Verdächtigungen - Ilse Hampe - E-Book

Verdächtigungen E-Book

Ilse Hampe

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Beschreibung

In diesem Werk werden Verdachtsmomente in den verschiedensten Bereichen untersucht, sowohl aus dem persönlichen wie auch aus der Weltliteratur, der Filmkunst und der Geschichte. Es geht um die Folgen für den Betroffenen selbst wie um jene für seine Nächsten oder sogar für die Gesellschaft, so im Falle Dreyfus. Falsche oder irrtümliche Verdächtigungen können fatale Konsequenzen nach sich ziehen, von psychischen Schädigungen bis zu ungerechten, unverdienten Todesurteilen. In vielen Situationen überschätzt der Mensch sich selbst und verdrängt oder missachtet sogar den Verdacht mit wiederum enormen Schaden für ihn oder andere. Das Buch enthält auch eine Geschichte über einen Verdachtsfall.

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsangabe

Irrtümer im Alltag

Urteile und ihre Konsequenzen

Verdacht im Film

Literarische Werke

Das Schloss

Bibliografie

Irrtümer im Alltag

Eine herrliche Landschaft umgab uns. Wir wanderten durch ein breites Tal inmitten der schroffen Kalkwände der Dolomiten. Ruhe um uns herum. Wir waren eine Gruppe von sieben Frauen, alle aus verschiedenen Regionen Deutschlands stammend; fanden uns hier für den Verlauf einer Woche zusammen, um zu Fuß diese einmalige Landschaft zu durchqueren. Im Moment verlief der Weg noch eben, aber wir hatten schon über tausend Höhenmeter täglich überwunden und auch an diesem Tage würde diese Herausforderung nicht ausbleiben. Die Einblicke in die Natur, in die Verlassenheit, in diese Einmaligkeit, die die eine oder andere von uns in die Nähe Gottes transportierte, bildeten eine ausreichende Entschädigung für die erlittenen Strapazen. Zu spüren war die Abgeschiedenheit, das Fernab von jeglicher Zivilisation. Mal hier, mal da eine oder mehrere Gämsen. Auch Murmeltiere mit ihrem schrillen Schrei machten sich bemerkbar. Die Mütter besorgt um ihre Kleinen, wenn diese auf ihr Rufen nicht schnurstracks in den Bau zurückkehrten. Die Tierwelt anscheinend mit den gleichen Erziehungsproblemen geplagt wie die Menschen! Hier und da plätscherte ein Rinnsal die Berghänge hinunter. Keine weiteren Geräusche vernehmbar, keine menschlichen Stimmen außer den unsrigen, kein Autorauschen, keine Krankenwagensirenen, kein Kirchenglockenläuten. Man wähnte sich auf einem entlegenen Stern, entkoppelt von der restlichen Menschheit. Alle glücklich über diesen Sprung in die Ödnis, die Einsamkeit. Es war also möglich, nur ein paar hundert Kilometer von Zuhause entfernt unterzutauchen, von der Erdoberfläche zu verschwinden.

So dachten wir alle, bis mein Handy klingelte. Dieser Ton, der in der Stadt zu unserem Alltag gehört, meist willkommen ist, wirkte in dieser Umgebung wie die Ankunft von Außerirdischen. Er verwirrte. Was hatte er hier zu suchen? Holte er uns aus unserer Traumwelt zurück in die Wirklichkeit? Waren wir ihr also doch nicht für ein paar Tage entkommen? Verfolgte sie uns gar bis in diesen surrealen verlassenen Winkel? Wollte uns die Technik beweisen, dass wir immer noch in der zivilisierten Welt gefangen waren, dass es auf diesem Planeten fast unmöglich ist, sich von ihr zu lösen, Unerreichbarkeit eine hinfällige Illusion darstellt?

Es dauerte eine Weile, bis ich meine Erschütterung unter Kontrolle gebracht hatte, d. h. die Verschlüsse des Rucksacks an Bauch und Brust geöffnet und das Gepäckstück auf die Erde gestellt hatte. Dann kramte ich nach diesem Gerät, dieser Nabelschnur zum Alltag, den ich doch so gerne in großer Distanz wünschte. Wie oft hatte es schon geläutet? War der Anrufer gefasst auf die Verzögerung durch mein umständliches Hantieren? Auf dem Display eine unbekannte Nummer. Aus Deutschland. Die Gruppe hatte ihren Weg fortgesetzt; es lag ihr fern, meinen Intimitäten zu lauschen.

Ich nahm ab. Eine männliche Stimme meldete sich. In der Aufregung verstand ich nicht gleich, um welche Dienststelle es sich handelte. Er wiederholte: LKA. Also: Landeskriminalamt. „Oh Gott!“, war mein erster Gedanke. „Habe ich etwas angestellt? Habe ich aus Versehen, gar ein Auto im Vorbeifahren touchiert? Unbeabsichtigt Fahrerflucht begangen? Aber nein, für so eine Bagatelle interessiert sich das LKA beileibe nicht!“, fiel mir dann noch ein. Aber dennoch war mein Auto im Spiel! „Sind Sie die Fahrzeughalterin des Wagens mit Kennzeichen…?“ „Ja, allerdings“, gab ich pflichtgemäß bekannt. „Und fuhren Sie am 13.8. um 18 Uhr 40 auf der Straße…?“ Das Datum lag gar nicht lange zurück. Ich erklärte dem Beamten die ein wenig verworrenen Begebenheiten dieses Abends: „Es war mein Sohn, der das Auto lenkte. Er war mit seiner Frau und den drei Kindern am Bahnhof angekommen. Von dort holte ich sie alle mit meinem Wagen ab, aber, da wir ja zu sechst nicht hineinpassten, hatte ich vorgesorgt. Ich hatte mein Fahrrad mitgenommen und radelte nach Hause. Denn sie übernachteten bei mir. Anlass des Besuchs war der Geburtstag meines Mannes. Mein Sohn hat auf keinen Fall einen Unfall gebaut; das Auto war ja unversehrt!“ „Nein“, erhielt ich prompt zur Antwort. „Es geht um etwas anderes. Es saßen ja Kinder im Auto, wie Sie eben kundgetan haben. Vielleicht haben Sie vom Verschwinden des kleinen E. aus Berlin gehört. Es wird bundesweit seit einigen Wochen nach ihm gesucht. Jemand hat uns die Meldung unterbreitet, E. in Ihrem Auto gesichtet zu haben. Die Ähnlichkeit sei frappierend.“ „Aber nein“, wehrte ich mich. „Alle drei Kinder im Auto sind die meines Sohnes! Das ist offensichtlich eine Verwechslung!“ „Sie müssen verstehen, dass wir jedem Hinweis auf den Grund gehen. Es handelt sich schließlich um ein Menschenleben!“ „Oh, ja, ich verstehe. Dennoch sind Sie hier auf der falschen Spur!“

Der Beamte bat mich um die Telefonnummer meines Sohnes. „Entschuldigung, aber ich muss auflegen, um die Nummer direkt aus meinen Kontakten im Handy herauszuholen. Können Sie mich in ein paar Minuten wieder anrufen?“ Ich atmete erstmal tief durch. Mit solch einer Nachricht hatte ich nicht gerechnet. Sie übertraf mein Vorstellungsvermögen. Als hätte mein Sohn nicht schon genug mit seinen drei Kindern, sollte er noch ein fremdes entführt haben! Lächerlich! Aber zum Lachen war mir nicht zumute! Keineswegs! Ein Schaudern durchlief mich. Mein Sohn wurde eines Verbrechens beschuldigt, indirekt ich ebenfalls! Und ich war die erste, die davon erfuhr! Telefonnummer gefunden und weitergegeben. Anschließend sofort versucht, meinen Sohn zu kontaktieren. In der Arbeit. Also eine Info hinterlassen. Der würde sich freuen! Bei all den Problemen, die in der Firma zu lösen waren, auch noch diese zusätzliche Bürde! Als wären er und seine Frau mit der Abstimmung der täglichen häuslichen Aufgaben nicht ausgelastet! Als Logistikunternehmen bezeichnete ich sie stets. Ein erfolgreiches obendrein.

Ich packte meine Habseligkeiten wieder zusammen und schwenkte den Rucksack auf meinen Rücken. Schnellen Schrittes versuchte ich die Gruppe einzuholen, die einige Hundert Meter vor mir Halt gemacht hatte. Ich war durch das Geschehen so bewegt, dass ich sofort das geführte Gespräch zur eigenen Entlastung offenlegte. Auf mich alleine gestellt, konnte ich die Angelegenheit nicht ertragen. Das Teilen würde mir deren Akzeptanz erleichtern. So dachte ich. Julias Kommentar fiel äußerst empathisch aus. Nicht für mich, sondern für E‘s Eltern: „Stell dir doch vor, was die durchmachen“, mischte sich Julia unaufgefordert ein. „Ein Kind zu verlieren, nicht zu wissen, ob es lebt oder nicht, ob sie es jemals wiedersehen werden, das ist doch schrecklich! Überleg, wie es dir oder deinem Sohn in solch einer Situation ergehen würde!“ „Du magst ja recht haben, aber ich habe einen Schaden erlitten, ohne jemanden irgendetwas angetan zu haben! Versetz dich doch auch mal in meine Lage!“, erwiderte ich gereizt.

Nach dem Abendessen verabschiedete ich mich früh von der Gruppe. Ich musste die Vorkommnisse verarbeiten. Alleine. Zurückgezogen. Ja, es hatte mich mitgenommen. Sehr sogar. Dabei saß ich nicht einmal in Untersuchungshaft. Mein Sohn ebenso wenig. Er teilte mir mit: „Das LKA bat mich um ein Foto der Kinder. Ich weigerte mich. Sollen die jetzt etwa in einer Karteikarte geführt werden? Ohne mich! Das lasse ich nicht zu! Auch wenn gegen sie nichts vorliegt, auch wenn sie sich ja im Laufe der Jahre bis zur Unkenntlichkeit verändern werden. Dennoch: Nein. Das geht mir zu weit! Und diese ganze Aufregung aufgrund der Wichtigtuerei eines Unbekannten, Unbeteiligten! Ja, ist seinen Bürgerpflichten nachgegangen! Ein Gutmensch sicherlich, der sich als solcher profilieren möchte. Hat er nichts Besseres zu tun, als sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen? Einfach einen Verdacht äußern, ohne jeglichen Beweis. Eine Vermutung in die Welt lanciert! Als wäre ein Entführer gewillt, sein Opfer offen zur Schau zu stellen, sichtlich erkennbar, E. im Auto spazieren zu fahren! Nein, so viel Dummheit kann man einem Kriminellen nicht unterstellen! Verstecken wird er logischerweise den Gekidnappten!“ Mein Sohn sichtlich genervt. Für ihn standen seine Vaterpflichten im Vordergrund. Er musste jeglichen Schaden von seinen Kindern abwenden. Sie würden nie von diesem Vorfall erfahren. Er ging sie ja nicht im Geringsten etwas an. Durch diese Sorge um das Kindeswohl wendete er jegliches Schuldgefühl von sich ab. Seine Schutzfunktion seinen Sprösslingen gegenüber war ausschlaggebend für seine Befreiung einer Schuldannahme.

Mein Fall lag anders. Ich, die direkt als erste Benachrichtigte, die Besitzerin des verdächtigten Autos, fühlte mich besudelt, angegriffen, wehrlos. Über Monate hinweg. Eine übertriebene Reaktion? Keine Klage wurde offiziell gegen mich erhoben, ich saß nicht in Untersuchungshaft, geschweige denn in einem Kerker, kein Polizist vernahm mich und nichtdestotrotz war ich bedrückt! Mich verfolgte ein unangenehmes Gefühl. Mir war, als besäße ich keine reine Weste mehr, als hätte ich selbst tatsächlich ein Vergehen begangen. Erst mit der Zeit fand meine geschundene Seele wieder Ruhe.

Seneca, der römische Philosoph, Staatsmann und Erzieher von Nero, befasst sich in seinem Werk „Briefe an Lucilius“ kurz mit dem Thema Vertrauen. Im fünften Brief heißt es: „Jedem zu vertrauen ist ebenso ein Fehler wie niemandem zu vertrauen (wobei ich das erste Verhalten als das anständigere und das zweite als das sicherere bezeichnen würde).“ Seinen Worten kann man ohne weiteres zustimmen. Beim Auslassen von Vertrauen entsteht im Kehrschluss Verdacht! Da dieser wie bei mir im oben geschilderten Fall unberechtigt sein kann, fragte ich mich, wie andere Menschen damit umgehen. Ich stieß auf Ashley Audrians Werk „Der Verdacht“. Dort ist die Mutter eines Mannes, der seine Ehefrau mit einer Schneeschaufel erschlagen hat, bei ihren Besuchen im Gefängnis gemeinen Verdächtigungen ausgesetzt: „Ich hab das Gefühl, als hätte ich das Verbrechen begangen… Die Wärter in der Haftanstalt behandeln mich so. Die Anwälte behandeln mich so. Alle sehen mich an, als wäre ich diejenige, die etwas falsch gemacht hat. Aber das habe ich nicht.“ So sieht sich die Mutter selbst. Aber eine andere fragt sie nach kurzem Nachdenken: „Wirklich nicht?“ D. h., dass auch diese wohl die Meinung vertritt, die Mutter des Angeklagten träfe indirekt Schuld durch die Fehler, die sie sicherlich in der Erziehung ihres Sohnes begangen hat. Einfache Vermutungen, die den Betroffenen beleidigen, verletzen, einen sensiblen Menschen aus der Bahn werfen können. Oder vielleicht ist die Reaktion der anderen Frauen, alles Mütter von Kindern im Gefängnis, die sich zu einer Art Therapiestunde versammelt haben, noch verwirrender: „Einige Frauen zuckten mit den Achseln, andere nickten und manche zeigten gar keine Reaktion.“ Sind sie aufgrund der eigenen Situation mit einem inhaftierten Familienangehörigen dermaßen belastet, verletzt, dass sie für die Probleme der anderen keine Kraft, keine Empathie mehr aufbringen können? Im Grunde genommen sind im gleichen Roman die Worte eines Vaters, der bei einer Pokerpartie von einem betrunkenen Kompagnon als „Schlappschwanz“ bezeichnet wird, da ihn ja seine Ehefrau verlassen hat, sehr zutreffend: „Blythe (der Name seiner Tochter, die die Erniedrigung ihres Vaters durch den Kameraden mitangehört hat), manchmal denken Leute Dinge über dich, die nicht wahr sind. Wichtig ist bloß, was du über dich selbst denkst.“ Das setzt Charakterstärke voraus. Und wenn man sie durch verschiedene Schicksalsschläge, durch wiederholtes Leid nicht besitzt, eventuell sogar nie besessen hat, woher soll dann die erforderliche Stärke stammen? Wir achten unser Leben lang auf die Meinungen unserer Mitmenschen, denn wir sind eingebettet in einem gesellschaftlichen Gefüge. Abstand zu halten, über dem Gerede zu stehen, diese solide Haltung ist nicht von jedweden zu bewältigen.

Es steht außer Frage, dass ein Verdacht den Zustand der Unsicherheit hervorruft. Zweifel, Skepsis kommen auf, während man sich auf der Suche nach der Gewissheit in Bezug auf die Geltung einer Meinung befindet. Es fällt schwer, eine Entscheidung zu treffen, vor allem die richtige. Unwissenheit oder psychische Schwäche liegen hierfür oft als Gründe vor. Manchmal tritt Willenlosigkeit auf, wie es García Márquez in seinem Roman „Chronik eines angekündigten Todes“ deutlich macht. In anderen Fällen möchte man sich lieber an keiner Meinung festmachen, um seine Freiheit zu bewahren. Aber es sind gerade die Zweifel, die zu jenen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen, die die Menschheit vorantreiben. Man darf nicht vergessen, auf welcher unbequemen Definition der Begriff Verdacht basiert: Man denkt Übles über jemanden, man hegt Argwohn!

Was sagt uns aber der Gesetzgeber bezüglich einer Verdächtigung? Sie wird unterteilt in Anfangsverdacht, hinreichender Verdacht, in dem eine Verurteilung in einem Verhältnis von 50 % dennoch wahrscheinlicher ausfällt als der Freispruch, und der dringende Tatverdacht, der in einen Haftbefehl mündet. Man spricht auch von vagem, begründetem und überzeugendem Verdacht. Auf jeden Fall bedarf er der Überprüfung und Absicherung mit Zuhilfenahme von Indizien, also tatsächlicher Anhaltspunkte. Und nun kommt es: Ein unbegründeter Verdacht erfordert eine Rehabilitation! Die Kosten werden dem Anzeigenden auferlegt, wenn er vorsätzlich oder leichtfertig eine unwahre Anzeige erhoben hat.

Nun stellte sich für mich die Frage, ob die Person, die behauptet hatte, in meinem Auto den verschollenen E. gesehen zu haben, nicht leichtfertig gehandelt hatte. Denn mehr als eine vage Vermutung konnte sie nicht gehabt haben. Kinder in einem gewissen Alter sehen sich ähnlich. In einem vorbeihuschenden Auto Profile genau erkennen zu können, ist anmaßend. Lief unser Kläger gar mit dem Foto, mit einem Zeitungsausschnitt die Straße entlang oder traute sie sich zu, aus der Erinnerung heraus die Ähnlichkeit feststellen zu können? Wer kann von sich behaupten, ein so scharfes Auge zu besitzen? Je mehr ich über meinen Fall nachdachte, desto gewaltiger wuchs meine Wut heran! Und auf der anderen Seite dachte ich: „Es lohnt sich doch gar nicht über die Persönlichkeit des Anzeigers nachzudenken. Schwamm drüber!“

Einige Wochen nach meiner Rückkehr aus den Bergen erfuhr ich im Fernsehen die Nachricht: Der Leichnam des kleinen E. wurde aufgefunden, sein Mörder S. gefasst. Der Fall gelöst. Natürlich tat es mir um den Buben leid, ebenso um die Eltern. Was gibt es Schlimmeres als ein Kind zu verlieren! Und dann auf diese Weise, geschändet und im Wald verscharrt. Von einem Mehrfachtäter. Meine Gedanken weilten bei der Familie!

Nicht nur Kriminalfälle bilden die Grundlage für Verdächtigungen. Bei Zollbeamten entstehen diese meist nach dem Zufallsprinzip. Das erlebte ich am Flughafen nach einem Überseeflug. Ich hatte die drei Koffer samt unserer drei Taschen auf den Trolley geladen und wollte mit meinen zwei Kindern den Weg aus der Halle in Angriff nehmen, als ich den auf mich gerichteten Blick des Zollbeamten wahrnahm. Ich schlussfolgerte, dass er mich ins Visier genommen hatte, mit Sicherheit mein Gepäck unter die Lupe nehmen wollte. Das war mir gar nicht recht, denn ich brachte verbotene Ware mit, die man sofort konfisziert hätte. Es handelte sich um erstklassiges Rindfleisch in Vakuum verpackt, neben anderen Delikatessen. Ich hatte bereits mental eine Liste mit erlesenen Gästen für ausgefallene Abendessen angefertigt. Darauf wollte ich ungern verzichten. Ich legte eine Strategie an, die ohne weiteres aufging: Ich trödelte ein wenig herum, bis der Zollbeamte ein anderes Opfer ausgesucht hatte. Dann marschierten wir langsamen Schrittes, ein gutes Gewissen vortäuschend, durch den grünen Ausweg in die gefahrenlose Freiheit. Ich gelangte zu der Ansicht, dass Zollbeamte einen Riecher für Sünder haben. Manchen fehlt es halt an konsequentem Verhalten. So auch bei einem zweiten Vorkommnis.

Wieder einmal zurück von einem Überseeflug transportierte ich diesmal zwei elegante Taschen und zwei Paar Schuhe aus Krokodilleder im Koffer. Ebenfalls auf der schwarzen Liste stehende Gegenstände. Ich saß damals, vor einigen Dekaden, mit meinem dreijährigen Sohn im letzten Abteil eines Zuges, als ein Zollbeamter zur Kontrolle erschien. Er schaute sich den Pass an, begutachtete meine Reisetasche und war offensichtlich unzufrieden. Er roch einen Braten, fand ihn aber nicht. Ja, ganz einfach, denn unsere Koffer befanden sich nicht im Abteil. Um sie nicht schleppen zu müssen, hatte ich sie am Zugeingang, auf der Plattform stehen gelassen. Dem Beamten war die Situation nicht schlüssig. Er ahnte etwas, konnte die Unstimmigkeit aber nicht einordnen. Er zögerte zu gehen. Wäre er die paar Schritte zum Zugende gegangen, hätte er das Gepäck entdeckt. Auf den Gedanken kam er zu meinem Glück nicht. Innerlich gratulierte ich dem Herrn für seinen Instinkt. Wieder einmal ein Verdacht, der auf der Strecke blieb.