Unter Herbststernen - Knut Hamsun - E-Book

Unter Herbststernen E-Book

Knut Hamsun

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Beschreibung

Knut Pedersen – ein Mann aus dem hohen Norden, der die Jahre nicht mehr zählen mag – flieht vor dem Lärm der Stadt in die herbstliche norwegische Landschaft. Seit Jahrzehnten, vielleicht seit einem früheren Leben, hat er solchen Frieden nicht mehr gekannt: eine Stille, in der jeder Stein, jedes Strohhalm zu ihm spricht. Als fahrender Handwerker zieht er von Hof zu Hof, sucht Gelegenheitsarbeit, zimmert und werkelt, lebt von der Hand in den Mund. Doch dieser Wanderer sucht nicht einfach nur sein Brot – er sucht eine verlorene Harmonie mit der Natur, ein Gefühl der Zugehörigkeit jenseits aller zivilisatorischen Zwänge. Auf dem Gut Øvrebø begegnet er Menschen, deren Schicksale sich mit dem seinen verweben: dem geheimnisvollen Hauptmann Falkenberg und seiner Frau, deren Ehe unter der Oberfläche brodelt. Mit einer Sprache von mollgestimmter Schönheit zeichnet Hamsun das Porträt eines Mannes, der sich allen Bindungen verweigert, aber dennoch von den Begegnungen des Lebens gezeichnet wird. Anders als in den heftigen Gefühlsausbrüchen seiner frühen Werke wie "Hunger" und "Pan" herrscht hier eine meditative Ruhe – die Ruhe eines Mannes, der erkannt hat, dass die wahre Erfüllung im Einklang mit den Jahreszeiten und der Erde liegt, nicht in den rastlosen Leidenschaften der Jugend. Der erste Teil der berühmten Wanderer-Trilogie – ein Abschied von der Ich-Zerrissenheit, eine Suche nach dem Nullpunkt der Begierde, eine Rückkehr zu den Wurzeln. Ein Werk von herbstlicher Melancholie und zeitloser Schönheit. Erschienen 1906. Der zweite und dritte Teil der Trilogie – "Gedämpftes Saitenspiel" (1909) und "Die letzte Freude" (1912) – führen Pedersens Geschichte fort und vollenden sein Schicksal als ewiger Wanderer zwischen den Welten.

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Seitenzahl: 158

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Unter Herbststernen

 

Der Wanderer, Teil 1

 

KNUT HAMSUN

 

 

 

 

 

 

Unter Herbststernen, Knut Hamsun

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN:9783988682932

 

Quelle: https://www.gutenberg.org/cache/epub/70926/pg70926-images.html

 

Übersetzer: Julius Sandmeier

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT

 

1. 1

2. 3

3. 4

4. 6

5. 7

6. 9

7. 12

8. 14

9. 16

10. 18

11. 20

12. 22

13. 24

14. 26

15. 29

16. 31

17. 34

18. 36

19. 38

20. 40

21. 43

22. 46

23. 49

24. 52

25. 56

26. 60

27. 62

28. 66

29. 68

30. 72

31. 75

32. 77

33. 81

34. 85

1

Spiegelblank dehnte sich gestern das Meer, und auch heute breitet es sich spiegelblank aus. Indian Summer und Wärme liegen über der Insel – oh, wie warm und mild es ist! – aber es scheint keine Sonne.

Viele Jahre sind vergangen, seit ich solchen Frieden um mich fühlte, vielleicht zwanzig oder dreißig Jahre, vielleicht war es in einem früheren Leben. Und doch muß ich schon einmal diesen Frieden verspürt haben, da ich nun hier umhergehe und summe und entzückt bin und mich um jeden Stein und jeden Halm kümmere, und diese wieder sich um mich zu kümmern scheinen. Wir kennen uns.

Wenn ich auf dem überwucherten Weg in den Wald hineinschreite, bebt mein Herz in einer unirdischen Freude. Ich werde an einen bestimmten Platz an der Ostküste des Kaspischen Meeres erinnert, wo ich einmal gestanden habe. Dort war es wie hier, und die See lag still und schwer und stahlgrau da wie jetzt. Ich ging durch den Wald, wurde zu Tränen gerührt und war hingerissen und sagte immerfort: Gott im Himmel, daß ich wieder hierher kommen sollte!

Als sei ich schon einmal früher dort gewesen.

Aber vielleicht bin ich einmal aus einer anderen Zeit und aus einem anderen Land, wo der Wald und die Wege die gleichen waren, dorthin gekommen. Vielleicht war ich eine Blume im Wald, oder ein Käfer, der auf einer Akazie saß und daheim war.

Und jetzt bin ich hierher gekommen. Vielleicht habe ich den langen Weg als Vogel zurückgelegt. Oder ich war ein Kern in irgendeiner Frucht, die ein persischer Kaufmann gesandt hat …;

Seht, jetzt bin ich fort von dem Lärm und Gedränge der Stadt, von Zeitungen und Menschen, vor all dem bin ich geflohen, weil mich das Land und die Einsamkeit, aus denen ich gekommen war, wieder riefen. Du wirst sehen, es geht gut! denke ich und hoffe das Beste. Ach, schon einmal früher habe ich so die Flucht ergriffen, und bin dann doch wieder in die Stadt zurückgekehrt. Und bin wieder geflohen.

Jetzt aber habe ich den festen Vorsatz, um jeden Preis Frieden zu erlangen. Ich habe mich vorläufig hier in einer Hütte eingemietet, und die alte Gunhild ist meine Hausfrau.

Die Vogelbeerbäume stehen mit reifen Korallenbeeren rings im Nadelwald, in schweren Trauben fallen die Früchte schon dumpf zur Erde. Sie ernten sich selbst und säen sich wiederum selbst, ein unglaublicher Überfluß wird jedes Jahr verschwendet; an einem einzigen Baum zähle ich über dreihundert Trauben. Und rings an den Abhängen stehen noch eigensinnige Blumen, die durchaus noch nicht sterben wollen, obwohl ihre Zeit eigentlich vorbei ist.

Aber auch die Zeit der alten Gunhild ist vorbei, und doch stirbt sie nicht! Sie tut, als ginge der Tod sie nichts an. Wenn die Fischer drunten am Strand arbeiten und die Fischreusen teeren oder die Boote anstreichen, geht die alte Gunhild mit erloschenen Augen, aber mit dem listigsten Kaufmannssinn zu ihnen hin:

Was kosten heute die Makrelen? fragt sie.

Das gleiche wie gestern, lautet die Antwort.

Dann könnt ihr sie behalten!

Gunhild geht nach Hause.

Aber die Fischer wissen zu gut, daß Gunhild keine von denen ist, die nur scheinbar heimgehen, sie ist schon öfters in ihre Hütte zurückgekehrt, ohne sich umzusehen. Hallo! rufen sie ihr deshalb nach, ein halbes Dutzend Makrelen habe heute sieben Stück, da sie eine alte Kundschaft sei.

Da kauft Gunhild Fische …;

Rote Röcke und blaue Hemden und Unterzeug von ungeheurer Dicke hängen an den Wäscheleinen; das alles ist von den alten Frauen der Insel, die heute noch leben, gesponnen und gewebt worden. Aber auch die feinen Hemden ohne Ärmel, in denen man so schön blau friert, hängen zum Trocknen hier, und auch die lila Wolljacken, die man zu einem Strick ausdehnen kann. Woher stammen diese Mißgebilde? Ja, die haben sich die Töchter, die jungen Mädchen von heute in der Stadt verdient. Wenn man sie vorsichtig und selten wäscht, halten sie zur Not einen Monat. Und man fühlt sich so herrlich nackt darin, wenn die Löcher nach und nach immer zahlreicher werden.

Dagegen sind die Schuhe der alten Gunhild kein Spielzeug. Von Zeit zu Zeit wendet sie sich an einen gleichaltrigen und gleichgesinnten Fischer und läßt sich Oberleder und Sohlen mit einem dicken Fett einschmieren, gegen das alles Wasser machtlos ist. Ich sehe, wie diese Schmiere am Strand gekocht wird, es ist Talg und Teer und Harz darin.

Als ich gestern auf dem durch die Ebbe freigelegten Strand umherschlenderte und Treibholz und Muscheln und Steine betrachtete, fand ich ein winziges Stück Spiegelglas. Wie es hergekommen ist, verstehe ich nicht; aber es sieht ganz aus wie ein Irrtum oder wie eine Lüge. Ein Fischer ist doch wohl kaum damit hergerudert, hat es hier hingelegt und ist dann wieder fortgefahren! Ich ließ es liegen, wo es lag, es war dick und gewöhnlich und einfach, vielleicht stammte es von der Scheibe einer Straßenbahn. Es gab einmal eine Zeit, da war das Glas selten und flaschengrün, – Gott segne die alte Zeit, da etwas selten war.

Jetzt steigt aus den Fischerhütten an der Südspitze der Insel Rauch auf. Es ist Abend, die Grütze wird gekocht. Und wenn das Essen verzehrt ist, gehen die ehrbaren Leute zu Bett, um bei Tagesgrauen wieder aufzustehen. Nur die unvernünftigen Jungen schleichen noch von Hütte zu Hütte, ziehen die Zeit hinaus und wissen nicht, was zu ihrem eigenen Besten dient.

2

Heute morgen ging hier ein Mann an Land, er kam, um das Haus anzustreichen. Da aber die alte Gunhild so uralt ist und von der Gicht so geplagt wird, läßt sie ihn zuerst einige Tage lang Holz für den Herd klein machen. Ich selbst habe ihr oft angeboten, dieses Holz zu hacken; aber sie fand, daß ich zu feine Kleider hätte, und wollte mir um keinen Preis die Axt ausliefern.

Der fremde Maler ist ein kleiner, gedrungener Mann mit rotem Haar und ohne Bart; ich beobachte ihn durch das Fenster bei seiner Arbeit, um zu sehen, wie er es macht. Ich entdecke, daß er mit sich selbst redet, schleiche aus dem Haus und lausche seinem Selbstgespräch. Wenn er daneben hackt, bleibt er ganz geduldig und ruhig; stößt er sich aber die Knöchel an, dann wird er ärgerlich und sagt Teufel! Teufelszeug! worauf er sich dann plötzlich umsieht und zu summen anfängt, um zu verbergen, was er gesagt hat.

Doch, ich erkenne den Maler wieder. Aber das ist, der Teufel hol mich, kein Maler, es ist Grindhusen, einer meiner Kameraden vom Wegbau in Skreia.

Ich gehe zu ihm hin, gebe mich zu erkennen und schwätze mit ihm.

Viele, viele Jahre ist es her, seit wir, Grindhusen und ich, Wegarbeiter waren, es war in unserer grünen Jugend; in den kläglichsten Schuhen tanzten wir die Wege entlang und verschlangen, was uns unterkam, wenn wir überhaupt Geld hatten! Blieb uns aber außerdem noch etwas übrig, dann gab es die ganze Samstagnacht hindurch Tanz für die Mädchen, ein großer Schwarm unserer Arbeitsgenossen beim Wegbau hängte sich an uns, und die Frau im Haus verkaufte Kaffee, daß sie reich davon wurde. Dann arbeiteten wir wieder die ganze Woche hindurch mit Lust und Liebe und sehnten uns nach dem Samstag.

Ob er sich der Tage in Skreia erinnern konnte?

Er sieht mich an und betrachtet mich und ist zurückhaltend, es dauert eine kleine Weile, bis er sich mit mir an unsere Erlebnisse erinnern will.

Doch, er erinnert sich an Skreia.

Und weißt du noch: Anders Fila und die Spirale? Und erinnerst du dich an Petra?

Welche von ihnen?

Petra, die deine Liebste war.

Ja, an die erinnere ich mich schon noch. Ich blieb schließlich an ihr hängen.

Grindhusen beginnt wieder zu hacken.

So, du bist an ihr hängen geblieben?

Na ja freilich. Es sollte eben nicht anders sein. Was ich sagen wollte, du hast dich offenbar tüchtig herausgemacht, soviel ich sehe?

Wieso? Die Kleider? Hast du denn nicht auch Sonntagskleider?

Was hast du dafür bezahlt?

Ich weiß es nicht mehr, aber es war nicht viel, ich könnte es nicht so genau sagen.

Grindhusen sieht mich erstaunt an und lacht.

Du weißt nicht mehr, was du für die Kleider bezahlt hast? Dann wird er ernst, schüttelt den Kopf und sagt: O nein, das weißt du wohl nicht mehr. So ist es, wenn einer viel Geld hat.

Die alte Gunhild kommt aus der Stube, und da sie sieht, daß wir die Zeit hier beim Hackstock verschwätzen, befiehlt sie Grindhusen, mit dem Anstreichen zu beginnen.

Ja so, du bist jetzt Maler geworden, sagte ich.

Grindhusen antwortet nicht darauf, und ich verstehe, daß ich im Beisein anderer etwas Ungeschicktes gesagt habe.

3

Ein paar Stunden lang verkittet er die Risse und streicht an, und bald steht die dem Meer zugewandte Nordseite der kleinen Hütte geputzt und rot da. In der Mittagspause gehe ich mit einem Schluck Branntwein zu Grindhusen hinaus, wir legen uns in die Wiese und schwätzen und rauchen.

Maler? Na, nicht gerade Maler, sagt er. Wenn mich einer fragt, ob ich eine Hauswand anstreichen kann, dann kann ich es. Und fragt mich einer, ob ich das und jenes kann, dann kann ich es auch. Da hast du aber wirklich einen guten Branntwein.

Seine Frau und zwei seiner Kinder wohnten eine Meile weit weg, jeden Samstag ging er zu ihnen heim; zwei von seinen Töchtern waren erwachsen, die eine hatte geheiratet, und Grindhusen war bereits Großvater. Wenn er nun Gunhilds Hütte zweimal angestrichen hätte, sollte er auf den Pfarrhof gehen und einen Brunnen graben; es gab immer etwas zu tun, bald da, bald dort in den Gemeinden. Und wenn der Frost kam und der Winter begann, ging er entweder zum Holzfällen in die Wälder, oder er legte sich daheim eine Zeitlang auf die faule Haut, bis wieder irgendeine Arbeit für ihn auftauchte. Er hatte jetzt keine größere Familie mehr, und es würde sich für morgen so gut ein Rat finden wie für heute.

Wenn ich es nun erschwingen könnte, dann würde ich mir einiges Maurerwerkzeuq kaufen, sagte Grindhusen.

Bist du auch Maurer?

Na, nicht gerade Maurer. Aber wenn der Brunnen gegraben ist, dann muß er ausgemauert werden, das ist klar …;

Wie gewöhnlich wandere ich über die Insel dahin und denke an allerlei. Friede, Friede, ein himmlischer Friede schweigt mir hier von jedem Baum im Walde entgegen. Es sind fast keine kleinen Vögel mehr da, nur einige Krähen fliegen stumm von Ort zu Ort und setzen sich nieder. Und die Vogelbeertrauben fallen schwer zu Boden und vergraben sich im Moos.

Er hat vielleicht recht, Grindhusen, es findet sich wohl für alles auch morgen ein Rat, so gut wie heute. Seit zwei Wochen habe ich jetzt keine Zeitung mehr gelesen, und ich lebe trotzdem, ich lebe, mache große Fortschritte in meiner inneren Ruhe, singe, recke mich, stehe an den Abenden barhäuptig da und betrachte den Sternenhimmel.

In den letzten achtzehn Jahren habe ich im Café gesessen und dem Kellner eine Gabel zurückgegeben, wenn sie nicht ganz rein war; hier bei Gunhild gebe ich keine Gabel zurück! Sahst du, wie Grindhusen – sage ich zu mir selbst –, als er die Pfeife anzündete, sein Zündholz bis aufs äußerste ausnützte und sich doch seine harten Finger nicht verbrannte? Ich hatte beobachtet, wie eine Fliege auf seiner Hand lief, er ließ sie laufen, vielleicht fühlte er es nicht. So soll ein Mann gegen Fliegen sein …;

Am Abend nimmt Grindhusen das Boot und rudert fort. Ich schlendere am Strand entlang, singe ein wenig, werfe Steine ins Meer und ziehe Treibholz aus dem Wasser. Sterne und Mond stehen am Himmel. Nach ein paar Stunden kommt Grindhusen zurück und hat alle nötigen Maurerwerkzeuge im Boot. Das hat er sich irgendwo gestohlen, denke ich. Jeder von uns nimmt seine Bürde auf die Schulter, und wir verstecken das Werkzeug im Wald.

Dann ist es Nacht, und wir trennen uns für heute.

Am nächsten Nachmittag ist der Anstrich des Hauses fertig; um aber die Arbeitszeit ganz auszufüllen, geht Grindhusen darauf ein, den Rest der Zeit bis sechs Uhr Holz zu hacken. Ich nehme Gunhilds Boot und rudere zum Fischen hinaus, um bei seinem Fortgehen nicht zugegen zu sein. Fische fange ich keine, aber ich friere und sehe oft auf die Uhr! Jetzt muß er wohl fort sein, denke ich und rudere gegen sieben Uhr heim. Grindhusen ist schon drüben am Festland und ruft mir von dort aus Lebewohl zu.

Ein warmer Strahl durchzuckte mich, es war, als riefe mich etwas aus der Jugend, aus Skreia, was ein Menschenalter zurücklag.

Ich rudere zu ihm hinüber und frage:

Kannst du den Brunnen allein graben?

Nein, ich muß mir einen Mann dazu nehmen.

Nimm mich mit! sage ich. Warte hier, ich muß nur noch einmal zurück und abrechnen.

Als ich in der Mitte des Sundes war, ruft mir Grindhusen nach:

Nein – es wird Nacht für mich. Und dir ist es wohl auch nicht Ernst damit?

Warte ein paar Minuten. Ich bin gleich wieder da.

Und Grindhusen läßt sich am Strand nieder. Er erinnert sich, daß ich eine kleine Flasche besonders guten Branntwein habe.

4

Wir kamen an einem Samstag auf den Pfarrhof. Grindhusen hatte mich nach vielen Zweifeln endlich als Helfer mitgenommen, ich hatte Proviant und Arbeitskleider gekauft und stand jetzt in Bluse und Schaftstiefeln an Ort und Stelle. Ich war frei und unbekannt und bemühte mich mit langen, schweren Schritten zu gehen – Gesicht und Hände hatten schon vorher etwas Proletarierhaftes gehabt. Wir sollten auf dem Pfarrhof wohnen; das Essen konnten wir uns im Brauhaus kochen.

Dann begannen wir zu graben.

Ich tat meine Arbeit, und Grindhusen war mit mir zufrieden. Du bist gewiß noch ein ganzer Kerl zur Arbeit, sagte er.

Nach einiger Zeit kam der Pfarrer zu uns heraus, und wir grüßten. Es war ein älterer, milder Mann, der eine bedächtige Rede führte; um die Augen hatte er einen Fächer von Falten wie von tausend gütigen Lächeln. Er bat um Entschuldigung: die Hühner seien so schlimm und kämen jedes Jahr in den Garten, ob wir nicht erst etwas an der Gartenmauer dort in Ordnung bringen könnten?

Grindhusen antwortete: Freilich, da könne schon geholfen werden.

Wir gingen hinauf und setzten die eingefallene Gartenmauer instand, und während wir damit beschäftigt waren, kam eine junge Dame heraus und sah uns zu. Wir grüßten wieder, und ich fand sie wunderschön. Auch ein halb erwachsener Junge kam heraus, sah zu und stellte seine vielen Fragen. Die beiden waren wohl Geschwister. Die Arbeit ging so leicht, während die jungen Leute dastanden und zusahen.

Dann wurde es Abend. Grindhusen ging heim, ich blieb da. Nachts lag ich auf dem Heu in der Scheune.

Am nächsten Morgen war Sonntag. Ich wagte nicht, meine Stadtkleider anzuziehen, da sie vielleicht zu fein für mich ausgesehen hätten, sondern putzte meinen Anzug von gestern gut aus und trieb mich an dem milden Sonntagmorgen auf dem Pfarrhof herum. Ich sprach mit den Knechten und scherzte gleich ihnen mit einigen der Mädchen; als die Kirchenglocken zu läuten begannen, ließ ich um ein Psalmenbuch bitten. Der Sohn des Pfarrers brachte mir eines. Von dem größten der Knechte lieh ich mir eine Jacke, sie war zwar etwas knapp, wenn ich aber die Bluse und die Weste auszog, paßte sie ganz gut. Dann ging ich in die Kirche.

Die innere Ruhe, die ich mir bei meinem Aufenthalt auf der Insel erarbeitet hatte, erwies sich noch als ungenügend; als die Orgel zu brausen begann, wurde ich aus meinem Gleichgewicht geworfen und war nahe daran zu schluchzen. Halt dein Maul, das ist nur Neurasthenie! sagte ich zu mir selbst. Ich hatte mich ziemlich abseits gesetzt und verbarg meine Rührung so gut wie möglich. Sehr froh war ich, als der Gottesdienst zu Ende war.

Nachdem ich mein Fleisch gekocht und Mittag gemacht hatte, wurde ich in die Küche zum Kaffee eingeladen. Während ich dort saß, kam das junge Fräulein von gestern herein, ich stand auf und grüßte, und sie dankte. Sie war so nett, weil sie jung war, und sie hatte hübsche Hände. Als ich gehen wollte, vergaß ich mich und sagte:

Tausend Dank für Ihre Liebenswürdigkeit, schöne Dame!

Erstaunt sah sie mich an, runzelte die Stirne und wurde nach und nach glühend rot. Dann gab sie sich einen Ruck und verließ die Küche. Sie war so jung.

Nun, das hatte ich gut gemacht!

Mißmutig schlich ich in den Wald hinauf und versteckte mich. Warum hatte ich naseweiser Tor nicht geschwiegen! Ich banaler Schwätzer!

Die Häuser des Pfarrhofes lagen an einem kleinen Hang, von dessen Höhe aus sich eine Hochfläche mit Wäldern und Rodungen ins Land hinein erstreckte. Mir kam der Gedanke, daß der Brunnen eigentlich hier oben gegraben und eine Leitung zu den Häusern von hier aus hinuntergelegt werden müßte. Ich schätze die Höhe ab und bin überzeugt, daß das Gefäll ausreicht; auf dem Heimweg schreite ich die ungefähre Länge ab, es sind dreieinhalbhundert Fuß.

Aber was ging mich der Brunnen an! Daß ich nur nicht plötzlich wieder den Fehler mache, gebildet zu sein, Beleidigungen zu sagen und mich über meinen Stand zu erheben!

5

Am Montag war Grindhusen zurück, und wir fingen an zu graben. Der alte Pfarrer kam wieder zu uns heraus und fragte, ob wir ihm nicht am Weg zur Kirche einen Pfosten aufmauern könnten. Er brauche den Pfosten, der schon früher dort gestanden habe, aber vom Wind umgeworfen worden sei, er benütze ihn, um Plakate und Bekanntmachungen daran anzuschlagen.

Wir stellten einen neuen Pfosten auf und gaben uns Mühe dabei, so daß er kerzengerade dastand; als Dach setzten wir eine Kappe aus Zinkblech darauf.

Während ich an dieser Blechkappe arbeitete, veranlaßte ich Grindhusen, vorzuschlagen, der Pfosten solle rot angestrichen werden; er hatte noch rote Farbe von Gunhilds Haus übrig. Als der Pfarrer den Pfosten lieber weiß haben wollte und Grindhusen ihm nur nach dem Mund redete, wendete ich dagegen ein, daß man die weißen Plakate auf rotem Grund besser sehen würde. Da lächelte der Pfarrer mit den unzähligen Falten um die Augen und sagte: Ja, da hast du recht.

Mehr bedurfte es nicht, dieses Lächeln und diese kleine Zustimmung waren genug, mich innerlich stolz und froh zu machen.

Das junge Fräulein kam herzu, richtete einige Worte an Grindhusen, scherzte sogar mit ihm und fragte, was das für ein roter Kardinal sei, den er hier aufstelle? Zu mir sagte sie nichts und sah mich auch nicht an, als ich grüßte.

Das Mittagessen war eine harte Prüfung. Nicht weil das Essen nicht gut genug war, aber Grindhusen aß die Suppe so häßlich, und um den Mund glänzte er von Speck.

Wie wird er wohl die Grütze essen? dachte ich hysterisch.

Als Grindhusen sich auf der Bank zurücklehnte und es den Anschein hatte, daß er in diesem fetten Zustand seine Mittagsrast halten wolle, rief ich ihm einfach zu: Aber so wisch dir doch den Mund ab, Mensch!

Er sah mich an, fuhr sich dann mit der Hand über die Lippen. Den Mund? fragte er.

Ich mußte den Eindruck wieder verwischen und sagte: Hoho, jetzt hab' ich dich schön zum Narren gehalten, Grindhusen! Aber ich war unzufrieden mit mir und verließ sogleich das Brauhaus.

Das junge Fräulein möchte ich übrigens so weit bringen, daß sie mir dankt, wenn ich grüße, dachte ich; sie soll in kurzer Zeit darüber aufgeklärt werden, daß ich ein Mann von Kenntnissen bin. Da war z. B. dieser Brunnen mit der Wasserleitung – wie, wenn ich nun mit einem vollständigen Plan hervortreten würde! Mir fehlte nur noch ein Meßapparat, um das Gefälle vom Gipfel der Anhöhe zu bestimmen, und ich begann an diesem Apparat zu arbeiten. Ich konnte mich mit einer Holzröhre behelfen, wenn ich zwei gewöhnliche Lampenzylinder daran festkittete und dann das Ganze mit Wasser füllte.