Unheimliche Heimat - W.G. Sebald - E-Book

Unheimliche Heimat E-Book

W.G. Sebald

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Beschreibung

In neun Studien untersucht Sebald den Themenkomplex Heimat und Exil, der für die österreichische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts so charakteristisch ist. Seine Arbeiten setzen im frühen 19. Jahrhundert ein, bei dem nur wenig bekannten Charles Sealsfield und schlagen den Bogen über die gleichfalls vernachlässigten Schtetlgeschichten Leopold Komperts, über den Wiener Fin-de-siècle-Literaten Peter Altenberg, über Franz Kafka, Joseph Roth bis hinein in die Gegenwart, die durch Jean Améry, Gerhard Roth und Peter Handke vertreten ist. All diesen Autoren ist gemeinsam, daß sie an der »Unheimlichkeit der Heimat« gelitten haben bzw. noch immer leiden. Behutsam macht Sebald deutlich, wie oft dieses Leiden an der Heimat sowie die vage Sehnsucht nach ihr für österreichische Autoren zum Thema, wenn nicht sogar Anlaß des Schreibens geworden sind. Leseprobe

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W.G. Sebald

Unheimliche Heimat

Essays zur österreichischen Literatur

FISCHER E-Books

Inhalt

VorwortEinleitung[Ansichten aus der Neuen Welt – Über Charles Sealsfield][Westwärts – Ostwärts: Aporien deutschsprachiger Ghettogeschichten]Peter Altenberg – Le Paysan de VienneDas Gesetz der Schande – Macht, Messianismus und Exil in Kafkas Schloß[Ein Kaddisch für Österreich – Über Joseph Roth][Una montagna bruna – Zum Bergroman Hermann Brochs][Verlorenes Land – Jean Améry und Österreich][In einer wildfremden Gegend – Zu Gerhard Roths Romanwerk Landläufiger Tod][Jenseits der Grenze – Peter Handkes Erzählung Die Wiederholung]Nachweise

Vorwort

Die vorliegende Essaysammlung ist das Ergebnis meiner fortgesetzten Beschäftigung mit einer Schreibtradition, an der mir viel gelegen ist. Doch soll hier ein etwas anderer Zusammenhang beleuchtet werden als in den Studien, die vor fünf Jahren unter dem Titel Die Beschreibung des Unglücks im selben Verlag erschienen sind. Standen damals die psychischen Determinanten des Schreibens mehr im Vordergrund, so geht es diesmal eher um die gesellschaftliche Bedingtheit der literarischen Weltsicht, obschon natürlich das eine vom anderen nicht ohne weiteres zu trennen ist. Die Arbeit an diesem Projekt wurde durch verschiedene Zuwendungen des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, der University of East Anglia in Norwich sowie der British Academy gefördert, für die ich an dieser Stelle gerne meinen Dank abstatte.

W. G. Sebald

Norwich, Norfolk

Im Jänner 1990

Einleitung

Aufgrund der besonderen, vielfach traumatischen Entwicklung, die Österreich von dem weit ausgedehnten Habsburger-Imperium zur diminutiven Alpenrepublik und von dieser über den Ständestaat und den Anschluß an das unselige Großdeutschland bis zur Neubegründung in den Nachkriegsjahren durchlaufen hat, nimmt der mit Begriffen wie Heimat, Provinz, Grenzland, Ausland, Fremde und Exil umrissene Themenbereich in der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts eine auffallend prävalente Stellung ein. Es ließe sich die Auffassung vertreten, daß die Beschäftigung mit der Heimat über alle historischen Einbrüche hinweg geradezu eine der charakteristischen Konstanten der ansonsten schwer definierbaren österreichischen Literatur ausmacht, auch wenn, wie es bei der Vielfalt der ethnischen und politischen Denominationen anders gar nicht sein kann, die Vorstellung von dem, was Heimat einmal war, ist oder sein könnte, bis auf den heutigen Tag in einer Weise schwankt, daß eine systematische Vermessung dieses Geländes auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde. Allenfalls ist es möglich – und um mehr soll es hier nicht gehen –, von bestimmten Aussichtspunkten, wie die Werke verschiedener Autoren sie bieten, ein wenig Umschau zu halten auf das, was da jeweils Heimat heißt. Ich bin mir dabei der Tatsache vollauf bewußt, daß ein solches Verfahren ebensoviel, ja weit mehr außer acht läßt, als es einschließt. Vieles von dem, was unter dem Titel dieses Bandes hätte behandelt werden können, bleibt darum unerörtert; andererseits aber hoffe ich doch, daß die notgedrungene Lückenhaftigkeit aufgewogen wird von Durchblicken, wie sie in einer systematischeren, weniger auf die Textqualitäten selbst ausgerichteten Behandlung sich vielleicht nicht eröffnet hätten.

Der Heimatbegriff ist verhältnismäßig neuen Datums. Er prägte sich in eben dem Grad aus, in dem in der Heimat kein Verweilen mehr war, in dem einzelne und ganze gesellschaftliche Gruppen sich gezwungen sahen, ihr den Rücken zu kehren und auszuwandern. Der Begriff steht somit, wie das ja nicht selten der Fall ist, in reziprokem Verhältnis zu dem, worauf er sich bezieht. Je mehr von der Heimat die Rede ist, desto weniger gibt es sie. Die Neue Welt, die im Exotismus der Sealsfieldschen Landschaftsschilderungen erstmals im deutschen Sprachbereich aufscheint, verdeutlicht durch ihre schwindelerregende Weite, daß die Erfahrung des Heimatverlusts nie wieder gutzumachen ist. Doch zeigt es sich auch zu Hause, wie in der Prosa Stifters allenthalben nachzuweisen wäre, daß das Verhältnis der Menschen zu ihrer angestammten Heimat gebrochen ist von dem Augenblick an, da diese ein literarisches Thema wird. Als Fremde und Ausländer ziehen die Stifterschen Protagonisten durch die ihnen doch bis ins kleinste vertraute Gegend; wie die Bergkristallkinder überzeugt, auf dem rechten Weg zu sein, gehen sie längst schon in die Irre, und das Vaterhaus, das in der Erzählung Der Hochwald die ganze Zeit her aus dem blaugezackten Saum des Horizonts hervorragte, ist beim nächsten Blick durchs Fernrohr bereits verwandelt in eine rauchende Ruine. Die Stifter als Heimatschriftsteller reklamierten, übersahen, wie unheimlich ihm die Heimat geworden war. Überall herrscht die größte Kälte, in den Verhältnissen zwischen den Menschen sowohl als in der in ihrem Bewußtsein auf einmal als ›das andere‹ aufgegangenen Natur. Das Werk Stifters, entstanden im Zeitalter des anhebenden Hochkapitalismus, liest sich über weite Strecken wie die Geschichte einer zweiten Vertreibung. Wenn Stifter, trotz dieser Einschlägigkeit, im vorliegenden Band nicht in Betracht gezogen wird, so liegt das hauptsächlich daran, daß ich mich mit seinem Weltbild in früheren Arbeiten schon auseinandergesetzt habe und Rekapitulationen zu vermeiden suchte.[1]

Das Thema Heimat tritt in der österreichischen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts nicht zuletzt deshalb so sehr in den Vordergrund, weil es für die Schriftsteller jüdischer Provenienz während des gesamten Zeitalters der Assimilation und Westwanderung tatsächlich von übergeordneter Bedeutung gewesen ist. Wie aus den Schriften von Leopold Kompert und Karl Emil Franzos hervorgeht, stellte sich für die aus dem Ghetto Entlassenen zumindest seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Frage, ob man mit der Ankunft in Wien endlich zu Hause angelangt war oder ob man die wahre Heimat nicht vielleicht doch mit dem Stedtl aufgegeben hatte. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik in den deutschsprachigen Ghettogeschichten des 19. Jahrhunderts ist voller Ambivalenzen und erfährt auch später, in der Literatur des Fin de siècle, keine Lösung. Was sich von Schnitzler und Altenberg bis zu Broch und Joseph Roth mehr und mehr abzeichnet, ist ein komplexer Illusionismus, der sich der eigenen Unhaltbarkeit völlig bewußt gewesen ist und der, indem er noch an der Vorstellung eines Heimatlandes arbeitete, sich zugleich bereits als Einübung ins Exil verstand.

Wenn die Juden in der Diaspora immer dazu tendierten, mit ihrem Gastland sich zu identifizieren, so war ihr Attachement an Österreich doch ein Phänomen besonderer Art. Theodor Herzl schwelgte bekanntlich eine Zeitlang in der Vision von Wien als einem neuen Jerusalem, und er wäre, sofern es sich hätte arrangieren lassen, bereit gewesen, die gesamte Wiener Judenschaft zur Einleitung einer jüdisch-christlichen Staatsutopie in den Stephansdom zur Taufe zu führen. Wäre dieser extravagante Versöhnungsplan, den Herzl dem Papst zu unterbreiten beabsichtigte, verwirklicht worden, so hätte das sozusagen die Umwandlung Österreichs ins heilige Land zur Folge gehabt. Die Realisierung des Traumkonzepts eines neuen apostolischen Reichs deutsch-jüdischer Nation war – von allen realpolitischen Erwägungen einmal ganz abgesehen – in erster Linie deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil es im Grunde nur eine Funktion des Antisemitismus war, den es aus der Welt schaffen wollte. In Anbetracht dieser Vorgeschichte erscheint die Idee des Zionismus, die Herzl bald darauf propagierte, geradezu als pragmatischer Kompromiß zwischen einem romantisch-utopistischen Szenarium und den tatsächlichen politischen Gegebenheiten der Zeit. Eigenartigerweise tat das Wunschdenken, das in der Vorgeschichte des Zionismus zum Ausdruck kam und das nicht nur für Herzl bezeichnend gewesen ist, der kritischen Scharfsichtigkeit der jüdisch-österreichischen Autoren keinerlei Abbruch. Das stimmt nicht nur für Karl Kraus, dem ›das österreichische Antlitz‹ wohl als einem der ersten als eine Allegorie des Schreckens erschien, sondern ebensosehr für Schriftsteller wie Altenberg und Joseph Roth, die gelegentlich der Glorifizierung oder Sentimentalisierung Österreichs bezichtigt worden sind. Kritik und Treue halten einander in den Werken der jüdisch-österreichischen Autoren auf das genaueste die Waage, und man ginge gewiß nicht fehl, bezeichnete man dieses Gleichgewicht als eines der Inspirationszentren der österreichischen Literatur in ihrer produktivsten Zeit. An der Sehnsucht nach einer Synthese änderte sich bis in die komatöse Phase der I. Republik hinein nur wenig. Die Bindung an Österreich war auch nach dessen zweifelhafter Mutation in einen christlichen Ständestaat kaum zu durchbrechen. Das hat niemand genauer und früher beschrieben als Kafka in der im Schloßroman als Paradigma von der Exilierung entwickelten Geschichte der Familie des Barnabas, wo die Unterdrückten gleichfalls dem Regime hörig bleiben. Broch hingegen, der sich in seinem Bergroman ähnliches vorgenommen hatte, verstrickte sich so tief in die Mythisierung der Heimat, daß er darüber kaum wahrnahm, daß man ihm das Wohnrecht bereits aufgekündigt hatte.

Die Ideologisierung der Heimat, die in Österreich in den dreißiger Jahren sich durchgesetzt hatte, lief letztlich auf ihre Zerstörung hinaus. Heimat, das war nun, wie Gerhard Roth das in einem Interview einmal ausgedrückt hat, der Zustand, in dem jeder von jedem und alles von allem vereinnahmt wird.[2] Was man damals zu bewerkstelligen suchte, war die Abschaffung jeglicher Differenz, die Erhebung der Engstirnigkeit zum Programm und des Verrats zur öffentlichen Moral. Die Holzwegliteratur hatte einen zentralen Anteil an dieser Umwertung sämtlicher Werte, in deren Zusammenhang auch die Pervertierung der Heimat gehört. So gründlich wurde dieses Geschäft besorgt, daß deren Rehabilitierung in der seriösen Literatur lange Zeit ganz und gar ausgeschlossen schien. Namen wie Weinheber und Waggerl belegen zur Genüge, welche Art von Heimatbegriff bis weit in die sechziger Jahre hinein im Umlauf gewesen ist. Erst durch die Arbeit der Wiener Gruppe, mit Artmanns ›gedichta r aus bradnsee‹, und später, auf breiterer Basis, durch den inzwischen schon legendären Auszug der Grazer gelang so etwas wie eine Rekonstitution der Heimat im Rahmen einer nicht kompromittierten Literatur.

Für einen Autor wie Jean Améry, der, nach eigenem Zeugnis, den Heimatverlust nicht hatte verschmerzen können, kam diese korrektive Entwicklung allerdings um einige entscheidende Jahre zu spät. Daß der Prozeß der Rehabilitierung nur sehr langsam vonstatten ging, ist andererseits nicht verwunderlich. Es bedurfte eines Generationenwechsels und es bedurfte einer beträchtlichen Anzahl ethisch und ästhetisch gleichermaßen engagierter Bücher, um die Hinterlassenschaft des Faschismus auszugleichen und aufzuwiegen. Solche Bücher sind nun und werden weiterhin geschrieben. In der Berichterstattung darüber, was an der Heimat, in der die gegenwärtige Schriftstellergeneration großgezogen wurde, falsch war und unerträglich, haben sie ihre Legitimierung. Das in der neuen österreichischen Literatur so auffällige, gewissermaßen ethnopoetische Interesse an den tiefgreifenden Schädigungen, welche von den Instanzen des fortwirkenden alltäglichen Faschismus in einer in ihren unteren Schichten weitgehend unmündigen Provinzbevölkerung angerichtet wurden, dieses Interesse wies den neuen österreichischen Autoren, von denen eine weit überproportionale Zahl diesem geschädigten Milieu entstammt, den Weg zur Überwindung der eigenen Namenlosigkeit. Als die Wortführer der in der zeitgenössischen österreichischen Literatur dokumentierten radikalen Kritik der falschen Heimat sind diese Autoren, von denen nicht wenige in einer grundsätzlichen Opposition zu ihrer gesellschaftlichen Umgebung stehen, selbst potentielle Heimatlose und Exilanten. Die von manchen als paranoid empfundene Haltung Thomas Bernhards spiegelte das ebenso wie die Befürchtungen und Zustände, über die Peter Handke in seinen Notaten Auskunft gibt. Es ist offenbar immer noch nicht leicht, sich in Österreich zu Hause zu fühlen, insbesondere wenn einem, wie in den letzten Jahren nicht selten, die Unheimlichkeit der Heimat durch das verschiedentliche Auftreten von Wiedergängern und Vergangenheitsgespenstern öfter als lieb ins Bewußtsein gerufen wird.

Was darüber hinaus in den repräsentativen Werken der neuen österreichischen Literatur von Thomas Bernhard über Peter Handke, Gerhard Roth und Peter Rosei bis zu Christoph Ransmayr ablesbar wird, das ist die in der angst- und ahnungsvollen Aufzeichnung der Veränderung des Lichts, der Landschaft und des Wetters allmählich aufdämmernde Erkenntnis der im weitesten Umraum sich vollziehenden Dissolution und Zerrüttung der natürlichen Heimat des Menschen. Lag die Restaurierung der gesellschaftlichen Heimat kraft des rechten Wortes immerhin noch im Bereich des Möglichen, so scheint es in zunehmendem Maße fraglich, ob solche Kunst hinreichen wird, das zu erretten, was wir, über alles, als unsere wahre Heimat begreifen müßten.

Ansichten aus der Neuen WeltÜber Charles Sealsfield

Farewell, my native land!

Farewell trees!

The Indian Chief

Das Werk des 1793 in Poppitz in Böhmisch Mähren geborenen Karl Postl, pseud. Charles Sealsfield, galt in der liberalen Kritik der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts als die Glanzleistung deutschsprachiger Prosaschriftstellerei.[1] Auf eine geradezu exemplarische Weise schien die Großzügigkeit seiner National- und Weltromane die Höhe der Zeit zu markieren. Wohl aufgrund seiner unmittelbaren Verbundenheit mit dem expansionistischen Geist der Ära vermochte aber Sealsfields Werk den normativen Vorstellungen der in den nächsten Jahrzehnten heraufkommenden realistischen Schule nicht zu entsprechen, und es geriet, wie so vieles, was der Vormärz hervorgebracht hatte, in Vergessenheit oder doch zumindest in Mißachtung. An der Relegierung aus dem Kanon der ernstzunehmenden Literatur hat sich im Prinzip bis auf den heutigen Tag nichts geändert. An Rettungsversuchen hat es zwar nicht gemangelt, doch da diese zumeist politisch inspiriert waren, erwiesen sie der literarischen Rehabilitierung eher einen Bärendienst. So wurde Sealsfield in der ersten österreichischen Republik einerseits als freisinniger Volksschriftsteller reklamiert, andererseits paßte »der ausgeprägte Germanismus«[2] seines Werks auch in die Ideologie des immer weiter nach rechts abtreibenden Deutschösterreichertums. Vollends wurde dann im Großdeutschen Reich viel Wesen um einen Autor gemacht, dessen völkerpsychologische und geopolitische Exkurse einem Ethnographen wie Josef Nadler als Beispiele wahrer epischer Kunst ohne weiteres einleuchteten.[3] Dazu paßt es auch, daß die Grundlagen der Sealsfield-Forschung im Dritten Reich gelegt wurden. Die Biographie Eduard Castles, die auf umfangreichen Recherchen beruht, war bereits 1944 fertiggestellt, konnte jedoch am Ende des Krieges nicht mehr erscheinen. Ihre Publikation im Jahr 1952 stand gleichfalls unter einem politischen Aspekt, der neuerlichen Betonung der deutsch- beziehungsweise österreichisch-amerikanischen Zusammengehörigkeit. Dem Werk Sealsfields hat all das, wie gesagt, kaum einen Zutrag gebracht. Es blieb weiterhin so gut wie unzugänglich und fand Verbreitung nur in mehr oder weniger zugerichteten Einzeleditionen für Jugendliche. Die aus reprographischen Nachdrucken zusammengesetzte Ausgabe der sämtlichen Werke Sealsfields, die Anfang der siebziger Jahre zu erscheinen begann,[4] steht allenfalls in Fachbibliotheken. Daß die Schriften Sealsfields einer weiteren Leserschaft verschlossen blieben, ist also nicht verwunderlich. Erstaunlicher ist es schon, daß auch die Literaturwissenschaft, von wenigen Ausnahmen abgesehen,[5] mit Sealsfield sich nicht einlassen mag – ein Defizit, das der Tatsache zuzuschreiben sein dürfte, daß das literarische Werk des aus der österreichischen Provinz entlaufenen Ordensgeistlichen die Widersprüche der angehenden hochkapitalistischen Zeit gewissermaßen in Reinkultur reproduzierte. Diese Widersprüche sind, wie zu zeigen sein wird, sowohl ethischer als auch ästhetischer Art. Ihre Unverbrämtheit erschwert bis heute das Geschäft der beschreibenden Klassifikation, die mit unlösbaren Gegensätzen nichts Rechtes anzufangen weiß. Einzig ein dezidiert kritischer Ansatz wird also so etwas wie eine Antwort auf die immer noch ungeklärte Frage geben können, ob Sealsfield ein aufrechter Mann oder ein Schwindler, ein Genie oder bloß ein Schmierer gewesen ist.

Karl Postl war dreißig, als er 1823 Österreich verließ. Was ihn zu diesem Schritt bewog, läßt sich mit Gewißheit nicht mehr sagen. Postl war im Alter von fünfzehn Jahren als Konventstudent im Prager Kreuzherrenstift aufgenommen worden. Fünf Jahre später trat er als Novize in den Orden ein. Nach weiteren drei Jahren wurde er zum Priester geweiht, und bald darauf schon war er zum jüngsten Sekretär des Ordens avanciert, was eine beträchtliche Verantwortung in geschäftlichen Angelegenheiten mit sich brachte. Es spricht im Grunde alles dafür, daß Postl über diese für einen Weinhauersohn nicht unebene Karriere einige Genugtuung verspürte. Auf seinen Reisen in Sachen des Ordens kam er viel in Kontakt mit den Fürsten des Landes, ein Aspekt seiner Arbeit, der für ihn, dem zeitlebens der Sinn nach höheren Konnexionen stand, nicht unbedeutend gewesen sein dürfte. Um in seinem persönlichen Habitus nicht hinter seinen gesellschaftlichen Aspirationen zurückzubleiben, lernte Postl Englisch, Französisch, Klavierspielen und Reiten. Sämtliche verfügbaren biographischen Informationen weisen ihn, auch für die spätere Zeit, als einen in erster Linie auf die eigenen Interessen bedachten Menschen aus. Es ist also wenig wahrscheinlich, daß der ehrgeizige junge Ordensherr, dem der Posten des General-Großmeisters bereits ins Auge stechen mochte, seine glänzenden Aussichten leichthin aufs Spiel setzte, um sich auf ein ungesichertes und unstetes Leben einzulassen. Auch hatte Friedrich Sengle sicher recht, als er meinte, Postls Flucht nach Amerika sei individualpsychologisch, etwa als Auflehnung gegen das Zölibat oder die Ordensdisziplin, nicht zu erklären und stünde vielmehr mit der Restauration von 1819/1820 in einem direkten, objektiven Zusammenhang.[6]

Die Zwangspensionierung seines liberaltheologischen Lehrers Bolzano wird Postl als Zeichen gewertet haben, daß seine eigenen Aktien in dem sich ausbreitenden Klima des Illiberalismus im Sinken begriffen waren, eine Annahme, die sich ihm vermutlich bestätigte, als er, versehen mit einer Empfehlung eines seiner Gönner,[7] aber ohne Wissen seiner Ordensoberen im Sommer 1823 nach Wien fuhr, um beim Grafen Franz Josef Saurau vorzusprechen, in der Hoffnung auf eine Anstellung bei der Studienhofkommission. Es ist nicht ausgeschlossen, daß gerade diese Unterredung mit Saurau, der zu den gefürchtetsten Exponenten der damaligen Reaktion gehörte, Postl vollends davon überzeugte, daß er seine Hoffnungen in Österreich nicht würde realisieren können. Jedenfalls brachte die Konstellation, unter der Postls Entfernung aus seiner Heimat sich vollzog, das Gerücht auf, Postl sei ein bedingungslos freisinniger, ja revolutionärer Geist gewesen, den es in Österreich nicht mehr litt, während ihm in Wirklichkeit wahrscheinlich nur die Akkommodierung mit einem erzreaktionären Regime mißlang.

Wie immer, Postls Lage war nun im höchsten Maße prekär. Eine Rückkehr ins Kloster hätte nach seinem irregulären Abschied mit Gewißheit eine Reduktion seines Status nach sich gezogen, und da ein entlaufener Geistlicher im damaligen Österreich ein rechtloses Subjekt war, blieb Postl keine andere Wahl, als endgültig sich abzusetzen. Sein Fluchtweg führte ihn noch im selben Sommer über Stuttgart, Zürich und Le Havre nach New Orleans,[8] während in Wien »zur womöglichen Zustandbringung Postls« eine Personalbeschreibung an sämtliche Kreisämter, Badeinspektionen und Polizeidirektionen der deutschen Provinzen ausgegeben wurde, weil, wie es in einem Memorandum der Polizeihofstelle vom 27. Juni 1823 an den Grafen Kolowrat heißt, »die Entweichung des Priesters und Secretärs des Ordens der Kreuzherren mit dem rothen Stern zu Prag, Carl Postl … auf dem hiesigen Platz einen höchst unangenehmen Eindruck gemacht (hatte)«[9], ein recht ominöser Vermerk, der vermuten läßt, daß Postl gut daran tat, das Weite zu suchen.

Es gehört zu den Charaktereigenschaften des Schriftstellers Sealsfield, daß er von den Gefühlen, die Karl Postl beim Verlassen der Heimat oder beim ersten Anblick des amerikanischen Kontinents bewegt haben dürften, nichts laut werden läßt. Doch es muß wohl für jemanden, der die ersten dreißig Jahre seines Lebens über Böhmen und Mähren nicht hinausgekommen war, die Wüstenei des Mississippideltas, nicht anders als für die verbannten Liebenden am Ende von Prévosts Manon Lescaut, ein überwältigend negativer Eindruck gewesen sein, eine These, für die einzelne Passagen der Romane Sealsfields einstehen könnten. Als »grausenerregend« werden im ersten Kapitel des Cajütenbuchs, in einem Textstück, auf das später noch zurückzukommen ist, die Mündungen des Mississippi beschrieben,[10] und auch zu Beginn des 7. Kapitels von Sealsfields erstem Roman, dem zunächst in englischer Sprache veröffentlichten Indian Chief, wird dieser Eindruck hervorgerufen. »The endless waste of waters rolling towards the gulf«, dieser trostlose graue Prospekt muß Postl wahrhaftig wie die Einfahrt ins Exil vorgekommen sein. »No habitation of man«, heißt es an der zitierten Stelle weiter, »no herb, no bird is to be seen. The wind, sighing mournfully through the cane, the hoarse cry of the pilot, or the hissing of the steamboat, are the only sounds that interrupt the oppressive dreariness.«[11] Ob sich aus derlei Textstellen auf die subjektive Verfassung Karl Postls im Spätsommer 1823 irgendwelche Rückschlüsse ziehen lassen, muß dahingestellt bleiben, wie überhaupt die bereits 1826 beendete erste amerikanische Tour, was die Person Postls selbst betrifft, weitgehend im dunkeln liegt. Zwar demonstriert Postls erstes Buch, Die Vereinigten Staaten von Amerika[12], ein eindrucksvolles topographisches und ethnographisches Detailwissen, doch verzeichnet der geflissentlich ans Faktische sich haltende Text kaum je die Erfahrung der Fremdheit, die Postl auf seiner großen Reise von New Orleans nach Kittaning in Pennsylvania, die größtenteils mit den auf dem Mississippi und Ohio verkehrenden Dampfbooten erfolgte, gemacht haben muß. Daß Postl, der inzwischen einen vom Staat Louisiana ausgestellten und auf den Namen Charles Sealsfield lautenden Paß besaß, im Sommer 1826 wieder nach Europa zurückging, wird jedoch als ein Zeichen gewertet werden können, daß es ihm weder wirtschaftlich noch emotional gelang, in Amerika sich einzurichten. Darauf deuten auch die eher verzweifelten Aktionen hin, vermittels derer der Zurückgekehrte versuchte, mit seinem aufgegebenen Heimatland wieder in eine Art von Einvernehmen zu kommen.

Es gehört zu den erstaunlichsten Wendungen in Postls Biographie, daß der zumindest indirekt von der österreichischen Restaurationspolitik zum Ausländer gemachte vormalige Ordenssekretär im August 1826 von Frankfurt aus einen Brief an den auf Schloß Johannisberg am Rhein weilenden Kanzler Metternich richtet, um diesem konterrevolutionäre Agentendienste anzubieten.[13] Der in einem etwas unebenen und an ein, zwei Stellen fehlerhaften Englisch abgefaßte Brief[14] verweist auf aufrührerische, angeblich von englischer Seite dirigierte Umtriebe in Ungarn, über welche der Unterfertigte nähere Angaben zu machen imstande sei. Daß aus diesem Anerbieten nichts wurde, weil Postl in dieser unseligen Geschichte offensichtlich eine allzu amateurmäßige Figur abgab,[15] ist weniger bedeutsam als der Versuch des Exilierten, mit Österreich wieder ins Geschäft zu kommen und sei es gleich unter Hintansetzung aller vertretbaren Prinzipien. Es ist kaum von der Hand zu weisen, daß von hier aus auf den von Sealsfield selbst später immer wieder betonten Republikanismus ein langer Schatten fällt. Die Art, wie der allem Anschein nach progressive Literat sich anschickte, seine politische Seele zu verkaufen, verweist bereits auf die in der Geschichte der bürgerlichen Literatur weit verbreitete, aber kaum noch ausgeleuchtete trahison des clercs, die ihren Beweggrund nicht zuletzt in der Furcht vor der Brotlosigkeit und Deklassierung hatte. Daß Postl darüber hinaus auch an einer tieferliegenden Sehnsucht nach Assoziation mit der Macht laborierte, dafür gibt es in seiner Lebens- und Werkgeschichte verschiedentliche Hinweise. Immer wieder rühmte er sich, selbst in seinen späteren Schweizer Jahren, als er sich mit der Feder bereits ein recht ansehnliches Vermögen zusammengeschrieben hatte, der hohen politischen Konnexionen, die ihn in den Vereinigten Staaten mit der Partei Jacksons verbanden. Gelegentlich ließ er auch durchblicken, daß seine Rolle nicht eigentlich in der Literatur, sondern vielmehr im Weißen Haus liege,[16] ein unerfüllter Wunschtraum, an den Sealsfield zuletzt selbst geglaubt haben mag, obschon der Brief, den er am 8. Oktober 1836 aus New York an den Staatssekretär Poinsett im Weißen Haus richtete, um der amerikanischen Regierung als europäischer Agent sich anzubieten, nie irgendwelche konkreten Folgen gezeitigt hat. Sealsfield erklärt in diesem Brief, er sei im Begriff, nach Europa abzureisen, und willens, von dort, wo er mit führenden Persönlichkeiten in Kontakt stehe und, in Wien und Berlin, Zutritt zu den wichtigsten Koterien habe, »genauere Winke zu geben über die geheimen Beweggründe und die politischen Bewegungen, als vielleicht selbst irgendein gut bezahlter Gesandter es tun könnte«[17].

Zu dergleichen eher zweifelhaften Ambitionen Postls paßt auch, daß er zumindest eine Zeitlang in einer halboffiziellen Funktion im Dienste der Napoleoniden stand. In den Jahren 1829 und 1830 redigierte er in New York den Courier des Etats-Unis, den der inzwischen als Graf Survillier in New Jersey lebende Exkönig Joseph von Spanien nach der Julirevolution gekauft hatte, um sich ein Organ für die Vertretung der bonapartistischen Interessen zu schaffen. Nach seiner Übersiedlung in die Schweiz stand Postl mit der Königin Hortense und dem Prinzen Louis Napoleon, die in Arenenberg auf eine günstigere Wendung der Dinge warteten, in näherer Beziehung. Wieweit er tatsächlich in die bonapartistischen Umtriebe eingeweiht war, läßt sich jedoch, wie Castle schon bemerkte, nicht mehr eruieren.[18] Deutlich wird jedoch aus diesen Episoden, daß Postls Verhältnis zur Macht ausgesprochen ambivalent war, sei es aufgrund seines persönlichen Charakters, sei es aufgrund einer professionellen Deformation, die er als ambitiöser junger Kleriker sich eingehandelt hatte. Einfache Trennungslinien lassen sich jedenfalls nicht ziehen, denn nicht einmal in der Zeit des Vormärz schlossen eine liberale Ideologie und eine reaktionäre politische Praxis einander unbedingt aus.

Wenige Monate nach den beiden von Cotta in Stuttgart verlegten Bänden Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erschien in London, im Dezember 1827,[19] Sealsfields Schrift Austria as it is, die in deutscher Sprache erstmals 1919 in Wien publiziert wurde. Der Verfasser weist sich seiner englischen Leserschaft im Vorwort als ein »geborener Österreicher« aus, der nach fünfjähriger Abwesenheit wieder »in seine Heimat zurückgekehrt sei«[20], womit er in allem, was er auf den nachfolgenden Seiten erzählt, den Anspruch authentischer Berichterstattung erhebt. In Wirklichkeit war Postl im Jahr 1826 nicht in Österreich gewesen und schöpfte seinen Kommentar also weniger aus der Aktualität als aus der Erinnerung. Daß das auf möglichste Immobilität bedachte System der heiligen Allianz jede Entwicklung unterband, mag dieser an sich nicht allzu gravierenden Hochstapelei zugute gekommen sein. Sealsfield schrieb Austria as it is wahrscheinlich in erster Linie, um seiner miserablen finanziellen Lage abzuhelfen.[21] Ein Angriff auf den »empörenden Despotismus« in Österreich, wie er im Vorwort apostrophiert wird, war durchaus nicht die primäre Absicht des Autors. Was ihn zu solchen Aussagen veranlaßte, waren weniger seine eigenen politischen Anschauungen oder persönlichen Ressentiments als, wie schon die französische Übersetzung des Werks (1828) hier und da anmerkt, die Tatsache, daß Sealsfield die Neigungen seiner englischen Leser im Auge hatte. Sealsfields vielberufene freiheitliche Gesinnung tritt darum in der Schrift eher sporadisch zutage. Alles in allem handelt es sich um eine journalistische Klitterung, die zwischen pittoresker Reisebeschreibung und politischem Pamphlet ein einigermaßen unterhaltsames Gleichgewicht hält.

Was die Beschreibung der Reise betrifft, die Sealsfield von Le Havre über Frankfurt, Dresden und Prag nach Wien gemacht haben will, so ist das Verfahren zunächst äußerst kursorisch. Von der Wegstrecke Frankfurt–Leipzig heißt es beispielsweise lediglich, sie sei »bis auf das Fichtelgebirge und die Residenzen der kleinen sächsischen Fürsten nur wenig abwechslungsreich«[22]. Ausführlich wird der Text erst, als Sealsfield die böhmischen und mährischen Provinzen beschreibt, fast könnte man sagen, wie ein verlorenes Paradies. Die Revokation des »schöne(n) Böhmerland(s), bedeckt mit Ruinen, Schlössern, Städten und Dörfern«, von denen viele »förmlich begraben (liegen) in Wäldern von Obstbäumen«[23], scheint in Sealsfield, der angestrengt bemüht ist, sich nichts anmerken zu lassen, die Gefühlswellen des Heimwehs ausgelöst zu haben. Bezeichnend dafür ist ein gewisser Überschwang in der Phrasierung. »40 Meilen weit führt die Straße von Teplitz nach Karlsbad ununterbrochen durch wohlbestelltes Ackerland«[24], die Liegenschaften der Fürsten stehen denen des hohen englischen Adels an Schönheit und Reichtum in nichts nach, der Veitsdom ist »die anmutigste gotische Kirche auf dem europäischen Festland«[25], und die Umgegend von Znaim, Postls eigentliche Heimat, »eine ununterbrochene Folge von Weingärten, die sich dem leicht gewellten Gelände anschmiegen«[26], erscheint geradezu als vollendetes Beispiel sehnsuchtsvoller Idyllik. »In die tiefer gelegenen Stellen (dieser Landschaft) sind Obstgärten und Weizenfelder gebettet«[27], die Dörfer sind wohlständig, niemand braucht auszuwandern von hier wie die deutschen Bauern, die »an den holländischen Küsten umher(irren), ein neues Vaterland zu suchen«[28]. Selbst ein Weinhauerhaus wird beschrieben mit einem Vorgarten hinter grünem und gelbem Lattenzaun und, nicht genug damit, auch noch das Prunkzimmer dieses Hauses, wo auf dem mit einem Tiroler Teppich bedeckten Tisch zwei Flaschen und eine Anzahl Gläser bereitstehen,[29] ganz so, als könnte der verlorene Sohn jeden Augenblick wieder hereintreten bei der Tür. Was Postl in solchen Textstellen an Gefühlen vielleicht sogar vor Sealsfield verbarg, wird seinen englischen Lesern natürlich nicht aufgegangen sein; die Beschreibung der Wiener Verhältnisse hingegen dürfte ihr unmittelbares Interesse geweckt haben. Hierher gehört auch das äußerst kritische Charakterbild, das Sealsfield von Metternich entwirft, dem er erst ein paar Monate zuvor seine devote briefliche Aufwartung gemacht hatte. Metternichs intrigante Natur wird mit diversen Anekdoten illustriert und schließlich zusammengefaßt in der Bemerkung, daß er zwar als Diplomat keinen Rivalen habe, als Staatsmann jedoch unbedeutend sei.[30] Das Porträt des Kaisers Franz selbst verdeutlicht, wie gerade die Biederkeit und Leutseligkeit dieses Herrschers zu seinen gefährlichsten Zügen gehörten, weil der anscheinend so umgängliche Herr im abgetragenen Kaputrock einen, wenn man sich’s nicht versieht, auf dem kürzesten Weg »in die Kerker von Munkács, Komorn oder auf den Spielberg bringen kann«[31]. Sealsfield beweist in seinen Marginalien zum obskurantischen Herrschaftssystem des Kaisers Franz, zu der, wie er schreibt, jede Vorstellung übersteigenden Verzweigung der Geheimpolizei[32] und zum bürokratischen Vampirismus des Staatswesens durchaus einen Scharfblick, der es mit den kritischsten Geistern der Epoche hätte aufnehmen können, wäre er selbst unbeeinflußt geblieben von den Verlockungen der Macht.

War Postls Verhältnis zur politischen Reaktion in der nachnapoleonischen Ära ambivalent, so war es seine Einstellung zu den revolutionären Bewegungen des Vormärz und den Ereignissen des Jahres 1848 nicht minder. Für jemand, der rückblickend von sich behauptete, er habe »die Grundsätze des Republikanismus als sein Hauptbanner sein Leben hindurch verfochten«[33], ist der seltsame Konservativismus, den Postl Mitte der vierziger Jahre an den Tag legt, nicht eben ein Ausweis politischer Gradlinigkeit. Zu einer Zeit, da sich in Zürich so namhafte Protagonisten der revolutionären Bewegung wie Herwegh, Herzen und Bakunin aufhielten, war Sealsfield vorab auf Distanz von den ihn offensichtlich irritierenden »Züricher Zuständen« bedacht.[34] Und als die 48er-Revolution schließlich ausbricht, hält er sie, nicht anders als Metternich, für nicht vom Volk ausgehend und für das Resultat einer schwachen und nachsichtigen Innenpolitik. Vor allem, was die Lage in Wien betrifft, spart er nicht mit kaustischer Kritik. »Diese Wiener und Wiener Studenten«, schreibt er am 1. Juni an Ehrhard,[35] »scheinen alle paar Wochen ein paar Mal von einem revolutionären Sonnenstich getroffen zu werden. Dümmer konnten unmöglich die Wiener verfahren. Sie arbeiten planmäßig an der Zersetzung des Staates – spielen so offenbar Franzosen und Russen in die Hände – und ruinieren die Zukunft ihrer Stadt so augenscheinlich, daß, wenn nicht ein deus ex machina in der Person irgendeines charakterfesten Ministers oder Generals, der ein paar Hundert zusammenschießen läßt, bald kommt, in kurzer Zeit das mächtige Österreich ein bloßes Schattenreich sein wird und muß.«[36] In der Darstellung Castles nimmt sich Sealsfields Kommentar wie ein Beweis seiner politischen Weitsichtigkeit aus, denn nach dem in Wien, so Castle, »durch volksfremde Emissäre angezettelten Pöbelexzeß vom 6. Oktober«, in welchem der Kriegsminister Latour, so wiederum Castle, »als Blutopfer gefallen« war, fand sich in der Tat in Windischgrätz der charakterfeste General, »der nach der Einnahme von Wien am 31. Oktober ein paar hundert zusammenschießen ließ«[37]. Es wäre denkbar, daß Sealsfields undifferenzierte Einstellung zu den Ereignissen des Revolutionsjahrs, ähnlich wie die Grillparzers, in der frühen Prägung durch die Prinzipien eines aufgeklärten Absolutismus, insbesondere durch die josephinische Tradition ihre Ursache hatte. Der Widerwille, den »die Auflösung des organisch gegliederten Volks in pöbelhaft sich bewegende Massen«[38] in ihm wie in Grillparzer hervorrief, wäre dann einfach ein Zeichen seiner Unzeitgemäßheit und als solches zumindest entschuldbar. Andererseits aber ist Postls Kommentar zur Schlußphase der Wiener Erhebung bereits ein Beispiel für die sich eben erst herausbildende neue bürgerliche Vernunft, eine Vernunft, deren spezifische Fähigkeit es ist, die extremsten Äußerungsformen konterrevolutionären Terrors als der Logik der geschichtlichen Abläufe entsprechend antizipieren und billigen zu können. Zu dieser neuen Vernunft gehörte es auch, daß das Interesse an der politischen Independenz in zunehmendem Maß verdrängt wurde von der Sorge um Geld und Besitz. Sealsfield machte in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Seine Romane brachten in dem Jahrzehnt zwischen 1835 und 1848 gute Honorare ein, und das setzte ihn in den Stand, sich wie so viele seiner bürgerlichen Zeitgenossen über die möglicherweise gar nicht so ungern verlorenen politischen Hoffnungen hinwegzutrösten, indem er sich dem Erwerb von Eisenbahnaktien und ähnlichen konkreten und täglich nachmeßbaren Werten zuwandte.

Doch kann die Frage, ob und inwieweit sich ein Autor wie Sealsfield der Strömung des Zeitgeists entgegenzusetzen vermochte, nicht allein anhand seiner bewußten und expliziten Dispositionen entschieden werden. Die ideologische Infrastruktur des Werks, die sich der bewußten Manipulation eher entzieht, ist da in aller Regel der zuverlässigere Maßstab, wie sich auch an Sealsfields Behandlung des in seinen Romanen vielfach zentralen Themas der ›Rasse‹ aufzeigen läßt. Daß Sealsfield die Sklavenhaltung im Prinzip für eine gute Sache hielt, ist unumstritten. Er wußte zur Unterstützung dieser Ansicht, mit der er in der Schweiz oft helles Entsetzen hervorrief, eine ganze Reihe guter humanitärer und wirtschaftlicher Gründe anzuführen, wie etwa den, daß die Neger, aufgrund ihres hohen Marktpreises, sich im allgemeinen größerer Rücksichtnahme durch ihre Brotherren erfreuten als weiße Tagelöhner.[39] Diese sozusagen noch realpolitische Auffassung wird in der Beschreibung einer patriarchalischen Idylle gegen Ende des Cajütenbuchs zur Ideologie. »Das Negerdorf«, heißt es da, »war ein reizender Zug in diesem südlichen Gemälde … Es bestand aus zwei Reihen von Hütten; jede dieser Hütten hatte einen Chinabaum vor der Tür, in dessen Doppelgrün das Häuschen wie begraben lag. Die meisten hatten, so wie das Herrenhaus, kleinere Galerien, auf denen hie und da die Patriarchen des schwarzen Völkchens saßen, ihren ›bacca‹ rauchend, während die Mütterchen, ihnen vorplappernd, Gemüse putzten oder sonstige leichte Arbeiten verrichteten.« »Man hat«, so expliziert Sealsfield auf der folgenden Seite, »im Norden keinen Begriff von der Liebe und Zärtlichkeit, mit der unsere Schwarzen an ihren Herren und Frauen, diese wieder an ihren Angehörigen hängen; es ist wohl das liebevollste Band, das Abhängige und Unabhängige heut zu Tage umschließt, denn es ist von Kindheit an in die Naturen eingewoben.«[40]

Der sentimentalische Patriarchalismus, dessen Sealsfield sich hier befleißigt, ist die säkularisierte Variante der aus Chateaubriands Atala und Beecher-Stowes Uncle Tom’s Cabin bekannten Strategie zur Errettung der dunklen Seelen. Erscheint das tote Indianermädchen Atala, dessen Wangen, wie Chateaubriand eigens hervorhebt, von einer wundervollen Blässe überzogen sind,[41] wie eine allegorische Figur der Jungfräulichkeit,[42] so gipfelt die Sterbeszene des zu Tode geprügelten Onkel Tom in dem denkwürdigen Satz »O, Mas’r George! what a thing ’t is to be a Christian!«[43] Im einen Fall wie im anderen repräsentiert die ans Ende eines langen Leidenswegs gestellte Sterbeszene den »triomphe du Christianisme sur la vie sauvage«[44]. Das Leben der armen Atala, die den Erzähler Chactas aufgrund einer ›natürlichen‹ christlichen Regung vom Marterpfahl gerettet hat, gleicht innerhalb dieses Konzepts einer Pilgerreise, die die edle Wilde aus der Tiefe der Wälder heraus und einen hohen Berg bis zur Behausung des christlichen Eremiten hinanführt. Den Liebenden Chactas und Atala voraus geht auf dieser beschwerlichen Tour der getreue Hund des Einsiedlers, »en portant au bout d’un bâton la lanterne éteinte«[45], ein recht eigenartiges Detail, das mir im Rückblick auf diese das bürgerliche Herz ergreifende Genreszene so etwas wie das erloschene Ewige Licht oder die erloschene Leuchte der Vernunft zu repräsentierten scheint. Gerade nämlich in ihrer schönen Rührseligkeit haben diese Bekehrungsgeschichten einen unguten Zug, der letzten Endes rechtfertigt, was den Schwarzen und den Indianern im Namen der sich ausbreitenden Zivilisation angetan wird.

Sealsfields erstes literarisches Werk, The Indian Chief or Tokeah and The White Rose, weist eine vergleichbare, christlich inspirierte Konstellation auf. Das bei den Oconees aufgewachsene weiße Mädchen, die zweite Titelfigur des Texts, gelangt zur Befriedigung der Leserschaft letztlich in die zivilisierte Gesellschaft zurück, und zwar ohne daß ihr ein größeres Opfer abverlangt würde, wohingegen Canondah, die leibliche Tochter ihres Ziehvaters, des Häuptlings Tokeah, den Konflikt zwischen indianischer Stammestreue und der Liebe zu ihrer weißen Schwester nur als Märtyrerin überwinden kann. Trotz dieser im Textverlauf zentralen Episode ist das christliche Lösungsmodell für Sealsfields Behandlung des indianischen Schicksals durchaus nicht charakteristisch, denn der Roman enthält auch Passagen, in denen der Autor, wie sonst nur wenige seiner Zeitgenossen, einen empathetischen Begriff gibt von dem, was Vertreibung und Verfolgung für die Indianer selbst bedeuteten. So weist die Klage Tokeahs mit ihrem biblischen Anklang über die in der Literatur von James Fennimore Cooper bis Karl May übliche stereotype Indianersprache hinaus. Tokeah berichtet, wie seine Stammesbrüder, nachdem die Weißen ihr Land überzogen hatten und so zahlreich geworden waren wie die Büffel in den Jagdgründen der Komantschen, sich erhoben hatten und gebrochen und niedergemacht worden sind. Und er fährt fort: »Their white bones … are now covered with earth, and their blood is no longer to be seen. Their lands are no more their own, the canoes of the white men paddle on their rivers, their horses run on broad roads through the country, their traders have overrun it … Tokeah has seen the holy ground, and the burnt villages of his people.«[46]