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Eine unerwartete Verbindung, die Herzen auf die Probe stellt
Der Auftakt der mitreißenden Millionaire Romance-Reihe
Nach einer schweren Enttäuschung in der Vergangenheit hat Raphael Andersen sich geschworen, nie mehr als einmal mit derselben Frau zu schlafen. Seitdem hält er sich an seine eiserne Regel und lässt niemanden wirklich an sich heran. Doch seine Entschlossenheit beginnt zu bröckeln als Emilia in sein Leben stolpert. Beide spüren eine unleugbare Anziehung zueinander und Emilia ist die erste, die hinter die Fassade des reichen Snobs schaut. Doch auch ihr fällt es schwer, sich auf Raphael einzulassen, denn sie trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum. Können die beiden alle Hindernisse überwinden und der Liebe noch einmal vertrauen?
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Das Flüstern unserer Herzen.
Erste Leser:innenstimmen
„Ein prickelnder Liebesroman, in dem nicht nur das Herz des Protagonisten Raphael Andersen erobert wird.“
„rührend und mitreißend“
„Diese Love-Story beweist, dass Liebe die stärkste Kraft ist.“
„Ein Muss für Liebhaber romantischer Geschichten mit einer Prise Drama und Leidenschaft.“
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Seitenzahl: 495
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Nach einer schweren Enttäuschung in der Vergangenheit hat Raphael Andersen sich geschworen, nie mehr als einmal mit derselben Frau zu schlafen. Seitdem hält er sich an seine eiserne Regel und lässt niemanden wirklich an sich heran. Doch seine Entschlossenheit beginnt zu bröckeln als Emilia in sein Leben stolpert. Beide spüren eine unleugbare Anziehung zueinander und Emilia ist die erste, die hinter die Fassade des reichen Snobs schaut. Doch auch ihr fällt es schwer, sich auf Raphael einzulassen, denn sie trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum. Können die beiden alle Hindernisse überwinden und der Liebe noch einmal vertrauen?
Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Das Flüstern unserer Herzen.
Überarbeitete Neuausgabe Februar 2024
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98778-907-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-002-0
Copyright © 2019, Anja Langrock Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2019 bei Anja Langrock erschienenen Titels Das Flüstern unserer Herzen (ISBN: 978-3-74946-675-7).
Covergestaltung: Herzkontur – Buchcover & Mediendesign unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Ton Photographer 4289, © Dean Drobot, © LayerAce.com, © Phatthanit Korrektorat: Katharina Pomorski
E-Book-Version 11.04.2025, 17:47:43.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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„Was für ein beschissener Tag“, rief Raphael unterdrückt aus, als er erleichtert das familieneigene Firmengebäude verließ. Eigentlich hatte er gehofft, den Abend mit seinem potenziellen Kunden im angenehmen Ambiente eines der vornehmsten Restaurants Hamburgs zu beschließen. Leider war es anders gekommen. Herr von Seefeld war leider nicht bereit, auf seine Konditionen einzugehen und auch die darauffolgende zähe, langwierige Verhandlung hatte zu keiner Einigung geführt. Nun sah es so aus, als würde aus dem millionenschweren Deal nichts werden.
Verdammt, er war sich so sicher gewesen, dass er seinem Vater heute gute Nachrichten überbringen konnte. Raphael hatte die Ansicht vertreten, dass die heutige Verhandlung lediglich Formsache wäre. Nun würde sich sein Vater wieder einmal in seiner Meinung bestätigt fühlen, dass sich Raphael als sein Nachfolger unwürdig erwies.
Müde rieb er sich die Augen. Dem permanenten Druck seines Vaters ausgesetzt zu sein, machte seine Arbeit nicht einfacher. Wütend hieb er auf das Lenkrad ein, um im selben Augenblick über die laute Hupe seines Lamborghinis zu erschrecken. Es entlockte ihm ein kurzes Lächeln, als er das Gaspedal durchdrückte. Spielerisch machte das Auto einen Satz und preschte aus dem Stand los. Während er über die dunkle Straße glitt, spürte er die Anspannung ein wenig von sich abfallen. Mit jedem Meter, den er zwischen sich und das Firmengelände brachte, wurde ihm etwas leichter zumute. Deshalb beschloss er kurzerhand, das unangenehme Gespräch mit seinem Vater zu verschieben, um lieber die kostbare freie Zeit mit seiner Freundin zu verbringen.
Für seinen Geschmack sahen sie sich viel zu selten. Während ihrer Studienzeiten in Mailand hatten sie fast ihre gesamte Freizeit miteinander verbracht. Dort hatten sie sich kennengelernt. Raphael konnte sich noch genau daran erinnern, wie ihm die Kinnlade herunterfiel, als er Paula das erste Mal begegnete. Die rassige Brasilianerin hatte ihn augenblicklich in den Bann gezogen. Die Universität in Mailand zeichnete sich durch Internationalität aus. Die Studenten kamen aus allen Ecken dieser Erde, um an der elitären und renommierten Universität studieren zu dürfen.
Paula kam durch ein Stipendium zu ihrem Studienplatz, ihre Familie hätte sich die Gebühren niemals leisten können. Aber das störte Raphael nicht, sein bester Freund war ebenfalls Stipendiat gewesen. Sein Vater hingegen sah das anders. Für ihn war Paula lediglich eine berechnende, gewöhnliche Frau, die es ausschließlich auf sein Geld und seinen guten Ruf abgesehen hatte. Eine Einstellung, die nicht dazu führte, ihr angespanntes Verhältnis zu entlasten. Entgegen den Prophezeiungen seines Vaters hielt ihre Beziehung nun schon drei Jahre und seit Paula ihr Studium vor einigen Monaten beendet hatte, wohnte sie bei ihm. Eine Tatsache, die er seinem Vater wohlweislich verschwiegen hatte, um unnötigen Diskussionen gar nicht erst einen Nährboden zu geben. Was sein Vater wohl dazu sagen würde, wenn er ihm gestand, Paula demnächst einen Heiratsantrag zu machen? Wahrscheinlich drohte er ihm mit Enterbung. Das würde ihm ähnlichsehen. Raphael schüttelte vehement den Kopf, um die unschönen Gedanken an seinen Vater zu vertreiben. Er wollte sich nicht mit Dingen belasten, die er momentan nicht ändern konnte.
Endlich zu Hause! Erleichtert fuhr Raphael in die Tiefgarage des beeindruckenden Hochhauses in der Hafencity direkt am Ufer der Elbe. Die kostspielige Wohnung hatte sein Vater für ihn erworben. Ihm kam es ziemlich dekadent vor, nach den WG-Zeiten in Mailand – die er sehr genossen hatte – nun in einer derart luxuriösen Wohnung zu leben. Natürlich konnte er nicht abstreiten, dass das Ungewöhnliche dieses Kontrastes nicht die Luxuswohnung ausmachte, sondern seine WG-Zeiten, einen Umstand, den er seinem Vater bis heute verschwiegen hatte. Aber er hatte die Zeit mit seinen Kumpels sehr genossen und rückblickend erkannte er die damalige Freiheit als die schönste und unbeschwerteste Zeit seines Lebens. Mittlerweile arbeitete er seit fast zwei Jahren in der Reederei seines Vaters und sollte sich an sein neues und zugleich altes Leben gewöhnt haben.
Raphael betrat den Aufzug und in diesem Moment waren alle Gedanken, alle Gefühle und alle Sinne nur noch auf Paula ausgerichtet. Sein persönlicher Hafen, hier konnte er Kraft tanken.
Er beschloss, seine Freundin in ein schickes Restaurant auszuführen. Hoffentlich war sie zu Hause, denn sie rechnete nicht damit, dass er vor Mitternacht heimkam. Es wäre besser gewesen, sie anzurufen. Als er die Wohnung aufschloss und seinen Blick durch das großzügige Wohnzimmer gleiten ließ, sah er Paula. In diesem Bruchteil einer Sekunde wandelte sich die Hoffnung, sie zu Hause anzutreffen, in blankes Entsetzen. Entsetzen, das ihm wie eisiger Wind entgegenschlug und ihn am Atmen hinderte. Niemals hätte er es für möglich gehalten, ein Gefühl zu verspüren, das so wehtat. Raphael hielt sich nicht für besonders emotional, er war eher der rationale, sachliche Typ. Wie dumm war er gewesen? Wie sehr hatte er sich blenden lassen? Wie einfältig seine Einschätzung gewesen war, wurde ihm nun in brutaler Deutlichkeit aufgezeigt. Eine Sekunde, ein Moment, eine winzige Unbedeutsamkeit im Universum, wie konnte ein so kurzer Zeitraum eine derart große Macht besitzen, um ihn zu zerstören?
Obwohl er gerne die Augen verschlossen hätte, um dieses grauenvolle Szenario ungeschehen zu machen, konnte er es nicht. Ein Feigling war er noch nie gewesen, er war es gewohnt, sich unangenehmen Situationen zu stellen. Nur war er bisher noch nie in einer derartigen Situation gefangen gewesen, die ihn persönlich mehr verletzte, als es einem Dolchstich möglich wäre.
So rasend schnell, wie ihn der Schmerz gelähmt hatte, so umgehend wurde dieses Gefühl nun von einem anderen überlagert. Wut, grenzenlose Wut! Nein, das traf es nicht. Hass, genau das war das richtige Wort. Raphael wurde ganz ruhig und mit einem Mal kam es ihm so vor, als würde er die Szene als Außenstehender betrachten, was ihm äußerst bizarr vorkam. Dennoch half ihm die Kälte, die er empfand, zu handeln.
„Ich störe wirklich nur ungern, aber ich würde gerne meinen Feierabend genießen. Ungestört!“ Seine harmlosen Worte wurden durch eine eigenartige Kälte untermalt, die sogar ihm eine Gänsehaut bescherte. Gnadenlos wäre wohl das passende Wort, welches zwischen den Zeilen stand.
Paula und ihr Liebhaber erstarrten mitten in der Bewegung, was derart dämlich aussah, dass es Raphael beinahe gereizt hätte zu lachen. Beinahe. Denn er wollte die Situation nicht noch grotesker erscheinen lassen, als diese sowieso schon war.
„Raus! Ehe ich mich vergesse“, brüllte er unvermittelt los, als sich das eng umschlungene Pärchen nicht rührte.
Durch sein Geschrei schien der Bann gelöst zu sein und der ihm unbekannte Mann erhob sich hastig von der Couch und versuchte dabei sein Geschlecht zu verbergen. Als ob dieser mickrige Schwanz Raphael interessieren würde. Sein Blick war hingegen auf die Frau gerichtet, die unter dem Mann gelegen hatte. Ihr hatte es scheinbar die Sprache verschlagen. Blankes Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen.
Raphael verspürte mit einem Mal eine große Müdigkeit. Er wollte keine Erklärungen, keine Entschuldigungen hören, er wollte nur noch alleine sein. Bevor Paula reagieren konnte, sie lag immer noch mit gespreizten Beinen da, wandte sich Raphael mit einem letzten vernichtenden Blick von seiner ehemaligen Freundin ab.
„Pack deine Sachen und verschwinde. Ich möchte dich hier nicht mehr sehen. Wenn ich zurückkomme, bist du weg!“
Gerade als er den Raum verlassen wollte, hatte Paula ihre Fassung wiedererlangt. Sie sprang auf und wollte auf ihn zugehen, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie vollkommen nackt war. Hastig zog sie sich ihr Kleid über, das die Haut nur sehr begrenzt bedeckte.
Unvermittelt fühlte Raphael ein Verlangen in sich aufsteigen. Am liebsten würde er ihr diesen Fetzen Kleidung vom Leib reißen und es ihr richtig besorgen. Dann rief er sich zur Ordnung und führte sich vor Augen, mit wem es die Schlampe gerade getrieben hatte. Schlagartig war seine Erregung verschwunden und es blieb lediglich Abscheu zurück.
„Darling, es ist nicht das, wonach es aussieht“, rief sie unsicher aus und wollte ihn am Arm berühren.
Rüde schlug er ihre Hand weg. „Du beleidigst meine Intelligenz. Noch klischeehafter ging es wohl nicht.“ Die Abscheu in seinem Blick schien Paula körperlich zu treffen, sie wich einen halben Meter zurück und er sah Angst in ihren Augen aufblitzen. Angst vor ihm und seinen möglicherweise unbedachten Handlungen oder Angst um ihre Zukunft?
Wahrscheinlich beides, aber das tangierte Raphael nicht mehr. Paula war Geschichte, je schneller er sich damit abfand, desto besser.
„Bitte lass es mich doch erklären. Ich liebe dich, Raphael. Du bist mein Leben“, bettelte Paula inständig mit glitzernden Tränen, die ihre wunderschönen, mandelförmigen Augen benetzten.
„Du verwechselst da etwas Entscheidendes. Nicht ich bin dein Leben, nicht ich bin es, den du liebst. Nein, es ist mein Geld, das du liebst.“ Bevor ihn seine Wut wieder übermannte und ihn dazu brachte, Dinge anzustellen, die er im Nachhinein bereuen würde, packte er Paula am Arm und zog sie zur Tür. „Ich habe es mir anders überlegt, du verschwindest gleich. Teile mir deine Adresse mit, ich werde dir deine Sachen schicken lassen.“
Obwohl Paula protestierte und ihr flehender Blick, der ihn normalerweise wie Eiscreme in der Sonne zum Schmelzen bringen würde, auf seinen traf, ließ er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.
Ihr Liebhaber hatte sich zwischenzeitlich aus dem Staub gemacht und Paula ihrem Schicksal überlassen. Für ein derartiges Weichei hatte sie ihr gemeinsames Leben mit ihm aufs Spiel gesetzt, dachte Raphael ungläubig, als er endlich seine Wohnung für sich allein hatte.
Paula war weg. Paula würde niemals wieder durch diese Tür treten. Paula, seine Paula gab es nicht mehr und hatte es niemals gegeben. Unvermittelt befiel ihn erneut der tobende Schmerz, den er sich zuvor verboten hatte. Er sackte in sich zusammen und gab sich den quälenden Gefühlen hin.
2 Jahre später
Sie war spät dran. Als der Blick in den Kühlschrank jedoch nur ein jämmerliches Abbild ihres Lebens widerspiegelte, einsam und welk, musste sie vor Arbeitsbeginn noch einen Umweg zum Bäcker machen. Ohne Frühstück würde sie den Vormittag nicht überleben, ihr Blutzuckerspiegel hielt längeren Fastenzeiten nicht stand. Sie benötigte regelmäßige Mahlzeiten, ansonsten spielte ihr Kreislauf verrückt. Ein Umstand, den sie in Anbetracht der Tatsache, eine Horde wilder Kinder zu bändigen, wahrlich nicht gebrauchen konnte.
Wie immer, wenn sie spät dran war, befanden sich zahlreiche Kunden im Geschäft. Sie bemühte sich, ihre Ungeduld zu unterdrücken. Schließlich konnte die Bäckereiverkäuferin nichts dafür, dass sie nicht rechtzeitig von zu Hause aufgebrochen war. Als sie endlich mit einem Coffee to go und einer Bäckertüte in der Hand den Laden verließ, warf sie einen raschen Blick auf die Uhr. In diesem Moment der Unachtsamkeit geriet sie ins Stolpern und verschüttete den heißen Kaffee. Unfähig, einen schmerzhaften Laut zu unterdrücken, stöhnte sie auf. Sie hatte sich den halben Becher über den Arm geschüttet. Verdammt, das tat weh.
Aber der Schmerz geriet schnell ins Hintertreffen, als sie eine schneidende Stimme aus ihren Gedanken riss.
„Kannst du nicht aufpassen, du Trampel? Du hast mir mein Hemd ruiniert.“
Verblüfft sah Emilia auf und zuckte kurz darauf erschrocken zusammen, als sie den verärgerten Typen entdeckte, der dennoch lässig an sein Auto gelehnt dastand. Ein Auto, dessen Namen sie nicht einmal buchstabieren konnte, aber teuer sah das Gefährt definitiv aus. Genau wie dessen Besitzer. Mit einem geschulten Blick, der ihr ein Lob ihrer modebewussten Freundin eingehandelt hätte, erkannte sie die hochwertige und teure Qualität seiner Klamotten.
Röte schoss ihr ins Gesicht, als sie die Kaffeespritzer darauf erblickte. Verdammt, der Typ sah umwerfend aus. Seine Wut ließ ihn noch männlicher wirken, als er es ohnehin schon war. Er war groß, hatte markante, aber dennoch feine Gesichtszüge und eine sportliche Figur. Ein Mann ganz nach ihrem Geschmack. Seine dunkelbraunen Augen funkelten sie aufgebracht an. Emilia wunderte sich ein wenig über seinen Ärger. Seine Reaktion kam ihr übertrieben vor.
Bevor sie ihm antworten konnte, musste sie erst einmal ihre Gedanken sammeln, ansonsten würde er sofort bemerken, wie sehr er es schaffte, sie zu verunsichern. „Entschuldige bitte, das tut mir wirklich leid. Ich habe es eilig und für einen Moment nicht aufgepasst. Das war keine Absicht.“
Ihre Entschuldigung besänftigte sein erhitztes Gemüt kein bisschen. Im Gegenteil, er schien nur darauf gewartet zu haben, seinen Ärger an ihr auszulassen. „Anscheinend beschäftigst du dich etwas zu sehr mit dir selbst. Es würde dir gut stehen, dich ein wenig mehr mit deiner Umwelt und deinen Mitmenschen zu befassen.“
Emilia riss überrascht die Augen auf und konnte vor Verblüffung ein lautes Einatmen nicht verhindern. Bisher hatte sie verlegen auf ihre Ungeschicktheit reagiert, nun konnte sie es nicht verhindern, dass sie wütend wurde. „Spinnst du? Du kennst mich doch gar nicht. Was ist denn schon großartig passiert? Du hast ein paar Kaffeespritzer abbekommen. Welch Tragödie, das wird aller Voraussicht nach nicht den Weltfrieden bedrohen.“ Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, aber ihr kam es so vor, als habe sie das kurze Aufflackern eines amüsierten Lächelns beobachtet.
„Soll ich nun so durch die Gegend laufen?“ Seine mürrische Miene sprach Bände.
„Soll ich dir ein neues Hemd kaufen?“, gab Emilia genervt zurück.
„Ich glaube kaum, dass du dazu in der Lage bist!“
Das wurde ja immer besser. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Als trug er Sorge, sie könne seinen Reichtum übersehen. Eine Tatsache, die schwerlich möglich war. Und warum hatte sie eigentlich das Gefühl, die Schuldige zu sein? Während sie ihn betrachtete, wie er weiterhin ungerührt an seinem Auto lehnte, die Beine lässig überkreuzt, fand sie die Ursache ihres Beinahesturzes.
„Ich weiß überhaupt nicht, warum du dich derart echauffierst, schließlich bist du schuld an dem Schlamassel.“ Emilia fühlte sich nicht bemüßigt, ihre Anklage weiter auszuführen, sondern deutete lediglich auf seine Beine, die die Hälfte des Gehweges belagerten.
Raphael folgte ihrem Blick. Aber anstatt Reue oder zumindest einen Hauch schlechten Gewissens zu zeigen, kniff er nur die Augen zusammen und bellte zurück: „Ach, du bist auch noch gut darin, anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben.“
Emilia beschloss, diesem niveaulosen Intermezzo ein Ende zu bereiten, denn ihr fiel siedend heiß ein, dass sie es nun niemals mehr rechtzeitig zur ersten Unterrichtsstunde schaffen würde. Sie versuchte ihren Ärger auf dieses arrogante Arschloch zu unterdrücken und erwiderte lediglich: „Hoffentlich wirst du die gnadenlose Schmach des beschmutzten Hemdes irgendwann überwinden. Ich muss los. Es soll Leute geben, die arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“ Daraufhin drehte sie ihm den Rücken zu und eilte weiter.
Nachdem sie in der Schule angerufen hatte, um ihr Verspäten zu entschuldigen und für Ersatz zu sorgen, wandten sich ihre Gedanken, wie zwanghaft gesteuert, der morgendlichen Begegnung zu. Der Typ war echt attraktiv gewesen. Schade, dass er derart unmöglich aufgetreten war. Andererseits, was war von so einem reichen Muttersöhnchen schon anderes zu erwarten? Es sah ganz danach aus, als käme er geradewegs von einer durchgemachten Nacht. In unmittelbarer Nähe befand sich ein äußerst angesagter Club, den das gewöhnliche Fußvolk gar nicht betreten durfte. Er entsprach geradezu dem Bild des reichen Schönlings, der es sich mit dem hart erarbeiteten Geld seiner Eltern gut gehen ließ. Wahrscheinlich wartete er auf seine heiße Eroberung, die er mit nach Hause nehmen wollte.
Kurz durchzuckte Emilia bei diesem Gedanken ein Gefühl, das sie nicht einzuordnen wusste. Fast fühlte es sich an wie Eifersucht, aber das konnte nicht sein. Sogar bei dem unwahrscheinlichen, ach, was sagte sie, aussichtslosen Fall, dass er an ihr interessiert wäre, würde sie dankend ablehnen.
Allein die Tatsache, dass es ihn überhaupt nicht interessiert hatte, als sie sich mit heißem Kaffee übergossen hatte, machte sie wütend. Sie glaubte kaum, dass er ihren schmerzhaften Ausruf nicht mitbekommen hatte. Mitleid? Fehlanzeige! Nein, ihm ging es lediglich um sein heißgeliebtes Designerhemd. Nein, ihm ging es lediglich um sein Recht, korrigierte Emilia ihre Meinung.
Einen Mann, der derart geringschätzend mit anderen umging, konnte sie nicht attraktiv finden. Auch wenn sie zugeben musste, dass er sie körperlich sehr ansprach. Vehement versuchte sie diesen Kerl aus dem Kopf zu bekommen. Sie würde ihn nie wiedersehen, es lohnte sich nicht, auch nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden.
Auf dem Weg ins Klassenzimmer lief sie einer Kollegin über den Weg, die ihr im Laufe der Zeit eine Freundin geworden war.
„Was war denn los? Du bist noch nie zu spät gekommen.“ Annas neugieriger Blick traf sie und löste ein schlechtes Gewissen aus, weil dieser unmögliche Kerl auch noch schuld daran war, dass sie erstmalig unpünktlich zur Arbeit kam.
„Das willst du lieber gar nicht erst wissen“, wiegelte sie ab, in der Hoffnung, Anna abzuwimmeln. Diese ließ sich aber nicht beirren und hakte nach: „Jetzt machst du mich erst recht neugierig.“ Mit verschränkten Armen versperrte sie Emilia den Weg.
„Musst du nicht unterrichten?“ Emilia zog gekonnt die Augenbraue nach oben.
„Vorbereitungszeit!“, gab Anna ungerührt zurück. „Ich höre.“
Seufzend gab Emilia nach, ihre Vertretung konnte die Klasse auch noch einige Minuten länger übernehmen. „Ich habe den absolut heißesten Typen des Universums mit Kaffee übergossen“, platzte es aus ihr heraus, bevor sie auch nur die Gelegenheit hatte, ihre Worte zu überdenken.
Schockiert schlug sie sich die Hand vor den Mund. Wie konnte sie bei seinem unmöglichen Verhalten derart ins Schwärmen geraten? Bevor sich ihre Kollegin von ihrer Überraschung erholen konnte, legte Emilia rasch nach: „Leider ist er zugleich das größte selbstverliebteste Arschloch, das mir jemals begegnet ist.“
Anna brach in schallendes Gelächter aus. „Ich habe dich noch nie so reden gehört. Der Typ muss dich sehr beeindruckt haben.“ Ihr verschmitzter Blick führte bei Emilia zu Ärger.
„Willst du mir damit unterstellen, dass ich mich von Aussehen und Reichtum blenden lasse?“
„Ach, reich ist er auch noch. Das wird ja immer besser. Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Erzähl doch mal.“
Ihre Freundin stupste sie ermunternd in die Seite und Emilias Ärger verflog. Sie gab eine Kurzfassung der morgendlichen Begegnung wieder.
„Und du hast nicht die Gelegenheit genutzt, um an seine Telefonnummer zu kommen?“ Annas fassungsloser Gesichtsausdruck reizte sie schon wieder.
„Warum hätte ich das tun sollen? Davon abgesehen glaube ich kaum, dass er Wert daraufgelegt hätte, sie mir zu geben. Ich bin ein Nichts für ihn.“
„Du hättest die einmalige Gelegenheit nutzen können, um herauszufinden, was zwischen euch ist. Aber nein, du hast dich nicht getraut. Das Hemd hätte dir doch den besten Vorwand geboten.“ Anna schien tatsächlich enttäuscht über den Ausgang des Gespräches zu sein.
„Glaube mir, ich sah keine Veranlassung, das zu tun. Und jetzt lass uns das Thema beenden. Ich muss meine Klasse übernehmen.“
Froh darüber, sich ablenken zu können, betrat sie das Klassenzimmer und begrüßte die Kinder mit einem fröhlichen „Guten Morgen.“
Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Missmutig betrachtete Raphael sein Hemd. Er kniff die Augen zusammen und registrierte auf seiner Jeans ebenfalls einige Kaffeeflecken. Energisch rieb er sich über die Stelle, als ob er den Schaden dadurch beheben könnte. Warum war er eigentlich so wütend? Klar, seine eigens für ihn angefertigten Designerklamotten waren nicht gerade billig, aber zum einen ließen sich Kaffeeflecken in aller Regel herauswaschen und zum anderen war es ja nicht so, als ob er sich keine neuen leisten könnte. Seine Gedanken wanderten unversehens von den Flecken zu dessen Verursacherin. Eigentlich war die Kleine ganz süß gewesen, wie sie mit ihren rot angehauchten Wangen vor ihm stand und versucht hatte, sich gegen ihn zu behaupten.
Ihre Verunsicherung wehte wie eine leichte Meeresbrise zu ihm herüber. Was dazu führte, dass es ihm schwerfiel, seinen Ärger auf sie aufrechtzuerhalten. Andererseits wollte er gar nicht nett zu ihr sein. Er war nicht nett zu Frauen. Klar ausgedrückt, er verhielt sich Frauen gegenüber wie ein Arschloch und konnte damit ganz gut leben.
Nun gut, das war nicht ganz korrekt. Er war ein Arschloch gegenüber Frauen, die ihn sexuell ansprachen. Mit denen er gerne eine heiße Nacht verbrachte. Mehr aber auch nicht. Die Zeiten, in denen er sich romantischen Gefühlen hingab, waren unwiederbringlich vorbei. Diesen fatalen Fehler würde er nicht noch einmal begehen. Raphael verscheuchte die unangenehme Erinnerung an seine Vergangenheit und wandte sich wieder der Kleinen zu.
Nicht, dass sie sein Typ gewesen wäre. Er stand auf schlanke, große, attraktive Frauen, die alleine durch ihre Anwesenheit präsent waren, die sämtliche Blicke auf sich zogen, sobald sie einen Raum betraten. Der klassische Modeltyp halt. Große Brüste verachtete er ebenfalls nicht.
Ihm war bewusst, dass sein Frauengeschmack oberflächlich und trivial war, aber er wollte von den Frauen nichts mehr als ein paar schöne Momente erleben. Sie waren dazu da, um ihm sexuelle Befriedigung zu beschaffen. Sonst nichts. Was interessierte es ihn, ob sie über einen Intellekt oder eine Bildung verfügten? Er musste kurz auflachen. Bei seinen Eroberungen stellte Reden eine unbedeutende Nebensache dar.
Die Kleine war das komplette Gegenteil gewesen. Er schätzte sie nicht größer als 1.55 Meter, hellblondes Haar, das in der Sonne fast weiß schimmerte, feine Gesichtszüge, die lohnten einen weiteren Blick zu riskieren. Ihre filigrane, aber straffe Figur hatte er unter ihrem eng anliegenden, rotgepunkteten Kleid ganz gut erkennen können. Aber am beeindruckendsten fand er den klaren, ehrlichen Blick ihrer graublauen Augen. Augen, die unter ihrem Pony hervorblitzten.
Raphael zuckte zusammen, als ihm plötzlich auffiel, wie intensiv er sich mit der Unbekannten beschäftigte. Wie hatte sie es geschafft, in seinen Gedanken derart präsent zu sein? Wie eine Zecke hatte sie sich darin festgesaugt. Wieder musste er lachen, denn der Vergleich hinkte. Außer der Größe hatte sie so gar nichts mit diesem Ungemach von Tierlein gemein.
„Da hat aber jemand gute Laune.“ Ein Schlag auf seine Schulter ließ ihn erschreckt zusammenzucken.
Er schaute auf und sah geradewegs in das Gesicht seines besten Freundes. Linus, sein Kumpel aus Studienzeiten, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte. Neben ihm stand Henry, das dritte Musketier im Bunde. Was hatten sie nicht alles gemeinsam erlebt während ihrer Studentenzeit in Mailand? Während Henry aus denselben Kreisen stammte, sein Vater besaß einige sehr lukrative Immobilienfirmen, war Linus durch ein Stipendium zu seinem Studienplatz gekommen, was ihrer Freundschaft aber nie einen Abbruch getan hatte. Im Gegenteil, Linus bodenständiges Wesen hatte ihn und Henry des Öfteren wieder geerdet. Auch wenn Raphaels Mutter sich inständig bemüht hatte, ihren Kindern gewisse Werte zu vermitteln, war es unglaublich schwierig, diese inmitten eines Lebens im puren Luxus nicht zu vergessen. Vergessen war vielleicht das falsche Wort, aber sie verloren an Bedeutung. Raphael war sich bewusst, dass er dieses Glück manches Mal als zu selbstverständlich hinnahm. Dass ihn der Reichtum verdarb. Deshalb waren ihm auch die Erinnerungen an seine Mailänder WG-Zeiten so kostbar. Dort hatte er gelernt, dass man sich mit Geld nicht alles kaufen konnte und dass es wichtigere Dinge gab. Freundschaft zum Beispiel. Liebe, schoss ihm ein Wort durch den Kopf, das er schon lange aus seinem Wortschatz verbannt hatte. Nur aus seinem Unterbewusstsein konnte er es scheinbar nicht streichen. Liebe, dachte er verächtlich. Ja, er war tatsächlich einmal so dumm gewesen zu glauben, dass dieses Gefühl ausreichte, wichtiger sei als Reichtum, wichtiger sei als eine bedeutende Persönlichkeit darzustellen.
Mittlerweile hatte er begriffen, dass Liebe nur ein Hirngespinst verblödeter Romantiker war. Er hatte beschlossen, sich vollständig auf geschäftliche Belange zu konzentrieren. Damit er nicht als harter, skrupelloser Geschäftsmann endete, der nur auf seinen Vorteil bedacht handelte, half ihm Linus’ klare Einstellung. Sein nüchterner Blick auf eine Welt, die Raphael nicht kannte, brachte ihn wieder auf den Boden der Tatsachen.
Ihn und Henry! Henry war der Inbegriff von Arroganz und Protz. Zumindest für Außenstehende, er stellte gerne seinen Reichtum zur Schau und nutzte ständig seine gesellschaftliche Stellung zu seinem Vorteil aus. Aber tief im Inneren war Henry ein guter Kerl. Ein Kumpel, der für seine Freunde da war, auch wenn es nur wenige Auserwählte waren, die sich seiner Treue gewiss sein konnten. Und es sprach für ihn, dass er nach einigem Zögern bereit war, auch Linus in diesen illustren Kreis aufzunehmen.
„Sag mal, wie viel hast du eigentlich getrunken? Du bist ja überhaupt nicht mehr ansprechbar“, holte ihn Henrys amüsierte Stimme in die Gegenwart zurück.
„Da redet der Richtige“, gab Raphael sarkastisch zurück, als er die unsichere Artikulation seines Kumpels wahrnahm. Henry übertrieb es gerne mal, seien es Alkohol-, Shopping- oder Frauenexzesse.
„Ich weiß halt das Leben zu genießen.“ Henry lächelte süffisant. Anscheinend schwelgte er gerade in Erinnerung an sein heißes Techtelmechtel mit einer Brünetten, die nur darauf wartete, abgeschleppt zu werden. Er musste zugeben, dass Henry mit seinen rabenschwarzen Haaren und den eisblauen Augen ein attraktiver Typ war.
Linus unterbrach ihren Disput. „Vorhin hattest du unerträglich schlechte Laune, weil du bei der üppigen Blondine nicht landen konntest.“ Bei dem Wort üppig demonstrierte er mit einer Handbewegung pralle Brüste.
Raphael winkte unwirsch ab. „So toll war die auch wieder nicht. Geiler Arsch und Titten sind halt nicht alles.“
Henry prustete los und erwiderte mit hochgezogener Augenbraue: „Seit wann das denn?“
„Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“ Ungeduldig sah Raphael von einem Freund zum anderen.
„Gerne. Was hat dir denn nun nach der schmachvollen Abfuhr deine gute Laune beschert?“
Raphael sah Linus überrascht an. „Gute Laune, ich? Wie kommst du denn darauf?“
„Du hast vorhin so debil vor dich hin gegrinst, als du auf uns gewartet hast.“
Raphael runzelte die Stirn. Er musste sich kurz in Erinnerung rufen, an was er in dem Moment gedacht hatte. Als es ihm wieder einfiel, wurde ihm ein wenig unwohl. Keinesfalls konnte er vor seinen Kumpels zugeben, dass es die Kleine gewesen war, die ihn zum Lächeln gebracht hatte. Ihn, der sich nicht von Gefühlen verleiten ließ. Niemals. Für den es keinerlei Gefühle gab, sobald Frauen im Spiel waren. Er, der nach einer heißen Nacht eisige Kälte ausströmte, welche die Frauen schlagartig dazu brachte, ihn zu verlassen. Eine Kälte, die ihnen Angst einjagte. Ein Umstand, der ihm egal war, schließlich sah er sie nie wieder.
„Ich habe an eine Zecke gedacht.“
Verblüfft sah Linus ihn an. „Eine Zecke? Und was ist daran so lustig?“
„Nicht wichtig!“
„Ich glaube, du hast doch heimlich mehrere Flaschen geleert.“ Henry spielte auf die Tatsache an, dass Raphael höchstens einen Drink zu sich nahm, wenn er mit dem Auto unterwegs war.
„DAS wird’s wohl sein“, stimmte er gutmütig zu, um seine Freunde abzulenken.
Wie siehst du überhaupt aus?“ Fragend sah Linus ihn an.
Er sah an sich hinunter. Zwar hatte er nicht allzu viel von dem Kaffee abbekommen, aber auf seinem weißen Hemd waren die Flecken im Sonnenlicht gut sichtbar.
Nun war er doch gezwungen, von seiner morgendlichen Begegnung zu berichten: „Eine blöde, ungeschickte Tussi hat mich mit Kaffee übergossen.“
Linus betrachtete ihn genauer, was ihm äußerst unangenehm war. Deshalb setzte er sein bestes Pokerface auf und erwiderte ungerührt den Blick.
„Und diese Dame hat nichts mit deiner guten Laune zu tun?“
Konnte Linus Gedanken lesen? Wie kam er nur darauf? „Kannst du jetzt mal mit deinem Geschwafel um meine gute Laune aufhören?“
Linus riss aufgrund seiner unbeherrschten Tonlage überrascht die Augen auf. Bevor er antworten konnte, legte Raphael nach: „Diese gewöhnliche, vollkommen niveaulose Person hat mir garantiert keine gute Laune beschert. Im Gegenteil. Der Bauerntrampel hat dafür gesorgt, dass meine Laune vollends im Keller war. Das habe ich sie dann auch umgehend spüren lassen. Immerhin hat sie mein Lieblingshemd ruiniert.“
„Komm mal wieder runter.“ Henry schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Ich mache mich auf den Heimweg. In ein paar Stunden habe ich einen wichtigen Besichtigungstermin und sollte daher noch etwas Schlaf bekommen. Treffen wir uns noch einmal, bevor du nach Hause fährst?“
„Klar, ich bleib noch einige Tage bei Linus. Wir machen auf jeden Fall noch einmal Münchens angesagte Nachtclubs unsicher. Ich habe schließlich einen Ruf wiederherzustellen“, fügte Raphael grimmig an, als er sich an die schmachvolle Abfuhr erinnerte.
Als Henry aus ihrem Sichtfeld verschwand, setzte sich Raphael hinter das Steuer seines heißgeliebten Wagens und forderte seinen Kumpel auf, es ihm gleichzutun.
Dieser unterdrückte ein Gähnen. „Ich glaube, langsam werde ich zu alt für schlaflose Nächte.“
„Dein Anreiz ist eben nicht so hoch wie Henrys und meiner. Immerhin bist du nicht darauf aus, eine scharfe Braut aufzureißen.“
Linus lächelte warmherzig. „Glaub mir, nichts läge mir ferner.“
„Da wärst du auch schön blöd“, hörte er seinen Kumpel leise vor sich hin brummen.
Auch wenn Raphael so tat, als sei er für Gefühle unempfänglich, sein Verständnis für Linus’ bedingungslose Liebe zu Miriam strafte ihn Lügen.
Ein unangenehmes Geräusch drang langsam durch den Nebel seiner Wahrnehmung. Stöhnend tastete er neben sich auf dem Nachttisch nach seinem Wecker, bis ihm klar wurde, dass er sich nicht zu Hause befand. Es war nicht das Klingeln eines Weckers, das ihn unsanft aus seinem wohltuenden Schlaf gerissen hatte, sondern sein Handy.
Seufzend versuchte er die Augen zu öffnen. Als er sich aufsetzte, um sein Handy zu orten, überfiel ihn ein fieser Kopfschmerz. Raphael verfluchte sich für seine nächtliche Maßlosigkeit. Nicht nur, dass er zu viele Drinks getrunken hatte, sondern er hatte es auch so weit kommen lassen, dass er sich nicht einmal an die Frau erinnerte, die er neben sich entdeckt hatte.
Die Versuchung war groß, das Telefon einfach auf lautlos zu stellen, den Anrufer zu ignorieren und wieder ins Bett zurückzukehren. Aber da er trotz seines Urlaubes geschäftlich auf Abruf bereitstehen musste, blieb ihm nichts anderes übrig, als nachzusehen. Auf dem Display erschien die Nummer seiner Schwester. Nichts Dienstliches. Der Gedanke an Luise entlockte ihm ein warmes Lächeln, das nur ihr zuteilwurde. Mit einem prüfenden Blick auf die unbekannte Schönheit, der ihm sagte, dass sie noch immer schlief, verließ er leise das Schlafzimmer.
„Hallo, Schwesterherz. Du traust dich was. Wie kannst du mich so früh am Morgen anrufen?“, rief er mit grollender Stimme.
Als Antwort bekam er ihr glockenhelles Lachen zu hören. „Früh morgens? Raphael, in welcher Welt lebst du? Ich dachte, du befindest dich in München und nicht auf der anderen Seite der Weltkugel. Und du wirfst mir vor, ich lebe im Müßiggang und habe nur shoppen und die schönen Dinge im Kopf“, plapperte Luise fröhlich los.
Raphael warf einen verwirrten Blick auf seine Breitling. Tatsächlich zeigte ihm seine Armbanduhr zwölf Uhr mittags an. Eigentlich kein Wunder, da er erst in den frühen Morgenstunden, als die Sonne langsam und schüchtern verheißungsvoll ihr Antlitz zeigte, mit dieser Frau nach Hause gegangen war. Er rieb sich so hart über die Stirn, dass es schmerzte, was den Kopfschmerz leider nicht überdeckte.
„Sorry, ich habe noch geschlafen“, erwiderte er entschuldigend.
„Du hättest mich ruhig mitnehmen können“, beschwerte sich Luise.
So gern er seine kleine Schwester hatte, bei seinen Aufreißertouren kam ihm nichts weniger in den Sinn, als Luise mitzunehmen. Allerdings kam ihm der Gedanke, dass ihr Wunsch weniger mit ihm als vielmehr mit der Tatsache zu tun hatte, dass Henry mit von der Partie war. Auch wenn sie es niemals zugeben wollte, Raphael vermutete, dass sie schon seit Teenagertagen in ihn verliebt war. Nicht, dass Henry dies interessierte. Luise war das kleine Küken, die kleine Schwester seines Freundes, sexuell genauso uninteressant wie seine eigene Schwester.
Er ging gar nicht erst auf ihren Vorwurf ein, sondern fragte direkt: „Was möchtest du denn von mir?“
„Darf ich nicht einfach Sehnsucht nach meinem Bruder haben?“, schmollte sie.
Raphael prustete los. „Du und vorsatzlos? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“
„Okay, du hast mich durchschaut. Ich brauche deine Hilfe. Ob du es glaubst oder nicht, ich lebe nicht nur in den Tag hinein. Deshalb habe ich mich an einer Kunstakademie beworben und die Aufnahmeprüfung bestanden. Natürlich ist Papa dagegen. Das wäre doch keine angemessene Ausbildung für seine Tochter. Bitte lege ein gutes Wort für mich ein. Mir ist es diesmal wirklich ernst“, flehte sie ihn an.
Raphael konnte sich ein sarkastisches Prusten nicht verkneifen. Als ob ausgerechnet er der Richtige dafür wäre. Luise wusste sehr wohl um sein angespanntes Verhältnis zu ihrem Vater. Eigentlich las der seiner kleinen Prinzessin jeden Wunsch von den Augen ab. Scheinbar hatte sie nun eine unsichtbare Grenze überschritten.
„Die wievielte Ausbildung hast du diesmal hingeschmissen?“, fragte er mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton. Zwar war seine Schwester mit ihren einundzwanzig Jahren fast genau zehn Jahre jünger als er, aber dennoch konnte er ihre lockere, leichtfertige Art nicht gutheißen. Nicht, dass er sich während der Unizeit durch großes Strebertum ausgezeichnet hätte, aber er war seinen Weg gradlinig ohne Umwege und ohne Abzweigungen gegangen. Trotz seiner Zielstrebigkeit wurde ihm seitens seines Dads in schönster Regelmäßigkeit Faulheit vorgeworfen. Egal was er tat, seinem Vater war dies nie genug.
Bis zu einem gewissen Grad konnte er dessen Härte und Unnachgiebigkeit sogar nachvollziehen. Immerhin sollte Raphael in naher Zukunft die Reederei übernehmen, womit er für mehrere hundert Mitarbeiter verantwortlich wäre, aber irgendwann war sein Verständnis aufgebraucht. Die gnadenlose, kompromisslose Härte, die sein Vater ihm gegenüber an den Tag legte, brachte ihn dazu, sich permanent gestresst zu fühlen. Entspannung fand Raphael zumeist nicht einmal in seiner Freizeit, da seine Gedanken fast pausenlos um die Firma kreisten. Er konnte sich nicht den kleinsten Fehler erlauben. In so einem Fall meinte er, die grenzenlose Enttäuschung seines Vaters fast körperlich zu spüren. Immer wenn Raphael dachte, nun hätte er es geschafft, eine Schutzschicht so aufzubauen, dass es seinem Vater nicht mehr möglich wäre, diese zu durchbrechen, wurde er eines Besseren belehrt. Die Schutzschicht brach wie ein mühsam aufgebauter Wall gegen eine drohende Überschwemmung. Es gab immer einen Wasserschwall, der es schaffte, diesen Wall zu zerstören.
Es gab immer wieder Momente, in denen er ernsthaft überlegte, aus seinem Leben auszubrechen und sich einen anderen Job zu suchen, aber eigentlich liebte er seine Arbeit. Sein Vater jedoch sperrte sich gegen jede Veränderung, gegen jeden wirtschaftlichen Fortschritt. Umweltfreundlichere Aspekte und Verbesserungen ließ er gar nicht erst zur Sprache kommen. Die Reederei war seit Generationen Familienbesitz und Albert, sein Vater, hatte sie nun auf den Zenit des Erfolges gebracht. Natürlich konnte Raphael seine Vorurteile gegenüber Veränderungen verstehen. Vielleicht würden sich diese als Fehlinvestitionen erweisen, aber er gab seinem Sohn keine Chance, eigenverantwortlich zu handeln. Im Gegenzug erwartete er aber, dass Raphael sich bereit sah, die Reederei baldmöglichst zu übernehmen. Immerhin war Albert mittlerweile fünfundsechzig Jahre alt und um seinen Gesundheitszustand stand es nicht zum Besten. Er musste langsam kürzertreten, ein Umstand, der ihm unglaublich schwerfiel.
„Raphael, bist du noch dran?“ Luises ungeduldige Stimme holte ihn unsanft aus seinen Gedanken zurück.
„Wie soll ich das deiner Ansicht nach bewerkstelligen? Wenn du es nicht geschafft hast, wer sollte den Alten dann umstimmen?“
„Nenn ihn nicht immer den Alten“, maulte Luise zurück.
Tief durchatmen, dachte sich Raphael, denn er wollte Luise nicht seinen Unmut spüren lassen. Schließlich konnte sie nichts dafür, Daddys Liebling zu sein. „Entschuldige bitte, du weißt doch, ich meine es nicht so“, erwiderte er daher mit milder Stimme, die Luise sofort besänftigte.
„Also machst du es?“
„Was genau?“
„Jetzt stell dich nicht dümmer, als du bist. Du sollst mit ihm reden.“
So gerne er es wollte, er schaffte es einfach nicht, Luise einen Wunsch abzuschlagen. „Ist es denn diesmal wirklich dein großer Traum? Ich habe keine Lust, mich mit unserem renitenten Vater herumzuärgern, um dann nach einigen Wochen zu erfahren, dass meine Bemühungen völlig umsonst waren, weil du es dir mal wieder anders überlegt hast.“
Sein grollender, skeptischer Tonfall hielt Luise nicht davon ab, seine liebevolle Besorgnis herauszuhören. „Ich verstehe deine Bedenken. Aber ich habe noch nie etwas so sehr gewollt. Bitte Raphael!“
„Na gut, ich werde es versuchen. Aber versprich dir nicht allzu viel davon.“
„Du bist ein Schatz. Ich liebe dich.“ Luises glückliche Stimme entschädigte ihn sogleich für die unliebsame Aufgabe, die sie ihm aufgebürdet hatte.
„Ich liebe dich auch.“ Mit diesen Worten legte er auf.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du ein Mann bist, der diese Worte kennt, geschweige denn diese sogar in den Mund nimmt.“
Raphael zuckte zusammen und drehte sich langsam um. Tina, jetzt fiel es ihm wieder ein. Sie hieß Tina. Er hatte sie komplett vergessen. Sein Lächeln verflog und eine Kühle durchzog seine Augen. Einen Schritt auf Tina zugehend, baute er sich bedrohlich vor ihr auf. Sie schien seinen Ärger zu spüren. Ängstlich trat sie zurück.
„Was geht’s dich an?“ Sein Tonfall schien nicht zur Entspannung der Situation beizutragen. Nicht dass er dies beabsichtigte.
„Ich habe mich nur gewundert, dass du eine Freundin hast. Das ist alles.“ Verunsichert blickte sie ihn an.
Raphael kniff die Augen zusammen, was ihn noch grimmiger aussehen ließ. Mit seinen knapp 1.90 Metern schien er Tina in seinem Auftreten zu verängstigen.
„Ich habe keine Freundin“, gab er scharf zurück.
„Du brauchst keine Angst haben, dass ich dich verrate.“ Tina zeigte tatsächlich Furcht vor ihm. Kurzzeitig war es Raphael unangenehm, aber egal, er hatte sowieso nicht die Absicht, sie jemals wiederzusehen.
„Dann sind wir uns ja einig.“ Er drängelte sich etwas rüde an ihr vorbei, was sie erschreckt zusammenzucken ließ. Herrje, als ob er einer Frau Gewalt antun würde.
Er sammelte eilig seine Sachen zusammen und sah zu, dass er fortkam. Einen Kaffee bot ihm Tina nicht mehr an. Das taten die Frauen nach seinem morgendlichen Auftreten ihnen gegenüber selten.
Wie befreit atmete er die frische Morgenluft ein. Ein Gefühl, das ihm nicht unbekannt war. So sehr er den Sex mit diesen attraktiven Frauen genoss, die anschließende Freiheit belebte ihn ungemein.
Eigentlich wollte er den unangenehmen Anruf rasch hinter sich bringen. Aber er benötigte zuvor eine belebende, eiskalte Dusche, um seinen glasklaren Verstand wiederzuerlangen. Und eine Tasse Kaffee war ebenfalls unabdingbar.
„Guten Morgen, ich hoffe, du hast eine angenehme Nacht in Gesellschaft einer schönen Frau verbracht.“
Als er Linus’ Wohnung betrat, sah er geradewegs in Miriams amüsiertes Gesicht.
„Du kennst mich halt besser als jede andere Frau“, gab er kleinlaut zurück.
Linus’ Freundin bekam allerhand mit, da er des Öfteren bei ihnen übernachtete. Zwar schien es ihr leidzutun, dass er der Partnerschaft abgeschworen hatte, aber seinen Lebenswandel kritisierte sie nicht. Eine Tatsache, die ihn erleichterte, denn er mochte Miriam. Eine der wenigen Frauen, die mehr über ihn wussten und die er ab und an emotional an sich heranließ. Er musterte sie mit einem anerkennenden Blick. „Sogar morgens siehst du bezaubernd aus.“ Galant wechselte er das Thema.
„Du Charmeur, kein Wunder, dass dir alle Frauen zu Füßen liegen.“
Mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter ging sie an ihm vorbei und rief ihm auf den Weg in die Küche zu: „Du siehst aus, als hättest du ebenfalls einen Kaffee nötig.“
Dankend nahm er an, wollte aber zuvor noch duschen.
Als er anschließend erfrischt die Küche betrat, hatte Miriam sogar Frühstück zubereitet und auch Linus war aufgestanden. Als er das Paar vertraut beisammensitzen sah, durchzuckte ihn ein scharfer Schmerz, der schnell wieder verging. Es gab immer wieder Momente, die ihn an seine Vergangenheit erinnerten. Momente, die schnell wieder vorübergingen, sobald er sich Paulas Verrat in Erinnerung rief.
„Miriam, du bist ein Schatz. Linus, du bist wirklich zu beneiden.“ Worte, die er zu seiner Überraschung wirklich ernst meinte. Miriam und Linus waren das einzige Paar, welches er kannte, das eine derart große Liebe ausströmte, die sogar ihn neidisch machte.
Genüsslich machte er sich über das Frühstück her. Er hatte nach der durchwachten Nacht einen Bärenhunger. Nach zwei belegten Brötchen, Rührei und etwas Obstsalat lehnte er sich mit einem wohltuenden Seufzer zurück. „Besser würde es Frau Berger nicht hinbekommen“, spielte er auf die Fähigkeiten seiner Haushälterin an.
Miriam sah ihn lächelnd an. Es schien sie nie zu stören, wenn er ihre Zweisamkeit in regelmäßigen Abständen störte.
„Nun muss ich euch leider verlassen. Ich muss mit meinem Vater telefonieren.“ Dabei verzog er das Gesicht, als habe er Zahnweh.
„Oje, hast du nicht einmal in deinem wohlverdienten Urlaub Ruhe vor deinem alten Herrn?“ Miriams verständnisvoller Blick tat ihm gut.
Er winkte ab. „Nichts Geschäftliches. Luise hat mich um einen Gefallen gebeten, den ich ihr nicht abschlagen konnte.“
Linus schlug ihm gutmütig auf den Rücken. „Bist halt doch ein guter Kerl.“
„Ich habe nie etwas anderes behauptet“, gab Raphael brummend zurück.
Er atmete tief durch und wählte dann entschlossen die Nummer, die ihm ins Gedächtnis eingebrannt war. Eine Nummer, die ihm unangenehme Schauer über den Rücken jagte. Warum es sein Vater immer noch schaffte, ihm Angst zu machen, war ihm ein Rätsel. Er war erwachsen und konnte sich verbal gegen ihn behaupten. Wahrscheinlich war es der Tatsache geschuldet, dass er sich der Anerkennung seines Vaters gewiss sein wollte. Er wollte ihn stolz machen. Er wollte sich als sein Nachfolger würdig erweisen. Ein Eingeständnis, das ihm nicht leichtfiel.
„Raphael, wie schön von dir zu hören.“ Die strenge Stimme seines Vaters klang ungewohnt weich.
Er benötigte einen Augenblick, um sich von der Überraschung zu erholen.
„Hallo, Papa. Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht. Wie war der letzte Arztbesuch?“
„Das Übliche, ich soll mich schonen und Aufregung vermeiden. Wie stellt sich dieser Quacksalber das vor?“ Das Temperament seines Vaters brach wieder einmal durch.
„Mit einem Herzinfarkt ist nicht zu spaßen. Wir machen uns eben alle Sorgen um dich“, versuchte Raphael ihn zu beschwichtigen.
„Du weißt genau, das sind Fremdwörter für mich. Du kommst übermorgen zurück, oder? Nächste Woche stehen die Verhandlungen an, ob die Reederei Hansen mit unserer fusionieren wird. Da benötige ich dich als Unterstützung an meiner Seite.“
Eigentlich sollte er sich über die Worte seines Vaters freuen, aber sein Tonfall ließ durchblicken, dass er alles andere als Verständnis für Raphaels Müßiggang hatte. Und die Formulierung ‚an seiner Seite‘ war ein schlechter Scherz. Er durfte sich zu Wort melden, wenn ihn sein Vater darum bat. Ansonsten tat seine Meinung, seine Einschätzung nichts zur Sache. Irgendwie musste er das Thema auf seine Schwester lenken, aber er befürchtete damit erst recht, Vaters Aufregung zu schüren. Ach, Luise, musste das sein? Ich habe wirklich keine Lust, für den nächsten Herzinfarkt verantwortlich gemacht zu werden.
„Der Termin steht in meinem Kalender. Ich habe es nicht vergessen“, erwiderte er schärfer als gewollt. Bevor sein Vater Gelegenheit bekam zu antworten, schob er hinterher: „Ich wollte mit dir über Luise sprechen.“
Albert seufzte, anscheinend wusste er genau, um was es sich handelte. „Falls du mich überreden möchtest, ihr zu erlauben, die Kunstakademie zu besuchen, dann können wir das Gespräch gleich beenden. Ich habe Nein gesagt. Meine Meinung werde ich nicht ändern!“
„Es ist ihr wirklich ernst damit. Ich glaube nicht, dass sie die Ausbildung diesmal gleich wieder beenden wird.“
„Darum geht es doch gar nicht. Was möchte sie anschließend mit ihrem Abschluss machen? Das ist vielleicht als netter Zeitvertreib gedacht, aber doch nicht, um sein Geld zu verdienen.“
„Als ob Luise das nötig hätte“, rutschte es Raphael heraus, ehe er nachdenken konnte.
„Ich dachte, dass ich meinen Kindern andere Werte vermittelt hätte. Aber scheinbar haben ich und eure Mutter hierbei versagt!“
Raphael konnte gerade noch verhindern zu erwidern, dass sein Vater Luise viel zu sehr verwöhnt hatte. Albert war insgeheim sehr wohl bewusst, dass Luise dasselbe Ausmaß an Nachgiebigkeit zuteilwurde wie Raphael seine Unnachgiebigkeit zu spüren bekommen hatte. Ein Umstand, den er niemals zugeben würde.
„Ich wollte damit auch nicht ausdrücken, dass ich es gutheiße, wenn Luise den Müßiggang pflegt. Aber es ist bestehende Tatsache, dass sie es sich leisten kann, eine Ausbildung zu absolvieren, mit einem Abschluss, von dem man nicht reich wird. Wenn es ihr Herzenswunsch ist, dann schlage ihn ihr doch bitte nicht ab.“
„Es ehrt dich, dass du für deine Schwester einstehst, aber sie wickelt uns permanent um den Finger. Damit muss mal Schluss sein.“
Raphael konnte hören, wie sein Vater unbeherrscht mit der Faust auf den Schreibtisch donnerte. Das konnte heiter werden. „Vater, willst du einen Bruch mit Luise riskieren? Ist dir deine Sturheit das wirklich wert? Sie möchte das unbedingt und wenn du es nicht tust, dann werde ich sie unterstützen.“ Raphael wartete auf den Wutausbruch seines Vaters. Nichts. Stille.
„Bist du noch dran?“
Stille.
„Ist das dein Ernst?“ Alberts ätzender Tonfall sollte ihm Warnung genug sein.
„Ja!“
„Du willst einen Keil zwischen mich und meine Tochter treiben? Was fällt dir ein? Du glaubst, ihr einen Gefallen zu tun. Dem ist aber nicht so.“
„Luise ist erwachsen, akzeptiere das endlich mal.“
„Was seid ihr nur für verwöhnte Bälger? Du und deine Schwester. Ohne mich wärt ihr beide nichts.“ Mittlerweile hatte Albert die Beherrschung verloren und brüllte so laut in den Hörer, dass Raphael diesen ein Stück vom Ohr entfernt hielt. Eine Weile ließ er seinen Vater toben, dann unterbrach er ihn kühl: „Was möchtest du tun, um mich daran zu hindern? Mich enterben?“
Mit dieser herausfordernden Frage brachte er seinen Vater fast zum Kollabieren. Raphael verspürte Angst um seinen Vater, denn diese Aufregung war Gift für ihn. Deshalb versuchte er nochmals, ihn mit einer Bitte zum Einlenken zu bringen. „Bitte Papa, reg dich nicht so auf. Es geht nicht um dich oder mich. Luises Glück steht im Mittelpunkt. Ich bin mir sicher, du willst ihr das nicht verwehren. Denk doch bitte in Ruhe darüber nach und rede nochmals mit ihr.“ Damit beendete er das Gespräch, um gleich darauf seine Mutter anzurufen. Es war ihm unwohl, seinen Vater in diesem Zustand alleine zu sehen.
Silvias offensichtliche Freude über seinen Anruf – für ihren Geschmack meldete er sich viel zu selten – wandelte sich unversehens in Besorgnis, als er ihr den Inhalt des Konfliktes wiedergab.
Sie seufzte ergeben. „Danke, dass du mich informiert hast. Albert hätte euren Streit wahrscheinlich wieder mit sich alleine ausgemacht.“
„Es tut mir leid, nichts lag mir ferner, als ihn zu verärgern. Aber er kann nicht immer die Krankenkarte ziehen, um seinen Willen durchzusetzen“, gab Raphael unnachgiebig zurück. „Sprich du doch noch mal mit ihm. Vielleicht hört er auf dich.“
„Das glaube ich kaum“, widersprach Silvia ihm amüsiert. Schließlich hatte sie etliche Jahre Gelegenheit, sich mit Alberts Dickschädel vertraut zu machen.
Raphael konnte seiner Schwester leider nicht die Nachricht überbringen, die sie sich gewünscht hatte. Aber dies war beiden insgeheim schon zuvor bewusst gewesen.
Gutgelaunt summte Emilia ein Lied vor sich hin, das ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie befand sich auf dem Weg zu ihren Freunden. Vorgestern hatte sie eine Verabredung mit Miriam zum Abendessen gehabt. Sie hatten einen geselligen Abend miteinander verbracht. Sie genoss die Gesellschaft ihrer besten Freundin sehr, wohlwissend, wie kostbar diese Momente waren. Miriam hatte Modedesign studiert. Während ihrer Studienzeit hatten sie in derselben WG gewohnt und sich angefreundet.
Miriam hatte mittlerweile zwei eigene Modeboutiquen in München eröffnet und war beruflich stark eingebunden. Selbstständigkeit bedeutete, keine Freizeit mehr zu besitzen, meinte Miriam lächelnd.
Emilia hingegen verdiente mit ihren geregelten Arbeitszeiten als Grundschullehrerin zwar deutlich weniger Geld, verfügte dafür aber über deutlich mehr Freizeit sowie Urlaub. Zwar machte sie keine Karriere, aber sie liebte ihren Beruf als Lehrerin. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Eine Einstellung, die Miriam in regelmäßigen Abständen fassungslos machte. Wie hielt ihre beste Freundin es nur aus, tagtäglich diese Plagen um sich zu ertragen? Für Miriam stand ihre Karriere im Mittelpunkt, Linus hingegen würde gerne in naher Zukunft Kinder bekommen. Eine der wenigen Unstimmigkeiten zwischen den beiden, aber Emilia war sich sicher, die beiden würden eine Einigung finden. Sie hingegen konnte es kaum abwarten, eine eigene Familie zu gründen. Sie war ein Familienmensch und fühlte sich oftmals einsam. Da aber künstliche Befruchtung oder ein ungeschützter One-Night-Stand für sie nicht infrage kamen, blieb ihr nichts anderes übrig, als erst einmal den passenden Partner zu finden. Noch war die Dreißig ein ganzes Stück entfernt, sie musste nicht in Torschlusspanik ausbrechen.
Das Wort Familie löste große Traurigkeit in ihr aus, die es galt, schnellstmöglich zu unterbinden. Sie wollte nicht über ihre Eltern nachdenken. Das verbat sie sich zumeist. Sie wandte sich erfreulicheren Themen zu. Miriam hatte sie heute zum Abendessen eingeladen. Sie freute sich sehr darüber, es kam sehr selten vor, dass sich die beiden häufiger als einmal pro Woche sahen.
Miriams und Linus’ Gesellschaft bedeutete für sie Familie. Die Atmosphäre war heimelig und gemütlich. Emilia liebte es, Zeit bei ihnen zu Hause zu verbringen. Die Zuneigung und Herzlichkeit, die sie beide miteinander verband und sie zugleich ausströmten, machten es Emilia leicht, sich dort geborgen und sicher zu fühlen.
Vergnügt drückte sie die Klingel, so sehr freute sie sich auf den Abend. Stürmisch wurde umgehend die Tür geöffnet und ihre Freundin begrüßte sie begeistert mit einer liebevollen Umarmung.
„Hallo, Süße, du kommst gerade zur richtigen Zeit. Das Essen ist gleich fertig. Möchtest du erst einmal einen Aperitif trinken? Prosecco oder Hugo?“
„Ich nehme gerne einen Hugo. Vielen Dank für die Einladung.“ Sie drückte Miriam eine Flasche Rosé in die Hand.
„Danke, der Wein passt hervorragend zum Essen. Wir werden die Flasche nachher gleich öffnen.“ Miriam gab ihr als Dank ein Küsschen.
Während Emilia ihrer Freundin ins Wohnzimmer folgte, waren alle Gedanken an alkoholische Getränke vergessen. Was macht ER hier? Träum ich? Wie konnte es sein, dass dieser Typ sich auf der Couch im Wohnzimmer ihrer Freunde fläzte? Es sah geradezu so aus, als wäre er hier zu Hause. Lässig hatte er es sich gemütlich gemacht, indem er seine Beine der Länge nach ausgestreckt hatte. Keinesfalls war er hier zum ersten Mal zu Gast. Nun war sie froh, dass Miriam ihr noch kein Glas in die Hand gedrückt hatte. Sie hätte es bestimmt fallengelassen, so sehr zitterten ihre Hände.
In diesem Moment sah er von seinem Handy auf und sie konnte seine Überraschung wahrnehmen. Ein Gefühl des Triumphes durchzog sie. Er erkannte sie! Sie sah sich hastig zu Miriam um. Gerade als diese sie vorstellen wollte, kam ihr Raphael zuvor. Er sprang behände vom Sofa auf und kam selbstbewusst auf sie zu. Er streckte die Hand aus: „Hallo. Du siehst genauso überrascht aus wie ich, dich hier zu sehen. Ich bin Raphael. Schön, dich wiederzusehen.“
Perplex nahm sie seine Hand. Sie musste sich erst einmal sammeln, um vernünftige Worte zu formulieren. Die Buchstaben wirbelten wild durch ihr Gehirn und ließen sich nicht bändigen. Sie wollte nicht als Idiotin vor ihm stehen. Genau so kam sie sich vor, als er ihre Hand hielt und sie ihn anschwieg.
„Hallo“, brachte sie schließlich doch noch hervor. Bevor sie sich weiter blamieren konnte, half ihr Miriam aus der Bredouille, indem sie überrascht ausrief: „Ihr kennt euch?“
„Dasselbe wollte ich gerade auch fragen.“ Emilia hatte ihre Sprache wiedergefunden und sah Miriam erstaunt an.
Raphael klärte Miriam auf, indem er erwiderte: „Ich habe neulich mit dem Kaffee deiner Freundin Bekanntschaft gemacht und zu meinem Leidwesen muss ich zugeben, nicht besonders souverän reagiert zu haben.“
Falls Emilia vorher schon überrascht gewesen war, hatte er es nun geschafft, sie regelrecht umzuhauen. Das wurde ja immer besser. Jetzt hatte er sich quasi für sein Fehlverhalten entschuldigt.
„So schlimm war es auch wieder nicht. Ich hätte besser aufpassen sollen“, wiegelte Emilia ab.
Sein intensiver Blick, der sie bis ins Innere zu durchleuchten schien, löste ein Kribbeln in ihr aus. Angenehm, aber auch irritierend. Da er den Blick nicht von ihr abzuwenden vermochte, fühlte Emilia eine wohlbekannte Unsicherheit in sich aufsteigen, die sie jedes Mal überfiel, sobald ein Mann sie beeindruckte. Als er noch einen Schritt auf sie zutrat, fühlte sie eine Gänsehaut. Sie wünschte sich nichts mehr, als von diesem Mann in den Arm genommen zu werden. Emilia, du kennst den Kerl kaum. Was denkst du dir nur dabei?
„Verrätst du mir auch deinen Namen?“ Er beobachtete sie amüsiert. Emilia wurde ganz heiß. „Emilia.“
„Ein sehr schöner Name, passend zu einer schönen Frau.“
Hilfe, wenn er so weitermacht, falle ich gleich in Ohnmacht. Er will bestimmt nur nett zu mir sein, weil er sich das letzte Mal so arschig aufgeführt hat. Mehr nicht!
„Ach, Emilia ist die Frau mit dem Kaffee. Das ist ja interessant.“ Linus betrat mit zwei Gläsern Hugo den Raum. Zwischen Linus und Raphael kam es zu einem vielsagenden Blickwechsel, den Emilia nicht deuten konnte. Irgendetwas wollten sich die beiden Freunde damit sagen, ohne es den Frauen zu verraten.
Emilia würde alles dafür geben zu erfahren, was dieser Blick bedeutete. Miriam schien es nicht anders zu ergehen. „Was ist denn hier los?“, fragte sie daher direkt.
Raphaels Blick bohrte sich weiter eindringlich ins Gesicht seines Freundes. Keiner wollte nachgeben, indem er den Blick zuerst abwandte.
„Nichts Besonderes“, gab er harmlos zurück.
„Ich merke doch, dass hier etwas nicht stimmt. Linus!“
Damit brach sie den Bann. Linus wandte sich ab und kam auf Miriam zu. „Ich war lediglich überrascht, dass die beiden sich kennen.“ Er küsste sie und unterband somit jegliche Nachfragen.
Raphael betrachtete die Szene unergründlich. Emilia konnte nicht erahnen, was in ihm vorging. Schließlich schnappte er sich eines der Gläser, die Linus achtlos abgestellt hatte, um seine Freundin in den Arm zu nehmen und überreichte es höflich Emilia.
Der Dank blieb ihr im Hals stecken, als sie seinen abweisenden Gesichtsausdruck wahrnahm. Dieser bescherte ihr eine erneute Gänsehaut, die diesmal nichts Angenehmes mit sich brachte. Raphael strahlte plötzlich eine derartige Kälte und Distanz aus, die sie fast zurückweichen ließ. Sie musste sich überwinden, ihm das Glas abzunehmen. Sie starrte den Boden an und murmelte ein leises „Danke.“
Raphael setzte sich wortlos wieder hin und nahm erneut sein Handy zur Hand, als wäre sie gar nicht anwesend.
Hallo? Bin ich im falschen Film? Was ist denn jetzt los? Warum behandelt er mich plötzlich wieder von oben herab? Ich scheine ein Nichts für ihn zu sein.
Emilia leerte hastig ihr Glas mit einem Zug. Sie musste sich dringend etwas Mut antrinken, ansonsten würde sie den Abend nicht überleben. Da sie nicht wusste, was sie mit sich anfangen sollte, nachdem sich Raphael nicht mit ihr abgeben wollte, unterbrach sie die Knutscherei, indem sie etwas schärfer als gewollt fragte: „Was gibt’s denn eigentlich zu essen?“
Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass Raphael aufgrund ihrer Tonlage kurz aufsah. Vielleicht interessierte ihn auch nur Miriams Antwort.
Ihre Freundin löste sich nur ungern aus Linus’ Armen. „Gut, dass du fragst, ich habe es ganz vergessen. Ich sehe gleich nach.“
„Ich helfe dir“, rief Emilia rasch, begierig aus Raphaels Blickfeld zu kommen. Nachdem Emilia ihrer Freundin eine Weile schweigend zugesehen hatte, wie sie die Lasagne aus dem Ofen holte, konnte sie ihre Neugier schließlich nicht zurückhalten. „Woher kennt ihr Raphael? Mir war zwar bewusst, dass ihr Freunde aus illustren Kreisen habt, aber er scheint mir stinkreich zu sein.“
„Woher weißt du das?“ Miriam warf ihr einen verblüfften Blick zu.
„Als ich über seine Füße stolperte, lehnte er lässig an einem sehr teuer aussehenden Auto. Ich gehe mal davon aus, es war seins.“
Miriam kicherte: „Da wäre ich gerne dabei gewesen.“
„So lustig war es auch wieder nicht.“ Niedergeschlagen rief sie sich sein unmögliches Verhalten in Erinnerung.
„Er hat mit Linus zusammen studiert“, gab Miriam Auskunft.
„Das hätte ich mir gleich denken können. Du hattest mal erwähnt, dass sich da zahlreiche hübsche Frauen tummeln, um sich einen reichen Mann zu angeln“, gab Emilia amüsiert zurück.
Ihre Freundin stimmte in ihr Lachen ein.
„Hat es bei Raphael geklappt?“, fragte Emilia neugierig.
„Was hat geklappt?“
„Dass er in die Fänge einer Frau geraten ist.“
Miriam unterbrach ihre Suche nach Gläsern und kam zu Emilia zurück. Ernst sah sie ihre Freundin an. „Ich nehme mal an, du möchtest wissen, ob Raphael Single ist.“
Emilia schoss die Röte ins Gesicht. Ihr war unangenehm, dass Miriam nun dachte, sie sei an ihm interessiert.
„Nein, er hat keine Freundin. Er will keine. Raphael ist nicht für eine Beziehung gemacht. Er liebt die Frauen, aber nur solange sie ihm Befriedigung verschaffen. Er ist nicht bereit, mehr zu geben. Süße, schlag ihn dir aus dem Kopf. Ich weiß, er ist unglaublich attraktiv, aber er ist definitiv nicht der Richtige für dich.“
Empört fuhr sie auf: „Ich war nur neugierig. Ich kenne ihn doch überhaupt nicht, aber das, was er bisher gezeigt hat, bestätigt deine Einschätzung. Ich bin nicht an ihm interessiert.“
Miriam sah sie mitleidig an, was ihre Wut noch mehr entfachte.
„Passe ich nicht zu ihm, weil ich zu wenig reich, zu wenig hübsch und zu gewöhnlich bin oder wie meinst du das?“
„Sei nicht sauer. Du hast da etwas in den falschen Hals bekommen. Er würde dich nicht glücklich machen. Ich möchte nicht, dass er dich benutzt und anschließend mit gebrochenem Herzen zurücklässt. Das hast du nicht verdient.“
Nachdenklich betrachtete Emilia sie. „Warum genau seid ihr mit ihm befreundet, wenn er so ein Arschloch ist?“
„Gute Frage! Natürlich hat er auch positive und liebenswerte Seiten. Nur als Partner taugt er nicht, vertraue bitte meinem Urteil.“ Kurz schwiegen die Freundinnen, als ein eindringliches Räuspern das vertrauliche Gespräch unterbrach.
„Miriam, kann ich dir helfen?“ Charmant lächelte Raphael sie an. „Wenn ich schon ständig eure Gastfreundschaft ausnutze, kann ich mich auch ein wenig nützlich machen.“
Schon wieder hatte er es geschafft, Emilia zu verunsichern. Oder zu beeindrucken? Sie konnte es nicht genau definieren. Gastfreundschaft? Er übernachtete bei Miriam und Linus? Das konnte sie sich kaum vorstellen. Warum wohnte er nicht in einer luxuriösen Suite?
Da kam ihr ein viel unangenehmerer Gedanke. Wie viel hatte er von ihrem Gespräch belauscht? Wie lange stand er schon dort? Ich möchte auf der Stelle im Erdboden versinken. Emilia hatte das Gefühl, jeder, der sie berührte, würde sich an ihr verbrennen, so sehr glühte nicht nur ihr Gesicht, sondern ihr gesamter Körper.
Während Raphael beim Tischdecken behilflich war, versuchte Emilia sich wieder zu fangen. Eigentlich wollte sie nur noch weg. Der Abend würde als Katastrophe enden. Als die Peinlichkeit ihres Lebens. Dennoch zwang sie ihre Beine, sich wieder ins Wohnzimmer zu bewegen. Schließlich konnte sie nicht ewig in der Küche bleiben. Mittlerweile hatten die anderen am Esstisch Platz genommen. Raphael schenkte ihr weiterhin keine Beachtung. Er schwieg die meiste Zeit. Nur Miriam gegenüber zeigte er sich freundlich, wenn sie ihn ansprach. Linus hingegen schien ebenfalls aus irgendeinem Grund seinen Unmut auf sich gezogen zu haben.
Emilia war entsetzt, was für eine gewaltige Macht er auf sie ausübte. Sie schaffte es kaum, einen vernünftigen Satz zu formulieren. Bei jedem ausgesprochenen Wort hatte sie das Gefühl, er sei genervt oder im besten Fall gelangweilt. Wahrscheinlich interessierten ihn ihre Geschichten, die sie Miriam erzählte, nicht im Geringsten. Seine mürrische Miene machte es nicht besser. Zum Ende des Essens stellte Miriam fest, dass die Weinflasche leer war. „Ich hole schnell deinen Wein, Emilia.“
Als sie wieder zurückkam, bedankte sie sich noch einmal lächelnd bei ihrer Freundin für das Mitbringsel.
Während Emilia froh war, ein weiteres Glas Wein trinken zu dürfen, nahm Raphael die Flasche in die Hand und begutachtete sie.