(Un-)Ausgesprochen Ich - Julia Kraft - E-Book

(Un-)Ausgesprochen Ich E-Book

Julia Kraft

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Beschreibung

Was passiert, wenn man sich ein Jahrzehnt lang selbst überfordert und knallhart mit sich ins Gericht geht? Irgendwann folgt der unausweichliche Kollaps. Julia Kraft schildert in ihrer schonungslos ehrlichen Erzählung, wie sie von einer schweren Depression, die zwei Suizidversuche mit sich bringt, fast in die Knie gezwungen wird. Aber dann gelingt es ihr fast schon unverhofft, der Negativspirale zu entkommen und den Weg zurück ins Leben einzuschlagen. Die Autorin findet eine klare Sprache für das Unaussprechliche: ihre zutiefst selbstzerstörerischen Gedanken, denen sie durch den Prozess des Erzählens die Macht über sich selbst nimmt.

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Seitenzahl: 95

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-025-1

ISBN e-book: 978-3-99146-026-8

Lektorat: Caroline Siewert

Umschlagfoto: Fotokitas | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Für mein Vorbild, meinen Vater,

der mich das Kämpfen gelehrt hat.

Du fehlst unsagbar!

Zitat

Just when the caterpillar thought her life was over,

she began to fly.

Einleitung

Sommer 2022. Ich sitze in meiner neuen Wohnung im 10. Bezirk. Vom Küchentisch kann ich auf meinen wundervoll grünen Balkon blicken. Mein 39. Geburtstag naht. Vor einem Jahr, an meinem 38. Geburtstag, war ich mir sicher, dass ich den nächsten nicht erleben würde. Und trotzdem bin ich noch da. Zum Glück habe ich mich geirrt.

Vorspann

Soweit ich mich erinnern kann, begann alles vor drei Jahren. Sommer 2019. Ich hatte einen anstrengenden Schulschluss gehabt. zwei Maturaklassen, 22 KandidatInnen bei der schriftlichen Matura, neun bei der mündlichen, einen Diplomarbeitskandidaten. Ich hatte zig Stunden in die Vorbereitung der Prüfungen gesteckt, ohne Zweifel hatte ich meine SchülerInnen an Gewissenhaftigkeit um Längen überboten. Ich wollte nicht nur, dass meine KandidatInnen bei den Prüfungen glänzten, sondern wollte auch selbst als kompetente Prüferin überzeugen. Was mir auch gelang.

Den Sommer danach nutzte ich für ausgiebiges Reisen. Zuerst ging es zwei Wochen mit meiner Freundin Karoline nach Kap Verde. Sommer, Sonne, Strand, gutes Essen, offene Menschen, gute Gespräche. Danach reiste ich mit meinen Eltern und meinem Bruder Philipp nach Seattle. Dort trafen wir meine Schwester Nina, die zu der damaligen Zeit in den USA lebte. Wir verbrachten eine überraschend harmonische und sehr spannende Woche in Seattle. Danach reiste ich mit meinem Bruder weiter. Wir besuchten San Francisco, Las Vegas, den Grand Canyon und L.A. Eine Reise der Superlative.

Als ich zurückkam, kämpfte ich mit dem Jetlag. Und es überkam mich eine merkwürdige Niedergeschlagenheit, die ich mir nicht erklären konnte. Ich hatte doch gerade den besten Sommer meines Lebens verbracht! Genau genommen hatte es schon auf dem Rückflug nach Wien begonnen, dieses Gefühl unendlicher Traurigkeit. Ich begann also wieder zu meiner Therapeutin Frau Stein zu gehen, die ich immer wieder mal aufgesucht hatte, wenn ich das Gefühl hatte, an einem Thema arbeiten zu müssen.

Ich erinnere mich noch ganz deutlich an eine Sitzung Anfang September. Ich hatte das Thema Tod angesprochen, es ging mir nicht mehr aus dem Sinn, aber ich wusste nicht, warum. Als ich aus der Therapie hinausging, sah ich, dass meine Mutter angerufen hatte. Ich rief sie zurück und sie erzählte mir, dass bei meinem Vater nach einer Blinddarmentzündung Dickdarmkrebs festgestellt worden war. Ich brach mitten auf der Straße in lautes Schluchzen aus. Eine Passantin legte mir tröstend ihre Arme um die Schultern.

Meine Gedanken an den Tod interpretierte ich nun als Vorahnung. Mein Vater war schwerkrank, und wie wir bald von seinem Arzt erfahren würden, waren die Aussichten schlecht. Er hatte Krebs im Stadium IV, und noch dazu einen sehr aggressiven. Das mit der Vorahnung war natürlich Unfug. Es war schlicht ein Zufall, dass sich die Krankheit meines Vaters mit meiner beginnenden Krise überschnitt. Zumindest sehe ich das heute so.

Von da an lautete die Parole: Durchhalten, stark sein – für Papa! Der Herbst brachte einige anstrengende Projekte in der Schule, und am Anfang der Herbstferien wünschte ich mir bereits, dass das Schuljahr vorbei wäre, so erschöpft war ich. Im Dezember hatte ich eine sogenannte Hinterhauptblockade, eine Folge von schweren Verspannungen. Mein Vater machte gerade seine erste Chemotherapie, es schien ihm gut zu gehen.

Zu Silvester lernte ich dann Ernst kennen. Das gab mir für eine Weile richtig viel Auftrieb. Es war schön, wieder verliebt zu sein. Wie lange hatte ich dieses Gefühl vermisst! Doch schon bald kam Corona und damit eine ziemlich herausfordernde Zeit für die Schulen, die SchülerInnen und die Lehrkräfte. Aber auch dieses Schuljahr ging zu Ende und ich freute mich auf die Sommerferien.

Nach einem Kurzurlaub in Kärnten mit meiner Freundin Petra wollte ich ein paar Tage im Burgenland bei meinen Eltern verbringen. Da erreichten uns gleich zwei schlechte Nachrichten: Die Bank, bei der mein Vater gearbeitet hatte, war pleite gegangen. Am selben Tag erfuhr mein Vater, bei dem leider nach der ersten Chemotherapie Metastasen festgestellt worden waren, dass er für eine innovative Spezialbehandlung nicht in Frage kam. Er war am Boden zerstört und mit ihm die gesamte Familie.

Wir bündelten unsere Kräfte und nutzten den Sommer, um meinem Vater dabei zu helfen, sich zu stabilisieren. Wir begleiteten ihn zu Arztbesuchen, insbesondere zu Besuchen bei einem sogenannten Immunologen, der meinem Vater allerlei Vitamine und Nahrungsergänzungsmittel empfahl. Es war eine unüberschaubare Menge an Informationen. Mein Vater sollte am Tag an die 30 verschiedene Medikamente einnehmen. Ich schrieb ihm einen liebevoll gestalteten Einnahmeplan, um ihn zu motivieren, las Bücher über die richtige Ernährung für KrebspatientInnen und meine Mutter kochte dann nach diesen Vorschlägen.

Es war kein schöner Sommer, aber ein sehr intensiver. Wenn ich nach Wien fuhr und mit Freundinnen ausging, hatte ich fast ein schlechtes Gewissen, dass ich mich amüsierte, Alkohol trank und rauchte, mich also eigentlich vergiftete, während mein Vater in jeder Hinsicht mit Entbehrungen konfrontiert war.

Dazu kam, dass Ernst sich ab Juni immer mehr zurückgezogen hatte. Woran es lag, wusste ich nicht. Den Sommer über sah ich ihn fast gar nicht, und ich litt sehr darunter, nicht mit ihm sprechen zu können und keine Erklärung für sein distanziertes Verhalten zu haben.

Im Herbst 2020 näherten wir uns wieder an. Was so viel bedeutete wie: Ich nahm ihn bereitwillig und überglücklich zurück, als er sich mit einem halbherzigen SMS meldete. Auch mit meinem Vater ging es bergauf. Er wurde nun in einem Spital in Wien behandelt, wo wir dank einem seiner Kollegen einen Platz bekommen hatten, und er schien gut auf die zweite Chemotherapie anzusprechen. Das wurde uns im Jänner 2021 von seinem Arzt bestätigt. Wir konnten erleichtert aufatmen und mein Vater bekam eine Pause von den Behandlungen.

Gleichzeitig wussten wir aber, dass die Metastasen nur kleiner geworden und nicht verschwunden waren. Sie konnten also in der chemotherapiefreien Zeit wieder wachsen. Doch diesen Gedanken wischte ich erstmal weg. Im Februar und März hatte ich ein deutliches Hoch. Ich fühlte mich energiegeladen, dynamisch und sprühte vor Ideen. Es sollte leider das letzte Mal für eine lange Zeit sein.

Ab April ging es plötzlich bergab, ohne dass sich etwas Ausschlaggebendes in meinem Leben verändert hatte. Ich erinnere mich, dass ich am Ende der Osterferien so erschöpft war, als hätte ich gar keine gehabt. Meine letzte Reise lag gefühlte Ewigkeiten zurück und ich hatte die Ferien praktisch durchgearbeitet. Ich war zickig und unausgeglichen. Das bekam Ernst ab, der sich aber sehr geduldig und verständnisvoll zeigte.

Im Mai kam dann die Hiobsbotschaft: Die Metastasen meines Vaters waren wieder gewachsen, er stand nun vor seiner dritten Chemotherapie. Ich besuchte ihn am selben Tag im Krankenhaus und fand ihn in Tränen aufgelöst vor. Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen. Er hatte keine Kraft mehr, zu kämpfen, und ich wusste nicht, wie und ob ich ihn überhaupt zum Durchhalten motivieren sollte. Als ich das Krankenzimmer verließ, blickte ich zurück und er sah aus wie ein hilfloser, schutzbedürftiger kleiner Junge. So gerne hätte ich ihm geholfen oder ihm gesagt, dass alles gut werden würde.

Dann kam die schriftliche Matura, und ich hatte den Vorsatz gefasst, in diesem Jahr nicht so genau wie sonst zu korrigieren. Ich verbrachte sonst immer enorm viel Zeit mit den Korrekturen, perfektionistisch wie ich eben war. Es gelang mir nicht, meinen Vorsatz umzusetzen. Da ich schon relativ ausgelaugt war, dauerte das Korrigieren noch länger. Ich zwang mich an den Schreibtisch und peinigte mich selbst mit den Korrekturen. Als ich es hinter mir hatte, feierte ich exzessiv und trank viel Alkohol, um in eine ausgelassene Stimmung zu kommen. Was nur dazu führte, dass es mir am nächsten Tag doppelt oder dreifach mies ging.

Einen Monat musste ich noch bis zu den Sommerferien durchhalten. Ich spürte bereits, dass mir die Kräfte ausgingen.Eigentlich müsste ich mich den gesamten Juni krankmelden, sagte ich einmal zu Ernst. In Wahrheit wusste ich also sehr wohl, dass es langsam eng wurde, aber ich gestand es mir einfach nicht zu. Außerdem stand die Pensionierung meiner langjährigen Mentorin und Freundin Petra vor der Tür. Und ich wollte dazu beitragen, sie gebührend zu verabschieden – bei einem kleinen Fest mit netten Überraschungen innerhalb der Fachgruppe und bei der offiziellen Verabschiedung vor dem gesamten Kollegium, wo ich gemeinsam mit der Direktorin eine Rede hielt.

Und dann waren endlich die Sommerferien da. Ich schlief viel, las, traf mich mit Freundinnen und besuchte meinen Vater im Krankenhaus. Ich spürte, dass ich nicht so entspannt war, wie ich eigentlich angesichts der Ferien hätte sein können oder sollen. In Gesellschaft von anderen fühlte ich mich oft merkwürdig, nicht ganz da, und ich brauchte viel Zeit für mich alleine.

Todessehnsucht, die erste

Ende Juli 2021 war der 65. Geburtstag meines Vaters. Er hatte zuvor schon ein paar Mal gesagt, dass das vermutlich sein letzter werden würde. Also sollte er großartig werden! Meine Schwester reiste aus den USA an und mein Bruder und ich holten sie vom Flughafen ab. Da merkte ich zum ersten Mal, dass ich kognitive Aussetzer hatte. Ich verwechselte gleich zwei fremde Frauen mit Nina. Philipp lachte mich aus, und ich dachte mir nicht viel dabei.

Meine Akne war wieder voll im Aufblühen, und das machte mir sehr zu schaffen. Ich fühlte mich unattraktiv und war frustriert. Gleichzeitig schämte ich mich, dass ich mir wegen solcher Kleinigkeiten Gedanken machte, während mein Vater immer dünner wurde und immer schlechter aussah. Dass ich mich unrund fühlte, merkte man auch daran, dass ich an den Tagen rund um seinen Geburtstag, an denen ich im Burgenland war, das Gefühl hatte, krank zu werden. Ich machte einen Coronatest, negativ. Dann glaubte ich, dass eine Blasenentzündung im Anmarsch war. Ich machte viele Nachmittagsschläfchen, mit dem Ziel, mich zu erholen. Dann wieder hatte ich die Hoffnung, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich mich einmal so richtig ausheulen würde. Leider war dem nicht so, und es würde bis auf eine Ausnahme das letzte Mal sein, dass ich weinen konnte.

Am Tag nach dem Geburtstag meines Vaters, es war ein Samstag, wollten meine Eltern und meine Geschwister zusammen grillen. Mein Bruder war bereits im Garten und bereitete den Grill vor. Meine Mutter bat mich, einen Tomatensalat zu machen, den ich im Vorjahr so gerne zubereitet hatte. Ich nahm die Tomaten und das Messer in die Hand, aber nach wenigen Minuten konnte ich plötzlich nicht mehr weitermachen. Ich schaffte es nicht einmal, die Tomaten zu schneiden. Ich war völlig unnütz! An diesem Tag realisierte ich es zum ersten Mal und sagte es auch zu meiner Mutter:Mit mir stimmt etwas nicht.

Meine Mutter reagierte sehr verständnisvoll und holte mir pflanzliche Beruhigungsmittel aus der Apotheke.Das sind nur die Nerven, sagte sie tröstend zu mir. Die Tabletten bewirkten genau gar nichts, außer, dass ich das Gefühl hatte, ein Bündel Lavendel geschluckt zu haben. Beim Mittagessen brachte ich kaum einen Bissen hinunter, während alle anderen genüsslich schlemmten. Mein Vater beobachtete mich und sagte mit einem Hauch Vorwurf und einem Hauch Sorge in der Stimme:Heute gefällst du mir gar nicht.