Unheimliche Geschichten - Feodor Wehl - E-Book

Unheimliche Geschichten E-Book

Feodor Wehl

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Beschreibung

Digitale Neufassung von unheimlichen Geschichten, basierend auf Gegebenheiten in unterschiedlichen Ländern. [1862]: ... Indem der Verfasser und Zusammensteller dieser "Unheimlichen Geschichten" dieselben dem Publikum übergibt, verwahrt er sich zugleich ausdrücklich gegen die Annahme, als könne es ihm irgendwie darauf ankommen: dem Aberglauben Vorschub leisten zu wollen. Der sinnige Leser wird ohne Zweifel herausfühlen, dass der Autor in allen seinen Novellen und Skizzen nichts weiter getan hat, als dass er sich auf gewisse Schattenseiten der menschlichen Natur bezog, wo in dunkeln Vorstellungen und finsteren Anschauungen sich so leicht das Fatum und Verhängnis eines ganzen Lebens erzeugt. ...

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Inhalt

Unheimliche Geschichten

Technische Anmerkungen

Vorbemerkung.

Der Geisterritt.

Eine merkwürdige Prophezeiung.

Der Applaus von unsichtbaren Händen.

Die Ermordung der Herzogin von Praslin.

Der graue Kämpe.

Eine Prophezeiung.

Die wunderbare Erscheinung.

Das Gespensterhaus in Hildesheim.

Das zweite Gesicht.

Die Morgue in Paris.

Der Schal der Toten.

Impressum

Unheimliche Geschichten

von Feodor Wehl

Dresden,

Druck und Verlag von C. C. Meinhold & Söhne.

Königliche Hofbuchdruckerei,

1862

Technische Anmerkungen

Die vorliegende digitale Neufassung des altdeutschen Originals erfolgte im Hinblick auf eine möglichst komfortable Verwendbarkeit auf eBook Readern. Dabei wurde versucht, den Schreibstil des Verfassers möglichst unverändert zu übernehmen, um den Sprachgebrauch der damaligen Zeit zu erhalten. 

Vorbemerkung.

Indem der Verfasser und Zusammensteller dieser „Unheimlichen Geschichten“ dieselben dem Publikum übergibt, verwahrt er sich zugleich ausdrücklich gegen die Annahme, als könne es ihm irgendwie darauf ankommen: dem Aberglauben Vorschub leisten zu wollen. Der sinnige Leser wird ohne Zweifel herausfühlen, dass der Autor in allen seinen Novellen und Skizzen nichts weiter getan hat, als dass er sich auf gewisse Schattenseiten der menschlichen Natur bezog, wo in dunkeln Vorstellungen und finsteren Anschauungen sich so leicht das Fatum und Verhängnis eines ganzen Lebens erzeugt. „Des Menschen Erleuchtungen und Verdüsterungen sind sein Schicksal“ hat der herrliche Goethe einmal sehr charakteristisch und, wie uns scheint, auch nur all zu wahr gesagt. Und diese Wahrheit nach der in Nacht hin fallenden Seite möglichst psychologisch zu belegen, das allein ist die Absicht und das Streben des Autors gewesen, dessen ganze seitherige literarische Tätigkeit ihn hoffentlich vor dem Verdachte schützen wird, als ob er einer frivolen und skandalösen Sucht nach Graus und Abscheulichkeit, wie sie im Publikum leider nur noch all zu sehr im Schwange ist, habe frönen wollen.

Dresden, im August 1862.

 F. W.

Der Geisterritt.

Es war eine von jenen stillen, geheimnisvollen Nächten, wie sie der Hochsommer Deutschlands so häufig bietet. Der Mond schien hell und klar, nur dann und wann von rasch dahinziehenden Wolken getrübt, die wie wandelnde Schatten geisterhaft über den Himmel flogen, unter dem rings herum die Landschaft, welche der Schauplatz unserer Erzählung ist, wie im Traume zu liegen schien. Stille herrschte über dem Dorfe, über Feld und Wiese, über der ganzen Gegend rings umher. Nur die Mühle, die fernab auf einer Anhöhe wie ein wachsamer Vorposten der menschlichen Wohnungen aufgestellt stand, klippte und klappte mit ihren Rädern und Flügeln lustig im Winde, der von Osten her wehte und nachdem er mit dem Erlengebüsch, das den silbern aus dem Talgrunde heraufschimmernden Bach umsäumte, leise tändelnd gewispert hatte, sich mit einer Art von Wollust in die Waldung hineinwühlte, welche die jenseitige Höhe krönte und meilenweit die Erde bedeckte.

Vor dieser Waldung, auf einer Hügelplatte lag das Försterhaus, das der junge, auf der Forstakademie gebildete Förster Elers mit seiner Gattin, einem Revierjäger, einem Knecht und zwei Mägden innehatte. Die um das Amtsgebäude herum errichteten Ställe und Scheunen, die ein ganz ansehnliches Gehöft ausmachten, bewiesen, dass der Besitzer von diesem allen sich nicht bloß auf sein eigentliches Geschäft beschränkte, sondern damit auch etwas Landwirtschaft verband, für die er von Hause aus bestimmt und erzogen war und die er auch getrieben hatte, bis er endlich nach dem Tode seines Vaters, eines alten, reichen Bauern, seiner Lust zum edlen Weidwerk nicht mehr gebieten konnte und sich deren Studium aufs Eifrigste widmete.

Nach Verlauf von etwa vier Jahren erlangte er die Amtsförsterei hier auf Rodewald und nachdem er sich ordentlich darin zurechtgerückt und heimisch gemacht, holte er sich Elisabeth Volger als Hausfrau heim, die er während der Zeit seines Aufenthaltes auf der Forstakademie kennen und lieben gelernt hatte. Er war nun Jahr und Tag und wie die ganze Landschaft wusste, aufs allerglücklichste mit ihr verheiratet.

Wie hätte das aber auch anders sein können? War Elisabeth oder wie sie Elers immer nannte Elsi doch ein wahres Muster der Frauenwelt. Hochgewachsen, schlank und fein gebaut, erschien sie dabei doch ziemlich kräftig und ihrem ganzen Wesen nach von rosigster Fülle und Frische. Ihr volles, feines, im wahren Sinne des Wortes goldgelbes Haar lag, lang und voll, wie es war, in zierliche Flechten geschlungen, kleidsam verteilt und geordnet, um ihren edelgeformten Kopf, dem tiefe, dunkelblaue Augen, ein artiges Stumpfnäschen, zarte Grübchen und feingeschnittene Lippen mit weiß dahinter hervor glänzenden Perlenzähnen ein reifendes Aussehen gaben.

Elsi war nicht entschieden schön, aber jedenfalls anmutsvoll und lieblich zu nennen, und das Letztere hauptsächlich wegen eines ungemein sanften Zuges um den Mund und eines Blicks, für den es schwer sein möchte, eine rechte Bezeichnung zu finden. Er war nicht traurig, nicht schmerzvoll dieser Blick, aber so seelenhaft, so aus der Tiefe herausgeholt oder wie der alte Pastor Kraute zu sagen pflegte: so aus verborgenstem Herzenskämmerchen ans Licht des Tages tretend, dass er jeden, den er traf, mit dem Gefühl einer himmlischen Bangigkeit, einer in süßen Schauern erbebenden Wehmut erfüllte.

Dieser Blick war ein Blick der reinen Psyche, und wenn sie ihn weit und groß zum Himmel richtete, so drang ein so intensiver Lichtstrom daraus hervor, dass es einem dünkte, als müssten Fittiche daraus hervorwachsen, um Elsi geradewegs zum Throne des Ewigen empor zu tragen. Dass sie vor diesem auch jeden Augenblick zu erscheinen nicht zaghaft sein durfte, wussten übrigens alle, die sie kannten. So brav, so gut und lieb, gab es kein Wesen weit umher. Junge Frauen, die ihr auf dem Kirchweg begegneten, hielten sich für gesegnet und erröteten geheimnisvoll, wenn ihre Gatten daheim sie küssten. Alle Männer rissen freudig die Mützen von den kahlen Schädeln, wenn sie ihr nahetraten, und Kinder, deren Weinen und Schreien nicht zu stillen gewesen, verstummten plötzlich und schlummerten mit seligem Lächeln auf ihrem Antlitz ein, sobald sie von ihr angeschaut worden waren.

Dass man Elsi unter solchen Umständen allgemein nur die gute Frau nannte, wird niemand Wunder nehmen, und umso weniger, wenn er zu diesem allen noch erfährt, dass sie mit wohltätigem Sinn in der Stille viel Gutes tat, die Armen unterstützte, die Kranken pflegte, die Notleidenden mit dem Nötigsten versah. Hätte sie im Mittelalter in katholischen Landen gelebt, so würde ihr die Anwartschaft auf die Heiligsprechung nicht haben entgehen können. Die fromme Elisabeth in Thüringen, von welcher Dichtung und Sage uns so viel Herrliches berichten, hat schwerlich mehr und Größeres vollbracht, als die gute Frau auf Rodewald, die nachts an Krankenbetten und Sterbelager hilfreich und tröstend herbei zu eilen sich keinen Augenblick besann und das Letzte hergab, um ein augenblickliches Elend zu mildern.

Auch in der Nacht, von der wir reden, war sie wieder unten im Dorfe bei der siechen Tochter des sogenannten „lahmen Kaspars“ gewesen. Dieser Kaspar – Heidler mit Zunamen – hatte die Feldzüge von Achtzehnhundertunddreizehn bis fünfzehn mitgemacht und war bei Quatre-Bras, wo er unter der Anführung des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig, der bekanntlich hier seinen Heldentod fand, mitfocht, zum Krüppel geschossen worden. Hierauf in seine Heimat zurückgekehrt, hatte er sich mit einer herumstreifenden Dirne, einer Zigeunerin, wie die Leute behaupteten, nur deswegen verheiratet, weil er meinte, dass diese ihn durch allerlei Geheimkunst und Munkelwesen zum wohlhabenden Manne machen würde. Als dies aber nicht der Fall war, sondern er nach wie vor in Dürftigkeit blieb und sich sein Brot entweder erbetteln oder mit mühseliger Tagelöhnerei, zu der er obendrein wegen seines Stelzfußes, nur wenn es an besserer Arbeitskraft gebrach, genommen wurde, verdienen musste, da fing er allmählich sich der Liederlichkeit anheim zu geben an, zu der er von Jugend auf Neigung gehabt und die endlich sein ganzes Leben erfüllte. Tage, Wochen, Monden lang trieb er sich in der Gegend umher, ohne dass jemand recht wusste, was er tat und unternahm, noch wovon er existierte. Kam er ja wieder einmal nach Hause, so war er zerlumpter denn je, und gewöhnlich dann entweder trunken oder in so durchaus verwildertem Zustande, dass ihm jeder gern aus dem Wege ging und auch die eigene Frau ihn vermied, wo sie konnte.

Nachdem diese: Mutter geworden und ein Mädchen geboren, hatte sie ein ruhigeres, sesshafteres und stilleres Wesen angenommen, ohne dadurch doch das Vorurteil, das im Dorfe nun einmal gegen sie Platz gegriffen, vollständig ausrotten und verschwinden machen zu können. Noch immer hielten sich die übrigen Bauernfrauen scheu von ihr zurück und niemand hatte irgendeinen Umgang mit ihr. Sie pflegte ein Stückchen Land, das hinter ihrer Lehmhütte lag, und zog Kartoffeln darauf, von denen sie lebte. Eine Art von Körbe, die sie aus Weiden und Binsen mit einem seltenen Geschick und einer gewissen Kunst anzufertigen verstand und von Zeit zu Zeit an einen jüdischen Hausierer verkaufte, verschafften ihr, was sie und ihr aufschießendes Mädchen wohl sonst noch zu spärlichem Auskommen brauchten. Dass sie es über dieses spärliche Auskommen nicht hinausbrachte, war die Schuld ihres Mannes, der, wenn er auf kurze Zeit nach Hause kam, dasselbe um und um kehrte und alles wegnahm, was er an Geld und Geldeswert nur irgend finden konnte. Wollte die Frau das hindern und wehrte sie seinem Beginnen, so wurde er wütend und schlug sie und das Kind.

Kurz nachdem Elisabeth Volger von Elers geheiratet und heimgeholt worden war, hatte eine Szene dieser Art unten in der Hütte der Zigeunerin stattgefunden und der lahme Kaspar die kleine Alla – so wurde das Mädchen geheißen, ohne dass jemand wusste, woher und aus welcher Abkürzung dieser Name stammte – so schrecklich misshandelt, dass sie in Folge dessen auf immer contract und an ewiges Siechbett gefesselt wurde.

Der Missetäter ward hierauf gefänglich eingezogen und für die an seinem eigenen Kinde verübte Grausamkeit nach der vollen Strenge des Gesetzes bestraft; um die arme Mutter und ihr leidendes Töchterchen aber wollte sich niemand recht kümmern, bis endlich die nur eben nach Rodewald übergesiedelte Gattin des Försters von der unglücklichen Lage der Verlassenen hörte und sich derselben annahm.

Elsi Elers sorgte für den nötigsten Unterhalt, schaffte Arzt und Medizin herbei und begann, damit nicht zufrieden, sich schließlich auch mit der Erziehung und Ausbildung der kleinen Alla Heidler zu befassen, die ein ganz eigentümliches, seltsames und phantastisches Wesen war. Ihr Gesicht hatte, wie das ihrer Mutter, eine braune, beinahe bronzeartige Farbe und scharfe, aber durchaus nicht unangenehme Züge. Ihre Augen waren von einem dunkeln Braun und ihre Haare von einem tiefen, glänzenden Blauschwarz, über das bei gewissen Beleuchtungen ein Schillern von Purpur flog. Ihr Geist zeigte sich rege, von schneller Fassungskraft und bildsam, aber dem Sonderbaren und Exzentrischen zugeneigt, und dabei flüchtig und ohne eigentlichen Halt.

Wenn Elsi einerseits erfreut über die großen Fortschritte war, die das Mädchen machte, so erschrak sie nicht selten andrerseits über das Wilde und Ausschweifende, das ihr Charakter zu Tage legte, in dem in der Tat etwas von jenem rätselhaften Volksstamme zu spuken schien, der das verschleierte Ägypten als seine ursprüngliche Heimat angibt.

Auch heute wieder hatte die gute Frau auf Rodewald bekümmerten Herzens ihren Heimweg angetreten und in der Dämmerung zwischen Feldern und Wiesen dahinschreitend, mit sorgender Seele der Zukunft gedacht, welche der armen Alla wartete.

Auf völlige Genesung war, nach dem Ausspruche des Arztes, gar keine Hoffnung und mit der lebhaften Einbildungskraft und geistigen Unruhe, die dem Kinde eigen war, was konnte sich da für eine Aussicht auf dessen ferneres Dasein eröffnen?

Ach, Elsi war recht betrübt und hatte auf dem langen, einsamen Wege her und hin überlegt, was wohl am Besten für das arme Kind getan werden könne. Dass etwas getan werden musste, darüber blieb ihr schon deswegen kein Zweifel, weil ihr Allas Mutter mitgeteilt, dass Kaspar Heidler seine Strafe verbüßt und sie nun in der täglichen Angst schwebe: ihn wieder bei sich zu sehen.

Das arme Mädchen muss fort aus dem Hause, sagte Elisabeth zu sich selbst, indem sie den Hügel zu ihrer eigenen Wohnung hinaufstieg und dann gleich, als sie diese von dem dunklen Walde sich hell und friedlich wie ein Asyl abheben sah, hinzusetzte: und wo anders könnte und sollte sie hin, als hierher zu uns, wo die Zufriedenheit, die Ruhe und Einsamkeit, in der wir leben, nur wohltuend auf ihr Gemüt werden wirken können. Ich will auch gleich heut Abend noch mit Elers von der Sache reden. Bin ich doch gewiss, dass er mir die Bitte nicht abschlagen wird, der gute Mann, der mich auf Händen trägt und so brav und edel denkt, wie irgendeiner auf dieser Welt!

Er wird wohl schon zurück sein von Tetschen, redete sie in Gedanken weiter. Meinte er doch sein Geschäft noch heute dort beendigen und die Nacht wieder zu Haus sein zu können.

Aber nein, fügte sie plötzlich sich besinnend und den rascher gewordenen Schritt wieder langsamer werden lassend hinzu, aber nein, wenn er heimgekommen, so würde er mir entgegengegangen sein, und hier ist die Stelle, wo ich ihn sehen müsste, wenn er das getan!

Heinrich! Heinrich! rief sie zweimal laut nacheinander, gleichsam als traue sie ihren Augen nicht und als könne er sich hinter dem Gebüsch am Wege neckisch verborgen haben, obschon vergleichen Neckereien gar nicht in seinem Charakter lagen. Richtig wurde ihrem Ruf auch keinerlei Erwiderung, außer, dass ein Vogel, aufgescheucht aus den Sträuchern, empor und in die dämmrige Nacht hineinfuhr, die sich jetzt vollkommen entfaltet, und in warme Dünste gehüllt, auf Baum und Gräser tröpfelnd niedertaute.

Elisabeth konnte es sich nicht wehren, trotz eines leisen Schauers, den sie empfand, einen Augenblick still zu stehen und in das Tal, aus dem sie soeben heraufgekommen war, zurückzublicken. Da lagen das Dörfchen, die Mühle, die ganze Gegend wunderbar friedlich im Grunde, halb verhüllt vom Nebel, halb beleuchtet vom Mond. Der Bach schlang sich wie ein weißes Silberband dazwischen hindurch und verlor sich in die blaue Ferne hinein, die ihn wie mit liebenden Armen aufnahm. Alles war Ruhe, war Stille, war Gottesfrieden. Elsi konnte nicht umhin, als sie so in die Tiefe hinabsah, die Hände zu falten und in sich ein leises Gebet zu sprechen. Mit tiefer Rührung und einer Träne im Auge sagte sie vor sich hin: Wie schön ist doch Gottes Welt? Und wenn man sie so vor sich sieht, soll einem da von bösen Menschen gehört zu haben nicht wie ein bloßes Märchen vorkommen?

Kaum war diese Betrachtung in ihrem Innern gemacht, so verdüsterte eine Wolke den Mond und hüllte alles rings herum in dunkle Schatten. Ein scharfer Windzug blies zur Höhe und warf sich mit rauschendem Ungestüm in den Wald; fernes Hundegebell unterbrach die magische Stille unten und hier oben flog ein aufgescheuchter Nachtvogel noch über Elsis Haupte hin, indem er einen heiseren Kreischlaut, wie einen Unglücksruf, erschallen ließ.

Die gute Frau fuhr erschrocken zusammen, zog ihr Tuch fester um Hals und Schultern und schritt nun eilig ihrer Wohnung zu.

Als sie den Hof erreicht, trat ihr Christoph, der Jäger, zur Nachtpirsch ausgerüstet, entgegen.

Der Herr Förster ist nicht heimkommen, sagte er; da will ich denn hinaus, das Revier abzunehmen.

In Gottes Namen, Christoph, entgegnete Elisabeth; Hannes (der Knecht) ist ja da, um auf das Haus zu achten und das Pferd zu nehmen, wenn der Herr noch kommt.

Glaub's nicht, Frau, lautete die Antwort. Der Herr wird drüben blieben sein in Tetschen. Des Falben eines Hufeisen war locker, und das bedeutet nichts Gut's.

Was, nichts Gut's? fragte die Försterin erschreckt.

Ich mein' nur von wegen des Geldes, antwortete Christoph. Der Apotheker wird's nicht zusammen haben und den Herrn hinhalten. Es soll nicht zum Besten stehen mit Meister Ballhorn.

Wenn's nur das wär', fiel Elsi erleichterten Herzens ein, dann hätt's weiter keine Not, Christoph.

Damit ging die Försterin weiter. Christoph zog die Mütze und wünschte gute Nacht; dann warf er den Friesriem der Büchse über die Schulter, pfiff seinem Hund, der Diana, und schritt in den Wald hinein.

Elisabeth hingegen trat in das Haus, wo die Magd mit dem Abendessen wartete.

Es war nicht eben selten, dass die gute Frau allein zu Nacht essen musste, denn Elers, der seinen Amtsverrichtungen mit großem Eifer oblag, sah sich oft genötigt, zur Verhütung von Holzdiebstahl und Jagdfrevel grade um diese Zeit das Revier abzunehmen. Trotzdem also Elisabeth an das Alleinsein beim Nachtessen gewöhnt war, empfand sie dasselbe seltsamer Weise heute doch viel auffallender als sonst, ohne sich indessen irgendeinen andern Grund dafür angeben zu können, als den, dass es sie beunruhigte, ihren Mann nicht auf dem Felde seines gewöhnlichen Berufs, sondern auf fremden Wegen zu wissen.

Elers war nämlich nach Tetschen, seiner einige Meilen entfernt liegenden Geburtsstadt geritten, um sich dort für das an den Apotheker Ballhorn vermietete Erbe seiner Väter den fällig gewordenen Pachtzins auszahlen zu lassen.

Lachend und heiter hatte er sich nach eingenommenem Mittagsmahl auf seinen Falben gesetzt und beim zärtlichen Abschied von seiner guten Frau derselben versprochen, nur im dringendsten Falle, d. h. nämlich, wenn er mit diesem Geschäft und einigen andern Kommissionen, die er bei dieser Gelegenheit gleichfalls abzuwickeln sich vorgenommen, nicht ganz ins Reine kommen sollte, über Nacht weg zu bleiben.

Bin ich um zehn Uhr nicht hier, so erwarte mich nicht mehr, hatte er beim Wegreiten gerufen, sich umwendend noch hinzufügend: Und ängstige Dich dann nur nicht, Elsi. Im goldenen Horn beim Gastwirt Pech werde ich wohl aufgehoben sein und Deiner in Liebe gedenken.

Es ist elf vorüber, sagte die gute Frau, nachdem sie nach der Uhr an der Wand gesehen hatte, sich vom Tisch erhebend, an dem sie das Abendessen kaum angerührt hatte; es ist elf vorüber, nun kommt er wohl nicht mehr.

Ganz sicher nicht, Frau, meinte Martha, die alte Magd, welche die ganze Zeit über einnickend auf der Ofenbank gesessen und sich jetzt reckend und dehnend auch ihrerseits erhob, um den Tisch abzutragen; ganz sicher nicht, Frau. Der Herr liegt drinnen im goldenen Horn längst bis an die Nasenspitze im Federbett und schläft, und ich denk: Ihr tätet gut, seinem Beispiel zu folgen. S'ist nahezu Mitternacht und Ihr das Spätaufsein nicht gewohnt.

Ein Weilchen noch will ich warten, entgegnete Elisabeth, das wird mir nichts tun. Es könnte sein, dass er sich verspätet und doch noch käme. Er ist nicht gern aus dem Hause, wie ich weiß, setzte sie hinzu, indem sie, sich dann direkt an Martha wendend, dieser befahl, das beinahe unberührt gebliebene Abendbrot stehen zu lassen und zu Bett zu gehen.

Die Magd deckte die Butter, den Käse und was sich sonst auf dem Tische befand, mit Glasglocken oder Tellern zu und ging dann, nachdem sie ein schläfriges Gute Nacht gesagt, zur Tür hinaus und in die Bodenkammer hinauf, in der sie zu schlafen pflegte.

Elsi blieb allein zurück und setzte sich an das Fenster, das auf den nah davor beginnenden Wald hinaussah. Das Mondlicht gaukelte in seltsamen Streiflichtern zwischen den Stämmen weg, deren Äste und Wipfel der Wind rauschend her und hin bewegte; dann und wann kreischte ein zu tief gebogener Ast oder brach ein trockener Zweig krachend in die Tiefe.

Das alles konnte Elsi eigentlich nicht erschrecken, denn sie war es gewohnt und in zehn andern Nächten würde sie keinerlei Obacht darauf gegeben haben; heute aber erregte es sie doch. Ein Grauen überlief sie und sie schauderte.

Ich hätte Martha bei mir behalten sollen, sprach sie vor sich hin. Es ist so einsam hier und der Wald kommt mir auf einmal so fremd und grausig vor, dass ich weinen könnte, wie ein Kind.

Elsi, Elsi, rief sie gleich darauf sich zusammennehmend und aufstehend, sei doch nicht wunderlich. Es ist ja sicherlich nichts geschehen und es kann ja nichts geschehen, was sagst du denn? Elers wird ruhig im goldenen Horn in seinem Bette liegen, darum geh und tue es auch. Der himmlische Vater wacht über uns allen!

Damit begab sie sich in das, neben der Wohnstube liegende Schlafgemach, wo sie sich auszukleiden begann. Als sie auf dem Stuhle neben ihrem Bette saß, zur Beruhigung leise ein Liedchen vor sich hin summend und sich grade die Strümpfe von den rosigen Füßchen streifte, schlug ein Ton wie ein tiefer Seufzer so erschütternd an ihr Ohr, dass sie mit bebendem Herzen und weit aufgerissenen Augen in die Höhe fuhr und voll Entsetzen lauschend einen Augenblick stehen blieb: ob der Laut sich wiederholen würde. Aber es blieb alles still; die Uhr pickte ununterbrochen weiter und draußen ging nach wie vor der Wind durch die knarrenden Gipfel der Bäume.

Nach und nach erholte sich Elsi von ihrem Schreck, indem sie sich den eben gehörten Klang als eine bloße Einbildung und Täuschung oder auch vielleicht als ein Ächzen des Stuhles, auf dem sie saß, oder des Bettes, an das sie möglicherweise die Stuhllehne zu fest angeschoben haben konnte, erklärte. Ganz ruhig wurde sie indessen doch nicht, denn sie band den Unterrock, dessen Gürtel sie schon gelöst und den sie eben hatte fallen lassen wollen, wieder um ihre Hüften fest und schlang noch überdies ein Tuch um die Brust, das sie hinten knüpfte. Dann legte sie sich nieder, aber ohne sich ganz zuzudecken. Sie wollte, sie wusste selbst nicht warum, so liegen bleiben, dass sie sofort und jeden Augenblick auf den Beinen sein konnte.

Nachdem sie tief ergriffen und fromm ihr Abendgebet gesprochen, löschte sie das Licht und schloss die Augen, ohne indes den gewünschten Schlaf zu finden.

Sie dachte an dies und das und von dem Einem auf das Andere überspringend. Nachdem sie eine Weile von Alla und ihrer Mutter phantasiert, fiel ihr ihre eigene Jugendzeit ein, eine früh gestorbene Schulgenossin, ein Anverwandter, der verschollen gegangen war und von dem man nie wieder etwas gehört. Dazwischen erinnerte sie sich ihres Gatten und vieler Züge seiner Liebe, aber mitten in der Süßigkeit dieses Erinnerns fühlte sie plötzlich etwas wie einen stechenden Schmerz über sich kommen, weil es ihr war, als ob das alles lange, lange her und Elers indes gestorben. Mit Tränen in den Augen fuhr sie auf und starrte halb aufgerichtet auf den Boden der Stube, über den hin der bleiche Mondschein spielte, indem er das zitternde Laub eines draußen stehenden Nussbaumes abkonterfeite.

Erst nach einer geraumen Weile war sie soweit wieder besänftigt, dass sie, sich niederlegend, aufs Neue die Augen schließen und weiter zu simulieren beginnen konnte. Die früheren wirren Bilder kamen zurück und umfingen ihre Seele, die abgehetzt und erschlafft, endlich vom Schlaf in die Arme genommen wurde.

Aber der Schlaf war weder ruhig noch süß. Elisabeth warf sich hin und her und sie, die sonst wie ein Engel auf dem Mantel Gottes lächelnd auf ihrem Kissen zu liegen pflegte, zerrte heute mit ihren Händen in den Bettdecken, knirschte mit den Zähnen und seufzte manchmal tief, als ob sie ein böses Gewissen hätte.

Der Traum, den sie hatte, war düster und schreckhaft. Ihr schien, dass sie im Walde auf ganz unbekannten Wegen ging. Das Laub, das der Herbst abgestreift und auf den Boden gestreut hatte, raschelte unter ihren Füßen, die sie, sie wusste nicht wohin, tragen sollten. Plötzlich war es ihr, als ob sie auf eine warme, schlüpfrige Feuchtigkeit träte und als sie, um zu sehen, welcher Art diese sei, die Blätter mit einem Fuße wegschob, sah sie, dass sie auf Blut stand, das in einer tiefen Rinne den Weg hinabfloss.

Mit einem Angstschrei und in Schweiß gebadet, sprang sie auf.

In der Stube lag noch der Mondschein wie vorher und ließ das zitternde Nusslaub auf dem Fußboden abgebildet sehen; die Uhr ticktackte gelassen weiter und draußen rauschte und wehte es in den Bäumen, wie vordem. Sonst war alles still und nichts zu hören, als das jähe Klopfen ihres eigenen Herzens. Aber nein, nicht dies allein! Aus der Ferne schien es, als ob ein Pferd auf dem Waldpfad ging: trabtrab, trabtrab!

Mit einem Satz war Elsi aus dem Bett und am Fenster, von dem aus man den Waldpfad eine Strecke überblicken konnte.

Wahrnehmen ließ sich nichts, aber das Pferdegetrapp schien näher und näher zu kommen; jeden Augenblick meinte die gute Frau des Reiters ansichtig werden zu müssen.

Jetzt muss er an der kleinen Lichtung sein, wo der Weg nach dem Dorf abgeht, meinte sie, und nach einer kleinen Weile, nun am Tannenhügel; in zwei Minuten muss er um die Ecke biegen, bis zu der das Holz frei ist; in zwei Minuten, in zwei Minuten!

Aber die zwei Minuten vergingen und kein Reiter zeigte sich. Das Pferdegetrapp jedoch dauerte fort und kam näher und näher, ja, sie konnte sich nicht täuschen, sie vernahm es ganz deutlich: trabtrab, trabtrab! erst noch fern unter den Bäumen her, dann auf dem freien Grasplatze, wo es gedämpfter klang, und endlich ganz nah unter dem Fenster, wo es aufhörte.

Elisabeth rieb sich die Augen, um sich zu überzeugen, ob sie denn auch wach sei. Sie hatte gehört, dass Elers heran geritten gekommen war, sie hatte den zurückgelegten Weg Schritt für Schritt bis zum Hause verfolgen können und nun war vor dem Hause im hellsten Mondschein doch gar nichts, durchaus gar nichts zu sehen.

Gar nichts? Nein, es war allerdings etwas zu sehen und zwar etwas, das die arme, geängstigte Frau oben am Fenster mit verdoppeltem Entsetzen erfüllte. Sie gewahrte nämlich Pluto, den Lieblingshund des Försters, mit zerrissener Kette kläffend heraneilen und an der Stelle, wo Elers sonst immer mit dem Pferd zu halten pflegte, so in die Höhe springen, als begrüße er seinen eben heimgekommenen Herrn.

Dieser Auftritt trieb Elsi alles Blut aus dem Herzen und machte ihr Haar sich sträuben. Ohne sich zu besinnen, ohne sich umzusehen oder irgendetwas umzunehmen, eilte sie barfuß, nur mit Hemd und Unterrock bekleidet, aus dem Zimmer hinaus auf den Hausflur, und von da auf den Platz, an die Seite des Hundes, der noch immer wie an den Beinen eines Pferdes hinaufsprang.

Und richtig, wie Elsi herzulief, hörte sie da nicht, wie das Pferd, als ob es ungeduldig sei, in den Boden scharrte? Und fühlte sie dann nicht, wie diese aufgewühlte Erde bis über ihre nackten Füße hergeflogen kam? – In der Tat, sie hörte und fühlte das so deutlich, so genau, dass sie in die Luft hinein nach dem Kopf und Zügel des Pferdes griff und verwundert war, nichts zu erfassen, nichts als Luft. Ehe sie indes über diesen Vorgang noch recht ins Klare gekommen, vernahm sie auch schon wieder das gespensterhafte Trabtrab und die daraus merkbar werdende Entfernung des Pferdes, dem, im Sande schnüffelnd, Pluto folgte.

Einen Augenblick stand Elisabeth bleich und versteinert wie eine Bildsäule da und stierte dem geisterhaften Geräusche nach; dann, als es sich weiter und weiter entfernte, überkam sie eine so entsetzliche Angst und eine so trauervolle Bangigkeit, dass sie, auf sich selbst und alles, was sie umgab, vergessend, in fieberhafter Eile dem unsichtbar dahin trottenden Rosse zu folgen begann.

Es dauerte nicht lange, so hatte sie dasselbe eingeholt und lief nun mit dem Hund um die Wette dem spukhaften Trabtrab zur Seite.

Eine geraume Zeit ging es den hell vom Monde beschienenen Waldweg hinauf, dann links ab in den Forst hinein, wo auf Moos und Blättern, die noch vom vorigen Herbst dalagen, der Tritt des Pferdes weniger deutlich, aber doch immer noch vernehmbar schallte. Manchmal hörte man sogar wie unter dem auftretenden Huf knisternd ein morscher, auf den Boden gestreuter Zweig zerbrach.

Elisabeth hatte auf nichts, als auf die unsichtbaren Tritte und den ihnen nachlaufenden Hund Acht, der mit eingekniffener Rute und weit aus dem Halse hängender Zunge den unheimlichen Tönen folgte. Ihr selbst hatte sich sowohl das Tuch über der Brust, als das lange goldene Haar gelöst, das nun wie ein Königsmantel ihre nackten Schultern umwallte. Ihre Füße wurden wund von den Tannenzapfen, auf die sie trat oder von stachligem Gesträuch, durch das sie sich hindurch wand. Auch ihre Hände litten und von ihrer Bekleidung blieb bald hier, bald da ein Fetzen an dem Gestrüpp hängen.

Nichts aber von alledem hemmte ihren Weg, der tiefer und tiefer in die Waldung hinein und ins Dickicht ging. Kein heiseres Schreien der empor gescheuchten Nachtvögel, keine über ihre bloßen Füße nasskalt und glitschig hinschlüpfende Kröte, keine ihr giftig im Mondlicht entgegen züngelnde Eidechse schreckten sie ab oder bewegten sie auch nur momentweise inne zu halten. Rastlos ging es weiter über Stock und Stein, über Distel und Dorn, und wäre es eine Ewigkeit so fortgegangen, sie würde nicht angehalten, nicht stillegestanden haben. Trieb sie doch eine innere, magische, geheimnisvolle Macht dem unheimlichen Spuk nach. Wohin? Was kümmerte sie das? Sie hatte keine Gedanken darüber. Sie fühlte nur, dass sie nicht anders konnte, dass sie musste, dass das, was da unsichtbar und geisterhaft vor ihr her trottete, das Verhängnis ihres Lebens und im Zusammenhange mit ihrem Gatten war.

Als der unheimliche Marsch gut über eine halbe Stunde gedauert haben mochte, fing der Tritt des Geisterpferdes auf einmal an langsamer, gewissermaßen zögernder zu werden und besonders dann, als man eine kleine Waldhöhe in einer ausgetrockneten und mit dürren Blättern gefüllten Regenfuhrt hinanschritt.

Es kam Elisabeth vor, als ob sie diesen Ort schon einmal gesehen. Die Stellung der Bäume, die vom Regen aufgewühlte Fuhrt, das welke Laub … das alles schien ihr bekannt und so, als ob sie erst kürzlich hier gewesen. Aber wie konnte das sein? War sie doch nie so tief in den Forst gekommen. Sie hatte wohl einige Mal mit Elers Spaziergänge ins Gehölz gemacht, war dabei aber niemals von den gangbaren Pfaden abgewichen und in eine so unwirtbare Gegend geraten. Und dennoch: sie erinnerte sich deren so genau, dass sie die Zahl der herumstehenden Bäume und den Wuchs ihrer Stämme aus dem Gedächtnis hätte angeben können. Wie gelangte sie dazu?

Noch mitten im Nachsinnen über diesen rätselhaften Punkt empfand die so seltsam Nachtwandelnde plötzlich eine eigentümliche klebrige Flüssigkeit unter ihren Füßen, was sie unwillkürlich schaudern und stillstehen machte. Und als sie nun, um sich zu überzeugen, welcher Art dieselbe sei und woher sie stamme, den einen Fuß in die Höhe hob – wer beschreibt ihr Entsetzen, als sie entdeckte, dass sie in frisches, rauchendes Blut getreten.

Diese Entdeckung brachte ihr auch sogleich die Bekanntschaft mit dem Platz in den Sinn, denn es wurde ihr nun auf einmal klar, dass es der sei, den sie vorhin im Traume gesehen. Die Bäume, der Höhenaufgang, die Regenfuhrt, das welke Laub, das Blut – sie hatte das alles im Traume geschaut, der wie eine Vorahnung des Entsetzlichen, das sie erleben sollte, daheim in ihrer stillen Schlafstube über sie gekommen war.

Und nun stand sie in Wirklichkeit an dem Ort, den sie vordem nur mit Grausen geträumt, in furchtbarer, schauriger Wirklichkeit um was zu erfahren?

Der Frost machte ihre Glieder schlottern, die Zähne klappern, den Schweiß der Todesangst in schweren, dicken Tropfen von ihrer Stirne perlen. Mit weit aus den Höhlen hervorgetriebenen Augen und gesträubtem Haare starrte sie bewegungslos den Hügel hinauf, hinter dem sich jetzt das Pferdegetrapp verlor und zwar so verlor, als ob es da plötzlich, von einer übermenschlichen Macht gehemmt worden sei. Auch der Hund, der bis dahin immer Elsi vorausgelaufen war, blieb hier auf einmal furchtsam stehen, mit seinen rotglühenden Augen ängstlich zur Gattin seines Herrn aufblickend.

Nachdem diese einen Augenblick, von seelenerschütterndem Grauen gefesselt, lautlos stillgestanden, ermannte sie sich plötzlich, riss die Sohlen vom klebrigen Boden los und stürzte die Anhöhe hinauf.

Oben angekommen und in einen tiefen Waldgrundkessel blickend, gewahrt sie im hellen Mondlicht … was?

Den lahmen Kaspar, dem zur Seite tot hingestreckt der alte Falben des Försters liegt, nicht fern davon, schon halb in die Erde eingescharrt, die mit Blut überströmte Leiche von Elers selbst.

Dies sehen und einen grässlichen Schrei ausstoßen war ein und dasselbe. Einen Moment danach stürzte Elisabeth, von Pluto gefolgt, dem Schauplatz des Verbrechens mit so rasender Eile zu, dass der aufgeschreckte Mörder kaum Zeit erhielt, sich zu erheben. Noch ehe er recht begriff, was geschah und dass die weiß daher eilende Erscheinung kein strafender Engel des Himmels, sondern die Gattin des Ermordeten sei, fühlte er sich von Pluto am Halse gepackt und würgend in die aufgeworfene Grube über den Leichnam hingestreckt.

Einen Augenblick danach hatte Elisabeth, wie wenn der Geist einer Heldin über sie gekommen wäre, die neben dem Verbrecher an einen Baum gelehnte Flinte ergriffen und sie demselben auf die Stirn gesetzt.

Elender, rief sie, was hast Du getan?

Auf Heidler, den hartgesottenen Bösewicht, hatte der ganze Auftritt eine furchtbare Wirkung. Wie vom Himmel herab war die Frau vor ihm mit fliegendem Haar, mit zerrissenen Gewanden, nackten Füßen und fast entblößter Brust mitten in sein verbrecherisches Beginnen hineingetreten. Wo kam sie her? Wer hatte ihr seine Bluttat verraten und sie zu dem verborgenen Schauplatz derselben hergeleitet?

Das Rätselhafte, Unerklärliche und Plötzliche ihres Erscheinens hatte ihn um alle Besinnung, Fassung und jede Möglichkeit eines Widerstandes gebracht. Innerlich zerknickt und gebrochen, gab er sich ohne Weiteres verloren, indem er mit Pluto ringend, heiser aus seiner Kehle heraufstöhnte: Reißt mir in des drei Teufels Namen die verfluchte Bestie vom Halse! Ich ergebe mich und will alles bekennen.

Sei es denn, entgegnete Elisabeth, indem sie den Hund am Halsbande zurückzog. Aber wehe Dir, wenn Du einen Versuch zur Flucht machen oder Dich gegen mich wenden solltest. Du hast Plutos Zähne gefühlt. Ein Wort, ein Wink von mir und Du wirst in Stücke zerrissen.

Zum Satan, Weib wie kommt Ihr hierher? rief der lahme Kaspar, als er frei geworden, sich in die Höhe richtete.

Durch ein Wunder des Himmels, antwortete Elsi, der noch kein Verbrechen dem strafenden Arme der Gerechtigkeit entschlüpfen ließ. Ungeheuer, setzte sie mit Schauder auf die blutige Leiche ihres Mannes blickend hinzu, was hast Du getan? Während ich daheim für Dein unglückliches Weib und Dein noch unglücklicheres Kind in bangender Seele Sorge trage, durchstreifst Du, Verworfener, den Wald, um mir den besten Gatten, den diese Erde zu tragen vermag, im heimtückischen Hinterhalt ums Leben zu bringen. Unmensch, warum?

Warum? Warum? Das ist bald gesagt, erwiderte brummend Heidler, indem er sich den blutenden Hals mit einem schmutzigen Sacktuch abwischte und verband. Ich hörte, dass der Förster den Pachtzins aus Tetschen heimholte, und da hier doch meines Bleibens nicht länger sein konnte und ich nach Amerika wollte, so sollte sein Geld mir die Reisekosten decken. Zur Hölle damit, rief er wütend, einen schweren blutbesudelten Geldsack auf die Erde schleudernd, nun brauch' ich den Plunder nicht. Die Reise, die mir jetzt bevorsteht, wird mir keine sonderlichen Auslagen verursachen. Auf Weib, lasst uns gehen. Ich weiß den Weg zu der Schmiede, zu der Ihr mich bringen wollt. In des Satans Namen denn, lasst uns gehen!

Nimm die Leiche auf, herrschte ihn Elsi an. Sie muss mit.

Sie wird nicht gestohlen werden, lachte zähneknirschend der Bösewicht. Die Büttel werden den Braten schon riechen und ihn zu finden wissen.

Nimm die Leiche auf, wiederholte Elisabeth streng, oder Pluto soll Dir aufs Neue wieder am Halse zerren und Dir Hören und Sehen vergehen machen.

Pluto, dessen Kette die gute Frau mit dem Fuße festhielt, indem sie, unachtsam für den Schmerz, der ihr dadurch verursacht wurde, mit der nackten Sohle darauf trat, Pluto, als er seinen Namen hörte, stemmte sich sogleich gegen seine Fessel an und fing, als ob er die Drohung verstanden, knurrend die Zähne zu fletschen an.

Stille, Racker, heulte der lahme Kaspar, indem er seinen angeschwollenen und blutunterlaufenen Hals betastete und dazu mit seinem hölzernen Bein stampfte. Wenn's denn nicht anders geht, so kommt hervor Förster Elers, damit ich Euch huckepack nach Hause trage. Eure alte Mähre da, wird Euch so nicht mehr im Sattel tragen. Mit dem Waldreiten ist es für immer aus.

Mit diesen Worten packte der Verbrecher die Leiche unter die Achseln, hob sie aus der Grube hervor und warf sie sich über die Schulter.

Elisabeth schauderte zusammen, als sie das sah und dabei das baumelnde, blutlose und fahle Antlitz der Leiche so wie ihre starr niederhängenden Gliedmaßen gewahrte. Sie musste alle Macht zusammennehmen, um nicht ohnmächtig zu werden.

Vorwärts! befahl sie, und nun ging der schauerlichste Leichenzug, der sich denken lässt, langsam durch den Wald zurück, dem Dorfe Rodewald zu.