, wobei Ansätze und Ergebnisse aufgezeigt werden, die aus den historisch-deskriptiven Untersuchungen heraus und darüber hinaus für das aktuelle und zukünftige Übersetzen aus dem Lateinischen gewonnen werden können.

2Beiträge der Latinistik zur historischen Übersetzungsforschung: Untersuchungen zu Theorie und Praxis des Übersetzens im Kontext der Alten Sprachen

a) Historische Untersuchungen zu Theorie und Praxis des Übersetzens aus dem Lateinischen

Für das Lateinische liegen bisher keine Grundlagen einer sprachspezifischen Translatologie vor. Dabei müsste die Klassische Philologie, speziell die Latinistik, an sich ein großes Interesse an Übersetzungsprozessen haben, sind solche doch für die lateinische Literatur selbst zentral. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich aufgrund der allgemein wachsenden Aufmerksamkeit für Übersetzungsvorgänge Untersuchungen finden, die das römische Übersetzen, und auch Reflexionen dazu, ins Zentrum stellen.1 Hier können solche Arbeiten zum Übersetzen ins Lateinische nicht näher betrachtet werden, vielmehr geht es um übersetzungsgeschichtliche Untersuchungen zum Übersetzen aus dem Lateinischen ins Deutsche.

Die historisch und kulturell ausgerichteten translation studies, allen voran die Descriptive Translation Studies, wurden als Teildisziplin spätestens seit den 2000er-Jahren immer stärker, was auch mit dem ‚translational turn‘ der Kulturwissenschaften zusammenhängt.2 Das hat zwar einerseits zu einer Ausweitung dessen geführt, was unter ‚Übersetzung‘ bzw. ‚translation‘ gefasst wird, doch auch das Übersetzen an sich, die Sprachmittlung, hat neue Aufmerksamkeit erfahren. Die Untersuchungen zu Übersetzungen antiker und somit auch lateinischer Texte haben in diesem Zusammenhang durchaus einen Aufschwung erlebt: Neben interessanten Einzeluntersuchungen ist die Tagung „Pontes V: Übersetzung als Vermittlerin antiker Literatur“ mit dem gleichnamigen Tagungsband herauszuheben.3 Und vor allem hat das Teilprojekt „Übersetzung der Antike“ des SFB 644 „Transformationen der Antike“ (2005–2016) in Berlin dort angesetzt: Zunächst wurde ein besonderer Teil der Übersetzungsgeschichte, nämlich die Theoriegeschichte, aufgearbeitet, um darzustellen, welche Überlegungen, Konzepte, Reflexionen im Zusammenhang mit dem Übersetzen aus den Alten Sprachen seit 1800 bis in die Gegenwart formuliert wurden.4 In einem zweiten Schritt wurden Übersetzungen desselben Zeitraums exemplarisch analysiert.5 Der ursprünglich geplante letzte Schritt, nämlich die Formulierung von Übersetzungsanleitungen, von präskriptiven Forderungen an eine Übersetzung, welche aus den Ergebnissen der ersten beiden Phasen abgeleitet werden sollten, wurde letztendlich nicht unternommen. Zentral an dem dort zugrunde gelegten Transformationskonzept ist, dass es, als weitergedachte und prononcierte Theorie der Rezeption, alle Formen der Anverwandlung historischer Objekte mit ihren Eigengesetzlichkeiten unter genauer Analyse der Rolle innerhalb der Zielkultur untersucht. Dabei geht es von einer grundsätzlichen Relationalität, Reziprozität und Wechselwirkung zwischen antiker Referenz- und nachantiker Aufnahmekultur aus. Im Prozess der selektiven Aneignung verändert sich der antike Referenzbereich ebenso wie die beteiligte Aufnahmekultur. Diese Wechselwirkung wird mit dem neu geprägten Zentralbegriff der ‚Allelopoiese‘ erfasst.6 Das Konzept interessiert sich somit nicht, oder allenfalls sekundär, für die ‚Richtigkeit‘ und tatsächliche Adäquatheit der verhandelten Antikebilder. In diesem Fall ist also der antike Referenzbereich der lateinische Text, das Transformationsprodukt ist die Übersetzung, die wiederum auf den Ausgangstext zurückwirkt. Über die Konsequenzen für das Übersetzen, die dieses Konzept beinhaltet, soll im abschließenden Teil nachgedacht werden. Zunächst werden konkrete historische Übersetzungsreflexionen schlaglichtartig nachskizziert.7 Dies geschieht zunächst insbesondere anhand von Friedrich Schleiermachers Ausführungen, einem Grundlagentext zum Übersetzen antiker Literatur, sowie anhand von Wolfgang Schadewaldt, da er innerhalb der Klassischen Philologie eine wichtige Größe und sein Konzept des dokumentarischen Übersetzens innerhalb des Faches bekannt ist. Zudem werden die Überlegungen von Manfred Fuhrmann dargestellt, weil er einer der wenigen Latinisten ist, die sich ausführlich mit dem Thema des Übersetzens auseinandergesetzt haben. Wilhelm von Humboldt und Ulrich von Wilamowitz Moellendorff werden dabei mitberücksichtigt, sind deren Reflexionen doch anhand antiker Texte entstanden und innerhalb des Übersetzungsdiskurses auch außerhalb der Grenzen der Klassischen Philologie bekannt.

Aus latinistischer Perspektive ist zunächst zu vermerken, dass es innerhalb – und aufgrund – des untersuchten Zeitraums meist griechische Texte gewesen zu sein scheinen, die zu einflussreichen und/oder zu auch außerhalb der engen Fachgrenzen bekannten Übersetzungsreflexionen der letzten zweihundert Jahre geführt haben: sei es Friedrich Schleiermacher mit der Akademierede Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens (1813), die durchaus konkret im Kontext seiner Erfahrungen mit der Übersetzung Platons steht, Wilhelm von Humboldt (1816) mit seiner Vorrede zu Aischylos’ Agamemnon, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs Was ist übersetzen? (zuerst 1891) als Vorwort zur Übersetzung des Euripideischen Hippolytos oder Wolfgang Schadewaldts Konzept des „dokumentarischen Übersetzens“, welches Ende der 1950er- und in den 1960er-Jahren anhand von Homer und den griechischen Tragödien entwickelt wurde.8

Im Zuge des erwachten historischen Bewusstseins und somit des Bewusstseins der Andersartigkeit der Antike auf der einen Seite sowie der Griechenbegeisterung und der Vorliebe für als archaisch-ursprünglich Erachtetes auf der anderen Seite wurde dabei nicht selten der „ausgangssprachenorientierte“ Ansatz bevorzugt. Eine Ausnahme, auf die noch zurückzukommen sein wird, war natürlich Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, dessen Übersetzungskonzept der „Metempsychose“9 zweifelsohne zielsprachenorientierte Übersetzungen favorisiert. Bei einem Durchgang durch die Übersetzungstheorie-Geschichte muss man freilich aufpassen, bei einer solchen Dichotomisierung wie ‚ausgangssprachenoriert – zielsprachenorientiert‘ nicht ganz unterschiedlich motivierte Ansichten zusammenzufassen, die eigentlich nicht wirklich identisch sind.

b) Möglichkeiten, Grenzen und Erweiterungen dichotomischer Methodendiskussion: mehr als ‚wörtlich vs . frei‘, ‚ausgangssprachen- vs. zielsprachenorientiert‘ oder ‚dokumentarisch vs. transponierend‘

Die bekannte und einflussreiche Alternative beim Übersetzen, die Friedrich Schleiermacher in seiner vielrezipierten Akademierede Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersetzens im Jahre 1813 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin formulierte, lautet folgendermaßen:1

Entweder der Uebersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe, und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.2

Man hat, durchaus zu Recht, hinter Schleiermachers Ausführungen immer wieder dessen eigene Platon-Übersetzung erkannt.3 Doch seine Ausführungen sind mehr als nur eine Rechtfertigung seiner eigenen Übersetzungspraxis. Schleiermacher problematisiert die von ihm abgelehnte Methode, das Bewegen des Schriftstellers, durchaus anhand eines lateinischen (!) Beispiels:

Wir können uns in einem gewissen Sinne denken, wie Tacitus würde geredet haben, wenn er ein Deutscher gewesen wäre, das heißt, genauer genommen, wie ein Deutscher reden würde, der unserer Sprache das wäre, was Tacitus der seinigen; und wohl dem, der es sich so lebendig denkt, daß er ihn wirklich kann reden lassen! Aber ob dies nun geschehen könnte, indem er ihn dieselbigen Sachen sagen läßt, die der römische Tacitus in lateinischer Sprache geredet, das ist eine andere und nicht leicht zu bejahende Frage.4

Es ist auffällig, dass Schleiermachers eigene Übersetzungsarbeit, seine konkrete Erfahrung mit dem Text Platons, in der Rede unerwähnt bleibt. Vielmehr bleibt er entweder allgemein oder er reflektiert über die verschiedenen Möglichkeiten des Übersetzens anhand von lateinischen Autoren. Daher sollten die komplexen Überlegungen Schleiermachers durchaus von denjenigen, die lateinische Texte übersetzen (wollen), nachvollzogen werden, da Schleiermacher seinen Übersetzungsbegriff sehr genau eingrenzt und viele zentrale Grundsatzfragen des Übersetzens und dessen Funktionen diskutiert. Schließlich ist für Schleiermacher die Übersetzung wirklich eine durchaus pragmatische Dienstleistung für den sprachunkundigen Leser, eine Aufgabe des Übersetzens, die sich heute mehr denn je stellt, durchaus ganz im Sinne der Translatologie von Übersetzung als Sprachmittlung, als Ermöglichung von Kommunikation zwischen zwei Parteien, denen sonst die Kommunikation unmöglich wäre.

Schleiermacher entscheidet sich bekanntlich dafür, den Schriftsteller „möglichst in Ruhe zu lassen“ und „den Leser zu bewegen“ und so das Verstehen des fremden Textes durch die Übersetzung spürbar zu machen. Diese Übersetzungsstrategie ist als „verfremdend“5, was richtiger „fremd-belassend“ heißen müsste, oder „anti-illusionistisch“6 (also nicht die Illusion erzeugend, es handle sich um einen muttersprachlichen Text) bezeichnet worden.

Humboldt spricht davon, eine Übersetzung müsse einfach und treu sein und sie trage „eine gewisse Farbe der Fremdheit an sich“7, und Schadewaldt wiederum verwendet den Begriff „dokumentarisch“, da der griechische logos dokumentiert werden müsse. Hinter diesen Positionen lassen sich jeweils ganz andere Vorstellungen und Begründungen finden: Hermeneutik bei Schleiermacher8, Historismus und Sprachphilosophie bei Humboldt9