... und wenn es doch Liebe ist? - Clive Wynne - E-Book

... und wenn es doch Liebe ist? E-Book

Clive Wynne

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Beschreibung

Was macht die fünfzehntausend Jahre währende Bindung vom Hund an den Menschen und umgekehrt so einzigartig? Die Nützlichkeit des Hundes für den Menschen, sagten die einen. Der Opportunismus des Hundes, der beim Menschen ein bequemes Auskommen fand, sagten die anderen. Eine evolutionär herausgebildete besondere Form der Intelligenz, die Hunden ein außergewöhnliches Verstehen des menschlichen Verhaltens ermöglicht, so die aktuell am häufigsten vertretene These. Das alles greift zu kurz und wird der einzigartigen Lovestory zwischen Hund und Mensch nicht gerecht, meint Psychologieprofessor Clyve Wynne: Der Grund- und Eckstein der Hund-Mensch-Bindung ist so simpel wie erstaunlich: Liebe! Dass ein Wissenschaftler es wagt, dieses Wort in den Mund zu nehmen, ist ungewohnt und geradezu unerhört. Warum es aber höchste Zeit dafür ist, erklärt dieses Buch so überraschend wie überzeugend und untermauert das, was Hundefreunde schon immer wussten, mit Fakten aus den Forschungslaboren von Universitäten auf der ganzen Welt: Hunde lieben uns mit jeder Faser ihrer Körperchemie und ihres Herzschlags tatsächlich mehr, als wir ahnen – wissenschaftlich nachweisbar und ganz ohne kitschige Wunschvorstellung.

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Copyright © 2019 by Clive D. L.Wynne

Alle Rechte vorbehalten

Titel der amerikanischen Originalausgabe: Dog is Love: Why and how your dog loves you.

Houghton Mifflin Harcourt, Boston, USA, 2019.

© für die deutschsprachige Ausgabe:

Kynos Verlag Dr. Dieter Fleig GmbH, Nerdlen, 2019.

Übersetzt aus dem Englischen von Gisela Rau.

eBook-Ausgabe der Printversion

eBook (epub)-ISBN: 978-3-95464-212-0

ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-205-2

Alle Illustrationen: Leah Davies

Die Illustrationen basieren auf Fotos des Autors, außer: S. 30 – Monty Sloan, Wolf Park; S. 82 – Sam Wynne; S. 94 – Tina Bloom; S. 122 – Gregory Burns; S. 168 – Jeremy Koster; S. 201 – Kathryn Heininger; S. 232 – Alexandra Protopopova Titelbild: stock.adobe/olezzo

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Haftungsausschluss: Die Benutzung dieses Buches und die Umsetzung der darin enthaltenen Informationen erfolgt ausdrücklich auf eigenes Risiko. Der Verlag und auch der Autor können für etwaige Unfälle und Schäden jeder Art, die sich bei der Umsetzung von im Buch beschriebenen Vorgehensweisen ergeben, aus keinem Rechtsgrund eine Haftung übernehmen. Rechts- und Schadenersatzansprüche sind ausgeschlossen. Das Werk inklusive aller Inhalte wurde unter größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Druckfehler und Falschinformationen nicht vollständig ausgeschlossen werden. Der Verlag und auch der Autor übernehmen keine Haftung für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der Inhalte des Buches, ebenso nicht für Druckfehler. Es kann keine juristische Verantwortung sowie Haftung in irgendeiner Form für fehlerhafte Angaben und daraus entstandenen Folgen vom Verlag bzw. Autor übernommen werden. Für die Inhalte von den in diesem Buch abgedruckten Internetseiten sind ausschließlich die Betreiber der jeweiligen Internetseiten verantwortlich.

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1. XEPHOS

2. WAS MACHT HUNDE BESONDERS?

3. HUNDE SORGEN SICH UM UNS

4. MIT LEIB UND SEELE

5. URSPRÜNGE

6. WIE HUNDE SICH VERLIEBEN

7. HUNDE VERDIENEN BESSERES

FAZIT

DANKSAGUNG

ANMERKUNGEN

EINLEITUNG

Neulich nahm ich mir eine vorübergehende Auszeit von meiner Wahlheimat, den Vereinigten Staaten, um mein Vaterland England zu besuchen. Es war ein Spätnachmittag im Winter und die Sonne hatte ihr kurzes Tagespensum bereits abgeleistet. Ich ging zwischen Tausenden von anderen, die von ihrem Arbeitstag im Zentrum zurückkehrten, die Treppenstufen einer Bahnstation in den äußeren Londoner Vororten hinunter. Diese viktorianischen Bahnhöfe müssen zur Zeit ihrer Erbauung großartig ausgesehen haben, und manche tun es im Licht der Sommersonne auch immer noch, aber am Ende eines nasskalten Tages wie diesem wirken sie ausgesprochen bedrückend: die alten, dunkelroten Ziegelsteine waren nur von trübem und flackerndem Neonlicht schwach beleuchtet und die ganze ehemals triumphierende Atmosphäre von der übellaunigen Stimmung erschöpfter Pendler durchzogen.

Als ob die Szene noch nicht trostlos genug gewesen wäre, erschallte plötzlich das ganze Bahnhofsgebäude unter dem drängenden Gebell eines Hundes. Unten am Fuß der Treppe, knapp hinter den Schranken, die Menschen ohne Fahrschein am Betreten des Bahnsteigs hindern, hielt eine junge Frau – eigentlich noch ein Kind – mit aller Kraft das Ende einer Leine fest. Deren anderes Ende hielt einen kleinen, aber lauten und sehr energischen Hund, höchstwahrscheinlich irgendeine Art von Terrier. Dieser kleine Hund veranstaltete ein erhebliches Getöse aus lautem Kläffen.

Meine erste unbewusste Reaktion war Verärgerung: die ohnehin schon düstere Szene hatte noch eine nervige Geräuschuntermalung bekommen. Aber als ich näherkam und sah, wie glücklich dieser Hund war, schlich sich ein unfreiwilliges Lächeln in mein Gesicht.

Der Hund hatte irgendjemanden in der großen Menschenmenge erkannt. Als diese Person näherkam, verwandelte sich das Bellen des Hundes vom aufgebrachten Gekläff in eine Art überglückliches, fast singendes Geheul. Seine Krallen schlitterten über den glatten Fußboden, als er darum kämpfte, zu seinem Menschen zu kommen. Als der Mann endlich durch die Ticketschranke war, sprang der kleine Hund in seine Arme und schlabberte sein Gesicht ab. Ich war nur ein kurzes Stück hinter dem Mann und konnte hören, wie er seinem Hund beruhigend zuredete: „Ist ja gut, ist ja gut, jetzt bin ich ja wieder da!“

Als ich mich umschaute, sah ich, dass das ganze Gesichtermeer meine eigene Gefühlsreaktion widerspiegelte: Erst Gereiztheit – noch eine unnötige Last am müden Ende eines langen Tages – und dann unwillkürlich empfundenes Glück angesichts der Liebe dieses Hundes für seinen Herrn. Hier und da breitete sich Lächeln in der Menge aus, gefolgt von freundlichem Lachen. Menschen, die mit Bekannten zusammen unterwegs waren, tauschten Kopfnicken und ein paar Worte aus. Die meisten Alleinreisenden packten ihr Lächeln wieder in ihre Taschen, aber ihre Schritte blieben ein klein wenig leichter und federnder in Erinnerung an die unerwartete kleine Freude, die sie auf ihrem Heimweg im Bahnhof erlebt hatten.

Während ich diese fröhliche Szene noch auf mich wirken ließ, führte mich meine Erinnerung zurück zu einer meiner ersten Reisen heim ins Vereinigte Königreich, nachdem ich dessen Küsten vor über dreißig Jahren verlassen hatte. Damals lebte unser Familienhund Benji noch. Meine Mutter war mit dem Auto zum Bahnhof der Isle of Wight, wo ich aufgewachsen war, gekommen, um mich abzuholen – und Benji saß aufrecht und aufmerksam auf dem Beifahrersitz. Weil man in England auf der linken Straßenseite fährt, sind in britischen Autos die Positionen von Fahrerund Beifahrersitz vertauscht - was dazu führte, dass es für meine müden und vom Jetlag mitgenommenen Augen, die daran gewöhnt waren, Fahrer an der Stelle zu sehen, wo jetzt Benji saß, so aussah, als ob mein Hund das Auto steuern würde. Mein verwirrter Verstand fand kaum Zeit, sich zu sortieren, als das Auto auf den Seitenstreifen fuhr, ich die Beifahrertür öffnete und auf Benjis Anfall von Wiedersehensfreude prallte. Sobald Benji mich sah, drehte er durch vor Freude, genau wie der kleine Terrier auf dem Bahnhof viele Jahre später – und genau wie ich, auch wenn ich meine Gefühle etwas strenger unter Kontrolle hielt.

Benji mag auf den ersten Blick nicht wie etwas erwähnenswert Besonderes ausgesehen haben, er war einfach ein eher kleiner, schwarz-lohfarbener Tierheimmischling. Für uns allerdings war er etwas sehr Besonderes. Sandfarbene Flecken um seine Augenbrauen herum machten seine Augen ganz besonders ausdrucksstark, vor allem, wenn er verdutzt war. Wir neckten ihn gerne, was er stets mit guter Laune hinzunehmen schien. Er konnte seine Ohren aufstellen, um seine Neugier zu zeigen. Mit seinem Schwanz konnte er Fröhlichkeit und Vertrauen ausdrücken, und seine Zuneigung zeigte er mit Zungenschlecken (was sich wie nasses Schmirgelpapier anfühlte und bei mir und meinen Brüdern Proteste hervorrief, obwohl wir uns von seiner Aufmerksamkeit geehrt fühlten).

Benji, der Hund meiner Kindheit, irgendwann in den frühen 1980er Jahren.

Benji, meine Brüder und ich wuchsen in den 1970er Jahren zusammen auf der Isle of Wight vor der Südküste Englands auf. Wenn mein jüngerer Bruder und ich von der Schule nach Hause kamen, ließen wir uns für gewöhnlich aufs Sofa fallen, von wo aus wir erst hörten und dann sahen, wie Benji aus dem Garten hinterm Haus hereingestürmt kam. Aus drei Metern Entfernung setzte er zum Sprung an und landete direkt auf uns drauf, wedelte uns seinen Schwanz um die Ohren und beschlabberte uns abwechselnd im Gesicht, wobei sein kleiner Körper sich vor Freude über das Wiedersehen krümmte und wand. Er liebte uns, ganz klar – oder zumindest schien uns das damals ganz unbestritten.

Es vergingen viele Jahre. Benjis kurzes Leben endete und ich war mit meinem ruhelosen, umherziehenden Dasein beschäftigt. Aber die Erinnerung an den Hund meiner Kindheit dauerte an, genau wie meine Faszination für eine andere Spezies neben unserer eigenen.

Mit der Zeit zog es mich zum akademischen Leben, wo ich zu studieren begann, wie verschiedene Tierarten Wissen erwerben und welche Schlüsse sie aus ihrer Umwelt ziehen. Ich wollte begreifen, worin sich der Verstand von Tieren von unserem unterscheidet. Bis zu welchem Grad ist die menschliche Fähigkeit zum Schlussfolgern, Denken und Kommunizieren etwas uns Eigenes und in welchem Ausmaß wird sie von anderen Spezies auf diesem Planeten mit uns geteilt? Oft interessiert man sich dafür, ob es wohl denkende Wesen auf anderen Planeten gibt, aber ich wollte etwas über die Intelligenzen auf unserem Planeten erfahren.

Als Professor der Tierpsychologie konzentrierte sich meine Forschung zunächst auf die häufigsten Laborbewohner in diesem Bereich: Ratten und Tauben. Und als ich ein Jahrzehnt lang in Australien lebte und arbeitete, hatte ich Gelegenheit, mich mit einer wirklichen coolen Beuteltierart zu beschäftigen, die noch niemand zuvor untersucht hatte. Es war ein tolles Leben voller faszinierender intellektueller Fragestellungen und interessanter Entdeckungen – aber trotzdem war ich nicht ganz zufrieden.

Mit der Zeit wurde mir klar, dass ich nicht nur am isoliert betrachteten Tierverhalten interessiert war. Vielmehr zog es mich zur Beziehung zwischen Menschen und Tieren. Und von all den Tausenden Tierarten auf der Erde teilt keine eine stärkere und interessantere Bindung mit uns als der Hund.

Im Rückblick wundert es mich, dass ich so lange brauchte, um zu begreifen, dass ich Hunde studieren musste. Ihr Verhalten ist so unglaublich reich: Es gibt Hunde, die Krebs und Schmuggelware erschnüffeln können, Hunde, die Menschen mit durchlebten Traumata trösten und Hunde, die blinden Menschen beim Überqueren stark befahrener Straßen helfen. Und Hunde und Menschen sind schon ganz schön lange zusammen. Es gibt kein Tier, zu dem Menschen eine längere und tiefere Beziehung haben.

Menschen und Hunde leben seit über fünfzehntausend Jahren Seite an Seite. Diese lange gemeinsame Geschichte hat den Verstand der Hunde mit dem unsrigen auf eine Art und Weise verwoben, die wir erst nach und nach zu verstehen beginnen. Zum Teil ist dieses mangelnde Verständnis einfacher Nachlässigkeit geschuldet: Als ich mit dem Studium des Hundeverhaltens begann, fingen die Wissenschaftler gerade erst an, sich wieder für Hunde zu interessieren, nachdem sie diese zuvor ein halbes Jahrhundert lang ignoriert hatten. Dieses wiedererwachte Interesse brachte einige faszinierende Entdeckungen über Hunde ans Tageslicht – Forschung, die mich schon bald zu meiner eigenen wissenschaftlichen Fragestellung inspirierte.

In den späten 1990er Jahren wurde das Feld der Hundewissenschaft von neuen Forschungen beherrscht, die den Beweis für sich beanspruchten, Hunde besäßen eine einzigartige Form der Intelligenz. Die Wissenschaftler stellten die Theorie auf, dass Hunde über die Tausende von Jahren, die sie in enger Nähe zum Menschen verbracht haben, einzigartige Fähigkeiten zum Verständnis menschlicher Absichten entwickelt hätten, sodass eine vielschichtige und feine Kommunikation zwischen unseren beiden Arten möglich geworden sei. Dieser sogenannte Genius der Hunde wurde als die spezielle Eigenschaft emporgehoben, die Hunde zu derart perfekt passenden Begleitern von Menschen machte. Folglich nahm man an, dass hierin auch der Schlüssel zum Verständnis und zur Gestaltung unserer Beziehung zu Hunden läge.

Diese Theorie – dass Hunde kognitive Fähigkeiten besäßen, die sie in die Lage versetzen, Menschen besser zu verstehen als jedes andere Tier – findet immer noch viele Unterstützer unter denjenigen, die das Verhalten und die Intelligenz von Hunden zu ihrem Beruf und ihrer Berufung machen. Als ich zum ersten Mal davon hörte, schien es mir eine plausible Erklärung für den erstaunlichen Erfolg der Hunde auf unserem von Menschen beherrschten Planeten zu sein. Und dennoch: Als meine Studenten und ich selbst damit begannen, Hundeverhalten zu studieren, schienen diese vielgerühmten, angeblich einzigartigen kognitiven Fähigkeiten jedes Mal dann wie ein Trugbild zu verschwinden, wenn wir nach ihnen greifen wollten.

Ich begann mich zu fragen: Was, wenn Hunde gar keine einzigartigen kognitiven Fähigkeiten besäßen, sondern vielmehr besondere Fähigkeiten einer ganz anderen Art? Welche Art von Talent könnte das sein? Und wenn Hunde aus irgendeinem anderen Grund außer ihrer Intelligenz etwas Besonderes wären, welche Folgen hätte das für die Art und Weise, wie wir mit Hunden umgehen und uns um sie kümmern sollten?

Diese Fragen stellten sich mir nicht alle auf einmal. Wie die meisten aktiven Wissenschaftler war ich vor allem mit der Forschung direkt vor meiner Nase beschäftigt. Manchmal macht es professionelle Erfahrung eben schwieriger, das zu erkennen, was ein Laie vielleicht sofort identifizieren mag. So kam es, dass ich zunächst nicht sah, dass Hunde, solange ich sie kannte, eigentlich immer recht offen mir gegenüber in Bezug auf ihr wahres Wesen gewesen waren. Benji, der Hund meiner Kindheit, und der freudig juchzende Terrier im düsteren Bahnhof vor vielen Jahren: mit jedem Wedeln ihres Schwanzes und jedem Lecken ihrer Zunge hatten sie die Frage beantwortet, was Hunde so besonders macht. Die eigentliche Frage war – konnte ein Wissenschaftler das sehen?

Die Hundeforschung hat über etwa die letzten zehn Jahre eine Revolution erlebt. Die Wissenschaftler entdecken eine reiche Tradition an Studien zu den Caniden wieder und gleichen diese mit den bewährten Instrumenten der Psychologie sowie den neuesten Methoden und Technologien aus Neurowissenschaft, Genetik und anderen Spitzen-Wissenschaftsbereichen ab. Das Ergebnis war eine wahre Explosion an Erkenntnissen dazu, wie Hunde fühlen und denken - Daten, die es wiederum Wissenschaftlern wie mir erlaubt haben, Fragen aufzuwerfen, über die wir noch ein paar Jahre zuvor niemals nachzudenken gewagt hätten, geschweige denn Jahre unseres Berufslebens für deren Erforschung aufzuwenden.

Meine eigenen Studien und die Arbeit vieler anderer im üppig gedeihenden Bereich der Hundeforschung machten es überdeutlich: Es ist nicht die Intelligenz der Hunde, die sie von anderen Tierarten abhebt, aber dennoch ist etwas bemerkenswert Besonderes an unseren Hundefreunden. Vielleicht ist diese Forschung nicht weniger kontrovers und erstaunlich als frühere Studien zur hündischen Intelligenz, weil sie auf eine einfache, aber geheimnisvolle Quelle für die einzigartige Bindung der Hunde zu Menschen hinweist. Dieses Phänomen ist verwirrend und kann bei einem Wissenschaftler Konfliktgefühle hervorrufen – aber es ist für jeden Hundefreund unmittelbar zu erkennen oder sogar ganz selbstverständlich.

Hunde besitzen eine überhöhte, überschäumende und vielleicht sogar exzessive Fähigkeit, von Zuneigung geprägte Beziehungen zu Angehörigen anderer Spezies einzugehen. Diese Fähigkeit ist derart stark, dass wir sie, würden wir sie an einem Mitmenschen feststellen, für recht seltsam oder sogar krankhaft halten würden. In meinen wissenschaftlichen Texten, die mich zur Nutzung fachlich korrekter Sprache verpflichten, bezeichne ich dieses abnorme Verhalten als Hypersozialität. Aber als Hundefreund, dem Tiere und ihr Wohlergehen zutiefst am Herzen liegen, sehe ich absolut keinen Grund dafür, warum wir es nicht einfach Liebe nennen sollten.

Viele Hundenarren werfen recht großzügig mit dem L-Wort um sich, und auch ich habe in meinem Privatleben zuhause lange Zeit das gleiche getan. Als Wissenschaftler war es aber nicht annähernd so leicht für mich, dieses Wort zu benutzen. Das liegt daran, dass allein die Idee, dass Tiere Gefühle haben, für die meisten Menschen in meinem Fachbereich lange Zeit so etwas wie Ausschluss aus der akademischen Gemeinde bedeutete – und insbesondere das Konzept der Liebe scheint für unseren nüchternen Wissenschaftszweig zu rührselig und ungenau zu sein. Wer es Hunden zuschreibt, läuft außerdem Gefahr, diese zu vermenschlichen, sprich sie eher wie unsereins denn als eigenständige Spezies zu betrachten. Das ist etwas, wogegen Wissenschaftler sich – zu Recht – lange Zeit gewehrt haben, sowohl wegen der wissenschaftlichen Genauigkeit als auch wegen des Wohlergehens der Tiere.

Und dennoch bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass zumindest in dieser Beziehung ein Hauch von Vermenschlichung gestattet oder sogar angemessen ist. Das liebevolle Wesen der Hunde anzuerkennen ist der einzige Weg, um aus ihnen schlau zu werden. Mehr noch: Das Bedürfnis der Hunde nach Liebe zu ignorieren (ja, ich werde in Kürze noch darauf eingehen, dass Hunde tatsächlich Liebe brauchen) ist genauso unethisch, wie ihnen gesunde Nahrung und Bewegung zu verweigern.

Zu dieser Schlussfolgerung wurde ich aufgrund einer ganzen Reihe von Beweisen gebracht, die aus Laboren und Tierheimen auf der ganzen Welt kommen – Beweise, die ganz klar zeigen, dass Hunde Liebe genauso empfinden, wie wir Menschen es tun. Und sobald ich erst einmal darauf zu achten begonnen hatte, wurde mir klar, dass die Leidenschaft, die Hunde gegenüber Menschen empfinden, sich auf vielerlei Weise ausdrückt. Wir alle haben schon Geschichten darüber gehört, was Hunde Unerhörtes getan haben, um ihre Besitzer zu schützen. Forschungen dazu, wie Hunde auf gestresste oder in Not befindliche Menschen reagieren, zeigen ganz klar, dass sie sich um die Menschen sorgen – auch wenn die tatsächlichen Fähigkeiten, die sie anzubieten haben, nicht annähernd so dramatisch sind, wie Hollywood es uns gerne glauben machen möchte. Noch beeindruckender sind Studien, die zeigen, wie der Herzschlag von Hund und Halter sich synchronisiert, wenn beide zusammen sind – ganz ähnlich der Synchronizität bei menschlichen Liebespaaren. Wenn Hunde mit den von ihnen geliebten Menschen zusammen sind, erleben sie auch neurologische Veränderungen – einschließlich Spitzenwerten an Gehirnbotenstoffen wie Oxytocin – welche die Veränderungen widerspiegeln, die auch wir Menschen erfahren, wenn wir Liebe empfinden. Die starke Liebe der Hunde zu Menschen kann sogar auf den eigentlichen Kern ihres Seins reduziert werden: auf ihren genetischen Code, der uns heute unglaubliche Einsichten in den Verstand und in die Evolutionsgeschichte dieser Spezies eröffnet und den Wissenschaftler sich weiter zu entschlüsseln beeilen.

Diese und weitere aktuelle Entdeckungen haben mich zu der Erkenntnis gezwungen, dass Liebe der Schlüssel zum Verstehen von Hunden ist. Außerdem bin ich zu der Überzeugung gelangt – und werde auf den nachfolgenden Seiten zahlreiche wissenschaftliche Beweise zur Unterstützung dafür anführen –, dass es das Bedürfnis der Hunde nach warmherzigen Gefühlsbeziehungen und nicht etwa irgendeine Art besonderer Cleverness war, die diese Spezies so erfolgreich in der menschlichen Gesellschaft gemacht hat. Ihr liebendes Wesen macht Hunde so vereinnahmend, dass viele von uns einfach nicht anders können, als ihnen den Gefallen zu erwidern und den Streuner zu trösten, der auf unserer Haustürtreppe auf kreuzt, den Rassehund zu lieben, den wir von einem Züchter gekauft haben oder den Hund aus dem örtlichen Tierheim, der so sehr darum gebeten hat, mit nach Hause genommen zu werden.

Die Liebe der Hunde ist wirklich der Grundstein für die Hund-Mensch-Beziehung, ob wir uns dazu entscheiden, uns die Bedeutung dieser Tatsache einzugestehen oder nicht. Und ich möchte argumentieren, dass es unsere Verantwortung ist, diese Bedeutung anzuerkennen und außerdem unser eigenes Verhalten angesichts der Fähigkeit von Hunden zum Lieben zu verändern. Denn die Theorie der Hundeliebe (ein Begriff, den ich nur halbwegs scherzhaft verwende) ist nicht nur der Schlüssel zu einem besseren Verständnis dieser erstaunlichen Lebewesen, sondern auch dazu, unsere Beziehung zu ihnen erfolgreicher zu gestalten. Wenn es ihre Fähigkeit zu lieben ist, die Hunde einzigartig macht, dann gibt es auch guten Grund zu der Annahme, dass sie deshalb einzigartige Bedürfnisse haben. Wenn es eine einzige, einfache Schlussfolgerung aus meinen Forschungen gibt, dann diese: Wir Menschen müssen viel mehr tun, um die Zuneigung unserer Hunde wertzuschätzen und zu erwidern. Ihre Fähigkeit, uns zu lieben, verlangt ganz einfach nach Gegenseitigkeit – was viele Menschen ja auch bereitwillig tun, auch wenn sie keine Ahnung von der Wissenschaft haben, die hinter dieser uralten Dynamik gegenseitiger Bewunderung steckt. Die Wissenschaft kann sowohl unsere enge Beziehung zu Hunden erklären als auch zu ihrer Verbesserung beitragen. Wir können das Wohlbefinden unserer Hunde mit so einfachen Dingen verbessern wie sie mehr zu berühren, weniger allein zu lassen und ihnen Gelegenheit zu geben, in einem Netzwerk starker, emotional positiver Beziehungen zu leben.

Wir leben in aufregenden Zeiten, was die Hundewissenschaft betrifft. Genetik und Genomik, Gehirn- und Hormonforschung preschen immer weiter vor, um Fragen zu beleuchten, die viele Wissenschaftler bisher noch nicht einmal gestellt haben: Wie sind unsere Hundefreunde dazu in der Lage, solch außergewöhnliche Brücken der Zuneigung zu anderen Spezies zu schlagen? Welche Umstände müssen im Leben eines Hundes gegeben sein, um sicherzustellen, dass Bande der Zuneigung fest geknüpft werden? Und wie konnten Hunde diese Fähigkeit in (nach evolutionären Maßstäben gemessen) so kurzer Zeit entwickeln? Die Beantwortung dieser Fragen war in den letzten Jahren das Ziel einiger der spannendsten Studien von Pionieren der Wissenschaft an der Frontlinie moderner Hundeforschung. In diesem Buch möchte ich ihre Erkenntnisse neben den meinigen beschreiben.

Aber es reicht nicht aus, Hunde nur zu studieren und sie zu verstehen. Wir müssen vielmehr dieses Wissen dazu benutzen, dass Hunde ein reicheres und erfüllteres Leben führen können. Hunde vertrauen uns, und doch enttäuschen wir sie in so vielerlei Hinsicht. Wenn dieses Buch irgendetwas bewirkt, dann hoffentlich zumindest das – Menschen zu der Einsicht zu bringen, dass Hunde etwas Besseres verdienen. Sie haben ein Recht auf mehr als das isolierte und unglückliche Leben, das wir ihnen so oft zumuten. Sie verdienen unsere Liebe im Gegenzug zu der, die sie uns so freigiebig schenken.

Dies sind nicht nur meine tiefsten Überzeugungen als Hundefreund, sondern auch meine wohldurchdachten und von Daten gestützten Schlussfolgerungen als Wissenschaftler. Als jemand, der sich selbst einmal darin schuldig gemacht hat, die Idee von der Liebe der Hunde als abwegige Sentimentalität abzutun, lassen Sie mich nochmals wiederholen: Nach vielen Jahren und gegen meine eigenen Neigungen habe ich ein unerhörte Menge an Beweisen gefunden, um die Theorie von der Liebe der Hunde zu stützen und nur sehr wenige, die sie unterminieren. Das ist keine Gefühlsduselei, sondern Wissenschaft.

Manchmal wird mir durchaus zu bewusst, dass ich nach so vielen Jahren der schonungslos skeptisch betriebenen Forschung zu tierischer Intelligenz letzten Endes eine Sicht auf Hunde befürworte, die so manch einer als überzuckert bezeichnen würde. Aber damit kann ich leben, weil ich der festen Überzeugung bin, dass es Hunden mit dieser Ansicht besser gehen wird, wenn nur mehr Menschen dazu gebracht werden können, sie zu übernehmen.

Außerdem empfinde ich es als außerordentlich befriedigend, nun zu wissen, dass das, was ich vor all den Jahren mit Benji erlebt habe, real und richtig war. Liebe war die Quintessenz dieser Beziehung, wie es bei beinahe jedem Austausch zwischen Mensch und Hund der Fall ist. Viele Hundefreunde wussten schon die ganze Zeit, dass die Wissenschaftler auf dem Holzweg waren, wenn sie meinten, dass die Besonderheit von Hunden in ihrem Verstand anstatt in ihrem Herzen zu suchen sei. Aber jetzt wenigstens holt die Forschung endlich auf.

1. XEPHOS

Als ich Xephos zum ersten Mal sah, schien sie schrecklich winzig. Zum Teil war das ihr eigenes Werk: sie hatte ihren kleinen Körper auf dem Betonboden des Tierheimzwingers zu einem verängstigten Ball zusammengerollt. Überall um sie herum hüpften andere, größere Hunde in ihren Zwingern auf und ab und bellten, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber die arme Xeph hatte sich hingekauert und war zu verängstigt, um etwas anderes zu tun, als unter ihrem Hinterlauf hindurch zu dem unbekannten Besucher zu spähen.

Das Tierheim war sauber und der ehrenamtliche Mitarbeiter, der mich zwischen den Zwingern herumführte, strahlte echte Fürsorge für seine Schützlinge aus – und dennoch fiel es schwer, hier nicht in gedrückte Stimmung zu geraten. Xephos‘ Zuhause war eine kahle, gefängnisähnliche Welt aus Metallgitterstäben und nackten, harten Oberflächen: ein lauter, nichtssagender Raum aus Stahl und Beton. Der Lärm, der von ihren Nachbarn ausging, war anstrengend. Ich wollte nichts wie schnell wieder von dort weg, und ich bin mir sicher, dass es Xephos und den anderen Hunden genauso ging.

Ich war mit meiner Frau Ros und meinem Sohn Sam in dieses Tierheim im Norden Floridas gekommen, weil die beiden beschlossen hatten, mich zu meinem Geburtstag mit einem Hund zu „überraschen“. Ich benutze die Anführungszeichen, weil sie mich klugerweise in ihr Geheimnis eingeweiht hatten. Niemand sollte je einen geliebten Menschen mit einem lebenden Tier als Geschenk tatsächlich überraschen: die Verantwortung der Sorge für ein anderes Lebewesen ist einfach viel zu groß. Bei uns war es so, dass Ros und Sam, nachdem ich ihrer Idee zugestimmt hatte, die ganze Arbeit auf sich nahmen, um einen passenden Hund für mich zu finden, damit ich trotzdem das Gefühl haben sollte, ein Geschenk zu bekommen.

Als wir uns 2012 endlich dazu entschlossen hatten, einen Hund zu uns zu nehmen, hatte ich mich mehrere Jahre lang in einer wissenschaftlichen Einrichtung mit Hunden befasst, ohne selbst einen zu Hause zu haben, der dort auf mich wartete. Mit all den Umzügen rund um die Welt und der Tatsache, dass wir Eltern wurden, war mir mein Leben zu kompliziert erschienen, um noch hündische Gesellschaft mit in die Mischung einzubringen. So sehr ich es früher genossen hatte, mein Zuhause mit einem Hund zu teilen, so hielt ich es dennoch zu diesem Zeitpunkt nicht für richtig, einem Hund unsere unvorhersehbaren Terminpläne und häufigen Abwesenheiten zuzumuten. Ich war damals der Meinung – und bin es auch heute noch – dass es einfach nicht im Leben jedes Menschen einen hundeförmigen Leerraum gibt, in den ein Welpe hineinschlüpfen könnte.

Aber irgendwann wurde klar, dass meine Familie jetzt sehr wohl dazu bereit war, einen Hund aufzunehmen. Vor allem hatte ich wirklich begonnen, mich nach einem zu sehnen. Ich verbrachte in meiner Arbeitszeit so viele Stunden mit Hundebesitzern und Hunden oder in Tierheimen, wo so viele tolle Hunde auf ein neues Zuhause warteten, dass es sich seltsam anfühlte, abends in ein hundeloses Heim zu kommen. Weil sie meine Sehnsucht spürten und außerdem selbst insgeheim nach einem Hund schielten, hatten Ros und Sam es sich zur Aufgabe gemacht, einen für mich zu finden.

Weil sie das Überraschungselement beizubehalten versuchten, vermieden es Ros und Sam, mich um Hilfe zu bitten – und so kam es, dass wir letzten Endes einen Hund in einem Tierheim anschauten, das ich nicht besonders gut kannte. Als Wissenschaftler, der sich auf die Erforschung des Hundeverhaltens spezialisiert hatte, hatte ich in diesem Teil Floridas Studien in vielen verschiedenen Tierheimen durchgeführt. Diesen speziellen Tierschutzverein hatten meine Kollegen und ich aber ausgelassen, weil viele seiner Schützlinge so ernsthafte Verhaltensprobleme zeigten, dass uns das Risiko für die jungen Studenten, die uns bei den Versuchen assistierten, zu hoch erschien. Alle Hunde mit irgendeiner Art von Verständnis dafür, wie sie Menschen ihre freundlichen Absichten mitteilen konnten, hatten schon längst neue Besitzer gefunden. So kam es, dass dieses Tierheim, in dem man auch keine Hunde einschläferte, größtenteils eine Population von Hunden beherbergte, die nicht wussten, wie man sich nach menschlichen Maßstäben wunschgemäß benimmt. Ob sie nun wirklich gefährlich waren oder nicht – diese armen Tiere hatten ganz klar keinerlei Ahnung, wie sie Menschen gegenüber ausdrücken sollten, dass sie gute Gefährten und Begleiter für sie wären.

Diese traurige Situation kündigte sich schon an, bevor man das Innere des Tierheims betrat. Die Hauptzwingeranlage war so laut, dass man die Kakophonie des Bellens schon vom Parkplatz aus hörte. Sobald man dann den Hunden selbst begegnete, zeigten sie Verhaltensweisen, die das genaue Gegenteil von einladend zu sein schienen. Meine Kollegen und ich hatten größten Respekt für die Leistungen dieses Tierheims und dessen Weigerung, irgendeins der Tiere einzuschläfern, die Eingang durch seine Türen gefunden hatten. Trotzdem hatten wir – hauptsächlich aus Sorge um unsere Studenten – das Gefühl, dort besser keine Studien durchzuführen. Folglich wäre ich auch nie auf die Idee gekommen, dort nach einem Hund zu schauen, wenn ich die Suche selbst organisiert hätte – was zum Glück nicht der Fall war.

Ros und Sam hatten am Tag vor unserem gemeinsamen Besuch bereits eine Erkundungstour zu diesem Tierheim unternommen und beschlossen, unbedingt zurückzukommen – und zwar aus einem einzigen einfachen Grund. Wie der glückliche Zufall es wollte, hatte das Tierheim gerade am Tag vor dem Besuch meiner Frau und meines Sohns einen neuen Junghund aufgenommen. Dieser befand sich noch im etwas ruhigeren (aber immer noch reichlich lauten) Quarantänebereich des Tierheims und war noch nicht in die Hauptzwingeranlage gebracht worden.

Ros und Sam kamen ganz begeistert von dem kleinen schwarzen Hund nach Hause, den sie gefunden hatten. Erstaunt über die Tatsache, dass sie anscheinend ein so nett klingendes Tier in einem Tierheim ausfindig gemacht hatten, das ich nur als Verwahrungsstätte für Hunde mit dem Urteil „lebenslänglich“ kannte, fuhr ich am nächsten Tag mit ihnen mit, um Xephos kennenzulernen.

Sie war ein armes, schüchternes, winziges Ding. Sie war etwa zwölf Monate alt, als wir sie trafen, schien aber viel jünger. Im Gegensatz zu den anderen Hunden in dem Raum, in dem sie gehalten wurde, winselte sie bei unserem Hereinkommen mehr, anstatt zu bellen. Sobald sie aus ihrem Zwinger gelassen wurde, rollte sie sich auf den Rücken und machte ein bisschen Pipi in dem verzweifelten Versuch, uns ihre Ergebenheit mitzuteilen. Sie zog ihren Schwanz so eng zwischen die Hinterläufe, wie es einem Hund nur möglich ist. Sie leckte unsere Hände, und als wir uns zu ihr hinunterbeugten, wollte sie unsere Mundwinkel abschlecken. Sie benutzte den ganzen Werkzeugkasten hündischer Verhaltensweisen, die dazu dienen, Respekt und den Wunsch nach Aufbau einer emotionalen Bindung zu zeigen. Mit allem, was sie hatte, schien sie zu sagen: „Ich bin euer Hund. Nehmt mich mit nach Hause und ich werde euch ergeben lieben.“ Das war ein schlagendes Argument und wir unterschrieben auf der Stelle.

Später erfuhren wir, dass Xephos ein hartes erstes Lebensjahr gehabt hatte. Sie war in einem anderen Tierheim der Stadt zur Welt gekommen. Ihre Mutter war dort, als sie trächtig war, abgegeben worden, und der Wurf schnappte so ziemlich jede Krankheit auf, die gerade die Runde machte. Mit der Zeit wurde Xephos gesund und wurde in ein Zuhause vermittelt, aber leider hatte ihre erste Familie beschlossen, sie nicht zu behalten. So kam es, dass Xephos wieder zurück im Tierheim landete, diesmal einem anderen – allein, verängstigt und dringend auf eine zweite Chance angewiesen.

Ich wusste damals genug über Tierheimhunde, um mir darüber klar zu sein, dass Xephos‘ Werdegang traurigerweise typisch war und dass die große Mehrheit der Hunde ihr Zuhause ohne eigenes Verschulden verliert. Aber als wir sie erst bei uns zuhause hatten, konnte ich trotzdem nicht anders, als abwartend zu lauern, welches unentschuldbare Verhalten vielleicht dazu geführt haben könnte, dass Xephos von ihrer ersten Menschenfamilie abgegeben worden war. Aber es zeigte sich rein gar nichts in dieser Richtung. Was nur die erste von vielen angenehmen Überraschungen war, die dieses herrliche kleine Wesen uns machen sollte – und eine der vielen Lektionen, die es mich lehren sollte.

Während ich dies hier schreibe, ist Xephos etwa acht Jahre alt. Sie ist nach wie vor genauso bezaubernd und angenehm im Zusammenleben, wie sie sich bei unserem Treffen zeigte, vielleicht sogar noch mehr. In den ersten Wochen mit uns legte sie nach und nach ihre Scheu ab und eine starke, fröhliche Persönlichkeit kam zum Vorschein. Trotz ihrer tiefschwarzen Farbe erhellt sie jeden Raum, in dem sie sich befindet. Sie ist kein schüchterner Junghund mit eingeklemmtem Schwanz mehr – heute ist es mehr als unwahrscheinlich, dass ein Besucher dieses Körperteil anders zu Gesicht bekommt als in stolzer, aufrechter Haltung. Sie ist solch eine herausragende Persönlichkeit, dass ich oft überrascht bin, wie körperlich klein sie eigentlich ist. Sie ist immer die Erste, die Besucher an unserer Tür begrüßt: Sie veranstaltet ein Bellkonzert, wenn sie Schritte näherkommen hört und die Türklingel geht, um dann zu freudigem Geheul zu wechseln, wenn beim Öffnen der Tür da jemand steht, den sie kennt. Sie kennt die Motorengeräusche der Autos ihrer besten Freunde und jault, anstatt zu bellen, wenn diese auf die Tür zukommen.

Bei allem, was sie mit Menschen tut, strahlt Xephos Zuneigung aus. Selbst mit meinem heutigen Wissen über die Gründe für ihre Geselligkeit kann ich nicht anders, als darüber zu staunen. Aber damals, als wir sie zu uns nach Hause holten, erschien mir ihr anhängliches Wesen nicht annähernd so logisch oder so wundersam, wie es das heute tut.

Natürlich hatte ich auch vorher schon mit Hunden zusammengelebt und wusste, wie herzlich ihre Reaktion auf unsere Spezies ausfallen kann. Und doch besaß ich als Wissenschaftler, der Hundeverhalten erforscht, keinen Referenzrahmen für diesen offensichtlich emotionalen Aspekt im Leben von Hunden. Die Vorstellung, dass Hunde zu Liebe – oder überhaupt irgendeinem Gefühl – in der Lage sein könnten, war Hundepsychologen wie mir zu der Zeit, als wir Xephos fanden, geradezu ein Dorn im Auge. Sie lag so weit außerhalb der Begriffe wissenschaftlicher Diskussion über Hunde, dass es mir noch nicht einmal in den Sinn kam, darüber nachzudenken.

Dennoch hatte ich an diesem Punkt meiner beruflichen Karriere bereits damit begonnen, auch andere allgemein tradierte Weisheiten über die kognitiven Fähigkeiten von Hunden zu hinterfragen. Schon kurze Zeit später sollte diese Skepsis mich zu einer wahren Gewissenskrise über das Innenleben von Hunden führen und darüber, was sie zu dem macht, was sie sind. Dieses Nachsinnen wiederum bedeutete für mich den Aufbruch zu einer Entdeckungsreise, die meine Beziehung zu Hunden grundlegend veränderte – nicht nur die zu Xephos, sondern auch zu den unglücklichen Vierbeinern, die immer noch in Tierheimen weggesperrt sind und zu der gesamten gleichzeitig so vertrauten und so missverstandenen Spezies, deren Teil sie sind.

Xephos trat zu einem entscheidenden Zeitpunkt meines Nachdenkens über Hunde in mein Leben. Als Ros, Sam und ich 2012 Xephos nach Hause holten, bemühte ich mich gerade, meine wissenschaftliche Forschung zur hundlichen Kognition mit den verschiedenen, damals allgemein akzeptierten Theorien zu den Gründen für den Erfolg von Hunden in der menschlichen Gesellschaft in Einklang zu bringen. Diese Theorien erklärten angeblich die Grundlagen von Beziehungen, wie wir sie nun mit diesem pelzigen kleinen Familienmitglied eingingen.

In den späten 1990er Jahren, als es danach aussah, dass die Forscher die willig zu ihren Füßen ruhenden Subjekte beinahe vollkommen vergessen hätten, erweckten zwei Wissenschaftler das Interesse an der Psychologie von Hunde zu neuem Leben, indem sie unabhängig voneinander neue Sichtweisen auf das Verständnis dieser Spezies und seiner besonderen Beziehung zu Menschen warfen. Ádám Miklósi an der Eötvös Lorand Universität im ungarischen Budapest und Brian Hare, damals Student an der Emory University in Atlanta, Georgia (heute Professor an der Duke University in North Carolina), kamen aus vollkommen unterschiedlichen Backgrounds, aber zu der gleichen Schlussfolgerung: Dass Hunde eine einzigartige Form von Intelligenz besitzen, die es ihnen ermöglicht, mit Menschen so auszukommen, wie kein anderes Tier es fertigbringt.

Hare hatte zu Beginn gar nicht die soziale Intelligenz von Hunden erforscht, sondern die von Schimpansen. Weil sie unsere nächsten lebenden Verwandten im Tierreich sind, sind Schimpansen die natürliche Anlauf-Spezies für jeden, der sich dafür interessiert, was die menschliche Kognition so einzigartig macht. Hare war fasziniert von dem uralten Rätsel, was genau Menschen so sehr aus dem Tierreich hervorstechen lässt. Spätestens seit Darwin hatten sich Wissenschaftler herauszufinden bemüht, was genau den Unterschied zwischen dem menschlichen Verstand und dem anderer Spezies ausmacht. Eine typische Herangehensweise an diese Frage lautet: Wenn du meinst, etwas gefunden zu haben, das nur Menschen können, dann teste es an Schimpansen; und wenn Schimpansen es nicht können, ist es unwahrscheinlich, dass irgendeine andere, nicht so eng mit dem Menschen verwandte Art es können sollte.

Zu dieser Zeit testete Hare gerade auf eine Fähigkeit, die uns Menschen sehr simpel erscheint. Wenn ich im Gegensatz zu Ihnen weiß, wo etwas für Sie Begehrenswertes versteckt ist, kann ich Ihnen den Ort mitteilen, indem ich mit meiner Hand darauf zeige. Hare wollte herausfinden, ob dies eine nur beim Menschen vorkommende Form des sozialen Verstehens ist oder ob auch Schimpansen die Bedeutung einer einfachen Zeigegeste verstehen könnten.

Hares Experiment war einfach. Er stellte zwei Becher umgedreht hinter eine Sichtschutzwand, sodass der Schimpanse sie nicht sehen konnte, und versteckte ein Stückchen Futter unter einem von ihnen. Dann nahm er den Sichtschutz weg und zeigte auf den Becher mit dem versteckten Futter. Wählte nun der Schimpanse den Becher mit dem Futter darunter, legte das nahe, dass er die Bedeutung der menschlichen Geste verstanden hatte.

Wie sich herausstelle, wählten Hares‘ Schimpansen die Becher mehr oder weniger zufällig aus. So leicht die Aufgabe auch klingt, für sie war es anscheinend zuviel verlangt.

Hare fand das Versagen der Schimpansen merkwürdig, weil er sicher war, dass sein Hund zuhause die gleiche Aufgabe mit Leichtigkeit lösen könnte. Als er genau das zu seinem Mentor Michael Tomasello sagte, versicherte dieser ihm, dass nicht die geringste Chance dafür bestünde, dass ein Hund mit walnussgroßem Gehirn Erfolg bei einer Aufgabe haben könnte, an der Schimpansen gescheitert waren.

Und so kam es dazu, dass Hare beim nächsten Mal, als er mit Oreo, dem Hund seiner Kindheit, zusammen zuhause war, in der Garage seiner Eltern stand – mit zwei umgedrehten Bechern, einer rechts und einer links von ihm. Sein Hund wartete geduldig, während Hare ein Stück Futter unter einem Becher versteckte und bei dem anderen Becher nur so tat. Dann zeigte er auf den Becher mit dem Futter und Oreo trottete ohne jedes Zögern geradewegs zum richtigen.

Hare war davon überzeugt, dass sein Hund nicht einfach nur erschnüffelte, wo das Futter versteckt war. Schließlich wusste Oreo, wenn Hare zwischen beiden Bechern stand und auf keinen von ihnen zeigte, nicht, wo er hingehen sollte. Es sah wirklich danach aus, als ob Oreo in der Lage war, Hares Zeigegeste zu verstehen – was bedeutete, dass das kleinhirnige Familienhaustier dort Erfolg hatte, wo der mit viel größerem Gehirn ausgestattete und engere Verwandte des Menschen, der Schimpanse, gescheitert war.

Das gab für Hare den Anstoß, zu einem Wolfsgehege nach Massachusetts zu reisen und dort handaufgezogene Wölfe ähnlichen Tests zu unterziehen. Weil alle Hunde von Wölfen abstammen, wollte Hare durch die Versuche an ihren wilden Verwandten überprüfen, ob die Fähigkeit der Hunde zur erfolgreichen Lösung dieser Aufgabe etwas war, das sie von ihren Vorfahren geerbt hatten oder eine Fähigkeit, die sich erst in der Evolution der Hunde erstmals herausgebildet hatte.

Die Ergebnisse von Hares Wolfsstudie legten nahe, dass Hunde in dieser Hinsicht wirklich ziemlich einzigartig sind. Er fand heraus, dass Wölfe im Gegensatz zu Hunden keine Ahnung hatten, was die Zeigegesten bedeuten sollten. Konfrontierte man die wilden Vettern der Hunde mit Hares Zeigegesten, waren sie genauso ahnungslos wie die Schimpansen.

Auf der anderen Seite der Erdkugel führte der ungarische Wissenschaftler Ádám Miklósi, ohne es zu wissen, beinahe genau das gleiche Experiment durch wie Hare – und kam zu beinahe genau den gleichen Ergebnissen. Während man Hares Weg als „von den Affen herab“ beschreiben kann, könnte man den von Miklósi als „von den Fischen ausgehend“ bezeichnen. Miklósi hatte sich in Ungarn mit der Ethologie befasst – einer Wissenschaft, die sich mit auf das Verhalten von Tieren in ihrem natürlichen Lebensraum konzentriert – und das Labor, in dem er arbeitete, hatte sich ursprünglich mit dem Studium kleiner Fische befasst. Mitte der 1990er Jahre hatte dessen Direktor jedoch entschieden, dass es nun an der Zeit war, ein Tier von direkterer Relevanz für das Leben der meisten Menschen zu untersuchen, weshalb Miklósi dazu kam, Hunde anstatt von Fischen zu beobachten. Seine Forschungsgruppe ging der Frage nach, ob Menschen und Hunde sich in Psychologie und Verhalten in der Evolution so entwickelt hatten, dass sie sich gegenseitig besser verstehen konnten. Ohne zu wissen, woran Hare in Atlanta arbeitete, führten Miklósi und seine Studenten in Budapest genau den gleichen Prozess durch. Zuerst untersuchten sie, ob Haushunde dazu in der Lage waren, den Zeigegesten von Menschen zu folgen und stellten fest, dass diese darin höchst erfolgreich waren. Anschließend zogen sie einige Wolfswelpen von Hand in ihren Budapester Wohnungen auf und fanden heraus, dass die Wölfe ihre Handbewegungen nicht nutzen konnten, um Futter zu finden.

Nachdem Hare diese und andere Studien analysiert hatte, folgerte er, dass Hunde eine über die Jahrtausende des Zusammenlebens mit dem Menschen angezüchtete, genetische Prädisposition dafür besitzen müssten, die Kommunikationsabsichten und einiges von der sozialen Intelligenz der Menschen zu verstehen. Diese Fähigkeit, so argumentierte Hare, sei jedem Hundewelpen angeboren und entwickle sich spontan in jedem einzelnen von ihnen, selbst dann, wenn er keine Erfahrung mit uns Menschen und den Dingen hat, die wir tun. Hare stritt nicht ab, dass es mit minutiösem Training möglich sein könnte, auch Tieren anderer Spezies einige Aspekte dessen beizubringen, was Hunde leisten können, aber seiner Meinung nach waren nur Hunde dazu geboren, Menschen auf diese Art und Weise zu verstehen – der entscheidende Unterschied zwischen ihnen und jedem anderen nichtmenschlichen Lebewesen auf diesem Planeten.

Als Hare seine Schlussfolgerungen erstmals 2002 veröffentlichte, fand ich sie wirklich aufregend – und befand mich außerdem an einem Punkt meiner Karriere, an dem ich dazu bereit war, mich von etwas Neuem inspirieren zu lassen. In jenem Jahr war ich gerade als junger Nachwuchsprofessor an der psychologischen Fakultät der Universität von Florida gelandet. Das vorangegangene Jahrzehnt hatte ich an der University of Western Australia verbracht, wo ich das Verhalten von Beuteltieren wie etwa der dickschwänzigen Schmalfußbeutelmaus studierte – einem entzückenden, mausähnlichen Tierchen mit weniger als drei Gramm Gehirnmasse, das aber dennoch zu schnellem Lernen in der Lage war. Der Umzug nach Florida war spannend für mich, bedeutete aber auch den Abschied von den Beuteltieren, die mich so sehr fasziniert hatten. Ich hatte bis jetzt noch nicht daran gedacht, mein Interesse Hunden zuzuwenden, aber als ich Hares Forschungsergebnisse las, war ich fasziniert von der Vorstellung, dass ein Canide ohne besondere Ausstattung im entsprechenden Gehirnbereich irgendwie Formen der Kognition erworben haben sollte, deren Vorkommen ansonsten nur bei unserer eigenen, notorisch gehirnlastigen Spezies bekannt sind.

Hares‘ Forschungsergebnisse begannen ungefähr zu der gleichen Zeit in der wissenschaftlichen Literatur zu erscheinen wie die ersten Artikel mit DNA-Analysen des Hundes. Der Input der Genetiker trug eine weitere, faszinierende Komplexitätsebene zu der Diskussion bei, was Hunde so einzigartig macht.

Genetiker schätzen das Alter einer Spezies, indem sie deren Genmaterial mit dem eng verwandter Arten vergleichen, und Studien aus Schweden, China und den USA ergaben, dass der Domestikationsprozess, der die Haushunde hervorgebracht hatte, nach evolutionären Maßstäben extrem schnell abgelaufen war. Anstatt der Millionen Jahre, die zu merklichen Veränderungen bei einer so relativ großen und langlebigen Spezies wie dem unmittelbarsten Vorfahren des Hundes, dem Wolf, nötig waren, waren Hunde innerhalb von nur wenigen Zehntausenden von Jahren – höchstenfalls! – auf der Bühne erschienen. Wölfe pflanzen sich normalerweise nur einmal pro Jahr fort und werden erst in ihrem zweiten Lebensjahr geschlechtsreif. Für uns mag das jung klingen, aber im Vergleich zu den meisten anderen Tieren ist das ein sehr langsamer Lebenszyklus. Die Geschwindigkeit der Evolution ist notwendigerweise daran gekoppelt, wie lange die Individuen brauchen, um die nächste Generation ihrer Art hervorzubringen. Folglich kann ein Tier, das nur alle zwei Jahre eine neue Generation hervorbringen kann, sich evolutionär nur sehr langsam weiterentwickeln.

Diese beiden parallel verlaufenden Forschungsstränge begannen sich in meinem Gehirn miteinander zu verweben. Wenn, wie Hare behauptete, Hunde wirklich mit der einzigartigen Gabe gesegnet wären, uns Menschen von Natur aus zu verstehen, dann müssten sie diese Fähigkeit in nur einem Wimpernschlag der Evolution herausgebildet haben. Wie, so begann ich mich zu fragen, konnten sie diese Fähigkeit derart schnell erwerben?

Gerade, als diese Fragestellung in meinen Gedanken Form anzunehmen begann, kreuzte die ideale Studentin meinen Weg, um mir bei deren Beantwortung zu helfen. Monique Udell kam nicht nur sowohl aus Psychologie und Biologie, sondern war auch mit einer unglaublichen Bereitschaft zu reiner, harter Arbeit gesegnet. Außerdem war sie auch noch willens, eine Doktorarbeit bei einem Mentor in Angriff zu nehmen, der sich Forschung zu einer Spezies wünschte, die er zuvor noch nie studiert hatte. Zusammen begannen Monique und ich, die Bedeutung dieser spannenden neuen Ergebnisse für Evolution und Kognition der Hunde zu entdecken.

Wir begannen, indem wir das Zeige-Experiment von Miklósi und Hare mit einigen Familienhunden in deren jeweiligem Zuhause wiederholten. Das war recht einfach zu bewerkstelligen, und die Ergebnisse unserer Studie stimmten exakt mit denen von Hare und Miklósi überein: Haushunde sind in der Tat außerordentlich sensibel für die Handlungen und Absichten von Menschen. Wir versteckten Futter unter einem von zwei auf dem Boden stehenden Behältnissen, und wenn Monique auf den zeigte, unter dem das Leckerchen versteckt war, liefen die Hunde ganz genau dorthin. Es war, als ob sie den Artikel in der Wissenschaftszeitschrift auch gelesen hätten.*

Wir hatten nun zwar Ergebnisse erhalten, die exakt mit dem übereinstimmten, was Hare und Miklósi über Hunde gesagt hatten, aber noch nicht unsere größere Frage beantwortet: Was, wenn überhaupt, hat bei Hunden die schnelle Evolution der Fähigkeit zum Verstehen menschlicher Gesten angetrieben? Wie haben Hunde diese Eigenschaft erworben?

Kaum hatten Monique und ich unsere Aufmerksamkeit diesem Problem zugewandt, als sich ganz von selbst eine Gelegenheit zu seiner Untersuchung bot, nämlich in Form einer Einladung von den Verwaltern der Forschungseinrichtung „Wolf Park“ in Indiana, die gern wollten, dass wir kämen und Versuche mit ihren Wölfen anstellten.

Es war nicht unbedingt ein Übermaß an körperlichem Mut, das mich zu einem Leben als Universitätsprofessor bewogen hatte, weshalb ich kein Problem damit habe, zuzugeben, dass ich doch einige Beklemmung empfand, als ich im Seminarraum des Wolf Park saß und der Pflichtunterweisung der Direktorin Pat Goodman zu Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit Wölfen zuhörte.

Die Regeln zur Interaktion mit den Bewohnern von Wolf Park sind recht einfach. Einen Wolf nicht direkt anstarren, aber ihn andererseits auch keinen Moment aus den Augen lassen. Wichtig ist, keine plötzlichen Bewegungen zu machen, aber ebenso wichtig, nicht einfach still dazustehen und die Arme nutzlos hängen zu lassen. Wenn man sich zu unbeweglich gibt, könnten die Wölfe einen irrtümlich für ein Kauspielzeug halten, erklärte Pat, was auf mich nicht unbedingt eine beruhigende Wirkung hatte. Aber das Wichtigste, machte sie klar, ist es, nicht auf einen Ast oder auf ein Kaninchenloch zu treten, denn anscheinend ist es wohl sehr schwierig, einen Wolf wieder von jemandem wegzuziehen.

Durchaus wachgerüttelt von dieser mehr als einstündigen Aufzählung der wirklich üblen Dinge, die ein neunzig Kilo schwerer Grauwolf mit einem mickrigen Psychologieprofessor anstellen kann, war ich letzten Endes zur ersten Begegnung mit meinen Forschungssubjekten bereit. Es war Zeit, sich gegen den kalten Septembertag zu wappnen und sich in Richtung Wolfsgehege aufzumachen.

Wolf Park ist eine Oase angenehm sanften Hügellandes in den unendlichen, tellerflachen Ebenen im Herzen Indianas. Bis ganz heran an den Eingang des Parks gibt es nichts als Flachland, aber das Grundstück, auf dem der Park selbst liegt, bietet mit einem Bach, ein paar bewaldeten Ecken und einem schönen, großen See, in dem die Wölfe spielen können, eine willkommene Abwechslung in der Topographie. Als einer der wenigen baumbestandenen Flecken inmitten Tausender von Hektar Sojabohnen und Mais dient der Park auch als Zufluchtsort für Vögel, was der angenehmen Szenerie zusätzlich eine fröhliche Hintergrundmelodie verleiht. Es ist wirklich ein wunderschöner Ort, aber ich muss zugeben, dass ich nicht sicher bin, wie viel davon ich bei unserem Besuch wirklich wahrgenommen habe. Ich war eher auf die großen Carnivoren konzentriert, deren Zuhause ich mich gerade zu betreten anschickte.

Der Moment der Wahrheit – und des Schreckens – kam, als Monique und ich das Wolfsgehege betraten. Kaum war ich durch das Tor im Maschendrahtzaun geschlüpft, als einer der älteren Wölfe, Renki, auf mich zugestürmt kam. Bevor ich noch die Hände aus meinen Jackentaschen nehmen konnte, hatte er seine beiden Vorderpfoten auf meine Schultern gepflanzt. Ich hatte gerade noch Zeit für den Gedanken „Mach’s gut, du schnöde Welt“, bevor Renki mir kraftvoll über beide Wangen schleckte.

Ich begriff augenblicklich, wie es sich anfühlt, in einem Wolfsrudel akzeptiert zu werden, und ich kann Ihnen sagen, große Erleichterung ist kein unerheblicher Teil davon. Ich stand noch eine Weile länger herum, um meine neuen Rudelgefährten und Forschungssubjekte kennenzulernen. Letzten Endes, als ich mich in Gegenwart der Wölfe angemessen wohlfühlte und klar war, dass diese nichts gegen meine Anwesenheit hatten, machte ich mich an die Durchführung des Experiments, das mich in erster Linie in den Wolf Park geführt hatte.

Monique und ich waren in den Wolf Park eingeladen worden, weil man dort von den neuen Forschungsergebnissen aus den Laboren von Brian Hare und Ádám Miklósi gehört hatte. Insbesondere hatte man Notiz von (und Anstoß an) den Behauptungen genommen, dass Hunde eine einzigartige Fähigkeit zur Verfolgung der Implikationen menschlichen Handelns besäßen: eine Fähigkeit, die Hunde, so Hare, mit keinem anderen Tier teilten, auch nicht mit Wölfen.

Es kann nur wenige Menschen auf diesem Planeten mit einem nuancierteren Verständnis von Wolfsverhalten geben als die Angestellten und Freiwilligen von Wolf Park. Seit 1974 ziehen sie Wölfe von Hand auf, dienen ihnen als Ersatzeltern und begleiten sie beim Erwachsenwerden, sodass diese Wildtiere Menschen als Sozialpartner akzeptieren. Die Leiterin Pat Goodman und der Gründer Erich Klinghammer haben die Techniken dazu perfektioniert. Dazu gehört unter anderem, dass eine menschliche „Mutter“ in den ersten Lebenswochen der Wolfswelpen rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche bei ihnen bleibt, sodass diese beim Aufwachsen Menschen als Teil ihres sozialen Gefüges zu betrachten lernen. Pat und viele aus dem Team von Wolf Park haben auch Hunde zuhause, sodass sie ihre Arbeitszeit mit Wölfen und ihre Freizeit mit Hunden verbringen – ein Arrangement, das den Angestellten einen besonders geschärften Sinn für die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen handaufgezogenen Wölfen und Hunden verschafft.

Die Aufnahme des Autors in das Rudel von Wolf Park.

Es waren also diese einzigartig gut informierten Wolfs- und Hundemenschen, die mit mir Kontakt aufnahmen, um mir mitzuteilen, dass Hare und Miklósi falsch lagen. Diese Wolf Park Mitarbeiter hatten den starken Eindruck, dass die Wölfe, mit denen sie ihre Tage verbrachten, in jeder Hinsicht genauso sensibel gegenüber den Dingen waren, die Menschen so tun, wie die Hunde, die jeden Abend zuhause auf sie warteten.

Hare und Miklósi hatten natürlich beide Versuche mit Wölfen gemacht, um genau dieser Frage nachzugehen, und sie waren unabhängig voneinander zu dem Schluss gekommen, dass Wölfe nicht zum Verständnis menschlicher Gesten fähig sind. Ich hatte keinen besonderen Grund, ihren Ergebnissen mit Skepsis gegenüberzutreten, insbesondere, da diese aus voneinander unabhängigen Laboren von unterschiedlichen Seiten des Atlantiks stammten. Aber zumindest dachte ich, dass es Spaß machen würde, das Wolfsexperiment einmal selbst auszuprobieren. Zusätzlich hatte die Skepsis der Wolf Park Mitarbeiter meine Neugier geweckt. War es denkbar, dass die Wölfe in den Studien von Hare und Miklósi, die in einem Tierheim in Massachusetts beziehungsweise in mehreren Budapester Wohnungen von Hand aufgezogen worden waren, gar nicht repräsentativ für die Spezies als Ganzes waren?

Ich hatte zuvor noch niemals Wölfe von Nahem gesehen und war sowohl von ihrer respekteinflößenden Kraft als auch von ihrer offensichtlichen Intelligenz tief beeindruckt. Diese Wölfe hatten das Maß der größten Hunde – ich dachte sofort an Riesenrassen wie den Irish Wolfhound. Aber im Gegensatz zu großen Hunden, die eher dazu neigen, langsam in ihren Reaktionen zu sein, sind Grauwölfe schnell. Wirklich schnell. Wenn ein Kaninchen innerhalb ihres Geheges aus einem Erdloch auftaucht, dann bäm, haben sie es im gleichen Augenblick. Sie töten wie Profis, mit Berechnung und ohne Reue.

Aber ebenso beeindruckend wie die potenzielle Lebensgefahr, die von ihnen ausgeht, ist ihre Geselligkeit. Der Umgang der Wölfe untereinander und mit Menschen, die sie kennen, ist vielschichtig und bewegend zu beobachten. Ihre bernsteinfarbenen Augen scheinen vor intensiver Präsenz im gegenwärtigen Moment nur so zu glühen. Ich fühlte mich wirklich privilegiert, dass sie mich in ihr Leben ließen.

Außerdem war mir klargeworden, dass auch in der Wissenschaft Vorsicht stets die Mutter der Porzellankiste ist. Nachdem wir mit den Angestellten gesprochen, die Sicherheitsunterweisung absolviert und uns ins Gehege gewagt hatten, um uns den Wölfen vorzustellen, hatten Monique und ich uns dazu entschieden, unser Glück nicht herauszufordern. Wir verließen das Gehege und überließen es anderen, den Tieren besser vertrauten Menschen, die erste Runde der Zeigeversuche für uns durchzuführen. Anstatt selbst die Becher mit den Leckerchen darunter zu hantieren und darauf zu zeigen, riefen wir den Wolf Park Leuten Anweisungen zu, die dann für uns die Tests durchführten. Wir alle waren der Meinung, dass dies ungefährlicher war und wahrscheinlich auch die tatsächlichen Fähigkeiten der Wölfe besser zum Vorschein bringen würde. Monique und ich hatten die Hoffnung, dass wir nach einer gewissen Zeit, wenn die Wölfe sich mit uns wohl fühlen würden, Teile der Arbeit selbst würden durchführen können – aber bei diesem ersten Besuch wollten wir unsere Erfolgschancen erhöhen, indem wir die Fremden gegenüber oft misstrauischen Wölfe zunächst mit ihnen gut bekannten Menschen arbeiten ließen.

Einige Beschäftigte halfen dabei, ein ungenutztes Gehege zu säubern, sodass anschließend nacheinander die Wölfe für die Versuche hineingebracht werden konnten. Pat Goodmann und zwei Mitarbeiter wechselten sich in drei Rollen ab: zwischen zwei Behältern stehen und auf einen davon zeigen; etwa drei Meter weit weg stehen, um den Wolf nach Versuchsende wieder an die Startposition zurückzulocken; und letztlich, einfach nur anwesend zu sein, um aufzupassen, dass niemand in Gefahr geriet. Monique und ich riefen Anweisungen durch den Zaun und lieferten Nachschub an kleingeschnittenen Würstchen, die unsere unermüdlichen Helfer nutzten, um die Wölfe für ihre korrekte Entscheidung zu belohnen und sie zurück zum Start zu locken, nachdem jeder Testdurchlauf beendet war.

Es dauerte eine Weile, bis alles in Gang kam, aber sobald alles und jeder an seinem Platz war und die Studie zu laufen begann, waren Monique und ich sehr schnell bass erstaunt: die Wölfe schnitten bei dieser Aufgabe in jeder Hinsicht genauso gut ab wie die in diesem Versuch erfolgreichsten Hunde.