Und dann kam Ute - Atze Schröder - E-Book
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Und dann kam Ute E-Book

Atze Schröder

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Beschreibung

Feuchtfröhliche Männerrunden, amouröse Abenteuer und der Porsche vor der Tür – Atze hat sein geliebtes Single-Leben im Griff. Bis Ute in die Wohnung unter ihm einzieht. Ute, die Waldorf-Pädagogin und Vegetarierin. Die zu allem Überfluss auch noch schwanger ist. Das kann doch nicht gutgehen, denkt Atze. Aber dann merkt er: Die Ute, die ist eigentlich schwer in Ordnung. Klug und lustig. Und nicht nur das – er findet sie sogar attraktiv. Sein testosterongestähltes Herz klopft immer lauter, wenn er sie sieht. Das kann doch nicht gesund sein. Oder ist das etwa ... LIEBE?

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Seitenzahl: 302

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Atze Schröder • Till Hoheneder

Und dann kam Ute

Roman

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

BedienungsanleitungVorspiel1. Kurt-Schumacher-Straße 102. Der Einzug3. Französisch für Anfänger4. Der Racheengel5. Pool der Sünde6. Babys erster Porsche7. Gran Canaria8. Safer Sex9. Das Kind braucht einen Namen10. Fesseln der Liebe11. Weihnachten mit Boxenluder12. Heftig, Alter!13. Nix wie weg14. Ghana15. Chikungunyafieber16. Club 69 – des Pudels Kern17. Der Rotmaul-Pelikan vom Baldeneysee18. Wann ist ein Mann ein Mann?19. Kann denn Liebe Sünde sein?20. Schneeflöckchen, Weißröckchen21. Der weiße Hai22. Die große Hafenrundfahrt23. Weil ich dich liebeNachspielZugabeKönig der Berge
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BEDIENUNGSANLEITUNG

 

Dieses Buch ist ein satirischer Episodenroman, der von Gefühlen, Liebe, Sex, Räuberpistolen und Freundschaft handelt. Vieles ist frei erfunden, manches nicht. Auch die Namen, Schauplätze und Erlebnisse wurden willkürlich gewählt. Allerdings haben alle Geschichten einen wahren Kern.

 

Euer Atze

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Vorspiel

Sie keuchte vor Verlangen und flüsterte mit erotischem französischem Akzent: «Nimm die Finger da weg … isch zähle bis 1000. Ahhh!»

Zwei Liebestrunkene erstürmten den Kilimandscharo der göttlichen Lust, und zwar ohne Sauerstoffflasche. Als sich meine Lippen auf den Weg über die sanft geschwungenen Pfirsichbrüste Richtung Venushügel-Nordwand machten, verirrten sich ihre schlanken Fingerkuppen ins Fundament meines Basislagers. Sie eskalierte im finalen Taumel der Begierde und stammelte zusammenhanglos: «Fiskalpakt, Schöfferhofer, Doppelvergaser, Mammutbaum, mon Dieu, mon Dieu, au secours, mon Dieu, encore, encore, mon Dieu.»

Wahnsinn. Es war, als ob eine verborgene Tür aufginge und wir in gleißendes Licht getaucht würden. Und wirklich: Die Tür ging auf, das Licht ging an, und wir beide schauten in das fassungslose Gesicht meiner Nachbarin Ute, auf deren Wohnungseinweihungsparty wir uns diesen stillen Ort der Besinnung gesucht hatten. Entsetzt und sogar etwas feindselig starrte Ute uns an: «Was gibt das denn hier?»

«Ach Ute, wie gut, dass du kommst! Gerade noch rechtzeitig! Hier hätte ja Gott weiß was passieren können!»

«Sag mal, tickst du noch ganz richtig? Hier im Kinderzimmer mit meiner Freundin rumzufummeln?»

«Na, meinst du etwa, mir hätte das Spaß gemacht? Gut, dass ich einen kühlen Kopf bewahrt habe. Das hätte auch ganz leicht aus dem Ruder laufen können! Jetzt aber alle raus hier. Etwas mehr Rücksicht täte uns allen ganz gut. Komm, Ute, auf den Schreck trinken wir erst mal einen!»

Irgendwie kam an diesem Abend nicht mehr so richtig Stimmung auf, aber wenigstens hatte die Titanic den Eisberg verfehlt. Ute ist nun mal ein ganz anderer Mensch als ich. Das hatte ich gleich bei ihrem Einzug in unser Haus festgestellt …

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1. Kurt-Schumacher-Straße 10

Ich wohne schon seit zehn Jahren in einem Mietshaus in der Kurt-Schumacher-Str. 10. Dieses Prachtdomizil stammt aus der Gründerzeit und hat vier verschwenderisch großzügig geschnittene Wohnungen, absurd hohe Decken, handgestanztes Eichenstabparkett und knarzende Ochsenbluttreppen in einem größenwahnsinnigen Treppenhaus. Es soll den legendären Fürst Pückler so beeindruckt haben, dass er nach dem ersten Besuch hier seine berühmte Eisbombe nur noch in der Remise im Hinterhof zu sich nehmen wollte. Stehend.

Ja, dieses Haus atmet Geschichte. Angeblich baute der alte Stahlbaron Krupp das Haus für seine heimliche Geliebte Elvira von Stetten. Diese wiederum starb später skandalumwittert und vereinsamt auf der Blumeninsel Mainau im schönen Bodensee an ihrer bedauerlicherweise zu spät diagnostizierten Pflanzenallergie. Ihr Nachlass, zu dem auch unsere Villa gehörte, floss in den nicht nur bei Hobbyköchen sehr beliebten Lacroix-Fonds. Dessen Hauptanteilseigner ließen das Haus dann vor zwanzig Jahren in vier Wohnungen aufteilen.

Der alte Krupp hatte also neben seinem berühmten Husten auch ein offenes Portemonnaie für seine jeweiligen Geliebten. Ich bin der Letzte, der ihm dafür Vorwürfe macht, denn ohne sein außereheliches Rappelfieber mit anschließender Betongoldspende könnte ich ja nicht in meiner Wohnung residieren.

Mein direkter Nachbar hier im ersten Stock ist Gerhard Storkenbeck. Gerd ist 55 Jahre alt, arbeitet bei der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost und ist die wahrscheinlich faulste Sau des Planeten. Seit dreißig Jahren geht er in seiner Dienststelle keiner erkennbaren Tätigkeit nach – außer Verdauen. Damit hat er die höchste Form des menschlichen Daseins erreicht: die Unkündbarkeit bei vollem Lohnausgleich. Einmal im Jahr fährt Gerd nach Gomera und kauft sich neue Batik-Klamotten, um seinem Ruf als Stilikone gerecht zu werden. Daher kennen ihn alle nur unter dem Namen «Gomera-Gerd».

Mit sozialen Kontakten hat er es nicht so, er spricht lieber mit seinen Pflanzen. Er hegt sie, er pflegt sie – er raucht sie. Und weil er permanent dauerstoned in seinem Hanfdschungel dahindämmert, ist ihm alles, also wirklich alles, komplett scheißegal. Aber wenn es drauf ankommt, dann ist er ein guter Kumpel und immer hilfsbereit. Gerd bereichert jedes Gespräch mit einem müden Kopfnicken und einem vernuschelten «Heftig, Alter!».

Unter Gerd wohnen Hajo und Kati Deutschmann, beide Anfang dreißig oder vielleicht Mitte vierzig, das ist schwer zu schätzen, mit Flöcki. Flöcki ist ein mieser Jack-Russell-Terrier und hauptberuflich Hooligan. Macht alles kaputt, beißt alles, was sich bewegt, und pinkelt überallhin. Auf den ersten Blick ein Hund, für Hajo und Kati ein Kind im Fellanzug, für mich einfach nur ein Riesenarschloch. Das Ehepaar Deutschmann lässt sich nur ungern hinter die Fassade gucken, aber daran haben die Leute in unserem Haus sowieso kein Interesse. Hajo ist allerdings der Gastgeber unserer legendären Männerrunde.

Diese Runde trifft sich traditionell auf seiner Terrasse, und zwar sooft es geht. Ich würde sagen, dass Männerrundengastgeber Hajos wahre Kernkompetenz ist. Kati ist ein heißer Feger, aber komplett psycho und unberechenbar. Deswegen lasse ich auch schön die Finger von ihr. Über Hajo und Kati lässt sich sonst nicht viel Gutes sagen, außer dass sie bei der Volksbank arbeiten und sich auch so benehmen.

In der Wohnung unter mir wohnte bis vor einem halben Jahr Essens Friseurlegende Helga Wachowiak, von allen ehrfürchtig nur «die Rundbürste» genannt. Keiner konnte «syltblond» gefärbte Strähnchen so akkurat über die Rundbürste ziehen wie Helga. Sie hatte als junger Feger mal eine heiße Affäre mit meinem Vater, bevor dieser meine Mutter heiratete. Vielleicht mag sie mich deshalb so gerne.

In ihrem vor einundvierzig Jahren eröffneten Salon «Vier Haareszeiten» gab sich die Essener Schickeria die Klinke in die Hand. Helgas Ruhm basierte im Wesentlichen auf einem Prominentenbesuch, und das kam so: Im schicksalhaften Spätherbst 1976 fand gegen den Riesenprotest des Bischofs von Essen die Premiere des Boulevardstücks «Die schwarzen Zofen des Rasputin» statt. Bei der restlichen Bevölkerung des Ruhrgebiets erfreute sich das Skandalstück großer Beliebtheit und war über Wochen komplett ausverkauft. Kein Wunder: Auf der Bühne stand alles, was damals Rang und Namen hatte.

Elisabeth Volkmann und Brigitte Mira mussten als schwarze Nymphomaninnen dem halbnackten, völlig enthemmten und durchgeknallten Rasputin, gespielt von Herbert Fux, zu Willen sein. In letzter Sekunde war es dem Intendanten gelungen, Dunja Rajter als wunderschöne, strahlend blonde Zarentochter Anastasia zu verpflichten. Ein Husarenstreich, ein Sensationscoup!

Dunja Rajter war damals aus den Winnetou-Filmen und durch ihre Ehe mit dem legendären Bandleader Les Humphries bekannt. Sie hatte Hits wie «Joschi war ein Zigeuner» und «Chiribi, chiriba, chiribu» gesungen. Mit einem Wort: Frau Rajter war heißer als Lady Gaga, Rihanna und Andrea Berg zusammen.

Das gesamte Ruhrgebiet stand kopf, die Presse überschlug sich vor Begeisterung. Die Sache hatte nur einen Haken: Frau Rajters prachtvolle Löwenmähne war so schwarz wie des Bischofs klerikale Seele. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion musste die rassige Schönheit von kroatischem Schwarz auf Petersburger Zarenblond umlackiert werden. Kein Fall für einen Feld-, Wald- und Wiesenfriseur. Man entschied, dass Helga das haarige Problem lösen sollte. Und noch bis zum Verkauf ihres allseits beliebten Salons vor fünf Jahren hing darin an prominenter Stelle ein Foto der etwas irritiert dreinblickenden Dunja Rajter, hinter ihr die strahlende Helga Wachowiak. Darunter prangte der selbstentworfene Werbespruch «Ein Traum wird Haar».

Mit 65 brach Helga alle Trockenhauben hinter sich ab, verkaufte den Salon und erfüllte sich ihren Lebenstraum: Sie zog nach Gran Canaria in die Sonne. Als ich sie und ihren verbeulten Rimowa-Alukoffer zum Düsseldorfer Flughafen fuhr, schluchzte sie: «Junge, wer kümmert sich jetzt bloß um deine Locken? Versprich mir, mich einmal im Jahr zu besuchen, damit ich weiß, dass ich auch wirklich nichts verpasse!» Ich versprach es ihr hoch und heilig. Dann verabschiedete ich mich hastig, damit sie mich nicht mit ihren Abschiedstränen ansteckte. Mensch, Helga. Tolle Frau, feiner Kerl.

Helgas Wohnung konnte allerdings nicht sofort weitervermietet werden. Zwanzig Jahre hatte sie täglich mehrere Packungen Marlboro Menthol ins Mauerwerk gehaucht. Nach einer gemeinsamen Besichtigung der leeren Wohnung brachte es Gomera-Gerd messerscharf auf den Punkt: «Heftig, Alter!»

 

Und dann zog Ute ein.

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2. Der Einzug

Es war ein goldener Oktobertag. Die morgendliche Herbstsonne strahlte mild und honigsüß durch die schon prachtvoll verfärbten Blätter der altehrwürdigen Kastanie vor unserem Haus. Der Herbst zeigte sich von seiner allerbesten Seite, ein letztes «Au revoir» des verrückten Sommers 2007. Ich schlenderte vom Kiosk nach Hause, eine große Tüte Brötchen und die neue Metal Hammer unterm Arm. Ich freute mich auf ein leckeres Frühstück mit Leberwurst und einer ordentlichen Portion dänischen Gurkensalats. Das alte Kopfsteinpflaster in unserer Straße schimmerte speckig, die Kastanienblätter leuchteten bunt, und ab und zu grüßte ich einen Rentner im Vorgarten.

«Morgen, Atze! Wat macht die Kunst? Alles palante?», rief der alte Kowalski. Ich nickte ihm zu und rief: «Willi, du alter Maulwurf, wat gräbste denn da unter … doch nicht deine Gerda?» Der Alte lachte und drohte mir spielerisch mit der Faust. Herrlich. Ich atmete tief durch und genoss die frische, klare Morgenluft.

Ich nahm mir vor, ein paar Tage die Beine hochzulegen. Und zwar die von Vanessa, Jackie oder dieser kleinen Wildkatze Mandy, die sich in meiner Garderobe nach dem letzten Open-Air-Auftritt im Hamburger Stadtpark so geschickt beim Öffnen meiner Jeans angestellt hatte. Ich fingerte das Handy aus der Hosentasche und wählte ihre Nummer. Nach langem Klingeln nahm sie endlich ab. Ich legte sofort los: «Hallo, meine kleine Moosrose, du Blüte meiner …» Weiter kam ich nicht. Eine abgrundtiefe Stimme bellte: «Ich mach dich kalt, du miese Ratte … Mandy, ist das der Typ?» Geschockt legte ich auf. Mein Gott, immer diese kleinkarierte Eifersucht! Warum schickt denn wohl die Pusteblume so viele Pollenfallschirme in die Natur? Natürlich um möglichst viele Löwenzahnfreundinnen zu beglücken. Na also. Tief betrübt über so viel Unverständnis tippte ich eine SMS an Vanessa. Aber außer «Ich liebe nur dich» fiel mir nichts ein, weil der Lärm in unserer Straße jeden klaren Gedanken verhinderte.

Was war denn da los? Vor unserem Haus stand mitten auf der Straße ein verbeulter Europcar-Sprinter, aus dem unter viel Getöse und Gestöhne Möbel und Umzugskisten gehievt wurden. Fasziniert blieb ich stehen und schaute zu. Das war vielleicht eine schräge Truppe! Vollbärtige Latzhosenträger und kaum besser rasierte Frauen in topmodischen Jutta-Ditfurth-Gedächtnisblusen mühten sich redlich, schwere Massivholzschränke in Helgas Marlborohöhle zu schleppen. Völlig konzeptlos, ohne Sinn und Verstand. Was für ein erbärmliches Spektakel!

Aber auch ein Bild für die Götter, denn der ganze Umzug wirkte wie die misslungene Hausbesetzung durch den Männerstrickclub «Rastafari Freies Wendland». Überall bemühte Sozialpädagogen, die schon mit dem Transport einer Yuccapalme von A nach B völlig überfordert waren. Ein Haufen linkshändiger Bananenbieger, die die Praxis nur aus der Theorie kannten. Für ein bisschen Stimmung in dieser müden Truppe sorgte Flöcki, Hajos und Katis hinterfotziger Terror-Jack-Russell. Kaum hatte die miese Töle einen der möbelschleppenden Basisdemokraten erblickt, stürzte sie sich mit wütendem Gekläffe auf ihr Opfer und verbiss sich in rasender Wut in dessen ausgelatschte Mephisto-Treter.

Zum Glück konnte ich Schlimmeres verhindern, denn als Flöcki mich auf das Haus zukommen sah, verzog er sich mit eingekniffenem Schwanz unter die kleine Vorgartenbank. Ich legte die Brötchentüte auf die Bank, setzte mich und schlug die Metal Hammer auf. Ich tat so, als läse ich Marilyn Mansons Schminktipps, und lünkerte dabei über den Heftrand, um mir auch ja kein Detail dieser Komödie entgehen zu lassen.

Eine gute Entscheidung, denn jetzt trat eine resolute, leicht schmerbäuchige Mittdreißigerin auf. Sie war zirka 1,72 Meter groß und hatte lange braun-blonde Haare, die sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Ihr Gesicht sah eigentlich ganz hübsch aus. Die Nase genau richtig – nicht zu groß, nicht zu spitz, nicht zu klein –, ein schöner Mund mit vollen, geschwungenen Lippen. Ihren Humor jedoch hatte sie offensichtlich in einer der zahlreichen nummerierten und derangierten Umzugskisten gelassen.

Der schnarrende Kasernenhofton und die leicht stalinistische Körpersprache ließen keinen Zweifel daran, wer in diesem Rudel Ökogurken der Chef an der Schüppe war. Als Madame mich eifrig lesend auf meinem Logenplatz erblickte, blaffte sie mich an: «Ist das Ihr Porsche da vorne? Der muss da weg!» Ich ließ die Zeitung sinken und schenkte ihr mein strahlendstes Lächeln. Meine Stimme tönte süß und charmant wie süffiger Portwein: «Auch ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen, Frau Honecker. Sie haben völlig recht, die Mauer muss weg! Und weil Sie mich so nett bitten, kann ich Ihnen diese Gefälligkeit natürlich nicht verwehren.»

Frau Honeckers Gesichtszüge entspannten sich, und ein Ausdruck von Verlegenheit schlich sich in ihren Blick.

«Oh, Entschuldigung, das war wohl etwas daneben. Das ist mir jetzt aber unangenehm. Ich sollte mich vielleicht erst mal vorstellen: Mein Name ist Ute Peymann. Ich bin die neue Mieterin. Verzeihen Sie bitte, aber ein Umzug in meinem Zustand, mit dem dicken Bauch, geht leider etwas an die Substanz.»

«Schon vergessen, Fräulein Ute! Das Problem kennen wir doch alle. Auch ich hab schon wieder vier Kilo zu viel auf der Hüfte. Schmeckt halt alles so gut. Kleiner Tipp: Einfach mal abends die Tafel Schokolade weglassen und stattdessen ’ne schöne Tüte Chips aufmachen!»

Sie grinste breit und konterte: «Ach, sind Sie auch schwanger?»

Ich blickte ihr direkt in die Augen und dachte krampfhaft über eine originelle Antwort nach. Sie wich meinem Blick nicht aus.

Zum Glück brachen wir dann aber beide in Lachen aus. Ich fuhr den Porsche weg, packte mal eben mit an, und trotz meiner wortgewaltigen Mithilfe war Utes Echtholzgerümpel bald an Ort und Stelle.

 

Als endlich die letzten Freunde gegangen waren, ließ sich das hochschwangere Muttertier in einen Sessel fallen und japste erschöpft in meine Richtung: «Sag mal, Herr neuer Nachbar, gibt’s hier irgendwo ’ne kleine Pizzeria für den großen Hunger?»

«Hömma, Prinzessin Doppelherz, wenn du versprichst, mich ab jetzt nur noch liebevoll Atze zu nennen, mach ich dir ’ne Pfanne von meinen legendären Bratkartoffeln. Handgeklöppelt, buttergebräunt und formvollendet in Landestracht serviert!»

Tatsächlich kam sie nach einer halben Stunde zu mir hoch. Erschöpft saß sie mit einem Malzbier am Küchentisch, sah mir beim Bratkartoffelnschmurgeln zu und fragte mich neugierig über den Rest unserer Hausgemeinschaft aus. Ich erzählte ihr das Notwendigste über ihre neuen Mitbewohner und versuchte meinerseits, ein bisschen mehr über sie zu erfahren.

Ute war Lehrerin und hatte hier in Essen an der Ilja-Rogoff-Waldorfschule einen Job angenommen. Ich hatte bis dato überhaupt nicht gewusst, dass es in Essen überhaupt eine Waldorfschule gibt – geschweige denn, was der Unterschied zu einer normalen Schule ist. Aber das wollte ich mir auf keinen Fall anmerken lassen, schon gar nicht während meiner schwierigen Brataktion.

«Und, was machst du so von Beruf?», fragte sie.

Ich war begeistert. Endlich mal jemand, der offensichtlich den Fernseher nicht benutzte! Mühsam versuchte ich ihr zu erklären, wer ich bin und was ich mache. Sie konnte es kaum glauben. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und hakte nach:

«Du trittst im Fernsehen auf? So richtig bei einer Sendung? Oder mehr so in Serien? Entschuldige, aber ich interessiere mich nicht fürs Fernsehen, und mit Comedy hatte ich bis jetzt auch nichts zu tun. Ja, kann sein, dass ich schon mal was von Atze Schröder gehört habe, aber …»

«Lass gut sein, Ute. Ist doch auch keksegal. Der eine interessiert sich für Autos, der andere für Kunst – und dann gibt es Gott sei Dank auch ein paar Menschen, die sich für meinen Beruf interessieren. Sonst könnte ich dir keine Bratkartoffeln servieren. Es gibt dänischen Gurkensalat dazu. Für mich ’n Pils, und für dich habe ich noch ein Malzbier, wenn du magst. Ich decke mal eben den Tisch, und dann gibt es ordentlich was auf die Gabel!»

Wir schmatzten und futterten, was die Pfanne hergab, und plauderten und lachten launig über Gott und die Welt. Nach zwei Stunden stellten wir beide fest, dass man unterschiedlicher als wir beide gar nicht sein konnte. Zum Nachtisch holte ich noch zwei dicke Magnum Mandel vom Kiosk, und danach hing der abgefütterte Babybunker satt und glücklich in meinem geliebten Fatboy-Deluxe-Sessel. Und als ich noch dachte: «Die krieg ich da nie wieder raus!», sagte Ute leicht verzweifelt: «Ich komme hier nie wieder raus!»

Ich lachte und half dem weichgewordenen Castorbehälter im Trainingsanzug mit ordentlich Schwung und Muskelschmalz wieder in die Senkrechte. Ich versprach ihr hoch und heilig, morgen alle Lampen und Bilder in ihrer Wohnung anzubringen.

Hätte ich geahnt, was ich mit meiner neuen Nachbarin und ihrem noch ungeborenen Kind erleben würde, hätte ich ihr wahrscheinlich auch nie aus dem Styroportrümmer rausgeholfen. Oder gerade.

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3. Französisch für Anfänger

Wenn es so etwas wie ein heiliges Ritual für mich gibt, dann ist es, täglich um 18.30 Uhr vor der Glotze zu sitzen und auf RTL die Sendung «Exclusiv» mit meiner Lieblingsschauspielerin Frauke Ludowig zu genießen. Keine kann einen Moderator so glaubwürdig nachspielen wie Frauke. Außerdem hat sie diese versteckte Erotik, die selbst ich bis zum heutigen Tage noch nicht entdeckt habe. Für mich ist diese Sendung der Gebetsteppich auf dem himmlischen Weg zum Boulevardmekka. Wo sonst erfährt man en détail, auf welchem Schulhof sich Lothar Matthäus wieder herumtreibt, wie viele Kilo Hirn Christine Neubauer bei ihren neuesten Diätabenteuern verloren hat und was Jogi Löw bei der Vorstellung seines neuen Intimdeos mit dem mystischen Namen «Jogi-Bär» alles über die Gepflogenheiten in der Umkleidekabine der deutschen Nationalelf preisgegeben hat! Keine Frage, diese Sendung darf kein mündiger und politisch interessierter Bürger auf die leichte Schulter nehmen – oder gar verpassen!

Ich saß entspannt vor dem Fernseher. Der Trainingsanzug saß perfekt, die gefütterten Crocs baumelten locker am Fuß, und der Kakao dampfte gemütlich in der Tasse. Mein RTL!

So nah waren Frauke und ich uns schon lange nicht mehr gewesen. Daher empfand ich das Klingeln an meiner Wohnungstür als rüde Unterbrechung unserer seligen Zweisamkeit.

Wütend stapfte ich zur Tür, um dem Störenfried die Hammelbeine langzuziehen, und blickte in das hanfgegerbte Gesicht meines Wohnungsnachbarn Gerd Storkenbeck alias Gomera-Gerd.

«Samma Storki» – nichts hasste er mehr, als wenn ich ihn Storki nannte –, «tickst du noch richtig? Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Was willst du?»

Er zog nur entschuldigend die Schultern hoch, zeigte mit dem Daumen hinter sich, wo Hajo und Kati schon warteten, und schlurfte in mein Wohnzimmer: «Keine Ahnung, wat die alle von uns wollen! Heftig, Alter.» Während ich noch darüber nachdachte, welche Hirnwindung bei Gerd jetzt wieder am Verharzen war, standen schon Hajo und Kati im Türrahmen. Ich war entsetzt: «Ich glaub, es hackt! Wird das jetzt hier ’ne inoffizielle Mieterversammlung? Dann müssen wir noch Ute holen, sonst sind wir nicht komplett!»

«Ach?», versetzte Kati leicht angeschnibbelt. «Seid ihr schon beim Du? Das ging ja fix!»

«Ich bin halt ’n freundlicher Mensch, Frau Gräfin Etepetete. Darf ich denn mal erfahren, warum ihr stört?»

Mit einem Anflug von Panik sah ich zu, wie es sich die drei Eindringlinge auf meinem Sofa bequem machten. Gerd verleibte sich in einer seiner berüchtigten Fressattacken meinen Gurkensalat ein und murmelte dabei: «Dänischer Gurkensalat! Heftig, Alter! Hast du noch ’n bisschen Senf für die Leberwurst? Am besten süßen. Schön heftig.»

«Sicher, Gerd, kein Thema, soll ich dich vielleicht beim Kauen massieren? Und die anderen, was darf es denn für euch sein? Ich hol euch sogar noch Strohhalme für meinen Kakao, wenn ihr mir endlich verratet, was ihr eigentlich von mir wollt!»

Sofort legte Kati in ihrer Eigenschaft als Sprecherin der kleinen Terrorzelle los: «Ich gehe mal schwer davon aus, dass du ebenfalls von Frau Peymann die Einladung zu ihrer Wohnungseinweihungsparty bekommen hast. Sicher hast du auch schon eine genaue Vorstellung davon, was wir unserer neuen Mitbewohnerin schenken können!»

Wir drei Männer starrten Kati verständnislos an. Der Sinn der Geschenkefrage wollte sich uns einfach nicht erschließen. Als Mann bringt man zu einer Party etwas mit, das wegmuss. Ich dachte nach. Vielleicht die Flasche Danziger Goldwasser, die ich im Zivildienst vom alten Lewandowski bekommen hatte, weil ich ihm todschicke Weißwandreifen auf die 20er-Felgen seines frisierten Elektrorollstuhls gezogen hatte? Oder das alte 175-teilige «Dalli Dalli»-Puzzle, das Hans Rosenthal bei seinem kultigen «Sie sind der Meinung, das war spitze»-Sprung vor der Wabenwandkulisse zeigte? Oder die noch originalverpackte VHS-Videoedition «Ernst Huberty präsentiert die deutschen Weltmeistertrainer 1954 bis 1990 aus Sicht des DFB» – ein Topgeschenk! Informativ, unterhaltsam, darf in keinem Haushalt fehlen.

«Tja, Kati, was meinst du denn? Du hast doch immer so einen guten Geschmack!» – So brachte uns Hajo wortgewaltig und souverän aus der Gefahrenzone. Und richtig, sofort sprudelte es aus Kniggefibel Kati heraus: «Die Sache ist ganz klar. Ich kaufe morgen bei H & M einen kleinen Babystrampler, und dazu legen wir einen Gutschein vom Happy Babymarkt! So was kann eine junge Mutter immer gebrauchen.»

Während ich noch überlegte, warum – wenn doch alles so klar und einfach war – sie mir dann mit so einem trivialen Kokolores auf den Sack ging und ich mein heiliges «Exclusiv»-Ritual ausfallen lassen musste, setzte Madame schon wieder nach.

«Weiß man eigentlich, wer der Vater ist? Habt ihr gesehen, wer ihr beim Umzug alles auf den Bauch getatscht hat? Vielleicht weiß sie es ja auch selber nicht! Das ist ja ganz oft so bei diesen Öko-Lesben. Lassen sich emotionslos von irgendeinem Zottel besamen, und am Ende hat der arme Wurm keinen Vater und zwei Mütter! Ich bin ja wirklich sehr, sehr tolerant, aber wo kommen wir denn da hin?»

Mein Skrotum zog sich auf Erbsengröße zusammen. Kati und Toleranz – zwei Begriffe, die ich in meinem Leben so noch nicht verknüpft hatte. Vielleicht hatte ich ja letztes Jahr nicht richtig zugehört, als sie auf unserem Straßenfest lautstark forderte, man solle allen Parksündern die Reifen aufschlitzen und in die Füße schießen … oder umgekehrt, ich weiß es nicht mehr so genau. Was ich allerdings weiß, ist: Sobald diese Frau mehr als zwei Aperol Spritz intus hat, verwandelt sie sich in das gute Gewissen eines afrikanischen Diktators. Darüber hinaus hat Alkohol fatale Auswirkungen auf ihre Libido. Nach zwei oder drei Gläschen mutiert die ach so gesittete Kati zum liebestollen Mannsweib, das selbst King Kong die mächtige Affenknute laminieren würde. Bei unseren jährlichen Straßenfesten liefen immer hochdotierte Wetten, wer Opfer ihres nächsten triebhaften Angriffes sein würde. Ihre Kaltschnäuzigkeit steigerte sich dabei analog zum Promillewert. Unvergessen jener Sommer 2005, als Gomera-Gerd sich neues Dope aus seinem «Kartoffelkeller» holen wollte. Kati war ihm heimlich nachgeschlichen, und ehe Gerd auch nur «Heftig, Alter!» sagen konnte, lag er schon rücklings zwischen den Kartoffeln und wurde mit brutalem Schenkeldruck zuschanden geritten. Dabei schrie sie ununterbrochen: «Lass mich los, du Hengst!», und schlug ihm nach jedem dritten Satz mit der flachen Hand schallend ins Gesicht. Davon hat sich Gerd bis heute nicht erholt. Seitdem hat er Angst vor Pferden und kriegt keine Kartoffeln mehr durch den Hals, nicht mal gepellt als Salat.

In unserer Nachbarschaft wurde die dunkle Seite der Kati Deutschmann hinter ihrem Rücken ausgiebig diskutiert, vor Hajo jedoch galant verschwiegen. Bis heute sind wir uns nicht einig, ob Hajo von den alkoholisierten Hormonattacken seiner Gattin weiß. Oder sie gar gezielt fördert. Ich persönlich glaube, dass er Initiator des ganzen Theaters ist, weil er – wie er mir mal im Vertrauen steckte – sich aus «Sex und solchem Kram» nichts macht. Seine ganze Liebe gilt Flöcki und dem Palisanderschreibtisch in der Volksbank. Soll Kati doch ruhig als durchtriebene Libido-Woman die Nachbarschaft aufmischen, solange er nur seine Ruhe hat. Nur der Ordnung halber möchte ich darauf hinweisen, dass Kati bei den Frauen im Viertel so beliebt ist wie ’ne Königskobra im Streichelzoo.

Frau Siebermann aus der Bäckerei, ein zuverlässiger Multiplikator, wenn es darum geht, böswillige Halbwahrheiten unters Volk zu bringen, erzählte mir – und selbstverständlich auch allen anderen – unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Kati hinterm Rücken von den Frauen nur «T€DI» genannt wird, weil sie einfach nur billig ist.

Diese Kati saß also bei mir im Wohnzimmer, dozierte über gutes Benehmen und gewährte uns ungefragt Einsicht in das abenteuerliche Leben angeblicher Öko-Lesben.

«Also, Kati, sollen wir Ute jetzt den Strampler mit Gutschein schenken oder nicht?», fragte Hajo devot nach.

«Ja natürlich, ich hab die Sachen doch schon letzte Woche gekauft!»

Ich murmelte resigniert: «Super, Kati, gut gemacht. Und warum sitzt ihr dann jetzt hier bei mir?»

«Ja Mensch, so was muss doch besprochen werden! Und außerdem krieg ich von jedem noch fünfzig Euro!»

In Sekunden lag die Kohle auf dem Tisch.

«Also pünktlich um 20.30 Uhr am Samstag, bei Ute vor der Tür», sagte sie noch, bevor sie gingen.

 

Am Tag der Party stand ich wie verabredet pünktlich um 22.45 Uhr vor Utes Tür. Von den anderen natürlich keine Spur. Immer dasselbe. Ich wollte gerade klingeln, da entdeckte ich den Zettel an der Tür: Ist offen, kommt rein! Mit geübtem Blick erfasste mein Terminatorauge etwa vierzig Gäste, inklusive meiner Nachbarn. Amy Winehouse tönte aus den Lautsprecherboxen, in der Küche gab es Fingerfood und bei den Getränken die üblichen Verdächtigen: Prosecco, «Hugo», Weinschorle und, fertig gemixt in Dosen: Aperol Spritz! Ach du Scheiße!!! Wo war Kati? Während mein Blick noch panisch umherschweifte und ich angstbesessen nach T€DI, der tickenden Sexbombe, Ausschau hielt, empfing mich Ute freudestrahlend und bedankte sich für den schicken Strampler und den großzügigen Gutschein.

«Mensch, Ute, da bin ich aber heilfroh, dass ich mich da durchgesetzt habe. Wenn du wüsstest, was die anderen dir für ’n Scheiß schenken wollten!»

Amüsiert schmunzelte sie: «Komisch. Dasselbe hat Kati eben auch gesagt! Hab viel Spaß und keine Angst, ich hab nur nette Leute eingeladen! Bier steht auf dem Balkon!»

Und schon war sie wieder weg und begrüßte ein paar schwäbische Gäste mit Wolfgang-Thierse-Gedächtnisbart, von denen ihr zwei beim Umzug geholfen hatten. Auf dem Balkon standen die Raucher, allen voran natürlich Graf Ganja persönlich, unser Gomera-Gerd. Der Kiffminister aus der Kurt-Schumacher-Straße war ganz in seinem Element und diskutierte, probierte, goutierte verschiedenste Gräser und Harze. Das Gespräch hatte ein schwer internationales Flair: Roter Libanese, Grüner Marokkaner, Schwarzer Afghane. Toll, diese Fachkenntnis. Aber Leute, machen wir uns nichts vor, es gibt nichts Schlimmeres, als völlig bekifften Typen stocknüchtern zuzuhören. Also griff ich mir schnell ’ne Flasche Bier.

Ich stand noch nicht ganz im Wohnzimmer, als meine treuen Augen eine absolute Traumfrau erblickten. Etwas so Schönes hatte ich seit meinem großen T-Shirt-Einkauf bei Peek & Cloppenburg am letzten Samstag nicht mehr gesehen. Was hatte ich in dem Laden nicht alles angestellt, um diese süße Verkäuferin in meine vermaledeite Umkleidekabine zu lotsen? Kein Trick war mir zu billig: «Gucken Sie mal, muss die Unterhose so eng sitzen? Können Sie mir mal das Hemd aufknöpfen? Ich hab so kalte Finger! Würden Sie mich bitte nach Hause fahren, ich glaub, ich muss sofort ins Bett … und Sie sind ja auch schon ganz blass!»

Nix ging, mein Begehren wurde nicht erhört. Aber was ich jetzt hier auf der Party erblickte, war nicht Herrenoberbekleidung, sondern definitiv Champions League. Internationales Parkett, edelblütiger Hormonadel, auf der Skala von eins bis zehn eine satte Zwölf! Ich war augenblicklich derartig scharf – mein Betriebssystem bekam für einige Sekunden weiche Knie, und ich verfluchte meine angeborene Schüchternheit.

Als ich das Blut durch reine Willenskraft wieder nach oben zurückgepumpt und meinem Großhirn wieder die Befehlsgewalt erteilt hatte, schwor ich mir, es diesmal besser zu machen. Bei einem so edlen Geschöpf konnte man auf keinen Fall mit einem doppelten Hornbacher einsteigen. Hier waren eindeutig die Präzision und handwerkliche Finesse eines Schweizer Uhrmachermeisters gefragt, Stilsicherheit gepaart mit der Coolness eines Mannes von Welt. Hier galt es, mit einem sowohl gerührten als auch geschüttelten Wodka Martini in der Hand eine Nuklearbombe kontrolliert zur Explosion zu bringen. In solch prekären Momenten zählt alles – jeder Wimpernschlag, jede Silbe, auch die Körpersprache. Die kleinste Handbewegung entscheidet über Leben und Tod, über die multiple Ausschüttung aller Endorphine des begehrten Zielobjekts.

Ich bewegte mich also mit der zeitlosen Eleganz eines gelangweilten sibirischen Königstigers durch Utes Wohnzimmer, entsorgte beiläufig meine volle Flasche Bier im Zierfischaquarium und nahm zwei gefüllte Prosecco-Gläser vom Sideboard mit auf die Mission «Traumfrau».

«Entschuldigung, kannst du mal bitte auf meine Uhr gucken, sonst verplempere ich hier noch deinen kostbaren Schaumwein!»

Ihr spontanes Lachen brachte mich fast um den Verstand. Falls ihr Plan für den heutigen Abend lautete, einen hochattraktiven Mann in den unkontrollierten Wahnsinn zu treiben, konnte sie jetzt aufhören. Makellos weiße Zähne, wie von Dr. Best gemalt, dazu ein vorwitziges Zungenpiercing. Schwarzes Haar, das wie Klavierlack glänzend über ihre Schultern floss. Das verblichene «Fruit of the Loom»-Shirt, das mindestens eineinhalb Nummern zu eng war und charmant ihre neckische Babyspeckrolle umspielte. Der BH war zum Platzen gefüllt mit ihren reifen Pfirsichen. Wie zufällig berührte sie mit ihren scharfen, rot lackierten und strassbeklebten Nägeln meine Hand, als sie mir ungeduldig das Prosecco-Glas aus der Hand nahm.

«Parlez-vouz français, mon cher?», hauchte mir ihre eindeutig französische Stimme entgegen. Auweia! Französin! Ich musste meinen genialen Plan im Bruchteil einer Sekunde aktualisieren. Wie gut, dass meine Mutter immer Mireille Matthieu gehört hatte, wenn auch nur auf Deutsch. Also flötete ich mit spitzbübischem Grinsen: «Oh Pardon, sind Sie der Spatz von Avignon?»

Sie wieherte wie ein Pferd und schüttete mir die Hälfte ihres Proseccos über die Hose. «Oh, là, là», sagte sie scheinheilig, «jetz’ iest die schöne ’ose nass! Was machen wier denn da? Soll isch sie trocken pusten?»

Klick-klack! Zwei lustgesteuerte Betriebssysteme verlinkten sich miteinander. Gierig, schamlos und unauffällig auffällig zog sie mich an meinem AC/DC-Gürtel in das Zimmer nebenan. Rums! fiel die Tür zu, und ihre Hand glitt ins Feingerippte. Akribisch genau und äußerst detailverliebt zelebrierte sie dort ein Billardturnier auf engstem Raum. Und zwar auf internationalem Niveau. Eine Welle der Lust überflutete meine Synapsen, während sie die schwarze Acht mit meinem Queue über die Bande versenkte. Sie keuchte vor Verlangen … sie stammelte Worte ohne Zusammenhang … der Kessel stand kurz vor der Explosion … sämtliche Torpedos waren abschussbereit im Schacht …

Und dann kam Ute.

Entsetzt und beinahe sogar etwas feindselig starrte sie uns an: «Was gibt das denn hier?»

«Ach Ute, wie gut, dass du kommst! Gerade noch rechtzeitig! Hier hätte ja Gott weiß was passieren können!»

«Sag mal, tickst du noch ganz richtig? Hier im Kinderzimmer mit meiner Freundin rumzufummeln?»

«Na, meinst du etwa, mir hätte das Spaß gemacht? Gut, dass ich einen kühlen Kopf bewahrt habe. Das hätte auch ganz leicht aus dem Ruder laufen können! Jetzt aber alle raus hier. Etwas mehr Rücksicht täte uns allen ganz gut. Komm, Ute, auf den Schreck trinken wir erst mal einen!»

Ute verschwand wortlos in der Küche. Ich hinterher. «Mensch, Ute, versteh mich doch auch mal. Was sollte ich denn machen? Die ist Französin! Ich weiß noch nicht mal, wie die heißt! Ich dachte, die wollte mir die Flecken aus der Hose waschen!»

«Jetzt hör auf, so dumm herumzuschwafeln. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Und ich hab gedacht, dass es nicht stimmt, was die Leute so über dich erzählen. Da klimpert Sylvie mal kurz mit ihren französischen Augen, und du eitler Bock schmeißt das Bier ins Aquarium und parkst das Hirn im Sanitärbereich. Wie peinlich ist das denn? Ich bin total enttäuscht.»

«Du hast ja recht, Ute, ich hab Mist gebaut. Tut mir leid. Es kommt nicht wieder vor, versprochen! Ehrlich.»

 

Ich bin es gewohnt, dass die eine oder andere Frau hin und wieder sauer auf mich ist. Und um ehrlich zu sein, kann ich nicht behaupten, dass mich das jemals um den Schlaf gebracht hätte. Umso erstaunter stellte ich fest: Diesmal war es anders. Es machte mir etwas aus. Und zwar ganz gewaltig. Ausgerechnet vor Ute musste mir mein testosterondurchtränktes Hirn einen solchen Streich spielen! Sie war so anders als alle Frauen, mit denen ich sonst zu tun hatte. Irgendwie wollte ich nicht, dass sie mich als Hallodri sah. Grün vor Ärger stapfte ich zu Gomera-Gerd und seinen Reggaefreunden auf den Balkon. Haile Selassie, da war aber dicke Luft auf Klein-Jamaika! Ich riss Gerd seine dickste Bong aus den Händen und zog das Ding mit einem Zug weg. Vollabschuss. Mir traten die Augen weit aus dem Kopf. Entsetzte Gesichter in der Kiffertruppe. Nur Gerd hatte verstanden, klopfte mir mitfühlend auf die Schulter und hustete trocken: «Heftig, Alter!»

Ich würde jetzt gerne von bunten Farben und lieblichen Elfen erzählen, die ich auf meinem wundervollen Trip gesehen habe. Aber die Wahrheit ist: Ich weiß von nichts mehr. Am frühen Morgen erwachte ich mit einem Riesenschädel vor meinem eigenen Bett. Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass Sylvie von Kati ins Badezimmer gezogen wurde und Hajo verzweifelt versuchte, einen der Zierfische aus meiner halbvollen Bierflasche an Flöcki zu verfüttern. Sah so aus, als wäre es für alle eine tolle Party gewesen. Außer für mich.

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4. Der Racheengel

Und wie es so oft ist im Leben: Erst kam der Herbst und dann der Winter. Meinen Fauxpas auf der Einweihungsparty hatte Ute mir nicht lange krummgenommen. Wir schwiegen die Angelegenheit konsequent tot. Sylvie war eigentlich auch kein Thema mehr, nachdem wir bei einem diskreten Kurzurlaub in Avignon alle Sehenswürdigkeiten der Stadt in ihrem lauwarmen Wasserbett penibel nachgestellt hatten, inklusive der berühmten Brücke von Avignon. Frankreich ist doch größer, als man denkt.

 

Utes Bauch wurde dicker und dicker. Darüber hinaus nahm die werdende Mutter dankbar jede Hilfe von mir an. Ab und zu mal einen Kasten Wasser reintragen oder ihr Fahrrad aus dem Keller holen, wie das so ist unter Nachbarn und Freunden. Ich hatte mir angewöhnt, Ute nach ihrem Schuldienst mit einer Tasse Milchkaffee und einem ofenfrischen Croissant zu verwöhnen, wann immer ich zu Hause war. Wir machten es uns in meiner Küche gemütlich und plauderten über unsere unterschiedlichen Welten – sie über ihren Ärger als Lehrerin in der Waldorfschule, ich über meinen Ärger mit übereifrigen Redakteuren irgendwelcher angeblich überlebenswichtiger TV-Shows – und natürlich vor allem über ihre Schwangerschaft. Ich war selbstverständlich der erste Abnehmer der jeweils aktuellen Ultraschallbilder. Während sie mit fortschreitender Schwangerschaft immer verzückter auf angebliche Details wie Ärmchen, Beinchen, Ohren und Nase zeigte, blieben die schwarzweißen Polaroids für mich wie Satellitenfotos aus dem Golfkrieg. Hätte ich allerdings niemals zugegeben. Ich freute mich stattdessen lieber mit ihr und beendete jede unserer gemütlichen Kaffeerunden mit der Frage, die mich am meisten beschäftigte: «Komm, Ute», fragte ich, «Butter bei die Fische, jetzt mal nur unter uns Gebetsschwestern … mir kannste’s doch sagen … wer ist der Vater?»

Darauf antwortete sie jedes Mal grinsend: «Rate mal!»

Um sie aus der Reserve zu locken und das Muttertier bei Laune zu halten, präsentierte ich ihr immer ein anderes Schnäppchen aus dem Promi-Regal:

Calli Calmund – Fleisch ist ein Stück Lebenskraft.

Bülent Ceylan – L’Oréal. Weil ich es mir wert bin.

Harald Glööckler – hatte sich was einfrieren lassen.

Udo Jürgens – durch San Francisco in zerrissenen Jeans.

Lothar Matthäus – wollte es auch mal mit ’ner Oma probieren.

Christian Wulff – weil der doch jetzt keinen Beruf mehr hat.

Johannes B. Kerner – Mitleid.

Ute lachte sich jedes Mal halb schimmelig über meine abstrusen Theorien. Als sie mir irgendwann unvermittelt mitteilte, dass es sich beim Erzeuger des Kindes um einen gewissen Thorsten handelte, der in Hamburg wohnte, hielt ich das erst nur für ein Ablenkungsmanöver. Aber dann merkte ich, dass sie es ernst meinte und dass sie über diesen Typen nicht sprechen wollte. Er spiele in ihrem Leben keine Rolle mehr, sagte sie. Also respektierte ich ihren Wunsch.

 

Eines Tages stand ich erwartungsfroh mit meinem Kaffee am Fenster und wartete ungeduldig auf Utes Heimkehr aus dem Waldorf-Astoria. So nannte ich die Ilja-Rogoff-Waldorfschule, an der Ute als Lehrerin für die Oberstufe unterrichtete.

Am besten gefielen mir die Geschichten über ihren Schulleiter Jürgen Brostek, einen verstrahlten Pädagogen mit dem Unterhaltungswert einer akuten Nagelbettvereiterung, der mit beflissenem Eifer Rudolf Steiners anthroposophischen Waldorfsalat als allein glücklich machende Doktrin durchpeitschte. Da passten alle Klischees: Namentanzen, Nackttöpfern, das Gartenabitur mit Echtmooszertifikat – nichts war ihm absurd genug. Im Prinzip war dieser Brostek so eine Art altmodischer, aber ökologischer Kim Jong-un – mit dem kleinen Unterschied, dass es in Nordkorea wahrscheinlich mehr zu lachen gibt. Eins musste man ihm aber lassen: Nerven hatte er!