Verbotene Liebe - Folge 02 - Katharina Verl - E-Book

Verbotene Liebe - Folge 02 E-Book

Katharina Verl

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Beschreibung

In Paris will Jan Julia für immer aus seinem Gedächtnis streichen. Aber ausgerechnet hier begegnet er immer wieder Frauen, die seiner großen Liebe wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Jan betrügt die eine 'Julia' mit der nächsten - aber am Ende vor allem sich selbst...

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Lübbe Digital

Vollständige E-Book-Ausgabe

des beim Bastei Verlag erschienenen Werkes

Lübbe Digital und Bastei Verlag in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG

© 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG,

Köln

© 2011 Grundy UFA TV Produktions GmbH, all rights reserved.

Licensed by Fremantle Licensing

www.fremantlemedia.com

Fotos:

Timo Seidel

Datenkonvertierung E-Book:

César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-1592-6

Sie finden uns im Internet unter

www.bastei.de

oder

www.luebbe.de

Verbotene Liebe

erscheint monatlich im BASTEI Romanbereich

GRÜNDER

Gustav H. Lübbe († 1995)

Geschäftsführung:

Stefan Lübbe (Vorsitzender)

Cheflektor: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

VERLAG UND REDAKTION

Bastei Lübbe GmbH & Co. KG

Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Telefon: 0221/8200-0 – Telefax: 0221/8200-3450

Erfüllungsort: Köln

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Alle Rechte an diesem Roman vorbehalten.

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Unverlangten Einsendungen bitte Rückporto beifügen.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Der Sehnsuchtentfliehen

Band 2

Roman vonKatharina Verl

„Na, was sagst du?“ Jan strahlte Kerstin erwartungsvoll an. „Hab ich zu viel versprochen?“

Er war noch ein wenig atemlos von den vielen Treppen, die sie gerade in den fünften Stock hochgestiegen waren, um in die winzige Dachgeschosswohnung in der Rue Violet im 15. Arrondissement zu gelangen. Jan stand mitten im Raum und breitete die Arme aus, als wolle er das kleine, spartanisch eingerichtete Zimmer damit umschließen.

Ein Tisch, zwei Stühle, ein durchgesessenes Sofa, ein schmales Regal und eine hässliche Kommode. An den Wänden hingen verschnörkelte Bilderrahmen mit Fotografien von Pariser Sehenswürdigkeiten, vermutlich aus einem Kalender ausgeschnitten.

Hinter einem geblümten, ziemlich fadenscheinigen Vorhang schloss sich eine enge Kochnische an. Auch sie war nur mit dem absolut Notwendigsten eingerichtet. Alles war alt und schon ein wenig marode. Der laut brummende Kühlschrank und der altersschwache, dreckige Gasherd hatten schon bessere Tage gesehen, und das vor langer Zeit.

Als Jan die Wohnung am Tag zuvor zusammen mit Jean-Luc besichtigt hatte, war sie ihm trotzdem wie ein Traum vorgekommen, besonders im Gegensatz zu dem etwas muffigen, engen Pensionszimmer, das Kerstin und er seit ihrer Ankunft in Paris bewohnten. Es war Jan ohnehin wie ein Wunder erschienen, dass sie so schnell etwas Passendes gefunden hatten. Wenn er ehrlich war, hatte er anfänglich weder damit gerechnet, dass das passieren könnte, noch dass Jean-Luc sein Versprechen, ihnen zu helfen, überhaupt wahr machen würde. Immerhin hatten sie sich seit Jahren nicht gesehen und keinen Kontakt miteinander gehabt.

Jan war es fast ein wenig peinlich gewesen, sich bei den Duponts zu melden, aber Jean-Luc und seine Eltern waren die einzigen Menschen, die er in Paris kannte. Er hatte als Jugendlicher vier Wochen bei ihnen als Austauschschüler gewohnt und war mit Jean-Luc zur Schule gegangen. Die Familie hatte ihn damals mehr als freundlich aufgenommen und Jan hatte sich bei ihnen sehr wohl gefühlt. Mit vielen schönen Erinnerungen im Kopf hatte er sich ein paar Tage nach seiner und Kerstins Ankunft in Paris auf die Suche nach ihnen gemacht.

Duponts gab es im Pariser Telefonbuch wie Sand am Meer, aber Jan hatte sich daran erinnert, dass seine Gastfamilie ganz in der Nähe der Kirche St. Germain-des-Prés gewohnt hatte und so war er einfach systematisch die Straßen rund um die Kirche auf und ab gelaufen, bis er zu seiner eigenen Überraschung plötzlich vor dem Wohnhaus gestanden hatte, in dem er eine Zeit lang ein- und ausgegangen war.

Mit klopfendem Herzen hatte Jan nach dem Namen auf den Klingelschildern gesucht und war zu seiner großen Freude fündig geworden. Allerdings hatte er zweimal wiederkommen müssen, bis er endlich jemanden angetroffen hatte.

Mme Dupont hatte sich sehr gefreut, ihn wiederzusehen. Während sie ihn mit Kaffee und selbst gebackenen Madeleines bewirtet hatte, hatte sie ununterbrochen geredet, wie es von jeher die Art dieser quirligen, zierlichen Frau gewesen war.

Jan hatte sich sofort wieder heimisch gefühlt, es war fast wie nach Hause kommen gewesen. In der Wohnung der Duponts hatte sich kaum etwas verändert, zumindest war es ihm so vorgekommen. Vielleicht war nur noch etwas mehr Nippes dazugekommen?

Jan hatte versucht, die vielen Fragen, die ihm Mme Dupont stellte, so ehrlich wie möglich zu beantworten. Angesichts von so viel Freundlichkeit war es ihm schwer gefallen, ihr die eine oder andere Lüge aufzutischen. Zum Abschied hatte Mme Dupont ihm Jean-Lucs Telefonnummer gegeben – seit er studierte, wohnte Jean-Luc nicht mehr zu Hause – und Jan das Versprechen abgenommen, bald wiederzukommen und nicht wieder so viel Zeit verstreichen zu lassen.

Auch Jean-Luc hatte es für ganz selbstverständlich gehalten, dass Jan sich nach so langem Stillschweigen bei ihm gemeldet hatte. Er hatte sofort ein Treffen am nächsten Tag vorgeschlagen und sie hatten einen vergnügten, feucht-fröhlichen Abend verbracht.

Jan war es zeitweise so vorgekommen, als hätten sie sich erst vor ein paar Tagen das letzte Mal gesehen. Die alte Verbundenheit zwischen ihnen war sofort wieder da gewesen und Jean-Luc hatte ganz selbstverständlich angeboten, Jan bei der Wohnungs- und Jobsuche behilflich zu sein.

Dass er anfangs dennoch ein wenig an Jean-Lucs Aufrichtigkeit gezweifelt hatte, beschämte Jan selbst im Nachhinein noch. Wie er immer wieder feststellen musste, war sein Vertrauen in andere Menschen wirklich nicht mehr sehr groß. Umso erfreuter war er über Jean-Lucs Nachricht gewesen, dass es in der Rue Violet eine Wohnung gab, die sofort bezogen werden konnte.

Überglücklich war Jan am späten Abend nach der Wohnungsbesichtigung in die Pension zurückgekehrt. Er und Jean-Luc hatten den erfolgreichen Abschluss des Mietvertrages noch mit einigen Gläsern Rotwein gebührend gefeiert.

Kerstin war ein bisschen sauer gewesen, dass er sie so lange hatte warten lassen und dann auch noch leicht angetrunken erschienen war. Aber es war Jan gelungen, sie mit seiner begeisterten Schilderung der Wohnung wieder aufzumuntern und sie neugierig zu machen.

Heute Morgen hatten sie sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg gemacht und Jan hatte es kaum erwarten können, Kerstin ihr zukünftiges Zuhause zu präsentieren.

Nun dämpfte sich Jans Freude ein wenig. Kerstins skeptischer Blick machte ihm die Ärmlichkeit ihrer neuen Behausung bewusst, die doch ihr Liebesnest werden sollte. Der verheißungsvolle Anfang einer glücklichen Zukunft, die Jan sich immer wieder in den schönsten Farben ausmalte.

Entschlossen verdrängte er die aufkommenden Zweifel an seiner Entscheidung, die Wohnung sofort zu nehmen. Jan konzentrierte sich auf die positiven Aspekte: die zentrale Lage, der Blick auf den Eiffelturm, wenn man sich schräg an das Fenster des Wohnzimmers stellte, die Nähe zur Seine und zur nächsten Metrostation.

Dass sich ihr neues Zuhause in einem ziemlich heruntergekommenen Haus befand, von dessen Fassade der Putz abbröckelte, sich im Hausflur undefinierbare Gerüche mischten, die ausgetretenen Stufen der endlosen Treppe bei jedem Schritt geradezu unfreundlich knarrten und das Treppengeländer bedrohlich wackelte, hatte Jan auch Kerstin wohlweislich verschwiegen. Aber schließlich hatte auch das einen gewissen Charme, wie so vieles hier in Paris, das alt und marode war und für das sich Kerstin durchaus begeistern konnte.

„Komm, ich zeig dir was!“

Jan griff nach Kerstins Hand und zog sie zurück in den winzigen Flur und von dort in einen zweiten Raum, das Schlafzimmer. Der Raum war so klein, dass gerade mal das französische Doppelbett und ein etwas windschiefer Kleiderschrank hineinpassten. Kerstin schaute Jan ein wenig irritiert an. Ohne dass sie es aussprach, spiegelte sich auf ihrem Gesicht die Frage, was daran nun so großartig sein sollte. Lächelnd legte Jan den Zeigefinger unter ihr Kinn und hob ihr Gesicht, sodass sie an die Decke schauen musste.

„Schau mal, da oben!“ Jan wies auf das Oberlicht direkt über dem Bett, durch das man ein Stück vom blauen Himmel sah, über den an diesem warmen Spätsommertag kleine weiße Schäfchenwolken zogen.

„Wir werden jeden Abend mit einem Blick in den Sternenhimmel einschlafen. Ist das nicht wundervoll?“

Endlich zeigte sich auf Kerstins Gesicht ein Lächeln. „Ja, das ist wirklich schön. Entschuldige, Jan, ich …“

„Schon gut“, sagte Jan erleichtert. „Ich weiß, es ist kein Palast, aber wir werden es uns hier gemütlich einrichten. Jean-Luc hat gesagt, dass wir wirklich froh sein können, überhaupt eine Wohnung gefunden zu haben, noch dazu eine so preiswerte. Du wirst sehn, in ein paar Wochen sieht es hier ganz anders aus. Ein paar Blumen, Kerzen und für das Sofa werden wir eine bunte Decke kaufen. Ich bin sicher, wir finden auf den Flohmärkten viele tolle Sachen, mit denen wir es uns hier schön machen können, damit du dich wohlfühlst.“

Während er sprach, gingen sie wieder zurück in den Wohnraum.

„Du sollst dich hier auch wohlfühlen“, sagte Kerstin, während sie die Kochnische inspizierte.

„Das werde ich auch.“ Jan zog sie in seine Arme und küsste sie zärtlich. „Ich werde mich überall wohlfühlen, wenn du nur bei mir bist.“

Kerstin schmiegte ihren schlanken Körper eng an Jan und schaute ihn an. „Ich liebe dich“, flüsterte sie leise.

„Ich liebe dich auch“, sagte er mit rauer Stimme.

Eng umschlungen standen sie mitten im Raum und versanken in einen nicht enden wollenden Kuss voller Leidenschaft und Begehren. Als sich ihre Lippen für einen kurzen Moment voneinander lösten, grinste Jan Kerstin ein wenig spitzbübisch an.

„Was hältst du davon, wenn wir das Bett mal ausprobieren?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, hob er sie auf seine Arme und trug sie durch den kleinen Flur ins Schlafzimmer.

Es dämmerte bereits, als Jan die Augen aufschlug. Für einen kurzen Moment wusste er nicht, wo er war, aber als sein nach oben gerichteter Blick ein Stückchen des Pariser Abendhimmels erfasste, fiel es ihm sofort wieder ein.

Er lag im Bett in ihrer neuen Wohnung in der Rue Violet! In seinem Arm hielt er die Frau, mit der er hier in Paris ein neues Leben beginnen wollte! Kerstins Kopf ruhte auf seiner Schulter, ihr linker Arm lag auf seiner Brust. Ihre Gesichtszüge waren entspannt und um ihre Lippen spielte ein zartes Lächeln.

Jan spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Jetzt wird es ernst, ging es ihm plötzlich durch den Kopf.

Die ersten Wochen nach ihrer Flucht aus Köln waren in einem konfusen Auf und Ab widerstreitender Gefühle und verwirrender Eindrücke wie im Flug vergangen. Hin- und hergerissen zwischen euphorischer Verliebtheit und Zweifeln, ob ihr Schritt wirklich richtig war, hatten Kerstin und er sich durch die riesige Metropole treiben lassen.

Flucht? Hatte er eben wirklich Flucht gedacht? Jan seufzte. Ja, es stimmte. Anders konnte man ihren überstürzten Aufbruch nicht nennen. Zumindest von seiner Seite. Getrieben von dem Wunsch, den schmerzvollen Erinnerungen an eine verbotene Liebe zu entgehen, Julia zu vergessen und alles hinter sich zu lassen, was ihn an sie erinnern könnte, war es für ihn das Naheliegendste gewesen, möglichst weit fort zu gehen.

Dass sie in Paris gelandet waren, war eher Zufall, oder? Jan zog die Stirn kraus. Nein, vermutlich nicht. Wenn das Plakat für eine andere Stadt Werbung gemacht hätte, hätte er es wahrscheinlich gar nicht beachtet. Aber der Satz „Besuchen Sie Paris, die Stadt der Liebe!“ war wie eine Initialzündung gewesen.

Vom ersten Augenblick an hatte Jan an einen Fingerzeig des Schicksals geglaubt. Auch wenn er damals noch sehr jung gewesen war, als er als Austauschschüler einige Wochen in Paris verbracht hatte, dem unwiderstehlichen Flair dieser lebendigen, faszinierenden Stadt hatte er sich selbst als Halbwüchsiger nicht entziehen können. Mit seiner neuen Liebe dorthin zu gehen, war ihm verlockend und vielversprechend erschienen.

Jan betrachtete Kerstins ebenmäßige Gesichtszüge, die von ihren langen dunkelblonden Haaren umrahmt wurden. Er mochte es, wenn sie die Haare offen trug, was sie viel zu selten tat. Sacht berührten seine Lippen ihre Stirn.

Für Kerstin war es keine Flucht gewesen, sie war ihm aus Liebe gefolgt. Hatte ihr Studium abgebrochen und alles zurückgelassen, ihre Freunde, ihre Familie – für ein Versprechen. Ein Versprechen, das Jan unbedingt halten wollte. Er durfte Kerstin einfach nicht enttäuschen!

Wenn es nur nicht so verdammt schwer wäre, die Erinnerung aus seinen Gedanken und seinem Herzen zu verbannen. Selbst in dieser fremden Stadt, die so ganz anders war als ihre Heimatstadt, holte sie ihn immer wieder ein. Meist dann, wenn er am wenigsten damit rechnete.

Sogar die kleine heruntergekommene Pension, in der sie ihren ersten Unterschlupf gefunden hatten, nachdem sie mitten in der Nacht völlig übermüdet am Gare de l’Est angekommen waren, hatte ihn an zu Hause erinnert.

Dabei hatten die engen, stickigen Löcher, für die der Besitzer einen horrenden Preis verlangte, nichts gemein mit den gemütlich eingerichteten Zimmern in Fionas Pension. Doch das schmale, zwischen zwei großen Wohnhäusern eingeklemmte Haus hatte eine fatale Ähnlichkeit mit dem in Düsseldorf. Sogar die Kneipe im Erdgeschoss fehlte nicht.

Jan war heilfroh gewesen, als sie zwei Tage später etwas Besseres in einem wesentlich schöneren Viertel gefunden hatten. Zwar entsprach die Ausstattung ihres Zimmers auch dort ihren bescheidenen finanziellen Mitteln, aber es war zumindest sauber und der Patron war nett und freundlich.

Jans Arm war mittlerweile eingeschlafen und er zog ihn vorsichtig unter Kerstins Kopf hervor. Sie stöhnte leise und drehte sich auf die andere Seite. Einen Moment lang überlegte Jan, ob er sie vielleicht wecken sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Er würde ihr eine kurze Nachricht hinterlassen und bald sowieso wieder zurück sein.

Kerstin erwachte von dem lauten Knall, mit dem Jan die Wohnungstür zuschlug.

„Jan!“ Ohne zu überlegen sprang sie aus dem Bett und stürzte auf den Flur. Erst als sie die Türklinke bereits in der Hand hatte, wurde ihr bewusst, dass sie nackt war. Schnell lief sie zurück ins Schlafzimmer, zog das Laken vom Bett und wickelte sich darin ein, während sie schon wieder eilig in den Flur stolperte. Verzweifelt riss sie die Wohnungstür auf.

„Jan!“, rief sie noch einmal, aber sie hörte nur noch das dumpfe Geräusch der unten zuschlagenden Haustür.

Als sie die Wohnungstür schließen wollte, riss ihr der Durchzug die Tür fast aus der Hand. Mit geschlossenen Augen lehnte sich Kerstin gegen die Wand und rutschte langsam daran herunter, bis sie auf dem Boden saß. Ihr war schwindlig und ihr Herz raste wie verrückt. Panik erfüllte sie. Wohin wollte Jan? Warum war er ohne ein Wort gegangen? Hatte er sie jetzt doch verlassen?

Hör auf mit diesen Gedanken! Hör auf! Hör auf! Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft versuchte sie, langsam und konzentriert zu atmen und sich wieder zu beruhigen. Nach einer Weile öffnete sie ihre Augen und ihr Blick fiel direkt auf Jans Reisetasche, die er vorhin im Wohnraum abgestellt hatte.

„Oh, mein Gott!“, stöhnte sie laut auf. „Was bist du für eine hysterische Ziege geworden!“

Kerstin wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Die merkwürdigen Töne, die tief aus ihrem Inneren kamen, schienen weder das Eine noch das Andere zu sein. Nachdem sie ihre Fassung einigermaßen wiedererlangt hatte, schüttelte sie den Kopf.

Wann würde das endlich aufhören? Diese panische Angst, Jan könnte sie verlassen! Sogar hier in Paris verfolgte Julias Schatten sie wie ein böser Dämon. Sie musste sich davon befreien! Schon allein um Jans willen. Es war nicht fair ihm gegenüber, dass sie ihn ständig verdächtigte, an Julia zu denken, während er alles tat, um sie glücklich zu machen.

Kerstin schloss die Augen. Sie schlang beide Arme um ihre vom Bettlaken umwickelten Knie und legte den Kopf darauf. Die Erinnerung an seine leidenschaftliche Umarmung vor wenigen Stunden zauberte ein verklärtes Lächeln auf ihr Gesicht. Sehnsüchtig verharrte sie eine Weile in dieser Position und spürte dem Geruch des geliebten Mannes nach.

Nach einiger Zeit raffte sie sich endlich auf und ging ins Schlafzimmer, um das Laken zurückzubringen. Eher zufällig bemerkte sie das Blatt Papier, das halb unter dem Bett hervorschaute. Sie hob es auf. Es war eine Nachricht von Jan. Sie musste bei ihrer hektischen Flucht aus dem Bett heruntergefallen sein.

Mein Liebling, ich wollte dich nicht wecken, du hast so süß geschlafen! Bin bald wieder zurück. Ich hole nur unsere restlichen Sachen aus der Pension und kaufe ein bisschen was ein. Freu dich auf eine kleine Überraschung! Ich liebe dich, Jan

Jans Zeilen verstärkten Kerstins schlechtes Gewissen zusätzlich. Er war so fürsorglich und liebevoll, und sie so ungerecht! Noch nicht einmal richtig gefreut hatte sie sich über die Wohnung. Zugegeben, gegen diese mehr als schlichten vier Wände wirkte ihre erste Studentenbude in Köln geradezu luxuriös, aber mit ein paar schönen Accessoires hier und dort würde es ihnen schon gelingen, sie ein bisschen aufzupeppen.

Jan hatte recht, es lag an ihnen, etwas daraus zu machen. Ein wenig beschämt gelobte Kerstin Besserung. Ab heute würde alles anders werden!

Als Jan zwei Stunden später nach Hause kam, fiel ihm eine gut gelaunte Kerstin um den Hals. „Du hättest mich ruhig ein bisschen liebevoller wecken können“, sagte sie in gespielt vorwurfsvollem Ton und zog übermütig an seinen Ohren.

„Oh, die Wohnungstür! Es tut mir leid! Ich habe nicht aufgepasst, plötzlich gab’s Durchzug und sie ist zugeknallt. Ich hoffe, du bist nicht aus dem Bett gefallen vor Schreck!“

„Nur fast“, lachte Kerstin, dann drehte sie sich um und gab den Blick auf das Zimmer frei. „Schau mal, gefällt’s dir?“

Jan ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, der plötzlich richtig gemütlich wirkte. Kerstin hatte zwei der bunten Tücher, die sie normalerweise um den Hals trug, über die beiden unansehnlichen, fleckigen Stehlampen gehängt, sodass sie das Zimmer jetzt in ein warmes Licht tauchten. Auf dem Tisch stand ein dreiarmiger Holzleuchter, in dem zwei rote Kerzenstummel brannten.

„Wo hast du die denn her?“, fragte er verblüfft.

„In der hintersten Ecke der Küchenschublade gefunden.“

Jan grinste. „Dann hätte ich das hier ja gar nicht mitbringen müssen.“

Er hielt Kerstin einen Strauß gelber Anemonen entgegen, den er bis jetzt hinter dem Rücken verborgen hatte.

„Oh, Jan, sind die schön!“ Kerstin steckte ihre Nase in die Blumen. „Ist das die Überraschung?“, fragte sie, während sie sich auf die Suche nach einer Vase machte.

Jan schüttelte den Kopf. „Nein, dafür muss ich noch ein bisschen was vorbereiten. Wenn Mademoiselle vielleicht für einen Moment im Schlafgemach verschwinden könnte?!“

„Spann mich aber nicht so lange auf die Folter, ja“, bat sie lächelnd und folgte seinem Wunsch.

Nachdem Kerstin den Wohnraum verlassen hatte, begann Jan das Picknick vorzubereiten, mit dem er Kerstin überraschen wollte.

Bei der Wohnungsbesichtigung hatte er nicht widerstehen können, herauszufinden, was sich hinter der Tür am Ende der kurzen Treppe verbarg, die neben ihrer Wohnungstür noch ein Stück weiter nach oben führte. Sie war tatsächlich nicht abgeschlossen und als Jean-Luc und er hinaustraten, standen sie oben auf dem flachen Dach zwischen Schornsteinen und Fernsehantennen und genossen einen atemberaubenden Blick über die Dächer von Paris. Hier oben war der Straßenlärm nur noch als ein dumpfes, gleichmäßiges Brummen zu hören, fast übertönt von dem Gurren der unzähligen Tauben, die überall auf den Dächern herumtrippelten.

Wahrscheinlich war es das gewesen, was ihn so besonders für diese Wohnung eingenommen hatte. Jan hatte sich sofort vorgestellt, wie er mit Kerstin hier oben sitzen und in den Sternenhimmel schauen würde. Jean-Luc schien fast ein wenig neidisch gewesen zu sein, als er ihm auf die Schulter geklopft und gesagt hatte: „Was für ein Glück, dass Mme Mallermé schon zu alt für die vielen Treppen ist.“

Die Concierge hatte ihnen nur die Schlüssel für die Wohnung in die Hand gedrückt und sie mit dem Hinweis auf ihre kranken Füße und ihr schwaches Herz allein nach oben geschickt. Wahrscheinlich war sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr hier gewesen.

Während Jan hin und her rannte, um Geschirr, Gläser und die Lebensmittel, die er eingekauft hatte, nach oben zu tragen, pfiff er fröhlich vor sich hin. Er konnte es kaum erwarten, Kerstins überraschtes Gesicht zu sehen.

Endlich war alles zu seiner Zufriedenheit hergerichtet und er konnte die vor Ungeduld schon ganz zappelige Kerstin aus dem Schlafzimmer erlösen. Sorgfältig verband er ihr mit einem Tuch die Augen und führte sie behutsam aufs Dach. Trotz seiner Achtsamkeit ging es nicht ohne Stolpern und Gekicher ab.

Bevor er ihr die Augenbinde abnahm, küsste er sie zärtlich und flüsterte ihr leise ins Ohr: „Mademoiselle, heute Nacht lege ich Ihnen ganz Paris zu Füßen.“

Nach einem kurzen Moment der Verblüffung zeigte Kerstin sich völlig überwältigt.

„Jan! Das ist ja … ich … ich weiß gar nicht … ich bin völlig sprachlos …“

„Gefällt es dir?“

„Gefallen?! Es ist einfach umwerfend!“ Kerstin schüttelte ungläubig den Kopf und drehte sich einmal um die eigene Achse. „Das ist der helle Wahnsinn! Ich glaube, ich habe noch nie so etwas Großartiges erlebt.“

Jan strahlte sie an. „Glaubst du jetzt, dass wir hier glücklich sein können?“

Kerstin machte ein schuldbewusstes Gesicht. „Oh, Jan, es tut mir so leid, dass ich ständig an allem herummeckere und mir immerzu über alles Mögliche Sorgen mache. Ich verspreche dir, dass ich mich bessern werde.“

„Darauf sollten wir trinken“, sagte Jan und lächelte verschmitzt. „Außerdem habe ich einen Mordshunger.“

Sie setzten sich auf den alten, abgetretenen Teppich, den Jan aus dem Flur nach oben getragen hatte und lehnten sich an den Schornstein, dessen Steine immer noch die gespeicherte Wärme der Nachmittagssonne abgaben.

„Gibt es nicht sogar einen Film, der ‚Über den Dächern von Paris‘ heißt?“, fragte Jan nach einer Weile, in der sie schweigsam und genüsslich dem Rotwein, Baguette, Käse und Salami zugesprochen hatten.

„Über den Dächern von Nizza“, sagte ihn Kerstin.