UNLICHTE GEZEITEN - Eva Tabol - E-Book

UNLICHTE GEZEITEN E-Book

Eva Tabol

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Beschreibung

Für den achtzehnjährigen Jon existieren nur Fakten und Beweise, bis zu dem Tag, an dem ein luzider Traum sein menschliches Bewusstsein erweitert und ihm Zugang zu sagenhaften Kräften verleiht, die nicht nur sein von Skepsis und Realismus geprägtes Weltbild erschüttern, sondern ihn sein ganzes Sein infrage stellen lassen. Als er auf der Suche nach Antworten auf eine mysteriöse Außerirdische trifft, sind bereits die Schergen eines geheimen Ordens hinter ihr her. Gemeinsam entscheiden sie sich, Erde und Menschheit vor finsteren Absichten zu schützen und ihren Heimatplaneten von einer tyrannischen Rasse und ihrem Diktator zu befreien. Inmitten von Dualitäten und Familiendramen enthüllen Jon und seine geheimnisvolle Gefährtin ihre wahren Verbündeten und die rätselhaften Fäden, die ihre Schicksale miteinander verweben... UNLICHTE GEZEITEN ist der ebenso spannende wie originelle Debüt-Roman der deutschen Science-Fiction-Autorin Eva Tabol (Jahrgang 2001).

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EVA TABOL

 

 

UNLICHTE GEZEITEN

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

UNLICHTE GEZEITEN 

Prolog 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

Epilog 

Impressum

 

Copyright © 2023 by Eva Tabol/Signum-Verlag.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Cover: Copyright © by Catriona Neri.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Für den achtzehnjährigen Jon existieren nur Fakten und Beweise, bis zu dem Tag, an dem ein luzider Traum sein menschliches Bewusstsein erweitert und ihm Zugang zu sagenhaften Kräften verleiht, die nicht nur sein von Skepsis und Realismus geprägtes Weltbild erschüttern, sondern ihn sein ganzes Sein infrage stellen lassen.  

Als er auf der Suche nach Antworten auf eine mysteriöse Außerirdische trifft, sind bereits die Schergen eines geheimen Ordens hinter ihr her. Gemeinsam entscheiden sie sich, Erde und Menschheit vor finsteren Absichten zu schützen und ihren Heimatplaneten von einer tyrannischen Rasse und ihrem Diktator zu befreien. Inmitten von Dualitäten und Familiendramen enthüllen Jon und seine geheimnisvolle Gefährtin ihre wahren Verbündeten und die rätselhaften Fäden, die ihre Schicksale miteinander verweben... 

 

Unlichte Gezeiten ist der ebenso spannende wie originelle Debüt-Roman der deutschen Science-Fiction-Autorin Eva Tabol (Jahrgang 2001). 

UNLICHTE GEZEITEN

 

  Prolog

 

 

Vor vielen tausend Jahren lebten die Menschen nicht nur von dem Wissen, das ihre Vorfahren ihnen überlassen hatten, sondern ebenfalls von ihrem Glauben. Der Glaube an ein göttliches Wesen, das über sie wacht und durch Gebete und Opfergaben all ihre Wünsche erfüllen soll. Aber auch der an menschliche Gestalten mit Flügeln. Im Christentum, in Mythen und Legenden auch Engel genannt. Die Menschen waren begeistert von ihrem mit Flügeln bestückten Abbild. Engel wurden gepriesen und als Wächter und Hüter der Menschen angesehen. Der Begriff Engel und die durch die Menschen erteilten Merkmale erstreckten sich bis heute – ins Zeitalter der Wissenschaft und Technologie. Doch die Überzeugung, dass diese Wesen existieren, verging mit der Entwicklung der Menschheit und sie wurde skeptisch. Jon war so ein Skeptiker. Er hielt nicht viel von Religionen, Mythen oder Legenden. Aber er konnte trotzdem jeden einzelnen Glauben nachvollziehen. Aus den daraus resultierenden Meinungsverschiedenheiten hielt er sich selbst jedoch raus.

 

Seine schwarzen, etwas gekräuselten, Haare wehten sanft im Wind. Konzentriert und zugleich nachdenklich blickte Jon aus seinem Fenster im Obergeschoss. Seine grünblauen Augen funkelten im letzten Licht des Sonnenuntergangs. Man könnte meinen, dass er ein ganzes Universum in seinen Augen hatte.

Vor zwei Jahren zogen sein Vater und er aufs Land. Eine große Begeisterung konnte Jon damals im Alter von sechzehn Jahren nicht zeigen. Schließlich hatte er sich in New York sein Leben aufgebaut. Er hatte Freunde. Beste Freunde.

Als seine Mutter vor drei Jahren erkrankte und starb, konnte Jons Vater nicht damit umgehen. Er vernachlässigte seinen einzigen Sohn, ging nicht mehr raus, pflegte sich nicht und hatte wahrscheinlich die letzte Hoffnung in sich verloren. Warme Mahlzeiten, geschweige denn etwas zu Essen im Kühlschrank, gab es nicht mehr. Als Jons Vater, den er selbst immer mit seinem Vornamen ansprach, seinen Job verlor, wunderte es Jon nicht wirklich. Curt ging nur selten in der Woche zur Arbeit, wenn er es überhaupt schaffte sich aufzuraffen und das Haus zu verlassen. Dies führte letztendlich dazu, dass sie die Miete ihres Appartements nicht mehr bezahlen konnten und umziehen mussten – aufs Land. In ein kleines, schäbiges, nicht mehr gut erhaltenes Haus, in dem vor dreißig Jahren wohl Bauern gelebt hatten. Es war die einzige Möglichkeit, die Schulden, die Curt verursacht hatte, zu begleichen. Nun lebten sie schon seit einigen Jahren in dem kleinen Häuschen, nahe dem Waldrand. Das Einzige, das sie aus ihrem damaligen Leben hatten retten können, waren einige Möbelstücke und Jons Lebensretter – sein Internet. Denn nur dadurch konnte er mit seinen besten Freunden Mario und Jake Kontakt halten.

Jon war ein offener und glücklicher Junge, bis zu dem Tag, an dem seine Mutter ihn und seinen Vater verlassen hatte. Nach der Schule arbeitete er in einem Chinarestaurant und lernte abends für seine Tests und Klausuren. Er musste erwachsen werden, um seinen Vater, auch wenn nur etwas, zu unterstützen.

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es klopfte an Jons Zimmertür. Er vernahm ein leichtes Knirschen der abgenutzten Holzdielen, als er von seiner Fensterbank aufsprang.

»Jon ich muss mit dir reden«, hörte er, als er die Tür öffnete. Curt stand mit seinem emotionslosen und blassen Gesicht vor ihm. Jon musterte ihn. Meistens gingen sie aneinander vorbei und sprachen kaum. Er hatte sich verändert. Er war nicht mehr der selbstbewusste Geschäftsmann, der er damals war.

»Ich habe in New York einen neuen Job gefunden.«

Würden sie etwa wieder zurückziehen? Hatten sich ihre Schulden endlich beglichen? »Ein alter Freund hat mir eine gute Position in seinem Unternehmen angeboten.«

»Das freut mich Dad«, sagte Jon mit einem hoffnungsvollen Lächeln im Gesicht.

»Es ist nur so, dass ich dich hier alleine lassen müsste. Seiner Frau gehört ein Hotel und sie hat mir ein Zimmer zu einem angemessenen Preis angeboten. Aber nur für eine Person.«

»Das ist kein Problem Dad. Du weißt, dass ich seit einigen Monaten volljährig bin und den Haushalt habe ich damals, so gut es ging, auch selbst geführt.« Curt schaute bedrückt. Sein Sohn hatte sich die letzten Jahre um ihn gekümmert. Er hatte sogar abgelehnt auf eine Universität zu gehen, um stattdessen für ihn da zu sein.

»Gut Jon, ich danke dir.« Er hatte sich das erste Mal bei Jon bedankt und ihm sogar ein kleines, auch wenn nur kurzes, Lächeln geschenkt. Jon nickte und Curt ging wieder in sein Zimmer, um seine Sachen zu packen.

»Wann fährst du?«

»Morgen muss ich los. Ich werde vermutlich den ganzen Monat nicht da sein.«

»In Ordnung.«

 

Jon brachte Curts Koffer ins Auto. Es war ein ruhiger Samstag und die Sonne schien ihm auf seine dunklen Haare. Er kniff die Augen zusammen und blickte über die Straße auf das Weizenfeld, während ihm eine Brise Sommerluft entgegenwehte. In solchen Momenten musste er an seine Mutter denken.

Als Jon noch klein war, lief er mit ihr durch genauso ein Feld. Sie ließen sich lachend auf das kühle Gras fallen und umarmten sich innig. Er vermisste sie. Er brauchte sie. Curt brauchte sie.

Jons Vater kam durch die Haustür, während er sich hastig seine Krawatte band. Jon drückte die Kofferraumhaube runter und ging auf den Bordstein.

»Jetzt ist es soweit«, sagte Curt und schaute auf das Feld. »Das ist meine Chance, alles besser werden zu lassen. Für uns.« Jon grinste kurz und umarmte ihn. Curt mochte keine Umarmungen, doch das war seinem Sohn egal. Nach einer Weile legte auch Curt seine Arme um Jon. Er tätschelte ihn kurz und sie ließen sich los. Nach einem angestrengten Lächeln stieg Curt in seinen alten Gebrauchtwagen und fuhr los. Jon schaute ihm hinterher und flüsterte: »Bis dann Dad.«

Ihr damaliges Auto mussten sie verkaufen und sich einen günstigen Gebrauchtwagen zulegen. Dieser gab beim Losfahren ohrenbetäubende Motorengeräusche von sich und erschrak Vögel aus den Gebüschen, die hektisch losflogen.

Nun war es so weit, Jon und sein Vater hatten eine Chance bekommen ihr Leben besser zu machen. Curt war lange nicht mehr so voller Lebensfreude und Energie gewesen. Das erfreute Jon. Er blickte noch einmal in den Sonnenuntergang und dann auf Curts Auto, welches den geraden Feldweg nach rechts abbog und somit völlig verschwand, bevor er sich wieder zurück ins Haus begab.

Jon schmiss sich entspannt auf die schäbige Couch im Wohnzimmer und machte den Fernseher an. Er hasste Stille. Das brachte ihn nur dazu über sein Leben nachzudenken. Über seine Mutter und über die noch nicht ganz klare Zukunft. Was wolle er später machen? Studieren? Kellnern? Sein ganzes Leben kellnern wollte er definitiv nicht.

Vor drei Jahren hatte er ein Praktikum in der Grundschule absolviert. Er war fest davon überzeugt gewesen, Lehrer zu werden. Bis seine Mutter starb. Danach gingen alle seine Träume zu Bruch. Nicht nur seine. Die seines Vaters auch und ihn traf es deutlich härter.

Im Fernseher liefen nur Talkshows, die Jon nicht wirklich mochte. Er verdrehte die Augen, aber schaute dennoch weiter. Sie hatten nicht viele Kanäle, da sie ziemlich abgelegen wohnten und das nächste Dorf zwölf Kilometer entfernt lag. Er wollte etwas hören. Stille machte ihm Angst. Das würde er jedoch niemals vor Curt zugeben. Er hatte schließlich eigene Probleme.

Plötzlich begann es zu donnern und leichte Regentropfen prasselten an die Fensterscheibe. Jon ging ans Fenster und beobachtete das einsetzende Gewitter, das sich langsam näherte. Die Blitze wurden immer intensiver und wechselten ihre Farbe. So etwas hatte er noch nie gesehen. Zumindest nicht in New York.

Er beobachtete das Naturgeschehen vom Küchenfenster aus. Das war immerhin interessanter als die Talkshows, die gerade im Fernsehen liefen.

Das Gewitter rückte immer näher, bis es sich exakt über seinem Haus aufhielt. Es blitzte und der mit Regen durchströmte Wind riss die alte holzige Hintertür auf. Es regnete sofort rein und Jon sprintete los, um sie zu schließen. Als er merkte, dass die Tür sich nicht verriegeln ließ, schob er eine alte Kommode davor.

Erneut machte er sich zum Fenster auf und blickte durch das leicht milchige Glas in seinen Garten und dann auf das riesige mit Unkraut bewachsene Feld hinter ihm.

Es gehörte damals einem Pferdewirt, der jedoch irgendwann pleiteging. Sein altes Haus und sein Stall standen immer noch dort. Bewachsen mit Efeu und Moos. Die Blitze konnte man aus diesem Winkel besonders gut betrachten.

Plötzlich erleuchtete der gesamte Himmel über dem Feld und die Wolken verfärbten sich violett. Aber in so einem violett, das Jon sich nie hätte erträumen können.

Gab es solche Farben auf der Erde? Vermutlich nicht.

Ein greller Blitz entfachte eine Lücke zwischen den Wolken und ein kleines Licht fiel sanft auf die Erde. Wie konnte etwas nur so sanft und zugleich so schnell fallen?

Jon stand nun mit weit aufgerissenen Augen am Fenster. Seine Stirn gegen die mit Regentropfen bedeckte Glasscheibe gepresst.

Die Tropfen, die die Glasscheibe runter flossen, blieben vor seinen Augen stehen. Als wäre die Zeit eingefroren. Die Wolken bewegten sich ebenfalls nicht mehr und die Bäume, die noch eben im kräftigen Regen und Wind wild hin und her wackelten, erstarrten.

Das kleine hellleuchtende Licht flog immer schneller auf die Erde zu, bis es behutsam landete. Jon hörte weder den Aufprall noch sonst ein Geräusch.

Sein Herz begann schneller zu schlagen. So stark, dass er es hören konnte.

»Was zum Teufel...?«, flüsterte Jon verunsichert und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Regentropfen, die die Glasscheibe nicht weiter runter flossen. Er konnte es sich nicht erklären. Weder wie es physikalisch möglich war noch wie so etwas überhaupt möglich war.

Rasch zog er sich die Gartenschuhe von Curt an und ging in seinen Garten. Der Regen war eingefroren, bis Jon ihn mit seinem Körper berührte. Dann prasselte er auf ihn ein. In der Ferne sah er einen Hasen, der von einem Fuchs davonlief. Die Szenerie wirkte starr wie ein Gemälde oder wie ein Foto, das gerade jemand geschossen hatte. Aber es war real.

Als Jon bei dem Hasen und dem Fuchs angelangt war, betrachtete er sie genau. Er schwank mit seiner Hand vor dem Gesicht des Hasen. Dieser reagierte weder mit einem Zucken noch mit einem Blinzeln. Der Fuchs ebenso nicht.

»Was geht hier ab?«, sagte Jon mit dem Hintergedanken, dass das alles nur ein Traum sein könnte und er womöglich auf der Couch eingenickt war. Er zwickte sich und zückte dann sein Handy, um Curt zu schreiben, der New York sicherlich bereits erreicht hatte.

»Hi Dad, ich muss dir was erzählen, es ist dringend, bitte.«

Plötzlich wehte der Wind Jon um und der Regen prasselte auf ihn ein. Der Fuchs, der von dem plötzlichen Erscheinen des Jungen Angst bekam, ergriff die Flucht und der Hase entkam über das Feld in den Wald.

»Fuck!« Sein Handy fiel in den Schlamm. Gegen das Wetter konnte er nicht ankommen. Jon ergriff, wie der Fuchs, die Flucht ins Haus.

Es blitzte erneut und der Himmel erhellte sich ein letztes Mal, bevor er wieder seine ursprüngliche Form annahm. Die Lücke, aus der das Licht gefallen war, zog sich zusammen. Alles sah wieder so aus wie vor fünfzehn Minuten.

Als Jon klitschnass das Haus erreichte, schloss er die Tür ab und lehnte sich mit seinem Rücken dagegen. Sie knirschte. Seine Jacke ließ er auf den Boden fallen und sich selbst auf das Sofa. Der Fernseher, den das Unwetter wohl ausgeschaltet hatte, ging laut an und einer dieser Talkshows lief immer noch.

»Haben Sie jemals so etwas gesehen? Das ist doch verrückt!«, sagte eine kleine blonde Frau mit hoher Piepsstimme und zeigte ihrem Publikum einen Lippenstift, der ebenfalls ein Kugelschreiber war. »So können Sie sich von überall aus schick machen!«

»Ja... das ist verrückt«, murmelte Jon zum Fenster starrend.

 

Mitten in der Nacht, als es stürmte, tobte und man den Wind heulen hören konnte, schlief Jon mitsamt seiner nassen Kleidung auf der Couch ein. Normalerweise träumte er selten oder gar nie. Doch in dieser Nacht änderte sich seine Vorstellung eines Traums. Er hatte einen luziden Traum.

Jon stand in einem völlig schwarzen Raum, in dem er seltsamerweise dennoch sehen konnte. Er fühlte sich wie in einer anderen Welt. Weit, weit weg von der Erde. Nervös schaute er um sich, doch er erkannte nichts außer Leere und Dunkelheit. Er wollte schreien, sich bewegen und am liebsten irgendwohin laufen, doch es ging nicht. War er nun tot? Jon schaute nach unten. Tatsächlich hatte er keinen biologischen Körper mehr, doch er konnte etwas spüren. Und zwar seine Gestalt, sich selbst.

»Das ist einfach nur seltsam und verrückt!«, dachte Jon.

»Ja, das ist es«, murmelte eine sanfte Stimme.

Er konnte nicht heraushören, ob es eine Frau, ein Mann oder überhaupt ein Mensch gesagt hatte. Die Stimme klang sehr beruhigend und friedlich und Jon durchströmte pure Liebe bei jedem einzelnen Wort.

»Wer bist du? Wo bin ich hier?«, dachte Jon.

»Du bist bei uns.« Jons Körper kribbelte.

»Bei euch? Wer seid ihr denn?«

»Verbündete deiner Schöpfer.«

»Moment mal, bin ich tot oder träume ich das gerade wirklich?«

»Warum nicht beides?«

»Was wollt ihr von mir?!«

»Deine Hilfe.«

»Hilfe? Bei was?«

»Bei allem.«

»Kann ich bitte einfach wieder aufwachen? Das ist total verrückt!«

»Wir kommen in Frieden, das ist Alles, was du nun wissen musst.«

Jons Astralkörper kribbelte und es fühlte sich so an, als hätte er an jeder Stelle immense Gänsehaut.

Ein helles Licht kam plötzlich aus der Ferne zum Vorschein. Jon reagierte sofort und fokussierte sich auf das warme Gefühl, welches es in dieser Dunkelheit ausstrahlte. Er hatte keine Angst mehr. Das Licht begann sich ihm langsam zu nähern und wurde dabei immer schneller. Es schien noch weit weg, doch es wurde stetig größer und größer. Beinahe hatte es ihn erreicht. Er erkannte die Umrisse einer humanen Gestalt. Es war ein Wesen. Eins mit ungeheuer großen schwarzen Augen, grauer Haut und einem überdimensionalen Kopf. Es war mager und würde ihm vermutlich auf der Erde lediglich bis zum Bauch gehen.

Das dürre Wesen schwebte langsam auf Jon zu und beobachtete ihn ganz genau. Er wollte seine Augen schließen, wenn er in dieser rätselhaften Welt überhaupt welche hatte, sich einreden, dass er das nur träumte. Doch seine große Neugier hinderte ihn daran. Das Wesen kreuzte nun schnell vor seinem Gesicht auf. Jon erschrak und bekam eine noch größere Gänsehaut. Zumindest fühlte es sich für ihn so an. Einen Körper besaß er ja nicht. All das geschah in Sekundenbruchteilen und plötzlich fasste ihm das Wesen mit einem seiner langen zaundürren Finger auf die Mitte seiner Stirn. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken runter und er fühlte sich so unerklärlich losgelöst von Allem. Von seinem Körper, seinen Gedanken und seinen Gefühlen. Er vergaß sich selbst.

Schlagartig entfachten sich die Neuronen seines Gehirns wie ein unaufhaltsames Feuer. Eine Informationsflut brach über ihm herein und ließ jedes einzelne ihrer Elemente wie einen Film vor seinem geistigen Auge abspielen. Ein Film, der jede Millisekunde ein neues Bild zeigte. Er bekam völlig überraschend Antworten auf alle Fragen. Selbst auf Fragen, die er sich noch nie im Leben gestellt hatte. Es war wie eine Erleuchtung, von der wohl immer alle Buddhisten sprachen. Aber diese Erleuchtung war übermenschlich. Sie ging weit über seinen bisherigen Verstand hinaus. Sie war unendlich. Jon sah die Entstehung der Milchstraße, die ganzen Universen, Dimensionen und Sonnensysteme, alle Planeten, jedes einzelne Detail.

Das Wesen ließ von ihm ab und die Flut an Informationen legte sich. Dann stieg es durch seinen Astralkörper in sein Gedächtnis. Ihm wurde kalt und seine Gänsehaut intensivierte sich, bevor er sich wieder wie ein Mensch fühlte. Jon spürte seinen biologischen Körper wieder und die Angst, die in ihm hochkam. Seine ganzen menschlichen Gefühle und seine Erinnerungen überschwemmten ihn. Eine große Trauer baute sich in ihm auf. Er wollte sich nicht so fühlen.

Der dunkle Raum erhellte und zog sich in einem kleinen Loch in der Ferne zusammen, bis er sich gänzlich in ihm sammelte und verschwand. Nun war Jon wieder bei vollem Bewusstsein. Alleine in seiner Gedankenwelt. Doch es fühlte sich anders an. Etwas in ihm hatte sich verändert. Nur konnte er noch nicht erahnen was und vor allem, wie sich sein Leben nun von Grund auf ändern würde.

 

Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter wieder beruhigt. Vögel zwitscherten imposant im Morgengrauen und ein leichter Wind bewegte das Weizenfeld in einem rhythmischen Takt. Alles schien friedlich und normal.

Jon erwachte mit einem plötzlichen Ruck und einer Schnappatmung. Was war diese Nacht bloß geschehen?

Er stand orientierungslos und schlagartig zugleich auf und schaute nach unten auf seinen Körper. Dieser schien sich nicht großartig verändert zu haben. Bis auf seine verschmutzte Kleidung, die fürchterlich stank, bemerkte er keine weiteren Veränderungen oder gar Mutationen. Erleichtert schnaufte er auf und begab sich ins Bad. Beim Hochgehen der alten knirschenden Treppenstufen wurde ihm langsam schwindelig. Er kippelte und fiel nach hinten. Glücklicherweise griff er so schnell er konnte nach dem Geländer und entging einem weiteren Missgeschick.

Nachdem er im Bad angekommen war und sich ausgezogen hatte, stellte er sich vor den Spiegel, der über dem alten Waschbecken hing. Jon war ein gut gebauter Junge, der ohne viel Training eine auffallend muskulöse Statur hatte und Stärke ausstrahlte. Er fasste sein Gesicht an. Es war blass geworden und seine dunklen Augenbrauen machten stets den Eindruck, als würde er böse gucken. Er drehte den Wasserhahn auf und kühlte sein Gesicht.

Nachdem seine Mutter verstorben war, gewöhnte er sich an, möglichst wenige Gefühle zu zeigen und kapselte sich weitestgehend von der Außenwelt ab.

Dies änderte sich jedoch, als er seine besten Freunde Mario und Jake kennenlernte, durch die er lernte, sich anderen Menschen anzuvertrauen und zu öffnen. Seinen Frust fraß er damals in sich rein. Irgendwann konnte er diese Barriere nicht länger halten und fing mitten im Unterricht an zu weinen. Einige lachten ihn für seinen plötzlichen Gefühlausbruch aus. Vor allem Brad.

Brad konnte Jon noch nie wirklich leiden und schikanierte ihn, wo es nur ging. Manchmal schubste er ihn mitten im Gang zu Boden und lachte ihn mit seiner Clique aus. Jon fand sein Verhalten einfach nur lächerlich, doch er wollte ihn nicht auch zu Boden werfen, wie er es tat, obwohl er es durchaus hätte tun können. Es musste doch auch einen anderen Weg geben so einen Rowdy zu bekämpfen. Vielleicht auf eine Art, bei der keiner zu Schaden kommt und sich der Konflikt dennoch löst. Jon dachte jedenfalls nie aggressiv und war auch nie auf Rache aus.

Als er seinen Blick vom Spiegel abwendete und sich gerade dem Wasserhahn in der Badewanne zuwenden wollte, ertönte ein Schrei. Er kam von draußen und klang nach einer weiblichen Stimme. Jon eilte sofort zum Fenster und schaute hinab auf die Landstraße unmittelbar vor seinem Haus.

Ein Paar, dessen Wagen anscheinend einen Reifenschaden erlitt, stritt und beschimpfte sich. Der Mann hielt seine Frau am Handgelenk und schrie sie lautstark und brummend an. Die Frau schrie zurück und Jon erkannte ihre Angst. Er spürte sie. Er spürte, wie sie sich in ihr ausbreitete und immer stärker wurde. Schnell rannte er in sein Zimmer und zog sich an. Dann humpelte er mit einem angezogenen Hosenbein die Treppe runter.

Auf der Landstraße angekommen näherte er sich dem Paar langsam und vorsichtig. Der Mann hielt seine Frau immer noch fest am Handgelenk und nun konnte Jon seine Worte wahrnehmen.

»Du dummes Stück! Ich sagte dir doch, dass du Reifen mitnehmen sollst, falls was passiert! Wegen dir kommen wir jetzt zu spät bei meinen Eltern an!«

»Ich habe es ganz vergessen«, stotterte die Frau, die viele rote Flecken im Gesicht hatte und sie offenbar versucht hatte mit viel Schminke zu überdecken, aber die nun, durch einige Tränen, zum Vorschein kamen. »Es wird nie wieder vorkommen! Ich war mit dem Kochen für deine Eltern so beschäftigt, da.«

»Gibt es hier ein Problem?«, unterbrach sie Jon.

»Nein, nein, alles ist gut, wirklich. Wir haben nur eine kleine Reifenpanne, mehr nicht«, sagte die Frau mit zittriger Stimme, die anscheinend schon viel ertragen musste und immer noch von ihrem Mann festgehalten wurde.

»Nichts ist gut, meine unnütze Frau hat vergessen Ersatzreifen mitzunehmen, obwohl ich ihr gesagt habe, dass sie gefälligst welche für unsere lange Fahrt mitnehmen soll.«

»Ich sagte dir doch, dass ich es einfach verg...«

»Schweig!«, schrie sie der Mann an und schubste sie von sich weg. »Immer machst du uns Probleme Melanie!« Melanie fiel zu Boden und stöhnte vor Schmerz.

»Was tun Sie da!«, schrie Jon nun auch und half der Frau auf.

»Danke...sehr.«

»Was ich da tue? Das geht dich gar nichts an! Das ist meine Frau!«

»Sie ist ein eigenständiger Mensch und kann tun, was sie möchte, verstanden? Außerdem – hast du dir mal die Flecken in ihrem Gesicht angesehen, die sie mühevoll versucht hat zu überdecken?«, entgegnete Jon mit einem bösen Blick.

Melanie raffte sich langsam auf und stellte sich hinter Jon, der in diesem Moment wahrscheinlich sein Leben riskierte. Er war gerade mal achtzehn und der Mann? Womöglich doppelt so alt wie er selbst.

»Das geht dich nichts an Junge, verstanden?« Der Mann näherte sich Jon gefährlich nahe.

»Tu ihm nichts Michel!«, schrie Melanie, die immer noch hinter Jon Schutz suchte und weinte. Sie war zwar genauso groß wie er, aber fühlte sich in diesem Moment schutzlos und nur sicher, wenn sie hinter Jon blieb.

»Keinen Schritt näher, oder.«

»Oder was Kleiner? Denkst du wirklich, dass du eine Chance gegen mich hättest? Du wärst nicht der erste Naive, der denkt er könnte es mit mir aufnehmen«, sagte Michel in einem bedrohlichen Ton, der jedes Kind zum Weinen bringen würde.

»Ich will keinen Ärger, okay? Ich will, dass du aufhörst deine Frau so zu behandeln und einfach an die nächste Tankstelle läufst und dir deine Wechselreifen selbst besorgst!«

»Kleiner, das ist wenn, dann meine Aufgabe. Bitte mach ihn nicht noch aggressiver«, flüsterte Melanie Jon zu und schaute ihn bedrückt an.

»Warum lässt du dir das gefallen?«, fragte Jon.

»Meine Aufgabe, ja? Meine einzige Aufgabe gerade ist es, in deinen Klugscheißer-Hintern zu treten«, unterbrach sie Michel und zückte ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche.

»Renn!«, schrie Melanie.

Jon stand völlig regungslos da und starrte erschrocken auf sein Messer. »Renn weg!«, schrie Melanie erneut.

Jon nahm ihre Hand und rannte mit ihr in Richtung seines Hauses. Es kam ihm so vor, als hätte sie die Ausrufe an sich selbst geschrien.

»Melanie, lauf da ins Haus. Da bist du sicher«, sagte Jon in einem ruhigen Ton und warf ihr den Schlüssel zu, den sie schnell fing. Sie schaute ihn dankend an und rannte langsam los. Während sie lief, zog sie sich ihre hohen Stöckelschuhe aus und schmiss sie Jon zu.

Michel rannte ihnen hinterher. Reflexartig hielt Jon seine Hände nach vorne. Was nun geschah, konnte er selbst nicht ganz begreifen.

Mit einem starken Stoß wurde Michel nach hinten geschleudert. Er flog mehrere Meter, bis er schmerzhaft zu Boden stürzte. Melanie, die das Geschehen nun wahrnahm und ihre Flucht unterbrach, konnte ihren Augen kaum glauben.

»Was zum...?«, flüsterte sie und starrte Jon an.

»Was zum...?«, sagte Jon lautstark und lachte. Hatte er nun Superkräfte? Hatte das womöglich mit seinem Traum von letzter Nacht zu tun? Hatte das etwas mit dem Sturm und dem aus den Wolken fallenden Licht zu tun? »Das Licht!«, dachte Jon. »Ich muss zu der Stelle und herausfinden, ob das etwas mit mir zu tun hat!«

Michel lag nun schmerzverzerrt auf dem Boden und keuchte.

»Michel!«, schrie Melanie, während sie zu ihm lief. »Geht es dir gut?« Sie versuchte ihm hochzuhelfen, doch er schubste sie beiseite und baute sich selbst wieder auf. Sein Hinterkopf blutete und er hatte starke Schürfwunden an seinen Händen.

»Was zum Teufel bist du?« Michel und Melanie standen nun beide mehrere Meter vor Jon und starrten ihn verblüfft an. Als würden sie gerade einen Geist sehen.

»Ich bin ein Mensch«, antwortete er und begutachtete seine Hände.

»Ein Mensch kann so etwas nicht!«, schrie er Jon an und sah dabei ziemlich nervös aus. »Alter, ich wollte dir nicht wehtun. Ich wollte dir nur Angst einjagen!« Melanie schaute ihn unglaubwürdig an.

»Wenn du deiner Ehefrau Schaden zufügen kannst, dann kannst du ihn mir ebenfalls zufügen«, entgegnete er. Michel bekam Angst und Jon spürte sie.

Als er selbst Angst hatte, dass ihm das Wesen in seinem Traum etwas antun könnte, verging diese schnell, als es seine Stirn berührt hatte und ihn der Wissensstrom durchflutete. Möglicherweise hatte er nun auch die Fähigkeit, Menschen ihre Fehler aufzuzeigen und ihnen Liebe und Sicherheit zu schenken. Denn eins wusste er schon immer: Liebe ist der Schlüssel für Alles und diese Erfahrung verlieh ihm vielleicht die Macht, Menschen dieses Wissen zugänglich zu machen.

Jon ging langsam auf ihn zu und streckte seinen Arm aus, dann seine Hand und seinen Zeigefinger.

»Was willst du? Bitte tu mir nichts mehr!«, stotterte und flehte Michel und humpelte einige Schritte zurück. Jon schaute ihn an, konzentrierte sich und schloss dann seine Augen. Ruckartig berührte sein Finger Michels Stirn. Diese leuchtete für einen kurzen Moment auf und seine Pupillen weiteten sich.

»Was machst du da? Tu ihm bitte nichts!«, flehte Melanie nun auch. Nach einigen Sekunden ließ er von ihm los. Michel starrte Jon in die Augen und brach dann auf seine Knie zusammen.

»Was habe ich nur getan!«, krächzte er und fing bitterlich an zu weinen. »Es tut mir so unendlich leid Melanie!« Er fasste an ihre Beine. »Alles tut mir leid! Wie konntest du es nur so lange mit mir aushalten?« Er weinte.

»Weil ich dich liebe Michel!«, antwortete Melanie. Er weinte nun noch mehr.

»Ich habe alles gesehen! Ich habe alles aus deiner Sicht gesehen! Ich bin so ein Mistkerl und habe dich nicht verdient! Bitte, bitte verzeih mir!« Sie schaute ihn mit einem leichten Lächeln an und ihr flossen Tränen über ihre Wangen, die ihre Schminke weiter mitrissen.

»Ich danke dir«, sagte sie zu Jon. »Was auch immer du getan hast. Ich danke dir von Herzen, dass du mir meinen Mann wieder zurückgebracht hast.« Jon lächelte sie an.

»Ich musste ihm zeigen, was er dir antat. Nur so können Menschen aus ihren Fehlern lernen.« Michel stand auf und umarmte sie innig.

»Du wirst ab jetzt für immer in Sicherheit sein, ich verspreche es dir«, flüsterte er, während die Tränen weiterhin flossen. »Ich liebe dich.«

 

Nachdem Jon die Situation mit seinen plötzlich auftauchenden Kräften geklärt und das Pärchen die Reifen ihres Autos gewechselt hatte und wieder aufbrach, suchte er nach Antworten. Es musste doch eine logische Erklärung dafür geben. Deshalb machte er sich zielsicher auf den Weg zu dem mit Unkraut überwucherten Feld hinter seinem Haus. An die Stelle, an der das Licht herunterfiel. Das Feld war riesig und es würde ihn einige Minuten kosten, bis er dort ankam. Er wollte so schnell wie möglich Antworten und torkelte mit seinen Badelatschen über den matschigen Feldboden. An einigen Stellen sanken seine Füße so tief ein, dass er sie aus dem Schlamm herauszerren musste. Das Licht fiel in die Nähe des alleinstehenden Baums mitten auf dem Feld. Der Baum musste sehr alt sein und seine mit dichten Blättern bewachsene Krone ließ ihn noch mystischer und faszinierender wirken.

Als Jon hierhin zog, kletterte er fast jeden Tag auf ihn und saß sehr oft auf einem seiner höchsten Äste, von denen aus man den Sonnenuntergang bestens betrachten konnte. Der mehr als gute Internetzugang spielte für ihn jedoch auch eine entscheidende Rolle. Schließlich wollte er den Kontakt zu seinen besten Freunden nicht verlieren.

Nun stand er mitten auf dem Feld und schaute in die Richtung des Baums. Es fehlten nur noch ungefähr fünfzig Meter.

Seine Füße waren voller Dreck und die Badelatschen, die vorher weiß waren, waren nun braun. Er zog sie aus, nahm sie in die Hände und sprintete los. Als er lief bemerkte er, wie schnell er eigentlich war. Ein Reh, das er entdeckte, sprang vor ihm los. Jon überholte es blitzschnell und das Reh lief irritiert und verängstigt in Richtung des Waldes. Nach nicht einmal einer Minute hatte er den Baum schon erreicht.

»Wow...«, flüsterte er und grinste leicht verwundert. Langsam zog er sich seine Schlappen wieder an und näherte sich vorsichtig dem Baum. In seinem Kopf spielten sich tausend Szenarien ab. Wenn sich etwas hier auf dem Feld verstecken wollen würde, dann wäre dieser mächtige Baum der perfekte Ort dafür. Was könnte dieses Wesen bloß sein? War es überhaupt ein Lebewesen oder vielleicht doch nur ein Meteorit?

Nein, ein Meteorit würde niemals so leicht auf die Erde fallen. In Jons Kopf prasselten die Fragen nur so auf ihn ein. Von unten blickte er in die Baumkrone und schluckte nervös. Sollte er etwas rufen, oder sich besser erst einmal zurückhalten und weiter beobachten? Er entschied sich für Ersteres.

»Hallo?« Keine Antwort. Er atmete erleichtert auf und lehnte sich gegen den Stamm des Baumes. Seinen Kopf ließ er in seine Hände fallen. Als ein starker Windzug seine Äste zum Schwingen brachte, fielen einige Blätter auf Jon herab. Hockend schaute er erneut nach oben. Nun ließ sich etwas erblicken, was in ihm Angst, aber gleichzeitig auch Faszination und große Neugierde, auslöste.

Eine weiße Haarsträhne, die auf einem Ast herunterhing, flatterte im Wind. Er sprang sofort auf.

»Hallooo?« Erneut keine Antwort. Was auch immer das sein möge: Entweder war es tot, bewusstlos, oder einfach nur taub. Jon hoffte, dass es nichts von diesen drei Optionen war. Er fasste an die ersten dicken Äste und kletterte Stück für Stück den Baum hoch. Seine Kräfte würden ihn im Notfall beschützen dachte er sich. An der Haarsträhne angelangt, folgten seine Augen dieser bis zu ihrem Besitzer. Sie gehörte zu einem Mädchen. Einem Mädchen mit schneeweißen Haaren und blasser Haut.

»Hey! Geht es dir gut?« Jon zwängte sich durch die restlichen Äste vor ihm, bis er bei dem Mädchen angelangte. »Hey!« Er legte sein Ohr an ihre Brust. Ihr Herz schlug noch. Jedoch ziemlich langsam und unnatürlich. »Zum Glück«, flüsterte er erleichtert. »Ich bring dich hier runter, okay?« Eine Antwort hatte er sich nicht erhofft. »Die Frage ist nur: Wie?« Er überlegte kurz. »Meine Kräfte!«, dachte er sich. »Auch wenn ich sie noch nicht kontrollieren kann.« Jon schaute auf das Mädchen und konzentrierte sich auf sie. Es dauerte einige Minuten, doch plötzlich begann sie zu schweben. Nun musste er die Balance nur noch bis zum Erdboden halten. »Ja!«

Er hielt sie mit einer Hand in der Luft und kletterte mit der anderen langsam, aber sicher, vom Baum. Es war schwierig sie durch die Äste zu zwängen, doch er schaffte es und ließ sie sanft zu Boden gleiten. Erleichtert schnaufte er auf während seine Hände kribbelten. Es fühlte sich seltsam an.

Jons Blick wanderte auf die Haare des mysteriösen Mädchens. Sie waren hart und dick. Ihr Gesicht war sehr blass, doch sie sah nicht wie eine Leiche aus. Aber noch etwas fiel ihm ganz besonders auf: Ihre Bekleidung. Sie trug eine Art Roboterrüstung, die weiß glänzte und aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt war. Sie wies jedoch mehrere Kratzer auf und einige Stellen waren stark verbeult. Es wirkte auf Jon so, als würde diese Rüstung aus einem Krieg stammen. Langsam fing es an zu regnen.

Jon nahm das Mädchen in die Arme und machte sich auf den Weg zu sich nach Hause. Während er sie trug, blickte er sie immer wieder an. Sie war kein Mensch, hatte jedoch menschenähnliche Züge und seine Proportionen. Die Regentropfen flossen ihre Wangen runter. Sie sah so friedlich und entspannt aus. Wie als würde sie an einem Strand liegen und alles um sich herum einfach loslassen.

»Wunderschön«, dachte sich Jon.

An seinem Haus angekommen, trat er durch die Gartentür, die er mit seinem Bein aufstieß. Das Mädchen legte er auf die Couch und schloss direkt die Tür. Er atmete erleichtert auf und wischte sein Gesicht mit seinem Ärmel ab. Plötzlich bemerkte er, dass seine beiden Ärmel mit einer weißen, dichten Flüssigkeit verschmiert waren.

»Oh, mein.« Schnell rannte er zu dem Mädchen und drehte sie zur Seite.

---ENDE DER LESEPROBE---