Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz … - Ulrike Mross - E-Book

Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz … E-Book

Ulrike Mross

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Beschreibung

Von Friedrich Hölderlin existieren rund 130 Briefe an seine Mutter. Die Briefe der Mutter an den Sohn sind – bis auf eine Ausnahme – leider verschollen. In diesem "Briefroman" hat die Autorin der Mutter, Johanna Gock, behutsam ihre Stimme geliehen und die Briefe an den Sohn neu geschrieben, während die des Sohnes den Originalen entsprechen. So entsteht ein Bild des Dichters, das die vielen Biografien um eine mütterliche Perspektive ergänzt. Der Leser bangt mit der Mutter um die Gesundheit des Sohnes, erkennt früh die widersprüchlichen Stimmungen des jungen Dichters, staunt über das viele Geld, das er verbraucht ... Und während der Jahre im Turm ist die Mutter praktisch der einzige Mensch, dem Hölderlin noch schreibt. Anlässlich des 250. Geburtstags wurde viel über den Dichter berichtet. Wann immer dabei der Name der Mutter fiel, musste man den Eindruck gewinnen, dass Johanna Gock ihrem Sohn das Leben schwer gemacht habe; mit mehr Verständnis auf ihrer Seite hätte der junge Dichter ein sorgenfreieres Leben führen können. Die Briefe des Sohnes sprechen eine andere Sprache. Seiner jeweiligen Stimmung entsprechend klingen sie zärtlich liebevoll oder selbstanklagend und voller Selbstmitleid. Man kann hier das empfindliche Naturell, die depressive Veranlagung Hölderlins sehen, die die Mutter früh spürte und den Sohn dennoch niemals im Stich ließ. Sie hatte immer ein offenes Ohr, vor allem aber immer einen Platz in ihrem Haus für ihn. Selbst zu Sparsamkeit erzogen, bezahlte sie stets die Rechnungen des Sohnes, der zeitweilig auf großem Fuß lebte. Dreimal änderte sie ihr Testament, um sicherzustellen, dass ihr Fritz auch nach ihrem Tod versorgt sein würde. Und wenn sie auch vieles nicht verstand, was ihr Sohn schrieb oder was er tat: Sie hat immer zu ihm gehalten.

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Seitenzahl: 530

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Ulrike Mrossaufgewachsen in verschiedenen Orten in Baden-Württemberg, war von klein auf eine begeisterte Leserin und Briefeschreiberin. Abitur am Droste-Hülshoff-Gymnasium Rottweil. Studium an der PH Reutlingen. Die ehemalige langjährige Lehrerin interessiert sich vor allem für Literatur, Geschichte, Theologie und Psychologie.

Johann Christian Friedrich Hölderlin (1770 - 1843)zählt zu den bedeutendsten deutschen Dichtern. Sein vorrangig lyrisches Werk lässt sich den literarischen Strömungen seiner Zeit nicht zuordnen. Statt der zeitgenössischen Weimarer Klassik und Romantik wird es eher als früher Vorläufer der literarischen Phase der Moderne zugeordnet.

Briefwechsel zwischen Friedrich Hölderlin und seiner Mutter Johanna Gock

1. Gesing, Rei: Die Weisheit der 100-Jährigen. 7 Fragen an die ältesten Menschen Deutschlands. Mit einem Vorwort von Simone Rethel-Heesters. Mit 41 Zeichnungen von André Kröker und 36 Fotos.

Solibro Verlag 1. Aufl. 2020, ISBN 978-3-96079-061-7

2. Mross, Ulrike/Hölderlin, Friedrich: Verehrungswürdigste Mutter – Mein lieber Fritz … Briefwechsel zwischen Johanna Gock und ihrem Sohn Friedrich Hölderlin.

Solibro Verlag 1. Aufl. 2020; ISBN 978-3-96079-082-2

eISBN 978-3-96079-083-9

1. Auflage 2021

© SOLIBRO® Verlag, Münster 2021

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: © Michael Rühle

Coverfoto: © pixabay

Foto der Autorin: S. 2: © privat

www.solibro.deverlegt. gefunden. gelesen.

Gewidmet allen Müttern,die ihre Kinder herzlich lieben.

Inhalt

Vorwort

Johanna Gock

Zeittafel

Literatur

Dank

Vorwort

Die Güte unserer lieben Mutter beschämt mich so unendlich. Wäre sie auch nicht unsere Mutter, und widerführe diese Güte nicht mir, ich müßte doch ewig mich freuen, daß eine solche Seele auf Erden ist. O mein Karl! Wie sehr wird unsere Pflicht uns erleichtert! Es müßte kein menschlich Herz in uns sein, wenn die Teilnahme einer solchen Mutter uns nicht unendlich stärkte in unserem geistigen Wachstum.

So schreibt Friedrich Hölderlin in einem Brief vom 15. April 1795 an seinen Bruder Karl. Das ist nicht die einzige Stelle, die bezeugt, dass zwischen Mutter und Sohn ein herzliches Verhältnis bestand. In den 130 überlieferten Briefen an die Mutter ist dies auch oft genug zu finden.

Warum aber wird bis zum heutigen Tag – ja in diesem Jubiläumsjahr ganz besonders – immer wieder behauptet, die Mutter hätte den Sohn durch ihr Unverständnis, durch ihre Strenge, ja sogar durch ihren Geiz in die geistige Umnachtung geführt? Sie hätte keinen Anteil an seiner Dichtung genommen? Und schließlich, sie hätte den kranken Sohn nie in Tübingen im Turm besucht? Frau Johanna Gock kann sich gegen diese Verleumdungen nicht wehren. Ihre Briefe sind – bis auf eine Ausnahme - verschollen. So war es an der Zeit, diese Frau zu rehabilitieren.

Die Autorin hat ihr behutsam ihre Stimme geliehen und die Briefe an ihren Sohn neu geschrieben. So entsteht ein Bild des Dichters, das die vielen Biografien um diese mütterliche Perspektive ergänzt. Der Leser bangt mit der Mutter um die Gesundheit des Sohnes, erkennt früh die widersprüchlichen Stimmungen des jungen Dichters, staunt über das viele Geld, das er verbraucht … Und während der Jahre im Turm ist die Mutter praktisch der einzige Mensch, dem Hölderlin noch schreibt.

In diesem Briefwechsel stehen sich nicht jeweils ein Sohn-Brief und ein Mutter-Brief gegenüber, sondern zeitweise schreibt die Mutter häufiger, zeitweise der Sohn. So wie einige Briefe des Sohnes nicht vorliegen, muss man auch mit weiteren Briefen der Mutter rechnen, die hier nicht wiedergegeben sind. Auch verzögert sich manchmal die Zustellung, sodass eine Antwort noch unterwegs ist, während schon das nächste Thema angeschnitten wird.

Manches Detail, das die Mutter erwähnt, weiß sie aus Briefen an die Tochter Rike oder den Sohn Karl, andere Inhalte beziehen sich auf Gespräche anlässlich von Besuchen während der Ferien oder späteren Aufenthalten Hölderlins in Nürtingen.

Die Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe umfasst 8 Bände. Band 6.1 enthält die Briefe Hölderlins, Band 6.2 die Lesarten und Erläuterungen dazu. Band 7.1 enthält Briefe an Hölderlin, darunter auch die von Bruder Karl und Schwester Rike sowie den einzigen erhaltenen der Mutter.

Die fiktiven Briefe der Mutter wurden in der aktuell gültigen Rechtschreibung abgefasst. Die Briefe des Sohnes wurden in der Schreibung der „Kleinen Stuttgarter Ausgabe“ übernommen.

Johanna Gock

wurde am 8. Juli 1748 in Frauenzimmern (Württemberg) geboren. Der Vater Johannes Heyn (Hein) kam aus einer thüringischen Bauernfamilie und hatte in Tübingen Theologie studiert. Die Mutter stammte aus der schwäbischen Ehrbarkeit, wo viele Söhne zum Pfarramt erzogen wurden.

Johanna heiratete 1766 den Klosterhofmeister Heinrich Friedrich Hölderlin (1736 – 1772) aus Lauffen, wo die junge Familie auch wohnte. Hölderlin hatte in Tübingen Jura studiert und das Amt des Klosterhofmeisters von seinem Vater übernommen. Außerdem hatte er eine ansehnliche Landwirtschaft. Bei der Hochzeit war also Geld zu Geld gekommen.

Erst 4 Jahre nach der Eheschließung kam das erste Kind zur Welt: der Sohn Johann Christian Friedrich. 1771 kam die Tochter Johanna Christiana Friderica (gestorben 1775), und Johanna war mit dem dritten Kind schwanger, als ihr Mann plötzlich 1772 starb. Zwei Monate später starb auch noch ihr Vater, sodass sie ihre Mutter zu sich nahm. Am 15. August kam die Tochter Maria Eleonore Heinrice zur Welt, von der Familie „Rike“ genannt.

1774 heiratete Johanna Hölderlin den Amtsschreiber Johann Christoph Gock (1748 – 1779) und zog mit ihm nach Nürtingen. Gock war Sohn eines Schulmeisters. Mit dem Geld, das Hölderlin ihr hinterlassen hatte, konnte Johanna in Nürtingen ein großes Haus kaufen, den sog. „Schweizerhof“. Gock war ein tüchtiger Mann, baute einen Weinhandel auf (der allerdings nicht gut lief) und wurde zum dritten Bürgermeister gewählt. Bei einem Hochwasser-Einsatz holte Gock sich 1779 eine Lungenentzündung, an deren Folgen er wenige Tage später starb.

Von ihm hatte Johanna noch 4 Kinder:

•Anastasia Carolina Dorothea (18.8.1775 – 19.10.1775)

•Karl Christoph Friedrich (1776 – 1849)

•einen namenlosen Sohn (Nov. 1777)

•Friederika Rosina Christiane (1778 – 1783)

Weitere Todesfälle in der Familie (Schwager, Schwägerin) belasteten die junge Witwe.

Dennoch brachte sie die Energie auf, für sich und die Kinder zu sorgen. Sehr klug verwaltete sie das Erbe, sodass ihr kranker Sohn Fritz bis zu seinem Lebensende gut versorgt war.

Was Schwermut sei und worin ihr existentieller Sinn bestehe, ist nicht leicht zu sagen, denn ihre Äußerungen sind sehr vielgestaltig, und sie ist dem Leben wie dem Tode, dem Schaffen wie der Zerstörung benachbart. Der schwermütige Mensch ist zuinnerst gebunden; von einem Bereiche her, der vor dem gestalteten, handelnden und schaffenden Dasein liegt. Das meint nicht, er sei kalt oder stumpf; gleiche Begabung vorausgesetzt, steht er in einer tieferen Beziehung zum Leben als andere. Er empfindet stärker und zarter; seine Freuden sind leuchtender und seine Schmerzen wehtuender. Aber er ist vom Innersten her nicht ganz in eigenen Stand und eigenes Handeln freigegeben. Er ist fühliger für Form und Geschehnis als andere, erfährt tiefer den Sinn der Dinge und wenn er schöpferisch begabt ist, dann wird jener Zusammenhang mit den Urmächten gerade zur Quelle, die sein Werk speist; er selber wird dessen aber nicht eigentlich froh, denn in jede Stunde, durch deren Handeln und Leiden der Mensch sonst sich selber lebt, greifen die Mächte hinein und holen den Schwermütigen zurück. Er ist wissender als andere, mit dem Wissen des Eingeweihtseins in die Tiefe; aber das Wissen hilft ihm nicht viel, denn es formt sich nicht zu Werkzeug und Waffe, sondern gibt allem nur eine größere Schwere. Er strebt danach, in klare Gestalt und freies Handeln zu gelangen, das Tastende zu überwinden und ins Helle aufzusteigen; aber es gelingt nur immer schwer und für eine kurze Strecke. Wenn er freilich, von den Kräften des Geistes und einer selbstlos ihn meinenden Liebe getragen, durch beständige Überwindung zur Gelassenheit und Weisheit durchdringt, dann erscheint ein Menschentum, das höher steht, als das der von vornherein Freigegebenen, Erfolgreichen und Glücklichen.

Hölderlin war ein schwermütiger Mensch, und die Überwindung blieb ihm versagt. Seine Schwermut hat in der Nacht geendet.

In seinem Werke wird sie überall fühlbar. Sie ist es, die sein Empfinden so zart, zugleich aber so schmerzlich und gefährlich stark macht. Aus ihr kommt die tiefe Traurigkeit und auch die Lieblichkeit und wieder der unsägliche Freudenglanz seiner Sätze. Aus ihr die besondere Nähe, Dringlichkeit, ja Überwertigkeit, welche den in ihm herrschenden Vorstellungen eignet.

Romano Guardini (Hölderlin, Weltbild und Frömmigkeit)

Februar 1785

Lieber Fritz,

es ist nicht gut, dass Du Tadel oder Strafen bekommst. Halte Dich immer an die Vorschriften und Gebote, dann wird alles gut sein. Dass Du zwei Tage ohne Tischwein warst, ist ja nicht so schlimm. Ich hoffe doch, es wird nicht wieder vorkommen, dass Du wegen Vernachlässigung Deiner Pflichten getadelt werden musst. Oder – was Gott verhüte – dass Du wegen einer Missetat in den Karzer kommst!

Mach Deiner Mutter (und Deinen beiden Vätern) keine Schande.

Es liebt Dich innig

Deine Mamma

März 1785

Lieber Fritz,

mit Deinem Zeugnis bin ich recht zufrieden. Latein, Griechisch und Hebräisch wirst Du ja als Pfarrer brauchen, und wenn Du auch in Poesie ein „gut“ bekommen hast, so kann das nicht schaden. Das Poetische hast Du von Deinem Herrn Vater. Er hatte eine lustige Ader und konnte manchmal aus dem Stegreif heraus ein Gedichtlein für mich machen. Aber er hat darüber nie seine Pflichten vergessen!

Die Tante Friederike erwartet Dich in der Ostervakanz in Gröningen. Zuerst wirst Du aber heimkommen, schon wegen der Wäsche. Und weil wir Dich natürlich auch alle sehen wollen. Vielleicht fahren wir dann alle zusammen zur Tante und Du bleibst dort bis zum Ende der Vakanz.

Wir freuen uns alle auf Dich, am meisten

Deine Mamma

Juni 1785

Lieber Fritz,

war der Herzog da zur Visitation? Schreibe uns doch darüber. Das ist sicher ein großes Ereignis, und Ihr müsst Euch alle von der besten Seite zeigen und dürft dem Herrn Prälat keine Schande machen. Nicht jedem ist es vergönnt, in einer Klosterschule lernen zu dürfen – Du hast also Grund zur Dankbarkeit.

Mich plagen Zahnschmerzen, die Großmutter die Gicht.

Es grüßt Dich Deine liebe Mamma

September 1785

Mein lieber Bub,

danke für Deinen Brief und das Gedichtchen. Rike hat es uns vorgelesen, und wir waren alle sehr beglückt. Machst Du solche Dichtungen privatim oder gehört es zu den Pflichten? Dann pass nur auf, dass Du nicht zu viel Zeit für solcherlei Vergnügungen verbrauchst – und die wichtigen Aufgaben nicht zu kurz kommen.

Uns geht es gut. Es gibt viele Äpfel dieses Jahr. Auch das Korn ist ordentlich gediehen. Nun heißt es die Wintervorräte anzulegen.

Ich werde Dir bei Gelegenheit ein Körble Äpfel schicken – wenn Du mit Deinen Zimmergenossen brüderlich teilst, wird der Herr Prälat doch nichts dagegen haben. Du warst so blass bei Deinem letzten Besuch; ich mach mir schon bissle Sorgen. Sicher schläfst Du auch zu wenig. Ihr müsst nicht die ganze Nacht Gedichte vorlesen oder debattieren. Der folgende Tag ist ja immer lang genug.

Immer Deine

Dich liebende Mutter

Dezember 1785

Lieber Fritz,

es ist schon spät, aber ich kam nicht eher aus der Küche. Neben der täglichen Arbeit heißt es jetzt Gutsle und Lebkuchen backen. Wir wollen es an Weihnachten doch recht hübsch haben.

Auch hat die Schlachterei zusätzlich viel Arbeit gemacht. Und die Großmutter ist unpässlich, sodass ich doch recht viel schaffen muss.

Aber ich will doch nicht versäumen, Dir einen lieben Gruß zum Advent zu schicken. Übe fleißig auf dem Klavier, damit Du uns an Weihnachten mit der Musik beglücken kannst. Rike übt auch. Sicher könnt Ihr dann zusammen vierhändig spielen. Karl zeigt nicht recht viel Liebe zum Musizieren, aber er hat eine schöne Stimme und wir singen recht hübsch zusammen.

Mehr kann ich heute nicht schreiben, denn mein Kopf ist grad zu sehr von Weihnachtsgeschäften eingenommen.

Wir freuen uns auf Deine Zeit bei uns

und versichern Dir unsre Liebe

Deine Mutter nebst Großmutter und Geschwister

Liebste Mamma!

Wann diesmal mein Brief etwas verworrener ist als sonst, so müssen Sie eben denken, mein Kopf sei auch von Weihnachtsgeschäften eingenommen, wie der Ihrige – doch differieren sie ein wenig: meine sind, ohne das heutige Laxier, Plane auf die Rede, die ich am Johannistage bei der Vesper halte, tausend Entwürfe zu Gedichten, die ich in denen Cessationen (vier Wochen, wo man bloß für sich schafft) machen will, und machen muß (NB. auch lateinische), ganze Pakete von Briefen, z. E. HE. Helfer, HE. Klemm, HE. Bilfinger, nach Altona, und was die Sachen als sind, und die Ihrigen sind, – was sie eben sind.

Was die Besuche in den Weihnachten betrifft, so bin ich eher so frei, Sie hieher einzuladen, weil mich das Geschäft am Johannistage, wie gesagt, nicht leicht abkommen läßt. Die l. Geschwisterige werden sich wieder recht freuen; aber, im Vertrauen gesagt, ists mir halb und halb bange, wie sie von mir beschenkt werden sollen. Ich überlasse es Ihnen, liebste Mamma, wanns ja so ein wenig unter uns beim alten bleiben soll, so ziehen Sies mir ab, und schenken ihnen in meinem Namen. Der l. Frau Großmamma mein Kompliment, und ich wolle Ihr auch ein Weihnachtsgeschenk machen --- ich wolle dem l. Gott mit rechter Christtags-Freude danken, daß er Sie mir auch dieses beinahe vollendete Jahr wieder so gesund erhalten habe. Ohnerachtet meines Laxiers bin ich doch im übrigen recht wohl. Bei mir ists zwar nicht zu spät, wie bei Ihnen, doch weiß ich eben nichts mehr zu schreiben, als daß ich bin

meiner liebsten Mamma

gehorsamster Sohn Hölderlin.

Hier schicke ich etwas, die Weihnachtsgeschäfte zu zerstreuen. Wann Sies ja nicht selbst lesen wollen, so lassen Sie sichs nur wenigstens von dem l. Geschw. vorlesen, es wird Ihnen recht wohl gefallen. Schickens Sies nur so bald als möglich zurück. Die anderen Teile sollen auch folgen. Auch die Bouteille bitte ich mir zu schicken, sie war entlehnt. HE. Harpprecht von Nellingen hat mich gestern besucht und mich um den 4ten Teil vom brittischen Museo gebeten.

Weihnachten 1785

Mein lieber Fritz,

das wird ein trauriges Weihnachten sein, wenn Du nicht bei uns sein kannst. Aber wenn Du am Johannistag predigen musst, so geht das halt vor. Sicher hat Dein Durchfall damit zu tun: Du bist aufgeregt, hast ja einen Hang zur Schwermut und nimmst manchmal die Dinge zu ernst. Dabei müsstest Du in diesem Fall wirklich keine Sorgen haben, denn die Predigt wird Dir ganz sicher gelingen. Du hast ja überall gute Noten, Du kannst auch vor anderen Menschen vortragen – Du wirst sehen, es wird alles gut!

Der Rike habe ich in Deinem Namen ein feines Stück Stoff besorgt; sie kann daraus eine Haarschleife nähen oder ein Halsband. Dem Karl habe ich für seine Menagerie zwei Tiere dazu gekauft (ein Pferd und eine Kuh). Und für die Großmutter ein Stück Seife. Sie werden sich alle bei Dir noch eigens bedanken.

Nun wünschen wir Dir alle von Herzen ein frohes Christfest.

Bleib gesund, lerne brav und sei gewiss der Liebe Deiner

Mamma, Großmutter und Geschwister

März 1786

Lieber Fritz,

wie sehr freuen wir uns alle auf Dein Kommen! Sich sonntags ein Stündchen beim Spazierengehen zu sehen, ist doch herzlich wenig. Wie schön wäre es, wenn Ihr Seminaristen am Sonntag heimkommen dürftet – ich würde so gern was recht Gutes für Dich kochen. Du scheinst mir doch arg dünn zu sein, und die Buben in Deinem Alter, die noch im Wachstum sind, brauchen doch eine kräftige Kost. Also, wenn Du kommst, dann will ich Dich recht verwöhnen.

Die Konfirmation findet am Sonntag nach Ostern statt. Ich habe der Rike mein Konfirmationskleid umgenäht – sie sieht ganz allerliebst darin aus.

Die Gröninger und die Löchgauer werden kommen – das wird ein schönes Fest werden! Ich bin mit der Magd schon am Schaffen!

Aber am meisten freue ich mich darauf, dass Du dann mal wieder für einige Tage bei uns bist.

Bis dahin die liebsten Grüße von Deiner Mamma

Oktober 1786

Lieber Fritz,

dies ist mein erster Brief an Dich nach Maulbronn. Das war doch noch mal ein größerer Schritt, ein weiterer Weg von uns fort. Nun wird es nichts mehr damit, sich sonntags auf ein Stündlein zu sehen, dazu ist die Entfernung zu groß.

Ich hoffe, es gefällt Dir an diesem Ort besser als in Denkendorf. Und Du bist jetzt kein kleines Kind mehr, weißt so allmählich, worauf es ankommt und dass es wichtig ist, sich anzustrengen und an die Regeln zu halten. Wenn Dir auch manches streng vorkommt, so hat doch alles seinen Sinn. Viele Deiner Vorfahren sind diesen Weg auch gegangen, und es war gut so. Du wirst jetzt neue Fächer dazu bekommen, und sicher wird vieles Dich interessieren. Gedichte kannst Du ja trotzdem schreiben – zu Deinem und zu unserem Plaisier.

Sei Gott befohlen

Deine Mamma

Dezember 1786

Lieber Fritz,

so sehr ich mich über Deine Briefe immer freue, so sehr sorge ich mich auch um Deine Gesundheit. Der Schultag ist anstrengend genug – da musst Du in der Nacht unbedingt schlafen. Auch gibt eine Kerze ja nicht viel Licht zum Lesen oder Schreiben, und Du sollst Dir nicht die Augen verderben.

Neulich traf ich den Helfer Köstlin, und er fragte nach Dir. Es freut ihn sehr, dass seine Hilfe an Dir solche Früchte trägt und dass Du ihm so herzlich zugetan bist. Deine guten Zeugnisse nimmt er beinahe für seine Erfolge – was sie ja ein wenig auch sind. Wenn Du mir im nächsten Brief einen Gruß an ihn ausrichten lässt, wird er sich freuen; Du sollst seinetwegen nicht noch mehr (nächtliche) Arbeit haben.

Dass Du Weihnachten nicht bei uns sein kannst, ist ja schon Gewohnheit – solche Opfer muss halt auch die Familie bringen. Die Großmamma und die Geschwister legen Dir eigens Briefe bei. Wir werden beim Singen und beim Essen aber ganz fest an Dich denken. Ich hoffe, im Kloster gibt es auch etwas Besseres als sonst.

Von den 10 Gulden, die ich Dir beim Einzug mitgegeben habe, darfst Du Dir zu Weihnachten etwas kaufen – aber denke daran, dass dieses Geld noch lange ausreichen muss.

Ich stelle mir vor, dass Ihr schöne Andachten haltet an den Festtagen, und dass Ihr auch einige Mußestunden habt. Jedenfalls wünschen wir Dir alle gute, gesegnete Christtage

und behalten Dich im Herzen lieb

Deine Mamma

Januar 1787

Lieber Fritz,

ich mache mir Sorgen um Dich. In Deinem Alter sollten die Buben (oder besser gesagt die Jünglinge) doch vor Lebenslust jauchzen und springen – aber Du bist immer so traurig. Und unter den 28 Mitschülern findest Du keinen Freund? Vielleicht musst Du zuerst einmal auf einen zugehen, ihre Späße mitmachen – damit Du sie besser kennenlernst und sie Dich. Oder meiden sie Dich, weil Du manchmal so jähzornig wirst? Da müsstest Du allerdings auch noch an Dir arbeiten. Nicht nur mir und den Deinen machst Du damit oft das Leben schwer, sondern vor allem Dir selbst. Schau, es gibt niemanden der immer nur gute Tage hat. Im Leben eines jeden Menschen gibt es Dunkelheit. Wir Christen nennen das „Kreuz“. Aber Gott lädt jedem Menschen nur so viel auf, wie er auch tragen kann. Vielleicht sind es auch Prüfungen. Oft denke ich an die Geschichte von Abraham: Gott hat von ihm verlangt, dass er seinen Sohn Isaac tötet. Und Abraham war bereit dazu. Diese Geschichte liegt mir schwer auf dem Gemüt und manchmal denke ich, dass beim Aufschreiben oder Übersetzen ein Fehler passiert ist – Gott kann doch nicht so grausam sein, von einem Vater das Töten seines Kindes zu fordern. Wenn Du mit Deinem Hebräisch-Studium zu Ende bist, dann musst Du mir mal diese Bibelstelle im Original vorlesen und erklären.

Hast Du genügend warme Strümpfe? Oder fehlt Dir sonst etwas? Lass es mich immer wissen, was Du brauchst oder was ich für Dich tun kann

Deine Mamma

März 1787

Lieber Fritz,

wie sehr habe ich mich über die Nachricht gefreut, dass Du den Bilfinger in der Ostervakanz mitbringen möchtest. Es ist wichtig, einen lieben Freund zu haben, und natürlich ist er bei uns willkommen.

Du sollst recht schöne Tage daheim haben. Auch die liebe Großmamma freut sich sehr auf Dich.

Bis zu unseren Wiedersehen freut sich herzlich

Deine Dich immer liebende Mamma

April 1787

Mein lieber Fritz,

wie sehr danke ich Gott, dass er uns beiden das Herz und die Ohren geöffnet hat. Da Du ohne Vater aufwachsen musst, obliegt mir auch die Aufgabe, Dich auf Deinen Weg zum Manne zu begleiten. Und nun hatte ich den Eindruck, dass Du verstanden hast, warum ich das Pfarramt für Dich für das Richtige halte. Schau, in meiner Familie gab es immer Pfarrer, und das ist gut so. Deine Noten in diesen Fächern zeigen ja, dass Du die nötigen Voraussetzungen mitbringst. Das heißt ja nicht, dass Du Dich vor den Karren spannen lassen musst – jedenfalls nicht mehr als das in jedem anderen Beruf auch so wäre. Du hast ein herzogliches Stipendium und mit Deiner Unterschrift hast Du Dich dazu verpflichtet, späterhin in herzoglichen oder kirchlichen Diensten zu bleiben. Als Pfarrer hast Du noch relativ große Freiheit. Du bist derjenige im Ort, der das Sagen hat, der den anderen zum Vorbild dient. Und die Literatur hat im Pfarrhaus wohl auch ihren Platz. Dein Dichten musst Du gar nicht aufgeben. Aber Du musst ja Deinen Lebensunterhalt verdienen, eine Familie ernähren – das kannst Du vom Dichten schwerlich.

So macht es mich sehr glücklich, dass Du frohen Mutes nach Maulbronn zurückgekehrt bist und Deinen Weg tapfer weitergehen willst.

In Liebe

Deine Mamma

Liebste Mamma!

Sie können mirs jetzt gewiß glauben – daß mir, außer in einem ganz außerordentlichen Fall, wo mein Glück augenscheinlich besser gemacht wäre – daß mir nie mehr der Gedanke kommen wird, aus meinem Stand zu treten. Ich sehe jetzt! man kann als Dorfpfarrer der Welt so nützlich, man kann noch glücklicher sein, als wenn man, weiß nicht was? wäre.

Neulich stieg hier ein Luftballon, da kam auch HE. Pfarrer von Diefenbach herbei, und mit ihm einer von den Camerern, welcher wirklich Jura studiert – der kam geradewegs von Poppenweiler, und richtete mir tausend tausend Grüße aus und daß eben dem guten Mann herzlich verlange – mich auch diesmal wieder zu sehen. Jetzt muß ich zu ihm, ´s mag sein, wanns will. HE Pfarrer von Diefenbach war auch außerordentlich freundschaftlich gegen mich, er wußte bisher nicht, daß man anhalten müße, weil die Vorige gewiß alle Wochen, ohne daß er ein Wort mit HE. Prälat gesprochen hab, zu ihm hinüber gekommen seien. Meine Rede hab ich hingelegt – um sie Ihnen zu schicken, finde sie aber wirklich nirgends. Meine Haare sind in der schönsten Ordnung. Ich hab jetzt auch wieder Rollen. Und warum? Ihnen zulieb!

Denn hier will ich weiters niemand gefallen. Dem l. Karl tausend Küsse! Was macht er dann als so allein bei seiner l. Mamma? Leben Sie wohl – ich eile, wie Sie sehn.

Ihr gehorsamster Sohn

Hölderlin.

Liebste Mamma!

Ich habe wirklich wieder Geschäfte die Menge auf dem Hals; und Geschäfte, wo die Geisteskräfte ziemlich stark angegriffen werden – ich will also nur so bei Gelegenheit gestehen, daß Bilfingers Kaffee, und mein Zucker, verbraucht sind, und daß ich mich inzwischen manchmal nach einem Frühstück gesehnt habe – bei dem frühen Aufstehen – und dem beständigen starken Angreifen des Kopfs – und neulich zwang ich mich wieder mit einem schröcklich leeren Magen zur Suppe, die Ihr hungriger Taglöhner ungern essen würde – und da wurde mir so weh, daß ich beinahe vor Ärger die Schüssel an die Wand geworfen hätte. Ein gutes, gutes Werk wäre also für den Fritz, wenn Sie ihm etwas Kaffee schickten.

Sie werden lachen, über meine weitschweifende Bittschrift, aber ´s war nur, daß Sie sich einen kleinen Begriff von unserem Klosterkreuz machen können. Denn das sind doch ordentliche Nahrungssorgen, wenn man so nach einem Schluck Kaffee, oder nur einem guten Bissen Suppe hungert, und nirgends, nirgends nicht auftreiben kann. Bei mir gehts noch gut; aber da sollten Sie andre sehen, die einige Pöstchen vom Winter her noch zu berichtigen hatten, und jetzt den halben Heller nimmer im Beutel haben – es ist zum Lachen,* wenn die Leute aus lauter Unmut nicht ins Bett gehen, und die halbe Nacht auf dem Dorment auf und ab singen.

Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!

Der Gläubiger ist da.

Die Schulden nehmen täglich zu,

Wir haben weder Rast noch Ruh,

Drum fort nach Afrika – (das wär das Kap)

und so gehts fast alle Nacht, da lachen sie am Ende einander selber aus, und dann ins Bett. Aber freilich ist dies eine traurige Lustigkeit!

Und noch überdies hat HE. Prälat, der so gepriesne Weinland, wirklich so unbegreiflich wunderliche Launen, daß er Professoren, Studenten und Famulus, als einen vor des andern Angesicht, schon dergestalt abgewaschen hat, daß bald vollends Professoren und Studenten – und Studenten und Famulus zusammen heulen. So gehts eben in der Welt! Ich lerne mich, gottlob! immer besser in sie schicken! Ich kann Sie auf alles versichern, liebe Mamma, daß ich, der ich sonst der Unzufriedenste war, jetzt keiner mehr von den Unzufriedenen bin! Der l. Rike hab ich geschrieben – hab sie getröstet.

Ich muß Ihnen sagen, ich hab geweint ob ihrem Brief – und da ich drauf Chor halten mußte, vor Ärger fast nicht reden können! Ich hätte mirs nie zugetraut, daß meine Liebe zu ihr so weit ginge! Aber gewiß, `s ist ein edles, herrliches Mädchen, die Rike! Gott wird ihr tausend Segen geben für ihre Tränen. Sie dürfen stolz sein auf so eine Tochter!

Ihr

gehorsamster Sohn

Hölderlin.

*Verzeihen Sie, daß ich so schlechtes Papier bringe!

Juni 1787

Lieber Fritz,

ein sonderbarer Brief ist mir da von Dir ins Haus geflattert. Du bittest um Kaffee, wo Du doch weißt, dass das Kaffeetrinken im Kloster verboten ist. Gar so schlimm, wie Du es beschreibst, wird das Essen ja wohl doch nicht sein. Immerhin ist es dem Prälaten daran gelegen, dass seine Seminaristen alle gesund zum Studium kommen. Ich lege Dir aber 2 Gulden bei, sodass Du Dir gelegentlich etwas zukaufen kannst. Achte auch immer auf genügend Schlaf.

Es rührt mich zu sehen, wie groß die Liebe unter Euch Geschwistern ist. Euer gemeinsamer Vater ist sicher ein starkes Band. Möget Ihr immer füreinander da sein!

Immer Deine Dich liebende

Mamma

September 1787

Lieber Fritz,

stell Dir vor, was in Nürtingen passiert ist: Es hat nachts gebrannt, und zwar im Stall des Geißenhirten Glück. Und weil die Leute meinten, die Frau des Geißenhirten sei schuld an diesem Unglück, wollten sie sie nicht aus dem brennenden Haus rausholen, sondern sie jämmerlich darin verbrennen lassen. Erst als der Bürgermeister kam und darauf aufmerksam machte, dass hier doch ein Mensch eingesperrt sei, ließen die Leute diese arme Frau rauskommen. Ihr Sohn kam ums Leben sowie zwei weitere Angehörige der Familie Glück. Sonderbar, dieser Name bei einem solchen Unglück.

Übrigens kam Herzog Karl persönlich und half löschen. Und weil er erkannte, wie schlecht die Nürtinger auf ein solches Unglück vorbereitet sind, hat er angeordnet, dass zukünftig jeder Haushalt einen Feuereimer anschaffen muss.

Aber mir geht seither nicht mehr aus dem Kopf, wie grausam Menschen sein können. Und sich zum Richter aufspielen, obwohl wir doch ausdrücklich darauf hingewiesen werden: Nur einer ist euer Richter!

Vielleicht kannst Du eine solche Haltung den Menschen einmal von der Kanzel aus – oder besser noch durch Dein Vorbild – vermitteln.

In Liebe

Deine Mutter

Liebe Geschwisterige!

Ihr werdet wohl Eurer lieben Frau Großmamma und Mamma recht viel Guts gewünscht haben – und aus redlichen, dankbaren Herzen für so viele zärtliche Sorgen und Bemühungen, die sie im vorigen Jahr mit Euch gehabt haben – nicht wahr, liebe Geschwisterige, da habt Ihr auch an mich gedacht, und mir auch etwas gewünscht, denn ich weiß, daß Ihr mich lieb habt, und das habt Ihr mir ja auch bewiesen, da Ihr mir neulich so viel geschickt habt. Und jetzt will ich Euch auch wünschen aus warmem, brüderlichen Herzen – Gehorsam und Liebe gegen den großen Gott – Gehorsam und Liebe gegen Eure liebe Frau Großmamma und Mamma, Tätigkeit in allem, und, wenn ich bitten darf – auch Liebe gegen Euren Bruder, so wie Ihr ihn immer geliebt habt, und er Euch liebt und immer lieben wird. Liebe Heinrike, lieber Karl – wenn ich jetzt auf etlich Augenblicke bei Euch wäre, und Euch küssen könnte – seid nur immer im Frieden beieinander, und wenn Ihr so vergnügt zusammen seid, so denkt an

Euren

Euch liebenden Bruder

Hölderlin.

Zu Neujahr 1788

Mein lieber Fritz, mit dem Brief an die Geschwister hast Du auch mir große Freude gemacht. Ich kann es nicht oft genug betonen, wie wichtig die Liebe untereinander ist. Und dass Du sie zu Gehorsam gegen den lieben Gott sowie Gehorsam gegen die liebe Frau Großmamma und Mamma anhältst, rührt mich sehr. Und natürlich darfst Du der Liebe der Deinen auch Dir gegenüber versichert sein.

Wir haben an Weihnachten alle Tränen der Rührung vergossen, so sehr haben wir Dich vermisst.

Die 3 Gulden zu Weihnachten und die 5 Gulden für Bücher hast Du wohl bekommen?

Schreib bald wieder Deiner Dich liebenden Mamma

PS. Zerreiße doch die Gedichte nicht, wenn Du sie für nicht gut genug hältst. Wir hier werden sie immer zu schätzen wissen!

Liebste Mamma!

Schon wieder eine Bitte! Sie werden wissen, daß jetzt bald unseres Herzogs Geburtstag ist, der hier sehr festlich gefeiert wird. Prälat und Herren und Damen, und Jung fern und Studenten und Schreiber sind unter Musik und Redehalten und Gedichtedeklamieren den ganzen Nachmittag beieinander, und am Abend stellen sie eine Illumination an. Da nun alles außer uns zusammen auch für Essen und Trinken sorgt – so sitzen wir auch zusammen – Bilfinger und Efferenn und Hesler und Märklin und ich – dürfte ich da um ein paar Krüge Weins bitten, liebe Mamma. Für das Überschickte dank ich gehorsamst. In Ansehung Ihrer Vorschläge habe ich Ihre Klugheit recht bewundert – wann ich 60 Jahr alt werde, werd ich nicht so klug. Der l. Rike tausend Dank für ihren Brief. Diesmal hab ich der Geschäfte so viel, daß mir nicht ein Augenblick mehr zum Schreiben übrig bleibt.

Ihr Hölderlin.

Das nächstemal werden Sie Zerrissenes genug bekommen.

Februar 1788

Lieber Fritz,

hiermit schicke ich Dir 3 Gulden, damit Du zu des Herzogs Geburtstag einen guten Wein kaufen kannst. Trinkt ihn aber in Maßen – Du weißt, zu viel Wein vernebelt den Verstand.

Wirst Du wieder ein Gedicht vortragen? Schreib uns dann über das Fest.

Deine Mamma

Liebste Mamma!

Verzeihen Sie, daß ich letzten Botentag nicht geschrieben habe. Sie werden wohl selbst daran gedacht haben, daß gerade am Tag, wo ich sonst Briefe schrieb, unsres Herzogs Geburtsfeier war. Ich hatte die Ehre, bei unserem Festin als Dichter aufzutreten.

Weil ich Ihnen aber diesmal etwas schicke, das Sie vielleicht mehr freut als mein Gedicht, so will ichs bis nächsten Botentag sparen. Sie waren neulich zärtlich besorgt – in Anlehnung meiner Gesundheit. Da kann ich Sie versichern, daß mir den ganzen Winter kein Äderchen weh getan hat. Sie waren aber aus Gelegenheit des Weins noch zärtlicher, noch mütterlicher besorgt – da will ich Ihnen unter der Bedingung, daß Sie mich ja nicht für eigenliebig halten, einen augenscheinlichen Beweis beilegen, daß Sie von meinem Charakter gewiß nichts solches zu befürchten haben. Der Brief ist von HE. Pfarrer Rothacker in Hausen ob Verena. Ich muß Ihnen aber die ganze Sache erzählen. Rothacker ist arm. Einige Frauenzimmer von hier, die es wußten, und ihn gerne unbekannterweise unterstützen wollten, trugens mir auf. Die edle Haltung rührte mich. Beschämt nahm ich mir vor, ein Gleiches zu tun. Aber mein Beutel versagte mir damalen meine Freude. Aber – wenn ich ihn von liederlicher Gesellschaft abhalte, dachte ich, wann ich ihn in seinen Arbeiten unterstütze, ihm so viel wie möglich im Wissenschaftlichen beibringe (da Lehren ja ohnehin einst meine Hauptbeschäftigung werden soll) – gefällts dem lieben Gott nicht ebenso wohl, dachte ich, als Unterstützung mit Geld oder Kleidungsstücken? – Das übrige werden Sie aus dem Brief sehen. Das aber muß ich noch hinzusetzen, daß Rothacker damals in der schlimmsten Gesellschaft war – daß der Prälat seine Streiche dem Vater schrieb, daß er auf seines Vaters drohende Ermahnungen ihm alles mit reuigem Herzen bekannte, mit den Worten, daß er ganz anders geworden seie, und dies mir zu danken habe. Aber daß es nur sonst niemand erfährt, liebe Mamma! Man würde mich verlachen – daß ich meine Pflichten-Erfüllung zur Befriedigung meiner Eigenliebe mißbraucht hätte – Ihnen schrieb ichs bloß, weil Sie eine so zärtlich besorgte Mutter sind.

Dem lieben, guten Karl laß ich tausendmal danken für sein Überschicktes – Ich würde ihm und der l. Heinrike schreiben, wann ich nicht noch ein halb Dutzend Briefe zu beantworten hätte. Leinen Tuch werden Sie vielleicht schon fortgeschickt haben, wann dieser Brief hinaufkommt. Ich muß eilen.

Ihr gehorsamster Sohn Hölderlin.

März 1788

Mein lieber Fritz,

dass Du einem verirrten Herzen den rechten Weg gewiesen hast, beglückt mich sehr. Das ist doch Deine Bestimmung: die armen und verirrten oder verwirrten Seelen zu führen. Seelsorger sein ist doch die öberste Pflicht des Pfarrers. Es zeigt sich immer deutlicher, dass dies der Weg ist, zu dem Dich unser lieber Herrgott berufen hat. Zweifle nicht daran, auch wenn Du immer wieder Steine auf diesem Weg finden wirst. Und so lange ich lebe, werde ich Dir eine liebevolle Begleiterin auf diesem Wege sein.

Die Flöte beim Wollhaupter ist bestellt. Er kann aber nicht versprechen, dass sie bis Ostern fertig ist.

Die Reise ins Unterland ist fest geplant. Wir wollen Tante Friederike in Gröningen besuchen, dann weiter nach Löchgau und Lauffen.

Wir alle freuen uns sehr auf Dich.

In Liebe Deine Mamma

Liebste Mamma!

Also in acht Tagen sind wir beieinander, es sei nun in Nürtingen oder im Unterland. Bestellungen weiß ich keine mehr zu machen. Ich glaube, wir werden, wann wir reisen, eine Reise haben wie auch einmal an Ostern. Ich bin auf alle Fälle gerüstet. Wenn Sie mir sagen lassen, oder schreiben, Sie bleiben in Nürtingen, so fahre ich in dem Unterboihinger Gefährt bis nach Boihingen – und Sie kommen mir entgegen – kommen Sie aber ins Unterland, so erwarte ich Sie am Dienstag nach dem Palmtag in Schwieberdingen, im Ochsen. Freilich hab ich mich in Ansehung der Kleidungsstücke ganz auf die Reise gerüstet, z. E. daß ich keine Schuhe mitnehme. Wir haben wirklich Schnee, bei dem aber demohngeachtet nicht so übel zu reisen wäre.

Ich freue mich, bald in den Armen der Meinigen zu sein. An alle tausend Grüße,

Ihr

gehorsamster Sohn

Hölderlin.

April 1788

Mein lieber, lieber Fritz,

wie sehr tröstet es mein wundes Herz, das Du unserer lieben Tante so treulich beigestanden hast. Wie ein rechter Mann hast Du Deine eigenen Wünsche und Pläne hintangestellt und Dich der Sterbenden gewidmet. Deine Tante Friederike liebte Dich wie einen Sohn; Du hast sie wohl auch an ihren Bruder erinnert. Manches Mal sagte sie, wenn wir sie besucht haben: „Wie mein Heinrich!“ Du musst in manchen Bewegungen, im Gesichtsausdruck Deinem Vater als Kind in vielem ähnlich gewesen sein. Ich verliere mit ihr die letzte direkte Angehörige Deines Vaters. Das schmerzt.

Umso mehr danke ich Dir, dass Du der lieben Tante am Schluss so nahegestanden bist. Mit ihr gebetet hast. Dich vom Gedanken an Tod und Sterben nicht hast vertreiben lassen. Das ist vielleicht unser wichtigster Auftrag als Christ: dem Sterbenden beistehen. Und als zukünftiger Pfarrer war das für Dich eine sehr wichtige Lektion. Du hast sie sehr gut bestanden!

In Liebe

Deine Mamma

Mai 1788

Lieber Fritz,

Rike hat uns heute Dein Gedicht** vorgelesen. Ich bin tief bewegt. Einmal mehr erkenne ich, dass Du zum geistlichen Stand berufen bist. Wer könnte ein tieferes Verständnis für die religiösen Dinge haben als Du!

„Schön ist des Menschen Seele wenn sie von euch sich zu Gott erhebt … Und weg ihr Zweifel! Quälendes Seelengift … der Seele Jubel ist Ewigkeit.“

Ja, die Zweifel sind Seelengift. Das hast Du richtig erkannt. Aber kein Mensch ist davor gefeit. Selbst der frömmste Mensch wird von ihnen von Zeit zu Zeit geschüttelt. Das heißt es dann tapfer durchstehen und im Gebet nicht nachlassen.

Eine andere Zeile in Deinem Gedicht hat mich aber zutiefst erschreckt:

„… so mag der Sohn in seinem Elend Vater und Mutterherz durchbohren!“

O Fritz, was deutest Du damit an? Wirst Du mir eines Tages mein Herz durchbohren? Du bist manchmal in Deinem Zorn sehr grob, und in Deiner Schwermut sehr kalt mir gegenüber – aber das alles durchbohrt mir nicht mein Herz. Was wird noch auf mich zukommen? Was wirst Du mir noch zumuten?

Mir kam sofort die Stelle aus der Bibel in den Sinn, wo Simeon zu Maria sagt: „Ein Schwert wir dir dein Herz durchbohren.“

Und sie musste unter dem Kreuz stehen und zusehen wir ihr Sohn durchbohrt wurde.

O Fritz, lass nicht zu, dass ich so etwas eines Tages erleben muss. Dass Du unter die Räuber kommst. Oder schlimmer noch, unters Henkersbeil.

Oder dass wir die Liebe verlieren. Dass wir uns fremd werden.

Manchmal machst Du mir Angst.

Verweigere mir nie Deine Liebe, dann will ich alles aushalten, was Du mir zumutest

verspricht Dir Deine

Dich ewig liebende Mamma

Liebste Mamma!

Hier ein Stück meines Reisetagebuchs. Sie müssen eben Vorlieb nehmen mit dem Gesudel, ich schriebs oft halb im Schlaf, eh ich zu Bette ging. Ich denke noch immer mit Vergnügen an die, obschon kurze, fünftägige, doch weite Reise. Ich reiste von Mannheim aus noch weiter nach Frankenthal – wie Sie nächstens hören werden. Also tausend Dank, liebste Mamma, für das mir gemachte Vergnügen. Ich habe Ihnen versprochen, alles aufzuschreiben – hier ist es.

In Bruchsal Zeche 43 cr.

Fahrlohn über den Rhein 8 cr.

Zu Rheinhausen Zeche 7 cr.

Wieder Fahrlohn über den Rhein 24 cr.

In der Mannheimer Comedie 48 cr.

Zu Frankenthal zahlt ich die Zeche 1 f. 58 cr.

Zu Speyer Trinkgeld 36 cr.

Dem Speyrer Perruquier 24 cr.

Von Speyer zurück nahm ich ein Pferd 1 f. 30 cr.

In Bruchsal für den Mann Zeche 15 cr.

Für das Pferd im Hinabreisen 2 f.

Mit Kleinigkeiten 1 f.

Summa 10 f. 17 cr.

Blum zahlte auf der Reise die meiste Zeche, wie Sie sehen werden – ich kam also herrlich davon. Wenn ich nur auch mündlich erzählen könnte. Sagen Sie dem lieben Karl, in der Fortsetzung komme viel vor von großen Schiffen, mit Segeln, und Mastbäumen. Er soll sich nur recht freuen. Denken Sie, liebste Mamma, ich war nicht ganz wohl, eh ich abreiste, nahm noch den Abend vorher Arznei zu mir – habe mich aber so gesund gereist, daß mirs jedermann ansieht. Ich habe noch viel zu tun. Ich schließe also mit der Versicherung, daß ich sei Ihr gehorsamster Sohn Hölderlin.

Montags, den 2ten Juni reist ich ab. Es war ein schöner belebender Morgen. Mein Herz erweiterte sich in all den Erwartungen des, das ich sehen und hören werde. Noch nie war mir so wohl, als da ich, eine halbe Stunde von hier, den Berg hinunterritt – und unter mir Knittlingen lag, und weit hinaus die gesegneten Gefilde der Pfalz. Mit dieser Heiterkeit setzte ich meinen Weg fort durch Brettheim, Diedelsheim, Gondelsheim, Heidelsheim, und jetzt war ich in Bruchsal. Ich hatte im Sinn, mich im Rückweg aufzuhalten – wartete folglich bloß im Wirtshaus auf Vetter Blumen. Ich wartete bis eins, es kam kein Blum, wartete bis zwei, bis drei – noch nicht! Jetzt war ich ärgerlich. Gefallen hatte mirs in Bruchsal ohnehin nicht, unter dummen Pfaffen und steifen Residenz fratzen – mein Pferd hatt ich nur auf diesen Tag gemietet, der Weg nach Speyer war lang, die Zeit kurz, die Straße mir unbekannt. Was war zu tun?

Ich schickte den Mann, den ich bei mir hatte, um das Pferd zurückzunehmen, nach Haus, setzte mich aufs Pferd, und flugs Speyer zu!

Von Bruchsal aus hatte ich zwar keine Chaussee mehr, aber doch breiten, guten Sandweg. Ich passierte meist dicke, schauerliche Waldungen, so daß ich außer meinem Weg kaum drei Schritte weit um mich sehen konnte. So dick habe ich in Wirtemberg noch keine Wälder gesehen. Kein Sonnenstrahl drang durch. Endlich kam ich wieder ins Freie, nachdem ich Forst, Hambrücken und Wiesenthal passiert hatte. Eine unabsehbare Ebene lag vor meinen Augen. Zur Rechten hatte ich die Heidelberger, zur linken die französische Grenzgebirge – Ich hielt lange still. Der neue, unerwartete Anblick einer so ungeheuren Ebene rührte mich. Und diese Ebene war so voll Segens. Felder, deren Früchte schon halb gelb waren – Wiesen wo das Gras, das noch nicht abgemäht war, sich umneigte – so hoch, so reichlich stand es – und dann der weite, schöne, blaue Himmel über mir -- Ich war so entzückt, daß ich vielleicht noch dort stände mit meinem Roß, wann mir nicht gerade vor mir das fürstlich-bischöfliche Lustschloß Waghäusel in die Augen gefallen wäre.

Ich wollte eben darauf zu reiten, weil ich es auch in meiner Marschroute hatte – von wo aus ich dann über Lußheim gekommen wäre – aber man wies mich links nach Oberhausen, weils dahin näher ist. Von dem Lustschloß kann ich also nichts sagen, als daß es im Wald liegt, eine Kapelle und noch etlich Gebäude um sich hat, weiter aber nichts Sehenswürdiges, keine Gärten, keine Hohenheimer Wildnisse, oder was ich sonst da erwartet hätte. Vor Oberhausen bemerkte ich erst die Domkirche in Speyer, ob ich sie schon bald nach Bruchsal hätte sehen können, so groß ist die Ebene – so ungeheuer hoch ist diese Domkirche. Ich glaubte, ich werde jetzt keine Viertelstunde mehr haben, und freute mich schon aufs Abendessen in Speyer, aber ich hatte mich gewaltig betrogen. Von Oberhausen kam ich nach Rheinhausen. Hier mußte ich über den Rhein fahren, mußte aber ziemlich lange warten, bis die Schiffer vom jenseitigen Ufer herüberkamen, weil die Überfahrt gewöhnlich eine halbe Stunde lang dauert. Aber so gerne hab ich noch nie gewartet als damals. Die Zeit wurde mir gar nicht lang.

Man stelle sich vor – ein Strom der dreimal breiter ist als der Neckar, wo er am breitsten ist – dieser Strom von oben herab an beiden Ufern von Wäldern beschattet – und weiter hinab die Aussicht über ihn so lang, daß einem der Kopf schwindelte – das war ein Anblick – ich werd ihn nie vergessen, er rührte mich außerordentlich – Endlich kamen die Schiffer herüber. Man fährt in Booten über, welche so groß sind, daß zwei Gefährte mit Pferden und noch Leute genug darin Platz haben. Nach Verfluß einer halben Stunde war ich am Speyrischen Ufer. Ich fragte bei Vorübergehenden, wo ungefähr die Frau Blumin wohnte – und wurde von einem, der sie kannte, in HE. Pfarrer Mayers Haus gewiesen. Weil sich der Tag neigte, mußte mein Rößlein noch all seine übrige Kräfte aus den steifen Füßen zusammennehmen – ich dachte – ich und es könnten uns ja jetzt bald Abendessen und Nachtruhe herrlich schmecken lassen. Und so – war ich in den Speyrer Toren. Langweilig wurde mir das ewige Umherreiten in den Gassen, bis ich HE. Pf. Mayers Haus endlich fand.

Ich wurde mit stürmischer Freude von der Rike und Blumen, von der Frau Blumin und deren Tochter, der Pf. Mayerin, und Pf.Mayer mit außerordentlicher Höflichkeit aufgenommen. Genug für diesen Tag!

d. 3ten Juni

Der Blum und die Rike hatten schon vor meiner Ankunft auf diesen Tag eine Reise nach Heidelberg vorgehabt. Es wurde also ausgemacht, daß ich mein Pferd durch des Blumen Kutscher, der wieder zurück nach Markgröningen sollte, weil sie sich noch länger aufhalten – hinaufschicken sollte – und mit ihnen fahren, wo Blum kutschierte – – Ich mußt also schon wieder morgens um 4 Uhr aus den Federn – und um 5 Uhr saß ich zu gutem Glücke meiner matten Glieder – im Cariol. Wir schifften wieder über den Rhein – und in ein paar Stunden waren wir in den berühmten kurfürstlich-pfälzischen Lustgärten von Schwetzingen.

Beschreibung ist hier wenig. Man muß die Pracht – die außerordentliche Schönheiten der Kunst – die ausgesuchte Gemälde, die Gebäude, die Wasserwerke u.s.w. selbst gesehen haben – wenn man sich einen Begriff davon machen will. Doch eins muß ich nennen. Es ist hier eine türkische Moschee (Tempel) angelegt, die mancher, der sie sieht unter den vielen Schönheiten, vielleicht vergißt, aber mir gefiel sie am besten. Das Ganze ist, was Hohenheim und die Solitude miteinander – meinem Begriff nach. Von Schwetzingen nach Heidelberg hatten wir drei Stunden lang schnurgerade Chaussee – und auf beiden Seiten alte, eichengleiche Maulbeerbäume. Ungefähr um Mittag kamen wir in Heidelberg an. Die Stadt gefiel mir außerordentlich wohl. Die Lage ist so schön, als man sich je eine denken kann. Auf beiden Seiten und am Rücken der Stadt steigen steile, waldichte Berge empor, und auf diesen steht das alte, ehrwürdige Schloß – Ich stieg auch hinauf, und machte eine Wallfahrt zu dem berühmten Heidelberger Faß, dem Symbol so manches Zechers, dem Bonmot so manches Trinklieds. Es ist wirklich so groß, daß man oben ganz bequem herumtanzen kann. Es sind Schranken auf ihm, daß man ohne Gefahr darauf gehen kann. Aber das kann ich versichern, daß ein Fall von seiner Höhe mir eben so unangenehm wäre als aus meinem Klosterfenster. Merkwürdig ist auch die neue Brücke daselbst. Nachmittags reisten wir noch nach – Mannheim. Wir hatten herrlichen Weg am Neckar hinab. Kaum waren wir ausgestiegen, so gingen wir ins Schauspiel. Schöner, gebildeter, vollkommener kann man sich nichts denken als das Mannheimer Nationaltheater. – Nach dem Schauspiel sah ich noch das Zeughaus, wo Kanonenkugeln wie Steinhaufen aufgebeugt sind, wo ich zum erstenmal Granaten, Bomben, Kanonen u.s.w. sah–und dann die Jesuiterkirche! das prächtigste Gebäude, das ich auf meiner Reise fand. Die Stadt ist beinahe zweimal größer als Stuttgart. Das fürstliche Schloß sieht man aus den meisten Gassen. Die Gassen sind ganz gerade – Alles ist eben. Die Gebäude machen jedesmal ein großes Viereck. Das Kaufhaus ist so ungeheuer groß, daß mich ein Gang um dasselbe herum beinah eine halbe Viertelstunde kostete. Am Abendessen kam ich neben einen Grafen von Styrum zu sitzen. Es ist ein Bruder vom Bischof in Bruchsal. Ich war nur eine Stunde um diesen Mann, aber ich werd ihn bis zum Grabe verehren. Er ist General, und in seines Herrn, des Königs von Frankreichs Diensten grau geworden. Er unterhielt sich mit mir, wie mit seinem Bruder – erzählte mir von seinen Schlachten, seinen Gefahren, seinen Siegen, seinen Niederlagen – ich hätte bald vergessen, daß dieser Mann Graf Styrum und ich Student Hölderlin wäre, und wär ihm um den Hals gefallen, so viele Liebe gegen ihn flößte mir dieser Greis ein. Er ist mir am verehrungswürdigsten unter allen Leuten, die ich auf meiner Reise kennen lernte.

Den 4ten Juni.

Die Fortsetzung folgt.

Mittwoch, den 4 Juni

Ich blieb noch bis morgens 10 Uhr in Mannheim, in welcher Zeit ich den Hofkammerrat Dillenius, einen Oncle von meinem Märklin, besuchte, und sehr viel Höflichkeit genoß – Ich machte noch einen flüchtigen Strich durch die vornehmste Gassen der Stadt, besahe das Schloß und das Bollwerk, und überall fand ich Paläste, die mich mit Staunen erfüllten. Unterdessen hatten meine Gefährten sich reisfertig gemacht, ich sprang in die Chaise, und trennte mich ungern von einem Ort, in welchem ich noch so viel Merkwürdiges sehen, noch so manchen neuen Begriff mir hätte erwerben können. Wir mußten über fünf Brücken, bis wir auf die Straße kamen; die, die über den eigentlichen Rhein ging, war ungeheuer lang, und eine Schiffbrücke. Hier waren große Boote an Ankern befestigt, und so aneinander gereiht, auf diesen stand die Brücke. Wann nun Schiffe kommen, so sind Maschinen, mit welchen man die Brücke an verschiedenen Orten öffnen kann. Das aber, was meine Augen am meisten auf sich zog, waren die kurfürstliche Schiffe, die am Uferstanden. Vom Wasser an bis ans Verdeck (also den Boden ungerechnet) mochten sie ungefähr einen kleinen Stock hoch sein, ihre Länge aber betrug sich sicher auf 24 Schuhe, der Mastbaum ragte einen großen Stock über das Verdeck hinaus – und eine Menge von Tauen (Seilen) hing daran herab, mit welchen man den Mastbaum herablassen und aufrichten, das Segeltuch einziehen und ausbreiten konnte. Ganz vorn war ein Zimmer, mit grünen Läden, und überhaupt das ganze Schiff war gelb und rot angestrichen. So waren zwei da, ganz gleich, nur daß das Schiff der Kurfürstin ein wenig kleiner war als Theodors (des Fürsten) selbst.

Wir kamen durch die schönste Alleen nach Oggersheim, wo der Kurfürstin ihr Sitz ist. Ich kam hier in das nämliche Wirtshaus, in welchem sich der große Schiller lange aufhielt, nachdem er sich aus Stuttgart geflüchtet hatte. Der Ort wurde mir so heilig – und ich hatte genug zu tun, eine Träne im Auge zu verbergen, die mir über der Bewunderung des großen genialischen Dichters ins Auge stieg. Von dem Lustschloß der Kurfürstin kann ich nichts Eigentliches sagen – ich sah nichts – als Häuser und Gärten, dann Schiller ging mir im Kopf herum. Um Mittag kamen wir zu Frankenthal an. Nach dem Essen gingen wir zuerst in die Gegelische Buchdruckerei, dann in die Porzellanfabrike, wo ich im Magazin sehr schöne Arbeit antraf – von da aus in die Seidenfabrike – wo mirs auch sehr wohl gefiel – von da aus zum Kanal, das ein sehr sehenswürdiges Werk ist. Beschreiben kann ich hier nicht, weil ich selbst ein dunkeln Begriff davon habe.

Am nämlichen Nachmittag fuhren wir noch nach Speyer zurück – und so hatt ich die meiste merkwürdige Städte der Pfalz in kurzer Zeit gesehen. Morgen seh ich mich in Speyer um.

Donnerstags d. 5. Juni

Mein erster Gang war morgens zur Domkirche. Dies ist eines der merkwürdigsten Gebäude, die ich auf meiner Reise sah, und das einzige, das ich recht genau, und mit gehöriger Muße besah. Wann man vorn am großen majestätischen Portal eingeht, so sieht man vor sich ein leeren Platz von einer ziemlichen Länge bis an große Staffeln hin, und von ungewöhnlicher Höhe, die durch prächtige, einfache Säulen von den Nebengebäuden getrennt wird. Über den Staffeln aber steht ein großer, ganz marmorner Altar, welcher so hoch ist, daß auch wieder Staffeln daran gebaut sind, und auf welchem 5 brennende Lichter in güldenen Leuchtern stehen. (Die Leuchter stehen pyramidenmäßig, und der längste mag sicher eine Elle messen.) Neben dem Altar standen auf beiden Seiten Kirchstühle, und in den zwei Ecken neben den Kirchstühlen wieder zwei Altäre, von gleicher Pracht wie der erste. Ganz hinten im Chor stand der Thron des Bischofs von Bruchsal, das Prächtigste, was man sich vorstellen kann, und auf beeden Seiten des Throns herunter die Stühle der Domherrn, welche alle vergoldet sind. Und so nehme man das ganze riesenmäßige Gebäude zusammen, man stelle sich unten ans Portal hin, und denke sich – wie oben herab der Thron und die prächtige Stühle schimmern – und der Marmor-Altar, wie er mit seinen Lichtern so erhaben dasteht – und oben das unermeßliche Gewölbe – – ich hielte mich eine Stunde darin auf, und könnte beinahe noch bisher jeden Tag eine Stunde darin gewesen sein, ohne Langeweile gehabt zu haben.

Von da aus ging ich zum Rat Boßler – und besahe seine Musikalienhandlung. Es gefiel mir da auch sehr wohl. Doch eil ich zu einem interessanteren Gegenstande. Ich hatte vormittags so ziemlich mich in Speyer umgesehen. Nachmittags wollt ich also ins Freie, um da in der Gegend umher mein Auge zu weiden. Ich lief den ganzen Nachmittag beinahe im ganzen Speyrer Bezirk umher, ohne was zu finden, das meine Aufmerksamkeit besonders an sich gezogen hätte. Es ging schon gegen Abend, als ich auf den sogenannten Gran kam (wo die Waren der Schiffe ausgeladen werden). Ich glaubte neugeboren zu werden über dem Anblick, der sich mir darstellte. Meine Gefühle erweiterten sich, mein Herz schlug mächtiger, mein Geist flog hin ins Unabsehliche – mein Auge staunte – ich wußte gar nimmer was ich sah, und dastand ich – wie eine Bildsäule.

Man denke sich, der majestätischruhige Rhein, so weit her, daß man die Schiffe kaum noch bemerkte – so weit hinaus, daß man ihn fast für eine blaue Wand ansehen könnte, und am gegenseitigen Ufer dicke, wilde Wälder – und über den Wäldern her die dämmernde Heidelberger Gebirge – und an der Seite hinab eine unermeßliche Ebene – und alles so voll Segen des Herrn–und um mich alles so tätig–da lud man Schiffe aus – dort stießen andere ins Meer, und der Abendwind blies in die schwellende Segel–ich ging gerührt nach Haus, und dankte Gott, daß ich empfinden konnte, wo tausende gleichgültig vorübereilen, weil sie entweder den Gegenstand gewohnt, oder Herz wie Schmer haben.

Den Abend brachte ich bei einem Glas Bier noch sehr vergnügt zu – ich konnte den Leutchen ansehen, daß sie mich gerne noch länger bei sich gehabt hätten.

Freitags, d. 6. Juni.

Da wär ich nun wieder im Kloster. Es war mir noch nie so eng, ich möcht als gerne meine Kirche fürs Dom, meine Mauren für Paläste, meine Seen für den Rhein, und meinen dunkeln Schlafboden für fürstliche Alleen ansehen. Nur noch kürzlich die Geschichte des heutigen Tages. Der Blum und die Rike begleiteten mich mit der Chaise bis nach Oberhausen, von wo aus ich mir ein Pferd bis hieher nahm. Um 12 Uhr war ich in Bruchsal, kehrte aber diesmal bei Frau Bas Vogtin ein, weil mirs im Wirtshaus so gar nicht gefallen hatte, und ich die ehemalige Jfr. Bas Nikolain auch wieder sehen wollte. Sie freute sich sehr, auch wieder was von Ihnen zu hören, und war außerordentlich höflich und freundschaftlich gegen mich. Um 3 Uhr reist ich wieder weiter. Und so kam ich noch bei hellem Tag hieher, und so hätte dann meine Reisbeschreibung ein Ende.

** Die Unsterblichkeit der Seele

Juni 1788

Lieber Fritz,

was für eine wunderschöne Reise Du gehabt hast! So sehr ich mich um Dich gesorgt habe während dieser 5 Tage, so erleichtert bin ich nun, dass Du wieder heil zurück bist. Es ist brav, dass Du alle Ausgaben so getreulich notiert hast, und dass die 11 Gulden, die ich Dir mitgab, gerade ausgereicht haben. Aber viel wichtiger ist, dass Du so viel Schönes und Wunderbares erleben durftest. Und dass Du mich hast Anteil nehmen lassen. Du bist ja der Erste aus der Familie, der so weite Reisen macht. Ich bin nie ins Ausland gekommen und werde es auch fürderhin nicht tun.

Umso mehr kann ich mit Deinen Augen sehen, was Du die letzten Tage sehen durftest:

Der Rhein, der dreimal so breit ist als der Necker – das kann ich mir kaum vorstellen; Boote so groß, dass zwei Pferdefuhrwerke darauf Platz haben; eine türkische Moschee – was hat die denn in Schwetzingen zu suchen? Das Heidelberger Fass, auf dem man tanzen kann – erzählst Du mir da ein Märchen? Eine Aufführung im Mannheimer Nationaltheater; die Jesuitenkirche, die Du das prächtigste Gebäude nennst, das Du auf dieser Reise sahst. Und dann die Begegnung mit dem Grafen Styrum, die Dich so tief bewegt hat. Ich denke, dass die Begegnungen mit solch alten, weisen Männern Dir besonders wichtig sind, weil Du Vater und Großvater entbehren musst.

Die Schiffe vom Mannheimer Hafen und wie man die Brücke öffnen kann, musst Du Karl im Detail erklären, wenn Du nächstes Mal kommst.

Dass Dich der Dom zu Speyer so fasziniert hat!? Ja, er ist vielleicht eher ein Ort der Geschichte als ein Ort des Gebets. Mir kommt das etwas zu pompös vor – Reichtum und Luxus ist nicht die Sache der Christen. Aber immerhin – Du hast Dich eine ganze Stunde darin aufgehalten, es ist ja doch ein Gotteshaus, und vielleicht hast Du sogar ein kurzes Gebet gesprochen. Anlass für ein Dankgebet hattest Du ja allemal.

Und nun bist Du wieder in Maulbronn und empfindest die Klostermauern als besonders eng. Das kann ja nicht anders sein. Aber sieh, lieber Fritz, solche Reisen, solche Urlaubstage können immer nur die Ausnahme sein. Der Alltag ist Schwarzbrot, Kuchen gehört zum Sonntag.

Dennoch sind Dir diese Bilder nun im Herzen eingebrannt und niemand kann sie Dir nehmen. Wenn Dir das Lernen, die Andachten und all die anderen Aufgaben allzu schwer vorkommen, dann erinnere Dich an diese Bilder. Und vertraue darauf, dass es in Deinem Leben noch mehrmals solche wunderbaren Erlebnisse geben wird.

Ich habe meine innere Ruhe, mein Vertrauen in Dich wiedergefunden. Am Ende Deines Briefes hast Du solch gute Worte gefunden:

„Ich glaubte neugeboren zu werden über dem Anblick, der sich mir darstellte. Meine Gefühle erweiterten sich, mein Herz schlug mächtiger, mein Geist floh hin ins Unabsehliche – mein Auge staunte – ich wusste gar nimmer, was ich sah, und dastand ich – wie eine Bildsäule.“

Und dann: „… und alles so voll Segen des Herrn – und um mich alles so tätig – da lud man Schiffe aus – dort stießen andere ins Meer, und der Abendwind blies in die schwellende Segel – ich ging gerührt nach Haus, und dankte Gott, dass ich empfinden konnte, wo Tausende gleichgültig vorübereilen, weil sie entweder den Gegenstand gewohnt oder Herz wie Schmer haben..“

Ach, lieber Fritz, wie wohl tun mir diese Worte. Sie zeigen mir, dass Du doch tief im Glauben verwurzelt bist, dass Du unserm lieben Herrgott doch für alles dankbar bist. Dass Du so große Ehrfurcht vor seiner Schöpfung hast.

Und sieh, dies den Menschen zu vermitteln, ist ja gerade die Aufgabe eines Pfarrers.

Schau, Maulbronn verlässt Du ja in drei Monaten – diese Zeit kannst Du noch durchhalten. Tübingen wird ganz anders sein, bestimmt nicht mehr so eng. Deinem Vater haben die Tübinger Jahre sehr gut gefallen, er hat später oft von den Erlebnissen erzählt. Lass nicht zu, dass die Schwermut oder auch der Ärger über Kleinigkeiten die große Freude und Dankbarkeit überrollt, die Du jetzt im Herzen trägst. Kaum einer Deiner Mitschüler durfte eine solche Reise machen.

Ich werde Dir Deine Reiseberichte abschreiben, sodass Du selbst jederzeit diese wunderbaren Eindrücke in Dein Gedächtnis zurückrufen kannst.

In Liebe Deine Mamma

Oktober 1788

Lieber Fritz,

ein neuer Lebensabschnitt liegt vor Dir. Und es wird nun alles gut werden. Du hast eine Braut, die Dich herzlich liebt und Dir eine treue und vor allem eine verständnisvolle Gefährtin sein wird. Ich habe sie gleich liebgewonnen und werde in ihr eine liebe Tochter haben. Auch Rike ist von ihr sehr angetan. Natürlich dauert es noch lange, bis Du mit dem Studium fertig sein wirst und eine feste Stelle als Vikar – dann kannst Du noch nicht heiraten – und dann als Pfarrer haben wirst. Aber die Verlobungszeit ist ja gut um sich zu prüfen und immer besser kennenzulernen.

Wie froh bin ich, dass Du jetzt ein klares Ja dazu sagen kannst. Was ich tun kann, um die Tübinger Jahre für Dich leichter seinzulassen, das will ich gerne tun.

In Liebe

Deine Mamma

Dezember 1788

Lieber Fritz,

schon hast Du das erste Zeugnis aus Tübingen bekommen: In Griechisch ein „sehr gut“ – das ist doch wunderbar. Und dass in den ersten beiden Jahren hauptsächlich Philosophie gelehrt wird, ist doch so recht nach Deinem Geschmack. Ich weiß ja, was für ein Denker, oft ein Grübler, manchmal ein Zweifler Du bist. So hoffe ich, dass die Philosophie Dir Antworten auf all Deine Fragen gibt. Und neue Fragen, die wieder neue Fragen auslösen, Dich immer weiter nach vorne bringen, nicht Dich immer tiefer in den Zweifel hinabstürzen. Dass Du am Schluss erkennst: Der Urheber von allem ist Gott.

Teile Dir die 40 Gulden gut ein, das ist viel Geld. Auf Deine Bitte hin schicke ich Dir zusätzlich 2 Gulden für ein Bett und einen Stuhl – Du sollst natürlich gut schlafen und bequem sitzen können. Wenigstens sollen diese äußeren Umstände Dir nicht zusätzlich Qualen bereiten. Zwar sagt das Sprichwort „Studentenjahre sind keine Herrenjahre“, aber natürlich sollst Du nicht leben wie ein Bettler. Fünf Jahre sind ja doch eine lange Zeit und Du sollst keinen Mangel leiden.

Rike wird nächste Woche für ein paar Tage zu Dir kommen, das freut mich sehr. Für eine Mutter ist es immer beglückend, wenn sie sieht, dass die Geschwister sich herzlich lieben und füreinander da sind. Mit Deinen Augen Tübingen sehen zu lernen, ist ihr eine große Freude. Dass Du gut auf sie aufpassen wirst, muss ich Dir nicht eigens sagen.

Ich gebe ihr einen Stollen, Gutsle und ein Krügle Most schon für Weihachten mit.

Dass Du immer mehr Freude am Studium gewinnst

das wünscht Dir Deine Dich liebende Mamma

PS. Bitte Grüße die liebe Louise

Februar 1789