Unser schönes Thüringen - Johannes Wilkes - E-Book

Unser schönes Thüringen E-Book

Johannes Wilkes

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Beschreibung

Thüringen, ein Land mit 1000 Facetten. Johannes Wilkes lässt aus den gesammelten Mosaiksteinen ein buntes Bild entstehen. Seine humorvolle Entdeckungsreise beschreibt nicht nur kulinarische Köstlichkeiten, liebliche Landschaften und kostbare Kunstschätze, sondern weiß auch von Bräuchen, Liedgut und Dialekt zu berichten. Gewitzt nähert er sich der thüringischen Seele. Und lässt nicht zuletzt Dichtern, Erfindern, Helden, Künstlern und Sportlern mit thüringischen Wurzeln viel Raum. Eine Fundgrube für jeden Thüringen-Liebhaber!

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Johannes Wilkes

Unser schönes Thüringen

Zum Buch

Wer warder erste Thüringer?

Warum sind Thüringer so musikalisch?

Wo trifft man Weltkultur?

Welche mutigen Helden hat Thüringen hervorgebracht?

Was sind die Geheimnisse des Rennsteigs?

Welche bekannten Erfindungen stammen aus Thüringen?

Warum gibt es in Thüringen auffallend hübsche Frauen?

Wo befindet sich Deutschlands wahrer Mittelpunkt?

Diese und viele weitere Fragen zu den Geheimnissen des schönen Freistaats beantwortet dieses Buch. Denn Thüringen ist weit mehr als Bratwurst und Klöße.

Johannes Wilkes hat sich nicht nur als Krimiautor, sondern auch als Reisejournalist einen Namen gemacht. Seine Essays und Erzählungen wurden mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Zu Thüringen hat der Autor seit seiner Jugend ein enges Liebesverhältnis, besonders gern durchstreift er die schönen Landschaften mit dem Fahrrad, die beste Art, um Land und Leute kennenzulernen.

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Der Fall Fontane (2019)

Impressum

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2019 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2019

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: Benjamin Arnold

E-Book: Mirjam Hecht

unter Verwendung eines Fotos von: © 3quarks/iStock.com

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6202-3

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Inhalt

Widmung

Die Geschichte Thüringens, kurzgefasst

Das Landeswappen

Wer war der allererste Thüringer?

Kleine Dialektkunde

Von Helden und Opfern

Wie tickt der Thüringer?

Die Thüringer Rostbratwurst

Wer ist Experte für Thüringer Klöße?

Prima Klima –das Thüringer Wetter

Die Thüringer Windskala

Thüringens Bodenschätze

Vom Thüringer Rebensaft – eine Ehrenrettung

Wie nennt man einen Thüringer außerhalb Thüringens?

Thüringens Hymne

Der Rennsteig

Goethes wilde Weimarer Jahre

Vier Gedichteund ihre Geschichte

Spitzensportler

FC Carl Zeiss Jena oder Rot-Weiß Erfurt

Die Universitäten zu Erfurt und Jena

Was ist Thüringens schönste Blume?

Zwölf Thüringer Entdeckungen und Erfindungen

Vier besondere Brücken

Thüringens Tierleben

Brehms Tierleben

Vier besondere Frauen

Offener Brief an Volker Schlöndorff

Thüringen – Bildungsspitzenreiter

Wo ist Deutschlands Mittelpunkt?

Wer hat die hübschesten Frauen?

Sprachliche Vielfalt

Thüringer mit vielfältigen Wurzeln

Thüringen in der Literatur

Das Internationale Skatgericht zu Altenburg

Drei magische Höhlen

Meister Eckhart und sein trauriges Ende

Wie das singt, wie das klingt: Thüringen und die Musik

Johann Sebastian Bach

Thüringen und die Malkunst

Welterbe in Thüringen

»Ihr tägliches Getränk sei Köstritzer Schwarzbier«

Ein persönliches Kapitel zum Schluss

Wer ist der beste Thüringen-Kenner? – Quiz

Und hier die Antworten:

Literaturhinweise

Lesen Sie weiter …

Widmung

Für Ilse und Gerhard aus Arnstadt, die mir in den 1970er-Jahren, als ich noch ein Schüler war, das schöne Thüringen gezeigt haben.

Die Geschichte Thüringens, kurzgefasst

Das erste Kapitel ist zugleich das schwierigste. Die Geschichte eines solch traditionsreichen Landes kann unmöglich auf wenigen Seiten dargestellt werden, für die Thüringer Geschichte bräuchte man ein ganzes Bücherregal, zumindest aber einen Wälzer, dessen Buchrücken so breit ist wie die Thüringer Rostbratwurst lang. Verzeihen Sie, wenn wir grob kürzen, wir müssen uns auf wenige Ereignisse beschränken. Allen Geschichtsinteressierten aber sei versprochen: Über das Buch verstreut wird manches Wissenswerte zur Historie Thüringens ergänzt werden.

Wann ging es los mit den Thüringern? Um 400 wurden die Toringi durch Flavius Vegetius Renatus, einen Angehörigen des römischen Kaiserhofes, erstmals erwähnt, interessanterweise war der Mann ein früher Tierarzt. Der Stamm der Thüringer hatte sich vermutlich durch Zusammenschluss verschiedener germanischer Gruppen gebildet, von denen die Angeln und Warnen die bekanntesten sind. 531 schaute man besorgt nach Westen und grub tiefe Löcher an den Ufern der Unstrut, die man mithilfe von Grasmatten in Fallen verwandelte. Dennoch musste man sich den eindringenden Franken geschlagen geben. Kein gutes Jahr für Thüringen. Nicht nur, dass man seine Freiheit verloren hatte, man musste auch noch einen jährlichen Schweinezins in Höhe von 500 Tieren entrichten, und zwar bis zum Jahr 1002. Außerdem war die Landkarte umzuschreiben. Man hieß nicht mehr Thüringen, sondern war Teil von Austrasien.

Auch als Austrasier hielten die Thüringer Wodan & Co die Treue, als aber 724 Bonifatius ins Land kam und eine Eiche nach der anderen fällte, ohne dass der Himmel dagegen protestierte, begann man sich auch in Thüringen religiös umzuorientieren, zumal Bonifatius dem Land mit Erfurt 742 ein eigenes Bistum stiftete. Das war schon was. Kaum geschaffen allerdings, wurde das Bistum schon wieder aufgelöst und die frischgetauften Thüringer mussten bis zum Zusammenfluss von Rhein und Main pilgern, wenn sie einen Domgottesdienst besuchen wollten: Thüringen wurde dem Bischof von Mainz unterstellt, das Mainzer Rad im Wappen von Erfurt zeugt noch heute davon.

Ärger kam nicht nur von Westen, Ärger kam auch von Osten. Den Slawen gefiel das schöne Land ebenfalls, sie griffen zu den Waffen und sicherten sich ein paar hübsche Siedlungsorte. Als es mit den Franken bergab ging und die Karolinger ausstarben (918/919), durften sich die Sachsen über das schöne Thüringen freuen. König Heinrich I. verteidigte seinen neuen Besitz mit Zähnen und Klauen und besiegte 933 die vordringenden Ungarn an der Unstrut. Um jedem, dem es nach Thüringen gelüstete, die Lust an einem Kriegszug zu verderben, ließ er viele Burgen bauen, vor allem im Osten entlang der Saale.

Für die Entwicklung einer echten Thüringer Identität war die Gründung der Landgrafenschaft von zentraler Bedeutung. 1130 erhielten die Ludwigs (vornehmer: Ludowinger) den Titel des Landgrafen von Thüringen. Durch eine geschickte Politik, zu der auch das Heiraten gehörte, vergrößerten sie das Land stetig. Nirgends war das Mittelalter mittelalterlicher als in Thüringen. Edle Männer und Frauen trafen sich auf der Wartburg, der Residenz des Landesfürsten, und veranstalteten dort einen Song-Contest, während sich die Heilige Elisabeth um Arme und Kranke kümmerte und zur Mutter Teresa des Mittelalters wurde. Der letzte Ludowinger war Heinrich Raspe, er brachte es sogar zum Gegenkönig. Weil er 1247 kinderlos starb, stritten sich die Verwandten um das Erbe. Gewinner war Heinrich der Erlauchte aus Meißen, an dessen Markgrafschaft Thüringen fiel.

Von nun an hatten die Wettiner das Sagen, eines der ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands. Doch Alter schützt vor Torheit nicht. Auch die Wettiner waren sich nicht immer grün. 1485 teilte Ernst das Land in zwei Teile und hielt sie seinem Bruder Albert hin. Albert wählte Sachsen und Ernst durfte sich über das schöne Thüringen freuen. Und weil man schon einmal beim Teilen war, machte man kräftig weiter. Jede neue Fürstengeneration setzte das Tortenmesser an und schnitt sich einen Teil aus dem Erbe heraus. Keine andere Landschaft in Deutschland wurde auf diese Weise zersplittert, selbst erfahrene Oberstudienräte verlieren hier verzweifelt den Überblick.

Zersplittert wurde auch die religiöse Landschaft. Vom Zentrum der Reformation verbreitete sich die neue Lehre rasch, die Ernestiner hielten Martin Luther die Treue, während ihre sächsischen Vettern noch ein Weilchen beim alten Glauben blieben. Eine Reformation hielten auch die benachteiligten Bevölkerungsschichten für nötig, die Bauern vor allem. Unter der Führung von Thomas Müntzer kam es 1525 zu Aufständen, vor allem in Mühlhausen und Frankenhausen, die blutig niedergeschlagen wurden. Unruhige Zeiten. Die Ausbreitung des evangelischen Glaubens sah der Kaiser mit Sorge. In Schmalkalden schlossen sich die protestantischen Fürsten und Reichsstädte zu einem Bund zusammen. Auf den Schmalkaldischen Bund folgte der Schmalkaldische Krieg, der erste deutsche Religionskrieg, mit schlimmen Folgen für Land und Leute. Die Protestanten wurden besiegt und die Ernestiner verloren das Recht, den Kaiser zu wählen. Friedrich aber verlor nicht den Mut und gründete 1558 in Jena eine neue Landesuniversität, weshalb er seinen Ehrentitel »der Großmütige« zu Recht trägt. Thüringen wurde zu einem Kernland des protestantischen Glaubens. Ganz Thüringen? Nicht das Eichsfeld! Es wurde ab 1575 wieder katholisch.

Der Dreißigjährige Krieg traf Thüringen hart, besonders die Gegend um Saalfeld, wo sich 1640 heftige Schlachten zutrugen, und auch das Altenburger Land, Durchmarschgebiet vieler Truppen. Nur langsam fing man an, sich von den Kriegsschrecken zu erholen, dann aber begann eine segensreiche Periode, die Thüringen in den Mittelpunkt der kulturellen Welt rücken sollte: 1775 wurde ein junger Frankfurter an den Weimarer Hof gerufen, Johann Wolfgang von Goethe. Die Zeit der Weimarer Klassik brach an. Friedrich Schiller hielt 1789 in Jena seine Antrittsvorlesung, liberales Denken, der Einsatz für das Gute, Schöne und Wahre begeisterte die Jugend. Wer immer konnte, brach nach Weimar auf, um die Sonne strahlen zu sehen. Aber auch in den anderen Thüringer Staaten begann ein Wetteifern im Bereich der Kunst und Kultur. Die Theater in Meiningen und Gotha, die Orchester, die prunkvollen Barockschlösser: eine Pracht, wie sie selten war.

Mit Napoleon kam erneut der Krieg ins Land, mit seiner Niederlage die Restauration. Zuvor hatte der große Korse, der 1806 bei Jena und Auerstedt die Preußen besiegte, noch dafür gesorgt, dass Letztere ihre Hand nach Thüringen ausstrecken konnten. Über Erfurt, dem Eichsfeld, Nordhausen und Mühlhausen wehte zum Verdruss vieler Thüringer nun der Preußische Adler, ab 1815 zudem über den ehemals albertinischen Gebieten und rings um Schleusingen. 1817 forderten deutsche Burschenschaftler auf der Wartburg politische Freiheiten und die Einheit der Nation. Die Einheit der Nation kam 1871 mit Kaiser Wilhelm, auf die politischen Freiheiten aber musste man bis zum Ende des nächsten großen Krieges warten. Mitten in Thüringen, in Weimar, gab sich die junge deutsche Republik 1919 ihre Verfassung und die schwarz-rot-goldene Flagge konnte gehisst werden. Unter dem Jubel der Bevölkerung zeigte sich der erste Reichspräsident Ebert auf dem Balkon des Deutschen Nationaltheaters.

Ein Jahr zuvor hatten sich schon die vielen Thüringer Staaten eine Verfassung gegeben, 1920 vereinigten sie sich zum Freistaat Thüringen. Nur die Coburger wollten nicht und schlossen sich Bayern an. Weil Erfurt preußisch blieb, machte man Weimar zur Landeshauptstadt. 1923 marschierte die Reichswehr in Thüringen ein, ging doch in Berlin die Sorge um, das Thüringer Bündnis aus SPD und KPD plane die Revolution. Die Konsequenz: Gustav Stresemann wurde durch ein Misstrauensvotum abgelöst. 1930 kamen die Nazis in Thüringen an die Macht, 1933 in ganz Deutschland. Eine dunkle Stunde auch für Thüringen: Das Land wurde gleichgeschaltet und faktisch aufgelöst, Oppositionelle, Gewerkschafter, Juden, Roma und Sinti sowie Homosexuelle in die KZs gesteckt, Millionen Menschen dort umgebracht. Gleichzeitig kam der Krieg und mit dem Krieg die Bomben. Besonders schlimm traf es das arme Nordhausen, aber auch in Eisenach, Weimar, Erfurt, Jena und Gera sowie in vielen kleineren Städten und Dörfern explodierten Bomben und Granaten. Im Frühjahr 1945 rückten die Amerikaner ein, machten aber den schweren Fehler, das schöne Land den Russen zu überlassen.

1949 wurde Thüringen als eines der Länder der DDR reanimiert, vier Jahre später aber bereits wieder abgeschafft und durch drei Bezirke ersetzt. 1952 begann die »Aktion Ungeziefer«. Thüringer, die vom Regime als politisch unzuverlässig eingeordnet wurden, wurden aus dem Grenzgebiet zum Westen zwangsumgesiedelt. 1953 beteiligten sich 24.000 Thüringer Arbeiter am Volksaufstand, sowjetische Truppen schlugen ihn nieder. 1961 erfolgte dann der Bau der antifaschistischen Schutzwälle. Thüringen war besonders betroffen, hatte es doch den größten Anteil an der innerdeutschen Grenze. Ganze Dörfer wurden abgerissen, das kleine Mödlareuth durch die Grenzanlagen sogar in zwei Hälften geteilt. Thüringen hatte endgültig seine Freiheit verloren. 1970 erschallten begeisterte Rufe in Erfurt: »Willy, Willy!« Willy Brandt erschien am Fenster seines Hotels und grüßte zurück. Staatsratsvorsitzender Stoph war pikiert. Hatten die Rufe nicht ihm gegolten? Er hieß doch ebenfalls Willi.

1989 begannen auch in Thüringen die Massendemonstrationen. »Wir sind das Volk!« und »Wir sind ein Volk«, riefen die Menschen. Das Wunder geschah, es fiel kein Schuss. Deutschland wurde wiedervereinigt. Neben der langersehnten Freiheit erhielten die Thüringer auch ihren Freistaat zurück und damit endlich wieder das Recht, über viele ihrer Geschicke selbst bestimmen zu können. Über die künftige Landeshauptstadt stimmte man ab: vier Abgeordnete stimmten für Jena, zehn für Gera, 25 für Weimar und 49 für Erfurt. Helmut Kohl versprach blühende Landschaften auch für Thüringen. Es dauerte etwas länger, als von Kohl gedacht, heute blüht es in Thüringen dafür umso schöner.

Das Landeswappen

 

»Moment mal, das ist doch der hessische Löwe!«, haben wir es schon rufen hören. Tatsächlich kann man die beiden Katzen verwechseln, kein Wunder, stammen sie doch aus dem gleichen Gehege. Als die Thüringer nach dem thüringisch-hessischen Erbfolgekrieg die Hessen in die Selbstständigkeit entließen (1264/65), schenkten sie ihnen zur Erinnerung an die gemeinsamen Zeiten den Löwen als Wappentier. Beide Löwen spazieren als stolze Zweibeiner und gestreift wie ein Zebra über das jeweilige Landeswappen, dennoch gibt es ein paar kleine, aber feine Unterschiede. Während der hessische Leu silbern-rot gestreift ist, sind die Streifen seines Thüringer Kollegen rot-silbern. Silbern-rot, rot-silbern, ist doch gehupft wie gesprungen, sagen Sie? Nicht für einen Heraldiker! Als Erstes wird nämlich stets die oberste Farbe genannt und die ist in Thüringen rot und nicht silbern. Zweiter Unterschied: Der Thüringer Löwe trägt stolz eine Krone auf dem Haupt, in Hessen ist sein Haupt ungekrönt. Drittes und vielleicht auffälligstes Unterscheidungskriterium: Den Thüringer Löwen umschweben helle Sterne, acht an der Zahl.

Was hat es mit diesen Sternen auf sich? Als es nach dem Ersten Weltkrieg mit der deutschen Monarchie zu Ende ging und man einen repu­blikanischen Aufbruch wagen wollte, suchte man für Thüringen ein neues Wappen. Der Löwe, der König der Tiere, erschien nicht mehr zeitgemäß, man entschied sich für sieben silberne Sterne auf rotem Grund. Die sieben Sterne symbolisieren die sieben Gründungsstaaten: Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Gotha, Sachsen-Altenburg, Volksstaat Reuß, Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt. Schon damals hätte es fast einen achten Stern gegeben, Sachsen-Coburg aber machte sich nichts aus Sternen und wollte lieber unter die bayerischen Rauten schlüpfen. Als 1933 die Nazis das Zepter übernahmen, gingen alle Sterne unter, erinnerten sie die neuen Machthaber doch zu sehr an Davidsterne. Stattdessen schuf man ein überladenes neues Wappen, das aufgrund seines Artenreichtums – neben dem wiederbelebten Thüringer und dem reußischen Löwen flatterten der Schwarzburger Adler und die Henneberger Henne durch das Bild – spöttisch »Thüringer Tiergarten« genannt wurde. Das schlimmste Accessoire aber war ein Hakenkreuz in der Pranke des zentralen Löwen. 1945 wird das arme Tier viel Seife gebraucht haben, um die Schmach wieder abzuwaschen, dann erst traute er sich wieder in sein Wappen zurück. Ob er es mit der Reinigung übertrieben hat? Mit dem Hakenkreuz waren auch die Streifen verschwunden, dafür leuchtete er jetzt gülden auf rotem Grund. Und nicht nur das: Wie durch ein Wunder waren die Sterne wieder aufgegangen, alle sieben, vermehrt um einen achten, der für die neu hinzugekommenen, ehemals preußischen Gebiete Thüringens steht, da­runter Erfurt und Schmalkalden.

Richtig schlimm wurde es für den Thüringer Löwen im Jahr 1952. Da verschwand er völlig in der Versenkung. Selbstständige Länder brauchte es in der DDR nicht, fand die SED, und wenn es keine Länder brauchte, dann auch keine Länderwappen. Zum Glück aber befreite man den Löwen knapp 40 Jahre später wieder aus seiner Grube. Mit der Wiedervereinigung 1990 wurden zugleich die östlichen Bundesländer neu geschaffen. Das aktuelle Wappen orientiert sich am Wappen von 1952, nur dass man den Löwen erneut mit Zebrastreifen versehen hat. Stolz schreitet er seitdem wieder einher, lustig an einem Stern schleckend und drei weitere mit seinem Schweif umspielend.

Wer den ältesten Thüringer Löwen besuchen will, der muss sich nach Marburg begeben. Im dortigen Schloss befindet sich das Wappenschild des Landgrafen Konrad von Thüringen aus dem 13. Jahrhundert. Konrad war ein Schwager der Heiligen Elisabeth von Thüringen, von der noch zu sprechen sein wird. In Marburg hat er den Bau der wunderschönen Elisabethkirche kräftig gefördert, den ersten rein gotischen Kirchenbau in Deutschland. Warum ein Löwe für das Thüringer Wappen das passende Tier ist, davon wird im nächsten Kapitel berichtet.

Wer war der allererste Thüringer?

Ein so reizvolles und fruchtbares Land wie Thüringen hatte natürlich schon immer seine Verehrer. Kein Wunder also, dass man tief unter der Erde Siedlungsspuren aus uralten Zeiten gefunden hat. Besonders vielfältig sind die Funde im ehemaligen Steinbruch »Steinrinne«, anderthalb Kilometer südlich von Bilzingsleben am Rande des Wippertals gelegen, ganz im Norden des Freistaats. Unweit vom Kyffhäuser, fast in Blickweite von Kaiser Rotbart, haben Bäche und Sickerwässer den an den Rändern des Thüringer Beckens so reichlich vorhandenen Muschelkalk gelöst und ihn schützend über fast 400.000 Jahre alte Gräber gegossen. Eine bessere Konservierung lässt sich nicht denken. Als die Steinbrucharbeiter bei der Gewinnung des hübschen Tuffsteins in die Tiefe vordrangen, kamen die alten Knochen wieder ans Licht. Man verpackte sie und schickte sie an einen ausgewiesenen Experten nach Prag. Professor Emanuel Vlček staunte nicht schlecht, als er das Paket öffnete: Der Homo erectus bilzingslebensis lag darin, ein früher Vorfahr sowohl des modernen Menschen als auch des Neandertalers.

Wie haben wir uns den ersten Thüringer vorzustellen? Eine Rekonstruktion ergab, er muss einen elegant länglichen Schädel besessen haben, von einem Dickkopf kann nicht gesprochen werden! Starke Einschnürungen hinter den Augen gaben ihm einen markanten Blick. Auffällig ist ein mächtiger Querwulst am Hinterhaupt, der für einen harten Nacken spricht. Harter Nacken – was fällt Ihnen dazu ein? Denken Sie an das entsprechende Adverb! Hartnäckig, so war er und so ist er, der echte Thüringer, man erkennt ihn doch gleich wieder. Praktisch war in der damaligen Warmzeit der durchgehende Überaugenwulst. Der Ur-Thüringer brauchte nicht schützend die Hand vor die Stirn zu halten, wenn die Steinzeitsonne niederbrannte, er verfügte sozusagen über eine eingebaute Schirmmütze.

Hochinteressant sind Vergleiche mit Knochen weit entfernter Fundstätten. Sie beweisen die Weltoffenheit des wahren Thüringers, die verwandtschaftlichen Beziehungen sind verblüffend. So lebte ein Onkel in Tansania, in der dortigen Olduvai-Schlucht könnte er einen Straßenimbiss betrieben haben. Auch nach China führt eine Spur, der Unterkiefer des Bilzingslebeners ist mit dem des Peking-Menschen bis zum hintersten Backenzahn identisch. Und selbst auf Java lebten Verwandte des frühen Thüringers. Er muss ein echter Global Player gewesen sein. Wir wissen aber noch viel mehr über ihn. Zahlreiche weitere Funde in der Bilzingslebener »Steinrinne« fügten sich zu einem Puzzle zusammen, durch das man sich ein anschauliches Bild von Umwelt und Alltag des Homo erectus bilzingslebensis machen kann.

Wie sah es damals, vor 400.000 Jahren, im Thüringer Becken aus? Wo sich heute Wiesen und Felder erstrecken, wo sich die A 4 durchs Land zieht und kulturinteressierte Bürger aus aller Welt auf Goethes Spuren wandeln, erstreckten sich lichte Wälder aus Eichen und Hainbuchen, aber auch Hasel und Buchsbaum gediehen aufs Beste. Gefräßige Tiere sorgten dafür, dass die Bäume nicht in den Himmel wuchsen, und versteppten weite Gebiete. Der Waldelefant ist hier zu nennen, der bis zu einer Größe von sechs Metern heranwachsende Urzeitriese, das Steppennashorn auch, das mit ungestümem Lauf die Erde erbeben ließ, ferner Herden von Steppenbisons, die erschrocken auseinanderstoben, wenn sich der Höhlenlöwe zeigte. Sauerampfer, Farne und Süßgräser ergänzten ihre Speisekarte. Riesenhirsche, Bären, Wölfe tummelten sich zusammen mit den Vorfahren der heutigen Wildtiere in Wald und Steppe und sogar der seltene Makak, die scheue Meerkatze mit dem menschenähnlichen Blick, schwang sich behänd von Ast zu Ast.

In diesem abenteuerlichen Land lebte er, der Homo erectus bilzingslebensis, nicht als wilder Höhlenmensch, sondern bereits höchst zivilisiert, wie es sich für einen Thüringer gehört. Aus den Spuren im Steinbruch ließen sich drei Wohnbauten rekonstruieren, vermutlich zeltartige Stangenkonstruktionen von vier bis fünf Metern Durchmesser, und sogar ein sorgfältig mit Knochen und Steinen gepflasterter Dorfplatz fand sich, von dem ein ebenfalls gepflasterter Weg zu einem Amboss aus Travertin führte. Im Nordosten des Platzes war eine Feuerstelle angelegt. Kein Zweifel, schon der frühe Thüringer liebte die Geselligkeit. Ob allerdings damals schon die gute Thüringer Rostbratwurst, vielleicht aus Büffelfleisch, auf dem Grill brutzelte, konnten uns die Archäologen leider nicht verraten. Versteinerte Wurstzipfel wurden bislang nicht gefunden, dafür jede Menge Werkzeuge, welche vom Fleiß des frühen Thüringers erzählen, aus Feuerstein gefertigte Spezialklingen, gespaltene Knochen von Großsäugern, die als Schaber oder Hobel dienten, Hacken aus Geweihen, Speere aus Holz. Elefantenknochen zeigen, dass der Ur-Thüringer bereits auf Großwildjagd gegangen ist (die Elefantenjagd ist damals im Thüringer Becken noch erlaubt gewesen, das Erfurter Umweltministerium konnte mangels Existenz noch kein Veto einlegen). All die Funde beweisen, dass die frühen Bilzingslebener gut organisiert und einfallsreich gewesen sind, auch frühe Kunstgegenstände fanden sich, was keinen wundert, der Thüringen kennt. Die Wissenschaftler vermuten, der Homo erectus bilzingslebensis sei bereits der Sprache mächtig gewesen. Ob allerdings vor 400.000 Jahren schon das schöne Thüringisch beim Herdfeuer erklang, darüber lässt sich nur spekulieren. No!

Tipp: In der Nähe der Ausgrabungsstätte steht das schicke Museum »Steinrinne Bilzingsleben«, wo man Exponate bewundern und sich über das Leben des ersten bekannten Thüringers informieren kann. Auch im Süden des Thüringer Beckens fanden sich Siedlungsspuren. In den Travertin-Steinbrüchen des Ilmtals am Rande von Ehringsdorf, heute ein Ortsteil von Weimar, fand man 1908 die Reste von sieben Urmenschen. Im Weimarer Museum für Ur- und Frühgeschichte ist unter anderem die fast vollständig erhaltene Schädelkalotte einer hübschen Steinzeitdame ausgestellt.

Kleine Dialektkunde

Im Grunde gibt es nur ein kleines Kerngebiet, wo »reines« Thüringisch gesprochen wird, die Gegend um Erfurt, Gotha und Ilmenau, überall sonst dominieren die Übergänge. Im Westen mischt sich Hessisches, im Süden Fränkisches, im Osten Sächsisches, im Nordwesten Niederdeutsches, also annähernd reines Hochdeutsch, mit hinein. Das macht die Dialekte in Thüringen vielfältig und kompliziert, zumal sich auch, bedingt durch die historische Zersplitterung, in den Kerngebieten der Dialekt von Ort zu Ort unterscheiden kann. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten, das »Ü«, das zu einem »I« wird, oder die Vorliebe, harte Konsonanten wie das »P« oder das »T« zu verweichlichen. Die Betonung ist oft singend, der Satzaufbau melodiös: »Goodsches Bier i unarreichd: Zweie weern gedrungkn un viere geseichd.« (Gothaer Bier ist unerreicht: Zwei werden getrunken und vier ausgeschieden.)

Der Nordthüringer, etwa ein Sondershäuser, macht gerne aus dem »G« am Anfang eines Wortes ein »J« und aus dem »g« am Ende ein »gk«. Will der Mann etwas über den Durst trinken, kann es sein, dass ihm seine Frau das Bier aus der Hand nimmt mit dem Kommentar: »Du häst nune jenungk jesoffen.« Der thüringische Asterix, der ein Nordthüringer sein muss, beginnt so: »Mir sin im Johre fuffzig vor Christussn. Ganz Gallien is von Römern belogert. Ganz Gallien? Nichoch! En von weederspentchen Galliern bevölkertes Dorf hört nich uff und leistet den Eroberern Wedderstand.«

Selbst in Fränkisch-Thüringen unterscheidet sich die Mundart von Dorf zu Dorf. Der Spaß, sich der Länge nach den Berg runterrollen zu lassen, ein beliebtes Kinderspiel in dem hügeligen Land, heißt in Steinach etwa »Bollerleiten«, im benachbarten Neuhaus »Kulperfassler« und in Lauscha »Wälgerholz« (Nudelholz). Bittet ein verliebter Jüngling aus Lauscha seine Freundin aus Sonneberg, sie möge sich doch bitte »ozieh«, so sollte sie nicht zu ihrem Mantel greifen. Er hat sich doch genau das Gegenteil gewünscht, nämlich das Ablegen der Kleider. Hätte er »anziehen« gemeint, hätte er »ohzieh« gesagt. Alles klar?

In manchen Gegenden Thüringens verstehen die Leute zudem auf wundervolle Weise die Kunst der Verknappung. Warum auch viele Worte machen, wenn es doch kurz und bündig geht, zumal bei der täglichen Routinekonversation.

Treffen sich zwei Lappenhöger:

»Wiän?«

»Su hin.«

Damit ist alles gesagt.

Von Helden und Opfern

Helden werden in schweren Zeiten geboren. Deshalb sind manche Geschichten dieses Kapitels keine leichte Kost. Gerade darum aber dürfen sie in diesem Buch nicht fehlen, ist es doch eine notwendige Verpflichtung, auch an die düsteren Zeiten zu erinnern, will man der Geschichte gerecht werden. Umso leuchtender treten die Taten der mutigen Thüringer hervor, die mit bewundernswertem Mut Menschlichkeit bewiesen haben. Sie sollen stellvertretend für all die anderen stehen, deren Namen nicht genannt werden können.

Johann Matthäus Meyfart

Sein Geburtsdatum kennen wir: Es ist der 9. November 1590. Sein Geburtsort allerdings ist umstritten. Die einen sagen, es muss Jena gewesen sein, wo er aufgewachsen ist, andere vermuten, er habe bei Waltershausen das Licht der Welt erblickt. Unstrittig ist, dass Johann Matthäus Meyfart ein waschechter Thüringer war. Die Schule besuchte er in Gotha, 1608 begann er in Jena zu studieren, wechselte 1614 nach Wittenberg, um sich der Theologie zuzuwenden. Nach dem Studium arbeitete er eine Zeit lang als Lehrgehilfe in Jena, dann als Lehrer am Casimirianum, dem bedeutenden Gymnasium von Coburg, an dem er 1623 zum Rektor berufen wurde.

Es war eine bewegte Zeit. Ein großer Krieg war ausgebrochen, der 30 Jahre dauern sollte, zudem herrschte ein Klima der Angst und der Denunziationen. Überall wurde Teufelswerk gewittert, wurden Nachbarn, Freunde, Verwandte der Hexerei bezichtigt. Nicht nur die katholische Kirche, selbst Luther und Calvin hatten heftig gegen die Hexerei gewettert und unnachgiebiges Vorgehen gegen jeden Verdächtigen gefordert. Auch in Coburg kam es zu Hexenprozessen. Als Margareta Ramhold, die Stiefgroßmutter von Meyfarts Frau, beschuldigt wurde, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, forderte man Meyfart auf, ein Gutachten über die Angeklagte zu verfassen. Das Gutachten kennen wir nicht, wohl aber, was mit Margareta Ramhold passierte: Sie wurde gefoltert, für schuldig befunden und hingerichtet.

Dieses Ereignis scheint ein Wendepunkt für Meyfart gewesen zu sein. Von Schuldgefühlen geplagt, änderte er seine Meinung zu den Hexenprozessen, und zwar in einer solch radikalen Weise, dass es ihn dazu drängte, eine flammende Schrift gegen dieses Unrecht zu verfassen, die »Christliche Erinnerung, An Gewaltige Regenten und Gewissenhafte Praedicanten, wie das abscheuliche Laster der Hexerey mit Ernst auszurotten, aber in Verfolgung desselbigen auff Cantzeln und in Gerichtshaeusern sehr bescheidentlich zu handeln sey«.

Schon damals kursierte mit der »Cautio criminalis« eine Verurteilung des Hexenwahns, deren Verfasser aber, der Jesuitenpater Friedrich Spee, blieb lange unbekannt, die Schrift war anonym erschienen, aus gutem Grund, denn mit einer solchen Kritik konnte man leicht selbst zum Opfer werden. Anders Johann Matthäus Meyfart: Er zeichnete seine Abrechnung mit vollem Namen und machte sich dadurch bei der Obrigkeit und vielen Amtsbrüdern äußerst unbeliebt, ja, keine Druckerei traute sich, die Abhandlung zu drucken. Erst nachdem Johann Meyfart Coburg verließ, wo man ihm das Leben zunehmend schwergemacht hatte, kam es zum Druck, denn als neu ernannter Rektor der Universität Erfurt war er zugleich sein eigener Zensor.

Unnachgiebig, mit einer an Luther erinnernden Sprache ging er mit den Hexenprozessen, besonders mit dem Übel der Folter, ins Gericht: »Ist denn der Leib des Menschen so ein schlechtes Geschöpf, etwa wie ein Saustall? Dass er ohne Bedenken leichtlich zu verstören und Ihr dazu raten dürftet?« Scharf prangerte er die Richter an, besonders auch seine Priesterkollegen, die von der Kanzel das Unrecht zu Recht erklärten. Hexenprozesse würden nur neue Hexen schaffen, so viele Unschuldige klage man an, sie würden ohne fairen Prozess, ohne Anwalt, ohne Möglichkeit der Akteneinsicht verurteilt, Geständnisse würden mit Daumenschrauben und Streckbänken erpresst. »Ich erzittere fast in meinen Gliedern, wann ich in meinem Sinnen heimlich nachforsche, wie doch einem armen Manne oder Weibe, das in ihrem Gewissen der Unschuld versichert ist, zu Gemüte sei.« Der mutige Thüringer ging in die Offensive, beschuldigte seinerseits Richter und Folterknechte, die wahren Handlanger des Teufels zu sein. Das Buch erschien 1635 in Erfurt. Allerdings traute sich über 60 Jahre kein Verlag, eine weitere Auflage zu drucken.

Hat Johann Matthäus Meyfart etwas verändern können? Hat er durch seinen Mut Menschen vor der Verhaftung, der Folter, der Hinrichtung bewahrt? Man kann es nicht in Zahlen fassen. Sicherlich aber hat er die Entwicklung beschleunigt, dem Hexenwahn entgegenzuwirken. Den größten Mut hat er vielleicht dadurch bewiesen, sich selbst nicht geschont zu haben, sondern seine früheren Fehler unerschrocken und ohne Rücksicht auf sich selbst benannt zu haben. Er bekannte, das traurige Spektakel der Hinrichtung von Margareta Ramhold mit angesehen zu haben, und er würde gerne auf 1.000 Taler verzichten, wenn er die Erinnerung daran aus seinem Gedächtnis verbannen könnte.