Und plötzlich war er Graf - Sybille von Sydow - E-Book

Und plötzlich war er Graf E-Book

Sybille von Sydow

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Diabetes.« Arno Graf von Betigheim starrte seinen Freund und Arzt, Dr. Armin von Stein, fassungslos an. Er hatte ihn zu einem routinemäßigen Check-up aufgesucht, in dessen Verlauf er einige Kleinigkeiten, die ihm aufgefallen waren, zur Sprache bringen wollte. Keine echten Beschwerden, nur lächerliche Bagatellen wie häufiges Kribbeln in Händen und Füßen, übermäßiger Durst und Nachlassen des Sehvermögens. Er hatte wirklich nur nebenbei danach fragen wollen, denn für gewöhnlich sahen sie sich wesentlich häufiger als Freunde beim Schachspiel denn als Arzt und Patient. Mäßiges Essen, mäßiger Sport und einmal im Jahr eine Generaluntersuchung waren eigentlich in seinen Augen ausreichende Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. Und nun das! »Tja, mein Lieber, du wirst ab heute wohl etwas sorgfältiger auf dich achten müssen als bisher. Aber keine Panik, der Fortschritt der medizinischen Wissenschaft auf diesem Gebiet ermöglicht dem Diabetiker ein weitgehend uneingeschränktes Leben.« Es folgte ein ausführlicher Vortrag über das Charakteristikum dieser Erkrankung, dem Graf Arno allerdings nur benommen folgen konnte, da er deren Bedeutung für sein Leben noch nicht in sein Bewußtsein gelassen hatte. Wie denn auch, schließlich hatte er es gerade erst erfahren. Er war zeit seines Lebens wirklich immer von recht stabiler Gesundheit gewesen. Natürlich war ihm bewußt, daß die meisten Organe um die Lebensmitte die ersten Schwachstellen aufwiesen, aber tief innen war er bis jetzt davon überzeugt, daß das bei ihm anders war. »Dein Blutzucker muß schon eine ganze Weile munter um die zweihundert getanzt haben. Und dir ist nichts aufgefallen? Wie zum Beispiel Müdigkeit, Abgeschlagenheit, häufiges Trinkbedürfnis?« Er blickte seinen Freund erwartungsvoll an, der aber nur dumpf den Kopf schüttelte. »Na, wie auch immer, wir werden das schon noch in den Griff bekommen«, meinte er ganz zuversichtlich und sah Arno, dessen abweisender Gesichtsausdruck ihm nicht gefiel, gleichzeitig etwas besorgt an.

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Fürstenkrone – 132–

Und plötzlich war er Graf

Ein junger Student und eine neue Lebensperspektive ...

Sybille von Sydow

»Diabetes.«

Arno Graf von Betigheim starrte seinen Freund und Arzt, Dr. Armin von Stein, fassungslos an. Er hatte ihn zu einem routinemäßigen Check-up aufgesucht, in dessen Verlauf er einige Kleinigkeiten, die ihm aufgefallen waren, zur Sprache bringen wollte. Keine echten Beschwerden, nur lächerliche Bagatellen wie häufiges Kribbeln in Händen und Füßen, übermäßiger Durst und Nachlassen des Sehvermögens. Er hatte wirklich nur nebenbei danach fragen wollen, denn für gewöhnlich sahen sie sich wesentlich häufiger als Freunde beim Schachspiel denn als Arzt und Patient. Mäßiges Essen, mäßiger Sport und einmal im Jahr eine Generaluntersuchung waren eigentlich in seinen Augen ausreichende Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. Und nun das!

»Tja, mein Lieber, du wirst ab heute wohl etwas sorgfältiger auf dich achten müssen als bisher. Aber keine Panik, der Fortschritt der medizinischen Wissenschaft auf diesem Gebiet ermöglicht dem Diabetiker ein weitgehend uneingeschränktes Leben.« Es folgte ein ausführlicher Vortrag über das Charakteristikum dieser Erkrankung, dem Graf Arno allerdings nur benommen folgen konnte, da er deren Bedeutung für sein Leben noch nicht in sein Bewußtsein gelassen hatte. Wie denn auch, schließlich hatte er es gerade erst erfahren.

Er war zeit seines Lebens wirklich immer von recht stabiler Gesundheit gewesen. Natürlich war ihm bewußt, daß die meisten Organe um die Lebensmitte die ersten Schwachstellen aufwiesen, aber tief innen war er bis jetzt davon überzeugt, daß das bei ihm anders war.

»Dein Blutzucker muß schon eine ganze Weile munter um die zweihundert getanzt haben. Und dir ist nichts aufgefallen? Wie zum Beispiel Müdigkeit, Abgeschlagenheit, häufiges Trinkbedürfnis?« Er blickte seinen Freund erwartungsvoll an, der aber nur dumpf den Kopf schüttelte.

»Na, wie auch immer, wir werden das schon noch in den Griff bekommen«, meinte er ganz zuversichtlich und sah Arno, dessen abweisender Gesichtsausdruck ihm nicht gefiel, gleichzeitig etwas besorgt an.

Als Arno einige Zeit später die Praxis verließ, ausgestattet mit einem Blutzuckermeßgerät und zahlreichen Verhaltensmaßregeln, an die er sich würde gewöhnen müssen, war er immer noch wie vor den Kopf gestoßen. Armin hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß es sich um eine sehr ernste Erkrankung handelte, die sein Leben zwar nicht beenden, aber doch geringfügig ändern würde. Er hatte ganz plötzlich das sichere Gefühl, als wäre ihm erst jetzt, was seinen Körper betraf, die Unbekümmertheit der Jugend genommen worden.

*

Im roten Salon von Schloß Betigheim verbreitete das Geräusch der Stricknadeln, die Wally klickend aneinander schlug, während sie eine blaue Strickweste mit Zopfmuster der Vollendung zuführte, eine Atmosphäre trauter Häuslichkeit. Gräfin Maja von Betigheim saß mit hochgezogenen Beinen tief in ihren Lieblingssessel gekuschelt und verfolgte aufmerksam eine Reportage über die Urwälder am Amazonas, wobei ihre knochigen Finger unermüdlich den weichen Bauch der graugetigerten Katze kraulten, die sich mit ihr die breite Sitzfläche des Sessels teilte. Das Schnurren der Katze und das Klappern der Stricknadeln schienen zusammenzugehören. Kein Fremder, der diese beiden Frauen so entspannt zusammensitzen sah, hätte sie für Herrin und Bedienstete gehalten. Wally nahm schon so lange aktiv am Leben der gräflichen Familie teil, daß sie den Status einer Angestellten bereits vor Jahren überwunden hatte und zum Familienmitglied avanciert war. Nur die Verteilung der Pflichten ließ die ursprüngliche Rollenverteilung noch heute erkennen, und ebenso eisern hielt Wally an der althergebrachten Anrede fest. Alle anderen Vertrautheiten hatte sie im Laufe der Jahre dankbar zugelassen. Sie gehörte so lange und so unauflöslich zu dieser Gemeinschaft von Mutter und Sohn, daß sie sich inzwischen keinen anderen Platz mehr auf dieser Welt denken konnte, an dem sie hätte leben wollen.

Damals, als sie hierher gekommen war, war das anders gewesen. Ihr Leben schien ihr klar vorgezeichnet zu sein, und sie hatte feste Vorstellungen davon. Sie war mit einem jungen Mann verlobt, einem Kraftfahrzeugmechanik er, der, wenn er seinen Dienst an Volk und Vaterland hinter sich hatte, im Norden eine Reparaturwerkstatt für Automobile eröffnen wollte. Wally hatte vor, bei diesem Unternehmen Haushalt und Buchhaltung zu übernehmen. Sie war gelernte Hauswirtschafterin und fühlte sich dem gewachsen. Außerdem hatte sie immer nach Herausforderungen gesucht. Gerade als sie sich nach einer Übungstätigkeit für die Zeit seines Dienstes bei der Wehrmacht umsah, wurde ihr die Stellung einer Hauswirtschafterin im Haushalt des Grafen von Betigheim angeboten. Es schien ihr die ideale Aufgabe zur Überbrückung bis zur Verwirklichung ihrer eigenen Pläne zu sein. Also nahm sie an und fühlte sich vom ersten Tage an im Schloß wohl.

Das gräfliche Paar war noch nicht lange verheiratet und die junge Maja bereits schwanger. Da die Schwangerschaft sich komplizierter gestaltete und sie sehr mitnahm, war sie froh, viele Verantwortlichkeiten des Haushaltes in Wallys Hände legen zu können, die diese freudig annahm und erfüllte. Aus den ursprünglich von Wally veranschlagten Monaten im gräflichen Haushalt wurden durch die Umstände des Krieges Jahre. Jahre, in denen die junge Gräfin zwei Fehlgeburten und eine Totgeburt erlitt und Wallys Verlobter nichts mehr von sich hören ließ. Später erfuhr sie über seine Mutter, daß er offiziell als ›in den Wirren des Krieges verschollen‹ galt. Sie hoffte noch eine lange Weile, begrub dann ihre Pläne endgültig und war froh, eine so gute Stellung zu haben, mit der sie sich mehr und mehr identifizierte.

Da Maja zäh und entschlossen war, gelang es ihr schließlich doch noch, einen gesunden Sohn und Erben zur Welt zu bringen. Arno. Er blieb ihr einziges Kind. Um Arnos Wohl und Werdegang bemühten sich Maja und Wally in gleichem Maße übertrieben, während der Vater sich aus den Angelegenheiten um das Kind weitgehend heraushielt. Nicht etwa aus Desinteresse, sondern erstens, weil das zu dieser Zeit so üblich war, und zweitens, weil das Wesen, das die beiden Frauen um den kleinen Stammhalter machten, an seinen Nerven zerrte. An Liebe für seinen Sohn mangelte es ihm nicht. Zuerst traten Maja und Wally als Konkurrentinnen an, wobei die Mutter am längeren Hebel saß, aber auch Wally aus ihrer untergeordneten Position zu manch raffiniertem Schachzug fähig war. Später wuchsen sie erstaunlicherweise in ihrer Sorge und Liebe um das Kind zu einem festen, unerschütterlichen Schutzwall zusammen, der für Arno einen sicheren Hort vor der Welt bildete. Einer Welt, die ihm keineswegs feindlich gesinnt war, denn schließlich gehörte er bereits durch seine Geburt einem privilegierten Stand an. Er war ein ruhiges, verständiges Kind, das die Bedeutung, die es im Leben der es umgebenden Personen einnahm, als selbstverständlich hinnahm. Die Zeit seiner Grundschuljahre verbrachte er auf Drängen seiner Mutter mit einem Hauslehrer im Schloß. Für die folgenden Jahre setzte sich jedoch sein Vater durch, und er besuchte ein renommiertes Internat, wo er auch das erste Mal in engen Kontakt mit Gleichaltrigen kam, womit er erstaunlicherweise keine Probleme hatte und was er sehr genoß. Hier schloß er auch Freundschaften, die ein Leben lang halten sollten.

Von dem Tag an, an dem Arno im Internat lebte, war beiden Frauen, Herrin und Bediensteter, der Hauptinhalt ihres Lebens genommen worden. Zumindest was die tägliche Beschäftigung und Sorge betraf. Doch ihre gemeinsame Zuneigung zu Arno hatte sich auch auf die jeweils andere ausgedehnt, und aus dem Arbeitsverhältnis hatte sich im Laufe der Jahre eine feste Freundschaft entwickelt, die auf tiefem Vertrauen wurzelte. Maja konnte sich in allen Belangen ihres Lebens stets auf Wally verlassen, alles mit ihr besprechen und sich auf ihr meist weises Urteil berufen. Wally war praktisch für alle Bereiche des gräflichen Lebens zuständig. Sie war Wirtschafterin, Sekretärin und Vertraute. Sie war der unermüdlich aktive Teil des Hauses, und nur sehr weitreichende, wichtige Entscheidungen wurden vom Graf oder der Gräfin persönlich gefällt. Alles andere lag in Wallys Händen.

Nach Arnos Weggang, von den Ferien abgesehen, begann Maja, sich ins gesellschaftliche Leben zu stürzen. Sehr zur Freude ihres Mannes, der ob der Ausschließlichkeit, mit der sie sich um den einzigen Sohn gekümmert hatte und nichts anderes daneben mehr zuließ, in den vergangenen zehn Jahren immer wieder um das Ansehen des gräflichen Hauses gefürchtet hatte. Denn obwohl er beileibe kein Partylöwe war, sah er doch ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Präsenz als Pflicht an, die sie seit der Geburt des Kindes vernachlässigt hatten. Doch nun schien Maja alles nachholen zu wollen, gab Gesellschaften, Lesungen und Feste und fehlte bei keinem Ereignis im Kreis. Allein mit der Organisation all der Anlässe, die im Schloß stattfanden, hatte Wally alle Hände voll zu tun und somit nur selten Zeit, Arno zu vermissen. Als er nach Beendigung der Schulzeit nach Hause zurückkam, waren diese gesellschaftlichen Aktivitäten bereits so eingefahren und Arno genau in dem richtigen Alter, um sich voll hineinzustürzen, daß er schnell zu d e m Partyhit der Saison wurde. Genau diese Zeit brauchte er, um seinen jugendlichen Überschwang auszutoben. Es waren seine Sturm- und Drangjahre, bevor er wieder in ruhigere Bahnen glitt.

Wally führte nur ungern ihre Gedanken aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart, um ihre Konzentration auf das schwierige Zopfmuster ihrer Strickarbeit zu richten. Seit dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren lebte Maja ein sehr viel ruhigeres Leben. Ab und zu eine Einladung zu einem Fest, ein kleines Abendessen unter Freunden und in jedem Herbst der traditionelle Ball im Schloß. Das war das einzige große Ereignis, an dem sie unerschütterlich festhielt. An allen Einladungen Majas nahm Wally aus zweiter Hand teil, das heißt, sie zehrte von Majas Erzählungen, die immer sehr detailliert ausfielen und genau den Blickwinkel wiedergaben, der Wally am meisten interessierte.

»Hallo«, grüßte Arno, als er den Salon betrat und versuchte, sich unauffällig auf dem Sofa niederzulassen, wobei er sich gleichzeitig die Tageszeitung von dem niedrigen Beistelltisch angelte, um sie dann unbeachtet auf seinen Knien liegen zu lassen. Sein Blick blieb gedankenverloren an dem Bildschirm hängen, über den gerade die letzten Bilder der Urwaldreportage flimmerten. Er fuhr sich mit der linken Hand durch das immer noch dichtgelockte, braune Haar, das, obwohl er auf die Fünfzig zuging, erst von wenigen grauen Strähnen durchzogen war. Seine langen, sehnigen Finger griffen dabei so fest in die Naturwellen, als wollten sie sie ausreißen.

»Und was habt ihr heute gemacht?« fragte er in den Raum, als er merkte, daß der Abspann des Films zu Ende war und die Aufmerksamkeit seiner Mutter sich von dem Fernsehbild löste und sie sofort bereit war, seine Frage zu beantworten.

»Nun, ich war heute nachmittag bei den von Holts zum Tee. Bettina hat bei diesem feuchten Wetter wieder schrecklich mit ihrer Gicht zu tun. Es gibt Tage, an denen sie kaum die Finger geradebiegen kann, von den anderen Gliedmaßen erst gar nicht zu reden. Darüber hinaus macht ihr Beatrice arge Sorgen. Das arme Kind ist jetzt Ende dreißig, bereits einmal geschieden und kann immer noch nicht den richtigen von dem falschen Mann unterscheiden. Als hätte sie aus all ihren schlechten Erfahrungen keinen Funken gelernt.

»Kann man das denn jemals lernen?« fragte Arno, als seine Mutter kurz Luft holte.

»Nun ja«, seufzte sie, »wahrscheinlich hast du recht. Die meisten Menschen lernen es nie und greifen ein Leben lang immer in die falsche Kiste.«

»Und Ferdinand?« wollte Wally wissen.

Maja lachte auf. »Der ist für seine Frau noch kein Quell der Freude. Trotz seines Alters setzt er sie immer noch der Peinlichkeit aus, hinter jedem Weiberrock her zu sein. Dem Mann fehlt leider jeder Blick für die Realität. Früher konnte er der einen oder anderen ja durchaus gefährlich werden, aber heute ist er nur noch albern. Ich glaube, er hat seit zwanzig Jahren keinen Blick mehr in den Spiegel geworfen.«

Sie schüttelte den Kopf, und das Mitgefühl für ihre Freundin sprang aus ihrem Blick. »Aber erzähl doch lieber, wie dein Tag war«, wandte sie sich an ihren Sohn, rückte sich im Sessel zurecht und nahm dabei die Beine herunter, um sie auf den Boden zu setzen, was für die Katze Anlaß war, die Gemütlichkeit zu beenden und ihren Platz zu verlassen.

»Ich war bei Arnim«, sagte Arno und setzte hinzu: »In der Praxis.«

»Und? Hattest du irgendeinen Anlaß dazu?«

»Nein, eigentlich nicht. Aber bei der Gelegenheit hat er festgestellt, daß ich Zucker habe.« Sein Ton war fast beiläufig.

»Daß du was hast?« Seine Mutter beugte sich ungläubig nach vorne, und Wally ließ das Strickzeug sinken.

»Diabetes«, wiederholte Arno.

»Das hatte noch nie jemand in unserer Familie«, stellte Maja fest, als würde sich die Diagnose damit als falsch erweisen.

»Und nun?« fragte Wally über die in ihrem Schoß ruhende Arbeit hinweg.

»Nun«, antwortete Arno, »nun werde ich einiges ändern müssen. Ernährung und so weiter. Außerdem hat er mir einen Termin für eine Diabetikerschulung gegeben. Danach weiß ich sicher einiges mehr. Aber keine Angst«, tröstete er die beiden Frauen, als er den erschreckten Ausdruck in ihren Gesichtern wahrnahm, »ich werde vermutlich nicht sofort sterben, und außerdem hat Arnim mir versichert, daß man damit wohl ganz gut leben kann.«

Wally raffte ihr Strickzeug zusammen. Sie war eine praktische Frau, die eher dazu neigte, zu handeln als zu theoretisieren. »Ich werde in der Küche Bescheid sagen und die Köchin mit Literatur versorgen. Wenn das nicht reicht, sollten wir überlegen, ob es nicht besser wäre, eine Diätköchin einzustellen.«

Arno lachte und hielt sie am Arm zurück, als sie an ihm vorbei wollte. Das war typisch für Wally. Sie hatte immer jedes Problem, dessen sie ansichtig wurde, sofort in die Hand genommen.

»Langsam, Wally, langsam. Zuerst informiere ich mich einmal umfassend, und dann kannst du die Sache von mir aus ausbreiten und generalstabsmäßig organisieren. Aber warte bitte erst noch ein bißchen, ja?«

»Warum denn? Wenn etwas feststeht, leitet man Änderungen, die unausweichlich sind, am besten sofort ein«, murrte Wally, während sie sich wieder auf das Sofa setzte und nach ihrem Strickzeug griff.

Maja versuchte unterdessen, ihre aufkeimende Angst zu unterdrücken. Seit ihr Sohn auf dieser Welt war, hatte sie um sein Leben gefürchtet. Wie alle Mütter hatte sie ständig Angst, daß ihm irgend etwas zustoßen könnte, und diese Angst hatte mit den Jahren nur unwesentlich abgenommen. Im Kleinkindalter sah sie ihn von hochfiebrigen Krankheiten hinweggerafft; als er den Führerschein machte, kamen die Gefahren des Straßenverkehrs hinzu, und später sah sie ihn von den allgemeinen Lebensrisiken umzingelt. Was Arnos Leben betraf, konnte sie wohl nie entspannen, und ihr größter Alptraum war, daß er vor ihr sterben könnte.

Aber Arno hatte wahrscheinlich recht. Auch wenn ihr diese Krankheit noch unbekannt war, so kannte sie doch etliche Leute, die zuckerkrank waren und putzmunter vor sich hin lebten. Sie beschloß, die ganze Angelegenheit optimistisch zu betrachten.

*

Der Regen kam in derartigen Sturzbächen vom Himmel, als hätte die Natur die Absicht, die Sintflut zu wiederholen. Die Scheibenwischer des Jeeps versuchten auf höchster Stufe, das Wasser von der Windschutzscheibe zu schaufeln, doch die Sicht blieb mangelhaft. Arno versuchte mit zusammengekniffenen Augen und vorgebeugt ein wenig klare Sicht auf den in Minuten völlig verschlammten Weg vor sich zu bekommen. Ohne den Allradantrieb wäre er schon vor hundert Metern rettungslos stecken geblieben. Er liebte die Natur in nahezu jeder Erscheinungsform, und wenn sie sich, wie jetzt, zu einer Demonstration ihrer Gewalt entschloß, fühlte er sich immer als Mensch in seine Schranken gewiesen, was er gelegentlich als durchaus notwendig empfand. Er brauchte den Kontakt mit der Natur wie die Luft zum Atmen, weshalb er sich auch die meisten Inspektionsgänge durch die Waldungen nicht nehmen ließ und darauf bestand, sie selber durchzuführen.