Unbehauste Heimat - Mirjam Schambeck - E-Book

Unbehauste Heimat E-Book

Mirjam Schambeck

0,0

Beschreibung

Heimat ist ein belastetes Wort geworden. Beladen mit Ideologien, die Heimat mit Nationalismus, Grund und Boden und einer abstrusen Idee von Volksein verbinden, steht es nicht mehr unschuldig da. Zugleich kennt vielleicht keine Zeit so sehr die Sehnsucht nach Heimat und Ankommen wie die unsere. Dieser Band geht den Hoffnungen nach, die der Begriff Heimat weckt. Einerseits steht Heimat für die Sehnsucht nach Mensch-Sein, Ich-Sein und Geborgen-Sein. Andererseits ist Heimat eine Utopie, die vom Menschen nie eingelöst, aber von Gott erhofft werden kann. Davon zeugen auch biblische Erfahrungen, etwa wenn sie den Menschen zwischen Fremde und Heimat beschreiben oder Jesus die Unbehausheit als Zuhause wählt. In gleicher Weise gilt dies für Franziskus und Klara, so dass in der franziskanischen Spiritualität ein Modell erkennbar wird, wie sich in Zeiten von Mobilität und (erzwungener) Migration die Sehnsucht anzukommen und Heimat zu finden, leben lässt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 103

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MIRJAM SCHAMBECK

Unbehauste Heimat

Von der Sehnsuchtanzukommen

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes LebenHerausgegeben von Mirjam Schambeck sf undHelmut Schlegel ofm

Band 15

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:

Achtung der Menschenwürde,

Bewahrung der Schöpfung,

Reform der Kirche und

gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

MIRJAM SCHAMBECK

Unbehauste Heimat

VON DER SEHNSUCHTANZUKOMMEN

echter

Herzlicher Dank geht an Dr. Johannes Heger und Adrian Schmider für die sorgfältige Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Franziskanerinnen der Barmherzigkeit in Luxemburg für die finanzielle Unterstützung.

Das Buch widme ich meiner Mutter Anna Schambeck zum 85. Geburtstag am 27. Juni 2017. Bis heute lässt sie uns erleben, was heimzukommen und Heimat zu finden heißt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2017© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburgwww.echter.de

Umschlag: www.wunderlichundweigand.de(Foto: Elisabeth Wöhrle sf) Satz: Hain-Team (www.hain-team.de) eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim (www.brocom.de)

ISBN978-3-429-04395-7978-3-429-04936-2 (PDF)978-3-429-06356-6 (ePub)

Inhalt

1. Heimat – ein belastetes Wort

2. Unbehauste Heimat – eine andere Anthropologie

Heimat ist da, wo die Menschen sind, die ich liebe – Von der Sehnsucht nach Verlässlichkeit in Zeiten zerbrechlicher Beziehungen

Mit „ungebügelter Bluse“ willkommen sein

Work-Life-Balance anders buchstabiert

Heimat ist da, wo man meine Sprache spricht – Von der Sehnsucht, verstanden zu werden

Wo ich verstanden werde, kann ich mich niederlassen

Verstehen braucht Vertrauen

Heimat ist da, wo Erzählungen geteilt werden – Von der Sehnsucht dazuzugehören

Vom Ende der Meta-Erzählungen und von der Suche nach einem neuen Wir

Erzählgemeinschaft als Erinnerungsgemeinschaft

Tell me your story – Warum Erzählen Heimat schafft

Heimat ist da, wo ich wohne – Von der Sehnsucht nach einem Zuhause angesichts von Mobilität und Migration

Auf den Bahnhöfen zu Hause

Die Gesichter erzwungener Migration

Heimat ist da, wo Alltag und Feiern Halt geben – Von der Sehnsucht nach Struktur und Freiheit

Heimat ist da, wo ich bei mir zu Hause bin – Von der Sehnsucht, ich selbst zu sein

Heimat ist da, wo Gott ist – Von der Sehnsucht, die „transzendentale Unbehaustheit“ in Gott zu beheimaten

Heimat ist Nicht-Ort und konkrete Erfahrung zugleich – Zwischen Utopie und Hoffnung

3. Zwischen Fremde und Heimat – Biblische Konturen

Auf der Suche nach Heimat – Erfahrungen aus dem Alten Testament

Abraham als Ur-Figur des Aufbruchs – Heimat ist mehr als Land zu besitzen

Mose, eine Existenz des Dazwischen – Heimat ist dort, wo Freiheit ist

Das „Exils-Wir“ bei Deuterojesaja – the long way home

Von den produktiven Durchkreuzungen menschlicher Sehnsucht

In der Unbehaustheit zu Hause – Jesuanische Akzente

Wo wohnst du? (Joh 1,38f) – oder: heimisch werden bei Gott

Unmenschliche Bedingungen – oder: Die alten Rollen passen nicht mehr

Vom Beten und Handeln – oder: Contemplatio und Compassio gehören zusammen

Anderswo zu Hause – oder: Du in mir und ich in Dir

4. Franziskanische Spiritualität – Ein Modell, in zeiten von Mobilität und (erzwungener) Migration heimat zu finden

Leben nicht hinausschieben, sondern jetzt leben

Denk daran, Gott weiß, was Du brauchst (1 C 29)

Was zu ändern ist, ändere, was nicht, gewinne lieb, und kümmere dich darum, beides voneinander zu unterscheiden

Trau dem Unscheinbaren und Trivialen zu, lebenswert zu sein

Vom Privileg, kein Privileg zu brauchen – Das Privilegium Paupertatis heute leben

Leben nicht festhalten müssen, sondern verschenken können

5. „A g’steckt volle hütt’n“ (Reinhold Stecher) – oder: Heimat ist ein anderes Wort für himmel

6. Anmerkungen

7. Zum Weiterlesen

8. Abkürzungsverzeichnis

1. Heimat – ein belastetes Wort

Heimat ist ein belastetes Wort geworden. Während Jüngere wieder selbstverständlich über Heimat reden, wissen die Älteren um die verhängnisvolle Geschichte dieses Wortes. Befrachtet durch nationalsozialistische Propaganda, beladen mit Ideologien, die Heimat mit Nationalismus, dem richtigen Stammbaum, Grund und Boden und einer abstrusen Idee von Volk-Sein verbinden, steht das Wort Heimat nicht mehr unschuldig da.

Das gilt heute umso mehr, als rechte Kreise mit ihren geschichtsvergessenen Agitator/-innen wieder anfangen, das Wort Heimat zu missbrauchen. Pegida- und AfD-Leute, Rechtspopulisten und Rechtsradikale wollen erneut und nicht weniger krass und dumm als damals verfügen, wer Heimat haben darf und wer nicht, wer dazugehört und wer nicht. Wer Heimat aber auf irgendwelche von außen definierten Kriterien wie Nation, Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Staatsbürger/ -innenschaft reduziert, der hat schon verloren; denn Heimat ist mehr und meint Existentielleres. Heimat und Zuhausesein sind etwas grundlegend Menschliches. Wer also Menschen die Heimat abspricht, der nimmt ihnen etwas von ihrem Menschsein. Auch deshalb muss dem alten und neuen rechtsradikalen Denken umso schärfer widersprochen werden. Heimat hat mit dem einzelnen Menschen, seiner Geschichte, seinem Empfinden, seinen Hoffnungen und seinen Bildern vom Glück zu tun.

Das Buch spannt vor diesem Hintergrund den Bogen und lotet aus, was Heimat bedeutet und warum sie in unserer von Migration, Mobilität und Globalisierung geprägten Welt ein so sehr ersehntes Gut geworden ist. Dazu wird in einem ersten Teil die Sehnsucht nach Heimat in ihren vielfältigen Bildern in den Blick genommen, die wir alle zumindest irgendwie kennen, auch wenn Heimat eher zum unbehausten Ort geworden ist.

Im zweiten Teil werden diese aufgedeckten Facetten von Heimat mit biblischen Figuren und Erfahrungen verbunden. Auch an ihnen wird einerseits deutlich, wie sehr das Ausschauhalten nach Heimat die Menschen seit Urzeiten begleitet. Andererseits machen sie erlebbar, wie Gott uns gerade in diesem Suchen nach Ankommen und einem Daheim selbst zur Heimat werden will, die nicht auf einen bestimmten Ort, eine ausgewählte Zeit oder Sprache begrenzt bleibt, sondern uns überall und ohne jede Vorleistung geschenkt ist.

Die franziskanische Spiritualität wird am Ende als Modell einer Spiritualität entfaltet, die hilft, die eigene Unbehaustheit anzuerkennen, mit der Sehnsucht nach einem Zuhause behutsam und bedacht umzugehen und zugleich das eigene Engagement zu schärfen, auch anderen Heimat zu geben.

2. Unbehauste Heimat – eine andere Anthropologie

Wir Menschen sind Wesen in Raum und Zeit. Uns gibt es nicht abstrakt, im Irgendwo und Irgendwann, sondern nur konkret und geschichtlich, als Frau oder Mann, als diese oder jener. Von daher ist es nicht beliebig, an welchen Orten wir uns aufhalten, in welcher Kultur wir aufgewachsen sind, mit wem wir zusammenleben, welche Alltäglichkeiten wir pflegen und welche Feste wir feiern – kurz: wo wir zu Hause sind. Auch wenn wir nicht in der Vermessung unserer Lebensbedingungen und Lebensmöglichkeiten aufgehen, lässt ein genaueres Zusehen, was Heimat bedeutet, doch eine Ahnung darüber entstehen, wer wir Menschen sind, was uns antreibt und woraufhin wir angelegt sind. Über Heimat zu schreiben heißt also auf gewisse Weise, Anthropologie zu betreiben.

Wenn im Folgenden Heimat in ihren vielfältigen Bildern aufgeschlüsselt und an unseren, nicht selten eingeschränkten Lebensrealitäten gespiegelt wird, dann ist dies auch ein Weg, dem Menschen, seinen Vorstellungen vom Glück und sich selbst mehr auf die Spur zu kommen.

Heimat ist da, wo die Menschen sind, die ich liebe – Von der Sehnsucht nach Verlässlichkeit in zeiten zerbrechlicher Beziehungen

Heimat ist untrennbar mit Menschen verbunden. Für viele gilt, dass sie dort zu Hause sind, wo Menschen auf sie warten, die ihnen wichtig sind. Das ist im Vergangenheitsmodus genauso richtig wie für die Gegenwart. Selbst wenn schon viele Jahre seit dem Auszug aus dem Elternhaus vergangen sind, ist dort immer noch ein Stück Heimat, wo die Eltern leben und die abgelegte Kindheit obendrein in den Wänden hängt. Bei heutigen Beziehungen verhält es sich nicht anders. Gesucht, ersehnt, für das Leben als unersetzbar wichtig erachtet, ist zugleich wohl nichts so unter Druck geraten wie gute und verlässliche Beziehungen.

Mit „ungebügelter Bluse“ willkommen sein

Fragt man Menschen, was für sie Glück bedeutet, dann rangieren an oberster Stelle die Nennungen : Familie, Freund/-innen, Partnerschaft. Das ist bei Kindern und Jugendlichen nicht anders als bei Erwachsenen.1 Noch vor so wichtigen Werten wie Autonomie und Freiheit gelten verlässliche Beziehungen als Inbegriffvon Glück. Das mag in Zeiten, in denen nur die etwas herzumachen scheinen, die jung sind, erfolgreich und über eine Menge Geld verfügen, beruhigen. Zugleich verwundert es, denn nichts ist heute so zerbrechlich geworden wie Beziehungen, Familie und Partnerschaft. Vielleicht liegen die Dinge aber doch näher beieinander.

Immer wieder ist zu sehen, wie sehr gerade der Druck von außen nach einem Ausgleich im Privaten suchen lässt. Zu funktionieren, die To-do-Listen schnell und akribisch genau abzuarbeiten, in Meetings und Briefings mit aller Aufmerksamkeit und Freundlichkeit präsent zu sein kostet Kraft – auch wenn der Job eigentlich Spaß macht. Da braucht es Menschen, bei denen es nicht darauf ankommt, dass jedes Wort gewogen und gefeilt ist, und Freund/-innen, die jede/-n Einzelne/-n auch mit „ungebügelter Bluse“ in ihrer Mitte willkommen heißen.

Wie wichtig es ist, ungefragt, einfach so, sich einfinden zu dürfen, und zwar als eine, die man kennt, beschreibt Reiner Kunze schlicht, aber überaus treffend in einem seiner Gedichte:

„Heimat ist für mich überall dort, / wo ein Mensch ist, / zu dem ich kommen kann, / ohne gefragt zu werden, / weshalb ich da bin. / Der mir einen Tee anbietet, / weil er weiß, daß ich Tee trinke, / und wo ich bei dieser Tasse Tee schweigen darf.“2

Dieses Gedicht ist nicht nur eine Einladung, keine Show abziehen zu müssen, um gern gesehen zu sein, und auch nicht nur ein Hinweis, dass wir da zu Hause sind, wo man weiß, was dem anderen wohl und wehe tut. Die ältere Version dieses Gedichts in „Jasmintee“3 galt in DDR-Zeiten als Erkennungszeichen für Leute, die sich dem Regime gegenüber kritisch verhielten. An die Eingangstür geheftet, wusste jeder sofort Bescheid, ob er drinnen reden und schweigen durfte, wie ihm zumute war, oder ob es sich um Stasi-Terrain handelte. Sich bei Menschen einzufinden, bei denen man sein kann, wie man ist, hatte hier nochmals eine andere Brisanz gewonnen. Es entschied, ob man weiterhin mehr oder weniger unbehelligt leben konnte oder doch irgendwann abgeführt, weggesperrt, eingeschüchtert oder sogar ausgeschaltet wurde.

Work-Life-Balance anders buchstabiert

Gerade diese Erfahrungen vermögen die Aufmerksamkeit für die gegenseitige Abhängigkeit von privatem Daheimsein und öffentlichem Leben zu schärfen.Je mehr das Private zum Ort des Lebens und damit zum Inbegriff von Daheimsein und Heimat wird oder – wie in Kunzes DDR- Zeiten – werden muss, je weniger es auch im Außen der Öffentlichkeit möglich ist, bei mir selbst zu sein und in Verbindung mit den eigenen Lebensquellen, desto größer ist die Gefahr, das Private zu überfrachten und letztlich zu überfordern. Sosehr uns die Beziehungen zu den Menschen, die wir lieben und die uns lieben, zu denen machen, die wir sind, so wichtig ist es für gesunde Beziehungen, den Radius zu erweitern bzw. zu vertiefen. Wer zwei Drittel vom Leben – und mindestens so viel nimmt die Erwerbsarbeit an Zeit und Gedanken ein – ausblenden muss, um dann endlich anzukommen und heimzukommen, stresst das restliche Drittel Zeit und die Menschen, die darin vorkommen.

Aktuelle Trends, wie z. B. deutlicher auf die Work-Life-Balance zu achten, resultieren aus diesen oder ähnlichen Entdeckungen. Was aber können die tun, deren Job es nicht zulässt, weniger zu arbeiten? Work-Life-Balance könnte auch bedeuten, die Zeit, die wir alltäglich verbringen – sei es mit den Arbeitskolleg/-innen, am Schreibtisch, mit Dritten –, aufmerksamer daraufhin abzutasten, wo die Geborgenheit von zu Hause in den Alltagsabläufen zu finden ist, die wir öffentlich, also außerhalb von zu Hause, zubringen. Alltägliches zu unterbrechen, innezuhalten, auch mal humorvoll auf das zu schauen, was gerade läuft, ist eine wichtige Chance, mit sich selbst und den eigenen Lebensquellen in Kontakt zu sein. Nicht umsonst ist Unterbrechung die wohl kürzeste Definition von Religion (Johann Baptist Metz). Zu unterbrechen ermöglicht, die Dinge auf ihren tieferen Grund hin abzutasten, das Innen und Außen, das Private und die vielen Lebenswelten, in denen wir uns aufhalten, darauf abzusuchen, was wirklich wichtig ist, und Ausschau zu halten nach dem, der alles umfängt. Das beruhigt und lässt gelassener werden, auch weil Gott nicht nur dort ist, wo alles gut läuft und sich sicher anfühlt, sondern sich mitten im Leben und das heißt eben auch dort finden lässt, wo das Leben nicht glatt aufgeht.

Heimat ist da, wo man meine Sprache spricht – Von der Sehnsucht, verstanden zu werden