Vergiß die bösen Träume - Patricia Vandenberg - E-Book

Vergiß die bösen Träume E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Daniel Norden war zu Henriette de Bloom gerufen worden, schon zum dritten Mal innerhalb einer Woche. Das gab ihm zu denken, denn die alte Dame war alles andere als wehleidig. Die strengen Maßstäbe, die sie an andere Menschen legte, waren auch für sie selbstverständlich. Sie war eine Respekt einflößende Persönlichkeit von ganz besonderer Eigenart. Aus baltischem Adel stammend, in großartigen Verhältnissen aufgewachsen, hatte sie sich in weitaus bescheidenere hineinleben müssen. Der Vater war gefallen, aber weitsichtig genug, hatte er seine Frau und seine Kinder bereits vorher nach Schweden geschickt. Allzu viel hatten sie nicht mitnehmen können, aber doch genug, um nicht in Armut leben zu müssen. Resolut hatte die erst siebzehnjährige Henriette dann der lebensfremden, verwöhnten Mutter alles abgenommen, auch die Erziehung der beiden jüngeren Geschwister. Die Mutter konnte den Verlust des Besitzes, den Tod des Mannes nicht verwinden. Sie starb, als Henriette zwanzig war. Ohne lange zu überlegen, hatte sie den doppelt so alten Großkaufmann Haldan de Bloom geheiratet, einen Dänen, der auch für ihren Bruder Rasmus und ihre Schwester Freda sorgte. Sie hatte es nicht bereut. Es ging besser, als sie geglaubt hatte, und als sie ihrem Mann den Sohn Marian schenkte, beherrschte sie ihn völlig. Dies alles wusste Dr. Norden nicht von ihr. Marian de Bloom hatte es ihm erzählt, als seine Frau starb. Da war seine Tochter Bianca zehn Jahre alt, und Marian de Bloom sagte, welch ein Glück es sei für das Kind, dass seine Mutter schon immer bei ihnen gelebt hätte. So lange kannte Dr. Norden diese

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Dr. Norden Bestseller – 212 –

Vergiß die bösen Träume

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden war zu Henriette de Bloom gerufen worden, schon zum dritten Mal innerhalb einer Woche. Das gab ihm zu denken, denn die alte Dame war alles andere als wehleidig. Die strengen Maßstäbe, die sie an andere Menschen legte, waren auch für sie selbstverständlich.

Sie war eine Respekt einflößende Persönlichkeit von ganz besonderer Eigenart. Aus baltischem Adel stammend, in großartigen Verhältnissen aufgewachsen, hatte sie sich in weitaus bescheidenere hineinleben müssen. Der Vater war gefallen, aber weitsichtig genug, hatte er seine Frau und seine Kinder bereits vorher nach Schweden geschickt. Allzu viel hatten sie nicht mitnehmen können, aber doch genug, um nicht in Armut leben zu müssen.

Resolut hatte die erst siebzehnjährige Henriette dann der lebensfremden, verwöhnten Mutter alles abgenommen, auch die Erziehung der beiden jüngeren Geschwister. Die Mutter konnte den Verlust des Besitzes, den Tod des Mannes nicht verwinden. Sie starb, als Henriette zwanzig war.

Ohne lange zu überlegen, hatte sie den doppelt so alten Großkaufmann Haldan de Bloom geheiratet, einen Dänen, der auch für ihren Bruder Rasmus und ihre Schwester Freda sorgte. Sie hatte es nicht bereut. Es ging besser, als sie geglaubt hatte, und als sie ihrem Mann den Sohn Marian schenkte, beherrschte sie ihn völlig. Dies alles wusste Dr. Norden nicht von ihr. Marian de Bloom hatte es ihm erzählt, als seine Frau starb. Da war seine Tochter Bianca zehn Jahre alt, und Marian de Bloom sagte, welch ein Glück es sei für das Kind, dass seine Mutter schon immer bei ihnen gelebt hätte.

So lange kannte Dr. Norden diese Familie. Marian de Bloom war Wissenschaftler. Er hatte eine Berufung als Professor nach München bekommen. Sie lebten in einer alten schönen Villa, zurückgezogen und durchaus nicht hochherrschaftlich. Aus Erfahrung klug geworden, hatte Henriette immer für Notzeiten gespart und über den zweiten Krieg hinweggerettet, was ihnen auch weiterhin ein Leben ohne materielle Nöte gestatten sollte.

Ihre beiden Geschwister waren längst gestorben. Dass ihr einziger Sohn einen Beruf ergriff, der seinen Neigungen entsprach, hatte sie gelassen hingenommen, und dass ihre Schwiegertochter Edda eine ansehnliche Mitgift in die Ehe einbrachte, hatte sie damit versöhnt, dass sie so labil wie ihre eigene Mutter war. Dass sie nur einer Tochter das Leben schenkte und dann kraftlos dahinkränkelte, verzieh ihr die so kraftvolle Henriette auch, da Bianca dann ihr so ähnlich wurde. Sie sah sich selbst in ihr wiedergeboren.

Ob dies nun wirklich ein Glück für das Mädchen Bianca war, wagte Dr. Norden zu bezweifeln, da er Bianca nun bereits neun Jahre kannte und sie heranwachsen sehen konnte, mochte es auch von Vorteil für dieses Mädchen sein, eine so dynamische Großmutter zu haben, anstelle einer ewig dem Verlorenen nachjammernde.

Obgleich Henriette de Bloom nun fast achtzig Jahre alt war, konnte man sie noch immer als eine schöne Frau bezeichnen. Sie hatte alle Höhen und Tiefen ihres Lebens bewältigt, nicht verzagt, und auch die Schicksalsschläge mit Würde ertragen.

Sie hatte auch keine Angst vor dem Tode. Oft hatte sie das zu Dr. Norden gesagt. Sie wollte ihr Haus nur wohlbestellt wissen, denn auch dieses Haus betrachtete sie als das ihre.

Dr. Norden sah sie an diesem Tage zum ersten Mal richtig leiden. Ihre Augen waren tief umschattet und ihr Blick weltenfern.

»Es geht zu Ende, lieber Dr. Norden«, sagte sie mit ungewöhnlich sanfter Stimme. »Ich möchte, dass Bianca zurückkommt, so bald wie möglich, nicht erst in einer Woche. Ich möchte sie noch einmal sehen.«

Bianca weilte seit drei Wochen bei der Familie von Henriettes verstorbenem Bruder Rasmus, der sich in der neuen Heimat nur Halden genannt hatte und nicht mehr Baron von Halden. Er hatte eine tüchtige Farmerstochter geheiratet, und da etwas von der Großgrundbesitzersart in ihm verwurzelt war, hatte er es weit gebracht. Ihm war allerdings auch nur ein Sohn geschenkt worden, aber mit drei Enkeln war er reicher gesegnet.

Vor zehn Jahren hatte Henriette ihren Bruder und seine Familie noch besuchen können, und sie konnte sich freuen, dass es ihnen gutging. Freda war unverheiratet gestorben, schon sehr früh und genauso kraftlos, wie es die Mutter gewesen war.

Dann aber war ihre Schwiegertochter gestorben. Henriette musste für Bianca sorgen. Sie wollte sich nicht von ihrem Sohn und der Enkeltochter trennen, und einen weiten Flug wollte sie auch nicht mehr wagen. Aber nachdem Bianca ein so gutes Abitur gemacht hatte, war sie dann doch einverstanden gewesen, dass das Mädchen die Verwandten in Amerika besuchte. Dr. Norden hatte auch schon ein gutes Wort eingelegt.

Als Henriette de Bloom so entsagungsvolle Worte ausgesprochen hatte, kam ihm zuerst der flüchtige Gedanke, dass sie einfach nur Sehnsucht nach Bianca hatte, aber dann sagte Henriette einiges mehr, was ihn in tiefe Bestürzung geraten ließ.

»Es wird etwas passieren«, murmelte die alte Dame. »Bibi darf nicht erst nächste Woche fliegen. Mein Sohn wird mir das ausreden wollen. Er belächelt meine Ahnungen. Sie müssen mir helfen, Dr. Norden. Dem Kind darf nichts geschehen. Denken Sie nicht, dass ich eine alte Egoistin bin, schon recht spinnös, und dass ich es dem Kind nicht gönne, schöne Tage zu erleben. Ich bin des Kampfes müde. Ich möchte Bibi noch einmal sehen, lebend wiedersehen.« Sie deutete auf das Telefon. »Bitte, rufen Sie an. Jetzt ist da noch Vormittag. Tun Sie mir diesen Gefallen.«

»Warum rufen Sie nicht selbst an, gnädige Frau?«, fragte Dr. Norden.

»Ich kann nicht. Ich würde weinen oder dummes Zeug reden, all das, was mir durch den Sinn geht. Bibi darf nicht am nächsten Donnerstag fliegen. Sie werden sich daran erinnern, was ich jetzt sage und mich dann verstehen. Ich werde am nächsten Donnerstag nicht mehr leben.«

Ein eisiges Frösteln kroch über Daniel Nordens Rücken. Dann griff er zum Telefon und wählte die lange Durchwahlnummer.

»Hello«, sagte dann eine helle Mädchenstimme.

Er brachte sein Anliegen in englischer Sprache vor, ganz deutlich.

»Oh, Dr. Norden, hier ist Cindy. Bibi hat viel von Ihnen erzählt«, tönte es an sein Ohr.

»Kann ich sie sprechen?«, fragte er.

»Sie ist gerade mit Jerry zum Fischen gefahren. Ist was los?«

»Die Granny ist krank. Bianca möchte mich bitte anrufen«, sagte er.

»Okay, aber wir möchten gern, dass sie noch länger bleibt.«

»Sie kann doch mal wieder zu Ihnen kommen«, sagte er.

»Ist es schlimm?«, fragte Cindy Halden.

»Ich denke ja.«

Cindy Halden war reizend, sechzehn Jahre jung und ein richtiger lustiger Teenager. Aber jetzt war ihr sommersprossiges Gesicht überschattet.

»Mummy, die Granny scheint wirklich krank zu sein«, sagte sie leise zu ihrer Mutter. »Dr. Norden hat angerufen.«

Dolly Halden runzelte die Stirn. »Ich weiß nicht, was ich denken soll. Bibi fühlt sich bei uns wohl. Vielleicht hat die Granny Angst, dass sie gern noch länger bleiben würde.«

»Aber dann hätte doch nicht der Doc angerufen, Mummy«, sagte Cindy. »Die Granny ist doch schon sehr alt. Vielleicht kommt Bibi zu uns, wenn sie nicht mehr lebt. Wir verstehen uns doch so gut.«

Ja, sie verstanden sich, und vor allem mit Jerry, der nur ein paar Monate jünger war als Bianca, verstand sich Bibi besonders gut, denn er war ein sehr ernsthafter Junge und ihr ähnlich wie ein Zwillingsbruder, während Ron und Cindy nach der Mutter geraten waren mit ihren rostbraunen Haaren und den Sommersprossen.

Sie brauchten gar nicht miteinander zu reden, wie jetzt beim Fischen. Sie verstanden sich auch so, wenn sie mal einen Blick tauschten.

Aber dann fragte Jerry: »Kannst du nicht länger bleiben, Bibi? Es gefällt dir doch bei uns.«

»Ja, es gefällt mir sehr, Jerry. Ich hätte gern Geschwister gehabt, aber Granny wäre sehr traurig, wenn ich noch länger bleiben würde. Aber ich komme gern wieder. Und wenn du das College hinter dir hast, kannst du ja auch mal nach München kommen. Ihr alle! Habt ihr denn dazu nicht auch Lust?«

»Dad lässt die Farm doch nicht im Stich. Für ihn ist das seine Heimat. Er denkt nicht mehr daran, dass Großvater mal aus Europa eingewandert ist. Hat deine Granny dir eigentlich viel von früher erzählt?«

»Nein, nicht so viel. Es sei besser, nicht zurückzudenken, wenn man die Gegenwart bewältigen muss, hat sie gesagt. Aber schöne Geschichten hat sie mir erzählt, keine Märchen, wie sie in Büchern stehen. Da war sicher schon viel Erinnerung dabei. Wenn sie nur nicht so abergläubisch wäre. Das hat mir manchmal schon ein bisschen Angst gemacht.«

»Inwiefern?«, fragte Jerry.

Bianca hob lauschend den Kopf. »Hörst du die Unke rufen?«, fragte sie nachdenklich. »Wenn man es so deutlich hört, wird jemand krank, das hat Granny gesagt, und wenn drei Krähen um ein Haus fliegen und dreimal krächzen, dann stirbt jemand. Und was man in den zwölf Nächten träumt, geht in Erfüllung. Granny glaubt das ganz fest.«

»In welchen zwölf Nächten?«, fragte Jerry.

»Zwischen dem Heiligen Abend und den Heiligen drei Königen.«

»Ich träume nie«, sagte er.

»Jeder Mensch träumt, man merkt es sich nur meistens nicht«, sagte sie gedankenvoll.

»Hast du dir schon mal gemerkt, was du in den zwölf Nächten geträumt hast?«, fragte er neckend.

»Doch, einen Traum habe ich mir gemerkt.« Sie lachte leise. »Wir waren beim Fischen, und du hast einen ganz großen Fisch gefangen.«

»Pssst«, zischte er, »ich glaube, es beißt einer an.«

Und dann zog er einen großen Fisch an Land. »Solche Träume lasse ich mir gefallen, wenn sie in Erfüllung gehen«, sagte er lachend.

Aber Bianca lachte nicht. »Und dann musste ich ganz schnell nach Hause«, sagte sie bebend. »Granny ist krank. Ja, das habe ich dann auch geträumt.«

Und Jerry sagte gar nichts mehr, als sie das erfuhren. Schon am nächsten Tag brachten sie Bianca zum Airport. Sie war genauso traurig wie die Zurückbleibenden, aber sie dachte an ihre Granny. Wenn Dr. Norden sagte, dass er sich große Sorgen mache, dann stimmte das auch.

»Wir werden uns sicher bald in München wiedersehen«, hatte sie leise beim Abschied gesagt. »Ihr werdet doch kommen? Ich habe euch alle sehr lieb.«

*

Bianca hatte sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Seltsamerweise versuchte sie sich jetzt an frühere Träume zu erinnern, aber es waren nur schemenhafte Erinnerungen. Vielleicht bildete sie sich das jetzt auch nur alles ein. Aber an die Geschichten, die ihr die Granny erzählt hatte, konnte sie sich genau erinnern.

Bianca merkte nicht, dass sie von einem Mann beobachtet wurde, der durch den schmalen Gang von ihrem Platz getrennt saß.

Er hatte ein tiefgebräuntes Gesicht und kurzgeschnittenes dunkles Haar, aber helle Augen. Er hatte die Knie hochgezogen und darauf einen Block, auf dem er Notizen gemacht hatte, aber dann schlug er das Blatt um und machte eine Skizze. Ein Mädchengesicht mit geschlossenen Augen.

Aber plötzlich riss ihn ein leises Stöhnen empor. »Granny!«, schrie Bianca leise auf. Kerzengerade hatte sie sich aufgerichtet. Aber die Stewardess war früher bei ihr als dieser junge Mann.

»Fehlt Ihnen etwas?«, fragte die Stewardess.

Abwesend starrte Bianca sie an. »Die Maschine stürzt nicht ab«, murmelte sie. »Ich muss zu meiner Granny.«

»Es ist alles in Ordnung, Miss de Bloom«, erwiderte die Stewardess, und der dunkelhaarige junge Mann notierte mechanisch diesen Namen.

»In einer Viertelstunde landen wir in London, Miss de Bloom«, sagte die Stewardess.

»Ich muss doch nach München«, sagte Bianca tonlos.

»Die Maschine fliegt bald weiter. Wir werden keine Verspätung haben«, erklärte die Stewardess höflich.

Die Maschine war gelandet. Der junge Mann musste sie verlassen. Er wurde in London erwartet. Er blieb sekundenlang stehen und wollte etwas zu Bianca sagen, aber ihre Augen waren wieder geschlossen.

»Sir Carliss, bitte«, sagte die Stewardess, »Sie werden erwartet.«

Er wusste es ja, aber liebend gern wäre er jetzt nach München weitergeflogen. Aber aus zwingenden Gründen musste er solche Wünsche zurückstellen. Auch ihn hatte ein tragisches Ereignis aus den Staaten zurückgerufen, das Probleme für ihn mit sich brachte, denen er gern ausgewichen wäre.

Er wurde von einer Dame im dunkelgrauen Kostüm erwartet. Sein Gesicht hellte sich auf.

»Schön, dich zuerst zu sehen, Ann«, sagte er. »Wie geht es Mortimer?«

»Sehr schlecht. Du kommst vielleicht schon zu spät. Er wollte dich noch sprechen.«

Seine Wangenmuskeln zuckten. »Du erwartest wohl nicht, dass ich tiefe Trauer heuchele? Seine Raserei, seine Eskapaden mussten ja mal zu einer Katastrophe führen.«

»Delia versinkt in einem Meer von Tränen«, sagte Lady Ann Carliss sarkastisch.

»Hoffentlich nicht auch in einem Meer von Schulden«, sagte er düster. »Wie ist es überhaupt passiert?«

»Er musste sich diesmal als Kunstflieger produzieren. Es hat nicht geklappt. Aber nun wirst du der nächste Earl of Barnlay sein, Steven.«

»Worauf ich dankend verzichten kann.«

»Du wirst nicht umhin können«, sagte sie leise.

»Liebe Tante Ann«, begann er betont, aber sie winkte sogleich ab. »Deswegen brauchst du jetzt nicht Tante zu mir zu sagen, Steven. Ich zerfließe auch nicht in Schmerz, aber ich möchte dich gleich vorwarnen, Delia erwartet dich sehnsüchtig.«

»Damit ich sie aus ihrem Tränenmeer errette?«, fragte Steven ironisch. »Du wirst das doch nicht von mir verlangen, zauberhafteste aller Tanten?«

»Sie erwartet es, davon bin ich überzeugt. Und du warst einmal sehr verliebt in sie.«

»Da war ich zwanzig, und das ist acht Jahre her. Sie spekulierte auf den Earl of Barnlay, und sie hat ihn bekommen. Und mein großer Bruder hatte nie viel für mich übrig.«

»Du für ihn auch nicht, Steven.«

»Zugegeben, und ich bin heilfroh, dass ich Delia beizeiten durchschaut habe. Man kann eine törichte Jugendeselei manchmal ein Leben lang bereuen. Können wir nicht erst noch miteinander reden?«

»Das können wir im Wagen. Ich bin allein gekommen.«

»Du traust dir auch allerhand zu bei dem Verkehr.«

Er sprach erst wieder, als sie den schlimmsten Verkehr hinter sich hatten.

»Mal was anderes, Ann, sagt dir der Name de Bloom etwas?«

»Aber ja, Professor Marian de Bloom, Kunsthistoriker ersten Ranges. Hast du Verbindungen zu ihm angeknüpft?«, fragte sie erstaunt.

»Bisher noch nicht, aber das werde ich versuchen«, erwiderte er ausweichend.

»Soll das bedeuten, dass du von der Technik zur Kunst wechseln willst?«

Er überlegte schnell. Er wollte nichts von dem bezaubernden Mädchen sagen.

»Wir arbeiten ja auch daran, wie man künftig Kunstwerke mehr vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen kann«, gab er dann zur Antwort.

»Wird auch höchste Zeit, dass die technische Entwicklung mal positiv genutzt wird«, meinte sie.

»Aber wie zu Urvaters Zeiten willst du doch auch nicht leben.«

»Man braucht nichts zu übertreiben, Steven, siehe Mortimer. Ein Vermögen hat er investiert in Autos und Flugzeuge, Boote und Motorräder. Ich fürchte, wir werden vor einem Schuldenberg stehen.«

»Du doch nicht, Ann.«

»Denkst du, ich lasse dich im Stich?«

»Ja, das wirst du, damit Delia von ihrem hohen Ross herabsteigen muss.«

»Nun ja, darüber werden wir noch reden müssen, Steven.«

Er war mit seinen Gedanken ganz woanders. »Kennst du de Bloom persönlich?«, fragte er.

»Nein, aber ich habe schon mal einen Vortrag von ihm gehört. Sehr interessant, ein guter Typ. Nicht verknöchert.«

»Wie alt?«

»Ungefähr fünfzig vielleicht. Kürzlich habe ich einen Artikel über ihn in einer Zeitschrift gelesen.«

»Hast du den noch?«, fragte er.

»Kann möglich sein. Du bist aber sehr interessiert.«

»Man muss ja nicht immer eingleisig fahren«, erwiderte er doppelsinnig.

*

Die Maschine war in München gelandet. Marian de Bloom holte seine Tochter ab.

»Tut mir leid, Kleines, dass du früher zurückkommen musstest, aber es geht Granny tatsächlich nicht gut. Dr. Norden hat mich informiert.«

Er war ein hochgewachsener Mann mit einem markanten Gesicht und eisgrauen Haaren, nicht ein Gelehrtentyp.

»Hoffentlich erholt sich Granny«, meinte Bianca leise.

»Hattest du eine schöne Zeit?«

»Ja, sehr schön. Wir verstehen uns sehr gut. Sie wollten mich am liebsten dabehalten.«

»Und wärest du gerne geblieben?«

»Auf Granny und dich will ich doch nicht verzichten«, erwiderte sie.

Er wollte jetzt nicht sagen, dass sie auf die Granny wohl bald verzichten mussten.