Und plötzlich sieht dein Leben anders aus - Fritz-Dieter Kupfernagel - E-Book

Und plötzlich sieht dein Leben anders aus E-Book

Fritz-Dieter Kupfernagel

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Beschreibung

Carlo ist begeisterter Downhill-Biker. Bei einer Trainingsfahrt sieht er zwei Mädchen auf seiner Strecke. "Wenn er jetzt nicht bremsen kann, wird es knallen. Er ist mit seinem Fahrrad zum Geschoss geworden. Er kann nicht bremsen!" Seine "Heldentat" hinterlässt Eindruck bei den Mädchen: "Ein toller Kerl. Was der sich getraut! Und seine total schwarzen Haare!" Caro kann sich nicht enthalten, diese Feststellung mit einem tiefen Seufzer hervor zu bringen. Wie das Leben so spielt, lässt sich eine Entwicklung nicht aufhalten. Bernie ist die Praktische und Schlagfertige. Das erste Zusammentreffen blockt sie ab, ist aber dann doch neugierig: "Ich komme mit, aber nur, um auf dich aufzupassen."

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1.Aufpassen muss man schon

Carlo, denkt nicht darüber nach, ob das gut gehen wird. Wie so oft testet er seine Möglichkeiten, das Fahrrad extrem zu belasten. Der Naturweg im Stadtwald, der fast im Zentrum liegt, bietet sich geradezu an. Er ist steil, kurvenreich und vor allem heben sich viele Wurzeln von Bäumen aus dem Boden hervor. Selbst für Wanderer heißt es immerzu aufpassen. Auf diesem Stück des Weges bekommt man wenig von der Natur mit, weil zu sehr auf den Weg geachtet werden muss. Aufpassen muss man auch, wenn Spaziergänger auf dem Weg laufen, der diesen Naturweg schneidet. Diese Stelle ausgerechnet ist durch eine scharfe Kurve versteckt.

Das alles hindert ihn aber nicht, diesen Weg mit dem Fahrrad herunter zu fahren. Er hat das schön öfter getan. Seinem Körper sieht man es an. An vielen Stellen sind Narben zu entdecken. Da ist er aber hart im Nehmen. Ein wenig bedauert er es, dass Felix sich nicht für dieses Abenteuer begeistern kann. Seit ihrer Kindheit machen sie vieles gemeinsam. Den größten Teil ihrer Freizeit sind sie zusammen. Allerdings ist er der sportlich aktiverer Teil. Felix hat es mehr mit Abenteuern, die sich im Kopf abspielen. So kommt es auch, dass Carlo heute hier allein seinem Vergnügen nachgeht. Felix wird ihn aber gleich abholen. Dann kommt er auch mit seinem Fahrrad. Vielleicht kann er ihn doch einmal überreden, eine Strecke nach unten zu fahren?

Er steht auf den Pedalen und hält das Fahrrad in der Balance, indem er mit seinem Körper die Senkrechte auspendelt. Immer wieder hebt er leicht das Vorderrad an und ändert damit seine Position. Jetzt zurrt er seinen Helm fest, blickt noch einmal nach vorn und stürzt den Weg hinunter. Die ersten Meter tritt er noch kräftig in die Pedale, dann aber muss er sich voll auf die Lenkmanöver konzentrieren. Wenn er über eine Wurzel springt, fliegt das Fahrrad durch die Luft und er muss mit dem Körper lenken, damit er seine Spur wieder findet. Das erfordert schon einige Trainingseinheiten, um das so perfekt hin zu bekommen. Vor sich sieht er die dicke Buche auf sich zukommen, hinter der der Weg eine scharfe Rechtskurve macht.

Kurz davor, das weiß er, kommt die dicke Wurzel schlangenförmig aus der Erde. Diese muss er umfahren, sonst schafft er die Kurve nicht. Es gelingt. Er rutscht um die Kurve - und sieht Personen auf sich zukommen.

Wenn er jetzt nicht bremsen kann, wird es knallen. Er ist mit seinem Fahrrad zum Geschoss geworden.

Er kann nicht bremsen!

Weil ihm das schlagartig bewusst wird, bremst er gewaltsam. Er lässt sich fallen und rutscht nach rechts in das Gestrüpp. Er rutscht und rutscht. Es gelingt ihm aber, sich auf den Rücken zu drehen und die Beine nach vorn zu schieben. So kann er seine Schlitterpartie einigermaßen steuern. Am nächsten Baum endet die rasante Fahrt.

Als er daliegt, hört er es knacken und rascheln. Jemand kommt zu ihm. Er wendet seinen Kopf und sieht zwei Mädchen. Ganz entsetzt, aber auch besorgt, hocken sie sich zu ihm nieder. Die eine versucht ihn anzuheben. Das lässt er aber nicht mit sich machen. Er will die Beine anziehen, um sich aufzurichten. In dem Moment durchzuckt ihn ein wahnsinniger Schmerz. Es kommt ihm vor, als ob die Haut seines rechten Oberschenkels völlig zerrissen sei. Schmerzen empfindet man, zeigt sie aber nicht. Schon gar nicht vor den zwei Chicas, die vor ihm stehen. Die kümmert das aber gar nicht. Keinen Gedanken verschwenden sie daran, warum er außer seinem verzerrten Gesicht keinen Schmerz zeigt. Eine von ihnen zieht ihren Schal vom Hals und verbindet damit seine Wunde. Während sie einen straffen Knoten zieht, zuckt er doch noch einmal. Als das erledigt ist, helfen sie ihm aufzustehen.

„Wo ist mein Fahrrad? Danke.“ knurrt er. Es sind die ersten Worte, die ihm über die Lippen kommen. Den beiden Mädchen fällt in diesem Moment auf, dass auch sie bisher nichts gesagt haben. Das war es aber auch schon.

„Sag mal, bist du wahnsinnig?“

Er schaut sie beide an und muss erst einmal für sich realisieren, wer ihm da geholfen hat. Hübsch sind sie beide anzusehen, obwohl sie sehr unterschiedlich in ihrem Äußeren auf ihn wirken. Er grinst sie an: „Hey, ich bin Carlo und fünfzehn Jahre alt.“

„Dann passen wir ja zusammen. Ich bin Caroline“, sagt die etwas größere und schlanke Person, die direkt neben ihm steht. Sie hat dunkelblonde Haare und auffallend schlanke Beine. Ihre Stimme klingt für ein Mädchen recht tief. Überhaupt scheint sie genau zu wissen, was sie will. Zumindest wirkt sie so auf ihn.

Bevor sie ihre Freundin vorstellen kann, stellt diese sich selbst vor: „Ich höre auf den Namen Bernadette, aber alle sagen Bernie zu mir.“ Sie wirkt nun nicht gerade wie das Gegenteil von Caroline, stellt aber doch einen völlig anderen Typ dar. Sie ist einen Kopf kleiner als diese und nicht ganz so schlank. Durch ihre strohblonden längeren Haare, die scheinbar lange keinen Friseur gesehen haben, fällt sie sofort auf.

„Kommst du allein zurecht? Wir haben nämlich einen wichtigen Termin.“

„Ja, ja, lasst euch nicht aufhalten. Ich muss erst einmal mein Rad begutachten und es dann wahrscheinlich nach Hause tragen.“

Er überlegt noch, ob er sie fragen soll, wann sie sich wiedersehen. Ach, Ischenmüssen nicht sein. Die lenken nur ab.

Caro ist es anzumerken, dass sie lieber weiter dableiben würde, um zu helfen. Bernie aber drängt darauf, an ihren Termin zu denken. Also gehen die Mädchen weiter und er untersucht sein Downhill Bike. Der Lenker ist verbogen, das Rad ist schmutzig, aber sonst scheint alles in Ordnung zu sein. Er versucht aufzusteigen, stellt aber fest, dass seine Verletzung zu sehr spannt und weh tut. Er muss schieben.

Als er sein Handy nehmen will, merkt er, dass es aus der Tasche gerutscht sein muss. Also stellt er sein Fahrrad wieder ab und humpelt zurück zu seiner Unfallstelle, um es zu suchen. Es dauert nicht lange, da sieht er es liegen. Wer ihn jetzt beobachten könnte, wie er es aufheben will, würde sich vielleicht kaputt lachen. Die Verrenkungen sehen aber aus der Entfernung auch zu komisch aus. Das rechte Bein versucht er waagerecht zu halten, damit der Schmerz nicht zu stark wirkt und mit links geht er in die Hocke. Obwohl er sehr sportlich ist, gelingt ihm das nicht ohne Wackeln. Schließlich erreicht er sein Handy und hebt es auf. Gerade als er sich wieder aufgerichtet hat, sieht er im Gras ein weiteres Gerät liegen. Da es ein rosafarbenes Gehäuse hat, schließt er darauf, dass es eventuell einem der Mädchen gehören könnte. Er steckt es ein. Bei Gelegenheit wird er es zurück geben. Kurz überlegt er, seinen Vater anzurufen. Diese Schwäche will er aber nicht zeigen. Eigentlich müsste Felix schon hier sein. Sein Anruf bei ihm geht ins Leere. Sicher ist er schon unterwegs. Als er ankommt, stützt er Carlo, und sie schaffen es gemeinsam nach Hause.

2. Was Neugier so verlangt

„Ich glaube, wir sollten doch zu einem Arzt gehen. Die Wunde sieht nicht gut aus.“ Felix ist in diesem Fall der entschlossenere Teil der beiden. Carlo bremst diesen Gedanken vorerst aus: „Ich leg mich erst einmal hin. In einer Stunde können wir das immer noch erledigen.“

Bevor er sich seinem Bett anvertraut, leert er seine Taschen aus. Felix sieht das rosafarbene Handy und ist erstaunt: „Wen hast du denn beklaut? Oder woher kommt das Teil?“ Carlo ist selbst erstaunt. Es war ihm ganz entfallen, dass das Handy neben seinem im Gras lag. Also erzählt er von den beiden Mädchen und ihrer ersten Hilfe.

„Waren sie wenigstens hübsch?“ Felix sagt es so hin. Carlo bleibt cool und tut so, als ob er sie gar nicht richtig angeschaut hätte: „Ich hatte doch mit mir zu tun; ich weiß nicht.“ Felix bemerkt aber, dass sein Freund leicht errötet.

„Beschreibe sie doch mal.“

„Was soll ich da groß beschreiben? Die eine war größer und schlanker, die andere kleiner und dicker.“

„Was für eine Haarfarbe hatten sie denn? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ Carlo wird fuchtig: „Haarfarbe hin, Haarfarbe her, ist das denn so wichtig? Die eine war dunkelblond und die andere strohblond. Sie heißen Caroline und Bernadette. So mehr weiß ich auch nicht.“

„Und welche gefiel dir besser?“

„Mensch, lass mich doch in Ruhe.“

Felix aber hat Feuer gefangen und will mehr wissen. Du hast doch das Handy. Schau doch mal, ob im Telefonbuch einer der beiden Namen zu finden ist.“ Pause. „Da kannst du doch anrufen.“

„Warum sollte ich das machen?“

„Na zum Beispiel, um zu sagen, dass das Handy bei dir ist.“

Das leuchtet Carlo ein. Er sucht die PIN, um das Telefon zu entsperren. Neben Zahlenkombinationen versucht er es auch mit den Namen. Bei „Caro“ springt das Telefon an. Er blättert im Telefonbuch und findet Bernie. Aber kann er so einfach anrufen? Was wird Caro denken, wenn er einfach so ihr Telefon benutzt?

„Na, los, ruf an und schalte auf Mithören.“

„Nein. Komm, wir gehen doch erst einmal zum Arzt. Ich glaube, die Wunde muss zumindest desinfiziert werden. Wasser darf man da nicht nehmen.“

Felix gefällt das eigentlich nicht. Er ist zu neugierig auf die Mädchen. Aber natürlich muss der Arztbesuch im Interesse von Carlo vorgehen.

3. Eine Probe, die beflügelt

Die beiden Mädchen haben nicht gesagt, wohin sie so schnell müssen. Das geht fremde Jungen auch nichts an. Beim Weitergehen spielte Carlo aber eine Hauptrolle in ihren Gesprächen.

„Ein toller Kerl. Was der sich getraut! Und seine total schwarzen Haare!“ Caro kann sich nicht enthalten, diese Feststellung mit einem tiefen Seufzer hervor zu bringen. Bernie sieht sie von der Seite an und merkt, dass diese ganz weg ist. Sie denkt aber praktisch und sagt: „Eigentlich habe ich ein schlechtes Gewissen, dass wir ihn allein gelassen haben. Die Wunde am Bein sah ja wirklich gefährlich aus.“

„Ach, der ist ein ganzer Kerl. Der schafft das schon.“

„Dein Schal ist aber keine Binde. Was ist, wenn sich die Wunde entzündet?“

„Jetzt unterschätzt du ihn aber. Der wird schon den Arzt aufsuchen.“

Schon sind sie an der Musikschule angekommen. Heute ist Orchesterprobe, deshalb konnten sie sich nicht aufhalten. Caro ist Pianistin und Bernie spielt die Piccoloflöte. So sind sie immer ohne größeres Gepäck unterwegs.

Immer wieder freuen sie sich über das Alte Schloss, das vor einigen Jahren zu neuem Glanz gekommen ist. Es soll um das Jahr 1260 von Heinrich von Meißen, der auch „Heinrich, der Erlauchte“ genannt wurde, als Festungsanlage errichtet worden sein. An der hinteren Mauer sehen sie den Hexenturm. Über diesen dachlosen Turm hat ihnen Herr Mantzel einmal die Sage erzählt, dass der Teufel den Bau in einer Nacht bis zum ersten Hahnenschrei übernommen habe, aber durch einen frühzeitigen Hahnenschrei an der Vollendung gehindert wurde.

Deshalb trage der Turm keine Bedachung. Der Teufel habe sie jedes Mal wieder abgeworfen. Der Hexenturm war in seinem unteren Teil seit früher Zeit das Verlies der Burg, das Gefängnis des Amtes. Immer wieder dachten sie an diese Geschichte. Mehrfach umgebaut macht es sich jetzt als Musikschule wunderbar.

Im Normalfall laufen sie durch das historische Tor in das Areal der Musikschule, ohne sich Gedanken über das Gebäude zu machen. Heute aber sind sie irgendwie gedanklich aufgescheucht. Als sie das Amphitheater passiert haben, stehen sie vor dem Ludowinger-Saal. Hier wird heute die Orchesterprobe stattfinden. Dieser Saal ist neu und soll morgen offiziell übergeben werden. Das ist für alle schon etwas Besonderes.

Johannes Dalgow, Cellist im Orchester, steht im Foyer der Tür und schaut sie freudig an. Bernie sieht sein strahlendes Lächeln und schiebt Caro zur Seitentür, die direkt zur Bühne führt. Als sie sich noch einmal umdreht, sieht sie die Enttäuschung auf dem Gesicht von Johannes. Caro scheint noch gar nicht gemerkt zu haben, dass er sie immerzu angafft. Das ist auch so ein Thema, über das sie einmal miteinander reden müssen.

Da sie noch Zeit haben, will Caro noch einmal zu Hause anrufen. Sie tastet sich ab, sieht in ihre kleine Handtasche, kann aber das Handy nicht finden. Auch Bernie weiß nicht, wo es geblieben sein könnte. Ihr fällt aber ein, dass es sicher verloren worden sei, als sie Carlo geholfen haben. „Wir sehen nachher auf dem Rückweg nach, ob wir es finden.“ Nun müssen sie sich aber beeilen. Herr Mantzel, der Orchesterleiter, hat schon nach ihnen Ausschau gehalten. Schnell huschen sie in den Saal hinein und setzen sich auf ihre Plätze. Caro braucht etwas Zeit, weil der Klavierhocker nicht auf sie eingestellt ist.

Dann hebt Herr Mantzel den Taktstock. Der Einsatz klappt und das Orchester spielt wunderbar mit.

Als letztes Stück vor der Pause hat Caroline ihr Solo.

Das Nocturne No.13 in C moll Op.48-1 von Frederic Chopin hatte sich Caro selbst ausgesucht. Sie versteht es, die Akkorde irgendwie leicht und leise klingen zu lassen, während die Melodie deutlich heraussticht. Die Oktavenläufe sind es, die ihr Freude beim Spielen vermitteln. Am Anfang hatte sie gedacht, dass die unspielbar wären, aber weil beide Hände sich immer parallel bewegen, fand sie diese Passagen mit am einfachsten zu lernen.

Ganz besonders frappierend ist, wie schnell und gestochen scharf sie im Pianissimo-Bereich zu spielen vermag.Als sie die Hände sinken lässt, ist es ganz still im Saal. Dann aber spenden alle Anwesenden einen kräftigen Applaus.

Herr Mantzel lobt. Vor allem wie er lobt, das macht stolz.

Caro fühlt das Glück den Rücken herunter laufen.

„Caroline, selten habe ich dich so konzentriert wie heute erlebt. Das Nocturno war so gefühlvoll, wie es Chopin sicher empfunden hat. Ein ganz großes Bravo!“

Caro strahlt ihn an. Und wundert sich auch ein bisschen über ihr heutiges Spiel. War sie eigentlich richtig bei der Sache? Dieser Carlo geht ihr nicht aus dem Kopf. Was ist denn los mit ihr? Wenn sie es recht bedenkt, hat sie die ganze Zeit an ihn gedacht. Die Musik ist ihr nur so aus den Händen gelaufen. Heißt es nicht: Wes des Herz voll ist, dem läuft der Mund über. Bei ihr muss es ähnlich gewesen sein. Nur das nicht der Mund über gelaufen ist, sondern ihre Hände gaben ihr Gefühl wieder.

„Das habe ich ja noch nie erlebt“, das kommt ihr jetzt über die Lippen. In dem Moment steht auch Bernie wieder neben ihr: „Tu doch nicht so, er hat dich doch schon oft gelobt. Ich falle leider nicht so auf im Orchester, wie du.“

„Was meinst du?“

Bernie schmollt leicht: „Du müsstest doch an die Loberei gewöhnt sein. Aber du warst wirklich gut. Bei deinem Solo habe ich gedacht, du hebst ab und schwebst in den Himmel.“

„Ach Bernie, ich begreife mich selbst nicht.“ Sie sieht ihre Freundin verträumt an. „Ich glaube, ich habe mich verliebt.“

„Ha, Ha, ha! Ich glaube es nicht. Doch nicht etwa in den Bruchpiloten?“ Bernie zieht sie an sich: „Wach auf! Das Leben ist so schön! Wozu brauchen wir Jungs?“

Diese burschikose Art erreicht Caro im Moment aber überhaupt nicht. Sie überlegt, wie sie ihn wiedersehen kann. Außer seinem Vornamen hat sie aber nichts weiter von ihm erfahren. In welche Schule wird er gehen? Sicher wird er bald wieder auf diesem Weg mit seinem Mountainbike auftauchen. Andererseits, sie gehen dreimal die Woche diesen Weg zur Musikschule und haben ihn noch nie gesehen. Bernie sieht sie von der Seite an und wundert sich: „He, du träumst mit offenen Augen. Was soll das mit dir werden?“

„Ach Bernie! Ich überlege krampfhaft, wie ich ihn wiedersehen kann. Es kribbelt so unter meinem Herzen. Kannst du das verstehen?“

„So habe ich dich ja noch nie erlebt. Sonst machen wir uns doch immer lustig, wenn uns ein Junge anbaggert. Du merkst es ja sonst nicht einmal, wenn dich einer anhimmelt. Vorhin hat der Dalgow dich auch wieder aufgefressen. Und du? Du schwebst in einem siebenten Himmel. Dabei stirbt der bald vor Sehnsucht nach dir. Jeder Versuch, dich von diesem Thema weg zu bringen, scheint mir aussichtslos. Ist dir eigentlich bewusst, dass er ganz unverantwortlich handelt, wenn er diesen Weg herunterstürzt? Er muss doch immer damit rechnen, dass jemand kommt. Uns hätte er auch bald getroffen.“

Bernie plappert weiter. Ihre Kusche will nicht still stehen. Caro stört das nicht. So kennt sie ihre Freundin. Aber dieser Vorwurf, er hätte unverantwortlich gehandelt, geht ihr doch unter die Haut.

„Er ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst. Du hast doch gesehen, warum er gestürzt ist. Als er uns gesehen hat, warf er sich bewusst vom Rad, um uns nicht zu schaden. Das ist für mich heldenhaft.“

„Eu jeu jeu, das ist mit dir noch schlimmer, als ich gedacht habe. Ich lache mich kaputt: heldenhaft. Komm wieder runter.“ Irritiert wird sie von Caro angesehen. „Na ja, ich merke, Sende- und Empfangspause. Hallo, kennst du mich noch?“ Sie sieht ihre Freundin an, indem sie direkt vor ihr stehen bleibt und mit beiden Händen vor ihrem Gesicht winkt: „Hallo, ich bin Bernadette, genannt Bernie!“

Caro haut die Hände weg: „Du bist meschugge! Willst du mich anschwallen?“

Mittlerweile sind sie in der Nähe des Unfalls angekommen und beginnen das Handy zu suchen. Bernie ist wieder extrem auffällig. Sie schnüffelt wie ein Hund auf allen Vieren. Es ist aber vergebens. Wie der Zufall es will, klingelt in dem Moment das Handy von Bernadette. „Komisch! Du rufst mich an ?“ Aber dann fällt ihr ein, wer der Anrufer sein wird. Schnell drückt sie die Annahmetaste. Ganz süß, aber erkennbar ironisch, reagiert sie auf den Anrufer: „Hallo, schön das du dich in Erinnerung bringst. Wir sind hier ganz durcheinander und wissen nicht ein noch aus. Wo steckst du denn? Caro ist schon ganz verzweifelt.“

Das ist der Moment, in dem Caro ihr das Handy wegnimmt. Sie hat begriffen, wer der Anrufer ist. „Du hast mein Handy gefunden. Das ist schön. Wo können wir uns treffen?“ Sie strahlt bei seiner Antwort über das ganze Gesicht.

Bernie kann es nicht lassen: „Ein Mohnkuchenpferd guckt intelligenter.“ Caro aber steht über den Dingen und lässt sich nicht provozieren: „Er lädt mich in die Eisdiele am Markt ein. Du kannst mitkommen, hat er ausdrücklich gesagt. Ich glaube, hinter ihm stand ein Freund.“

Bernie blockt ab, ist aber doch neugierig: „Ich komme mit, aber nur, um auf dich aufzupassen.“

4.Treffen kann man sie ja einmal

Hermann Kantor fährt sein Auto in die Garage und bemerkt dabei das lädierte Rad seines Sohnes. Er hat sich ja daran gewöhnt, gewöhnen müssen ist das ganze vielleicht besser ausgedrückt. Dieser Sport wird ihm wohl die ersten grauen Haare verschaffen. Andererseits ist er auch stolz über den Mut, den sein Sohn offenbart. Und er weiß, dass er immer wohl überlegt an seine Abfahrten heran geht. Klar, die Ungewissheit bleibt immer. Weil es bei diesen Fahrten immer Ungewissheiten gibt, die man nicht voraus planen kann, entsteht ja das Risiko, durch das der gewollte Adrenalinstoß in Gang gesetzt wird. Er sieht sich das Rad an und erkennt, dass es dieses Mal wohl recht glimpflich abgegangen ist. Carlo hat seinen Vater gehört und kommt in die Garage gehumpelt. Hinter ihm kommt plappernd seine kleine Schwester Alima angeflitzt. Sie wollte von Carlo wissen, was ihm passiert ist, er aber hat sie wie so oft abblitzen lassen: „Das ist nichts für kleine Mädchen!“

Da kann sie sich jedes Mal aufregen, wenn ihr große Bruder so überheblich tut. Sie steht am Tor der Garage. Ihre Hände flattern nervös herum. Das ist bei ihr immer ein Zeichen des Aufgeregtseins. Der Papa winkt ihr zu: „Hallo, Kleines. Hat er dich wieder geärgert? Du kennst ihn doch.“ Zu Carlo gewandt sagt er: „Na, dieses Mal hat' s dich wohl wieder selbst erwischt.“

Er stellt es nur fest. Carlo nickt nur und will sein anderes Fahrrad nehmen. Schließlich hat er einen Termin. Der Vater besteht aber darauf zu erfahren, was passiert ist. Da Carlo nicht der Mann großer und vor allem langer Worte ist, versucht er eine Kurzfassung des Ereignisses los zu werden. „Als ich mich vom Rad geworfen habe, bin ich über den Boden gerutscht und habe mir die Wunden zugezogen. Der Arzt meint aber, bevor ich heirate, sei es wieder gut.“

Alima springt auf diese Worte an: „Du willst heiraten? Au fein.“ Carlo grinst vor sich hin. Herr Kantor denkt nur, dass wird ja noch eine Weile brauchen: „Weiß Mutti, was mit dir los ist? Wo willst du eigentlich jetzt hin?“

„Ach nichts Besonderes. Ich treffe mich mit Felix. Wir wollen in die Eisdiele.“ Es ist ja nicht gelogen, wenn es auch nicht ganz wahr ist. Vorsichtig steigt er auf sein Rad, nicht ohne sein Gesicht zu verziehen. Die Wunde spannt doch recht deutlich am Oberschenkel. Aber da muss er jetzt durch. Schließlich ist er eher ein Macho als ein Warmduscher. Als er losfährt, nimmt der Papa seine kleine Alima in den Arm und drückt sie. Sie hat das sehr gern. Gemeinsam gehen sie in das Haus hinein.

Bis zu Felix ist es nicht all zu weit. Es liegt auf der Strecke zur Innenstadt. Der wartet schon vor seinem Haus auf ihn. So braucht Carlo nicht abzusteigen und sie fahren gleich weiter. Gleich hinter dem Kino beginnt das Einkaufszentrum, in dem sich auch ihr Treffpunkt befindet. Als sie sich der Eisdiele nähern, sehen sie die Mädchen sitzen. Felix entfährt es: „Das sind aber zwei Lollen, die es an sich haben. Und du stehst auf die große? Die andere ist aber auch nicht schlecht.“

„Mach dich aber nicht zum Kasper!“ Carlo kann sich nicht enthalten, diesen Ratschlag zu geben. Nachdem sie die Räder abgestellt haben, schlenkern sie an den Tisch der Mädchen.

„Hey, da sind wir.“ Carlo bleibt vorerst stehen. Felix haut sich auf einen freien Stuhl und schaut die Mädchen intensiv an. Caro dreht sich etwas pikiert weg: „Wen hast du denn da mitgebracht?“