Vera Granford - Wolfgang Licht - E-Book

Vera Granford E-Book

Wolfgang Licht

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Beschreibung

Selbstbewusst, ansehnlich, beruflich erfolgreich, verliebt in einen verheirateten Mann und voll unruhiger Sehnsucht nach Geborgenheit im Alltag der DDR. So ist Vera, eine geschiedene Frau in den besten Lebensjahren. Die faszinierende und verlockende Bekanntschaft, die in der Bar eines Interhotels begann, vielfältige Erlebnisse im Kreis befreundeter Familien oder mit ihrem Vorgesetzten, unzweideutige Angebote diverser Männer in der lockeren Atmosphäre eines öffentlichen Tanzlokals oder anderswo - nichts kann ihre Standhaftigkeit und ihr brennendes Verlangen nach einem Leben an der Seite des Geliebten beeinflussen. Doch dann kommt sie selbst zu einem schmerzlichen Entschluss ... Das spannende Buch erschien erstmals 2007 im Tauchaer Verlag. LESEPROBE: Ein Drahtzaun und bestaubte Hecken umgrenzten das ausgedehnte Feld. Hier lagerten die Steine. Ich blieb auf den Kieswegen und sah Richard und dem schulterbreiten Steinmetzen zu, wie sie zwischen den Platten umherstiegen. Richard in seinem hellgrauen Anzug packte die Steine und beklopfte sie. Sich wieder aufrichtend und den Staub von den Händen schlagend, lachte er schallend über Witze, die ihm der andere unter Grimassen erzählt hatte. Sie standen redend, und ich sah auf Richards Mund, der den Ausdruck seines bewegten Gesichts bestimmte. Dann drehte er suchend den Kopf und als er mich entdeckt hatte, hob er die eben weggelegte Platte wieder hoch und schrie mir zu, wie ich Sandstein fände. »Die Kinder werden sich freuen«, rief ich zurück. »Warum?« - »Gut zum Draufmalen.« Sie lachten beide und kamen heran. Richard rief launig, mit G käme er heute nicht weiter, ich solle ihn mal ein bisschen bezirzen. G verbeugte sich schmunzelnd und Richard sagte, sich ihm zuwendend, er solle sich vorsehen, ich sei Psychologin. G begann mit mir zu scherzen, nannte mich »Junge Frau.« Ich sah, dass er herauszufinden suchte, wie Richard und ich zueinander standen. Ich trug keinen Ring mehr und Richard hatte es schon immer so gehalten. Er fände Symbole einfältig, hatte er mir einmal geantwortet. »Bei anderen belächeln wir Nasenschmuck.« - »Dir passt es nur nicht, auf Chancen zu verzichten.« Doch er hatte unwirsch entgegnet, so etwas käme auf den Mann an, nicht auf den Ring.

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Impressum

Wolfgang Licht

Vera Granford

ISBN 978-3-86394-381-3 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 2007 im Tauchaer Verlag.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Man schrieb das Jahr neunzehnhundertvierundsiebzig. Die Märzluft hatte die Gehsteige und Fahrbahnen endlich getrocknet. Die Menschen liefen ohne Mäntel über den weiten, windigen Platz, obwohl sie noch froren. Quader. Ihre Kanten strebten im hohen Blau zueinander. Auf der Herfahrt hatte ich Vogelschwärme gesehen. Sie kreisten über plötzlich besonnten braunen Feldern und Wäldern, die schon grün beflaumt waren. Nun glaube ich ihn, den Frühling, hatte ich gedacht und war von Erwartung durchdrungen.

Durch Gäste, die redeten und rauchten, drängte ich mich an die Rezeption. »Bitte sieben vier acht.« Sie behielt den Hörer am Ohr, sagte: »Tut mir leid, ausgebucht«, drehte sich dabei halb herum, gab mir den Schlüssel. »Danke.« Meine Schritte klappten auf spiegelndem Schiefer. Ich ging zwischen Ledersesseln durch süßliche Tabakwolken und sah aus den Augenwinkeln dicke Lippen lächeln in braunen Gesichtern. Vor dem Lift verhielten zwei Männer. »Bitte«, mit übertriebener Geste. Im Aufzuge musterten sie mich. Wenn sich unsere Blicke trafen, glitten sie rasch ab, mit leerem Ausdruck. Im vierten Stock verließen sie den Korb. Grüßten murmelnd. Siebenter: Ich ging unhörbar über Teppiche. Ich schloss hinter mir ab und setzte mich aufs Bert. Jetzt fühlte ich mich geborgen, mein Blut strömen, die Hände warm werden. Ich ging ans Fenster, schob den Vorhang zurück und öffnete die Glastür. Neue Magistralen. Das Rathaus. Die glitzernde Elbe. Ich begann zu hüpfen. Dann entkleidete ich mich rasch. Eine Masche zog davon. Ich lachte, knipste Licht im Duschraum, ließ Wasser prasseln und sang. Ich hätte nichts zu wünschen gewusst. Ich war frei für Richard, und ich war jung. Ich im Spiegel: Gute Augenbögen. Die Taille, ein Tal. Ein runder, glatter Nabel. Allerdings, mit dreißig ist man nicht mehr so ganz jung. Aber wozu Schärfe. Haut trügt. Man sollte sich selbst weichzeichnen. Ich tropfte und glänzte, rieb mich trocken, klopfte mir eine Creme ein. Dann legte ich mich nackt aufs Bett. Sein Laken war kühl und glatt.

Es war wie damals, vor sieben Jahren: Ich lief mit Jürgen durch diese Stadt. Sonnenhitze prallte von den Mauern. Wir saßen an Tischen im Schirmschatten. Löffelten Eis portionsweise. Reifen surrten wie Insekten. Wir sahen in das Treiben vor uns. Lächelten. Ich beugte mich zu ihm und strich Schweißtropfen von seiner Stirn. Der breite, flache Ring schimmerte an meinem Finger. Schon lange waren wir herangewachsen. Aber jetzt erst durften wir leben wie Mündige. Zusammenwohnen. Fühlten uns »entsündigt.« Vielleicht hatten wir deshalb nicht länger gewartet. Ich hielt ihm einen Taschenspiegel vor. Wir lachten über die breite Staubfurche über seinem Auge.

Wir wohnten damals neben dem Rathaus, das wir Big-Ben nannten. Oft blickten wir von seiner Höhe ins Übertägliche. Wir sahen das Organische der Stadt: ihre Narben, noch offenen Wunden, und ihr Erblühen. Ich hatte ihre Verbrennung erlebt und wusste nichts mehr davon. - Ich wollte nicht an Jürgen denken. Ich wollte ihn heraushaben aus allen Bildern, in denen er vorkam. Ich wollte nur die Freude zurück, die Unversehrtheit, das volle Klingen und den reinen Ton jener Tage. Damals gab es die Zeit nur auf dem Kalender. Zählte nach Erreichtem und Festem. War Zahl, uns nicht bewusst als Leben, das endlich ist, für jeden. Vorbei. Jürgen hat mich nicht begreifen können. Ich verteufelte ihn aus Notwehr. Machte ihn leichter, ärmer, als er war. Er hätte mich gehen lassen müssen. So wurde es schlimm. Aber der Schmerz war noch nicht Erinnerung. Er hallte wider als Angst, und Gedanken reizten die Wunde. Ich fror und zog mich an.

2. Kapitel

Ich hätte mich mit Richard nicht in dieser Stadt treffen sollen, wenigstens nicht gestern schon herreisen, nicht warten müssen. Morgen ist unser heidnischer Tag. So nannte ihn Richard, jenen Tag. an dem wir uns verbanden. Ich blieb unruhig und plötzlich war eine verrückte Hoffnung in mir. Ich machte mir rasch eine Frisur und ging zum Lift.

In der Halle Gedränge. Busse waren angekommen. An Tischen füllten die Angereisten Formulare aus. Eine blonde Mutter zankte ihr rotznäsiges Söhnchen und zog ein Taschentuch, sich verlegen umsehend. Ich zwängte mich durch Leute und Koffer. Vor der Rezeption strengte sich jeder an, gehört zu werden. Obwohl eine schmallippige Hostess gerade den Hörer auflegte und zu mir hersah, zog ich es vor, mich bei der Blonden anzustellen. Ich wollte länger hoffen. »Richard T.?« Sie sah nach, rasch, sorgfältig. »Leider«, sie lächelte mitfühlend, ich fühlte mich getröstet. Richard war noch nie früher gekommen als ausgemacht. Wie hatte ich’s nur denken können. Und wäre er hier, er hätte mich längst gefunden, dachte ich schließlich.

In den Ledersesseln saßen jetzt andere. Ich ging in das Espresso am Ende der Halle, glitt auf einen Hocker und bestellte Mokka. Nach einer Weile setzte er sich neben mich. Ich hatte ihn schon vom Lift aus gesehen. Er sprach schlecht deutsch. Ich beobachtete, wie seine Lippen Laute formten. Seine Stimme tönte ohne zu dröhnen. Beim Lächeln wölbten sich seine Wangen, dass seine Zähne glänzten, lag wohl am Kontrast. Das Warten hatte mich bedrückt und fast war ich ihm dankbar, dass er offenbar Gefallen an mir fand. Und: Er ließ mich den Abstand bestimmen. Er trank Scotch. Ich hatte auch Lust darauf. Wie in allen Interhotels kursierten auch in diesem zwei Währungen, und Whisky war hier nur für Westgeld zu bekommen. Das in meinem Täschchen müsste reichen, dachte ich.

Ich hatte ihn nach afrikanischer Literatur befragt und er zitierte etwas von Bolambe, den ich kannte. Roger Bolambe war sein Landsmann. »Leopoldville?«, fragte ich. »Brazzaville.« Dann redeten wir von Afrika, und er lachte, als ich ihm sagte, wie ich mir die Wüste und den Dschungel vorstellte. Ich behielt meinen Whisky lange im Munde, denn mein Geld reichte nicht für weitere Drinks und mehr als zwei Gläser trinkt eine Dame ohnehin nicht, nachmittags, dachte ich. Ich wies auf die Flasche: »Fuselöle«, sagte ich, »machen Zirrhosen.« Er missverstand mich. »Ah, Collega,« rief er erfreut. Ich verneinte und er fragte nicht weiter, ich sah seine Muskeln gleiten unter der braunen Haut, als er das Glas fasste. Er war M’-boschi, hatte Medizin studiert. »Nur Arzt sein ist nicht gut bei uns«, sagte er. Wir konnten uns nur schwer verständigen. Französisch, seine zweite Sprache, verstand ich überhaupt nicht. Ich spähte in den Spiegel und sah hinter Kristallgläsern und bunten Flaschen sein dunkles Gesicht - ein Porträt aus Ife - und mein helles Oval. Er roch nach fremdartigen Hölzern und Früchten. Ich war durchdrungen von Fernsucht damals. Die Welt ging weiter hinter meinem Hause, aber mir blieben viele Wege unzugänglich, sogar verboten. Und:

Manches was ich tat, tun musste, war nicht besonders wichtig. Manchmal erschien mir mein Lebenskreis wie eine gegossene Form. In ihren unnachgiebigen Hohlräumen bewegten sich meine Tage, schwapp, wie Wasser in einer Badewanne. Die stereotypen Küchengriffe. Die täglichen Wiederholungen im Institut, in den Versammlungen. Das Auswendige, Absehbare bei Bekannten und Freunden. Ihre vorhersehbaren Äußerungen zu allem und jedem. Ich mag Menschen, die wagen, infragezustellen. Ihn beneidete ich um die Welt, obwohl sie hart war für ihn und sein Land. Er wollte Gynäkologe werden. »Gebären ist noch gefährlich bei uns.« Er habe an viele Kliniken geschrieben. In D. erst sei er schließlich aufgenommen worden. Er rauchte wieder diesen aromatischen Tabak. Als er ging, wollte er meinen Whisky bezahlen, aber ich ließ es nicht zu. Tschechen kamen herein. Ich drehte mich auf dem Hocker. Sie stellten die Koffer ab. Einer schwang die Arme, erklärte. Dann kam er an die Theke, bewegte die Lippen über der Karte. »Po prve?« fuhr es mir heraus. Ich sah mich wieder auf der Karlsbrücke, das Gesicht zur Sonne, bummeln mit Jürgen unter den Arkaden, streunen durch Höfe, flüstern in Kirchen. Von D. aus waren wir damals weitergereist, nach Prag. Der Fremde hatte überrascht aufgeblickt und überschüttete mich jetzt mit seiner Sprache. »Das sind die einzigen Wörter, die ich kenne.« Ich lachte und hob die Schultern. Der Barmann erklärte es ihm auf tschechisch. »Sagen Sie ihm, ich liebe die Moldau«, rief ich. Der Whisky war schon ein wenig im Spiele. »Oh«, er gab mir die Hand. Schmunzelnd ging er zu seinen Leuten zurück.

3. Kapitel

Abends aß ich im Hotelrestaurant. Ich wählte ein indisches Gericht. Der Kellner, er hatte mir Platz verschafft in einer Nische, notierte. Ich fand es behaglich und blickte umher. Die Pendeltüren schlugen. Ich konnte es nicht hindern, die hereinkommenden Gäste zu sehen. Und wieder hoffte ich, Richard käme. Stattdessen wollten sich zwei Männer zu mir setzen. Ich verwies sie an andere Tische. Ich mochte keine Trivialgespräche beim Essen und hing lieber meinen Gedanken nach. Ich bekam mein Menü. Es bestand aus hartem fettigen Reis, trockenem Hühnerfleisch und einigen Bananenscheiben. Das Starren auf die Türe störte mich jetzt doch. Ich zahlte einen fantastischen Preis, aber der Kellner war nett zu mir. Hinter grünen Pflanzen hatte ich ein noch ziemlich junges Paar bemerkt. Sie aßen auch. Der Mann blickte durch eine kantige Hornbrille auf den Nachbartisch. Sie drehte ihr hochgelocktes Köpfchen in die Gegenrichtung. Sie hatten noch kein Wort miteinander gewechselt. Beim Hinausgehen fragte ich mich, was sie in einigen Jahren miteinander beginnen würden. Sie trugen keine Ringe.

Es war noch zu zeitig zum Schlafen, obwohl ich es vorgezogen hätte. Aber ich kannte das: sich stundenlang im Bett wälzen, Kopfkissen drehen, sich Ohrfeigen anbieten aus Wut über sich selbst. Gedankentumult. Stimmungskarneval. Dann doch lieber die Bar, obwohl ich das Wagnis begriff. Immerhin gehörte sie zum Hause. Ich hoffte, untertauchen zu können in der künstlichen Dämmerung. Nach einigem Weine fand ich es mühsam, die Verbeugungen von Männern vor meinem Tische abzuwehren. Ich folgte schließlich einem hageren Bärtigen. Er war mit dem Tanzen beschäftigt, schwieg und blickte tragisch auf seine Füße. Ob ich aus D. sei, fragte er endlich. »Ja«, sagte ich und mit einem Male redete er von Pelzen. Vielleicht war er Kürschner. Nach ihm gewann einer mit Bauch und einem flammenden Schlips den Spurt um einen Fußbreit vor anderen Er behandelte mich völlig als Trophäe. Er grinste sogar unverschämt in irgendeine Richtung. Dann wieder der Bärtige und andere. Ich konnte es nicht mehr stoppen. Ich kam mir vor wie ein Wanderpokal. Wollte man sich unbehelligt vor seinem Glase amüsieren, musste man wohl ein Mann sein.

Ein Schlacks erschien. Sein langer Körper schwankte über seinen Füßen, als hielten ihn Wurzeln am Boden. »Bin auch alleine«, nuschelte er, eine Flasche schwenkend. Stammelnd fiel er auf einen Stuhl neben meinem Tisch. »Stehen Sie sofort auf«, sagte ich wütend. »Wohl versauern hier«, sagte er grienend, Weindunst über den Tisch blasend. Der Bärtige sah vorwurfsvoll herüber. Es war kein Spaß mehr. Ich verzichtete darauf, den Ober anzurufen, legte einen Geldschein unter mein Glas und ging zum Lift.

Ich hatte mich hingelegt. Hörte die gewohnten Geräusche, drehte die Augen nach den wandernden Schatten an den Wänden.

Dann sah ich auf meine Uhr. Ich hatte sie nicht abgenommen wie sonst. Seltsam, das Zifferblatt beruhigte mich. Als helfe es, die Zeit zu wissen. Eine Düsenmaschine knallte Luft auf die Dächer. Ich schrak zusammen und nahm dann wahr: 22.55 Uhr. Natürlich wäre ich zu jeder Zeit erschrocken. Jedenfalls: noch nicht Mitternacht. Da hielt ich es nicht mehr aus. Ich ließ mir ein Amt geben. Es tutete lange und ich hörte mein Herz. Ich wollte abhängen und bezwang mich. Endlich: »Ja bitte?« Ihre Stimme klang verschlafen. Es war Renate, Richards Frau. Ich hätte darauf gefasst sein müssen. Ich verlangte nach Richard, sprach gepresst. Sie bat mich zu warten und fragte nichts.

Ob sie sich meine Stimme gemerkt hatte? Ich hatte selten angerufen. »Thornt.« Ich lauschte. Schwieg. Ich war aufgelöst, wollte, dass er mir half gegen dieses Zimmer und meine Gedanken. Nochmals: »Hallo.« Er nannte seine Nummer, wurde ärgerlich. Es war gut, ihn zu hören, schlimm, ihn dort zu wissen. Ich dachte sie neben ihm stehend, im dünnen Hemd oder auf einem Stuhle sitzend, unter einer Lampe. Ich kannte ihre Wohnung nicht. Richard hatte sie mir einmal aufgemalt, auf einem Bierdeckel. Jürgen hatte ihn später gefunden und als Beweismittel gebraucht und sich lächerlich damit gemacht. Schließlich hatte er die Anschuldigung zurückgenommen. Er hatte nichts gewusst von mir und Richard. Keiner wusste etwas.

»Hallo«, sein Ärger war gespielt. Ich merkte es. Seitdem ihn sein Schulprojekt alle Zeit kostete, hatte ich ihn häufiger angerufen. »Vera«, flüsterte ich. Es würde nur ein Geräusch geben in seiner Muschel. Ich stand auf und nahm eine Tablette, trank Wasser. Es schüttelte mich. Ich legte mich wieder hin. Die nächsten Tage, dachte ich. Wir werden zum ersten Male allein sein. Werden miteinander sprechen, ohne unsere Gesichter einrichten zu müssen. Aus den Tagbildern trat Mohamed. Ich versuchte, mir die Wüste vorzustellen. Es wurden Disneybilder. Ich schlief ein, friedvoll.

4. Kapitel

Im Frühstücksraum traf ich Mohamed. Er begrüßte mich in seiner Sprache. Es klang lustig. »Was heißt es?« - »Wie die Sonne aufgeht und das Brot schmeckt, wird der Tag sein.« - »Oh«, sagte ich und blinzelte in die spitze Sonne. »Und nun das Brot.« Ich ging zur Anrichte, nahm einen Teller und darauf Rochefort, Salami, Konfitüre aus Quitten. Ich nahm seinen Tisch an, sein Brot aus dem Korbe. »Herrlich müsste mein Tag werden.« Ich lachte. Wir schwatzten, waren heiter. Er erklärte mir ein kongolesisches Frühstück. Ich sagte, er sei nett. Er verbeugte sich und erwiderte lachend, er verstelle sich nur. »Ein Mann zeigt sich darin, wie er mit einer Frau spricht.« Ich tupfte mir den Mund. »Und wenn er nichts sagt?« - »Wie er’s nicht sagt.« Er lächelte höflich. Dann wollte er ans Büfett und fragte, was er mir bringen dürfe. Ich würde ihn gern wiedersehen, aber dazu wird's wohl nicht kommen. Später sagte ich ihm, ich würde erwartet und es sei ein nettes Frühstück gewesen. Er winkte dem Mädchen und während sie rechnete, waren ihre Beine vor meinen Augen. Dann standen wir auf und Mohamed begleitete mich in die Halle. Vor Reganders >Inferno< blieb er stehen. Er bemerkte meine Blicke. »Guemica«, ich sah seine rote Zunge, als er den Namen aussprach. Jemand hielt die Eingangstür offen. Wind bewegte die Tabakschwaden. Ich erschauerte. »Coventry, Nagasaki und diese Stadt«, sagte ich langsam, »es waren immer die Gleichen.« Die Straßen schmolzen, hatte meine Mutter erzählt. Nach Monaten noch hätte ich geschrien, wenn das Gas in der Küche flammte. Haiphong auf Bildern, in Filmen sah ich es, trauernd, empört, aber mein Gefühl erinnerte sich nicht.

Ich gab Mohamed die Hand. Er hielt sie eine Weile und sah mich an. »Die Tauben bluten noch immer«, sagte er leise. Ich wurde wieder befangen, trat zurück und sagte noch einmal: »Auf Wiedersehen.« Dabei stieß ich an Richard. Ich spürte mich erröten, mein Gesicht wurde heiß. Mohamed lächelte liebenswürdig. Richard blickte unbeteiligt. Sie sagten sich ihre Namen. Richard führte mich an der Hand aus der Halle. Ich drehte mich noch einmal herum, worüber Richard den Kopf schüttelte, und winkte Mohamed zu. Er bewegte leicht die Hand. Ich wollte, dass er traurig aussah.

5. Kapitel

Glas und Metall glänzten in der Sonne. Die Häuser wirkten wie gewaschen. Starke Schatten machten alles bildhaft und weiträumig. Richard wollte sich zuerst um die Steine kümmern. Es könne sein, dass schon heute einer aus seinem Büro anrufe. Und er versprach, es würde nicht lange dauern. Wir wollten ein Stück laufen und Richard zog meinen Arm unter seine Achsel. Auf den Straßen strömten Menschen. Überall Autos. Sie stauten sich gegen das Zentrum hin. Heller, lebendiger Lärm. Er erregte mich wie das Bersten von Wogen. Ich drückte Richards Hand und atmete tief. Ich war wieder zuversichtlich. Er war hier und wir gingen zusammen. Unter diesem Himmel verblassten die nächtlichen Alben. Richard erzählte von der Firma, zu der wir unterwegs waren. Ich hörte nur auf seine Stimme, spürte seinen festen Gang. »Hilfst du mir ...« - »Ja!«, unterbrach ich ihn überschwänglich. Er sah mich flüchtig an, »... beim Aussuchen«, sagte er dann und begann aufzuzählen: »Theumaer Schiefer, Muschelkalk, Sandstein ...« - »Ja«, sagte ich wieder. Er sprach dann von den Eigenschaften des Materials und den Preisen. Unvermittelt blieb er stehen, sah mich an. »Sag’ mal, du hörst mir wohl gar nicht zu?« »Theumaer Schiefer, nicht trittsicher, 11,30 Mark pro Quadratmeter, stimmt’s?« Ich gab den Blick keck zurück. Ich hätte alles mit ihm gekauft. Er müsste mich nur mitnehmen.

Lachend erzählte ich ihm dann, wie es mir in der Bar ergangen war. Ich beobachtete, wie er erstaunte und ehe er etwas sagen konnte, rief ich: »Die versteht’s«, und zeigte auf eine junge Verkehrspolizistin, die auf einem Podest agierte. Er murmelte, sie müssten eigentlich Rauchmasken tragen. - »Das sähe aber komisch aus. Oben Dämon, unten Mini.« Ich lachte ein bisschen übertrieben. »Gestern warst du in einer Bar?« Er sah mich forschend an. Ich schwieg und begann dann zu klagen: »Wenn man nichts anfangen kann mit einem Abend.« - »Ich kann immer etwas anfangen, mit meinen Abenden.« Er war jetzt verstimmt. »Bist du eifersüchtig?« Ich lachte ihn an. »Ach was!« - »Du bist nie allein.« Ich sprach leise, um ihn nicht zu betrüben. »Kennst du das, ausgesetzt sein?« Aber er fragte nur, wie ich das meine. Er will es nicht wissen, dachte ich. Der Fußweg war aufgebrochen. Die Baugrube hatte man hier bis zur Straße vorgetrieben. Wir betraten Planken. Richard beugte sich über das mit Bauklammern festgemachte Geländer und begann, mir das Fundament zu erläutern. Warum es aus Zement gegossen, armiert werden müsste. »Mit den schwarzen Rohren wird der Baugrund entwässert.« Er wies mit der Hand hin. Fußgänger zwängten sich an uns vorbei. Richard ging erst weiter, als ihn ein hastender Mann mit zwei Aktentaschen bissig fragte, ob er über ihn hinwegspringen solle. Häufiger jetzt suchte er solchen Gesprächen zu entkommen. Sie brächten uns nicht weiter, meinte er. Nach einer Weile sagte er, die Gegend würde nun langweilig: »Wir wollen fahren.« Wegen der Baustelle hatte man die Haltestelle versetzt. Wir mussten innerhalb einer schmalen Absperrung hintereinanderlaufen. Er würde mich auch nicht nach dem Anruf fragen. Oder dachte er, weil ich in der Bar war, könne ich es nicht gewesen sein? Ich hielt mich dicht hinter ihm und plötzlich sagte ich zwischen dem Bretterzaun und seinem Ohr: »Ich war’s.« Er musste es gehört haben, aber schließlich konnte er hier nicht stehen bleiben. Als wir heran waren, drehte er sich zu mir. Er machte große Augen. Plötzlich beugte er sich herab und küsste mich heftig. Die Leute an der Haltestelle hatten alle hergesehen, jetzt ruckten ihre Köpfe geradeaus. Eine alte Frau mit einem Einkaufsnetz lächelte mich an. Vor Leuten war er noch nie zärtlich gewesen. Ich war besänftigt. Aber in der Bahn wagte ich den Blick nicht von den Scheiben zu nehmen. Wir fuhren durch verzweifelt gerade Straßen mit Kopfsteinpflaster. Es kamen eintönige Klinkerfassaden, ein Gasometer und überall Schlote, die vor Anstrengung, der Stadt einen neuen Himmel zu erqualmen, zu schwanken schienen. »Die nächste«, sagte Richard.

Ein Drahtzaun und bestaubte Hecken umgrenzten das ausgedehnte Feld. Hier lagerten die Steine. Ich blieb auf den Kieswegen und sah Richard und dem schulterbreiten Steinmetzen zu, wie sie zwischen den Platten umherstiegen. Richard in seinem hellgrauen Anzug packte die Steine und beklopfte sie. Sich wieder aufrichtend und den Staub von den Händen schlagend, lachte er schallend über Witze, die ihm der andere unter Grimassen erzählt hatte. Sie standen redend, und ich sah auf Richards Mund, der den Ausdruck seines bewegten Gesichts bestimmte. Dann drehte er suchend den Kopf und als er mich entdeckt hatte, hob er die eben weggelegte Platte wieder hoch und schrie mir zu, wie ich Sandstein fände. »Die Kinder werden sich freuen«, rief ich zurück. »Warum?« - »Gut zum Draufmalen.« Sie lachten beide und kamen heran. Richard rief launig, mit G käme er heute nicht weiter, ich solle ihn mal ein bisschen bezirzen. G verbeugte sich schmunzelnd und Richard sagte, sich ihm zuwendend, er solle sich vorsehen, ich sei Psychologin. G begann mit mir zu scherzen, nannte mich »Junge Frau.« Ich sah, dass er herauszufinden suchte, wie Richard und ich zueinander standen. Ich trug keinen Ring mehr und Richard hatte es schon immer so gehalten. Er fände Symbole einfältig, hatte er mir einmal geantwortet. »Bei anderen belächeln wir Nasenschmuck.« - »Dir passt es nur nicht, auf Chancen zu verzichten.« Doch er hatte unwirsch entgegnet, so etwas käme auf den Mann an, nicht auf den Ring.

Wir betraten schwitzend die Büros. Ich konnte Männer und Frauen über Büchern und Listen sitzen sehen, während ich auf einem Rohrsessel wartete, dass sich die beiden einigten. G, der mich oft ansah, sagte jetzt, ein Auge zukneifend, die hübschen Frauen hätten andere geheiratet, und, Richard sei schlau, der suche sich nicht nur die schönsten Steine aus. Ein junger Mann im offenen Hemd rief mir von nebenan zu, ich solle mich vor der Lodenjacke hüten, vor dem sei die eigene Tochter nicht sicher, worauf G ihm einen Radiergummi hinüberwarf. Das ging so hin und her. Empfindlichkeit war da nicht am Platze. Ich versuchte, spöttisch zu blicken, sagte schließlich: Solche Reden glichen sich immer. G begleitete uns schließlich zur Tür. Wir plauderten noch ein wenig und G sagte, das sei so ihre Art. Beim Abschied verbeugte er sich nochmals vor mir, diesmal betont höflich

Die Hitze war unangenehm. Wir standen eine Weile, unschlüssig, wohin wir uns wenden sollten. »Warum habt ihr keinen Vertrag gemacht«, fragte ich beiläufig, »konntest du dich nicht entschließen?« Das sei es nicht, er müsse Eindrücke erst ordnen und dazu brauche er Zeit. »Und darüber ist Mittag geworden«, sagte ich nun doch verstimmt. »Da hätten wir auch morgen noch herkommen können.« Der Sandweg war leer. Richard legte seine Hände an meine Schläfen, ich konnte so seinen Augen nicht entkommen, sagte: »Ich freue mich riesig ... auf heute ... Kindskopf«, und küsste mich zwischen den Worten. Mit der Taxe fuhren wir ins Hotel zurück. Ich ließ mich schaukeln in den Kurven und antwortete einsilbig, bis auch Richard schwieg.

Als er ins Restaurant wollte, hielt ich ihn zurück und sagte, ich müsste mich erst frisch machen. In der Halle fragte ich ihn, ob er hier warten wolle. Er schüttelte den Kopf, ließ mich auch den Schlüssel nicht holen. Er dusche auch gern, sagte er, als wir im Lift waren. Er brachte mich bis zu meiner Tür. Dort blieben wir stehen. »Wo liegt dein Zimmer?«- »Im neunten. Du kannst mich ja abholen, wenn du fertig bist«, sagte ich und schloss auf. Hinter der Tür verhielt ich, bis ich ihn weggehen hörte. Auf einmal fühlte ich mich gedemütigt und ärgerte mich darüber. Ich warf mich aufs Bett, schloss die Augen und dachte abzureisen. Dann stand ich auf, ließ Wasser auf meine Hände laufen, presste sie an mein Gesicht.

Ich war geduscht und wieder angezogen, als er klopfte und wartete, bis ich ihn hereinließ. Er sah frisch aus. Ich fand sogar seine Augen heller als vorhin. Er trat rasch auf mich zu, sagte leise und dringlich »Vera« und umfasste mich. Ich strich ihm übers Haar und lächelte. Er begann, mich zu küssen, das Gesicht, zwischen Kleid und Hals. »Lass, du zerbrichst mich«, sagte ich, wieder trotzig, und versuchte freizukommen. Aber er wurde plötzlich wild, drängte mich auf das Bett, versuchte mein Kleid wegzuschieben. »Wenn jemand kommt«, schimpfte ich, »jetzt am Tage.« Dann riss ich ihn an mich.

Ich lehnte an seiner haarigen Brust. Er streichelte behutsam meine Schulter. Im Zimmer war der hellste Nachmittag. Plötzlich drückte jemand die Klinke nieder und bald darauf hörten wir Schlüsselgeräusche. Wir erstarrten, aber dann bedeutete mir Richard durch Zeichen, dass er abgeschlossen habe und jetzt bemerkte auch ich den eingesteckten Schlüssel. Dann hörten wir murmeln und sich entfernende Schritte. Wir saßen noch eine Weile horchend nebeneinander. »Kein Grund, sich zu härmen«, sagte Richard. Aber wir standen auf und begannen, die auf den Boden geknüllten Kleider zusammenzusuchen.

6. Kapitel

Die Luft war nebelrauchig und prickelte auf der Haut. Von Giebeln, über Geschäften leuchteten riesige geschwungene Schriften, färbten die hellen Hauptstraßen, brachen sich im Lack der vorbeisausenden Autos. Der Abend war verheißungsvoll. Aufgeregt drückte ich Richards Arm. Menschen eilten an uns vorbei, Sätze und Lachen blieben in der Bläue. Wir plauderten und besahen uns die Auslagen. Lichtecke aus den Fenstern des >Elefanten< bedeckten die Straße. Richard hielt mir die hohe Glastür, aber schon im Vorraum sahen wir, dass alle Tische besetzt waren. Durch die Tür drangen anheimelnde Wärme und zarter Speisenduft. Plötzlich spürte ich den Hunger fast schmerzhaft. Hinter der vorbeipolternden Straßenbahn leuchteten die eckigen Buchstaben des >Terrassenrestaurant< hervor. Lachend und schwatzend kamen Leute heraus. Wir gaben die Mäntel an der runden Garderobe ab und stiegen die geschwungenen Treppen hinauf. Der Kellner hinter der Drehtür wies uns einen Tisch am Fenster zu, wobei er mir den Stuhl rückte. Ich sah hinaus in die lebendige Nacht. Mir war wohlig zumute. Wie ein Ball, den eine Hand bisher unter Wasser gehalten und plötzlich losgelassen hatte, war ich in die Heiterkeit geschnellt. Richard hielt mir die aufgeschlagene Karte her: »Lässt du mich wählen?« - »Gern.«

Dann sagte er dem wartenden Ober die Speisefolge an: Gefüllter Apfel, Suppe mit Wachteleiern, Rehrücken mit Pastete, Mandelpudding. Dazu drei verschiedene Tokaier Weine. Ich schluckte beim Zuhören und legte die steife, knisternde Serviette aufs Knie. Als der Samarodni im Glase duftete, strich ich über Richards Hand. Ich nahm es für ein Zeichen, dass der Anstoß glockengleich klang, voll und hell. Ich ließ mir vorlegen, einschenken, Schmeichelndes sagen.

Ein bebrillter Schwarzhaariger auf der Balustrade versuchte, mit mir zu flirten; und es missfiel mir nicht. Auch andere Männer sahen nach mir. Lag es an mir, wenn mich sonst die gleichen Mienen empörten, die abtastenden Blicke, weil ich glauben musste, ich sehe aus wie kaufbar, beschlafbar, hurenhaft? Oder verhielten sie sich, wenn ich allein war, doch anders? - »Großartig, der Koch«, sagte Richard kauend und nickte dazu. »Deine Auswahl auch«, sagte ich und trank den Furmint. Wir redeten dahin.

Ungarische Musikanten spielten Pusztaweisen. Im Augenblick glücklich, war ich versucht, gerade jetzt herauszusagen, was mich allein bewegte: wie es weitergehen sollte mit uns, was ich von Richard erwartete und dass ich litt. Doch ich verschloss diese Unruhe tief, hielt die Stunde fest, auf die ich so lange gewartet hatte. Der Kellner schenkte den Mokka ein und räumte die Teller ab. Ich blickte hinab zur Straße. Richard spiegelte sich groß in der dunklen Scheibe.

7. Kapitel

In der ersten Zeit hatten wir uns jeden Tag getroffen. Sein Architekturbüro lag in einem Hochhaus am K’schen Platze, wenige Straßen von unserem Institut entfernt. Wir hatten Mittagspause zur gleichen Zeit. Manchmal hatte er eine Rolle in der Hand, die er mir zeigte, wenn es sich ergab. Er glaubte wohl, ich verstünde etwas von Fassaden. Wir gingen unaufhörlich durch Straßen oder blieben vor Schaufenstern stehen. Die Auslagen kannten wir alle auswendig. Unsere Zeitangaben bezogen sich schon auf >Dekorationsperioden<. Das war, sagten wir, als bei H. die Rasenmäher ausgestellt waren oder als im RFT die japanischen Fernseher standen. Wir aßen im Gehen mitgebrachte Brote und nahmen ab. Ich weiß nicht, ob wir viel davon hatten. Ich war oft müde. Die Auseinandersetzungen mit Jürgen machten mich krank. An jenem Tage hatte ich Richard gesagt, ich verstünde gar nichts von Fassaden, und ich glaubte, er wolle sich nur tarnen.

Ich war vor den >Haushaltwaren< stehen geblieben und tat, als läse ich die technischen Daten der neuen Waschmaschine. »Ich habe die Scheidung eingereicht«, sagte ich gleichmütig. Dabei hatte ich Richards Gesicht im Schaufenster gesehen: dunkel, undeutlich, wie ein Fotonegativ. Er nahm meine Hand, was wir sonst streng vermieden. Sagte nichts. Ich wusste nicht, was er dachte. Aus einem Lautsprecher wurde das Fußballspiel DDR gegen England übertragen. Irgendwer hatte wohl ein Tor geschossen, denn ohrenzerreißender Lärm stand in der Luft.

»Bist du dir sicher?«, fragte er später. Ich nannte ihm ruhig den Termin. Ich glaube heute, er war erschrocken. »Machst du keinen Fehler?«, fragte er nochmals. Ich war verwundert und hatte gesagt, dass ich ihn nicht verstünde.

Wir tranken Azu. Der Geiger kam an unseren Tisch. Er hatte einen Bauch und lächelte verschwörerisch. Er spielte gewandt.

Ich lächelte zurück und betrachtete die Stickerei auf seinem Hemd. Richard steckte ihm etwas zu, worauf der Musiker mit weiteren Stücken aufwartete. Schließlich nahm er seine Geige vom Kinn und verbeugte sich, wir klatschten und er ging an einen anderen Tisch. Da sagte Richard: »Fünfzehnter März, ich war toll vor Glück.« Er zog meine Hände über den Tisch und sah mich lange an. Seine Augen schimmerten. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde. »Hoffentlich waren es nicht die Iden«, sagte ich. »Die sind am 13.«, gab er zurück. »Es war Mittwoch, glaube ich.« Er sah mich an und erwartete wohl, dass ich etwas sagte. Dann fragte er forschend: »Hast du es bereut, manchmal?« Sein Mundwinkel war herabgezogen. »Bis jetzt nicht«, sagte ich, »aber ich will nicht nur die Mittwoche. Er schwieg, blickte aus dem Fenster.