Verdeckter Narzissmus in Beziehungen - Turid Müller - E-Book
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Verdeckter Narzissmus in Beziehungen E-Book

Turid Müller

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  • Herausgeber: Kailash
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Endlich Schluss mit vergiftetem Charme und subtilen Nadelstichen

Sie sind zurückhaltend, freundlich und allseits beliebt. Niemand würde etwas Böses von ihnen erwarten. Doch hinter ihrer unauffälligen Fassade treten Menschen mit verdecktem Narzissmus in Beziehungen manipulativ auf und unterhöhlen mit feinen Nadelstichen das Selbstwertgefühl ihrer Liebsten. Diese subtile Form des Narzissmus macht es Betroffenen besonders schwer zu erkennen, dass sie in einer toxischen Partnerschaft gefangen sind. Verletzt und verwirrt, geben sie sich selbst die Schuld für jedes Beziehungsproblem.
Die Diplom-Psychologin Turid Müller kennt das Problem aus fachlicher Sicht und aus eigenem Erleben. Sie deckt die giftigen Verhaltensmuster auf und skizziert den Weg zur Heilung von emotionalem Missbrauch. Zentral dabei ist es, alte Wunden zu kurieren und zu erkennen, was uns anfällig für toxische Beziehungen gemacht hat.
Ihre wichtigste Botschaft: Wir sind mit unseren Erlebnissen nicht allein. Und wir können einiges dafür tun, um künftig echte Liebe zu finden.

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Seitenzahl: 542

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Zum Buch

Sie sind zurückhaltend, freundlich und allseits beliebt. Niemand würde etwas Böses von ihnen erwarten. Doch hinter ihrer unauffälligen Fassade treten Menschen mit verdecktem Narzissmus in Beziehungen manipulativ auf und unterhöhlen mit feinen Nadelstichen das Selbstwertgefühl ihrer Liebsten. Diese subtile Form des Narzissmus macht es Betroffenen besonders schwer zu erkennen, dass sie in einer toxischen Partnerschaft gefangen sind. Verletzt und verwirrt, geben sie sich selbst die Schuld für jedes Beziehungsproblem.

Die Diplom-Psychologin Turid Müller kennt das Problem aus fachlicher Sicht und aus eigenem Erleben. Sie deckt die giftigen Verhaltensmuster auf und skizziert den Weg zur Heilung von emotionalem Missbrauch. Zentral dabei ist es, alte Wunden zu kurieren und zu erkennen, was uns anfällig für toxische Beziehungen gemacht hat.

Ihre wichtigste Botschaft: Wir sind mit unseren Erlebnissen nicht allein. Und wir können einiges dafür tun, um künftig echte Liebe zu finden.

Turid Müller ist Diplom-Psychologin und ausgebildete Schauspielerin. An der Schnittstelle von Kommunikation und Kreativität ist sie als Coach, Speakerin und Trainerin tätig. Parallel dazu tritt sie mit eigenen Kabarettprogrammen auf und schreibt Songtexte und Musicals. Ihr besonderes Engagement gilt der Sensibilisierung der Gesellschaft für unbequeme Themen – zum Beispiel für den Umgang mit Demenz. Weil sie selbst die verstörenden Folgen einer toxischen Beziehung erlebt hat, beschäftigt sie sich auch beruflich mit dieser bisher eher unbekannten Form des Narzissmus. Die Autorin lebt in Hamburg.

Weitere Informationen unter www.turid-mueller.de

Turid Müller

Verdeckter Narzissmus

in Beziehungen

Die subtile Form toxischen

Verhaltens erkennen und sich von

emotionalem Missbrauch befreien

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

© 2022 Kailash Verlag, München

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Lektorat: Judith Mark

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, GermeringCovergestaltung: Bettina Stickel, ki 36 Editorial Design, München

Covermotiv: knoppper/istockphoto

Foto der Autorin: © Turid Müller, Fotograf: Torge Niemann

ISBN 978-3-641-28567-8V003

www.kailash-verlag.de

Für den Menschen, der mit mir durch diese Hölle gegangen ist.

Und für alle, die auch in der Gegend sind ...

Inhalt

Hinweis

Vorbemerkungen

Vorwort

Einführung

TEIL I: Den Absprung wagen

1. Zwei Gesichter: verdeckten Narzissmus verstehen

Gesunder Narzissmus – gut, wenn man ihn hat!

Grandioser Narzissmus – ein Klassiker

Narzissmus – Diagnose im Umbruch

Vulnerabler Narzissmus: weiche Schale, harter Kern?

Verdeckter Narzissmus: unsichtbar und gefährlich

Offener & verdeckter Narzissmus – eine Gegenüberstellung

Narzissmus – nur was für Männer?

Narzissmus – rar oder Regelfall?

Es ist ein Kontinuum: Schweregerade von Narzissmus

Viele Gesichter – eine Diagnose: andere Arten von Narzissmus

Ursachenforschung: Wie entsteht Narzissmus?

Prognose: Ist Narzissmus heilbar?

»Narzissmus!« Darf man das sagen?

Selbstzweifel: Oder bin ich gestört!?

Crazymaking – wenn du denkst, du drehst durch …

Impulse

2. Aufs Podest gestellt und vom Sockel gestürzt: Die drei Phasen der toxischen Partnerschaft

Lovebombing: die Idealisierungs-Phase

Die Abwertungs-Phase: ein Wechselbad der Gefühle

Discard-Phase: der Absch(l)uss

Der Missbrauchs-Zyklus: ein Kreis im Kreis

Langsam weichgekocht: Warum wir nicht merken, dass wir missbraucht werden

Impulse

3. Ein Blick ins Getriebe: wie narzisstische Menschen ticken

Ausgenutzt – Parasiten & Vampire.

Getrieben: die narzisstische Wunde und ihre Pflaster

Entschuldigungs- & Kritikunfähigkeit: Sensibelchen mit Persilschein

Empathie-Mangel: Unfähigkeit oder Verweigerung?

Nähe & Distanz: Wasch mich, aber mach mich nicht nass!

Gefährdungsverhalten: furchtbar furchtlos!

Rache: Verlieren ist keine Option!

Master of Puppets: Warum manipulieren narzisstische Menschen?

Impulse

4. Gaslighting: Modewort oder Markenzeichen?

Gaslicht: Wenn du dir selbst nicht mehr glaubst

Gaslighting: das Universaltool der Manipulation

»Übertreib nicht!« Wenn die Welt dir nicht glaubt

Selbst-Gaslighting: der kaputte Kompass

Impulse

5. Die Muster erkennen: Manipulationstechniken durchschauen

Silent Treatment: Wenn eisiges Schweigen zur Methode wird

Stonewalling: verheiratet mit einer Wand

Volljährige Kleinkinder: Rage, Trotzanfälle & Wutausbrüche

Die Scham-Rage-Spirale: ein innerer Teufelskreis

Projektion: gestern hui, heute pfui!

Entwertung & Kritik: steter Tropfen …

Schuld: ein unkündbares Abo

Schuld-Verschiebung: »Halt mal kurz!«

Narzisstische Gefolgschaft: Enabler, Fanclubs & Flying Monkeys

Triangulierung: Wenn zwei sich streiten …

Im unsichtbaren Käfig: Eifersucht, Fremdgehen & Kontrolle

Gespräche, die sich im Kreis drehen: Word Salad, Focus Shifting & Deflection

Breadcrumbing: Brotkrümel der Liebe

Ebenbilder – der Pygmalion-Effekt

Future Faking: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Sabotage: alles, was dir heilig ist

Amnesie & Neglect: – War was?

Isolation: Wenn keiner merkt, was dir passiert

Drohen & Erpressen: die Pistole auf der Brust

Mehr als Kratzer: Seelischer Missbrauch ist keine Lappalie

Impulse

6. Tisch und Bett: Sexualität als Spiegel der Partnerschaft

Sex: Lust und Frust

Bett-Geschichten: ein Blick durchs Schlüsselloch

Withholding: Du kriegst mich nicht!

Nötigung: Es beginnt viel früher, als man denkt

Impulse

7. Vexierbilder: Warum wir nicht merken, was wir erleiden

Kognitive Dissonanz: der Nebel im Kopf

Zuckerbrot und Peitsche: intermittierende Verstärkung

Traumabindung: Wenn es wehtut, ist es Liebe

Impulse

8. Bleiben oder Gehen: den eigenen Weg finden

Denkfehler: Scheuklappen im Kopf

Und wenn es doch »nur« Depressionen sind? Die Hoffnung auf das kleinere Übel

Narzissmus – eine vorsichtige Prognose

Radikale Akzeptanz: Wenn es keinen Weg zurück gibt

Aber …! Kinder, Kohle, Kirche und andere Bedenken

Wann? Den richtigen Zeitpunkt finden

Mehr als nur »psychosomatisch«: Dein Körper kennt die Wahrheit

Checkliste: Ist meine Beziehung toxisch?

Bittere Pille: Argumente gegen den »Brain Fog« der kognitiven Dissonanz

Impulse

9. Exit-Strategie: vom Plan bis zur Umsetzung

Die Vorbereitung: alles eine Frage der Organisation

Die W-Fragen: Sicherheit geht vor!

Zufluchtsort: eine sichere Höhle

Impulse

TEIL II: Die Wunden heilen

10. Kalter Entzug: die Trennung und die Zeit danach

Euphorische Erinnerungen: dein Lieblingsfilm in Dauerschleife

Grey Rock: langweilig wie ein Stein

Kontaktabbruch: No Contact!

Firewalling: ein Sicherheits-Programm

DEEP-Technik: Geh nicht in die Tiefe, go DEEP!

Schock mit Verspätung: posttraumatische Belastung

Narrative: die Geschichte neu erzählen

Von der Trennung erzählen: Victim Blaming & Gaslighting reloaded

Impulse

11. Loslassen: Abschluss-Rituale gestalten

Die offene Gestalt – eine Einladung zum Grübeln

Ein klärendes Gespräch – Folge 6798

Vergebung: Moral kann ein Enabler sein

Träume – Spiegel der Seele

Impulse

12. Herzschmerz: mehr als Liebeskummer …

Komplexe Trauer: Vermissen ist okay. Wut auch

Klassische Trauerphasen: ein Wechselbad der Gefühle

Selbstvorwürfe: Warum bin ich so lange geblieben!?

Schon wieder schuld! Die »richtige« und die »falsche« Trauer

Ich vermisse ein Arschloch! Was stimmt nicht mit mir?

Endlich Frieden! Die große Erleichterung

Die Kirschen in Nachbars Garten: Der neue Supply kriegt alles!

Rache ist süß! Wie du sie kalt genießen kannst …

Impulse

13. Phönix: Wo war ich, und wenn ja, warum?

Narzisstische Beziehungen: Warum wir uns in ihnen verlieren

Leergesaugt – ein Schatten unserer selbst

Zukunft wagen: vom Future Faking zum Future Making

Klein mit Hut? – Think big!

Regression: passend gemacht!

Rebellion: ungeschriebene Gesetze umschreiben

Das Bild hängt schief! Selbstbildkorrekturen

Bocklos: Wenn du nicht mehr du selbst bist

Ansteckung: eine Wurmkur für die Seele

»Om« – eine Haltung, die hilft!

Impulse

14. Narzissmus-Alarm: Hilfe, ich bin umzingelt!

Error: Wenn die Alarmanlage funktioniert, aber der Wachschutz noch nicht

Weniger ist mehr! Aufräumen in der Kontaktliste

Trust Issues: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Trigger-Warnung! Wenn der Kompass spinnt

Impulse

15. Bis hierher und nicht weiter! Grenzen setzen, Kontakt ermöglichen

STOPP! – Zäune um Narzissten bauen

Grenzen: Wer für alles offen ist, der kann nicht ganz dicht sein!

»No more second chances!« Nur eine zweite Chance

Im Zweifel für den Angeklagten? Kein Vertrauensvorschuss!

People Pleaser: Lieb war gestern!

Klare Kante: mehr Ja zum Nein!

Handbuch zum Verständnis meiner Person: ein Mal und nie wieder!

Meta … was? Wenn sich gemeinsam nichts klären lässt

Impulse

16. Drachenblut: Was uns verwundbar macht – und wie wir das verhindern können

Du bist nicht schuld! Es kann alle treffen

Kollusion: wie Schlüssel und Schloss

Unheilvolle Passung: Co-Narzissmus & Komplementär-Narzissmus

Co-Abhängigkeit: die Sucht, gebraucht zu werden

Gegensätze ziehen sich an: Empathie und Hochsensibilität

Wie zu Hause: narzisstische Eltern, narzisstisches Familiensystem

KPTBS: Trauma führt zu mehr Trauma

Impulse

17. Anti-Gehirnwäsche: den Zweifel besiegen

Märchenstunde: Fake News aus dem Unterbewusstsein

Selbst-Gaslighting: Wer ist da in meinem Kopf?

Klettverschluss des Grauens: Trigger für Selbst-Gaslighting

S.O.S. – Erste Hilfe gegen Selbst-Gaslighting & kognitive Dissonanz

Schuld und Depression: Selbst-Gaslighting mit Verstärkung

Rückfälle: Es war eben doch eine Sucht!

Schmachter – kommen vor …

Impulse

18. Prävention: das eigene Loch stopfen

Die Kernverletzung: eine Wunde, die atmen muss

Verloren im Gegenüber? Spiel dein eigenes Spiel!

Hässliches Entlein? Oder: Die Kunst zu akzeptieren, dass du ein Schwan bist

Scham: die unsichtbare Mauer, die uns voneinander trennt

Besuch von Lady Loneliness: allein oder einsam?

Selbstliebe: akzeptieren statt optimieren

Alter Wein in neuen Schläuchen: Bekannte Ansätze führen zu bekannten Ergebnissen

Keine schnelle Pille: Ernährungsumstellung für die Seele

Impulse

19. Rote Flaggen: aus der Vergangenheit lernen für die Zukunft

Rote Flaggen bei ersten Dates: Definiere deine Dealbreaker!

Jetzt hab ich dich! Schnelle Beute statt langer Atem

Lovebombing: ohne Tempolimit auf der Überholspur

Wenn sie die Narzissmus-Karte ausspielen, glaub ihnen ruhig!

Stashing: Wenn du ein Geheimnis bist

Impulse

20. Bauchgefühl: der eigenen Intuition trauen

Sit-ups fürs Bauchgefühl: gestählt in die nächste Runde!

Bauchmuskelkater: Wachstumsschmerzen der Seele

Impulse

TEIL III: Liebe finden

21. Neuland: das Beuteschema wechseln

Augen auf! Narzissmus erkennen beim ersten Date

Das eigene Muster brechen

Eine potenzielle Gefahr: Verlieb dich nicht in Potenzial!

Impulse

22. Nummer sicher: Dating mit Alarmanlage

Nicht schon wieder! Die Angst vor dem Murmeltier

Verletzlichkeit? Nur was für Starke!

Grenzüberschreitung: Distanz geht immer – aber immer schwerer

Ein jegliches hat seine Zeit – Timing ist alles!

Niemals hungrig einkaufen!

Expanded Self: Übergriff auf die Seele

Piks! Wo es am meisten wegtut

Freundschaft mit dir selbst: eine gesunde Haltung kultivieren

Impulse

23. Fixstern: echte Liebe

Die Liebe anlocken

Gesunde Beziehungen: Was ist das eigentlich?

Das erste Date: Unspektakulär ist gut!

Die ersten Wochen: Voll normal!

Ärger im Paradies: Früchte des Zorns – ein Baum der Erkenntnis!

Impulse

Anhang

Nachwort

Dank

Kontakte

Weiterführendes

Quellennachweis

Anmerkungen

Stichwortregister

Hinweis

Narzisstischer Missbrauch ist nicht zu unterschätzen. Betroffene werden Opfer von seelischer und/oder körperlicher Gewalt. Die Folgen: psychosomatische Erkrankungen, Depressionen, Angststörungen, Fatigue, Posttraumatische Belastungsstörungen und viele weitere mögliche Beschwerden. Lebensbedrohliche Gesundheitszustände, Übergriffe oder Suizide sind keine Seltenheit.

Dieses Buch kann eine Therapie nicht ersetzen. Ich rate allen Betroffenen, sich eine (mit dem Thema vertraute) therapeutische Begleitung zu suchen.

Solltest du Selbstmordgedanken haben bzw. in einer akuten Krise stecken: Bitte leg das Buch zur Seite und hol dir sofort Unterstützung. Unter 112 erreichst du die notärztliche Versorgung; unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 die Telefonseelsorge.Wo du Hilfe findest, wenn du häusliche Gewalt erlebst, gestalkt oder bedroht wirst, findest du im Anhang unter »Kontakte«.

Als Überlebende sind wir lange genug nicht ernst genommen worden. Höchste Zeit, dass wir uns selbst ernst nehmen! Der erste Schritt ist Selbstfürsorge.

Vorbemerkungen

Liebe Lesende,

wie ihr merkt, duze und euchze ich beherzt drauflos. Ich hoffe, es ist okay, mir für ein paar Stunden das (in der Selbsthilfeliteratur übliche) Du zu leihen? Ich habe diese familiäre Ansprache sehr schätzen gelernt. Für mein Empfinden stärkt sie den Zusammenhalt dieser weltumspannenden Gemeinde von Menschen, die narzisstischen Missbrauch erlebt und überlebt haben. Es ist das vertrauensvolle Du von Wissenden, die ähnliche Erfahrungen teilen. Wir sind Mitstreitende auf unseren Wegen. Wir sind nicht allein.

Herzlich

Turid

Vorwort

Seit ich mit diesem Buch befasst bin, fragen mich Menschen: »Worüber schreibst du?«

Das ist schnell erklärt, dachte ich: »Über Narzissmus.«

In den meisten Fällen kommt dann zurück: »Ah! So wie bei Trump!«

»So wie bei Trump1 – nur versteckter«, versuche ich zu präzisieren.

Und wenn mich dann verdutzte Blicke treffen, hole ich etwas aus:»Um zu wissen, dass Trump Narzisst ist«, zitiere ich an dieser Stelle routiniert meinen Vater, »braucht man nicht mal Küchenpsychologie! – Der hat für die Standardwerke über Narzissmus Modell gestanden. Und zwar für alle, überall auf der Welt und sooo großartig, wie das nie zuvor jemand getan hat!«

»Narzisstische Führung hat gerade in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Sie punktet durch einfache Lösungen.«Bärbel Wardetzki2

Nachdem wir gemeinsam eine Runde gelacht und uns gewundert haben, warum so jemand trotzdem gewählt wird, lege ich nach: »Ich schreibe über eine Form von Narzissmus, die viel subtiler ist. Man erkennt ihn nicht. Und gerade deshalb ist er so gefährlich.«

Im Gesicht meines Gegenübers bildet sich dann für gewöhnlich ein Fragezeichen, und ich weiß: Das ist etwas Neues!

Genau deshalb schreibe ich dieses Buch: Narzisstische Verhaltensweisen als solche zu erkennen ist der Schlüssel, um uns und andere davor zu schützen. Während wir auf der politischen Bühne meist nicht ohne Skepsis sind, legen wir in unserer Partnerschaft (im besten Fall) die Rüstung ab. Narzissmus kann uns hier also noch ungeschützter treffen und uns ernstlich schaden: Wer rechnet schon damit, dass der Mensch auf der anderen Betthälfte eine Gefahr ist?

Verdeckter Narzissmus bedeutet, dass der Missbrauch unbemerkt bleibt – nicht selten sogar für die Opfer! Sie leiden unter Selbstzweifeln, verlieren Energie und Lebensfreude, werden krank an Körper und Seele. Aber sie können sich nicht vorstellen, dass es an ihrer Partnerschaft liegt. Schließlich ist ihr Herzensmensch sehr liebevoll und fürsorglich – das bestätigt auch sein breiter Fanclub! Selbst in der Paarberatung zeichnet sich ab, dass der Grund für die Schwierigkeiten ganz woanders liegt ... Und auch die Familie meint: Eine gute Ehe sei eben harte Arbeit!

Aber obwohl die Urlaubsfotos wirklich jedem Pilcher-Film den Rang ablaufen, fühlt sich irgendetwas merkwürdig an. Von Anfang an. Und immer mehr. Doch will es partout nicht gelingen, den Finger draufzulegen, was da genau nicht stimmt. Es ist verwirrend!

Wenn es dir so geht, dann möchte ich dir sagen: Hör auf dein Bauchgefühl! Du bist nicht verrückt. Es gibt zwei Worte für das, was du erlebst: verdeckter Narzissmus.

Sich aus einer solchen toxischen Bindung zu lösen ist kein Spaziergang. Doch es ist das Ticket in die Freiheit, zu dir selbst und Richtung Liebe. Denn du wirst wissen, dass das, was du erlebt hast, keine echte Liebe war. Aber du wirst sie erkennen, wenn sie dir begegnet, und du wirst nichts mehr darunter nehmen.

Auch wenn du es jetzt noch nicht so ganz glauben kannst: Bald wirst du dich beglückwünschen für die Suche, auf die du dich gerade begibst. Denn sie wird dich in eine unbeschwerte und lebenswerte Zukunft führen. Eines Tages wachst du auf und wunderst dich: Huch! So entspannt kann Leben sein!?

Wirklich wahr. Ich habe es selbst erlebt …

Einführung

Ich bin Diplom-Psychologin. Trotzdem musste ich feststellen, dass ich (kurz, aber heftig) etwas erlebt hatte, das man wohl als toxische Beziehung bezeichnen muss. Hätte ich beizeiten ein Buch wie dieses gelesen – vielleicht wäre mir dann einiges erspart geblieben.

Weil es mir nicht erspart blieb, habe ich genug Erfahrungen gesammelt, um das Buch zu schreiben, das ich meinem jüngeren Ich gern in die Hand drücken würde. Ich hoffe, es erreicht zumindest dich im richtigen Moment.

»Ich habe einmal jemanden so sehr geliebt, dass ich versucht habe, ihn zu reparieren, während er mich gebrochen hat.«Team Narzissmus Facetten, Hera Sander3

Vielleicht fragst du dich gerade, was in deiner Beziehung so verquer ist? Oder du überlegst sogar, dich zu trennen, bringst es aber nicht fertig, weil alle von deiner besseren Hälfte begeistert sind und meinen, du hättest den Hauptgewinn gezogen? Vielleicht findest du eure Probleme jedes für sich genommen gar nicht so gravierend – nur lässt sich irgendwie nichts gemeinsam klären? Oder du hast erst ein paar Dates hinter dir und bist unsicher, ob daraus was Festes werden kann: Augenscheinlich seid ihr seelenverwandt – aber irgendwas ist merkwürdig!

Wo du auch auf das Wort gestoßen bist – der Begriff »verdeckter Narzissmus« hat offenbar deine Aufmerksamkeit erregt, und du hoffst und fürchtest gleichermaßen, er könnte die Antwort auf all deine quälenden Fragen sein. Denn wenn du eure Paar-Probleme googelst, wirft die Suchmaschine das Wort »Narzissmus« aus – aber der Mensch an deiner Seite ähnelt so gar nicht dem Klischee! Doch trotzdem stapelt sich zwischen euch ein Haufen schwer greifbarer Verletzungen. Und du hast keine Ahnung, was da los ist? Möglicherweise gibst du dir selbst die Schuld für das, was du für »Beziehungsprobleme« hältst?

Mag sein, du beweist nicht zum ersten Mal das richtige Händchen für die falsche Wahl. Vielleicht steckst du aber auch in einer ganz anderen Klemme.

Zum Glück gibt es viele richtige Augenblicke, um dieses Buch zu lesen:

Teil 1

Wenn du dich fragst, ob deine Partnerschaft toxisch oder ob deine bessere Hälfte narzisstisch ist, kann es hilfreich sein, die charakteristischen Muster zu erkennen.

Wenn du den Verdacht hast, dass deine Beziehung emotional missbräuchlich ist, findest du hier Entscheidungshilfen, ob und wie eine Trennung sinnvoll ist.

Teil 2

Wenn du in naher oder ferner Vergangenheit narzisstischen Missbrauch erlebt hast, kann dich Teil 2 bei deinem Heilungsprozess begleiten.

Teil 3

Wenn du verhindern willst, erneut an einen narzisstischen Menschen zu geraten, findest du in Teil 3 Informationen über typische Warnzeichen. Außerdem gibt es Rüstzeug fürs Dating.

Jedem Kapitel ist ein (von eigenen Erfahrungen inspirierter) fiktiver Erfahrungsbericht im Tagebuch-Stil vorangestellt.4 In den zitierten Beispielen im Text kommen dann andere Überlebende zu Wort. Beides ist vermischt mit bzw. runtergedampft auf quasi archetypische Essenzen, die sich aus unzähligen Fällen speisen und allgemeingültig sind. – Solltest du den Eindruck kriegen, Menschen wiederzuerkennen, ist das der beste Beweis dafür, dass die Person, die du im Kopf hast, hier nicht beschrieben wird: Alle Fallbeispiele (meine Tagebuch-Sequenzen eingeschlossen) sind aus dem Leben gegriffen – aber so durcheinandergewürfelt, dass Kunstfiguren entstanden sind. Die Verfremdung dient dem Schutz der Privatsphäre.

Den Abschluss jedes Kapitels bilden konkrete Anregungen für dein Leben. Ich empfehle, nicht alle Aufgaben zu bearbeiten, sondern ein paar davon auszuwählen. Dabei kann es sowohl interessant sein, die Übungen zu machen, die dich sofort ansprechen – als auch die, gegen die du sofort eine innere Abwehr spürst. Aber Achtung! Wenn der innere Widerstand zu stark ist, hat er vermutlich einen Sinn. Zum Beispiel könnte es ein Schutz deiner Seele vor Überforderung sein. Dann ist das vielleicht etwas, das du in der Therapie ansprechen möchtest oder für später liegen lässt, wenn sich der Knoten etwas gelöst hat und du dich bereit fühlst, ihn anzugehen. Vielleicht ist es aber auch einfach nicht deine Übung. Und da das Erlernen von Grenzen ein zentrales Element unserer Reise ist, nimm deine Grenzen bitte ernst. Wenn du unsicher bist, frag in der Beratung nach. Auch wenn du unter einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung leidest, empfiehlt es sich, vorsichtig damit zu sein, auf eigene Faust die Seele zu erkunden.

Für alle Körperübungen gibt es in der Regel individuelle Kontraindikationen. Im Zweifel prüfe bitte im Rahmen eines persönlichen Trainings oder durch ärztliche Beratung, ob die beschriebene Praxis (gerade) für dich geeignet ist oder ob du besser eine andere wählst.

In meiner Ansprache wende ich mich an Überlebende narzisstischen Missbrauchs. Darüber hinaus kann dieser Ratgeber auch für Menschen interessant sein, die nicht persönlich betroffen sind: Zum Beispiel können sich Angehörige Betroffener oder Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen einen Einblick verschaffen und so noch fundierter Unterstützung bieten.

Natürlich ist es möglich, mit dem Kapitel zu starten, das dich gerade am meisten anspricht. Empfehlen würde ich allerdings, ganz altmodisch vorn anzufangen. Es werden fortlaufend neue Begriffe eingeführt, die wichtig für die Mustererkennung sind. Diese Erklärungen würden bei einem Quereinstieg fehlen. Auch ergeben die Informationen aus den drei Teilen nur zusammen ein vollständiges Bild.

Übrigens: Wer eine Allergie gegen Anglizismen hat, muss jetzt bitte ganz stark sein, denn in diesem Buch wimmelt es nur so davon. Die amerikanische Selbsthilfe-Szene ist der deutschen weit voraus und hat die Nomenklatur geprägt. Sie zu kennen ist hilfreich, um sich auch international über diese Inhalte verständigen zu können.

Wichtig ist mir auch zu sagen: Dieses Buch ist kein 10-Schritte-Programm.

Ich fürchte, womit wir es hier zu tun haben, ist etwas zu komplex für ein Patentrezept. Ich sehe es eher als Reiseführer mit Wanderkarte und Empfehlungen. Welche Route du nimmst, weißt du selbst am besten.

Auch wenn es ein Balanceakt war – ich habe dieses Buch aus zwei Perspektiven geschrieben: als Psychologin und als Betroffene. Passend dazu fußen meine Recherchen auf Fachliteratur sowie auf Selbsthilfe-Medien und Erfahrungen. Die Blickrichtungen ergänzen einander.

Aus meiner Doppelrolle heraus ist auch die Idee zu diesem Ratgeber entstanden: Ich bin immer noch fassungslos, wenn ich darüber nachdenke, dass ich (immerhin Diplom-Psychologin) nicht verstanden habe, woher die Spannungen in meinen Beziehungen rührten! Und dass es niemand gemerkt hat, der vom Fach und mit mir im Gespräch war. Wenn es mir passieren konnte, dann kann es allen passieren! Und tatsächlich: Seitdem ich meine Geschichte erzähle, höre ich von vielen ähnlichen Erfahrungen – in Partnerschaften, WGs, Arbeitskontexten und Familien.

Verdeckter Narzissmus ist subtil und daher schwer zu erkennen. Aber er kann uns in allen Lebensbereichen begegnen. Uns davor in Acht zu nehmen wird uns nicht beigebracht, wenn wir aufs Leben vorbereitet werden. Wenn Missbrauch nicht körperlich wird, fällt er oft durch das Raster – von Bekanntenkreis, Gesundheitswesen und staatlichen Institutionen. Meines Erachtens gibt es nur ein wirksames Mittel dagegen: mehr Wissen.

Ich hoffe, dass dieses Buch einen Beitrag dazu leisten kann.

TEIL I: Den Absprung wagen

»Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge.«

Thomas Mann

1.

Zwei Gesichter: verdeckten Narzissmus verstehen

Ich liege im Schlafsack und bin wach. Hellwach.

Was ein schöner Ferientag hätte sein sollen, war etwas, wovon ich mich erholen muss.

Ich kann mir so langsam keinen Reim mehr auf sein Verhalten machen. Wir sind im Urlaub, verdammt! Sollten wir nicht glücklich sein?

Als er vorhin kurz laufen war, griff ich zum Handy und startete eine Google-Suche. Das hätte ich mal lieber gelassen. Denn als ich das Ergebnis sah, kam der Schmerz. Er war immer da. Aber jetzt spüre ich ihn wie eine offene Wunde. Die Einsicht überflutet mich mit einer Wucht, der ich keinen Widerstand entgegensetzen kann: der Mann auf der Isomatte neben mir – ein Soziopath oder Narzisst?

In Sekunden liegt nicht nur mein Camping-Trip in Trümmern – nein, mein ganzes Leben! Und mit ihm das Bild, das ich von mir habe: Plötzlich bin ich ein bedauernswertes Hascherl, das sich runtermachen und manipulieren lässt. Ein Opfer!

Ich war blind. Und nun, da ich sehen kann, tut es umso mehr weh.

Ich fühle mich allein. Nein, richtiger wäre: Endlich fühle ich, wie allein ich bin. Neben diesem Mann. Schon. Die. Ganze. Zeit.

Als ich dies in mein Tagebuch schrieb, ahnte ich noch nicht, dass ich der Wahrheit schon sehr nahe war. Doch die schlechte Beraterin Hoffnung schlug noch mal zu: Einige relativierte Heul-Attacken später saßen wir glücklich vereint in seinem Bulli. Und ich plante unsere Hochzeit. Schließlich konnte es doch nicht sein, dass der Mann an meiner Seite derart gestört war! Oder? Und die typischen Symptome eines Narzissten oder Soziopathen passten auch nicht auf ihn. Er war ja viel zu nett! Zu normal! Es musste eine andere Erklärung für sein Verhalten geben!

Kurz: Ich drehte noch ein paar Runden auf dem Karussell, bis es mich schließlich unsanft ausspuckte …

Fazit: Im Pärchen-Urlaub »Persönlichkeitsstörungen« googeln kann ich nicht empfehlen. Jedenfalls nicht, wenn man sich erholen will.

Da du dieses Buch liest, bist du vielleicht da, wo ich damals war: in der Phase des Googlens:

Irgendwas ist merkwürdig. Die Schwierigkeiten miteinander sind unerklärlich. Man beginnt, nach Antworten zu suchen, und gibt einschlägige Begriffe in Suchmasken ein. Häufig sind es Schlagworte wie »Heruntermachen«, »keine Fehler zugeben« oder »nicht entschuldigen«.

Zunächst stößt man dann auf erschreckende Begriffe aus dem Gruselkabinett der klinischen Psychologie: Narzissmus, Sozio- und Psychopathie. Viele brechen an diesem Punkt die Recherche ab. Denn das scheint einfach undenkbar: Geisteskranke Gewalttäter im Krimi haben so etwas – aber doch nicht mein Partner!, denken wir uns.

Mangelnde Information ist einer der wesentlichen Gründe dafür, warum so viele Menschen in krank machenden Bindungen ausharren.5 Das Erlebte verstehen und benennen zu können, ist ein wesentlicher Schritt der Heilung. Er gibt uns die Klarheit und Entschlusskraft zurück, die wir durch den geistigen Nebel des toxischen Miteinanders eingebüßt haben.

Werfen wir also einen Blick auf Narzissmus und seine unterschiedlichen Spielarten.

Gesunder Narzissmus – gut, wenn man ihn hat!

Das Wort Narzissmus ist mit zahlreichen Missverständnissen verbunden.6 Ein Teil der Unklarheiten beruht darauf, dass es nicht nur pathologischen Narzissmus gibt, sondern auch gesunden, den wir alle haben. Und das ist auch gut so: Wer (sogar bei Rückschlägen) um seinen Wert weiß, der kommt ohne Vergleich aus.7 Eigenliebe und ein stabiles Selbstwertgefühl machen es unnötig, sich anderen gegenüber aufzublasen.8

Zudem gibt es Lebensphasen, in denen wir besonders narzisstisch sind: als kleine Kinder, bevor wir gelernt haben, dass die Welt sich nicht nur um uns dreht9; als Teenager, wenn die Hormone verrücktspielen, und sogar als junge Erwachsene, wenn wir um unsere Identität ringen. Das sind richtige und wichtige Entwicklungsschritte.

Auch die ein oder andere narzisstische Verletzung aus der Kindheit tragen sicher viele Menschen mit sich rum. Unser Selbstwert schwankt von Zeit zu Zeit. So weit ist das normal.

Zur Unterscheidung von gesundem und pathologischem Narzissmus gibt es drei Ansätze:

Eine der vorherrschenden Annahmen in der Wissenschaft ist, dass gesunder und krankhafter Narzissmus zwei Pole einer Eigenschaft sind und auf einem Kontinuum liegen – sprich: Menschen mit einer narzisstischen Störung haben demzufolge schlicht zu viel des Guten erwischt.10Die meisten gehen davon aus, dass Narzissmus beides hat – gesunde und weniger gesunde Ausdrucksformen.11Und dann gibt es noch die Idee, dass gesunder und krankhafter Narzissmus zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sein könnten12: Denn positiver oder gesunder Narzissmus bedeutet, dass wir einen stabilen Selbstwert haben und förderliche Strategien, um diesen zu regulieren. Pathologischer Narzissmus zeichnet sich durch das Gegenteil aus: Minderwertigkeitsgefühle und eine dysfunktionale Selbstwertregulation.

Klar, auch eine narzisstische Abwehr von Minderwertigkeitsgefühlen haben alle Menschen: Wer hat nicht schon mal zur eigenen Ehrenrettung kein gutes Haar an der Konkurrenz gelassen? Aber beim pathologischen Narzissmus ist diese Entwertungs- oder Spaltungsabwehr zum Schutz einer positiven Meinung von sich unabdingbar und besonders gnadenlos.13

Es ist also komplex. Und es fällt nicht leicht zu sagen, wo denn nun genau die Grenze zur Störung überschritten ist. Fest steht: Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (und ihre mildere Form, die narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung) gehen weit über das hinaus, was man unter gesundem Narzissmus oder alltäglichen Selbstwert-Schwankungen versteht.

Grandioser Narzissmus – ein Klassiker

Wenn wir das Wort »Narzissmus« hören, denken wir an eine schillernde Persönlichkeit – charismatisch, vielleicht ein bisschen zu sehr von sich überzeugt. Aber durchaus unterhaltsam! Nur: auf die Dauer durch den Mangel an Empathie und die starke Ich-Bezogenheit eben doch verletzend. Wobei wir Eitelkeit und Arroganz vielleicht auch lange entschuldigen, zumal es sich doch um so außergewöhnliche Individuen handelt: witzig, clever, eloquent!

Gerade auf den ersten Blick ist schwer zu merken, dass jenseits der schicken Oberfläche nicht viel Tiefgang zu erwarten ist. Und dass die ach so spannenden Geschichten gern mit »Ich …« beginnen. Zuhören gehört übrigens nicht zu den Kernkompetenzen dieser Menschen – es sei denn, es dient der Selbstinszenierung.

Dafür machen sie sich gut als Star der Party, als Diva, leidenschaftlicher Liebhaber oder mächtige Führungspersönlichkeit. Solche Charaktere können attraktiv und anziehend auf uns wirken. Ihre Eigenschaften scheinen (zunächst) faszinierend, und die extravaganten Erlebnisse können wirklich aufregend sein! Denn Hand aufs Herz: Wer wird nicht gern mit einer Luxusyacht zu einem Picknick auf eine einsame Insel entführt …?

Tatsächlich verbirgt sich aber hinter dem gestylten Äußeren, den großen Gesten und dem beeindruckenden Lebenslauf zuweilen eine Persönlichkeitsstörung. Das hat einschneidende Folgen für das Umfeld. Gerade nahe Angehörige leiden meist stark unter den damit einhergehenden Verhaltensweisen. Das fängt bei dem übergroßen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit an, geht weiter mit Kritikunfähigkeit, Herabwürdigungen und Wutanfällen und führt bis hin zu Affären, Doppelleben, Kontrolle und sogar körperlicher Gewalt.

Hier unterscheidet sich Narzissmus von vielen anderen psychischen Erkrankungen: Gewöhnlich haben die Betroffenen den Leidensdruck. Bei Narzissmus ist das anders. Da leidet das Umfeld.14 Aber das wirst du vermutlich bereits am eigenen Leib erlebt haben, sonst würdest du das hier nicht lesen.

Der hier beschriebene grandiose Narzissmus ist also die typische Variante dieser Persönlichkeitsstörung. Doch wenn du das, was du erlebst, hier nicht oder nur teilweise wiedererkennst, ist gut zu wissen: Es gibt noch andere.

Die fünf großen E des Narzissmus (nach Reinhard Haller)15

1. Egozentrik

2. Eigensucht

3. Empfindlichkeit

4. Empathiemangel

5. Entwertung

Narzissmus – Diagnose im Umbruch

Wer in der Schule mit griechischen Sagen beglückt wurde, kennt die Fabel vom allseits umschwärmten Narziss, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte. Daher rührt das Wort Narzissmus.16

Was landläufig unter Narzissmus verstanden wird, der sogenannte grandiose Narzissmus, ist dem Verhalten ähnlich, das sein griechischer Namensgeber an den Tag legte: Betroffene halten sich für überlegen und wichtig. Sie wollen bewundert werden und erwarten eine Sonderbehandlung. Was aussieht wie ein übergroßes Selbstwertgefühl17, ist eigentlich genau das Gegenteil: Scham – so vernichtend und bedrohlich, dass sie nicht bewusst werden darf. Daher wird der geringe Selbstwert18 durch grandiose Einstellungen und Verhaltensweisen überkompensiert.19

Auch die Narzisse, in die Narziss schließlich verwandelt wird (weil er ihm verfallene Liebeskranke mit seiner Kaltschnäuzigkeit sogar in den Tod treibt), ist namentlich verwandt: Genau wie Beziehungen mit narzisstischen Menschen ist auch ihre strahlende Blüte giftig. Blume und Diagnose eint die Zweigesichtigkeit: das schöne Bild nach außen und die schleichende toxische Wirkung auf alle, die zu nahe kommen. Diese Eigenschaft führt dazu, dass Narzissmus gerade für Außenstehende kaum erkennbar ist.

Die nach der tragischen Sagengestalt benannte psychische Erkrankung gehört zu den Persönlichkeitsstörungen. Das ist der Fachbegriff für Charakterstrukturen, die derart unflexibel ausgeprägt sind, dass Leid und Konflikte die Folge sind.20 Das heißt: Sie betreffen den Kern einer Person und gehen somit deutlich tiefer als etwa die sogenannten neurotischenStörungen – wie zum Beispiel Essstörungen oder Depressionen. Daher sind sie auch schwerer zu heilen.21

Im aktuellen Diagnose-Manual der American Psychiatric Association, dem DSM-V, wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung zusammen mit Borderline, der antisozialen und der histrionischen Persönlichkeitsstörung den Cluster B personality disorders zugerechnet.22 Vor allem mit diesen »verwandten« Persönlichkeitsstörungen kann es Ähnlichkeiten, Überschneidungen und daher zuweilen Verwechslungsgefahr geben.23

Diagnostische Kriterien gemäß DSM V24

Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

1. Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (z. B. übertreibt die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden).

2. Ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit und idealer Liebe.

3. Glaubt von sich, »besonders« und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können.

4. Verlangt nach übermäßiger Bewunderung.

5. Legt ein Anspruchsdenken an den Tag (d. h. übertriebene Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen).

6. Ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch (d. h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen).

7. Zeigt einen Mangel an Empathie: Ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.

8. Ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie.

9. Zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen.

Im ICD, dem in Deutschland gebräuchlichen psychologischen Diagnoseschlüssel, wird Narzissmus nicht mehr gesondert erwähnt. Denn das kategoriale System der Persönlichkeitsstörungen wird (mit Ausnahme von Borderline) abgeschafft. Das im ICD-11 neue dimensionale Modell unterscheidet nicht länger zwischen verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, sondern kennt nur noch eine einzige Persönlichkeitsstörung mit unterschiedlichen Schweregraden und Qualitäten.25

An den verschiedenen und im Wandel begriffenen Ansätzen zu Narzissmus wird sichtbar, wie sehr die Wissenschaft damit noch im Prozess ist.26 Das kann dazu führen, dass man Überlebenden narzisstischer Beziehungen ausredet, im Narzissmus-Begriff Klarheit zu suchen. Darum verweise ich hier ausdrücklich auf die Forschung von Pincus und Lukowitsky: Sie haben (gerade auch bezogen auf den DSM) auf ein massives Problem der Definition von Narzissmus hingewiesen, was Ungenauigkeiten bei der Beschreibung konkreter Merkmale des Narzissmus, bei Testverfahren, Forschung und Behandlung der Störung zur Folge habe. Daraus ergibt sich selbstverständlich eine Ungenauigkeit in der Datenlage. Logisch: Wenn alle etwas anderes unter Narzissmus verstehen, messen auch alle etwas anderes! Die unklaren Forschungsergebnisse seien kein Grund, die (in der Praxis vielfach anzutreffende) Narzissmus-Diagnose abzuschaffen. Das sei die falsche Schlussfolgerung! Angezeigt sei vielmehr eine Schärfung des Narzissmus-Begriffs.27

In jüngster Zeit wird in der psychologischen Forschung und Praxis immer deutlicher, dass es verschiedene Erscheinungsformen von Narzissmus geben muss. Unterschieden werden der oben beschriebene grandiose Narzissmus und der sogenannte vulnerable Narzissmus. Während der grandiose Typus eher durch Neid oder Aggressionen gekennzeichnet ist, scheint es auch einen »schüchternen« Narzissmus zu geben: Hier stehen Scham für die eigenen Bedürfnisse und Ambitionen sowie Verletzlichkeit gegenüber Ablehnung oder Kritik im Vordergrund und führen zu sozialem Rückzug.28 Da die Wirklichkeit aber nicht in Schubladen passt, sind immer Mischformen zwischen der grandiosen und der vulnerablen Symptomatik zu beobachten.29 Die eine oder andere Facette kann allerdings dominant sein.

Inzwischen zeichnet sich sogar die Annahme ab, dass es sich bei Grandiosität und Vulnerabilität wahrscheinlich um zwei Seiten einer Medaille30 handelt, und dass narzisstische Menschen zwischen vulnerablen und grandiosen Verhaltensweisen hin- und herpendeln.31 Dies kann zum Beispiel damit einhergehen, wie es für sie im Leben läuft: Haben sie Erfolg, gelingt es ihnen, ihre Selbstzweifel vorübergehend durch Großartigkeit zu übertünchen. Müssen sie Misserfolge einstecken, fallen sie in ein Loch und sind eher im verletzlichen Modus.32 Dabei kann »Erfolg« etwas wie Macht sein oder auch die Bestätigung, die man dadurch erfährt, jemandem zu helfen.33

Narzissmus hat also immer beide Aspekte: Grandiosität und Vulnerabilität. Problematisch ist: Vulnerabler Narzissmus ist auf den ersten Blick nicht unbedingt als Narzissmus zu erkennen. Denn Betroffene verhalten sich ja eben genau nicht so, wie man es von (grandiosen) narzisstischen Menschen erwarten würde – im Gegenteil:

Unterschiede: Merkmale von grandiosem und vulnerablem Narzissmus34

Grandioser Narzissmus

Vulnerabler Narzissmus

Eingebildetheit, Überheblichkeit

Rage, Wut, Ärger, Neid

Arroganz

Hilflosigkeit, Leere

Dominanz

niedriges Selbstwertgefühl, Scham,

Beziehungsvermeidung,

Suizidalität

Gemeinsamkeiten: Mit grandiosem und vulnerablem Narzissmus korrelierende Merkmale35: Aggressionen und Depression. Gewalt gegen sich und andere.

Vulnerabler Narzissmus: weiche Schale, harter Kern?

Ob Computer-Nerd, melancholische Künstlerpersönlichkeit oder zu rettendes Mäuschen – die Großartigkeit ist beim vulnerablen Narzissmus gut verborgen. Was wir sehen, sind Menschen mit Selbstwertproblemen, zurückhaltende, introvertierte, sensible Gemüter. Sie stellen sich zwischenmenschlich eher ungeschickt an, angeln sich Zuwendung über die Mitleidstour.36 Eine Überlebende schildert das so: Es war viel Hilfsbereitschaft da, weil ich gesehen habe, dass sie Schwierigkeiten hatte, aus denen sie nicht rauskam. Weil sie sich manchmal benommen hat wie ein kleines Mädchen.

Grandioser Narzissmus heißt: außen selbstsicher, innen unsicher. Vulnerabler Narzissmus (Hypersensitivity) ist eher umgekehrt: Unsicher wirkende Menschen haben tief drinnen eine grandiose Haltung.

Während grandioser Narzissmus Menschen eher zu erfolgreichen Overachievern macht (und umgekehrt), sind Menschen mit vulnerablem Narzissmus eher Underachiever, die unter ihren Möglichkeiten bleiben. Sie stecken in der Opferrolle fest oder denken sich im Stillen: »Wenn mich nur endlich wer lassen würde – ich würde es allen zeigen!« Und da zeigt sich dann eben doch die Größenfantasie.

Doch auf den ersten Blick wirken Menschen mit vulnerablem Narzissmus alles andere als von sich überzeugt. Möglich sogar, dass sie uns idealisieren.37 Oder die Verantwortung fürs eigene Leben nicht übernehmen.38 Sie erscheinen eher unsicher oder sogar depressiv. Und tatsächlich sind sie das zuweilen auch. Die innere Leere, die flachen Gefühle, die Langeweile und die mangelnde Lebenslust (hinter der Maske für alle narzisstischen Menschen charakteristisch) weisen große Schnittmengen zu depressiven Symptomen auf und gehen auch häufig mit Depressionen einher. Und tatsächlich wird vulnerabler Narzissmus nicht selten übersehen oder fehldiagnostiziert – oft als Depression.39

Erkrankungen, die oft zusammen mit Narzissmus auftreten (Komorbidität)40

Häufig tritt eine narzisstische Störung zusammen mit den folgenden Erkrankungen auf, wird mit ihnen verwechselt bzw. ihretwegen bei der Diagnostik übersehen:

Grandioser Narzissmus

Vulnerabler Narzissmus

antisoziale, histrionische & paranoide Persönlichkeitsstörung

Borderline-, selbstunsichere & dependente Persönlichkeitsstörung

bipolare Störungen

Depressionen, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität

Suchterkrankungen

(Alkohol & andere Substanzmittel,

aber auch Sex-, Spiel- & Arbeitssucht)

Angststörungen, Suchterkrankungen

Burnout, Posttraumatische Belastungsstörungen, Suizidalität, selbstverletzendes Verhalten

(Bitte bedenken, dass die Unterscheidung zwischen grandiosem und vulnerablem Narzissmus eine künstliche ist.)

Die Scham, die beim grandiosen Narzissmus durch Größen-Ideen abgewehrt werden soll, weil sie als zu bedrohlich erlebt wird, ist beim vulnerablen Narzissmus sichtbarer und für die Betroffenen auch spürbarer. Aber bei beiden Varianten ist sie das zentrale Gefühl.

Kurz: Vulnerabler Narzissmus ist kaum als solcher erkennbar. Und selbst dem geschulten Blick von Profis entgeht er oft – unter anderem deshalb, weil der Diagnoseschlüssel DSM sowie die gängigen Tests eher grandiose Merkmale aufspüren und vulnerable übersehen.41 Aber zu allem Überfluss gibt es da noch eine weitere Schwierigkeit …

Unterschiede zwischen Depressionen und narzisstischer Depression42

Charakteristika

Depression

Narzisstische Depression

zentraler Affekt

Schuld

Scham

Stimmung

Traurigkeit, Melancholie

keine richtige Traurigkeit, sondern: Leere, Freudlosigkeit, Gefühl der Wertlosigkeit, Langeweile, Sinnlosigkeit, Agitation

weitere Charakteristika

Depressionen gehen häufig mit Angst-Symptomen einher.

Depressionen können sich hinter körperlichen Symptomen verbergen.

Stimmungs- und Angstsymptome sind durchzogen von Ärger, Neid, Scham, Missgunst.

Außerdem oft auffällig: Perfektionismus, Anspruchshaltung, Selbstkritik.

Gegenübertragungsreaktion: Das (therapeutische) Gegenüber fühlt …

… den Impuls zu »helfen, zu versorgen oder zu beschützen.43

… Schuld- und Unzulänglichkeitsgefühle sowie Aneignung der Selbstvorwürfe.

… das Bedürfnis, das »weiche« Gegenüber abzuhärten.

… sich abgewertet, inkompetent, ungeduldig, ausgenutzt, gehemmt oder ängstlich, das hypersensible Gegenüber zu verwunden.

… sich zur Bewunderung genötigt (Spiegelübertragung).

… sich idealisiert (idealisierende Übertragung).

Auslösende Ereignisse/Ursachen

positive wie negative einschneidende Lebensereignisse

Rollenkonflikte

Störung des Hirnstoffwechsels

und viele weitere

Bei Narzissmus:

vom Außen abhängiger Selbstwert, führt bei Ausbleiben von Bestätigung zu psychischer Bedrohung

Bei Grandiosität:

enttäuschte Erwartungen äußerer Bestätigung

Bei Vulnerabilität:

chronisches Gefühl, ungenügend zu sein

Verdeckter Narzissmus: unsichtbar und gefährlich

Sowohl grandioser als auch vulnerabler Narzissmus können sich auf offene (overt) und verdeckte (covert) Art äußern.44 Und die verdeckten Verhaltensweisen sind so dermaßen unter dem Radar, dass sie wiederum nur schwer als Narzissmus erkennbar sind – auch für therapeutische Profis.45

Hier geht es um Verhalten, das wir zunächst nicht als toxisch einstufen würden, weil die narzisstische Motivation dahinter latent, nicht aber direkt beobachtbar ist. Oft merken die Zielpersonen erst nach Jahren oder Jahrzehnten, dass sie Opfer von emotionalem Missbrauch geworden sind46 – wenn überhaupt. Die Herabsetzungen finden in der Regel nicht nur (wie Narzissmus-üblich) hinter verschlossenen Türen statt, um die glänzende Fassade nicht zu besudeln – auch passieren sie unmerklich: in Witzen47, in winzigen nonverbalen Gesten, durch unterschwellige Beeinflussungen, Scheinkomplimente, Necken und andere kaum merkliche Abwertungen: Vor einem Vortrag sagte er:So genau guckt dich eh keiner an – da musst du nicht so drauf achten! Dass das eine Beleidigung war, ist mir erst später aufgefallen.

Die Unkenntnis darüber, in welcher Bredouille man sich befindet, verschärft die Folgen für die Opfer.

Für deine weitere Recherche ist vermutlich gut zu wissen, dass es in den Begrifflichkeiten eine verwirrende Unschärfe gibt: Oft wird grandioser Narzissmus mit offenem Narzissmus gleichgesetzt und vulnerabler mit verdecktem Narzissmus.

Stand der Forschung ist allerdings: Grandioser und vulnerabler Narzissmus zeigen sich beide in einer Mischung offener und verdeckter Merkmale. Offene Elemente sind direkt beobachtbar – wie zum Beispiel das Verhalten von Personen und ihre (ausgedrückten) Einstellungen und Emotionen. Auf verdeckte Elemente können wir nur schließen, denn sie sind nicht direkt wahrnehmbar – wie etwa Kognitionen (Gedanken), nicht mitgeteilte Gefühle, Motive und Bedürfnisse.48

Ein offener Ausdruck von, sagen wir, Grandiosität lässt sich also beispielsweise daran erkennen, dass ein Mensch andere zusammenstaucht. Das können die Sinne empfangen. Hinter dem Angebot, für andere da zu sein, kann sich dagegen unausgesprochen (also verdeckt) Verachtung für die Unterstützten verbergen: Die Hilfe dient insgeheim womöglich eher dem Beweis der eigenen Überlegenheit als der Sorge für andere. Die im Verborgenen liegenden inneren Beweggründe lassen sich nur erahnen.49

Analog kann Vulnerabilität offen und verdeckt zutage treten: Eine Person kann permanent sagen: »Aus mir ist nichts geworden, weil alle gegen mich sind!«, oder sie kultiviert diese Opfer-Mentalität nur in Gedanken.

Es handelt sich also schlicht um verschiedene Modi des Ausdrucks. Das Forschungsteam um Aaron L. Pincus hat mit dieser Unterscheidung viel Klarheit in die verworrene Nomenklatur gebracht. Ihre klinischen Ergebnisse zeigen, dass faktisch bei allen Betroffenen zugleich offene und verdeckte grandiose Elemente sowie offene und verdeckte vulnerable Elemente auftreten:50 Unter jedem offen grandiosen Verhalten liegt vermutlich ein Zustand verdeckter Vulnerabilität. Und andersrum ist jede offen sichtbare Vulnerabilität mit einer zugrunde liegenden Grandiosität verknüpft. Das eine lässt sich nicht vom anderen trennen.51

Das wird fälschlicherweise allerdings dennoch oft getan. Vorwiegend in der Trivialliteratur – aber (aufgrund der Verwirrungen rund um den Narzissmus-Begriff) auch in der Forschung. Die Weisheiten aus Wissenschaft und Selbsthilfe zusammenzuführen, stellt mich daher vor die Herausforderung, mit diesem Widerspruch umzugehen. Mir hilft dabei das Arbeitsbild, dass es verschiedene Mischungsverhältnisse gibt: Ein Mann, der zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr vulnerable Symptome hat, die sich eher verdeckt äußern, würde in einem Ratgeber vielleicht als verdeckter Narzisst beschrieben werden.

Dieses Buch legt den Schwerpunkt auf die versteckteren Erscheinungsbilder – einfach deshalb, weil diese bisher seltener beschrieben wurden. Ich werde zur Vereinfachung zuweilen so tun, als gäbe es offenen und verdeckten Narzissmus als klar voneinander abgrenzbare Typen. Und wir behalten im Hinterkopf, dass die wirkliche Welt komplexer ist, ja?

Offener & verdeckter Narzissmus – eine Gegenüberstellung

Offener Narzissmus ist leicht zu erkennen; er springt uns direkt ins Gesicht – gerade der grandiose: Diese Menschen sind vermutlich spätestens auf den zweiten Blick nicht mehr nur sympathisch. Ihre narzisstischen Eigenschaften sind (wie das Wort vermuten lässt) relativ offensichtlich: Wer diese Menschen besser kennt, merkt, dass sie auf ihren Vorteil bedacht sind und wenig Interesse oder Mitgefühl für andere entwickeln. Mit ihrer hohen Meinung von sich halten sie nicht hinterm Berg: Ständig musste ich mir anhören, dass andere Leute sie toll finden: Dieser oder jener Kommilitone hat gesagt: Du siehst ja wieder super aus!

Sie suchen sich tendenziell eher Rollen, die ihnen ermöglichen, sich ganz offen ins Rampenlicht zu stellen, um Applaus und Macht zu erlangen: Draufgängerin, Revoluzzer oder Politikerin beispielsweise.52 Auch sie haben die Narzissmus-typische Doppelköpfigkeit. Aber es ist nicht diese besonders tückische Mogelpackung wie beim verdeckten Narzissmus.

Menschen mit verdecktem Narzissmus achten peinlich genau darauf, was andere von ihnen denken. Sie werden geschätzt. Und niemand würde über sie sagen, dass sie narzisstisch sind. Sie wirken nett und hilfsbereit.53 Und darauf sind sie auch sehr bedacht. Ihre Maske sitzt lange Zeit tadellos. Nur ihre Opfer erhaschen ab und an einen Blick dahinter. Doch weil das, was sie sehen, nicht in das Bild passt, das sie von dieser Person haben, erklären sie es weg – weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Erst ganz am Ende einer solchen Partnerschaft kriegt die Maske Risse, und das wahre Gesicht kommt zum Vorschein. Doch selbst dann fällt es schwer zu glauben, dass alles andere nur eine Illusion war.

Da ihr Selbstgefühl schwach ist, suchen sich Menschen mit verdecktem Narzissmus eher Missionen oder Berufe, aus denen heraus sie unbemerkt Stärke ziehen können, indem sie sich einen selbstlosen Anstrich geben: Rollen wie Märtyrerin, von der schnöden Welt unverstandener Eremit, Rebellin, Missionar, Ärztin oder ewig werdender (und nie praktizierender) verhinderter Künstler sind alle bestens geeignet, um im Geheimen eben doch die Größenfantasie zu pflegen, auserwählt, wegen übergroßer Genialität verkannt und mit göttlichem Auftrag im Dienste der Menschheit unterwegs zu sein.54

Wie sieht das konkret aus? – Eine typische Situation zum Demonstrieren der Unterschiede ist zum Beispiel der Restaurantbesuch. Klischeekiste auf:

Eine Frau geht mit ihrem narzisstischen Mann essen. Hat sie an ihrer Seite einen eher offenen (und grandiosen) Narzissten, behandelt er alle Welt wie Dienstboten. Die Kellnerin hat es mit ihm nicht leicht. Sie bekommt von ihm eine Extraportion Herablassung. Außer natürlich, er prahlt vor ihr, was für ein toller Hecht er ist. – So oder so: Alle sind froh, als das Paar endlich geht. Und seine Frau tut allen ein bisschen leid.

Ist der Partner im Beispiel ein eher vulnerabler Narzisst, ist der Narzissmus schon viel schwerer zu erkennen: Sie hat ihn aus seiner Höhle gelockt, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Denn sie weiß: Er steht mal wieder am Rande des Nervenzusammenbruchs. Wie viel er gestern wieder getrunken (oder anderweitig konsumiert) hat, kann sie nur ahnen. Auf jeden Fall ist er noch wacklig auf den Beinen. Schon bevor sie bestellen (sie hat ihn natürlich eingeladen, um ihm zusätzlich zu monströsen Unterhaltsforderungen seiner verrückten Exfrau nicht noch mehr aufzubürden), versucht sie ihn aus seinem Gedankenkarussell zu befreien. Geduldig sortiert sie mit ihm die Querelen im Orchester, seine Selbstzweifel nach der letzten Presse-Kritik und seine finanziellen Sorgen. Doch auch beim Nachtisch sind sie thematisch irgendwie immer noch nicht vom Fleck gekommen. Sie beißt sich auf die Zunge, um es nicht zu sagen – aber: Manchmal beschleicht sie der Eindruck (und sie schämt sich wirklich dafür, so etwas Gemeines auch nur zu denken), er möchte seine Probleme behalten! Jedenfalls haben sie diese Schleife nicht zum ersten Mal gedreht … Ob er wohl depressiv ist? Ohne Seelenschmerzen könne er nicht komponieren, behauptet er – mit aber auch nicht, denkt sie bei sich.

Als sie das Lokal verlassen, geht es ihm zumindest ansatzweise besser; sie dagegen ist urlaubsreif. Komisch! Dabei war sie doch vorhin noch voller Elan! Die Kellnerin blickt ihnen versonnen nach: Es muss wunderbar sein, jemanden zu haben, der einen aufrichtet, wenn man mal einen schlechten Tag hat! Was sie nicht ahnt: Es gibt fast nur noch schlechte Tage …

Hat die Dame aber einen Narzissten geehelicht, dessen grandiose und vulnerable Facetten eher verdeckt bleiben, geht der Abend wiederum ganz anders aus – zum Beispiel so:

Sie freut sich, endlich mal wieder etwas mit ihrem Mann zu unternehmen, und wünscht sich nichts sehnlicher als ein gutes Gespräch. Schon auf dem Weg ins Restaurant gibt es allerdings eine kleine Unstimmigkeit. Sie würde das gern aus der Welt schaffen und spricht es an. Aber er unterbricht sie, denn nun betreten sie das Lokal. Und es soll ja schließlich keiner mitbekommen, dass sie einen Streit haben! Mit überschwänglicher Freundlichkeit begrüßt ihr Mann alle Anwesenden, und sie stellt ihren Gesprächsbedarf zunächst zurück. Doch auch beim Hauptgang kommen sie noch nicht zu einer vertraulichen Unterredung. Denn ihr Mann ist inzwischen mit der Kellnerin und dem Ladeninhaber in ein angeregtes Gespräch vertieft und erkundigt sich detailliert nach deren Befinden. (Am Nachbartisch wundert man sich derweil, dass so ein netter Mann eine so reservierte Partnerin hat. Der Arme!)

Zusammen mit dem vorzüglichen Nachtisch schluckt seine Frau schließlich auch ihren Klärungswunsch hinunter. Denn sie ist wieder einmal überzeugt: Sie hat einen großartigen Ehemann! Allseits beliebt und umsichtig! Sie nimmt sich vor, nicht nachtragend zu sein.

Natürlich fließt reichlich Trinkgeld. Herzlich verabschiedet ihr Mann sich von allen Anwesenden und verspricht, bald wiederzukommen. Doch kaum fällt die Tür vom Schankraum hinter ihnen zu, ist er wie ausgewechselt: wortkarg, freudlos und abweisend. Aber vermutlich bildet sie sich das nur ein. Oder?

Facetten der narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) nach Pincus et al.55

So. Und jetzt machen wir die Klischee-Kiste wieder zu und räumen mit einem weiteren Missverständnis rund um Narzissmus auf.

Narzissmus – nur was für Männer?

Ein weiterer Mythos rankt sich um Narzissmus: Narzissten seien immer (oder zumindest meistens) Männer. Das ist nicht der Fall.

Richtig ist: Es scheint den grandiosen Narzissmus häufiger bei Männern als bei Frauen zu geben. Beim vulnerablen56 beziehungsweise verdeckten Narzissmus57 dagegen liegen die Frauen etwa gleichauf. Auch ganz grundsätzlich gilt: Wie in so vielen anderen Bereichen ziehen auch beim Narzissmus die Frauen langsam nach.58

Bisher wird Narzissmus allerdings bei Frauen aufgrund von Geschlechts-Stereotypen oft fehldiagnostiziert und somit übersehen. Denn: Man erwartet Narzissmus bei Frauen nicht.59 Hier wirkt das Klischee als selbsterfüllende Prophezeiung.

Hinzu kommt, dass verwirrende Bezeichnungen im Umlauf sind: Der Ausdruck »weiblicher Narzissmus« wird oft synonym verwendet für den verdeckten bzw. vulnerablen Typ oder auch für Co-Narzissmus. »Männlicher Narzissmus« wird oft synonym verwendet für den offenen bzw. grandiosen Typ.60

Warum? Die unterschiedlichen Erscheinungsformen sind typisch für die Geschlechterrollen: Jungen und Männer werden immer noch eher zu Dominanz und offen ausgedrückten Aggressionen ermutigt, während Mädchen und Frauen eher lernen, dass sie besser weniger offensichtliche Wege gehen, wenn sie sich durchsetzen wollen.61

Doch auch Männer können »weiblichen« Narzissmus und Frauen grandioses Verhalten an den Tag legen. Wegen der Aufweichung starrer Geschlechterrollen ist das sogar zunehmend zu erwarten.

Gern würde ich da einen differenzierteren Blick liefern – aber: Forschung, die im Hinblick auf das Geschlecht einen weniger binären Ansatz hat, ist leider Zukunftsmusik.62 Festhalten können wir aber jetzt schon: Die Formulierungen »weiblicher« und »männlicher« Narzissmus sind irreführend, weshalb ich sie nicht verwenden werde.

Narzissmus – rar oder Regelfall?

Fest steht: Narzissmus gab es immer schon.63 Zur Häufigkeit narzisstischer Störungen gibt es unterschiedliche Untersuchungsergebnisse. Die Zahlen schwanken zwischen ca. unter 164 und 8 Prozent; manche Schätzungen liegen sogar weit höher.65 Doch wie häufig Narzissmus tatsächlich ist, lässt sich nur schwer ermitteln – auch wegen der Unklarheit in der Begriffsbestimmung und der fehleranfälligen diagnostischen Tools.66

Es ist möglich, dass die Häufigkeit unterschätzt wird: Wenn diagnostische Fehlerquellen (wie z. B. die Blindheit des DSM für vulnerablen Narzissmus67) ausgeschlossen würden, könnten die Zahlen deutlich höher liegen.68

Schwierig ist außerdem die hohe Dunkelziffer: Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sind (mit wenigen Ausnahmen) nicht in der Lage, eigene Schwächen und die Auswirkungen ihres Verhaltens auf andere zu reflektieren.69 Dementsprechend halten sie sich auch nicht für krank und laufen selten irgendwo auf, wo sie eine Diagnose kriegen und Teil einer Statistik werden könnten – vor allem, wenn sie eher grandios unterwegs sind. In die Therapie kommen sie nämlich vorwiegend in vulnerablen Zuständen und narzisstischen Krisen, die eher fehlinterpretiert und nicht als Narzissmus erkannt werden.70

Zudem ist die Diagnostik dadurch erschwert, dass die Betroffenen keine Krankheitseinsicht haben und die Schwere ihres Zustandes herunterspielen oder schlicht nicht bemerken: Ich-synton sagt man dazu, wenn Menschen ihre Emotionen, Kognitionen und Impulse nicht als störend, sondern als Teil von sich erleben.71

Weil die Gesellschaft (nicht zuletzt dank der Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken) immer narzisstischer wird72, scheint es eine Zunahme zu geben, zumindest bei milderen Varianten73 bzw. bei der jüngeren Generation.74 Außerdem ist zu bedenken, dass es noch weitere narzisstische Störungen gibt, die mit eingerechnet werden sollten.

Es ist ein Kontinuum: Schweregrade von Narzissmus

Narzissmus scheint sich auf einem Spektrum zu bewegen: An der Schwelle, wo der Narzissmus noch nicht stark genug ausgeprägt ist, um eine Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, spricht man von einer Persönlichkeitsakzentuierung.75 Dann folgt die voll ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung, die sich vulnerabel und/oder grandios zeigen kann.76 In starker Ausprägung und bei gleichzeitigem Auftreten von antisozialen Persönlichkeitsmerkmalen spricht man von malignem (bösartigem) Narzissmus. Er wird als psychiatrische Entsprechung für »das Böse«77 gehandelt. Gewaltverbrechen und politische Gräueltaten gehen oft auf schwere Störungen dieser Art zurück. Sind die antisozialen Merkmale noch dominanter, liegt eine antisoziale Persönlichkeitsstörung vor; diese gehört auch zu den narzisstischen Störungen78 und grenzt in schweren Fällen an Psychopathie: Auch psychopathische Menschen manipulieren, um zu bekommen, was sie wollen. Aber ihnen ist in der Regel egal, was andere von ihnen halten. Narzisstische Menschen dagegen brauchen ihr Umfeld, um sich wertvoll zu fühlen.79

Über die genaue Abgrenzung und Abstufung besteht Uneinigkeit. Relativ einig ist man sich dagegen über die grundlegende Tendenz: Während Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung immerhin kognitive Empathie empfinden können, wenn sie dazu motiviert sind, nehmen Empathiefähigkeit und Reue mit zunehmender Stärke der Störung immer mehr ab. Und das Gewaltpotenzial steigt.80

Narzissmus gibt es außerdem mit unterschiedlichsten Funktionsniveaus. Auf dem untersten Funktionsniveau sind die Betroffenen so desorganisiert und so wenig in der Lage, ihren Alltag zu gestalten, dass eine Unterscheidung von anderen Persönlichkeitsstörungen kaum möglich ist, weil ihre Symptome ständig zwischen denen verschiedener Störungen wechseln. Hochfunktionale Betroffene haben vielleicht einen renommierten Job, ein Haus, eine kinderreiche Ehe und interessante Hobbys. So stellen wir uns einen Menschen mit einer tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung nicht vor. Und es ist auch für Profis schwer zu erkennen, dass diese gut angepassten Menschen dennoch an einer Persönlichkeitsstörung leiden.81 Zwischen diesen zwei Polen gibt es viele Graustufen.

Viele Gesichter – eine Diagnose: andere Arten von Narzissmus

Vor allem in der amerikanischen Selbsthilfeliteratur werden inzwischen viele weitere Spielarten unterschieden, die einzeln, abwechselnd oder auch in Mischformen auftreten können.82 Diese werden zwar nicht in den psychologischen Diagnose-Manualen beschrieben (und zudem überall anders benannt), sie helfen aber dennoch dabei, die verschiedenen Ausdrucksformen von Narzissmus dingfest zu machen. Daher möchte ich einige davon in aller Kürze skizzieren. Ich habe diejenigen ausgewählt, die ich für besonders verdeckt halte.

Gutartiger Narzissmus(engl.: benign narcissism) bedeutet: Die Betroffenen sind in der Jugend stecken geblieben und wirken etwas unreif. Trotzdem ist es möglich, viel Spaß mit ihnen zu haben. Aber an dem Tag, an dem du versuchst, in die Tiefe zu gehen oder schwere Lebensthemen zu teilen, merkst du, wie oberflächlich die Beziehung ist. Diese Oberflächlichkeit kann dich vor große Probleme stellen, wenn du eine engere Bindung aufbauen möchtest. Denn das wird kaum gelingen, wenn ein erwachsenes Einlassen nicht auf beiden Seiten möglich ist.83

Narzissmus wird außerdem zuweilen über das Spielfeld der Überlegenheitsgefühle beschrieben. Man unterscheidet zum Beispiel intellektuellen (cerebral)84 oder körperlichen (somatic) Narzissmus. Während die einen mit Köpfchen glänzen, setzen die anderen ihr Aussehen ein, um narzisstische Bestätigung zu bekommen. Was den einen das Dekolleté, ist den anderen der Doktortitel. Doch: Ein Schönling oder eine Barbie fallen uns vielleicht eher als narzisstisch auf als jemand, der zu viele Fremdwörter benutzt. Weil wir kluge Worte nicht sofort mit Oberflächlichkeit in Verbindung bringen.

Besonders schwer zu erkennen ist auch etwas, das als kommunaler Narzissmus (communal narcissism)85beschrieben wird. Diese Leute ziehen ihre Selbst-Aufwertung aus sozialem Engagement, aus dem Schützen von Walen oder aus anderen Tätigkeiten, die wir eigentlich allesamt bewundernswert und gemeinnützig finden. Das Problem: Sie tun es nicht um der Sache willen, sondern um Bestätigung zu bekommen. Typisch narzisstisch streben auch sie danach, in einer Disziplin »am besten« zu sein. Bloß lautet ihr Superlativ nicht Schönheit oder Intelligenz (agentic), sondern Welt-Rettung (communal).86 Lassen Applaus, Klicks oder Bundesverdienstkreuze aber auf sich warten, kriegen ihre Opfer das zu spüren. Und diese fragen sich dann natürlich, ob mit ihnen selbst was nicht stimmt, wo sie doch mit solchen Heiligen liiert sind.87 Wissenschaftliche Untersuchungen stützen das Modell.88

Ähnlich geht es den Angehörigen bei selbstgerechtem Narzissmus (self-righteous narcissism): Ihre besseren Hälften empfinden sich auch als solche: Sie sind stets moralisch überlegen und tun immer das Richtige!89

Narzisstische Menschen können wie beim vernachlässigenden Narzissmus (neglectful narcissism90) auch durch Abwesenheit glänzen: Die Einkäufe, die sie uns mitbringen wollten, oder gemeinsame Termine – einfach vergessen! Während grandios narzisstische Menschen prahlen und vulnerable jammern, ist diese Spezies schlicht nicht am Gespräch mit uns interessiert. Gewalt findet hier durch Unterlassung statt, ist also mal wieder schwer dingfest zu machen, denn: Es ist ja nichts passiert!

Elinor Greenberg, eine bekannte Gestalttherapeutin, beschreibt heimlichen Narzissmus91 als einen verkappten Typ mit einer unscheinbaren, unterstützenden und ruhigen Fassade: Betroffene haben Angst davor, im Mittelpunkt zu stehen. Sie lenken die Aufmerksamkeit daher nicht auf sich selbst, sondern auf Personen oder Institutionen, die sie idealisieren, um sich dann wegen ihres Bezugs zu ihnen bedeutend fühlen zu können. Verschiedene Erscheinungsformen sind beispielsweise: Assistenz, Kumpel, Fan oder Mentee.

Da das Leben sich nicht an Typenmodelle hält, gibt es natürlich auch hier viele Mischformen.92 Die Typisierung ist nur ein Werkzeug, das uns bei der Mustererkennung unterstützt.93 Gut möglich, dass die narzisstische Person in deinem Leben etwas von allen in sich vereint.

Übrigens wird auch diskutiert, ob die Kultur Einfluss auf die Ausprägung nehmen kann. Es gibt unterschiedliche Theorien. Reinhard Haller, einer der renommiertesten Gerichtspsychiater Europas, geht davon aus, dass in der westlichen Welt eher die offensichtlichen und im Fernen Osten eher die versteckten Typen anzutreffen sind.94

Ursachenforschung: Wie entsteht Narzissmus?

In der Psychologie fragt man sich auf der Suche nach der Ursache ja immer: Erbe oder Umwelt? Und kommt dann zu dem Schluss: Beides irgendwie. – So ist es auch hier.

Man geht davon aus, dass es bei der Entstehung von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen erbliche und umweltbedingte Faktoren gibt, die zusammenwirken.95 Beim Auftreten der Krankheit gibt es familiäre Häufungen. Das deutet darauf hin, dass die Gene eine Rolle spielen. Stärker sind aber wohl Umweltfaktoren in der Kindheit, welche die Entstehung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung begünstigen können96: zum Beispiel kalte oder narzisstische Eltern, Vernachlässigung, mangelnde oder inadäquate elterliche Spiegelung, Verstrickung, Verwöhnung oder übermäßige Bewunderung97, frühe Übernahme der Eltern- bzw. Erwachsenen-Rolle (Parentifizierung), Missbrauch (auch seelischer bzw. verbaler) und andere Traumata.98 Diese Umwelteinflüsse sind aber keine Garantie dafür, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung zu entwickeln. Andere Menschen mit ähnlichen Voraussetzungen entwickeln andere Störungen oder bleiben relativ unversehrt.

Eine Gemeinsamkeit der Betroffenen scheint zu sein, dass alle in prägenden Phasen nicht um ihrer selbst willen geliebt wurden. Sondern wenn überhaupt, dann nur für das, was sie für jemanden tun konnten99: Leistungen erbringen und der Familienstolz sein, als Mädchen zum eigentlich geplanten Jungen mutieren oder als Kuscheltier und Kummerkasten für die einsame Mama fungieren. So bilden sie ein falsches Selbst aus und verbergen ihr wahres – auch vor sich.

Was auch immer die Auslöser sind – die Folgen sind ein gestörtes Selbstwertgefühl und Probleme dabei, dieses zu regulieren: Narzisstische Menschen haben zwei extreme Selbstbilder ausgeprägt – ein makelloses und ein mickriges –, zwischen denen sie hin- und herpendeln. Wie sie sich gerade sehen, ist von ihren Lebensumständen und den Reaktionen ihrer Umwelt abhängig. Alle Manipulationen und Projektionen sind Versuche, sich als fehlerfrei und besonders zu sehen, weil die Alternative unerträglich beschämend wäre und zu Minderwertigkeitsdepressionen und Selbsthass führen würde.100

Vulnerabler und grandioser Narzissmus stellen zwei verschiedene Tendenzen dar, mit der empfundenen Scham umzugehen.101 Beim grandiosen Narzissmus gelingt es, die Maske des falschen Selbst aufrechtzuerhalten, um die Minderwertigkeitsgefühle abzuwehren. Wo dies nicht möglich ist, steht die vulnerable Seite im Vordergrund.102

Menschen mit narzisstischen Störungen sind also selbst verletzte Seelen. Trotzdem ist das natürlich kein Freifahrtschein für missbräuchliches Verhalten.

Prognose: Ist Narzissmus heilbar?

Es gibt unterschiedliche Einschätzungen dazu, wie gut Menschen mit Narzissmus auf Therapie ansprechen.103 Manche kommen zu der Einschätzung, dass es eine der am schwersten behandelbaren Störungen ist.104 Wenn es sich um eine Persönlichkeitsstörung handelt, wird man die tiefe Grundlage nicht vollends verändern können, doch das Verhalten ist zum Teil modifizierbar.

Wie gut das gelingt, ist unterschiedlich.105 Möglichkeiten zur Veränderung gibt es wohl vor allem für die (leider äußerst kleine) Gruppe derer, die die Fähigkeit zur Selbstreflexion haben. Denn die große Schwierigkeit ist ja eben gerade, dass narzisstische Menschen keine Schwächen an sich wahrnehmen können. In Behandlung begeben werden sich also die wenigsten, da es an Krankheitseinsicht mangelt. Und wenn sie es doch tun, dann meist auf äußeren Druck hin.106 Viele werden die Therapie aber schnellstens wieder verlassen. Denn behandlungsbedürftig zu sein stellt natürlich eine Bedrohung für den Selbstwert dar.107

Die klassische Abwehr ist eine Verbündung mit der behandelnden Person (ggf. auch im Rahmen einer Paartherapie) oder deren Abwertung: »Der Grünschnabel hat keine Ahnung!«108

In vulnerablen Phasen oder narzisstischen Krisen gibt es unter Umständen genug Leidensdruck, um sich Hilfe zu holen.109 Hier besteht dann allerdings wiederum die Gefahr, dass die narzisstische Störung nicht als solche erkannt, sondern mit Depression, Burnout oder etwas anderem verwechselt110 und folglich falsch behandelt wird.111

Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass korrektive Lebensereignisse ebenfalls eine günstige Wirkung auf die Entwicklung haben und den Narzissmus vermindern können.112

Wenn es gelingt, das Leben so zu gestalten, dass es den persönlichen Idealen gerechter wird, kann sich das Selbstbewusstsein stabilisieren. Auch schwere Verluste wie Trennungen oder berufliches Scheitern können Menschen wachrütteln und zum Umdenken bringen.

Unterm Strich lässt sich also sagen: Es ist nicht unmöglich, eine leichte Verbesserung zu erzielen – aber es ist langwierig, sehr unwahrscheinlich und wird in erster Linie schon an der fehlenden Therapie-Bereitschaft scheitern.

Dr. Ramani Durvasula, eine der führenden Figuren der amerikanischen Narzissmus-Selbsthilfe, rät dringend davon ab, wegen der Hoffnung auf Veränderung in einer missbräuchlichen Beziehung zu verweilen. Das Versprechen, sich zu verändern, gehört durchaus zu den Taktiken, mit denen narzisstische Menschen ihre Opfer bei der Stange halten.113 Hoffnung ist ein starker Klebstoff.114

Opfer, Survivor & Targets

In der Literatur gibt es verschiedene Begriffe für Menschen, die narzisstischen Missbrauch erleben. Die gängigsten sind Opfer, Survivor (Überlebende) und Targets (Zielpersonen).

Keine dieser Bezeichnungen ist despektierlich gemeint. Keine beabsichtigt, Betroffene in die Opferrolle zu drängen. Im Gegenteil: Die Wortwahl soll deutlich machen, dass niemand vor narzisstischem Missbrauch gefeit ist. Und dass es eben nicht um gewöhnliche Beziehungsprobleme geht, zu denen beide beitragen.

An dieser Stelle noch ein Wort der Warnung: Es kommt immer wieder vor, dass narzisstische Menschen sich auf Paartherapie einlassen. Oft auf Initiative des Opfers, das nach einer Lösung sucht. Dies scheint gerade bei verdecktem Narzissmus vielfach nach hinten loszugehen: Ist der Mensch auf der anderen Seite des Schreibtischs nicht geschult, was Narzissmus angeht, besteht die Gefahr, dass er dem narzisstischen Charme erliegt und die Verantwortung für die Probleme ausschließlich beim Opfer sieht. Dies steht unter Umständen wirklich neben sich und wirkt therapiebedürftig. Dass hier Ursache und Wirkung verwechselt werden, ist leider keine Seltenheit.115 Narzisstische Menschen liefern eine überzeugende Show!

Therapeutische Interventionen durch (in Narzissmus) Ungeschulte, die (gerade verdeckten) narzisstischen Missbrauch nicht erkennen, können retraumatisierend sein.116

Paartherapie wirkt meist über eine Verbesserung der Kommunikation. Das kann allerdings nur gelingen, wenn beide Parteien kommunizieren können (und wollen).117 Da narzisstischen Menschen die Basics dafür fehlen (Selbstreflexion, Verantwortungsübernahme, Gefühle und Bedürfnisse äußern etc.), ist das meist zum Scheitern verurteilt118