Unter Eskimos und Walfischfängern - Kurt Faber - E-Book

Unter Eskimos und Walfischfängern E-Book

Kurt Faber

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Beschreibung

Faber wanderte durch die Welt nicht eigentlich um des Wissens von der Welt willen, auch nicht um sie zu beschreiben. Er schaute um des Schauens, er lief um des Laufens, erlebte, um des Erlebens willen - er war ein richtiger deutscher Weltenwanderer.

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Unter Eskimos und Walfischfängern

Kurt Faber

Inhalt:

Kurt Faber – Biografie und Bibliografie

Unter Eskimos und Walfischfängern

Zum Geleit

Im »Blauen Anker«

Auf See

Im Beringmeer

Der erste Walfisch

Durch die Beringstraße

Ein Fluchtversuch

Weiter nach Norden

Banksland

Winternacht auf der Herschelinsel

Die Sonnenwende

Wieder in den Walfischgründen

Eine denkwürdige Begegnung

Das Hungerjahr

Mit Roxys Karawane

Auf Amundsens Spuren

Des Teufels Paradies

Auf dem Mackenzie

Im Wilden Westen

Wieder in San Franzisko

Unter Eskimos und Walfischfängern, K. Faber

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849653026

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Kurt Faber – Biografie und Bibliografie

Deutscher Abenteuer- und Reiseschriftstellers, geboren am 6. Dezember 1883 in Mulhouse (heute Frankreich), verstorben im Winter 1929 am Großen Sklavensee in Kanada. Sohn eines Lehrers. Verbrachte seine Jugend in Lambrecht in der Pfalz. Brach die Schule und später auch eine Ausbildung zum Buchhändler ab, um auf Reise gehen zu können. Arbeitete unter anderem mehrere Jahre auf einem Walfänger, der im Nordmeer einfror. F. konnte sich nur retten indem er mit Hilfe von Eskimos zu Fuß mehrere tausend Kilometer nach Edmonton lief. Spätere Reisen führten in mehrfach in die USA, Australien oder Südamerika. Nachdem er das Abitur nachgeholt hatte, promovierte er sogar in Politikwissenschaften. F. erfror am Großen Sklavensee nach einem heftigen Kälteeinbruch.

Wichtige Werke:

Unter Eskimos und Walfischfängern, 1916Dem Glücke nach durch Südamerika, 1919Rund um die Erde, 1924Tage und Nächte in Urwald und Sierra, 1926Mit dem Rucksack nach Indien, 1927Die Seelenverkäufer, 1927Tausend und ein Abenteuer, 1929Das Gold am Krähenfluß, 1931Im wildesten Patagonien, 1932Mit dem Rucksack durch Persien, 1932Ewig auf Wanderschaft, 1939Als Landstreicher durch Australien, 1943

Unter Eskimos und Walfischfängern

Eismeerfahrten eines jungen Deutschen

Zum Geleit

Im Jahre von Kurt Fabers Hingang hörte ich in San Francisco zum erstenmale von ihm sprechen.

San Francisco, wo sich der Ausreißer fünfundzwanzig Jahre früher für ein Schiff anheuern ließ, das Wale schießen wollte im Meere nördlich von Amerika, wurde für ihn Schicksalsort. Denn dort entschied er sich, halb zufällig, halb gezwungen, für eine Reise, die, mochte sie die wohl schwersten Erfahrungen seiner Reisen und Fahrten in sich begreifen – dieses Buch berichtet davon –, trotz und vielleicht wegen dieser furchtbaren Erlebnisse nach einer Wiederholung verlangte: er kehrte, wie von einer inneren Stimme gerufen, in die auf dieser ersten Reise gequerten kalten Weiten Kanadas zurück, wo ihn im Schnee der Tod ereilte. Sein Schicksal bereitete sich dort vor in der Zeit, in der ich von ihm als einem unermüdlichen und kühnen deutschen Abenteurer an jenem südlicheren Orte bewundernd reden hörte.

Was bewundert man? Einfaches. Den frühen Drang und Zwang, sich loszumachen aus den überfeinerten Verhältnissen unseres Lebens. Die Kühnheit, ohne Mittel davonzulaufen, unterzutauchen in die Welt der Bedürfnislosen. Die Fähigkeit, allein zu wandern, Weltwanderer zu sein mit dem Rucksack. Das Aushalten und die Unermüdlichkeit – die Treue zum Wanderstabe!

In einem solchen Menschen muß die Kraft des Willens ebenso groß sein wie die des Gemütes und die des Geistes, soll er Bewunderung seiner Eigenart erregen. Es darf auch keine von ihnen überragen. Denn möchten etwa Gemüt und Einbildungskraft sich vordrängen, so könnte ein Dichter entstehen, der sich fragen würde: Warum soviel des Aufwands, da ich im Einmal das Vielemal, im Geahnten die Fülle des Wirklichen sehe? Und würde das Geistige und Erkennerische sich im Vordergrunde finden, so möchte jemand sagen: Wurde das Wissensbedürfnis zufriedengestellt? Das Willentliche allein aber wäre im Nur-Sportlichen steckengeblieben, wofür wir nur begrenzte Anteilnahme aufbringen.

Hier aber steht ein Mann, ein Mensch, ein Deutscher vor uns. Er war nicht eigentlich ein Geograph, aber doch soviel, um die Welt richtig und nüchtern anzusehen. Kein Dichter, aber doch genug, um lebhaft zu empfinden und das Empfundene wiederzugeben. Im übrigen ein Mann, der Gefahren suchte und ihnen trotzte, ein Deutscher, der jenes uns gegebene Einmalige und ein wenig Unheimliche, an dem wir alle glücklich leiden, hatte: Weltunruhe, Wanderlust – und wir bedenken, daß »the Wanderlust« im Englischen Fremdwort und Fremdsache ist.

Der Mann wanderte durch die Welt nicht eigentlich um des Wissens von der Welt willen, auch nicht um sie zu beschreiben. Er schaute um des Schauens, er lief um des Laufens, erlebte, um des Erlebens willen – er war ein richtiger deutscher Weltläufer.

Und als solcher drückte er sich aus! Man lese daraufhin dieses Buch. Es ist toll und unheimlich in seinem Geschehen, das Schiff, auf dem es vorwiegend spielt, ist ein modernes Sklavenschiff, das geschilderte Stück Leben ist furchtbar. Daß dem Wanderer trotz den schrecklichen Erlebnissen dieser Reise nicht die Lust am Reisen und Wandern verging, beweist, daß er ein echter Wanderer war.

Josef Ponten

Im »Blauen Anker«

Das sonnige Kalifornien und seine unerfüllten Versprechungen. – Eine verlockende Zeitungsanzeige. – Die Barbarenküste. – Mr. Murray, der geschäftstüchtige Gastwirt. – Die verhängnisvolle Unterschrift. – Ankunft an Bord des »Bowhead«. – Böse Ahnungen.

Wie ich unter die Walfischfänger geraten bin? Ganz einfach »auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege«.

»Greenhands gesucht für Walfischfänger.«

So stand – es war Frühjahr 1903 – in einer verborgenen Ecke der langen Anzeigenkolonne des »San Francisco Examiner« zu lesen. Ich überlegte. Greenhand? Das klang ja beinahe wie Grünhorn! Hier wurde also auf eine Persönlichkeit reflektiert, die durch keinerlei Vorkenntnisse auf dem Gebiete des Walfischfangs belastet war. Ja, wenn's weiter nichts ist! Den Anforderungen könntest du schon entsprechen.

Nur einen Augenblick verweilte ich bei dem Gedanken, dann eilten die Augen geschäftig weiter über die Anzeigenreihen nach einer Stelle als farmhand, Obstpflücker, Holzfäller, Hausknecht – was tut so ein junger Taugenichts nicht alles in Amerika!

So also sah er aus, der vielgerühmte, goldene Westen! Ach, was hatte ich mir von dem Lande versprochen, als ich vor kaum vierzehn Tagen durch die Wüsten von Arizona und Neu-Mexiko nach Westen »machte«! Bei jedem Tramp, der entlang des Schienenstrangs von dorther kam, hatte ich Erkundigungen eingezogen. Und wie hatten sie mir es geschildert mit der ganzen Farbenfreudigkeit einer glühenden Vagabundenphantasie als ein Land, in dem die Sonne niemals müde wird und die Dollars kein Ende nehmen! Und dann erst »Frisko«! Für zehn Cents könnte man dort in den japanischen Speisehäusern eine Mahlzeit bekommen, und zwar keine von den Wassersuppen wie in den Logierhäusern von Chikago oder St. Louis, sondern ein richtiges »square meal«, auf das die Yankees schwören. Dabei würde auch der geringste Arbeiter niemals für weniger als drei Dollars pro Tag arbeiten. Doch Arbeit – wer mühte sich darum in einem Lande, wo die Feigen und Orangen wachsen und wo der Sommer jahrausjahrein regiert.

So hatte man es mir ausgemalt, das sonnige Kalifornien. Und nun lief ich schon tagelang auf dem holperigen Pflaster San Franziskos umher, ohne etwas anderes zu sehen als die düsteren Wolken und die dicken Regentropfen, die der Märzwind durch die Gassen fegte. Das schlimmste aber war, daß es mit den Dollars auf die Neige ging. Ich hatte deren gerade noch zwei, und wo ich mir etwas dazuverdienen konnte, das war mir vorderhand noch ein Rätsel; denn es geht mit der Arbeit wie mit so vielen anderen Dingen – man findet sie überall, aber gerade dann, wenn man sie am nötigsten braucht, ist sie nirgends zu finden.

Hungrig und mißmutig ging ich von einer Arbeitsstelle zur andern, aber immer mit dem gleichen negativen Erfolg – überall war man besetzt. In der Kearney-Street, damals – vor dem Erdbeben – die Hauptgeschäftsstraße der Stadt, kam ich mir ganz erbärmlich vor zwischen all den wohlgenährten und gutgekleideten Menschen, die alle so geschäftig umhereilten, während ich so sehr viel überflüssige Zeit hatte. Durch die großen Schaufenster der »lunch rooms« und »grill rooms« (Speisewirtschaften), in denen sich die Leute drängten, konnte ich die sauberen, weißgekleideten Köche sehen, wie sie mit der eleganten Handbewegung des Fachmannes die kleinen, appetitlich aussehenden Pfannkuchen aus der Bratpfanne aufhüpfen und auf die Sommerseite wieder zurückfallen ließen. Und als gar durch die offene Tür ein würziger Bratengeruch drang, da mußte ich die Dollars in der Tasche doppelt festhalten, damit die Braten und die Pfannkuchen mich nicht um mein Unterkommen für die kommende Nacht bringen möchten.

Wer schon in ähnlicher Lage gewesen ist, dem brauche ich das alles nicht erst auszumalen, und derjenige, an dem dieser Kelch zeitlebens vorübergegangen ist, der kann sich ja doch nicht vorstellen, wie verzweifelt man darüber werden kann. – Gegen Abend kam ich auf meiner Arbeitssuche nach dem Hafen hinunter. Dort wehte eine laue, salzige Brise, und die Luft war erfüllt von starkem Teergeruch, der von großen Reisen und von fernen Ländern zu erzählen schien. Von Zeit zu Zeit ertönte das laute Heulen der Sirene eines Dampfers, dessen gewaltige massige Gestalt langsam stromabwärts dem »Goldenen Tor« entgegenglitt. Ach, wer da nur gleich mitfahren könnte!

Plötzlich kam mir wieder der Gedanke an die Anzeige und ich holte mechanisch noch einmal die Zeitung hervor. »Wer weiß? Vielleicht wäre es gar nicht übel!« – »Ach was! Verrückte Idee!« ließ sich warnend eine innere Stimme vernehmen.

Und die Erkundigungen, die ich über die Sache einzog, klangen auch nicht sonderlich ermutigend. »Mensch«, brüllte der dicke Wirt, als ich abends todmüde im Gasthaus »Zur Stadt Lübeck« ankam, »bist du denn übergeschnappt? Walfischfangen! Das kommt ja gleich hinter der Fremdenlegion!« Und der Dicke wußte, was es mit der Fremdenlegion auf sich hatte, denn er selbst war dort gewesen, nachdem er »aus Gesundheitsrücksichten« das juristische Studium an den Nagel gehängt hatte.

Doch das Unglück war nicht mehr abzuwenden. Das Ungewöhnliche und Abenteuerliche der Sache war zu viel für die einmal erweckte Phantasie meiner neunzehn Jahre. Als am nächsten Morgen um halb sechs der »Examiner« von der Presse kam, da hatte ich nichts Eiligeres zu tun, als nach der bewußten Anzeige Ausschau zu halten. Da stand sie immer noch:

»Greenhands wanted for whaling cruise, Thomas Murray, shipping agency.«

Hilfskräfte gesucht für Walfischfänger. – »Hingehen könntest du ja einmal,« sagte ich mir mit raffiniertem Selbstbetrug, »das kostet nichts und verpflichtet zu nichts.« – –

Er war nicht leicht zu finden, dieser Mr. Murray, denn er wohnte ziemlich weit abseits, in jenem Teile San Franziskos, der, nicht gerade wegen der sanften Sitten seiner. Anwohner, unter dem Namen »Barbary Coast« (Barbarenküste) einen wenig beneidenswerten Weltruf erlangt hat. Es ist das Matrosenviertel, oder vielmehr das Viertel derer, die den Matrosen auszubeuten pflegen. Ein Gewirr von engen Gassen und niedrigen, flachdachigen Häusern – zum Teil noch aus der mexikanischen Zeit. Auf dem holperigen Pflaster kommt man an chinesischen Opiumhöhlen, säuerlich duftenden japanischen Speisehäusern und rauchigen Seemannskneipen vorbei. Allnächtlich, wenn die Sonne hinter dem »Goldenen Tor« verschwunden ist und die trüben Gaslaternen ein unsicheres Licht über die Straßen der Vorstadt werfen, beginnt es auch dort an der Barbarenküste lebendig zu werden.

Während der ganzen Nacht herrscht ein tolles Leben. Die kleinen Lokale und die Gassen sind erfüllt von Schreien, Singen und von dem Kreischen der Grammophone, von Ziehharmonika und Banjoklängen, von Nigger-Cake-Walks und mexikanischen Fandangotänzen. Kommt man aber, wie ich an jenem Tage, am frühen Morgen durch die Gegend, da lastet eine schwere, bleierne Katerstimmung darüber. Die dünnen Papiervorhänge hängen in Fetzen hinter den Fenstern, die staubigen Lampions drohen jeden Augenblick herunterzufallen, die bunten Flaggen und all der andere grelle Firlefanz blicken trübsinnig von der rauchgeschwärzten Decke herab, verdächtig aussehende Gestalten in verlotterten Kleidern und mit übernächtigen Gesichtern lungern vor den Türen.

Mitten in jener ärmlichen Gegend, an einem der letzten Häuser der Batteriestraße, war über der Türe ein blauer Anker angebracht und darunter stand in großen Buchstaben zu lesen:

»Blue Anker Saloon Thomas Murray Sailors Boarding House and Shipping Agency«

Es war nichts weniger als ein stolzes Gebäude.

An den altersgrauen Wänden hatte der Zahn der Zeit sein Zerstörungswerk begonnen, und die vielen Stellen, an denen ein vorgeklebtes Zeitungsblatt den Windzug durch die mangelnde Fensterscheibe aufhalten mußte, ließen Raum für allerlei tiefsinnige Vermutungen über das Temperament der im »Blauen Anker« verkehrenden Gäste. Auf einer Bank vor der Tür lungerte ein verdächtig aussehender Kerl, ein Strandläufer, wie er im Buche stand, der mich mit seinem aufgedunsenen, stoppelbärtigen Gesicht aufmerksam betrachtete. Das alles sah nichts weniger als einladend aus, darum machte ich auch nach kurzem Zögern gleich wieder »kehrt marsch!« nach der inneren Stadt.

»I say, young fellow! Warum so eilig, mein Junge?« hörte ich da hinter mir rufen. Ich drehte mich um und sah den Strandläufer vor mir. »Hol mich der Teufel,« sagte er, indem er mir freudestrahlend die Hand entgegenstreckte, »ich will in meinem Leben keinen Tropfen Whisky mehr trinken, wenn du nicht Johnny bist, der vor drei Jahren an Bord der »Glen Bank« Leichtmatrose gewesen ist.«

»Ach was!« fuhr ich ihn ärgerlich an; denn so grün war ich doch nicht mehr, um auf diesen Trick hereinzufallen. »Such dir einen anderen Dummen. Ich heiße nicht Johnny, bin nie auf der »Glen Bank« gewesen und überhaupt noch nie zur See gefahren!«

Aber ein echter Strandläufer läßt sich nicht so leicht abschrecken. »Schon gut, schon gut,« sagte er beschwichtigend, »aber einen Whisky könntest du trotzdem ausgeben für einen durstigen Seemann.«

Das Ende war, daß ich mich schließlich doch noch zu einer Runde im »Blauen Anker« bequemen mußte, denn es ging nach der Melodie: »Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.« – Dem anspruchslosen Äußeren entsprach das Innere der kleinen Schenke. Eine richtige Seemannskneipe mit solidem, handfestem Mobiliar, sägemehlbestreutem Fußboden und erfüllt von einer dicken, muffigen Atmosphäre, die von billigen Branntweindünsten, schalen Biergerüchen und starkem Seemannstabak gesättigt war. Trotz der noch frühen Stunde war das Lokal schon stark besetzt, und der mit hemdärmeliger Geschäftigkeit seines Amtes waltende »Boß« hatte alle Hände voll zu tun, um aus der wohlbesetzten Flaschenbatterie, die aus dem Halbdunkel des Hintergrundes hervorschaute, die Whiskys und Brandys und wie die Gifte alle heißen mögen, den durstigen Gästen vorzusetzen.

Es war ein buntgemischtes Publikum, wie ich es noch nie zuvor gesehen. Lebhafte, vorlaute »Cockneys«, deren breitem Dialekt man anhörte, daß ihre Wiege im Schatten der Londoner St.-Pauls-Kathedrale gestanden hatte, rothaarige, rauflustige Söhne der grünen Insel, westindische Mulatten, schwarze wollköpfige Senegalesen und andere, von denen man beim besten Willen nicht sagen konnte, ob Sem, Harn oder Japhet ihr Stammvater gewesen war. Sie alle hatten sich im »Blauen Anker« zusammengefunden, und Thomas Murrays Feuerwasser war das einigende Band, das sie alle umschlang.

Nachdem wir uns bis zur Bar durchgearbeitet hatten, warf ich voll Resignation meinen vorletzten Dollar auf den Schanktisch und zugleich einen hilflosen Blick auf die glänzende Reihe unzähliger, verschieden etikettierter Whiskyflaschen.

»Was wollt ihr trinken?« drängte ungeduldig der Wirt und vermehrte dadurch noch meine Verlegenheit. Doch da sprang Scotty, der Strandläufer, in die Bresche und bestellte mit Kennermiene für mich einen »Johnny Walker«, für die beiden Ladies je einen »Tommy Atkins«, für sich selbst aber eine »Leuchtkugel«.

Das Zeug schmeckte abscheulich und brannte wie konzentrierte Schwefelsäure.

»Das ist der Stoff, der den Bart wachsen macht!« versicherte Scotty mit tiefem Seufzer und bestellte noch eine Runde, natürlich auf meine Rechnung.

»Grünhorn?« fragte der Boß mit einem verdächtigen Seitenblick auf mich, während er die Gläser wieder füllte.

»Ja,« antwortete Scotty, »ein Grünhorn, so grün wie man sie eben findet, aber by jingo!, wir werden schon einen Seemann aus ihm machen!« Und dann schaute mich der Boß wieder an von oben bis unten. Er war, trotz seines angelsächsischen Namens, ein Grieche und hatte den scharfen, stechenden Blick des Südländers und ein bleiches Gesicht, das aussah, als ob es seit dem trojanischen Krieg nicht mehr rasiert worden wäre. »Spos'm you like stop here allright, J give you whiskey, eat, sleep, plenty whiskey! You allright stop here,« hub er an in seinem sonderbaren Pidgin-Englisch. (Auf Deutsch ungefähr: »Du bei mir bleiben. Fein! Ich dir geben Whiskey, Essen, Schlafen, viel Whiskey.«)

Trotz der schönen Dinge, die er mir so großmütig angeboten, hatte ich nur noch den einen Wunsch, möglichst schnell den »Blauen Anker« wieder von außen zu besehen. Doch das war leichter gesagt als getan, denn an jenem Morgen ging es hoch her in der kleinen Schenke. Es lagen viele Segelschiffe auf der Reede klar zur Ausreise, und die angemusterten Mannschaften beeilten sich, vorher noch ihre Vorschußnote in Thomas Murrays Feuerwasser umzusetzen, denn

»Was nützet dem Seemann sein Geld, Wenn er doch ins Wasser fällt«,

so heißt es schon in einem ebenso alten, wie geistreichen Matrosenlied. Wehe dem, der da nicht »mittun« will, wenn er »einen ausgibt«, denn Teufel und Kavalier wohnen eng zusammen in der Seele des Seemanns, der sich »drei Strich im Wind« befindet.

Noch heute sehe ich ihn vor mir, den langen Mulatten mit der breiten, schreiend roten Krawatte und dem hohen Stehkragen, dessen nicht mehr ganz weiße Fläche sich gar elegant von der dunklen Gesichtsfarbe abhob. Aus der unergründlichen Tiefe seiner Hosentasche holte er eine zerknitterte Pfundnote nach der anderen hervor und warf sie über die Bar mit so viel Grandezza, wie es nur ein Nigger fertig bringt: »Ich werde das Haus freihalten! Noch eine Runde für alle Mann!«

Unter diesen Umständen blieb nichts übrig, als mit den Wölfen zu heulen und – zu trinken. Eine Weigerung hätte böse Worte, vielleicht gar einen Boxkampf im Gefolge gehabt, und dazu verspürte ich nicht die geringste Lust, denn der schwarze Gentleman sah groß und stark genug aus, um Jack Johnson selber zu sein.

Desto besser amüsierten sich bei diesen Orgien die beiden »Ladies«, die mit hereingekommen waren. Der Whisky schien ihr ureigenes Element zu sein. Sie ließen das brennende Giftgemisch in den durstigen Kehlen verschwinden, als ob es Limonade wäre, und dabei blieben sie so nüchtern, als ob sie draußen am Cliffhaus »ice cream soda« schlürften. Wenn sich aber für einen Augenblick das Ausgeben eines neuen Whiskys verzögert hatte, so stieg wohl eine der beiden auf eine der rohgezimmerten Bänke, schüttelte das wilde Haar aus dem weinroten Gesicht und stimmte mit kreischender Stimme, aber mit echt nautischem Bootmannstonfall ein Seemannsschanty an, etwa wie dieses:

»I'm a flying fish sailor Just come from Hongkong.«(Bin ein Flugfischmatrose, Komm' grad' von Hongkong.)

worauf ein Orkan von rauhen Seebärenstimmen mit einfiel.

Noch heute mache ich mir zuweilen Gedanken darüber, wie ich dazu gekommen, mich weiter mit der Gesellschaft einzulassen. Es muß die fatale »Komme-was-will«-Stimmung gewesen sein, die ein leerer Geldbeutel mit sich bringt. Auch das Abenteuerliche dieser alten Seemannskneipe wirkte auf mein für derartige Dinge so empfängliches Gemüt. Und dann der für solche Fälle wohl künstlich präparierte Whisky! – O, wenn ich daran denke, daß dieses Giftgemisch mich drei Jahre meines Lebens gekostet hat!

Dunkel erinnere ich mich noch, daß der Wirt mit einem großen Papierbogen kam, auf dem ich unterschreiben sollte, und wie er in helle Entrüstung geriet, als ich einen schüchternen Einwand wagte: »Eigentlich müßte ich doch erst wissen, Mr. Murray –«

Diese bescheidene Bemerkung schien den Nachkommen Agamemnons in höchsten Zorn zu versetzen. Unwillig schüttelte er das fezbedeckte Haupt, und mit den Händen beschrieb er phantastische Pantomimen. »Was gibt's hier zu wissen?« fuhr er mich an. »Meinst du, ich führe mein Boardinghouse für meine Gesundheit? Unterschreib' oder laß es bleiben! Hier geht alles geschäftsmäßig. Kein Schwindel und kein Shanghaien in Thomas Murrays Haus!« Eine ganze Rede hielt er mir, mit großer Zungenfertigkeit, mit voluminösen Gesten und einem großen Aufwand von sittlicher Entrüstung.

Und am Ende hat er mich doch noch hypnotisiert, denn – zweifelnd und zögernd zwar, und mit einem bösen Gewissen – habe ich junger Narr den Wisch unterschrieben. Von diesem Augenblick an hatte ich mich, wenn auch unbewußt, für den Griechen in ein beträchtliches Wertobjekt verwandelt, denn wenn es ihm gelang, mich an Bord des Schiffes zu bringen, so war ihm die Hälfte meiner Vorschußnote von 40 Dollars sicher. Außerdem stand ihm aber noch eine Prämie von mindestens gleichem Betrag in Aussicht. »Blood money« – Blutgeld nennt es der Seemann. Die Sache mußte sich deshalb möglichst schnell abwickeln, ehe ich Zeit hatte, mich eines Besseren zu besinnen.

Joe, ein stämmiger Norweger, und dem Anschein nach der Gesellschafter des Griechen, nahm mich denn auch sogleich ins Schlepptau nach der Californiastraße, wo Liewei (zu Deutsch Levy) ein Ausrüstungsgeschäft für Seeleute unterhielt. Es war ein großer, finsterer Krämerladen, wo man für teures Geld alles kaufen konnte; von einem Paar wasserdichten Seestiefeln bis zu einem ausrangierten Zylinderhut. Dort angelangt, machte sich Joe sofort an die Beschaffung der Ausrüstungsgegenstände – Ölzeug, Seestiefel, Mütze, Seife, Tabak? Natürlich! Zwar hatte ich noch nie die kleinste Zigarette, viel weniger denn eine Pfeife Seemannstabak geraucht, aber ein solches Eingeständnis hätte doch gar zu landrattenmäßig ausgesehen und dann – warum sollte ich dem Kerl etwas schenken? Alle diese Herrlichkeiten wanderten in einen leinenen Seesack, wie sich's gebührt.

Bei solchem Seesack fängt erst der Seemann an. Er ist der Rubikon, der ihn von den übrigen Menschenkindern trennt. Ich aber wurde mir dieser Tatsache nicht bewußt. Verwundert schaute ich dem Beginnen zu, und doch so gleichgültig, als ob ich von allen Menschen im Laden derjenige wäre, den die Sache am wenigsten anginge.

Während Joe noch mit dem alten Levy unterhandelte, nahm sich ein alter Seebär meiner an, ein langer Kerl mit magerem Gesicht und einem Ziegenbart unter der glattrasierten Oberlippe, wie der leibhaftige Onkel Sam.

»Well, Grünhorn,« sagte er, indem er bedeutsam den Ziegenbart strich, »bist wohl noch nie zuvor zur See gewesen?«

»Nein!« antwortete ich der Wahrheit gemäß.

»Kennst du den?« fuhr er fort, indem er auf Joe deutete.

»Noch nie vorher gesehen!«

»Hm, dachte ich mir! Aber ich kenne ihn. Einer von den schlimmsten Landhaifischen im Hafen von Frisko. Wenn ich dir also einen guten Rat geben darf – –«

Trotzdem er diese Worte mit unterdrückter Stimme gesprochen hatte, waren sie dem Norweger doch nicht entgangen.

»Ich will Euch lehren, mir die Grünhörner abspenstig zu machen,« stieß er zwischen den Zähnen hervor und versetzte dem alten Mann einen Faustschlag ins Gesicht, so daß er bewußtlos zu Boden stürzte.

Wenn irgend etwas, so hätte dieses Erlebnis mich noch im letzten Augenblick zur Besinnung bringen sollen, doch mein bißchen Verstand ist an jenem Tage wohl überhaupt abwesend gewesen. Man ließ mir auch keine Zeit, zur Besinnung zu kommen. Von Levys Laden brachte man mich mit noch mehreren anderen nach dem Gebäude der Hafenverwaltung, wo uns ein uniformierter Mann aus einer umfangreichen Akte eine lange Litanei vorlas, der niemand zuhörte.

»Seid ihr alle einverstanden?« fragte er, nachdem er geendet. Mehrmals mußte er die Frage wiederholen, ehe die Leute ihre Unterhaltung abbrachen und gemeinschaftlich antworteten: »Alles einverstanden!«

Und dann setzten sie der Reihe nach ihre Unterschrift auf den Bogen. –

Wie dem auch sei, ich musterte also an auf einem Schiff, dessen Namen ich nicht kannte, für eine Reise, von der ich nicht wußte, wohin sie ging, wie lange sie dauerte, noch was sie mir einbringen sollte.

»Na, mach' deine Sache gut!« rief mir der Norweger vom Pier aus zu, als ich in dem Motorboot saß, das mich an Bord des auf der Reede liegenden Schiffes bringen sollte, »vergiß die Adresse nicht, wenn du zurückkommst!«

Nein, ich habe sie nicht vergessen, bis zum heutigen Tage:

»Thomas Murray, Sailor's Boarding House and Shipping Agency.«

Ich werde sie nicht vergessen, und wenn ich tausend Jahre lebe!

Der Führer des Bootes war ein alter, deutscher Seebär, der meine Lage sofort durchschaute. »Ich will dir nicht bange machen,« sagte er mit bedenklicher Miene, »aber ich will nur hoffen, daß du wieder alltosammen to Muttern kömmst.«

Doch da waren wir schon längsseit der schwarzgeteerten Schiffswand. Dicht unter dem Heck des plumpen Fahrzeugs fuhren wir vorbei, wo der Name und der Heimatshafen in großen Buchstaben angemalt war:

»Bowhead. Brockton, Massachusetts.«

Ein wollköpfiger Neger mit einem pechschwarzen Gesicht erschien an der Reeling und warf uns ein Tauende zu.

»Ein bißchen fix da unten!« brüllte er, als ich mich einen Augenblick zögernd umsah, »glaubst du, ich hätte Zeit, den ganzen Tag zu warten, bis es dir gefällig ist?« Kaum war ich an Deck angelangt, als ein langer Yankee mit einem Gesicht wie eine wütende Katze auf mich zukam. Wohl der größte Mensch, den ich je gesehen habe.

»Geh' nach vorne!« sagte er mit mißmutiger Miene, nachdem ich ihm den Zettel des Heuerbas übergeben hatte. Ich tat, wie mir geheißen, aber vorher warf ich noch einen langen Blick nach oben, in das Gewirr von Tauen und Blöcken, das mir vorderhand noch ein einziges Mysterium war. Mehr aber noch als dieses fesselte mich eine Art Backofen, der auf dem Verdeck, achterkant vom Großmast, eingebaut war. Was wohl der Backofen an Bord eines Schiffes zu tun hatte?

Ein großes Durcheinander von Kisten, Fässern, Tauenden usw. füllte das Verdeck, und abenteuerlich aussehende Menschen von undefinierbarer Rasse machten sich dazwischen zu schaffen. Der Riese mit dem Katzengesicht stand auf der Großluke und rief den in der Takelage arbeitenden Leuten seine Befehle zu, die er mit einer Sündflut wenig schmeichelhafter Attribute begleitete.

»Du dort, du Grünhorn!« unterbrach er plötzlich meine Betrachtungen, »wer hat dich geheißen, hier herumzustehen? Mach, daß du nach unten kommst!«

Da half keine Widerrede. Schleunigst schulterte ich meinen Seesack und verschwand nach vorne, wo ich mich eine ganze Weile ratlos umsah, bis sich der Koch, ein rabenschwarzer Neger mit einer nicht mehr ganz weißen Schürze, meiner annahm.

»Warum treibst du dich hier herum?« fragte er teilnahmsvoll, »tätest dich besser bei Zeiten nach einer Koje umsehen.«

»Ich weiß aber doch gar nicht –«

»Ah, du weißt nicht? – Mensch, bist du aber grün!«

Dann nahm er mich beim Arm und wies mir den Weg nach einer Luke vor der Back, durch die eine steile, halsbrecherische Treppe in einen völlig finsteren Raum führte, von wo wildes Schreien und Singen ins Freie drang. Denn es ging hoch her dort unten, und die Whiskyflaschen machten die Runde. Es dauerte eine Weile, ehe ich bei dem trüben Schein der qualmenden Lampe eine Koje gefunden hatte, wo ich meine sieben Sachen verstauen konnte. Dann ging ich schleunigst wieder an Deck, denn dort unten zwischen den wildfremden Menschen, in der muffigen Atmosphäre und den scharfen Whiskydämpfen war mir gar unheimlich zumute.

Es war dort oben schon Feierabend, und nach der lärmenden Geschäftigkeit des Tages herrschte eine wohltätige Stille. Draußen, jenseits des »Goldenen Tores«, hing der feurige Sonnenball schon tief über den blauen Fluten, und seine letzten Strahlen übergossen die weite Bai und die umgebenden Hügel in ihrem jungen, hellgrünen Frühlingskleid mit einem weichen, verträumten Lichte.

Die stolzen Segelschiffe auf der Reede, neben denen der »Bowhead« gar armselig aussah, wiegten sich leise vor ihrem Anker.

Von Zeit zu Zeit glitt das braune Segel eines Fischerboots vorüber, oder eines der großen Fährboote zog puffend und plätschernd seines Weges, gefüllt mit zufriedenen Menschen, die nach des Tages Arbeit in der staubigen City nach ihren Wohnungen auf der andern Seite der Bai zurückkehrten.

Und wie dann den letzten Sonnenstrahlen die Schatten der Nacht auf den Fersen folgten und drüben in der Stadt sich Licht an Licht entzündete, da wurde mir gar traurig zumute. Mir ahnte Böses, aber hätte ich nur den zehnten Teil von dem vorausgesehen, was mir in den nächsten drei Jahren im Lande der Mitternachtsonne, an Bord dieses unheimlichen Schiffes, bevorstand, so hätte ich es sicherlich gewagt, mit einem verzweifelten Schwimmversuch noch im letzten Augenblick der Schlinge zu entgehen, die ich mir selber um den Hals gelegt hatte.

Auf See

Die Ausreise. – Mister Johnson sucht sein neues Schiffsvolk zusammen. – Eine gemischte Gesellschaft. – Ich mache die Bekanntschaft einer gewichtigen Persönlichkeit. – Ein schwieriger Auftrag. – Schneeball, der Koch, spinnt ein Garn.

Am anderen Morgen ging der »Bowhead« in See.

Es war ein sonniger Frühlingsmorgen des Jahres 1903. Ein Tag voll lebendiger Brise und silbernen Sonnenscheins. Weiße, wollige Windwolken tauchten über dem westlichen Horizont auf und segelten in eiligem Lauf über das dunkle Blau des südlichen Himmels. Blau und lebendig wie dieser war auch die See, bunt durchzogen von dunkelvioletten Linien und hellgrünen Wellenköpfen, auf denen da und dort eine silberne Schaumflocke tanzte. Und jedesmal, wenn die See an den schwarzgeteerten Planken des »Bowhead« zerschellte, da spritzte ein feiner Sprühregen auf, in den die zitternden Sonnenstrahlen einen bunten Regenbogen zauberten. Im Osten zog sich die langgestreckte Küste von Kalifornien hin, über die der goldene Ball der aufgehenden Sonne dunkle Schatten warf; und im Süden, auf den der Bai von San Franzisko vorgelagerten Inseln, blitzte noch immer, trotz des hereingebrochenen Tages, das helle Blinkfeuer des Leuchtturmes von Farellones.

Ringsum war die blaue Fläche lebendig mit ein- und auslaufenden Schiffen. Kaum hundert Faden neben uns an Backbord fuhr im Kielwasser eines qualmenden Schleppers eine stolze Viermastbark. Die braungestrichenen Masten glänzten im Licht des frühen Tages und in dem scheinenden Braßwerk spiegelte sich die Sonne. Vom Heck wehte die schwarz-weiß-rote Flagge. Gerade voraus lag still und unbeweglich der schwarze Koloß eines englischen Trampdampfers, der mit der grellen, mißtönenden Stimme der Dampfsirene den Lotsen rief. Da und dort glitt das braune Segel eines Fischerboots oder eines Küstenschoners vorüber.

Langsam ging es an diesem bunten Leben vorbei nach der großen Einsamkeit der hohen See. An dem großen eisernen Poller vor der Back war die dicke Stahltrosse befestigt, an deren anderem Ende der kleine, schwarze, eigensinnige Schlepper seine Bahn durchs Wasser pflügte. Schwarze, qualmende Rauchwolken stiegen aus seinem Schornstein auf und wälzten sich über das Verdeck unseres Schiffes, indes die mächtigen Schaufelräder durch das Wasser plätscherten.

Aber auch bei uns war man derweilen nicht müßig. Alles war voll hastigen Lebens. Ein seltsam abenteuerliches Bild, wie ich es bisher noch nie gesehen hatte. Geschäftige Menschen rannten scheinbar kopflos hin und her bei einer Arbeit, von deren Hergang ich keine Ahnung hatte. Die schweren Tauenden, die vorher in großen Buchten so schön ordentlich an den eisernen Belegnägeln gehangen, wurden rücksichtslos heruntergeworfen und lagen in wildem Durcheinander auf dem Verdeck umher. Hoch oben in der Takelage schwangen langsam und schwerfällig, mit lautem Knarren und Stöhnen die schweren Rahen hin und her. Die dicken Schotketten rasselten und klirrten, und die vom langen Stilliegen eingerosteten Braßblöcke ächzten und kreischten ob der ihnen plötzlich zugemuteten Arbeit. Flatternde Leinwand kletterte munter an den Stagen in die Höhe. Taue wurden angeholt, andere losgeworfen. »Jo, ho! Jo, hi, ho!« ertönten von überall her die aufmunternden Zurufe. Fremdartige, unverständliche Kommandos schwirrten durch die Luft.

»Hier, du da!« fuhr mich plötzlich einer wütend an, »gehörst du etwa nicht zum Schiff? Dann faß mal gefälligst mit an! – Nein, beim Teufel, hier nicht – dort auch nicht – Menschenskind, wie kann man nur so holzköpfig sein!«

Im Nu hatte sich das Aussehen des Schiffes verändert. Wo vorher nur ein Gewirr von Masten, Ketten, Tauen und Blöcken gewesen, da breiteten sich nun große Flächen von weißem, scheinendem Segeltuch. Schon begannen sich die leichteren Segel zu füllen, und das Schiff fing an, sich leise nach Lee überzulegen vor dem Druck der frischen südöstlichen Brise. Dreimal tutete der Schlepper mit der gewichtigen Stimme seiner Dampfsirene. Dann warf er die Trosse los, und langsam dampfte er wieder nach dem »Goldenen Tor« zurück. Seltsam bewegt schaute ich ihm nach.

»Achteraus alle Mann!« ertönte da eine Donnerstimme.

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Befehl ausgeführt war, denn für eine Landratte – und das war, wie ich bald zu meiner nicht geringen Genugtuung feststellen konnte, der größte Teil der neugemusterten Mannschaft – ist es gar nicht so einfach, das Vorder- und Hinterende eines Schiffes voneinander zu unterscheiden. Nach viel Geschrei und gräßlichem Fluchen gelang es endlich, alle verlorenen Schafe zu Füßen des erhöhten Achterdecks zu versammeln, wo sich auch die Steuerleute und Harpuniere bereits eingefunden hatten. Verwundert fragte ich mich, was jetzt wohl kommen würde.

Ein Blick auf die harten Gesichter jener alten Walfischfänger, die fortan unsere Vorgesetzten sein sollten, ließ Schlimmes befürchten. Es war eine sehr gemischte Gesellschaft. Einem Maler auf der Suche nach Motiven für Seeräuber, Meuterer, Sklavenhändler oder dergleichen hätte bei ihrem Anblick das Herz im Leibe gelacht. Alles, was in einem ordentlichen Seeräuberroman zum Inventar gehört, war dort vertreten. Stämmige Neger mit breiten Schädeln und dicken, aufgeworfenen Lippen, westindische Mulatten mit gelben, pockennarbigen Gesichtern, schokoladenfarbige Kanaken aus der Südsee und lange, dürre Portugiesen.

Die phantastischste Figur von allen war jedoch Mister Johnson, unser erster Steuermann, eben jener unendlich lange Gentleman mit dem Katzengesicht, der mich schon bei meiner Ankunft an Bord so liebenswürdig begrüßt hatte. Mit seinen reichlich gemessenen sechs Fuß überragte er alle Umstehenden fast um Haupteslänge. Die langen Beine umschlotterten weite Beinkleider von piratenhaftem Schnitt, die vermittelst eines breiten Tuchgürtels von schreiender Farbe befestigt waren. Ein gewaltiger, tief in die Stirn gedrückter Schlapphut von unmöglicher Form erhöhte noch das Phantastische in seinem Auftreten. Er war gerade dabei, die hieroglyphenhafte Inschrift auf einem Bogen Papier – offenbar eine Art Namensverzeichnis – zu entziffern, die er mit beiden Händen abwechselnd bald weit weg, bald dicht vor die Nase hielt. Sein Gesicht war finster, und er grunzte förmlich über der ungewohnten Arbeit.

»Alle Mann hier?« sang er aus, als keine neuen Ankömmlinge mehr erschienen.

»Jawohl, Herr,« antwortete einer der Steuerleute diensteifrig, »ich glaube nicht, daß noch einer vorne ist. Habe alles durchsucht und keinen mehr gefunden.«

Nun musterte Mr. Johnson noch einmal sein neues Schiffsvolk. Mehrmals schritt er auf und ab und ließ dabei seine kleinen, stechenden, unruhig tanzenden Augen von einem zum andern wandern. Dann blieb er vor der Treppe zum Achterdeck stehen, spuckte einen Prim über die Seite, und nachdem auf diese Weise seine Würde genügend gewahrt schien, kam er auf uns zu.

»Du da!« wandte er sich an mich, der ich ihm offenbar als das größte der Grünhörner aufgefallen war, »wer hat dich an Bord gebracht?«

»Thomas Murray von der Batteriestraße.«

»Dacht' ich mir,« fuhr er fort, während er mich mit einem dolchartigen Blick durchbohrte, »noch nie was Gutes gesehen, was von Thomas Murray gekommen ist. Schon mal zur See gefahren?«

»No,« antwortete ich kleinlaut.

»No, sir!« verbesserte Mr. Johnson mit strenger Miene, »laß mich das nicht noch einmal sagen! – Schon mal einen Bootsriemen in der Hand gehabt?«

»No – sir!« beeilte ich mich hinzuzusetzen.

»Nicht? Ja, für was, zum Teufel! bist du denn überhaupt gut?«

»Aber stark ist er,« mischte sich hier die näselnde Stimme eines mageren Mannes mit einem schmalen, lederfarbigen Yankeegesicht ins Gespräch, »stark wie ein junges Pferd, bei Gott! Ich nehme ihn für meine Bootsmannschaft, wenn Sie nichts dagegen haben, Mr. Johnson.«

»He?« fragte dieser, indem er sich unwirsch nach dem Sprecher umwendete.

»Möchte ihn für meine Bootsmannschaft, Sir.«

»Nehmen Sie ihn!«

So kam ich zu Mr. Lee, und ich war es zufrieden, denn von all den grimmig aussehenden Menschen schien er noch der harmloseste, wenigstens nach dem Äußeren zu urteilen. Er verstand sich sogar auf ein Kompliment. »Denke, daß du ein anständiger Kerl bist,« sagte er zu mir, »ich mag dich gut leiden, aber wenn du nichts lernen willst, dann werde ich dir das Leben schon interessant machen, und wenn du mir schmutzige Tricks spielen und bei der Arbeit zurückhängen willst, brech' ich dir 's Genick, ehe du Zeit hast, auf drei zu zählen!«

Inzwischen hatte sich Mr. Johnson schon ein anderes Opfer ausersehen.

»Und was willst denn du hier, mein Sohn?« wandte er sich an einen schmächtigen Jungen von siebzehn Jahren, der aber aussah, als ob er vierzehn wäre, »was bist du denn an Land gewesen?«

»Farmer,« antwortete eine dünne Stimme.

»Was – –?«

»Farmer!« Das Stimmchen klang noch etwas heller und dünner.

»Natürlich,« sagte Mr. Johnson nachdenklich, »daß du kein Professor bist, kann ich mir denken. Aber das Farmersein wollen wir dir schon austreiben. Vorderhand kannst du mal Kajütsjunge spielen. Zum Kartoffelschälen bist du ja hoffentlich gut genug.«

»Steward!« rief er einem rothaarigen Irländer zu, der sich übereifrig vordrängte, »da ist der neue Kajütsjunge. Macht ihm das Leben interessant, 's ist nicht nötig, daß man ihn mit Samtpfoten anfaßt.«

In dieser Weise fertigte der Schiffsgewaltige einen nach dem anderen ab, und für jeden hatte er dabei eine besondere Liebenswürdigkeit. Einer nach dem andern wurden die Namen von der großen Liste herunterbuchstabiert. »Joe, Jim, Jack, Charley – na, Charley, muß ich dich zweimal rufen?« Und dann durchbohrte er noch einmal jeden einzelnen mit seinen scharfen Augen und murmelte dazu etwas wie »zusammengewürfelte Bande«, »taugt nicht viel«. Und mit lauter Stimme: »Schlag acht Glas, einer von euch! Geh' nach vorn die Steuerbordwache!«

Da ich der letzteren Wache zugeteilt war, hatte ich nun die nächsten vier Stunden frei, und wäre ich ein richtiger Matrose gewesen, so hätte ich mich gleich nach meiner Koje umgesehen; aber als Landratte wußte ich den Wert des Schlafes auf See noch nicht zu schätzen. Außerdem war mein Kopf noch zu sehr erfüllt von all dem Neuen, als daß ich darüber hätte einschlafen können.

Noch lange stand ich an jenem Morgen auf der Back, gegen das Fockstag gelehnt, und schaute über die niedrige Reeling hinweg nach Osten, wo die blauen Hügel von Kalifornien immer tiefer und tiefer sanken und ihre Umrisse immer matter und verschwommener wurden, bis sie schließlich in dem blendenden Licht des sonnigen Tages zerrannen und den »Bowhead« ganz allein, als eine Welt für sich, auf dem weiten Meer zurückließen. Und dann hingen die Augen andern ungewohnten Bild der schwellenden Segel und der schwingenden Masten und an der schäumenden Bugwelle, die das Schiff in eilendem Lauf durch die Fluten zog. Jetzt erst hatte ich Zeit, in Ruhe die neue Welt zu betrachten, in die ich so unerwartet hineingeraten war. Ein trostlos nüchternes Bild! Schwarz geteert und gestrichen waren die Masten und Rahen und ebenso die Außenseite des Schiffes. An der ehemals weißen Farbe der Decksaufbauten zeigten schwarze, rußige Flecken die Spuren der Arbeit beim Übernehmen der Ladung. Und dann die schmierigen, tranigen Fässer ringsumher, die mit starken Tauen festgelascht waren, und der Backofen, auf dessen Dach merkwürdigerweise ein mächtiger Stoß von breiten Brettern ruhte, das alles konnte mich nicht heiterer stimmen.

Großer Gott! – Wer mir das vor 24 Stunden prophezeit hätte! Mein Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als der Mann am Ruder zwei Glas, ein Uhr, schlug und ein großer, brauner Kanake nach vorne kam, um an der Glocke über der Back mit zwei dröhnenden Schlägen zu antworten. Er musterte mich von oben bis unten mit einem spöttischen Grinsen.

»Was willst du da oben, du Grünhorn? Hast du jetzt Wache an Deck?«

»No,« entgegnete ich ziemlich ungnädig, denn die vielen Niggers begannen mir allmählich auf die Nerven zu fallen. Aber da hatte ich etwas, angerichtet!

»No, sir, wenn du mit mir redest,« fiel er mir ins Wort. »Mein Name ist Joe Jomorra – Mister Joe Jomorra, und ich bin der dritte Steuermann hier an Bord. Merk' dir das, wenn dir dein Leben lieb ist! Und nun mach', daß du von Deck kommst.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Dieser Mister Joe Jomorra sah bei Gott nicht so aus, als ob er viel Widerspruch ertragen könnte. Im Fortgehen hörte ich noch sein wütendes Schimpfen: »Verfluchte Bande von Vagabunden; werde euch die Schiffsmoden schon beibringen!«

Mir grauste aber vor der Rückkehr in das Mannschaftslogis, das ich mir erst jetzt bei Tageslicht etwas näher ansehen konnte. Es war ein kleiner, nach vorn sich verengender Raum, in dem zu beiden Seiten zu je zwei übereinander die Kojen angebracht waren. Düster und unfreundlich war es dort unten, denn es war weder Bullauge, noch sonst irgend welche Einrichtung zum Hereinlassen des Tageslichts vorhanden. Die qualmende, rußige Lampe, die Tag und Nacht brannte, warf kein Licht, sondern pendelte nur als matter, gelber Punkt nach den rhythmischen Bewegungen des Schiffes. Es war nicht auszudenken, daß zwanzig Menschen während langer Monate hier hausen sollten, aber über dem Eingang stand tief eingegraben ins Holz, deutlich sichtbar für jedermann, wie ein Menetekel:

»Certified to accomodate 22 seamen.« (»Amtlich zugelassen für den Aufenthalt von 22 Seeleuten.«)

Weiß der Kuckuck, welch weitherziger Hafeninspektor diese Bescheinigung ausgestellt hatte! –

Am Fuß der steilen Treppe, auf einer grünen Seekiste, saßen gerade zwei Matrosen und unterhielten sich angelegentlich mit halblauter Stimme.

»Dein letztes Schiff?« fragte der eine seinen neuen Freund, einen jungen Dänen mit rotbackigem Kindergesicht, und warf ihm dabei einen forschenden Blick aus dem linken Auge zu, während das andere nach der Tür schielte.

»Die Blackbraes.«

»So, so,« meinte der andere mit vielsagendem Lächeln.

»Kennst du den Kasten?«

»Ob ich ihn kenne! Wie meine eigene Tasche! Dreimastvollschiff mit doppeltem Bram und Royals. Gehört nach Glasgow. Ein toller Kasten! Ich kenne auch den Schiffer. Schäbiger alter Kunde. Glattes Gesicht. Langer, schwarzer Bratenrock. Sieht aus wie ein Sonntagsschullehrer.«

»Das mag er wohl sein,« unterbrach ihn der andere.

»Und geizig,« fuhr der Schiefäugige fort, »geizig und geldgierig wie ein Proviantmeister in Onkel Sams Armee.«

»Ja, das ist er!« brauste da der Däne auf, bei dem die Erinnerung an vergangene Leiden in diesem Augenblick mit Gewalt lebendig wurde. »Das ist er! Ein Spitzbube von der feinsten Sorte! Der Teufel hole seine schwarze Seele ...«

In einer anderen Ecke des Logis machte sich ein schmächtiger, ziemlich verwahrlost aussehender Mensch mit magerem, gelbem Gesicht und einer mächtigen Habichtnase an seinem Zeugsack zu schaffen. Es war ein großer, wohlgefüllter Zeugsack, und sein Besitzer schien große Stücke auf ihn zu halten, aber wie er nun daran ging, das Inventar seiner Reichtümer aufzustellen, da zog sich sein Gesicht bedenklich in die Länge.