Und die Dornen spür ich heute noch - Natascha Bergvolk - E-Book

Und die Dornen spür ich heute noch E-Book

Natascha Bergvolk

4,8

Beschreibung

Sylvia erlebt ihre Lebensgeschichte beim Schreiben noch einmal hautnah. Besonders betroffen macht sie, dass sie scheinbar kein Glück bei dem anderen Geschlecht hat. Als sie sich bei ihrem leiblichen Vater darüber beschwert, sagt dieser ganz erschrocken: „Aber Kind so kannst du nicht denken, du bist ein Kind der Liebe. Wir haben dich unter Rosen gezeugt." Ihre Antwort darauf, traf ihn schmerzlich. Sylvia laufen Tränen über die Wangen und sie sagt: „Ja und die Dornen spüre ich heute noch." Die junge Frau ist überzeugt, dass sie gestraft wird für die Fehler ihrer Eltern. Das Fiese daran ist, sie kennt diese Menschen gar nicht richtig.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vera und Arno

Sylvia muss ihren eigenen Weg gehen

Sylvia muss in die Schule

Auf dem Weg des Erwachsenwerdens

Das Eheleben von Sylvia

Ein neuer Anfang

Sylvias erste Tochter Marie

Sylvias zweite Tochter Gabi

Der neue Mann

Die Eltern

Sylvias dritte Tochter Anita

Hardy kommt mit seinem Leben nicht mehr klar

Der Neuanfang

Das neue Haus

Die Großfamilie

Sylvia wird Oma

Das Geschenk

Die Familie zerbricht

Vorwort

Sylvia erlebt ihre Lebensgeschichte rückwirkend noch einmal. Sie träumt vor sich hin und erkennt: „Es ist schon bemerkenswert, an was man sich erinnert, wenn man die eigene Vergangenheit betrachtet.“

Wenn sie heute ihr Leben überdenkt, hat sie immer wieder sehr viel Glück gehabt. Irgendwie schaffte Sylvia es stets ihren Weg zu gehen.

Sie hat von ihrer Mami gelernt: „Glaube an Gott, an dich selbst, an die eigene und an die von oben gegebene Kraft. Liebe dich selbst, nur dann kannst du andere lieben und auch Liebe empfangen.“

Und irgendwelche Dornen und Stacheln aus dem Erbgut trägt jeder mit sich herum. Die Wahrheit ist, man bekommt nicht mehr auf das Kreuz gebunden, als man tragen kann.

Sie sagt laut vor sich hin: „Ich gebe niemals auf. Ich falle immer wieder auf die Füße. Was bringt mir der neue Tag? Ich bin gespannt auf jede Stunde. Egal was kommt - so und nicht anders muss ich, darf ich leben. Es ist mein Leben, ein anderes gibt es für mich nicht.“

Vera und Arno

Es ist Nachkriegszeit, eine sehr harte Zeit, ohne Frage für jedermann. Vera will insgeheim fort von zu Hause und bekommt auch ihre Chance.

Sie steht ihrem Vater gegenüber. Mit Zorn im Blick erklärt er Vera, sie muss ausziehen, sie soll endlich gehen. Vera ist entsetzt. Wohin kann sie gehen? Warum das alles? Sie ist es doch, die hier alles zusammenhält. Sie hilft ihrer Schwester bei den Kindern, bei der Wäsche, beim Kochen. Die anderen Geschwister hat er schon aus der Wohnung geworfen und nun auch noch sie? Warum?

„Vater“, bittet Vera, „darf ich mir wenigstens noch eine Arbeit und eine Bleibe suchen?“

Zitternd vor Zorn brüllt er: „Aber nicht zu lange! Sieh zu, dass du so schnell wie möglich das Haus verlässt! Hier ist kein Platz für dich – geh, geh mir aus den Augen!“ Er geht und wirft die Tür mit lautem Knall zu.

Vera ist entsetzt - sprachlos -, verwirrt und unendlich traurig. Sie atmet tief durch und wird langsam ruhiger.

Die Überlegung, zum Arbeitsamt zu gehen, wird sofort in die Tat umgesetzt. Ob die mir wohl helfen können?, fragt sich Vera auf dem Weg dorthin.

Immer wieder schleichen sich Gedanken über ihren Vater bei ihr ein. Was ist nur in den Mann gefahren? Hysterisch und grob benimmt er sich den Kindern gegenüber. Dass er Vera nun auch noch rausschmeißt, damit konnte sie nicht rechnen. Sicher überlegte Vera nach manch einer Auseinandersetzung schon mal einfach zu gehen. Doch sie fühlt sich verantwortlich für so vieles hier und nun das.

Die Frau vom Amt bittet Vera sich zu setzen. „Hier, Fräulein, ich hätte etwas für Sie. Es ist zwar weit fort, aber ganz sicher eine dankbare Aufgabe. Eine alte Dame sucht ganz dringend jemanden, der ihr zur Seite steht bei den alltäglichen Aufgaben im Haushalt.“

Vera überlegt. Hab ich eine andere Chance?

Schließlich nimmt sie die Stelle an. Sie bekommt die Auflage, sich so schnell wie möglich auf den Weg machen. Zweihundert Kilometer entfernt wird sie bereits erwartet.

Na wenn das gut geht - und hier, wie soll es hier weitergehen ohne sie? Sie, die alles für alle erledigt hat? Noch einmal geht Vera nach Hause. Tränen laufen ihr über die Wangen. Nun heißt es Koffer packen, Fahrkarte kaufen und Abschied nehmen. Verabschieden von all ihren Lieben, ihrer Kindheit, ihrer Jugend. Noch einmal will sie zum Grab ihrer Mutter, die sie nicht gekannt hat. Da ist auch das Grab der Stiefmutter, auch sie soll noch einen letzten Blick bekommen.

Nun nimmt sie den Koffer und geht zum Bahnhof. Hier sind Menschen, die sie kennt. Wie gelähmt ist Vera, als eine Frau ihr erzählt: „Die Kinder deiner Schwester, das sind auch die Kinder deines Vaters.“

Nein … nein … das kann nicht möglich sein! Weinend setzt sich Vera auf eine Bank. Sie schließt die Augen und überlegt: So was gibt es doch nicht. Mein Vater ist kein angenehmer Mensch, das weiß ich. Aber das glaub ich von ihm nicht.

Vera steht auf und geht nochmals auf die Frau zu: „Kannst du mir sagen, wer solche Verleumdungen aufbringt?“

Die Antwort kommt spontan: „Mädchen, das weiß doch hier jeder. Das zwitschern die Vögel schon von den Dächern.“

Beschämt von der Antwort dreht sich Vera um und denkt: Fort, nur fort von hier! Egal was kommt, egal wie es sein wird, alles ist besser als die Schande zu Hause.

Nun wird ihr auch klar, weshalb die Kinder ihrer Schwester behindert sind. Es ist nicht zu fassen, ihre Neffen und Nichten - gezeugt von dem Großvater, der gleichzeitig der leibliche Vater dieser Kinder ist. Das sind doch auch meine Geschwister. Sie mag nicht mehr daran denken. So eine Blamage! Und der Vater – was hat er sich nur dabei gedacht?

Die junge Frau fährt los in einen neuen Lebensabschnitt mit Zukunft, mit ganz viel Zukunft. Das wünscht und hofft sich Vera so sehr.

Während sie noch voller Abschiedsschmerz in ihrem Eisenbahnabteil sitzt, überlegt sie, was ihr der Tag wohl noch bringen mag? Wie wird ihre neue Arbeit sein? Einen Haushalt führen bei einer alten Dame. Wie wird sie aufgenommen werden? Werden sich die beiden Frauen verstehen?

Viele Gedanken gehen Vera, der zweiundzwanzigjährigen Frau durch den Kopf. Was wird aus dem Vater werden? Wie wird es den neuen Geschwistern ergehen? Sie sind doch um viele Jahre jünger als sie. In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen diese Kinder zu Vera? Sind das nun ihre Geschwister? Oder ist sie doch die Tante? Werden diese Kinder auch ihren Weg finden, so wie sie ihren Weg zu finden hofft?

Der Zug hält. Vom Bahnhoflautsprecher hört man eine Stimme: „Würzburg – bitte aussteigen!“

Dieser Teil wäre geschafft. Nun muss Vera noch die Adresse finden. Sie fragt sich bei einigen Passanten durch und endlich steht sie erschöpft mit dem wenigen Gepäck vor der Eingangstür. Das Herz klopft ihr bis in die Haarspitzen – sie muss sich jetzt überwinden.

Vera klingelt. Geschafft!

Die Haustür wird aufgemacht. Eine ältere Dame tritt lächelnd in den Eingangsbereich. Vera wird freundlich begrüßt und in die Wohnung zu einem Gespräch gebeten. Sie hat gerade noch genügend Zeit sich umzusehen, da wird sie aufgefordert, sich doch zu setzen.

Bei einer Tasse Tee wird die Atmosphäre lockerer. Vera ist froh, das scheint eine sehr warmherzige Frau zu sein. Mit ihr wird sie nun in Zukunft zusammenleben.

Endlich stellt sich die ältere Dame vor. „Junge Frau, wir werden es hoffentlich länger miteinander zu tun bekommen, wenn es recht ist, sage ich du zu dir. Und mich rufst du am Besten einfach Oma.“

Ein schönes Zimmer wird Vera zugewiesen. Sie schaut aus dem Fenster und sieht ein großes Schwimmbad. Noch schnell den Koffer auspacken, nun wird es aber Zeit ins Bett zu gehen.

Am nächsten Morgen bei Dienstbeginn bekommt Vera gezeigt, was von ihr erwartet wird. Diese Arbeit ist der jungen Frau nicht fremd, es läuft gut. Sie wird nett und freundlich aufgenommen und ihre Arbeit mit viel Lob versehen.

Die Abende sind recht einsam in der fremden Stadt. Sonntag Nachmittag, Vera geht ein wenig spazieren. Würzburg will sie sich ansehen.

In der Innenstadt sieht sie schon von Weitem ein paar Soldaten in ihre Richtung gehen. Als sie das junge Mädchen sehen, kommen Pfiffe und lautes Lachen dringt an Veras Ohren. Auf gleicher Höhe angekommen, wird sie von den Männern angesprochen. Mit hochrotem Kopf bleibt sie stehen. Sie versteht kein Wort. An der Uniform erkennt sie dann - das sind Amerikaner. Die jungen Männer merken nun auch, dass sie nicht die gleiche Sprache sprechen, und gehen weiter.

Nur einer nicht. Er bleibt stehen und sagt in deutscher Sprache: „Na, junge Frau - so alleine an diesem schönen Ort?“

Vera sieht dem jungen Mann ins Gesicht und staunt. Das hat sie jetzt nicht erwartet. Ein blonder Mann mit einem Wiener Dialekt in einer amerikanischen Uniform.

Er stellt sich vor: „Ich bin Arno. Darf ich Sie ein Stück begleiten?“

„Ja“, sagt die junge Frau, „Na klar, wenn Sie nichts Besseres zu tun haben?“

Man kommt ins Plaudern. „Ich heiße Vera und bin erst seit ein paar Wochen hier.“

Arno erzählt: „Ein halbes Jahr noch und dann bin ich fertig mit dem Militärdienst.“

„Ja so etwas“, meint Sylvia. „Was wird es dann geben?“

„Mal sehen“, lacht er, „mal sehen.“

Als es Zeit wird für Vera zu gehen, verabredet man sich. Ja, den sympathischen Mann will sie gerne wiedersehen. Ganz langsam und in Gedanken versunken geht Vera nach Hause. Blaue Augen hat Arno und blonde Haare. Ein ganz bezauberndes Lächeln, ja das Lächeln steht vor ihren Augen. Einen so warmen Blick hat sie schon lange, lange Zeit nicht mehr bekommen. Und außerdem der Dialekt, - wow - das ist schon jetzt etwas ganz Besonderes für sie.

Zu Hause angekommen wird sie von der alten Dame ganz lieb empfangen. Ja und Oma ist ein wenig neugierig.

„Wie war es in der Stadt? Hast du was gesehen von Würzburg?“, fragt sie Vera.

Röte steigt in Veras Gesicht. Sie mag und kann noch gar nichts erzählen. Nur so viel, da waren ein paar Soldaten, die sie nicht verstehen konnte. Es waren wohl Amerikaner.

Der Alltag holt die junge Frau wieder ein. Die Arbeit bei Oma ist nicht schwer und macht Spaß. Es läuft alles gut und die alte Dame ist glücklich, nicht mehr alleine sein zu müssen.

Oh je, doch wie langsam schleichen die Tage bis zum Wochenende! Ob Arno wohl auch manchmal an sie denkt? Ob er am Sonntag zur verabredeten Zeit zu diesem Café kommen wird?

Ob er auch kommt? Er ist schon da. Als er Vera sieht, steht er auf und rückt ihr den Stuhl zurecht. Das ist ihr gänzlich neu, so was hat sie ja noch nie erlebt.

Zwei Menschen plaudern ungezwungen über alles Mögliche. Dann fragt Vera plötzlich: „Arno, was wirst du denn machen, wenn deine Zeit hier abgelaufen ist?“

Seine Antwort kommt zögernd: „Ja so genau weiß ich es noch nicht. Vielleicht bleibe ich, oder ich reise zurück in meine Heimat.“

„Erzähle mir doch von deiner Heimat.“

Wien - ja Wien ist eine besondere Stadt. Es gibt da so viel Sehenswertes. So vieles, dass selbst er, von dort gebürtig, noch nicht alles kennt. Da ist das Schloss, wo einst Sissi mit ihrem Franz Josef lebte. Da gibt es Grinzing mit seinem Heurigen, die Sachertorte ist auch ein Erlebnis, sie zergeht auf der Zunge.

Stunden hätte man verbringen können, um wenigstens die wichtigsten Punkte erklären zu können. Aber Arno will mit Vera noch ein wenig spazieren gehen. So verlassen sie das Lokal und eng umschlungen gehen sie das Gässchen entlang.

Die Zeit ist so schnell vergangen, beide müssen wieder zurück. Ein weiteres Treffen ist keine Frage mehr, nur noch das Wann.

So vergeht Woche für Woche, Monat für Monat.

„Du, Vera, nächste Woche werde ich entlassen, jetzt muss ich eine Entscheidung treffen.“ Arno wirkt ein wenig nervös. „Wie wird es mit uns weitergehen? Können wir uns Anfang der Woche abends sehen? Mitte der Woche werde ich zurückfahren in meine Heimat. Meine Schwester hat dort ein Friseurgeschäft. Mal sehen, ob sie für mich Arbeit hat.“

So trennen sich die Beiden, mit dem Wissen, nächste Woche wird sich etwas Entscheidendes tun.

Traurig geht Vera zurück in ihr neues Zuhause. Was wird es geben? Wird sie Arno nur noch einmal sehen können?

Oma merkt, dass irgendetwas die junge Frau bedrückt. So oft sie auch fragt, Vera erzählt nichts von Arnos Abschied aus der Armee.

Die alte Dame mag den jungen Mann. Er ist inzwischen ja auch schon des Öfteren zu Besuch gewesen.

„Auf den darfst du ganz gut aufpassen“, warnt Oma die junge Frau oft. „Der ist hübsch und ein richtiger Charmeur.“

Das letzte Zusammentreffen verläuft erst einmal sehr deprimierend. Die Beiden überlegen und besprechen ihre Lage. Sie wollen sich auf keinen Fall trennen. Aber wie soll das gehen? Vera hat keine Ausweispapiere. Außerdem kann sie Oma unmöglich alleine lassen.

Zwei verliebte Menschen sitzen unter einem Rosenbogen im Park und genießen noch einmal das Gefühl der Nähe.

„Vera - es geht nicht anders, lass uns übermorgen Abend einfach abhauen. Wir treffen uns am Bahnhof, so gegen Acht. Wir steigen in den Zug. Ich bekomme dich schon über die Grenze, nur keine Angst“, schlägt Arno schließlich vor.

Vera ist entsetzt. Abhauen, ja warum denn das? Sie hat doch nichts verbrochen. Was wird aus Oma? Wie soll sie das der alten Frau erklären? „Nein Arno, dass geht ja gar nicht.“

„Gut, mein Schatz“, erwidert Arno, „dann müssen wir jetzt Abschied nehmen.“

Weinend fällt Vera in seine Arme. „Bleib, mein Liebling, bleib doch hier. Such dir eine Arbeit, du wirst ganz sicher etwas finden. Gemeinsam sind wir stark.“

Arno sieht sie entschlossen an. „Nein, mein Mädchen, ich muss fahren. Nimm nur ganz wenig von deinen Sachen mit und sei pünktlich am Bahnsteig, ansonsten fährt der Zug ohne dich.“

Ein ganz, ganz schlimmer Arbeitstag beginnt. Zu gerne hätte Vera mit jemanden über ihre Not gesprochen. Wie soll sie sich entscheiden? Was wird sein, wenn sie abhaut? Wird das alles gut gehen? Wird man sie suchen? Hin und her gerissen zwischen Pflicht und Gefühl kommt, was kommen muss.

„Oma, morgen Abend gehe ich kurz weg. Ich habe da noch etwas zu erledigen“, sagt Vera.

„Ja, mein Kind“, erwidert diese, „komm aber nicht so spät nach Hause.“

Am nächsten Abend verlässt Vera das Haus mit einer Tasche und Tränen in den Augen. Wohl wissend, was sie jetzt tut, ist Unrecht.

Am Bahnhof angekommen, sieht sie den Zug schon einfahren. Arno steht lächelnd da. Er schiebt sie langsam und wortlos zum Waggon, macht die Tür auf und sagt: „Einsteigen - auf zu neuen Zielen, auf dass es uns gelingen möge.“

Viel Glück haben die Beiden. Obwohl Vera sehr oft auf der Toilette verschwinden muss, um nicht gesehen zu werden. Sie schaffen es, in Wien unbehelligt auszusteigen. Aber nun wohin? Erst einmal zu Arnos Verwandtschaft. Doch wo die Beiden auch hinkommen, besonders gern gesehen sind sie nirgends.

So fahren sie immer weiter fort von Wien. Dabei hat Vera noch gar nichts von den Schönheiten und Sensationen zu Gesicht bekommen. Aber Arno ist bei ihr. Das will sie doch und ist deshalb auch bereit so manche Unannehmlichkeit in Kauf zu nehmen.

Im nächsten Aufenthaltsort wollen die Beiden sich nach Arbeit umsehen. Das Geld wird langsam knapp. Doch wen sie auch nach Arbeit fragen – es gibt hier keine, heißt es. So haben sie keine Wahl.

Arno nimmt den letzten Geldschein und sagt: „Ein Ticket kann ich noch kaufen, danach müssen wir zu Fuß weitergehen.“

Vera ist den Tränen nahe. „Wären wir doch geblieben, wo wir waren, du hättest sicher Arbeit gefunden.“

Ein Zug fährt im Bahnhof ein. Der Schaffner ruft: „Einsteigen und Türen schließen!“

Zwei traurige junge Menschen sitzen im Abteil und überlegen, wie es weitergehen soll.

„Vera, kannst du dir vorstellen, auf einem Bauernhof als Magd zu arbeiten?“, fragt Arno plötzlich.

Sie überlegt kurz. „Das hab ich noch nie gemacht, aber man kann diese Arbeit sicher lernen.“

Der Zug hält. Über den Lautsprecher kommt eine Stimme: „Alles aussteigen – Endstation.“

Mit zwei Koffern bepackt marschieren sie los. Nach einer Weile kommen sie in einem kleinen Ort an und sehen sich erst einmal um. Vera versteht absolut nichts von der Sprache, sogar Arno hat so seine Schwierigkeiten. „Wo sind wir denn da gelandet? Wir setzen uns erst einmal auf eine Bank, ich hol uns was zu essen“

So geht er los, um ein Geschäft zu suchen. Vera kommt die Zeit sehr lange vor, die sie bis zu seiner Rückkehr warten muss. Er hat für jeden zwei belegte Brötchen und einen Zettel in der Hand. „Wo warst du denn solange? Die Aussicht ist zwar schön, aber alleine zu sitzen ist nicht so mein Ding.“

Arno strahlt und winkt mit dem Zettel: „Stell dir vor, ich spreche die Verkäuferin auf Arbeit an und sie sagt zu mir, dass da oben auf dem Berg ein schöner großer Bauernhof steht. Und jetzt hör genau zu – die suchen eine Magd und einen Knecht. Hier hab ich die Adresse. Es ist ein weiter Weg nach oben zum Hof, lass uns aufbrechen.“

Vera ist aufgeregt. Was erwartet sie wohl da oben?

Müde und abgespannt stehen sie vor der Tür des Hofes. Aus dem Stall hört man ein Muhen und das Sprechen eines Mannes. Arno geht dorthin, wo er die Stimme hört.

Ein älterer Mann sieht ihm ins Gesicht und fragt: „Hast du dich verlaufen?“

Arno meint lächelnd: „Grüß Gott, nein das hab ich nicht. Mir wurde im Dorf gesagt, dass ihr hier einen Knecht und eine Magd sucht.“

„Ja, das stimmt“, entgegnet der Bauer, „kannst gleich anfangen mit der Arbeit. Hast du die Magd auch dabei?“

Er lacht und staunt, als Arno ihm erklärt: „Ja, die sitzt draußen auf der Hausbank.“

Wieder ergreift der Bauer das Wort: „Setze dich erstmal draußen dazu, ich mach meine Arbeit fertig, dann können wir uns unterhalten.“

Arno geht zu Vera und erzählt von dem Gespräch mit dem Mann. „Jetzt kommt es auf uns an, ob wir die Arbeit bekommen.“

Sie sehen sich während des Wartens die Gegend an. Wunderschön sind die Berge anzusehen mit ihren Wiesen und Wäldern. Die Sonne leuchtet auf einen nackten Felsen, darunter steht dunkelgrün der Wald. Steile Hänge liegen vom Hof aufwärts bis zum Waldessrand.

Vera überlegt, was da so an Arbeit auf sie zukommen könnte. Da wird sie auch schon angesprochen.

Eine Frau fragt: „Ja, Mädchen, wie sieht es aus, kennst du dich aus mit der Arbeit auf einem Bauernhof?“

Vera entgegnet: „Nein, habe ich noch nie gemacht. Aber es lässt sich sicher erlernen.“

Als die Bäuerin merkt, dass sie es mit einer Deutschen zu tun bekommt, murmelt sie: „Na das kann was werden - auch noch eine Deutsche. Es bleibt einem aber auch nichts erspart.“ Sie geht wieder in das Haus.

Endlich gesellt sich der Bauer zu den Beiden: „Wo kommt ihr denn her? Was habt ihr vorher gemacht?“

Arno übernimmt das Erklären. „Ich war beim Militär bis vor kurzem. Damit bin ich jetzt fertig. Und Vera hat für eine alte Dame den Haushalt geführt. Da haben wir uns kennen gelernt und festgestellt, dass wir unser Leben gemeinsam leben möchten. Deshalb suchen wir jetzt hier eine Arbeit.“

Der Landwirt ruft seine Frau: „Komm doch mal her und setze dich dazu. Schauen wir einmal, ob wir mit den Beiden was anfangen können.“

Nach einer Weile wird sich per Handschlag geeinigt, dass Arnold und Vera hier auf dem Hof den landwirtschaftlichen Dienst antreten können. Sie bekommen noch gesagt, dass früh um Fünf die Arbeit im Stall losgeht. Melken und Misten müssen sie lernen. Die Milch kommt in eine große Kanne und muss um sechs Uhr bei der Straße stehen. Dort wird sie mit dem Milchauto abgeholt. Frühstück gibt es so um Sieben. Danach wird der Stall fertig gemacht. Später muss Vera dann im Haus helfen und Arno muss mit auf das Feld. Wenn das Heu gemacht wird, müssen alle kräftig mit anpacken, egal ob Männlein oder Weiblein.

Die Beiden bekommen noch ein gemeinsames Schlafzimmer zugewiesen und werden daran erinnert: Morgen um fünf Uhr früh geht es los, da kommt ihr in den Stall.

Müde und aufgeregt packen sie wieder einmal ihren Koffer aus. Endlich sinken sie in ihre Betten. Der Wecker wird gestellt, das Licht geht aus, die Augen fallen zu und eine unruhige Nacht lässt sie sehr früh wach werden.

Pünktlich um fünf Uhr erscheinen sie im Stall. Voller Erwartung auf die neue Arbeit stehen sie da.

Melken – Vera saß noch nie auf einem Melkschemel und Arno auch nicht. Es ist eine sehr schwere Arbeit und die Arbeitgeber sind nicht gerade feinfühlig bei der Verteilung der Arbeit.

Trotzdem, mit der Zeit bekommen sie die Anforderungen in den Griff. Immer wieder hört Vera, dass sie sich an die Sprache hier gewöhnen muss. Das ist nun mal der Dialekt der Berge. Die Bäuerin versäumt es nie, der neuen Magd zu zeigen, wie wenig sie die „Deutschen“ mag.

Trotzdem finden Arno und Vera abends immer mal ein Stündchen Zeit, um sich ihrer Gefühlswelt zu widmen. Ein Jahr sind sie bereits auf diesem Hof. Langsam geht auch die angeforderte Arbeit ganz gut von der Hand. Vera, die relativ klein ist, empfindet das Melken und das Milch fortbringen immer noch als sehr anstrengend. Viel hat sie dazu gelernt. Die Blöße, dass sie die Arbeit nicht schafft, gibt sie sich nicht. Und wenn Arno Zeit hat, steht er ihr zur Seite.

Bei ihrem allabendlichen Spaziergang kommen sie regelmäßig an einem liebevoll angelegten Rosenbeet vorbei. Die Beiden verweilen gerne an diesem Platz, sind es doch Veras Lieblingsblumen.

Ab und an gibt es Gelegenheit, dort ein Schäferstündchen abzuhalten. Sie lieben es, sich in freier Natur ihren Gefühlen hinzugeben. Trotz der schweren Arbeit ist die Gefühlswelt der Beiden in Ordnung. Viele Gespräche führen sie darüber, wie es in ihrem Leben weitergehen kann. Erst einmal muss Geld verdient und gespart werden. Eine nette Wohnung wollen sie sich in spätestens zwei Jahren suchen. Vielleicht heiraten und ein oder zwei Kinder haben? Arno will sich später nach einer angenehmeren Arbeit umsehen.

Der Herbst zieht ins Land. Es gibt sehr viel Arbeit auf den Feldern. Das Getreide muss mit der Sichel geschnitten und zu Garben gebunden werden. Die Kartoffeln müssen aus der Erde und in den Keller zum Lagern gebracht werden. Es dauert nicht mehr lange, bis der erste Schnee fallen wird.

Vera fühlt sich sehr müde. Der Magen scheint auch nicht in Ordnung zu sein. Sie fühlt sich elend, das Essen bekommt ihr gar nicht.

Als die Bäuerin das mitbekommt, stellt diese fest: „Vera, du bist schwanger, das sind doch die typischen Zeichen. Ja das geht doch gar nicht. Ich brauche jemand, der anpacken kann.“

Die junge Frau geht zum Arzt und bekommt bestätigt, was sie eigentlich schon geahnt hat. Ein wenig deprimiert sagt sie zu Arno: „Du wirst Papa, ich bin im vierten Monat schwanger.“

Freudestrahlend schwingt er seine Geliebte durch den Raum. „Das ist ja wunderbar, ich freue mich so sehr!“

Sie kann seine Freude nicht so recht teilen. So viele Gedanken gehen ihr durch den Kopf. Wie soll das alles funktionieren? Ich habe noch nicht einmal Ausweispapiere. Die schwere Arbeit kann ich auch nicht mehr machen.

„Ach, mein Schatz“, sagt Arno, „ich such für uns eine kleine Wohnung. Du musst jetzt nicht mehr arbeiten, es geht auch mit einem Verdiener. Wir kommen ganz sicher zurecht.“

Trotzdem überlegt Vera, wie das alles laufen soll. In solchen Momenten kommt Heimweh auf. Die Brust wird eng, das Herz klopft.

Wie mag es der Schwester mit ihren kranken Kindern gehen? Lässt Vater sie endlich in Ruhe? Die Augen füllen sich mit Tränen. Ich kann nichts mehr für meine Familie tun. Nun muss ich an mein Baby und an meine Zukunft denken. Hoffentlich meint es Arno ernst mit den Versprechungen. Ist alles Wahrheit, was er erzählt? Kann ich ihm restlos vertrauen? Sie überlegt weiter, ihr Gesicht hellt sich auf. Warum soll ich ihm nicht vertrauen? Es gibt doch bis jetzt dafür keinen Anlass, ihm zu misstrauen. Es läuft doch alles wunderbar mit ihm. Ich liebe ihn doch, ich liebe ihn doch so sehr.

Arno geht, um eine Wohnung zu suchen. Es ist bereits Abend, als er zurückkommt. Mit freudigem Gesichtsausdruck berichtet er: „Vera – wir haben ab nächsten Monat eine kleine, bescheidene Wohnung. Du wirst sie ganz sicher schnuckelig für uns zurecht machen. Da wird es dir nicht langweilig und du kannst dich zu Hause auf die Geburt unseres Kindes vorbereiten. Ich sage auch morgen gleich dem Bauer Bescheid, dass Du jetzt die schwere Arbeit nicht mehr machen kannst. Deine Stelle kündige ich wegen zu schwerer körperlicher Belastung. Du wirst sehen, es geht alles seinen geregelten Gang.“

Als die Bäuerin von der Kündigung erfährt, rötet sich ihr Gesicht vor Zorn. Sie brüllt Vera an: „Schwangerschaft ist keine Krankheit! Wer sich auf einen Mann einlässt, muss damit rechnen, dass so etwas passiert! Trotzdem verlangt die Situation keine Schonzeit!“

Die Bäuerin bekommt es tatsächlich fertig, der jungen Magd einige Gemeinheiten zuzumuten. So lässt sie Vera Arbeiten verrichten, die für das kleine Persönchen nicht einfach zu bewältigen sind. Scheinbar hat die Dame des Hauses ihre Freude daran, wenn sie dieser deutschen Magd schaden kann.

Vera beklagt sich nicht und tut still, was von ihr verlangt wird. Abends sagt sie dann zu Arno: „Was hab ich der Frau nur angetan, dass sie mich so hasst? Ich habe bald keine Kraft und keine Lust mehr, für diese Frau zu arbeiten.“

Beruhigend spricht Arno auf seine Freundin ein: „Nur noch ein paar Tage, dann haben wir es ja geschafft. Lange werde ich auch nicht mehr hier den Deppen machen. Ich werde zukünftig ein Auge darauf haben, wie die Bäuerin dir begegnet. Sollte irgendetwas zu schwer für dich sein, dann hole mich.“

Endlich ist soweit, die kleine Wohnung kann bezogen werden. Die paar Habseligkeiten sind schnell gepackt und nun – endlich - ein eigenes Zuhause. Ganz alleine in einem kleinen Häuschen. Arno und Vera verwirklichen einen Traum. Es gibt noch eine Menge zu tun.

Die werdende Mutter sagt: „Wir haben ja noch ein wenig Zeit, bis unser Baby da ist. Bis dahin werde ich es hier so gut wie möglich gemütlich zurecht machen.“

Während Arno weiterhin jeden Morgen zum Bauernhof marschiert, um seine Arbeit zu tun, beschäftigt sich die junge Frau mit der Wohnung und dem Haushalt. Wenn Arno abends nach Hause kommt, staunt er regelmäßig, was seine Freundin so alles zustande bringt. Die Welt scheint vorerst in Ordnung zu sein.

Der Winter zeigt sich von seiner kältesten Seite. Die Beiden sind froh, wenn sie in der warmen Stube sein können. Die Zimmer sind sehr liebevoll gestaltet. Jetzt haben die verliebten Menschen endlich einmal wirklich Zeit für sich.

Langsam schickt die Sonne wieder ihre warmen Strahlen. Der Schnee schmilzt und sehr bald zeigen sich die ersten Frühjahresblumen. Vera fällt es schon ein wenig schwerer, den normalen Tagesablauf zu gestalten. Das Baby ist recht lebhaft. Der Umfang von Veras Bauch ist nicht mehr zu übersehen.

Als sie an einem warmen Tag ein wenig spazieren geht, kommt ihr ihre ehemalige Chefin entgegen.

Im Vorbeigehen sagt die Bäuerin: „Hast du jetzt erreicht, was du wolltest?“

Vera ist erschrocken und überlegt: Was meinte die Frau gerade, was will ich denn erreichen? Egal - auf ihr Geschwätz gebe ich nichts.

Ostern ist vorbei und Vera fällt jeder Schritt sehr schwer. Im Stillen denkt sie: Oh mein Baby, was bin ich doch so froh, wenn du endlich auf der Welt bist. Arno hat an der Arbeit auf dem Bauernhof auch keine Freude mehr. Er kündigt und bleibt erst einmal zu Hause.

Zumindest bis das Baby da ist, will er seine Freundin unterstützen.

Die letzten Tage der Schwangerschaft verbringen sie gemeinsam zu Hause.

Vera wird wach - was ist denn da im Bauch los? Da ist ein gewaltiges Ziehen im Kreuz und Unterleib. „Arno – Arno, werde wach, ich glaube unser Baby will kommen!“

„Oh ja schnell, ich bringe dich ins Krankenhaus. Halt durch, Vera, ich rufe schnell einen Krankentransport.“

Gesagt, getan. Im Krankenwagen beruhigte Arno die werdende Mutter, die sich immer wieder vor Schmerzen aufbäumt.

Endlich ist die Fahrt zu Ende. Eine Transportliege wird herangeschoben. Vera wird vom Krankenwagen auf die Liege gebettet und zu den Kreißsälen gebracht.

Arno ist sehr nervös und geht schnellen Schrittes hinterher.

Dort vor der Tür bittet ihn die Hebamme ein wenig zu warten. „Ich werde Ihre Frau untersuchen, dann komme ich zu Ihnen.“

Nach einer Weile öffnet sich die Türe und er darf nochmal kurz zu Vera.

Die Hebamme erklärt den Beiden den Stand der Geburt. Zu Arno gewandt sagt sie: „Bis das Baby da sein wird, vergehen noch ein paar Stunden. Sie sollten jetzt die Zeit nutzen und Ihre Frau in der Krankenhausverwaltung anmelden. Danach gehen Sie am Besten ein wenig spazieren, oder trinken irgendwo eine Tasse Kaffee. In etwa drei Stunden können Sie sich hier wieder nach den Stand der Dinge erkundigen.“

Vera hat Zeit, sich über vieles Gedanken zu machen. So fällt ihr auf, dass Arno es nicht ablehnt oder verneint, wenn sie als seine Frau angesprochen wird. Trotz Schmerzen überlegt sie, wie schön es sein wird, wenn sie heiraten und sie tatsächlich seine Frau sein wird.

Immer heftiger geht der Druck nach unten, bis die Hebamme sagt: „Das Köpfchen kann ich schon sehen, gleich haben Sie das Schwerste überstanden.“

Vera hört das erste Weinen ihres Babys.

Die Hebamme sagt: „Ich gratuliere Ihnen. Ein gesundes, goldiges Mädchen haben Sie zur Welt gebracht.“

Tränen steigen der jungen Frau in die Augen. Froh darüber, dass der wirklich schwere Teil der Geburt endlich vorbei ist. Aber noch aufregender ist der erste Blick in ein kleines, ein wenig verschrumpeltes Gesichtchen. Die Händchen hat das kleine Fräulein zu Fäustchen geballt, die Augen verschlossen und den Mund zum Weinen verzogen.

Vera ist in diesem Augenblick unendlich glücklich und zufrieden mit sich und mit der ganzen Welt. Hoffentlich kommt Arno bald, damit er seine kleine Tochter sehen kann. Ja und schließlich muss man ja erst noch nach einem Vornamen suchen.

Die Türe geht auf. Arno steht mit leuchtendem Blick im Zimmer. Man sieht ihm an, wie erleichtert er ist, dass Vera schon wieder lächeln kann. Ganz vorsichtig nähert er sich seiner Tochter. Minutenlang schaut er ihr nur ins Gesicht und sagt keinen Ton. So hat ihn Vera noch nicht erlebt, so voller Ehrfurcht vor dem neuen Leben.

Endlich legt er die Arme um Vera. Tränen tropfen auf ihr Gesicht. Leise, als wolle er das Kind nicht wecken, sagt er zu Vera: „Du hast mir das schönste und wertvollste Geschenk gemacht. Ich danke dir und werde dich immer lieben und ehren. Gleich nachher suche ich mir neue Arbeit. Es wird euch Zweien an nichts fehlen, dafür tue ich alles, was in meiner Macht steht.“

Vera ist gerührt. So viel Liebe und Zärtlichkeit hat sie noch nie bei einem Menschen gesehen. Es wird alles gut. Es wird wunderbar sein, ihre eigene Familie zu haben.

Die Gedanken gehen zurück. Sie denkt an ihre Geschwister, an ihren Vater. Wie mag es diesen Leuten in der Ferne gehen? Schnell schiebt sie diese Gedanken beiseite, denn nun liegt es in ihrer und Arnos Hand, was die Zukunft den Dreien bringen wird. Und sie ist überzeugt, nur Gutes - ja -nur Gutes.

Arno verabschiedet sich. „Ich suche mir jetzt Arbeit, die uns drei ernährt. Erhole dich gut. Ich komme und hole meine zwei wunderschönen Frauen in zehn Tagen hier ab. Es wird wunderbar sein, das Leben mit unserem Baby.“

Am nächsten Morgen kommt die Visite in das Zimmer. Der Arzt gratuliert zu der kleinen Tochter. Die Krankenschwester, die den Arzt begleitet, legt Papiere auf das Nachtschränkchen und bittet die junge Mutter, diese fertig auszufüllen.

Als sie wieder alleine ist, nimmt Vera die Blätter in die Hand und liest gespannt, was sie da beantworten soll. Aber - was steht denn da? Das ist doch der Nachname von Arno mit ihrem Vornamen.

Verheiratet – das stimmt ja gar nicht. Was hat dieser Mann da nur gemacht? Fieberhaft überlegt Vera, ob Arno bewusst Urkundenfälschung betrieben hat. Was würde das für einen Sinn ergeben? Sie überlegt. Vielleicht will Arno sie überraschen mit einer schnellen Heirat. Aber da fehlen ja die Papiere von ihr. Er sollte solche Angelegenheiten in Zukunft doch besser vorher mit ihr besprechen. Nun weiß sie gar nicht, wie sie handeln soll. So jedenfalls kann sie es nicht auf diesem Papier stehen lassen.

Eine Schwester betritt das Zimmer. Vera spricht sie an. „Auf diesem Blatt steht zwar mein Vorname, aber der Nachname stimmt nicht. Das ist der Nachname vom Vater meines Kindes. Ich bin nicht mit ihm verheiratet.“

Die Schwester sagt: „Das ist bestimmt nur ein Missverständnis. Bringen Sie, wenn Sie wieder zu Hause sind, Ihre Papiere und dann wird das geändert.“

„Aber ich habe gar keine Papiere. Ich stamme auch nicht von hier, sondern aus dem Rheinland“, sagt Vera.

Nun schaut die Schwester der jungen Mutter in das Gesicht und sagt: „Ja dann müssen wir Meldung machen. Wie es danach weitergeht, weiß ich leider nicht.“

Vera bittet doch zu warten, bis Arno da ist. Sicher wird er schon für eine saubere Lösung gesorgt haben.

„Also gut“, bekommt sie zur Antwort. „Die paar Tage können wir warten.“

Die Tage im Krankenhaus vergehen und der Entlassungstag bringt die erste Aufregung. Arno kommt mit einer Wolldecke für das Baby und er scheint sich zu freuen, dass er die Beiden mitnehmen kann.

Nach der Untersuchung des kleinen Mädchens und der Mutter bestätigt der Arzt, dass Mutter und Tochter gesund sind. Auf den Hinweis des Arztes wegen der fehlenden Papiere und den falschen Angaben zur Kindesmutter sagt Arno gelassen: „Erledige ich, sobald meine beiden Frauen zu Hause sind.“

Als die Drei zu Hause ankommen, erzählt Arno, dass er noch keine Arbeit hat. Das heißt, er kann die fällige Miete nicht bezahlen.

„Es könnte passieren, dass wir aus der Wohnung ausziehen müssen. Wir werden sowieso hier fortgehen. Vera, du hast keine Papiere, du wirst ausgewiesen, wenn das Meldeamt vom Krankenhaus Nachricht bekommt.“

Die Frau fühlt sich hundeelend. „Wohin sollen wir gehen?“, fragt sie Arno „Wir haben ein Baby, das braucht viel Liebe und unseren Schutz.“

Arno versucht sie zu beruhigen: „Ich finde schon etwas, mach dir keine Sorgen.“

Vera fragt: „Wie soll denn unsere Tochter heißen? Ich habe an Ina gedacht.“

„Nein ganz sicher nicht“, erwidert Arno. „Sie soll so heißen wie meine Ehefrau.“

„Vera? Wieso denn das?“ fragt Vera.

„Nein“, sagt Arno, „du bist doch gar nicht mit mir verheiratet. Nein, so wie meine Noch-Ehefrau in Deutschland.“

Vera ist entsetzt. „Davon weiß ich ja gar nichts. Arno, wieso hast du mir nicht gesagt, dass du verheiratet bist?“ Sie schluchzt. „Dann wäre ich doch niemals mit dir mitgegangen.“

Arno antwortet lächelnd: „Genau deshalb, ich wollte dich doch haben.“ Mit ernstem Gesicht sagt er dann: „Und nimm jetzt bitte zur Kenntnis, unser Baby heißt Sylvia!“

Nun wird Vera zum ersten Mal in dieser Beziehung sehr laut und hektisch: „Du verschweigst, dass du gebunden bist! Dann bist du frech genug, mit mir über eine Heirat und gemeinsame Kinder zu sprechen! Jetzt haben wir eine gemeinsame Tochter und du wagst es zu bestimmen, dass sie wie deine Frau heißen soll! Wer oder was bitteschön bin ich für dich? Ein Spielball der Gefühle? Über den Namen ist das letzte Wort noch lange nicht gesprochen! So einfach kannst du es dir nicht machen! Ich liebe dich, aber ich lasse mich von dir nicht zum Narren halten!“

Wutentbrannt verschwindet Vera mit dem Baby im Schlafzimmer. Nun kann sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Wieso ist Arno so? Hat der Mann zwei Gesichter? Warum verhält er sich dem Kind gegenüber so besitzergreifend? Sie versteht die Welt nicht mehr.

Arno wird jetzt bewusst, er hat vorschnell gehandelt. Diese Aufregung hätte man sich ersparen können. Aber eines ist sicher: Ich gebe nicht klein bei. Meine Tochter wird Sylvia heißen, ganz bestimmt. Vera wird das akzeptieren müssen. Erst einmal will ich hier Ruhe haben. Langsam aber sicher werde ich hier Ordnung schaffen. Ich liebe sie auch und mein Baby erst recht. Ich will mit den Beiden eine Familie aufbauen. Dafür muss ich mich noch scheiden lassen und Vera sollte ihre Papiere besorgen. Das alles geht nicht von heute auf morgen.

Am nächste Tag geht Arno morgens grußlos fort. Am Nachmittag kommt er zurück: „Vera, ich habe Arbeit gefunden. Ich kann nächste Woche anfangen. Es soll eine Staumauer da oben auf dem Berg gebaut werden. Eine Firma hat den Auftrag bekommen. Diese Firma sucht fähige Arbeiter und einer davon werde ich sein. Ihr zwei Frauen bleibt noch ein paar Tage hier, bis ich eine passende Wohnung in der Nähe der Baustelle gefunden habe.“

Vera atmet auf: „Na ja, dann klärt sich ja die finanzielle Lage wieder.“

Der Streit scheint vergessen zu sein. Arno bereitet sich auf die neue Arbeitsstelle vor. Am Abend zuvor nimmt er Vera das Versprechen ab, niemanden in die Wohnung zu lassen. Nochmal erklärt er ihr, dass die Möglichkeit der Ausweisung gar nicht so abwegig ist. Die Beiden besprechen, was passieren könnte und wie sie das regeln würden, falls es eintreffen sollte.

Arno sagt: „Vera, wenn du über die Grenze nach Deutschland gebracht wirst, da ist ein Bauernhof direkt an der Grenze. Ich weiß, dass das Hoftor in fünf Minuten zu Fuß erreichbar ist. Wenn du das öffnest und hinein gehst, bist du wieder in Österreich. Du gehst durch das nächste Tor und dann an der Seite des Hauses vorbei und stehst auf einer Wiese. Gehe noch zehn Minuten am Wiesenrand entlang. Dort ist die Straße und da warte ich auf dich. Sylvia bleibt da, die bleibt auf alle Fälle bei mir. Ihr kann man das alles gar nicht zumuten. Damit das alles gar nicht erst eintritt, bleibt ihr zwei im Haus, bis ich am Abend nach Hause komme.“

Vera hört ihm zu. Den Ton kennt sie inzwischen auch schon. Er meint es ernst, er meinte es sehr ernst. Ihr wird klar, etwas muss geschehen. Sie lässt doch ihr Mädchen nicht zurück, wenn sie wirklich fort muss. Aber es wird nicht so sein, denn sie lässt niemanden ins Haus. Das nimmt sie sich ganz fest vor.

Am nächsten Morgen verabschiedet sich Arno und geht zum bereit stehenden Bus. Vera verschließt die Tür und genießt die Zeit mit Sylvia. Die kleine Tochter ist ein sehr braves Kind und Vera freut sich über jede Stunde, die sie mit Sylvia alleine verbringen kann. Abends kommt Arno müde und abgespannt von der Arbeit.

So gehen die Tage und Wochen ins Land. Vera versorgt das Baby. Wenn es das Wetter erlaubt, geht sie mit Sylvia ein wenig abseits vom Dorf spazieren. Sie hofft sehr, ungesehen zu bleiben. Trotzdem bleibt sie vorsichtig und spricht mit niemandem. Aber ab und an muss auch etwas eingekauft werden. Es ist aber alles ruhig und sie denkt: Jetzt habe ich es geschafft. Keiner will was von mir. Sicher hat man mich schon längst vergessen.

An einem Abend will Vera ein wenig mit Arno spazieren gehen. Sie schaut auf die Uhr. Ach ja, in einer halben Stunde wird er da sein. Sie beginnt das Abendessen vorzubereiten. Da - was war das? Hat es geklopft? Wieder - ja da klopft doch jemand an die Tür.

Vera nimmt Sylvia auf den Arm und setzt sich ganz still auf das Bett im Schlafzimmer. Arno - wo bleibst du? Angst kriecht über den Rücken der Frau. Ist es nun soweit? Wollen die mich holen?

Vera hört die Stimme von Arno. Sie atmet erleichtert auf und denkt – nun wird alles gut. Er wird mich beschützen.

Sie hört Arno ihren Namen rufen. Die vertraute Stimme sagt: „Vera, mach bitte auf.“

Erleichtert geht sie zur Tür, dreht den Schlüssel um und öffnet. Zwei fremde Männer diskutieren mit Arno und betreten mit ihm das Haus. Vera bekommt erklärt, dass sie Österreich verlassen muss. Sie wird jetzt anschließend zur Deutschen Grenze gebracht. Von dort aus soll sie auf dem schnellsten Wege die Heimreise in das Rheinland antreten.

Arno fragt die Beamten, ob er mit Vera kurz zu der Tochter in das Schlafzimmer gehen könnte, damit sie ihm erklären kann, wie er das Fläschchen machen muss und wie man ein Baby wickelt.

Im Schlafzimmer angekommen sagt Arno: „Also du weißt Bescheid, ich habe dir den Weg erklärt. Wenn ihr fort seid, werde ich auch losfahren. Deine Tochter und ich erwarten dich zwei Stunden später an besagter Stelle an der Straße.“

Vera verlässt weinend das Schlafzimmer. Sie ist sich nicht so sicher, dass der Plan gelingen wird. Natürlich wird sie es versuchen. Sie will wieder zu ihrer Tochter. Aber wird Arno sein Versprechen halten? Vera wird das Gefühl nicht los, dass sie ihrem Freund nicht mehr vertrauen kann.

Wer hat sie verraten? Die Ärzte oder Schwestern vom Krankenhaus? Oder ihre ehemalige Chefin, die Bäuerin?

Die zwei freundlichen Polizisten bringen Vera zum Auto und bitten sie Platz zu nehmen. Es ist nicht weit bis zur Staatsgrenze. Die Fahrt dauert nicht lange. An der Grenze bekommt sie erklärt, wie sie zur Bahnstation kommt, um den Weg in ihre alte Heimat antreten zu können. Niemand ahnt, dass die junge Frau absolut nicht daran denkt, in ihre Heimat zu reisen.

Der Beamte lässt Vera noch ein Dokument unterschreiben, worin sie aufgefordert wird unverzüglich die Weiterfahrt mit der Eisenbahn anzutreten. Bei Nichtausführung droht eine Haftstrafe.

„Ich habe verstanden“, sagt Vera, dreht sich um und geht.

In Windeseile schlägt sie den Weg zu diesem Bauernhof ein. Der Beamte, der ihr nachschaut, ahnt nichts von ihren Plänen, da der Bahnhof auch in derselben Richtung liegt.

Das Herz klopft ihr bis zum Hals, als sie das Scheunentor öffnet. Vorsichtig geht sie hinein.

„Oh, was ist es hier so dunkel?“, spricht sie zu sich selbst. „Wie soll ich da zu der anderen Tür finden?“

Vorsichtig, Schritt für Schritt, immer an der Wand entlang. Endlich! Da ist ein Türgriff. Gebückt schleicht sie an der Hauswand entlang. Vera atmet auf. Jetzt muss ich ungesehen am Wiesenrand entlang zu der Straße.

Sie fragt sich, was passiert, wenn Arno nicht da sein sollte. Wie soll es weitergehen, wenn er da ist? Sie denkt an Sylvia. Was passiert mit dem Baby, wenn sie wirklich nicht mehr zurückkommt?

Da vorne ist die Straße und da steht ein Auto. Sie kommt näher und erkennt Arno.

„Da bist du ja“, begrüßt er Vera. „Schnell ins Auto, wir müssen los.“ Auf dem Rücksitz liegt das kleine Mädchen und schläft.

Vera will sie in den Arm nehmen, da sagt Arno: „Finger weg! Siehst du nicht, dass Sylvia schläft. Du musst sie nicht unnötig wach machen.“

Die junge Mutter versucht sich zu rechtfertigen: „Arno, das ist auch meine Tochter. Ich habe sie geboren. Was glaubst du, wie viel Angst ich ausgestanden habe. Du kannst mir doch nicht einfach verbieten, mein Kind zu berühren.“

Arno bleibt ruhig, um einem Streit aus dem Wege zu gehen.

Während der Rückfahrt überlegen die Beiden, wie sie einer solch unangenehmen Situation zukünftig aus dem Weg gehen können. Die Hoffnung, dass alles gut gehen wird, ist der ständige Begleiter der jungen Familie.

Wieder läuft alles ruhig und geordnet weiter. Der Vorfall ist schon fast vergessen, als es eines Tages während der Mittagszeit an der Tür klopft. Vera ist froh, die Tür verschlossen zu wissen.

Eine Männerstimme ruft ihren Namen. Dann hört sie: „Sind Sie doch vernünftig!“

Was für ein Glück, Sylvia schläft. Niemand bekommt mit, dass doch jemand zu Hause ist. Vera hört noch die Worte, „Wir kommen wieder“, dann ist es ruhig.

Arno kommt wie immer am Abend von der Arbeit. Von Weitem sieht er ein Polizeiauto vor dem Haus stehen. Was kann er jetzt tun? Mutigen Schrittes geht er auf das Auto zu und fragt: „Suchen Sie jemanden?“

Daraufhin antwortet der schon bekannte Beamte: „Ja, Ihre Freundin. Wir haben Meldung aus dem Ort bekommen, dass sie wieder da ist.“

Arno sagt ganz frech: „Davon weiß ich ja gar nichts.“

Er wird aufgefordert, die Tür zu öffnen. Ausreden bringen jetzt gar nichts. Also geht er mit den zwei Beamten in das Haus.

Wieder muss die junge Frau mit in das Auto steigen. Sie wird noch einmal zur Landesgrenze gebracht. Man sieht ihr die Angst an. Sie denkt an ihr kleines Mädchen und fragt sich, wieso sie es nicht schafft, Sylvia einfach mitzunehmen. Doch der jungen Mutter ist klar, dass sie ihrem Baby diese Strapaze nicht zumuten kann.