Hoffen*** Lieben*** Glauben - Natascha Bergvolk - E-Book

Hoffen*** Lieben*** Glauben E-Book

Natascha Bergvolk

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Beschreibung

Fröhlich sitzt Angelika morgens an ihrem Schreibtisch in der Anwaltskanzlei. Glücklich über ihre kleine Familie freut sie sich auf einen gemeinsamen Wochenendausflug. Welch ein Schock als sie telefonisch vom Unfall ihres Mannes Martin informiert wird. Der erste Gedanke gilt ihrer Tochter Lena, wo ist sie? War sie im Auto mit dabei? Was ist mit Martin passiert, wie geht es ihm? Noch ahnt sie nicht, wie sehr dieser Freitag das gesamte Leben der einstmals so fröhlichen Familie verändert. Wieviel Hoffnung sie braucht um weiter zu funktionieren. Wie die Liebe erschüttert und hinterfragt wird. Und der Glauben an eine heile Zukunft für alle Drei in jeglicher Form total durcheinander bringt.

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Inhalt

Vorwort

Ein Wochenende im Zoo

Ich glaube ich werde verrückt

Du bist nicht mein Onkel

Gott – Glaube oder Religion

Lena macht was sie will

Hallo Frau Sommer hier spricht Robert

Am Grab von Julians Mutter

Julian weiß sich immer zu benehmen

Robert sagt: „Ja ich glaube“

Angelika sag dass das nicht wahr ist

Robert lädt zum Frühstück ein

Julian ist sicher – der Hund kommt von Mama

Martin überrascht seine Familie

Findet man in der Kirche Frieden

Julian möchte wieder eine Familie

Angelika will wieder arbeiten

Martin ruft an

Robert ist schuldenfrei

Kuscheln nur mit guter Laune

Angelika legt sich mit Gläubigen an

Papa hier sind wir

Angelika findet zu ihren Glauben

Martin bittet die Kinder um Verzeihung

Vorwort

Angelika erlebt mit ihrer kleinen Familie ein angenehmes Leben.

Ihr Mann Martin kümmert sich mit Hingabe um die gemeinsame Tochter Lena. Als freier Versicherungskaufmann hat er freie Zeiteinteilung. Somit kann Angelika ohne Bedenken ihren Beruf als Sekretärin in einer Anwaltspraxis ausüben. Nach der Arbeit holt sie ihr Kind von der Kita und geniest es mit Lena Zeit zu verbringen.

Es ist inzwischen ein festes Ritual, abends um sechs Uhr zu essen. So geht der Tag harmonisch zu Ende.

Der Papa bringt sein Mädchen ins Bett und geniest es, ihr noch eine Geschichte aus dem Engelsbuch vorzulesen. Er nimmt sich viel Zeit dem Kind seinen Glauben näher zubringen. Manches mal macht es ihn traurig, dass seine Frau keinerlei Bezug zu Religion und Kirche hat. Sie lehnt alles religiöse ab.

Doch eines Tages sollte sich alles schlagartig verändern. Ein Anruf in der Kanzlei bringt das Leben von Angelika und Lena dauerhaft durcheinander. Ein Autounfall von Martin hat schreckliche Folgen. Auch der Umgang mit Lena wird schwierig. Ihre berufliche Laufbahn muss sie vorerst aufgeben und manche angenehme Gewohnheit ablegen. Immer wieder stellt sie sich die Frage, wer trägt die Schuld an diesem Unglück? Martin ist so religiös und trotzdem passiert dieser grauen hafte Unfall. Die Frau kann und will es nicht verstehen. Es lief alles so gut. Was gefällt dem Herrn da oben an ihrer Familie nicht?

Ein Wochenende im Zoo

Angelika freut sich. Es ist Freitag und für diese Woche der letzte Arbeitstag. Sie liebt ihre Arbeit beim Rechtsanwalt. Vor allen Dingen hat sie es geschafft, Chefsekretärin zu werden. Ihr Chef vertraut ihr sehr. Immer mehr Fälle legt er ihr zur Mitbestimmung vor. Einige Ordner hat sie vor sich liegen. Die will sie unbedingt noch heute fertig bearbeiten. Vor ihrem inneren Auge den bevorstehenden Ausflug überlegt sie, dass Martin vielleicht auch schon an seiner Arbeitsstätte sitzt. Lena vergnügt sich bestimmt schon in ihrer Kindergartengruppe. Martin ist der beste Papa und der rücksichtsvollste Ehemann. Mit Ruhe und Ausgeglichenheit widmet er sich seinem Kind, wofür Angelika dankbar ist. Und jedes Wochenende bekommt sie einen Strauss Blumen und Unterstützung im Haushalt. Sie ist so dankbar, ihre Familie ist ihr größtes Geschenk. Wie in einem Bilderbuch sieht Angelika ihre Gedanken ablaufen. Wer weiß wie lange sie noch so vor sich hingedämmert hätte, wenn nicht der schrille Klingelton vom Telefon auf dem Nachbarschreibtisch sie aus ihren Gedanken gerissen hätte. Sie schreckt sie auf und schaut nach der Uhr. „Oh,“ denkt sie, jetzt muss ich aber anfangen, sonst schaffe ich es nicht meine Arbeit bis heute Nachmittag zu erledigen. Ihre Arbeitskollegin schaut zu ihr und sagt „für dich Angelika, die Polizei.“ Sie nimmt den Hörer und meldet sich freundlich: „Sommer -

Rechtsanwaltskanzlei Knolle – guten Tag. Was kann ich für sie tun?“

„Frau Sommer, ich muss ihnen mitteilen, dass ihr Mann einen Autounfall hatte und in das Krankenhaus gebracht wurde.“

Angelika wird blass und holt tief Luft. Sie überlegt blitzschnell, ob sie richtig gehört hat und fragt: „Sind sie sicher, dass sie mich anrufen wollten? Mein Mann ist doch wahrscheinlich schon im Büro.“

Frau Sommer heißt ihr Mann Martin Sommer?“ „Ja das stimmt. Wo sollte der Unfall gewesen sein und wann? War er alleine im Auto?“

„Der Unfall war kurz vor halb neun und soweit mir bekannt ist, war er alleine im Auto. Wie gesagt, er wurde in das Unfallkrankenhaus hier vor Ort gebracht. Dort werden sie auch weitere Informationen bekommen.“

***

Blass und zitternd legte sie den Hörer auf. Als erstes ruft sie im Kindergarten an um zu fragen, ob Lena gut angekommen wäre. Erleichtert über die Antwort, erklärt sie, dass ihr Mann einen Unfall hatte und sie jetzt froh wäre, dass wenigstens Lena gesund angekommen ist. Die Kindergärtnerin, Frau Klein, fragt ob sie das Mädchen über den Vorfall unterrichten soll. „Auf keinen Fall, das mache ich selbst.“

„Oh Frau Sommer, hoffentlich ist es nicht so schlimm mit ihrem Mann. Selbstverständlich erzählen wir nichts. Und wenn sie Hilfe brauchen, bitte melden sie sich.“ Angelika bedankt sich und legt auf. Nun beginnt sie laut zu weinen. Ihre Mitarbeiter schauen ein wenig ratlos von einem zum anderen. Man versucht die Frau zu trösten. Selbst der Rechtsanwalt will was Nettes sagen. So bietet er ihr an, sie in das Krankenhaus zu fahren. Doch Angelika lehnt ab. Sie will erst nach Hause um Sachen für ihren Mann zu holen.Herr Knolle gibt ihr zu verstehen, dass er sie in diesem Schockzustand auf keinen Fall alleine auf die Straße lässt. Der Chef fährt sie und sagt tief betroffen: „Frau Sommer es tut mir so leid. Am Besten nehmen sie sich ein paar Tage frei, solange sie brauchen um alles zu regeln. Haben sie Jemand der ihnen beistehen kann?“ „Nein habe ich nicht. Meine Mutter wohnt sehr weit entfernt.“ „Ja da kann man dann nichts machen, wenn sie Hilfe brauchen, melden sie sich bitte bei mir. Und noch eines Frau Sommer, „Manche Menschen beten in solchen Situationen. Der Glaube hilft immer und ich wünsche ihnen und ihrem Mann einen guten Schutzengel.“

Da wird Angelika wütend und brüllt ihren Chef an:„Ja so ein Mist hat mir gerade noch gefehlt, hören sie mit ihrem frommen Sprüchen auf. Ich kann es nicht mehr hören. Der liebe Gott und seine Schutzengel wo waren sie denn als Martin sie brauchte? Können sie mir das sagen? Martin ist so sicher, dass ihm niemals was passiert, weil er gläubig ist und oft am Sonntag in der Kirche sitzt. Erzählen sie mir nicht solche Märchen. Bleiben sie bitte sofort stehen, ich will den Rest des Weges alleine zu Fuß gehen.“

Herr Knolle ist erschüttert. Auf diese Reaktion ist er nicht vorbereitet. Ruckartig tritt er auf die Bremse. Wortlos steigt Frau Sommer aus. Er kann nichts mehr sagen außer „alles Gute.“ Angelika geht ohne sich umzusehen einfach weiter. Irgendwann kommt sie zu Hause an und setzt sich heulend auf den Stuhl. Der letzte Rest des Weges hat sich unendlich gezogen. Solange war sie noch nie unterwegs, obwohl sie diesen Weg schon oft gelaufen ist. Nach eine Weile holt sie eine Tasche und überlegt, was Martin im Krankenhaus wohl brauchen wird. Sie packt Waschzeug, Pyjama und Unterwäsche ein. Dann ruft sie ein Taxi und lässt sich zum Unfallkrankenhaus bringen. Nervös fragt sie sich durch, wo sie ihren Mann finden kann. Sie bekommt gesagt, das Martin bereits im OP liegt. Am Besten wartet sie vor den Operationsräumen. Dann kann sie ihn wenigstens kurz sehen, wenn er auf sein Zimmer kommt. Unruhig und leise weinend läuft sie den Gang hin und her. Ein Arzt scheint die erschütterte Frau zu bemerken. Er fragt wie er helfen kann. Angelika erzählt ihm, dass ihr Mann da drinnen operiert würde und sie warten möchte, bis er heraus geschoben wird. Der freundliche junge Mann sagt zu der Dame, dass das keine Lösung wäre. So Operationen dauern einige Zeit und man kann nie genau sagen wie lange.Bis ihr Mann diese Räume hier verlassen kann, wird es möglicherweise spät sein. Ich gebe ihnen eine Telefonnummer. Dort rufen sie am Besten heute Abend an. Da kann man wahrscheinlich schon mehr sagen. Bis dahin wird es am Besten sein, wenn sie nach Hause gehen. Alles Gute .“ Der Arzt geht durch die Pendeltüre zu den Operationsräumen und Angelika überlegt wie sie vorgehen möchte. Einen kurzen Blick nur wirklich ganz kurz möchte sie Martin sehen. Und wenn sie doch wartet? Vielleicht geht es doch schneller. Hier sind Stühle, da könnte man ja warten.

Nach einer Stunde fragt eine vorbeigehende Schwester, auf wen die Dame warte, ob man helfen könne. Angelika erzählt wieder von ihrem Mann dem Unfallpatienten. Auch die Schwester erklärt ihr, dass das noch eine längere Operation wäre, sie möge doch nach Hause gehen. Nein, sie könne ihn jetzt nicht sehen und Auskunft kann sie als Schwester absolut nicht geben. Nach einem Blick auf die Uhr wird ihr klar, dass sie ja bald ihr Kind abholen muss. So macht sie sich schweren Herzens auf den Weg.

Angelika öffnet die Türe zum Kindergarten. Dort ist es relativ laut. Alle Kinder die abgeholt werden sind fix und fertig angezogen und springen wild herum. Lena entdeckt ihre Mama und kommt singend auf sie zu. Das Mädchen merkt, dass etwas mit ihrer Mama nicht stimmt. Sie wirkt nervös und sieht verweint aus. „Mama, hast du Ärger? Hat Papa dich wieder mit den Engeln geärgert?“ Lena weiß, dass ihre Mama den Glauben von ihr und Papa überspannt findet. Ihre Mama will von Gott und den Engeln nichts wissen. Sie findet beten und lesen von heiligen Geschichten langweilig.

„Nein, Lena, niemand hat mich geärgert. Schon gar nicht dein Papa. Er ist auch nicht zu Hause.“

„Das ist oft so. Papa arbeitet doch.“ Angelika weiß nicht, wie sie Lena den Unfall erklären sollte. Würde das Kind das verstehen, wenn sie sagt: „Er hat an der roten Ampel nicht angehalten?“

„Mama was ist denn? Warum sagst du mir nicht, was los ist?“

„Papa hatte einen Unfall mit dem Auto. Er ist im Krankenhaus.“

Lena scheint es noch nicht richtig erkannt zu haben was ihrem Papa widerfahren ist. Sie hüpft auf dem Bürgersteig herum und Angelika findet, dass die Kleine heute besonders stressig ist. Zu Hause angekommen fragt Lena: „Mami, warum fliegen Sterne so schrecklich schnell?“, „Das sind keine Sterne, das sind Flugzeuge.“ „Wie kommen die Flugzeuge denn da oben hin?“

„Lena, die sind so gebaut, dass sie fliegen können.“

„Ja, aber wenn es ganz dunkel ist und die Sterne da sind, dann stoßen sie doch zusammen.“

„Nein, die stoßen nicht zusammen, weil die Sterne wesentlich höher als die Flugzeuge sind und nun geh und wasch dir die Hände, wir wollen zu Abend essen. Angelika deckt den Tisch und Lena fragt ganz aufgeregt. „Mama fliegt der liebe Gott das Flugzeug?“ „Nein, das wird von Menschen gesteuert. Der liebe Gott? Na ja, der ist vielleicht auch dabei.“ Mama du weist ja wirklich nicht viel. Weist du denn was mit Papa los ist? „Ja Lena er hatte einen Unfall mit dem Auto und ist im Krankenhaus.“

„Das hast du mir doch schon gesagt. Wann kommt denn Papi nach Hause?“ „Mäuschen, ich weiß es nicht, ich hoffe sehr bald. Und nun esse, dann lese ich dir etwas vor. Danach ab ins Bett meine Kleine.“

Angelikas Nerven sind sehr angespannt. Lena ist ein aufgewecktes, wissbegieriges Mädchen. Gott sei Dank ist es schon so spät

Endlich schafft Angelika es, sich mit einem Glas Wein auf die Couch zu setzen. Körperlich und psychisch fast am Ende ihrer Kraft, ruft sie sich den Tag noch einmal in Erinnerung. So ganz kapiert sie noch nicht, was heute alles ablief. Es war ein so schöner Morgen. Martin und sie alberten mit Lena am Frühstückstisch. Man freute sich gemeinsam auf das Wochenende. Die Drei wollen in den Zoo. Dazu stand eine Fahrt und eine Übernachtung im Hotel mit Schwimmbad an.

Nach dem Frühstück kümmerte sich Martin um Lena. Er wollte sie wie immer in den Kindergarten bringen und danach weiter zu seiner Arbeitsstelle fahren. Angelika geht auch wie jeden Tag zum Bus um in ihr Büro zu kommen Die Kanzlei ist geöffnet. Wenn der Bus ein wenig Verspätung hat, kommt sie öfter mal fünf Minuten zu spät. Doch das stört niemand selbst den Chef nicht. Im Grunde verstehen sich alle gut und heute so kurz vor Wochenende sowieso. Dann war dieser furchtbare Anruf. Wieder treibt es Angelika Tränen in die Augen. Warum um alles in der Welt liegt Martin im Krankenhaus? Der Wochenendausflug fällt aus. Dabei haben sich alle Drei so darauf gefreut. Eigentümlicher Weise hat Lena sehr ruhig auf die traurige Nachricht reagiert. Angelika dachte das die kleine Puppe ausflippt. Aber nein, sie blieb sehr ruhig. Nur ihre Fragen nach Gott und den Schutzengeln. Ärgerlich dass sie als Mutter auf alle religiösen Fragen keine Antwort geben kann. Ihre eigene Mutter sagte immer: „Kind wenn du im Leben vorwärtskommen willst, brauchst du Deutsch und Mathe im Zeugnis mit der Note sehr gut.“ Religion kam zu Hause gar nicht vor. Kirche, sie kann sich nicht erinnern, zu Hause schon mal in einer Kirche gewesen zu sein. Martin weiß es, dass sie keinen Bezug zu seinem Glauben hat. Anfangs versuchte er sie zum Kirchgang zu ermuntern. Als er merkte, dass er bei ihr mit Religion auf Granit stößt, hat er es gelassen. Doch er machte ihr vom Anfang an klar, sollte mal irgend wann ein Kind kommen, wird das seine Religionswerte von ihm beigebracht bekommen. Das hat Angelika nie gestört, solange er sie mit dieser Thematik in Ruhe lies. Und Lena ist für derlei Geschichten Feuer und Flamme. Doch versteht das Kind absolut nicht, warum Mama den lieben Gott und die Schutzengel nicht kennt und nicht mag. Nun sitzt die Frau auf der Couch und grübelt über die Notwendigkeit von Unglück und wer für das Glück wohl zuständig ist. Hilft Religion in solchen Situationen weiter? Aber es gibt so viele Religionsrichtungen. Die Streitsituationen bei der Menschheit bis hin zu Kriegen. Bei welcher Religion wohnt Gott? Oder ist Gott bei Allen, oder nur bei denen, die in die Kirche gehen? In letzter Zeit war Martin nicht sehr oft in diesem religiösen Gebäude. Wird er jetzt dafür bestraft? Angelika spürt, dass sie wahrscheinlich viele Abende alleine hier sitzen wird. Das macht sie traurig. Vor allen Dingen muss sie selbst den Tagesablauf und den Haushalt regeln. Ihr wird bewusst, wie sehr ihr Mann sie unterstützt.

Es ist wieder einmal Abend. Und sie überlegt ihren nächsten Tagesablauf. Das Leben ist ungerecht. Alleine gelassen mit den Nöten in einer so furchtbaren Situation, findet Angelika alles stressig. Morgens Lena in den Kindergarten bringen. Schnellen Schrittes zu ihrem Arbeitsplatz laufen. Es sind wirklich nur zehn Minuten Entfernung vom Kindergarten, aber im Laufschritt, sonst kommt sie zu spät in das Büro. Am Nachmittag wieder dasselbe umgekehrt, nur Stress. Dann noch das nervige Kind mit seinen vielen Fragen.Von den vielen Gedankengängen erschöpft, merkt Angelika die schweren Augenlider. Sie muss ins Bett.

Endlich ist alles für morgen vorbereitet und ihr Körper spürt das Kissen und die Zudecke. Wie schön, der Rücken kann ausruhen. Sie möchte gerne noch mal ein wenig in einem Buch blättern, doch der Schlaf übermannt sie. Ein anstrengender Alptraum strapaziert ihre Nerven.

„Pass auf, Martin, da vorne steht die Ampel auf Rot.“ „Ach Gott, bis ich da bin, ist sie grün.“ „Mann, bremse doch einfach.“ „Wer fährt Auto, du oder ich? Der Beifahrer hat die Klappe zu halten,“ flüstert Martin in den nicht vorhandenen Bart. Angelika steht am Straßenrand ... und sitzt gleichzeitig im Auto. Aber ihr passiert nichts. Martin sieht schlimm aus. Der Anblick ist kaum zu ertragen, doch weg schauen kann sie nicht. Auch nicht um Hilfe rufen. Das Handy funktioniert nicht, der Akku ist leer. Da setzt sich Martin zu ihr an den Straßenrand und meint: „Ich hätte doch bremsen sollen.“ „Ja“, kommt es von ihr, „dann würde die Frau im anderen Auto noch leben.“

Angelika friert und je mehr sie friert, umso weiter rückt der Traum fort. Sie schlägt die Augen auf und macht das Licht an. Nun merkt sie, dass ihre Bettdecke zu Boden gefallen ist. Die Bilder vom Traum wo sind sie hin? So sehr sie sich anstrengt, die Geschichte ist nur noch Bruchstückweise da. Woher kommen diese Bilder? Der Polizist hatte doch nichts von einer Toten gesagt. So ein Traum was will der sagen? Soll sie auf etwas aufmerksam gemacht werden? Ist da wirklich durch Martins Auto eine Frau gestorben? Wenn ja, wer war die Frau? Eine junge Frau? Womöglich mit kleinen Kindern? Wie kam es überhaupt zu diesem Unfall? Angelika schaut auf die Uhr. Drei Stunden kann sie noch schlafen.Dann heißt es aufstehen, das Kind versorgen, der normale morgendliche Stress eben. Wenn nur Lena nicht so anstrengend wäre.

Wie schön ist das wenn Martin sie morgens unterstützt. Hoffentlich wacht er bald ohne bleibende Schäden auf. Beim nächsten Besuch wird sie sich bei seinem behandelnden Arzt erkundigen. Und bei der Polizei könnte sie fragen, wer da noch an dem Crash beteiligt war. Ich muss was tun. Die Angst, dass da was ganz Schlimmes auf sie zukommt, peinigt Angelika kolossal. Woher kommt diese Angst – und – wie soll ich das bewältigen, fragt sie sich. Die Müdigkeit zwingt sie die Lider zu schließen.

„Mama, ich bin schon wach. Wann gibt es Frühstück?“ Angelika schreckt aus dem Bett hoch. Das Herz klopft bis zum Hals und sie schaut auf die Uhr. Mann, oh Mann, ich habe verschlafen! Schnell springt die Frau aus dem Bett und ruft: „Gleich, mein Schatz, ich habe verschlafen ... ich komme gleich.“ Als Erstes ruft Angelika im Büro an. Die Kollegin hört sich die Geschichte an und meint: „Mensch, mach doch krank, das wird alles zu viel für dich. Irgendwann liegst du wirklich krank da, damit ist auch niemandem geholfen. Geh zum Arzt, ich regle hier die Angelegenheit. Und du sieh zu, dass du zuhause klar kommst.“

„Ja, du hast recht, ich bringe die Kleine in den Kindergarten dann gehe ich zum Arzt. Mir geht es wirklich nicht gut. Die Krankmeldung bringe ich später vorbei. Und danke, ich revanchiere mich, wenn hier wieder alles normal läuft.“ „Lena, du kannst dein Frühstück essen. Ich gehe kurz unter die Dusche.“ „Mama, du sollst mit mir frühstücken, alleine schmeckt es nicht.“ „Kind, ich habe heute keine Zeit und Papa ist nicht da, das weißt du doch.“ „Wieso duscht du denn heute Morgen, das machst du doch sonst immer am Abend?“ „Weil ich gleich zum Arzt muss. Und nun esse dein Brot und trinke deine Milch.“ „Mami bist du jetzt auch krank? Musst du auch in das Krankenhaus?“ Etwas genervt von der Fragerei der Tochter sagt sie: „Ich fühle mich nicht wohl. Aber ich muss nicht ins Krankenhaus. Und nun lasse mich endlich in Ruhe duschen.“

Ich glaube, ich werde verrückt

„Herr Doktor, ich glaube ich werde verrückt.“ „Na na, was ist denn los? So einfach wird man nicht verrückt.“ „Irgendwie wächst mir alles über den Kopf, ich kann nicht mehr.“

„Gibt es denn im Moment Stresssituationen bei ihnen? Erzählen sie, wir finden sicher eine Lösung.“ Angelika erzählt von dem Unfall ihres Mannes, von den unendlichen Fragestellungen ihrer Tochter. Der Stress an jeden morgen, bis die Kleine im Kindergarten und sie bei der Arbeit ist. Es bleibt keine Zeit, ihren Mann zu besuchen. Und jetzt auch noch der Traum. Das ist doch nicht normal, Herr Doktor. Statt ruhig im Bett zu ruhen, diese Träume. Wofür werden wir bestraft? Oder gibt es gar keinen Gott? Weshalb war Martins Schutzengel nicht bei ihm? Oder sind das Spinnereien vom Pfarrer?“ „Gute Frau darf ich sie fragen, beschäftigen sie sich jetzt vermehrt mit dem Glauben? Kann es sein, dass ihr Gewissen drückt? Wie kommen sie überhaupt zu diesem Thema?“

„Meine kleine Tochter hat in dieser Angelegenheit so viele Fragen. Und meistens weiß ich auch keine Antwort. Ich habe Angst, dass mich die momentane Situation zu Hause und an der Arbeit überfordert. Ich schaffe das alles nicht.“

„Nun, ich schlage vor, ich schreibe sie erst einmal arbeitsunfähig. Sie erledigen ihre Angelegenheiten und ruhen sich aus. Dazu nehmen sie zur Beruhigung Tabletten, die ich ihnen verschreibe, dann sehen wir weiter. Haben sie denn niemanden, der sie unterstützen kann?“

Kopfschütteln und der Blick der Patientin lässt ihn nicht weiter fragen. Mit einem Rezept in der Hand verlässt sie die Praxis und geht zu ihrer Arbeitsstelle um ihre Krankschreibung abzugeben. Momentan kommt es aber wirklich dicke. Einiges will sie danach noch erledigen, bevor Lena sie wieder löchert mit ihren tausend Fragen. Als Erstes geht sie in die Apotheke, um ihre Medikamente zu holen. Anschließend in das Krankenhaus um Martin zu besuchen. Ach ja, sie will doch mit dem Arzt sprechen. Und bei der Polizei da könnte sie vielleicht einfach anrufen.

Ein junger Arzt läuft den Krankenhausgang entlang „Herr Doktor ich bin Frau Sommer. Können sie mir sagen, wie es meinen Mann geht?“ Ach ja Frau Sommer. Ich komme gerade aus dem Zimmer ihres Mannes. So wie es aussieht, wird er in den nächsten Tagen aufwachen.“

„Und was kommt dann?“

„Das kann ich ihnen auch nicht so genau sagen. Er wurde in ein künstliches Koma versetzt um sich besser erholen zu können. Es stehen noch einige Untersuchungen an. Erst dann werden wir sehen, wie es weiter gehen kann. Sie brauchen noch jede Menge Geduld. Aber hat denn niemand über den Gesamtzustand ihres Mann mit ihnen gesprochen?“

„Nein, ich war auch noch nicht sehr oft hier. Ich arbeite und habe eine fast sechsjährige Tochter. Da bleibt nicht viel Zeit.“ Als sie gleich darauf bei Martin am Bett sitzt, erzählt sie ihm, wie dreckig es ihr im Moment geht und wie sehr sie seine Unterstützung bräuchte. „Was ist eigentlich passiert? Wie kam es zu dem Unfall? Diese Frage musst du mir noch beantworten. Wenn mein Albtraum stimmt, ist eine Frau jetzt tot. Ich werde noch wahnsinnig, ich habe so viele Fragen. Und Lena löchert mich. Wie hältst du das mit ihr nur aus? Du bleibst immer ruhig und erklärst ihr alles. Ich hingegen könnte sie an die Wand klatschen. Wieso hast du ihr das Schutzengelsbuch gegeben? Diese Geschichten machen mich total verrückt. Ich habe keine Ahnung, ob sie in mir etwas aufwühlen oder mir was sagen wollen. Du weist doch, dein Glaube hat mich noch nie interessiert. Was rede ich eigentlich so viel? Du hörst mich ja doch nicht. Und jetzt gehe ich unser Kind abholen. Ich liebe sie auch, aber sie nervt kolossal.“ Hat Martin gelächelt? Oder bildet sich Angelika das ein? Sie nimmt seine Hand und drückt sie leicht. Da ist nichts, kein Gegendruck – oder doch? Wieder schaut sie in sein Gesicht. Ausdruckslos, mit geschlossenen Augen und scheinbar ruhig atmend, liegt Martin vor ihr. Wo ist sein Lachen hin, sein überschäumendes Lachen? Warum legt er nicht seine Arme um mich, so wie er das immer macht, wenn er merkt, dass ich angespannt bin? Diese Stille, diese eisige Stille und das leise Geräusch der Maschinen, an die Martin angeschlossen ist. Angelika steht auf, sie muss fort. Hier wird sie sicher gleich total verrückt.

***

Während sie den Weg zum Kindergarten zurücklegt, überlegt sie, was sie kochen könnte und ob sie dafür alles zu Hause hat. Ihr wird es bewusst, wie viel Arbeit eine alleinerziehende Mama oder auch ein Papa so jeden Tag hat.

„Nein, das wäre nichts für mich. Das könnte ich nicht schaffen“, murmelt sie halblaut vor sich hin. Im Kindergarten angekommen, wird sie schon erwartet. So sagt sie: „Hallo mein Mäuschen ich bin da.“ Angelika setzt ein bewusst heiteres Lächeln für ihre Tochter auf. Sie weiß – auch die Kleine leidet unter der jetzigen Situation. Das Mädchen sprudelt gleich los. „Mami, der Rainer hat mich gehauen und – ich habe zurückgeschlagen, habe ich doch gut gemacht, oder?“

„Warum hat er dich denn gehauen?“ Schmollend gibt die Kleine zu: „Weil ich ihm das Buch abgenommen habe.“ „Das macht man doch nicht, Lena.“

„Wenn ich es aber haben will! Papa sagt, man muss sich wehren, man darf sich nicht alles gefallen lassen und da sind so schöne Tiere drin.“

„Kind, man kann nicht alles haben, was man sieht, vor allen Dingen, man muss nicht schlagen. Man könnte auch freundlich fragen, ob man mit gucken kann. Finde ich nicht gut, wie das gelaufen ist.“

„Das hat mir die Frau Klein auch gesagt und – ich musste das Buch wieder zurückgeben. Jetzt will ich zu Papa.“ „Nein, wir gehen jetzt nach Hause. Ich habe noch jede Menge zu tun und es ist auch wieder bald Abend.“ „Mama, du hast immer nur Stress. Nie hast du Zeit für mich. Papa soll endlich wiederkommen, er hat immer Zeit für mich.“

Angelika merkt, wie sich ihr Magen zusammenzieht. Nimmt sie sich wirklich zu wenig Zeit für ihre Tochter? Zu Hause angekommen drückt sie den Knopf vom Fernseher. „Lena magst du eine Kindersendung sehen?“

„Und was machst du jetzt? Setzt du dich auch zu mir und guckst mit?“

„Nein, Kind, ich trinke eine Tasse Kaffee und nehme meine Medizin. Danach muss ich für uns etwas kochen. Später ist es dann schon wieder Zeit für das Bett.“

„Siehst du, da ist keine Zeit für mich. Papa sagt, ich komme in deinem Leben nur als Stressfaktor vor.“

„Das stimmt doch gar nicht. Das hat Papa bestimmt nicht gesagt.“

„Doch und weißt du was? Du gehst mir auf die Nerven. Warum liegst du nicht im Krankenhaus? Papa würde sicher mit mir Fernsehen gucken.“

Angelika schluckt. Tränen steigen in die Augen und im Magen scheint gerade ein Gewitter unterwegs zu sein. Schnell geht sie in das Badezimmer und setzt sich auf den Boden. Tausend Fragen – nein, Ameisen krabbeln im Kopf. Kein wirklich klarer Gedanke lässt sich fassen. Sie hört in sich hinein. Liebt sie Lena? Oder ist sie wirklich nur ein Stressfaktor? Angelika weiß nicht, wie lange sie da sitzt und grübelt, als in der Ferne das Telefon klingelt und sie aus ihren dunklen Gedanken holt.„Mama ... Mama, wo bist du? Das Telefon klingelt.“

„Ja Kind ich komme.“ Angelika rafft sich auf und eilt zum Apparat. „Hallo? Wer spricht denn da? Wer? Ich kenne sie nicht.“ Sie hört: "Nein, Frau Sommer, sie kennen mich nicht und vielleicht lernen sie mich auch nie kennen. Ich bin der Vater des kleinen Jungen, dem ihr Mann die Mutter genommen hat. Das wollte ich ihnen schnell gesagt haben. Wir haben sie gestern beerdigt.“ Angelika merkt, dass am anderen Ende des Telefons niemand mehr dran ist. Sie weiß nicht, wie lange sie den Hörer in der Hand hält, als Lena fragt: „Mama, wer war das? Du guckst so komisch und sprichst nicht was ist los?“ „Nichts, gar nichts ist los, da hat sich jemand verwählt.

***

Jetzt weiß die junge Frau wirklich nicht mehr, wie sie den heutigen Tag zu Ende bringen soll. Keiner gibt ihr Halt niemand gibt ihr Trost. Selbst ihre Mutter ruft nur alle paar Tage an und fragt, wie es geht. Was soll sie da sagen? „Geht so, es geht schon, wir schaffen das schon.“ Mutter gibt ihr nicht das Gefühl, das sie wirklich um das Wohlergehen ihrer Tochter besorgt ist. Nein, das sind Pflichtanrufe überlegt Angelika. Aber so war es doch zu Hause immer. Mama hat sich eigentlich nie groß um sie gekümmert. Und trotzdem wusste sie, dass ihre Mama sie gerne hat. Gespielt hat diese Frau doch auch nie mit ihrer Tochter. Aber sie hat sich immer darum gekümmert, dass das Kind alles hatte, was es brauchte. Angelika hatte als Kind mehr Gefühle für ihrem Vater. Das war ein sehr enges und warmes Verhältnis. Wie furchtbar fühlte es sich an, als er ihr eines Tages sagte, dass er weit fortziehen wird, weil Mama und er sich aus den Augen verloren haben. Auch wenn sie schon zehn Jahre alt war, das war ein Schlag mitten in das Gesicht und doch – sie hat es überlebt und wurde trotzdem erwachsen. Vater ging damals und sie weiß bis heute nicht wohin. Manchmal hat sie schon überlegt ihn zu suchen. Aber wer weiß, ob er noch lebt und wo, wo soll sie suchen? Mutter gibt keinerlei Auskunft auf diese Frage. Ganz in den Gedanken versunken, wie schwierig ihr Leben doch verläuft, hört sie ihre Tochter fragen. „Mama gibt es heute nichts zu essen? Der kleine Zeiger auf der Uhr steht schon auf der Acht. Da muss ich doch sonst immer schon im Bett liegen.“ „Oh Mäuschen, jetzt habe ich die Zeit aber vollkommen vergessen. Weißt du was ich, mach uns schnell eine Pizza. In der Zeit kannst du dich schon waschen und umziehen. Dann bringe ich dich eben morgen ein wenig später in den Kindergarten, das klappt schon.“

Endlich, jetzt endlich liegt Lena im Bett. Hunde müde bestückt mit einem Glas Wein setzt sich Angelika im Wohnzimmer auf die Couch. Nach einem Schluck schließt sie die Augen und überdenkt den unbekannten Anruf. Was hätte sie denn sagen können? War es richtig sich alles wortlos anzuhören? Woher hat der Anrufer den Namen und die Nummer? Wie wird Martin damit fertig werden, einen Menschen getötet zu haben? Es gibt da sicher irgendwann eine Gerichtsverhandlung, was kommt da noch alles auf sie zu? Kann man als Mensch so schwere Schicksalsschläge verkraften, ohne selbst verrückt zu werden? Wie steht ich noch zu meinem Mann? Liebe ich ihn noch? Was sagt mein Herz? Ja – und wie stehe ich denn zu Lena? Warum sagt ihre Tochter so harte Worte zu ihr? Kann es sein, dass sich ihr eigenes Schicksal aus Kindertagen wiederholt? Ist sie genau wie ihre Mutter nicht zu echten Gefühlen fähig? Sie sind doch eine wunderbar, glücklich und gut organisierte Familie. Alles passt. Man kann zweimal im Jahr in den Urlaub fliegen. Und diese Zeiten sind fantastisch. Martin kümmert sich wunderbar um Lena. Sie selbst bekommt Haushalt und Arbeit und Familie unter einen Hut. Martin kann es sich leisten, sie in der Kindererziehung und zu Hause zu unterstützen. Seine Arbeitszeiten lässt es zu. Es war eine so schöne Zeit. Wie wird es werden, wenn Martin wieder fit ist? Kann man irgendwann an die alten Zeiten anschließen? Oder wird er behindert bleiben? Wird sie die Kraft haben, alles auszuhalten? Wie sieht es finanziell aus? Wir brauchen ein neues Auto. Wird die Versicherung der geschädigten Seite wenigstens finanzielle Entschädigung leisten? So viele Gedanken die Angelika Angst machen. Unruhig schläft sie wieder einmal auf der Couch ein.

Du bist nicht mein Onkel

„Mama, hast du hier geschlafen? Ich habe Hunger.“

„Oh Lena hast du mich jetzt erschreckt, was ist denn los? Kannst du nicht schlafen?“

„Mama draußen ist es hell, ich muss in den Kindergarten.“

„Magst du heute nicht lieber zu Hause bleiben?“

„ Nur wenn wir zu Papa gehen.Weißt du was ich, habe vom Papa geträumt. Er stand am Fenster, als wir zum Krankenhaus gelaufen sind und hat uns zugewunken.“

„Oh – wie schön – das wird er sicher bald machen. Ja, wir gehen nachher zu Papa. Vielleicht ist er schon wach, mal sehen.“

Müde erhebt sich Angelika. Sämtliche Knochen schmerzen. Langsam deckt sie den Tisch. Lena springt hektisch durch das Esszimmer und Angelika muss sehr mit sich ringen, um die Kleine nicht anzubrüllen. Das Gehobse von dem Kind macht sie richtig nervös. Eigentlich hat sie gar keinen Appetit. Die zwei Frauen frühstücken und nachdem die Küche wieder sauber ist, machen sie sich auf den Weg in das Krankenhaus. Unruhig rutscht Lena im Bus auf dem Sitz hin und her. Angelika hört eine Frauenstimme hinter sich, die sagt:

„Heute sind die Frauen nicht mal fähig ihren Kindern Benehmen beizubringen. Das Gör müsst meine sein, der würde ich zeigen wie still sitzen geht.“

Angelika antwortet nicht, obwohl ihr einige Worte auf der Zunge liegen. Endlich hält der Bus und die Beiden sind angekommen. Lena kann es kaum erwarten die Zimmertüre zu öffnen. Sie hofft so sehr, dass Papa ihr zulächelt. Doch er liegt immer noch mit geschlossenen Augen in seinem Bett. „Papa, kannst du mich hören? Warum sagst du denn nichts? Du schläfst doch schon so lange, ich will wieder mit dir sprechen, hörst du?“ Keine Reaktion. Lena schaut enttäuscht zu ihrer Mutter. „Mama, wie lange soll das noch dauern? Langsam kann sein Schutzengel aber wieder zurückkommen. Und wo ist bitte schön der liebe Gott? Wo wohnt der denn? Kann man den holen, dass er Papa hilft?“

„Ach Kind, ich weiß es nicht, wo all die Heiligen herumschwirren. Hier scheinen sie nicht zu sein, sonst ginge es deinem Papa sicher besser. Wir müssen Geduld haben.“ „Und was ist Geduld?“ „Das, was du leider gar nicht hast.“ Es klopft, ein Arzt tritt in das Zimmer. „Guten Tag, die beiden Damen. Wollt ihr eurem Papa einen Besuch abstatten?“ Lena schaut den Mann an und meint: „Das ist doch nur mein Papa. Meine Mama hat keinen Papa, oder hast du einen?“

„Nein ich habe keinen du hast recht, das hier ist dein Papa und mein Mann. Ist das jetzt geklärt, Lena?“

„Wer bist du denn?“, will das Kind von dem Arzt wissen. „Was machst du hier? Besuchst du auch meinen Papa?“ „Nein, ich arbeite hier. Ich bin der Onkel Doktor und versuche, deinem Papa zu helfen.“ „Heißt du Onkel?“ „Nein ich heiße Rainer Mayer und bin Arzt. Kinder sagen meistens Onkel Doktor zu mir.“

„Aber ich nicht, du bist nicht mein Onkel du bist nur ein fremder Mann. Und mit fremden Männern spreche ich nicht. Meine Mama sagt, die Männer die sagen sie wären Onkels die sind gefährlich, da darf man nicht mitgehen, stimmt das Mama?“ „Ja Kind, das stimmt. Aber hier im Krankenhaus ist das alles wieder ein wenig anders. Gut, also das ist Herr Doktor Mayer und er möchte deinem Vater helfen. Ist das in Ordnung?“ „Ich hoffe es. Herr Doktor Mayer wie lange will denn mein Papa noch schlafen? Ich muss ganz dringend mit ihm reden. Er braucht doch wieder den Schutzengel und den lieben Gott. Ich will die Zwei für ihn holen. Aber ich weiß nicht, wo die Beiden wohnen.“

„Oh, junges Fräulein ja da hast du dir aber etwas ganz Schweres vorgenommen. Wie lange er noch schläft? Ja das ist eine gute Frage. Wenn du noch eine Stunde Zeit hast, kann er dich vielleicht hören. Aber sprechen kann er ganz sicher noch nicht. Und sehen wird er dich auch noch nicht, aber gib ihm die Hand, vielleicht kann er sie mal drücken. Und jetzt nehme ich deine Mama kurz mit hinaus auf den Flur. Wir haben etwas zu besprechen. Du kannst solange bei den Schwestern bleiben. Sie machen für deinen Papa das Bett frisch. Ist das in Ordnung?“

„Ja wenn es sein muss,“ antwortet Lena. Die Erwachsenen schmunzeln. Auf dem Flur angekommen sagt der Arzt: „Also sie wissen sicher auch was sie geschafft haben, wenn es Abend ist. Ihre Tochter ist ja mehr als wissbegierig. Mann oh Mann ... aber ein hübsches, schlaues Kind. Nun zu ihrem Mann. Er wird in den nächsten Stunden wieder langsam wach werden. Leider kann ich noch nicht sagen, in welchem Zustand er sein wird, wenn er die Augen aufschlägt. Bei unseren Tests hat er in den Beinen noch kein Gefühl gezeigt wir müssen abwarten.“

„Herr Doktor was heißt das genau? Kann mein Mann nicht mehr laufen?“ „Vertrauen und Hoffen, das wäre jetzt wichtig.“ Der Arzt lässt die Frau stehen und geht.

Wieder ein Schlag in das Gesicht, aber volle Kanne. „Gott, ich glaube ich gehe dich suchen. Vielleicht kannst du doch noch was für uns tun.“ Nun muss sie aber lächeln. Wenn es ihn gibt, wohnt der sicher sehr abseits da, wo Menschen von ihrer Art nicht hinkommen. Jetzt will sie erst einmal nach ihrem Mann und ihrem Kind sehen. „Mama, ich glaube, Papa hört mich.“

„Wie kommst du denn darauf? Hat er geantwortet?“

„Nein – das kann er doch noch gar nicht. Aber ich glaube er hat den Kopf zu mir gedreht.“ „Ja wie jetzt – glaubst du,oder hat er?“ „Ich glaube er hat.“

Aufgeregt rutscht Lena auf dem Bettrand hin und her. Ihre Finger fahren dem Mann über die Wangen über die Nase den Mund. Die Hände versucht sie zu schütteln, aber sie lassen sich irgendwie nicht bewegen.

„Lena komm setze dich lieber auf den Stuhl. Du machst Papa ja ganz nervös mit deiner Unruhe.“

„Der merkt das doch gar nicht. Außerdem bin ich auch nervös. Er soll doch endlich mit mir reden.“

„Kind, so einfach ist das nicht. Es dauert schon ein bisschen, bis Papa wieder sprechen kann. Weißt du was? Wir gehen jetzt wieder. Und wir gehen am Friedhof vorbei.“ „Und was machen wir da?“

„Wir gucken uns die Gräber an.“ „Nein, das will ich nicht. Ich möchte bei Papa bleiben. Vielleicht wird er ja gleich wach dann ist keiner da.“

„Ich habe gesagt wir gehen jetzt und damit basta.“

Lena fängt zu heulen an und brüllt sehr laut: „Papa würde sicher nicht fortgehen, wenn du wach werden würdest. Er liebt dich nämlich. Das hat er mir schon oft gesagt. Aber du bist eine alte Ziege, du magst uns beide nicht.“

Angelika hat alle Hände voll zu tun, um ihre Tochter ein wenig zu beruhigen. Am liebsten würde sie jetzt ausholen und dem Mädchen Manieren beibringen. Ja, das artet in einen kleinen Kampf aus das Benehmen von Mutter und Kind. Die Tür geht auf der Arzt schaut entsetzt auf die Frau und ihre Tochter und sagt mit erhobener Stimme: „Meine Damen wir befinden uns hier im Krankenhaus in einem Krankenzimmer. Dort liegt Ihr Mann und Vater mit offenen Augen und Tränen auf der Wange. Sie haben vor lauter Disput gar nicht gemerkt, dass der Patient wach geworden ist.“ Peinlich berührt schaut die Frau und das Kind den Mann im Bett an. Die Kleine fängt sich als Erste und ruft: „Papa da bist du ja.“ „Hallo, Martin willkommen im Leben“, sind die Worte seiner Frau.

Lena will sich sofort zu ihrem Vater legen und vor allen Dingen erwartet sie Antworten. Angelika stoppt ihre Tochter und sagt: „Mädchen, mach langsam Papa muss erst einmal zu sich kommen. Das kann noch etwas dauern. Setze dich auf den Bettrand sprich ganz langsam und schau deinem Vater in die Augen. Dort wirst du sehen, wie er reagiert.“ Während sie so spricht, beobachtet sie Martin und denkt so für sich, er sieht müde und ausgelaugt aus. Die Augen sind matt und scheinen immer wieder zuzufallen.

Der Arzt spricht zu seinem Patienten: „Sagen sie können sie uns hören? Ich stelle ihnen jetzt ein paar Fragen. Für ein Ja schließen sie bitte die Augen einmal für ein Nein zweimal schnell hintereinander so, wie sie das können. Haben sie mich verstanden?“ Es kommt ein Wimpernschlag und angestrengt blickende Augen sehen den Arzt an. „Können sie mir sagen, ob sie Schmerzen haben?“

Zwei Wimpernschläge recht schnell aufeinander folgend.

„Gut, also sie sind schmerzfrei?“ Müde gehen die Lieder einmal nach unten. Der Arzt beugt sich ein wenig zum Patienten und sagt: „Das ist doch prima dann würde ich meinen sie sollten sich erst einmal ein wenig erholen. Ihr Besuch sollte jetzt auch gehen und sie haben dann die Möglichkeit auszuruhen. Später werde ich dann kommen, um bei ihnen einige Reflexe zu prüfen, ist das für sie okay?“ Ein Wimpernschlag. „Vielleicht kommt ihre Familie morgen wieder. Da geht es ihnen ganz bestimmt besser und vielleicht hat sich dann die Sprache wieder eingestellt. Dann können sie die Fragen ihrer Tochter beantworten, da haben sie schon einen ganz großen Teil zur Genesung geschafft.“ Der Arzt wartet keine Antwort ab und bittet die beiden Damen das Krankenzimmer zu verlassen.

Lena laufen die Tränen und sie sagt: „Papa es wird Zeit, dass du mir sagst, wo Gott wohnt, damit ich ihn hier zu dir holen kann und deinen Schutzengel auch ... du und ich ... wir glauben doch daran, dass die beiden uns helfen können, oder?“Sie beugt sich über das Gesicht ihres Vaters und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

Angelika setzen die Sätze ihrer Tochter sehr zu. Auch sie beugt sich zu ihrem Mann und gibt ihm einen Kuss. Doch die Wangen ihres Mannes fühlen sich fremd an. Er schaut ihr zwar in die Augen, aber sein Blick erreicht sie nicht. Diese Augen wirken kalt. Oder sind ihre Augen kalt? Also dieses kleine Monster von Kind versteht mit ein paar Worten ihrer Mutter ein dermaßen schlechtes Gefühl zu geben, das trifft diese Frau total. Sie nimmt die Hand von Lena und sagt zu ihrem Mann: „Bis morgen – ja, ich denke schon ... bis morgen dann.“ Sie verlassen das Zimmer und Martin bleibt alleine zurück. In Martins Kopf scheint sich was zu tun. Auf dem Aufzeichnungsgerät werden die Linien sehr sehr kurvig. Er selbst scheint teilnahmslos an die Decke zu starren. Als er aber sehr viel später über diese Aufwachphase nachdenkt, fällt ihm ein, dass er so gar nicht wusste, wo er war und warum er da war.

Er kann sich auch nicht so richtig bewegen. Die Füße und Beine scheinen nicht zu existieren. Im Übrigen überkommt ihn ein Gefühl, dass sich Mutter und Tochter nicht sehr gut verstehen. Ja Lena, ein zappeliges aufgewecktes Kind. Und sie ist auf alle Fälle sehr auf ihn fixiert, daran kann er sich erinnern. Aber jetzt ist er erst einmal richtig müde - schlafen möchte der Mann, nur schlafen. Wach werden aufstehen und nach Hause gehen … und mit diesem Gefühl schläft er ein.

Gott – Glaube oder Religion?

Auf dem Nachhauseweg fragt Angelika ihre Tochter. „ Lena, warum findest du den Glauben von Papa gut?“

„ Immer wenn ich Angst habe, spreche ich mit Gott oder meinem Schutzengel dann ist die Angst fort.“ „Was für ein Blödsinn wer erzählt dir denn so was?“

Lena reißt sich los. Voller Zorn sagt sie: „wusste ich es doch, du hast von nichts Ahnung. Mein Papa hat gesagt – wenn man ganz lieb bittet und den Beiden sagt, was man möchte, dann bekommt man es auch – und was Papa sagt das stimmt.“

„Mädchen ihr mit eurem dummen Gequatsche! Wo waren denn eure Freunde, als sie auf Papa aufpassen sollten? Nun liegt er im Krankenhaus und niemand weiß, wie es bei uns weitergehen soll.“ „Mutter lass mich in Ruhe das verstehst du sowieso nicht.“ Angelika möchte am liebsten vor Zorn platzen. Was bildet sich diese kleine Göre denn überhaupt ein und woher hat sie diese neunmalklugen Sprüche? Es kann doch nicht sein, dass die eigene Tochter mit nun knapp sechs Jahren ihrer Mutter erklärt sie habe keine Ahnung. Nein so wie es zurzeit läuft ist das Leben absolut nicht lebenswert. Da muss etwas passieren. Aber zum Friedhof gehe ich jetzt nicht überlegt die Frau, nicht mit diesem Kind. Die ist imstande und bohrt mir mit ihren Fragen ein Loch in den Bauch. Und was dabei das Schlimmste wäre, Angelika ist sich nicht sicher, dass sie Antworten wüsste. Was sollte sie denn auch sagen? Hier liegt die Frau, die Papa totgefahren hat? Auch wenn sie momentan nicht das beste Verhältnis zu ihrer Tochter hat und sie ihr nur zu gerne zeigen würde, dass ihr Papa schlimme Fehler gemacht hat, aber das ginge jetzt zu weit. So fahren sie mit dem Bus nach Hause. Die Gemüter beruhigen sich etwas. Zuhause können Mutter und Tochter sich gemeinsam darüber zu freuen, dass der Vater die Augen aufgemacht hat. Lena kann sich beim Erzählen unwahrscheinlich in ihre gesprochenen Worte hineinversetzen und ein Strahlen aus den Augen des Kindes lassen die Mutter staunen ... einfach nur staunen. Irgendwie schafft es Lena die Frau neugierig zu machen. Sie wird sich das Schutzengelsbuch ganz bestimmt heute Abend genauer anschauen, es muss doch etwas dran sein an dem Glauben der Mann und Tochter so verbindet. Sie möchte auch teilhaben an der Freude. Sie möchte mit den engsten Familienmitgliedern, mit den wichtigsten Menschen in ihrem Leben eins werden, dazugehören, verstehen, was die Zwei so stark verbindet.

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Heute funktioniert alles, die zwei Damen machen sich ein wunderbares Abendessen. Ja, sie setzen sich sogar gemeinsam in die Badewanne und genießen ihre Zweisamkeit. Lena stellt viele Fragen. Die Schule interessiert das kleine Fräulein und die Uhr und der Schulweg. Die Beiden führen gute Gespräche. Nach dem Abendessen bringt Angelika ihr Kind zu Bett und liest eine Geschichte aus dem viel gepriesenen Schutzengelsbuch vor. Heute nicht mit Widerwillen – nein, sehr gefühlvoll.

Lena strahlt hört ruhig zu, und als die Geschichte zu Ende ist, sagt sie zu ihrer Mutter: „Siehst du Mama, du musst nur sagen, was du brauchst und willst das klappt dann schon. Mama, ich habe dich so lieb.“ Ein Küsschen noch Licht aus und Angelika nimmt sich das Buch und verlässt ruhig und fast glücklich das Zimmer ihrer Tochter. Schnell wird alles aufgeräumt, denn morgen soll Lena wieder in den Kindergarten. Sie selbst braucht eine neue Krankschreibung.

Zum Friedhof will sie und – auf jeden Fall zu Martin. Aber jetzt wird sie noch einmal die Geschichte lesen und in sich hinein hören, ob da etwas von der Botschaft aus dem Buch bei ihr angekommen ist. Ein Gläschen Wein und das Engelsbuch. Angelika sitzt entspannt auf der Couch und überlegt - das war doch mal ein wirklich schöner Nachmittag mit Lena. Von dieser Sorte dürfen ruhig noch viele folgen. Noch schöner wäre es, wenn Martin auch dabei wäre.

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