Verhängnis dunkler Seelen: 5 Romantic Thriller - Ann Murdoch - E-Book

Verhängnis dunkler Seelen: 5 Romantic Thriller E-Book

Ann Murdoch

0,0

Beschreibung

Verhängnis dunkler Seelen: 5 Romantic Thriller von Ann Murdoch, Carol East Vier dramatische Romantic Thriller in einem Band: Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Ann Murdoch. Dieses Buch enthält folgende, auch einzeln lieferbare Romane: Wenn Seelen gequält werden (Carol East) Der Tod lebt ewig (Ann Murdoch) Dunkles Teufelsspiel (Ann Murdoch) Schwarzer Engel (Ann Murdoch) Das verhängnisvolle Tagebuch (Ann Murdoch)

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 682

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Verhängnis dunkler Seelen: 5 Romantic Thriller

Ann Murdoch and Carol East

Published by BEKKERpublishing, 2021.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Verhängnis dunkler Seelen: 5 Romantic Thriller | von Ann Murdoch, Carol East

Copyright

Wenn Seelen gequält werden | von Carol East

Nur der Tod lebt ewig | von Ann Murdoch

Teil 1

Teil 2

Teufelsspiel | von Ann Murdoch

Teil 1

Teil 2

Schwarzer Engel | von Ann Murdoch

Teil 1

Teil 2

Das verhängnisvolle Tagebuch von Ann Murdoch

Teil 1

Teil 2

Further Reading: 1360 Seiten Historical Romance - Sieben Romane in einem Band

Also By Ann Murdoch

Also By Carol East

Verhängnis dunkler Seelen: 5 Romantic Thriller

von Ann Murdoch, Carol East

––––––––

Vier dramatische Romantic Thriller in einem Band: Dunkle Geheimnisse, übernatürliche Bedrohungen, mysteriöse Begebenheiten - und eine Liebe, die sich dem Grauen widersetzt. Darum geht in den packenden romantischen Spannungsromanen von Ann Murdoch.

Dieses Buch enthält folgende, auch einzeln lieferbare Romane:

––––––––

Wenn Seelen gequält werden (Carol East)

Der Tod lebt ewig (Ann Murdoch)

Dunkles Teufelsspiel (Ann Murdoch)

Schwarzer Engel (Ann Murdoch)

Das verhängnisvolle Tagebuch  (Ann Murdoch)

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER FIRUZ ASKIN

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Wenn Seelen gequält werden

von Carol East

Tränen verschleierten ihren Blick. Der frisch aufgeworfene Grabhügel vor ihren Füßen, immer noch bedeckt mit Kränzen, Blumen und Schleifen, auf denen die unterschiedlichsten letzten Grüße standen, erschien dadurch seltsam verschwommen.

Die junge Frau mit den langen, blauschwarzen Haaren, die locker nach hinten herabfielen, schüttelte den Kopf, während die Tränenflut sich noch verstärkte. Dabei hatte sie noch vor Minuten geglaubt, gar keine Tränen mehr zu haben. So sehr hatte sie in den letzten Tagen bereits geweint.

Ihr geliebter Peter lag hier begraben – zumindest das, was nach seinem schlimmen Unfall von ihm übriggeblieben war. Es war so wenig, daß niemand von seinem Leichnam hatte Abschied nehmen können. Nur von seinem Sarg, mit beinahe anonymem Inhalt, weil er nichts mehr mit dem Menschen gemeinsam hatte, der Peter vor seinem Tode gewesen war.

Ein spektakulärer Autounfall, der in allen Zeitungen gestanden und über den auch das Fernsehen ausführlich und immer wieder berichtet hatte. Es hatte den Schmerz der Hinterbliebenen und allen voran den Schmerz der jungen Frau mit dem ungewöhnlichen Namen Cruzia Prunata nur noch verstärkt, bis ins Unerträgliche sogar.

„Warum?“ hörte sie sich stöhnen. „Warum nur?“

Nein, wenn man bei weitem nicht einmal seinen dreißigsten Geburtstag hatte feiern dürfen, war es viel zu früh zu sterben. Und die Ursachen des Unfalls waren noch weitgehend ungeklärt: Peter war niemals ein zu wilder Fahrer gewesen. Er hatte im Gegenteil eher zu den defensiven Fahrern gehört. Und trotzdem war er anscheinend mit weit überhöhter Geschwindigkeit mit seinem Wagen aus einer engen Kurve getragen worden, ausgerechnet in den Bergen. Das Auto war in den Abgrund gerast, hatte sich unterwegs mehrmals überschlagen, um in der schmalen Schlucht schließlich in Flammen aufzugehen und zu detonieren.

Es hatte nur noch gereicht, die sterblichen Überreste immerhin soweit zu identifizieren, daß sie eindeutig Peter Harris zugeordnet werden konnten.

Was sich seine Freundin Cruzia, die sich nach wie vor in Liebe nach ihm verzehrte, allerdings fragte, war: „Was hattest du dort überhaupt zu suchen? Wieso bist du in die Berge gefahren? Wir waren doch verabredet gewesen!“

Er war nicht gekommen zu ihrer Verabredung. Er, der sonst eher überpünktlich gewesen war, hatte sie versetzt. Und sie hatte sogleich geahnt, daß etwas Schreckliches geschehen sein mußte, denn das sah Peter keineswegs ähnlich.

Ja, was hatte ihn gegen Abend in die Berge geführt – mit welchem Ziel? Wieso hatte er niemandem etwas davon gesagt, auch seinen armen Eltern nicht, die genauso fassungslos über den Verlust ihres geliebten Sohnes waren wie Cruzia Prunata über den Verlust ihrer großen Liebe?

Peter konnte darauf keine Antwort mehr geben. Hier lag er nun, als Teil der Ewigkeit, in die er zurückgekehrt war. Nur, um Schmerz und Trauer zu hinterlassen.

Ich muß mich abwenden. Ich kann nicht Tag und Nacht hier am Grab verweilen. Das redete sie sich immer wieder ein. Und doch schaffte sie es einfach nicht, sich davon zu lösen. Es war nicht nur wegen Peter, sondern auch, weil sie vor wenigen Jahren erst ihre Eltern verloren hatte, bei einem ähnlich tragischen Unglück. Sie waren allerdings nicht mit dem Auto tödlich verunglückt, sondern mit dem Flugzeug. Es war das erste und einzige Mal gewesen, daß sie ohne ihre Tochter in Urlaub geflogen waren. Ein Urlaub, aus dem es niemals mehr eine Rückkehr gegeben hatte. Zumindest nicht lebend.

Und jetzt abermals ein solch tragischer Verlust! Peter hatte ihr geholfen, den Schmerz über den Verlust ihrer Eltern endlich zu überwinden, nur, um den Schmerz durch seinen eigenen Tod sogar noch schlimmer zu machen...

Aber sie mußte jetzt wirklich das Grab verlassen. Es nutzte niemandem, wenn sie sich hier auch noch den Tod holte. Es wurde schon merklich kühl, und am Himmel türmten sich drohend schwarze Wolken. Bald würde ein Unwetter losbrechen, dem sie rechtzeitig entgehen sollte.

Doch sie konnte sich einfach nicht von der Stelle rühren. Die Trauer und der Schmerz lähmten sie regelrecht.

Sie weinte und sah keinen Grund darin, die Tränen wegzuwischen. Außerdem hatte sie sowieso gar nicht mehr die Kraft dazu.

In diesem Moment hörte sie ein fernes Rufen. Sie konnte es nicht verstehen. Dafür klang es zu verzerrt.

Erstaunt hob sie den Kopf. Es war ihr, als würde jemand speziell nach ihr rufen. Wer?

Abermals ertönte dieses Rufen. Sie schaute unwillkürlich in die Richtung, aus der es kam, konnte aber nichts sehen, sondern mußte zuerst die Tränen wegwischen, um ihren Blick klarer zu bekommen.

Es gelang nur zum Teil. Das Bild blieb leicht verschwommen. Der Friedhof sah aus, als wäre er nicht von dieser Welt. Eine unheimliche Atmosphäre hatte sich ausgebreitet, noch unterstützt von dem seltsamen Licht, das die schwarzen Gewitterwolken verursachten, die sich immer drohender am Himmel auftürmten.

Und da sah sie jemanden. Er war zu weit entfernt, um ihn erkennen zu können, obwohl sich Cruzia redlich bemühte, ihre Augen trockener zu wischen. Diese waren inzwischen so aufgequollen und entzündet, daß sie vergeblich versuchte, ihren Blick noch klarer zu bekommen.

Jetzt winkte der Rufer ihr zu.

„Peter!“ entfuhr es ihr entgeistert. Ja, er sah tatsächlich so aus – bei dem, was sie erkennen konnte. Und er winkte abermals und rief ihr etwas zu, was sie zwar hören, aber nicht verstehen konnte. Als würde der Wind die Worte unterwegs zerfetzen.

„Peter!“ schrie sie unwillkürlich auf. Sie war in diesem Moment felsenfest überzeugt davon, daß nur er das sein konnte. Aber wieso rief er ihr zu und winkte? Wieso kam er nicht herüber zu ihr?

Sie bemerkte es kaum, daß sie sich in Bewegung setzte, erst mit staksigen Schritten, dann immer sicherer und vor allem immer schneller.

Der Fremde, den sie eindeutig als Peter identifizierte, winkte stärker und bemühte sich auch weiterhin, ihr etwas zuzurufen, was sie nach wie vor leider nicht verstehen konnte.

Sie rannte und rannte. Ihren verschleierten Blick ließ sie dabei unverrückbar auf den Fremden geheftet. Dieser schien jetzt freudig zu lachen. Freute er sich, daß sie zu ihm gerannt kam, wie er es sich erhofft hatte?

„Cruzia!“ verstand sie jetzt. Und es war ganz eindeutig die Stimme von Peter, wenn auch seltsam verzerrt, als würde sie nicht von dieser Welt kommen.

Nur noch vielleicht zehn Meter.

Da stand Peter Harris. Er hatte aufgehört zu winken und auch aufgehört zu rufen. Er stand nur so da und lachte ihr entgegen. Gerade so, als wären sie verabredet und als würde sie jetzt endlich zu dieser Verabredung geeilt kommen. Er freute sich über das Wiedersehen, genauso wie sich Cruzia freute, dabei erfolgreich verdrängend, daß sie vorhin doch noch an seinem Grab gestanden hatte.

„Peter!“ rief sie voller Vorfreude.

Und da trat er einfach nur einen einzigen Schritt zur Seite – und verschwand!

Keine Sekunde später war Cruzia an der Stelle, an der er soeben noch gestanden hatte. Da war ein hohes Gebüsch. Sie schaute dahinter. Wieso spielte er Verstecken mit ihr? Was sollte das? Wo sie sich doch schon so darauf freute, ihn in ihre Arme zu schließen und seine Lippen auf ihrem Mund zu spüren, zum innigen Begrüßungskuß?

Aber auch hinter dem Gebüsch war er nicht mehr.

Sie suchte die ganze nähere Umgebung ab, doch sie war offensichtlich allein auf dem Friedhof.

Der erste Blitz zuckte nieder, dicht gefolgt von einem solchen Regen, als würde man volle Wassereimer über ihr auskippen.

Peter blieb verschwunden, und ihre Tränen vermischten sich mit dem Regen, der im Nu ihre Kleider bis auf die Haut durchnäßte. Sie spürte das gar nicht. Sie fror noch nicht einmal, obwohl es dafür nun wirklich kalt genug geworden war.

Der Regen brachte noch mehr Kälte mit sich, die ihr aber seltsamerweise nichts anhaben konnte.

Sie schaute zurück, in Richtung des frischen Grabes.

Nein, sie hatte sich nur etwas vorgemacht, oder ihre Sinne hatten ihr einen üblen Streich gespielt. Peter war tot, unwiderruflich tot. Er konnte nicht hier herumlaufen und ihr zuwinken und zurufen. Das war ganz einfach unmöglich.

Langsam und in gebückter Haltung ging sie zum Grab zurück.

Der Regen übergoß sie, ohne daß es ihr gewahr wurde.

„Peter!“ murmelte sie immer wieder vor sich hin.

*

Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie nun schon wieder am Grab ihres geliebten Peter stand, vom strömenden Regen übergossen. Die Kälte hatte es geschafft, all ihre Gegenwehr zu überwinden. Sie zitterte jetzt am ganzen Körper. Und dennoch blieb sie hier.

„Cruzia?“, hörte sie eine Stimme rufen.

Schon wieder? Sie wirbelte herum.

„Peter!“ rief sie unwillkürlich. War er jetzt wieder da? Ja, er mußte es gewesen sein. Alles war nur ein schrecklicher Irrtum. Peter lebte. Die Identifizierung der Leichenreste wies einen Fehler auf. Aber warum hatte er sie tagelang in diesem schrecklichen Schmerz gehalten?

„Peter?“ Sie konnte niemanden sehen.

Mit dem nassen Ärmel wischte sie sich über die Augen, Aber dadurch wurde es auch nicht besser.

Blitze zerfaserten den Himmel und warfen ein gespenstisches Irrlichtern über die Szene am Grab.

Sie sah den hochaufgewachsenen Schatten.

War es denn inzwischen dunkel geworden? Hatte sie denn so sehr die Zeit vergessen?

„Um Gottes Willen, Cruzia, du holst dir hier noch den Tod!“, sagte der Schatten besorgt. „Du mußt schleunigst ins Warme und deine durchnäßte Kleidung wechseln. Bist du denn völlig von Sinnen, hier herumzustehen, im strömenden Regen?“

Die Stimme war nicht die von Peter. Es war eine andere Stimme. Irgendwie kam sie ihr bekannt vor. Dennoch: Wer war der Mann? Sie konnte sich einfach an nichts mehr erinnern.

Nicht Peter?

Sie schluchzte auf, wie wild. Im nächsten Augenblick hatte sie das Gefühl, jemand würde ihr die Beine unter dem Körper wegreißen. Sie wäre hingestürzt, hätten sie nicht zwei kräftige Arme aufgefangen.

„Cruzia, was, um alles in der Welt, ist los mit dir? Du darfst dich doch nicht selbst vergessen. Das macht doch alles nur noch viel schlimmer. Mit dir haben wir eine Tochter gewonnen, wie wir uns keine bessere wünschen könnten. Sollen wir jetzt nach unserem geliebten Sohn auch noch dich verlieren?“

Der Vater von Peter: Jetzt erinnerte sie sich. Endlich!

Die Welt drehte sich um sie, immer schneller werdend. Sie wußte nicht mehr, wo oben und unten war und war dabei unendlich dankbar dafür, daß Peters Vater sie auf seinen starken Armen trug.

Überhaupt hatte Peter viel von seinem Vater geerbt. Vor allem dessen Stärke. Ein hochgewachsener, stolzer Mann, dem man kaum das fortgeschrittene Alter ansah. Aber auch Peters Mutter war für ihr Alter ungewöhnlich vital und wirkte eher wie ihre eigene Tochter. Als Cruzia die Eltern von Peter zum ersten Mal gesehen hatte, war sie sehr erstaunt darüber gewesen. Sie hätte die beiden auf Anhieb eher für Peters Geschwister gehalten. Allerdings hatte Peter sie schon vorher darauf vorbereitet, daß er gar keine Geschwister hatte. Er war ein Einzelkind.

Das sollten seine Eltern sein? Was hatten sie getan, um sich so jung und dabei so fit zu erhalten? Sie sahen ja gerade so aus, als könnten sie gar nicht altern. Obwohl das natürlich Unsinn war. Wahrscheinlich waren sie nur günstig veranlagt. Das sollte es ja immer wieder geben.

„Bitte“, ächzte sie, „Sie - Sie können mich ruhig wieder herunterlassen. Ich – ich... Mir geht es jetzt gleich wieder besser.“

„Keine Chance!“ blieb Peters Vater streng. „Ich trage dich jetzt bis zu meinem Auto. Ich lasse es nicht zu, daß du länger hier am Grab meines Sohnes schmachtest. Das macht ihn auch nicht wieder lebendig. Wie gesagt: Schlimm genug allein schon, daß wir ihn verloren haben. Jetzt wird es Zeit, daß ich mich einmal um dich kümmere, Cruzia.“ Es klang irgendwie seltsam. Als wäre er nicht der Vater von Peter, sondern... wie ihr eigener Vater. Aber der war doch schon so viele Jahre tot. Sie war auch ein Einzelkind gewesen, und mit dem Tod ihrer Eltern war sie ganz allein zurückgeblieben.

Sie hatte allerdings niemals aufgegeben. Vor allem sich selber nicht. Sie hatte alles getan, um ihren toten Eltern auch weiterhin eine gute Tochter zu bleiben, überzeugt davon, daß diese von irgendwoher in der Lage waren, ihren weiteren Weg durch das Leben zu verfolgen. Sie sollten dort, an jenem jenseitigen Ort, stolz auf ihre einzige Tochter bleiben dürfen.

„Komm zu dir, Cruzia!“ Es klang eindringlich, wie Peters Vater ihr zusprach, während er sie auf seinen starken und anscheinend nimmermüden Armen in Richtung Parkplatz trug. „Peter hätte niemals gewollt, daß du dich dermaßen selbst aufgibst, um ihm viel zu früh in das eiskalte Grab zu folgen. Du weißt, daß er über dich wacht, von jenem jenseitigen Ort aus, gemeinsam mit deinen Eltern. Du wolltest immer, daß sie stolz auf dich sein können. Wären sie denn stolz, wenn sie sehen würden, wie sehr du dich aufgibst?“

Als hätte er ihre Gedanken gelesen... Aber nein, das war ja unmöglich. Und er hatte auch noch recht, unbestreitbar.

Sie hätte ihm gern widersprochen, aber es fiel ihr nichts ein, kein noch so lahmes Gegenargument. Weil er eben im Grunde genommen recht hatte. Deshalb blieb sie lieber stumm.

Er redete weiter: „Cruzia, du hast deine Eltern verloren, schon vor Jahren – und wir haben unser einziges Kind verloren. Aber jetzt bist du da. Bitte, wir wollen dich nicht bedrängen, sondern nur unterstützen, soweit du es zuläßt. Es hilft uns, meiner Frau und mir, über den grausamen Schmerz hinwegzukommen, den der Verlust unseres geliebten Sohnes für uns bedeutet. Und es wird sicherlich auch dir helfen. Davon sind wir völlig überzeugt.“

„Bitte, Mister Harris, lassen Sie mich herunter!“ flehte sie. „Ich bin wirklich in der Lage, wieder auf meinen eigenen Beinen zu stehen.“

„Nur unter einer Bedingung!“ entgegnete er freundlich.

„Bedingung?“

Er lachte leise.

„Ja, nämlich unter der Bedingung, daß du aufhörst, mich Mister Harris zu nennen. Hatten wir denn nicht vereinbart, daß ich für dich Samuel heiße? Du kannst mich auch abgekürzt Sam nennen, wie alle meine Freunde. Und meine Frau ist für dich Carla und nicht mehr Mrs. Harris.“

„Entschuldigung, ja, ich – ich hatte es vergessen.“

„Ist ja schon gut“, lachte er und entsprach endlich ihrem Flehen, indem er sie jetzt tatsächlich auf ihre eigenen Beine stellte. Das tat er mit einer Leichtigkeit, als würde Cruzia überhaupt nichts wiegen.

Sie blinzelte verwirrt, was ihr zumindest ein wenig half, wieder klarer zu sehen.

Seltsam, diese Kälte war wie weggeblasen. Sie spürte durchaus noch, wie kalt es war und daß ihre Kleidung völlig durchnäßt war, als hätte sie darin gebadet, aber es machte ihr nichts mehr aus. Neue Wärme durchströmte sie und gab ihr auch wieder mehr Kraft.

Die freundliche Zuwendung von Samuel Harris bewirkte wahre Wunder bei ihr.

Dankbar lächelte sie ihn an, wie er da groß und stark vor ihr stand. Sie mußte den Kopf in den Nacken legen, um sein Gesicht zu sehen.

Das diffuse Licht der vom Dunst umschleierten Parkplatzbeleuchtung, das immer wieder von zuckenden Blitzen aufgehellt wurde, ließ dieses Gesicht beinahe gespenstisch wirken, doch gleichzeitig lag in ihm ein freundliches Lächeln, das den gespenstischen Eindruck gleich wieder wettmachte.

„Vielen Dank!“ sagte sie artig.

„Wofür?“

„Für alles!“

„Gern geschehen, Cruzia. Vergiß nie, Carla, meine Frau und auch ich, wir sind uneingeschränkt für dich da. Als wärst du unsere leibliche Tochter. Bitte nicht falsch verstehen. Du bist nicht unser Ersatz für den verlorenen Sohn. Du bist mehr, viel mehr – nämlich etwas sehr Wichtiges, das zu erhalten von immenser Bedeutung ist. Wir würden wirklich alles für dich tun. Dazu sind wir bereit – und dazu waren wir auch schon bereit, als unser Peter noch lebte. Ja, vergiß das nie!“

Sicherlich freundlich gemeinte Worte, die ihr helfen sollten, sich wieder zu fangen, aber Cruzia mußte zugeben, daß sie dennoch recht eigenartig klangen.

Sie lauschte diesen Worten nach, konnte aber auch im Nachhinein darüber hinaus nur Ehrlichkeit und Offenheit darin erkennen. Obwohl eben die Wortwahl so eigenartig anmutete, war es ganz gewiß genauso gemeint, wie Samuel Harris es ausgesprochen hatte. Und er schien außerdem vorher mit seiner Frau darüber gesprochen zu haben. Da er nicht wie ein typischer Macho erschien und im Gegenteil seine Frau über alles verehrte, wie Cruzia wußte, durfte sie fest davon ausgehen, daß er niemals in ihrem Namen gesprochen, wenn sie davon nichts gewußt hätte.

Er deutete zur Seite.

„Es ist nicht mehr weit, Cruzia. Ich schlage vor, ich nehme dich mit meinem Wagen mit. In deinem Zustand wäre es nicht klug, wenn du deinen eigenen Wagen nehmen würdest. Der kann ja ruhig hier stehenbleiben. Es wird sicherlich nichts dran kommen, nicht wahr?“ Er lachte ein offenes und sehr sympathisches Lachen.

Cruzia versuchte, ebenfalls zu lachen, aber es mißlang kläglich. Dazu war sie noch lange nicht fähig, obwohl Samuel Harris es geschafft hatte, sie entscheidend aufzuheitern.

Wie in Trance blieb sie an seiner Seite, als er gemeinsam mit ihr zu seinem Wagen schritt. Unterwegs überlegte sie, ob sie ihm das Erlebnis auf dem Friedhof schildern sollte, als sie fest geglaubt hatte, Peter würde nach ihr rufen und sogar nach ihr winken. Und daß Peter von einer Sekunde zur anderen plötzlich wieder verschwunden war.

Sie entschied sich dagegen, weil sie befürchtete, Samuel Harris hätte sie ansonsten vielleicht für verrückt gehalten.

Anders konnte es sowieso nicht sein: Sie mußte sich dies alles eingebildet haben. Ihre überreizten Sinne hatten ihr einen Streich gespielt. Sie hatte ja auch noch an den Verlust ihrer Eltern denken müssen, als sie so am Grab gestanden hatte. Das war alles viel zuviel für sie gewesen. Da mußte auch der gesündeste Mensch Halluzinationen bekommen.

Obwohl sie irgendwie nicht so ganz daran glauben mochte – an ihre Halluzinationen.

Weil sie nach wie vor hoffte, alles würde sich als großer Irrtum erweisen und Peter lebte in Wirklichkeit noch?

Das war zwar völlig widersinnig, um nicht zu sagen: irrsinnig, aber der Schmerz schürte diese unheilvolle Hoffnung – und sie war nicht in der Lage, sich dagegen zu wehren.

*

Als sie in das Auto von Sam einstieg, fiel ihr etwas auf, trotz ihres elenden Zustandes, in dem sie sich befand: Im Wagen war es ungewöhnlich kalt! Nicht so, als sei Sam vorhin erst damit angekommen, sondern... als würde er schon viel länger hier stehen.

Wie lange eigentlich?

Wieso war Sam überhaupt zu so später Stunde noch hierher gefahren? Etwa ihretwegen?

Und wenn er tatsächlich schon länger hier verweilte: Wieso hatte er sich vorhin erst ihr gezeigt?

Es war ihr zwar unerklärlich, doch sie verkniff es sich, ihn danach zu fragen. Statt dessen kauerte sie sich auf den Beifahrersitz und lehnte das Angebot von Sam, seinen Mantel überzuziehen, kategorisch ab. Dabei gab sie sich ungewöhnlich energisch, obwohl sie nicht gedacht hätte, dazu überhaupt noch fähig zu sein. Aber die seltsamen Gedanken, die ihr ständig kamen, im Zusammenhang mit Sam... Irgendwie hatte sie den Wunsch, auf Distanz zu ihm zu bleiben. Und wenn sie seinen Mantel annahm, dann war diese Distanz gefährdet.

Aber da fiel ihr etwas ein: Wenn er schon länger den Wagen hier abgestellt hatte, war er ja wohl kaum darin sitzengeblieben. Er mußte ihn verlassen haben. Doch dann war sein Mantel genauso durchnäßt wie ihre eigenen Kleider. Er hatte den Mantel angehabt, noch während er sie auf seinen Armen getragen hatte. Dabei hatte sie natürlich nicht darauf geachtet. Das bereute sie jetzt. Und bevor er eingestiegen war, hatte er den Mantel abgelegt, um ihn ihr hinzuhalten.

Jetzt lag er auf dem Rücksitz.

Während Sam den Motor startete und sich anschnallte, betrachtete sie den älteren Mann von der Seite. Wenn sie nicht gewußt hätte, daß er Peters Vater war, hätte sie ihn jetzt für noch jünger gehalten als bei ihrer ersten Begegnung. Das war erst wenige Wochen her. Oft hatte sie Peters Eltern nicht zu Gesicht bekommen. Nur ein paarmal und dabei immer nur recht kurz. Vielleicht einmal auf einen Tee. Irgendwann hatten sie ihr die vertrauliche Anrede angeboten. Sie hatte natürlich angenommen. Schließlich waren sie die Eltern des Mannes, den sie über alles liebte. Doch irgendwie hatte sie sich bis jetzt noch nicht daran gewöhnen können. Es kostete sie Überwindung, so vertraulich mit Sam und seiner Frau umzugehen. Obwohl sie doch so überaus nett zu ihr waren. Sie hatten sie vom ersten Augenblick an voll und ganz akzeptiert. Mehr noch: Es war ihnen offensichtlich eine große Freude gewesen, daß sie ihren Peter gefunden hatte – und dieser sie.

Und wieso fürchtete sie sich jetzt vor Sam?

Ihr Blick glitt tiefer, während der Wagen anfuhr. Die Scheibenwischer bemühten sich, die Wassermassen zu teilen, die auf die Windschutzscheibe niederprasselten und sich dabei alle Mühe gaben, dem Fahrer die Sicht zu nehmen. Er mußte sich dabei sehr konzentrieren. Deshalb fielen ihm die forschenden Blicke seiner Beifahrerin nicht auf.

Er wirkte völlig trocken!

Ihre Augen weiteten sich bei dieser Erkenntnis.

Der Wagen bog vom Parkplatz auf die heller erleuchtete Straße ein. Es war nicht so arg weit von hier bis zum Haus von Peters Eltern. Viel lieber hätte sie es jedoch gehabt, wenn er sie zu ihrer eigenen Wohnung gebracht hätte. Lieber wäre sie jetzt allein als bei den Eltern von Sam. Da war die Beklemmung, die von ihr Besitz ergriffen hatte und sogar noch den Schmerz über den Verlust ihres geliebten Peter überstieg.

Sam war völlig trocken, als hätte er keinen Fuß vor das Auto gesetzt und hätte sich die ganze Zeit über hier drin befunden, um auf sie zu warten.

Aber das war doch nicht möglich. Sie wußte ganz sicher, daß er sie auf seinen Armen hergetragen hatte, bis fast zum Auto.

Ja, er hatte den Mantel angehabt. Jetzt lag dieser auf dem Rücksitz. War es seinetwegen, daß Sam völlig trocken geblieben war? Hatte der Mantel den strömenden Regen abgehalten?

„Ich – ich hätte jetzt doch lieber den Mantel. Mir ist nämlich kalt“, hörte sie ihre eigene Stimme und wunderte sich, daß diese so ruhig klang. Das leichte Zittern darin konnte man noch der Kälte zuordnen, die sie angeblich gepackt hielt. Obwohl diese Kälte ihr in Wirklichkeit überhaupt nichts ausmachte. Sie hatte auch keine Bange, sich durch die Nässe erkältet zu haben, weil sie noch niemals in ihrem Leben krank gewesen war, noch nicht einmal in ihrer Kindheit. Sie konnte sich jedenfalls an keinerlei Krankheit erinnern.

Auch ihre Eltern hatten stets vor Gesundheit gestrotzt.

Wenn sie es recht bedachte: Auch sie hatten für ihr Alter noch ziemlich jung gewirkt. In anderer Weise vielleicht als das Ehepaar Harris, aber doch ähnlich ungewöhnlich.

„Aber ja“, sagte er freundlich, ohne sie dabei anzusehen. Er konzentrierte sich lieber auf die Straße. Bei diesem Unwetter war das sicherlich besser so. „Nimm ihn dir ruhig. Ich habe ihn dir ja angeboten.“

Sie fischte danach. Nicht, weil sie ihn tatsächlich benötigte. Einfach nur deshalb, weil sie unbedingt wissen wollte, ob er außen so naß war, wie er hätte sein müssen. Außerdem wollte sie wissen, ob er wasserdicht verarbeitet war. Es wäre eine Erklärung gewesen, die sie ungemein beruhigt hätte.

Aber als sie den Mantel berührte, wußte sie, daß es für sie keine Beruhigung mehr gab. Jedenfalls nicht in dieser Art. Denn der Mantel war völlig trocken, sowohl außen als auch innen. Als hätte es draußen überhaupt nicht geregnet.

Aber sie konnte es sich doch nicht eingebildet haben?

Natürlich nicht. Schließlich war sie ja selber klitschnaß, und das war ja wohl nicht von allein entstanden. Daran war der strömende Regen draußen schuld, der gar nicht mehr aufhören wollte. Als sei die neue Sintflut angebrochen, um die Stadt und das gesamte Umfeld zu ersäufen.

Sie nahm den Mantel nach vorn und umklammerte ihn mit zitternden Händen. Dabei packte sie so fest zu, daß ihre Knöchel weiß hervortraten.

Was geht hier vor? hämmerte es in ihrem hübschen Kopf. Immer wieder: Was geht hier vor?

Jetzt warf er doch noch einen Seitenblick auf sie.

„Vernünftig von dir, Cruzia. Der Mantel wird dich wärmen. Wirst sehen. Er wird dir guttun.“

Zitternd deckte sie sich damit zu, bis zu den Schultern, obwohl sich gleichzeitig alles in ihr dagegen sträubte. Als sei der Mantel verseucht oder total schmutzig. Er war zwar nichts dergleichen, im Grunde genommen ein ganz normaler Mantel, aber einer, der sich völlig trocken anfühlte - aus dem strömenden Regen kommend.

Alle ihre Gedanken drehten sich nun nur noch um dieses Thema. Es flößte ihr Furcht ein. Aus der anfänglichen Beklemmung wurde Angst, und aus der Angst wurde Panik, die sie mühsam unterdrücken mußte.

Jetzt bloß nicht durchdrehen! redete sie sich ein und schaute seitlich aus dem Fenster, um sich abzulenken.

Trotz des miesen Wetters waren Passanten unterwegs, ungewöhnlich viele Passanten sogar, fand sie. War das denn überhaupt die richtige Richtung, in die sie fuhren?

„Wir sind bald da“, meldete sich Sam zu Wort. Seine freundlich klingende Stimme wollte sie einschmeicheln, doch ihre Panik wurde dadurch in keiner Weise geringer. Am liebsten hätte sie jetzt den Wagenschlag aufgestoßen und wäre in voller Fahrt nach draußen gesprungen.

Schon war ihre Hand am Verschluß des Sicherheitsgurtes. Wenn sie sich jetzt losschnallte, während die andere Hand die Tür aufstieß...

Sie tat es dann doch nicht. Was hätte es gebracht? Sie hätte sich bestimmt böse verletzt. Und dann wäre sie Sam erst recht ausgeliefert gewesen.

Ausgeliefert? Was waren das denn für ketzerische Gedanken, ausgerechnet beim Vater von Peter? Der es überaus gut mit ihr meinte und stets freundlich und zuvorkommend blieb? Er hatte ihr doch nur seine Hilfe angeboten, und sie hatte diese Hilfe angenommen.

Nein, eigentlich hatte er ihr die Hilfe regelrecht aufgedrängt.

„Bitte, fahre mich zu mir nach Hause!“ Endlich hatte sie es geschafft, es auszusprechen.

Sie schaute ihn wieder von der Seite an.

„Aber gern, Cruzia! Das werde ich tun.“

Sie erwischte sich dabei, daß sie erleichtert aufatmete. Hoffentlich merkte er das nicht.

„Erst jedoch fahren wir zu uns nach Hause, Cruzia. Das ist viel näher. Da mußt du unbedingt trockene Sachen anziehen. Sonst wirst doch uns doch noch krank. Das will niemand, du auch nicht. Und dann, wenn du dich endlich aufgewärmt hast, dann fahre ich dich sofort zu dir nach Hause. Sofern du das dann noch willst. Alles so, wie du es dir wünschst, ja, klar.“

Er hält mich nur hin! dachte sie erschrocken.

Aber in einem zumindest hatte er rechtbehalten: Der Mantel wärmte sie. Es schien ihr, als würde er sogar die Nässe regelrecht von ihr wegsaugen. War das nur Einbildung, weil er sie eben wärmte?

Sie schaute wieder nach draußen.

Nicht mehr weit? Wieso waren sie dann noch nicht angekommen? Wäre nur die Sicht besser gewesen. Oder lag es vielmehr an ihren vom Weinen entzündeten Augen, daß sie nicht mehr richtig sehen konnte? Alles erschien verschwommen. Natürlich, der Regen, der seitlich gegen die Scheibe klatschte. Der bewirkte das. Und die Scheibe war auch leicht beschlagen.

Sie hob den Arm und wischte mit dem Ärmel über die Scheibe. Dadurch wurde es ein wenig besser.

Der Wagen wurde langsamer.

Natürlich kannte sie die Straße und auch das Haus, in dem Sam und seine Frau wohnten. Schließlich war sie ein paarmal hier gewesen. Wieso kam ihr jetzt trotzdem alles so fremd vor?

Ich bin einfach nur durchgeknallt, redete sie sich ein. Ist ja kein Wunder. Vor Minuten noch habe ich mir sozusagen die Augen vor den Kopf geweint. Ich sehe gar nicht mehr richtig, so schlimm muß es gewesen sein. Sam hat mich regelrecht gerettet – und ich habe Angst vor ihm? Ach, wie ungerecht bin ich bloß. Er ist so ein guter Mensch. Genauso wie seine Frau. Sie haben Peter verloren, genauso wie ich. Das haben wir gemeinsam. Wir sollten wirklich in unserer gemeinsamen Trauer zusammenhalten und versuchen, uns gegenseitig die nötige Kraft zu geben, damit wir diesem Jammertal endlich wieder entrinnen.

Der Wagen rollte aus, am Straßenrand. Cruzia sah die Passanten. Einer von ihnen wandte ihr unvermittelt das Gesicht zu.

Es war das Gesicht von Peter!

Es wirkte unendlich traurig. Vor allem die Augen. Für Sekundenbruchteile begegneten sich ihre Blicke. Dann hastete Peter davon und entschwand sogleich wieder ihren nacheilenden Blicken.

Sie war wie erstarrt. Anstatt jetzt hinauszuspringen und ihm hinterherzurennen, war sie unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.

Sam schien es nicht zu bemerken.

„Willkommen daheim!“ sagte er in seiner stets netten und überaus sympathischen Art. „Warte, ich steige aus und öffne dir den Wagenschlag, wie es sich gehört.“

Sogleich tat er das.

Cruzia blieb sitzen. Weil sie sowieso nicht in der Lage war, zu öffnen und auszusteigen.

Die Tür wurde von draußen geöffnet. Von Sam. Er beugte sich halb über sie und löste den Gurt.

Sie fühlte sich wie gelähmt. Was war los mit ihr? Dabei wäre sie doch viel lieber dem Mann nachgelaufen, der wie Peter ausgesehen hatte.

Er mußte es gewesen sein! Egal, wie widersinnig dies auch klingen mochte...

Aber wie war er überhaupt hierhergekommen? Sie hatte ihn auf dem Friedhof gesehen. War er denn anschließend zu Fuß bis hierher gelaufen? Woher hatte er überhaupt gewußt, daß sie kommen würde?

Fragen über Fragen, die sie nervten und allen Schmerz zu verdrängen suchten, der zwar nach wie vor blieb, aber nicht mehr ganz so schlimm war.

Dafür quälte sie etwas ganz anderes, nämlich am Ende die alles entscheidende Frage:

Bin ich denn... verrückt geworden vor Kummer? Fängt so der Wahnsinn an?

Sie hörte wie aus weiter Ferne eine Stimme. Es war die Stimme von Sam. Er half ihr, auszusteigen.

Als dies geschehen war, schlug er die Tür wieder zu.

Sie stand auf dem Bürgersteig. Weit und breit war niemand zu sehen. Alles glänzte klitschnaß, aber es hatte aufgehört zu regnen. Schon länger oder jetzt eben erst?

Sie vermochte es nicht zu sagen.

Wo war eigentlich der Mantel geblieben, mit dem sie sich zugedeckt hatte?

Es war ihr auf einmal völlig egal.

Willenlos ließ sie sich am Arm hinüberführen zum Haus der Harris.

Carla Harris würde sicher schon auf sie warten. Vielleicht hatte sie ihren besonderen Tee schon bereitet? Selten in ihrem Leben hatte Cruzia Tee trinken dürfen, der ihr dermaßen gut geschmeckt hatte...

Und vielleicht gab es sogar etwas Gutes zu essen? Irgendwie spürte Carla nämlich Hunger in sich aufsteigen, so mächtig, wie sie es eigentlich noch nie zuvor erlebt hatte. Als könnte sie den sprichwörtlichen Ochsen verschlingen.

Es wunderte sie allerdings nicht, weil sie gar nichts mehr wunderte. Auch die Angst war wie weggeblasen und hatte statt dessen einer ungewohnten Leere Platz gemacht.

Dennoch versuchte sie, sich jetzt auf Peters Mutter Carla zu freuen. Diese war wahrlich herzallerliebst. Man konnte sich keine bessere Mutter wünschen. Ach, wie gut, daß sie, Cruzia, eine solche Mutter gefunden hatte. Ja, ja, das war gut, sogar sehr gut...

*

Die Haustür öffnete sich und verschlang Cruzia wie das Maul eines gewaltigen Untiers. Der verklärte Ausdruck in ihrem Gesicht blieb, und er wurde ihr nicht bewußt. Ihre Haut kribbelte, als würde sie sich in einem elektrischen Feld befinden, auf das sie reagierte. Die Nässe ihrer Kleidung war vergessen, genauso wie die Kälte. Es war ihr, als würde eine unbestimmbare Melodie in der Luft liegen, die sie einlullte und gegen die es keine Gegenwehr gab. Obwohl: Warum sollte sie sich denn überhaupt dagegen wehren? Es war alles so angenehm, weil unkompliziert.

„Willkommen daheim!“ wiederholte Sam an ihrer Seite fröhlich und ging mit ihr den kurzen Flur mit der Garderobe entlang.

Die Tür zur Wohnstube öffnete sich. Cruzia sah Peters Mutter Carla. Sie lächelte ihr entgegen und breitete jetzt die Arme aus. Es war wie in einem Traum, genauso unwirklich.

Plötzlich fürchtete sie sich davor, aus diesem Traum jemals wieder zu erwachen. Jetzt war kein Schmerz mehr in ihrem Innern, keine Verzweiflung. Sie hatte Peter verloren, aber dafür ein neues Zuhause gefunden. Schlimm, daß sie keine Eltern mehr hatte, aber dafür hatte sie jetzt neue Eltern, die alles für sie tun würden, wirklich alles.

Mit weiterhin verklärtem Gesichtsausdruck schaute sie umher. Die Wohnstube war überaus geschmackvoll eingerichtet. Hier konnte man sich wohlfühlen – vor allem sie!

Noch zwei Schritte, und sie flog förmlich in die ausgebreiteten Arme von Carla, die sie an sich drückte, küßte und herzte, wie eine verlorene Tochter, die nach langer Zeit endlich wieder heimgekehrt war.

Die Stimmen von Sam und Carla drangen wie aus weiter Ferne an Cruzias Ohren. Sie konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde, aber sie setzte sich mit den beiden in die Sitzgruppe, und sie strahlten sich gegenseitig glücklich an.

Ein ketzerischer Gedanke entstand irgendwo im Hintergrund ihres Denkens und drängte nach vorn. Schon wieder einmal! Diese glückliche, gelöste und irgendwie auch fröhliche Atmosphäre erschien diesem ketzerischen Gedanken irgendwie nicht ganz passend. Waren sie nicht hier zusammengekommen, um gemeinsam den Verlust von Peter zu betrauern? Hatte sie sich nicht noch vor Minuten schier die Augen aus dem Kopf geweint und nicht mehr von seinem Grab weichen wollen?

Peter!

Sie schaute sich wieder um, diesmal jedoch mit anderen Augen. Überall sah sie Zeugnisse seines Lebens. Dies hier war sein Zuhause gewesen. Vor seinem tragischen Tod. Bilder standen auf dem Board, auf denen er gemeinsam mit seinen Eltern lachte. Auf dem Schrank standen ein paar Pokale, die er aus seiner Schulzeit noch aufbewahrt hatte.

Sie mußte die Augen schließen, weil sie dies alles nicht mehr sehen wollte.

Doch dann riß sie die Augen wieder weit auf. Die Fröhlichkeit von Peters Eltern war keineswegs mehr ansteckend. Das Gegenteil bewirkte sie: Die Angst begann, aus den Wänden zu sickern, die so viele Jahre Peter beherbergt hatten und noch immer nach ihm, seiner Anwesenheit, förmlich rochen. Die Angst kauerte in jeder Ecke, bereit, sie anzufallen und niederzumachen, gnadenlos, mitleidlos. Die Angst kam auch aus den lachenden Gesichtern von Carla und Sam.

„Nein!“ schrie Cruzia auf einmal gellend und sprang auf. „Was geht hier vor? Ich lasse mich nicht von euch vereinnahmen. Ich bin ich und bleibe ich. Es gibt keinen Grund zur Fröhlichkeit. Wir haben Peter verloren.“

Sie wollte noch viel mehr sagen, lauschte aber ihren bereits ausgesprochenen Worten nach und empfand sie im Nachhinein als total verfehlt. Was redete sie denn da?

Verwirrt griff sie sich an den Kopf.

Im nächsten Augenblick begehrte alles in ihr auf gegen die Atmosphäre hier: Dies war nicht ihr Zuhause und würde es auch niemals sein können. Dies war das Zuhause von Peter – und Peter war tot!

Tot?

Stand er nicht da, in der noch offenstehenden Tür? Wieso fiel kein Licht auf ihn? Wieso war er nur ein Schatten in dieser Tür?

„Peter!“ murmelte sie mehr vor sich hin denn an ihn gewandt und starrte auf diesen Schatten.

In diesem Augenblick trat dieser einen Schritt vor. Ein verirrter Lichtstrahl fiel auf sein Gesicht.

Er war es tatsächlich: Peter!

„Du – du lebst?“ ächzte sie.

Er schaute sie nur stumm an, mit seinen unendlich traurigen Augen. Er sagte nichts, er tat nichts. Er schaute nur. Für seine Eltern hatte er keinen Blick übrig.

Jetzt sprangen auch Carla und Sam auf. Carla griff nach Cruzia, doch diese wehrte ihre Hände ab. Sie wollte keine Berührung. Nicht von diesen Menschen, denen sie plötzlich nicht mehr trauen konnte. Überhaupt nicht mehr.

„Peter, du lebst?“ wiederholte sie. „Warst du die ganze Zeit über hier? Aber wieso...?“ Sie brach ab, schöpfte tief Atem und fuhr dann erst fort: „Wieso wurdest du für tot erklärt? Die Beerdigung. Dieser Schmerz. Und deine Eltern hier. Jetzt weiß ich, wieso sie so fröhlich tun konnten. Sie wußten als einzige, daß du in Wirklichkeit lebst. Aber wer befindet sich an deiner Stelle im Sarg? Wer fuhr deinen Wagen? Wer stürzte mit diesem in den Abgrund?“

Jetzt versuchte Sam, nach ihr zu greifen. Aber Cruzia wehrte auch ihn ab, ohne zu ihm hinzusehen. Sie konnte ihren Blick nicht von Peter wenden. Er stand wahrhaftig vor ihr, nur wenige Schritte entfernt. Ein hoher Schatten. Lediglich das Gesicht wurde hell genug beleuchtet, um ganz genau erkennen zu lassen, daß sie sich nicht täuschte.

„Warum nur, warum? Warum hast du das getan? Warum hast du mir das angetan?“

Beinahe hätte sie wieder geweint, diesmal jedoch nicht vor Trauer und Schmerz, sondern vor Zorn und Enttäuschung.

„Und deine Eltern machen gemeinsame Sache mit dir. Was ist denn in Wirklichkeit passiert? Hat jemand deinen Wagen gestohlen und ist damit davongebraust, um damit in den Tod zu fahren? Aber wieso habt ihr so getan, als seist du tot, obwohl es nicht so ist?“

„Cruzia!“ sagte Sam. Es klang sehr eindringlich. „Cruzia!“ wiederholte er: „Da ist niemand! Peter ist tot, wirklich tot. Begreifst du denn nicht: Er lebt nicht mehr. Was du zu sehen glaubst, kann gar nicht sein.“

Sie blinzelte verwirrt und schaute Sam an.

Er wirkte ungewöhnlich ernst – und seine Augen schauten fast so traurig drein wie die Augen von Peter.

Cruzia sah nach Carla. Auch diese stand nur da und schenkte ihr einen traurigen Blick.

Cruzia deutete mit ausgestrecktem Arm auf die hohe Gestalt mit dem Gesicht von Peter. Diese Gestalt war immer noch da.

„Peter ist dort. Wieso wollt ihr mir einreden, es würde nicht stimmen, wenn ich ihn doch mit eigenen Augen sehen kann? Warum tut ihr mir das an?“ Sie wandte sich wieder an Peter. „Sag doch endlich auch mal etwas! Warum tust du mir das an? Hast du mich überhaupt jemals geliebt? Sage es mir! Ich will es von dir hören, hier und jetzt, vor deinen Eltern. Hast du mir die ganze Zeit über nur etwas vorgemacht?“

Alle Kraft verließ sie, von einer Sekunde zur anderen. Sie ließ sich einfach auf den Sessel zurückfallen, von dem sie vorhin hochgesprungen war.

Peter schaute sie nur mit seinen unendlich traurigen Augen an, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Und dann... verschwand er einfach.

Nein, er hatte sich nicht bewegt. Er war nicht einen Schritt zurückgetreten oder so. Er war einfach nur... verschwunden. Wie eine Projektion, die man ausschaltete.

Carlas geweitete Augen starrten hinüber. Sie suchten, aber sie fanden nichts mehr. Der Raum war gut beleuchtet. Wenn tatsächlich jemand dort stehen würde, wäre er gut sichtbar. Vor allem würde er nicht nur wie ein hoher Schatten erscheinen.

„Aber dieser Schatten...“ Sie konnte nicht mehr weiterreden, weil die Stimme ihr den Dienst versagte.

Cruzia schaute Sam und Carla an.

„Dieser Schatten hatte Peters Gesicht. Ich schwöre es. Aber wieso ist er einfach wieder verschwunden, ohne etwas zu sagen, von einer Sekunde zur anderen?“

„War es das erste Mal, daß du ihn gesehen hast?“ erkundigte sich Sam mit ruhiger Stimme. Sie klang so ruhig, daß sie sogar eine beruhigende Wirkung auf Cruzia ausübte.

Diese schüttelte heftig den Kopf.

„Nein, nicht zum ersten Mal habe ich ihn gesehen. Auf dem Friedhof, weit weg von seinem Grab. Er stand einfach nur da. Und dann diese unendliche Traurigkeit. Ich habe ihn ein zweites Mal gesehen vor dem Haus. Als wir ankamen.“

„Du hast niemanden gesehen, hörst du, Cruzia? Rede es dir nicht ein. Es ist nicht gut für dich“, sagte Carla besorgt. „Wir hätten ihn doch auch sehen müssen, nicht wahr?“

„Und wenn er doch nicht selber den Wagen gefahren hat?“ widersprach sie lahm. „Wenn ich recht habe und ein Dieb ihm den Wagen gestohlen hat, um damit...?“

Sam schüttelte entschieden den Kopf.

„Es gibt keinen Dieb. Peter ist selber gefahren.“

„Und wieso? Er war mit mir verabredet. Wieso hat er mich versetzt und ist statt dessen in die Berge gefahren, um sich dort in den Tod zu stürzen?“

„Wir – wir hatten einen kleinen Streit“, gab Carla zu und schlug die Augen nieder. „Peter war sehr zornig darüber, stieg in seinen Wagen und brauste davon.“

„Ich bin ihm sofort hinterhergefahren“, gab jetzt auch Sam zu. „Aber er war schneller als ich. Er fuhr wie der sprichwörtliche Henker. Da konnte ich nicht mithalten. Wir haben dann ja erlebt, was dabei herausgekommen ist.“

„Aber wieso in die Berge? Ich hätte verstehen können, wenn er in der Stadt umhergefahren wäre!“ widersprach Cruzia.

„Wir haben in den Bergen ein Häuschen. Dort haben wir immer wieder wunderschöne Sommerferien verbracht. Vielleicht wollte er zu diesem Ort, an dem er immer so glücklich gewesen war?“

Cruzia weinte wieder. Sie konnte es nicht verhindern. Sie schlug beide Hände vor das Gesicht und schluchzte einfach hemmungslos.

Plötzlich fiel ihr etwas ein, was sie abrupt innehalten ließ. Sie nahm die Hände herunter und schaute die beiden vorwurfsvoll an.

„Dann seid ihr ja indirekt schuld an seinem Tod!“

Sam schlug jetzt ebenfalls die Augen nieder.

„Was glaubst du, wie oft wir uns das schon selber vorgeworfen haben? Immer wieder haderten wir mit uns, weil es diesen kleinen Streit zwischen uns gab.“

„Aber Peter war in keiner Weise streitbar. Was war es denn gewesen, was ihn dermaßen verwirrt hat, daß er am Ende sogar den Tod fand?“

Sam schaute wieder auf.

„Es war nur eine Kleinigkeit, eine Meinungsverschiedenheit. Ich weiß noch nicht einmal mehr, um was es überhaupt ging. So schrecklich belanglos war es gewesen - und dann mit einer solch schrecklichen Wirkung, mit solch grausigen Folgen.“

Irrte sich Cruzia oder weinte Sam jetzt tatsächlich ebenfalls?

Aber auch Carla standen die Tränen in den Augen, bei ihr noch deutlicher sichtbar.

„Wir sind indirekt schuld an seinem Tod“, ächzte sie mehr als daß sie es sagte, „aber was nutzt es jetzt noch, sich wegen dieser Schuld selbst zu kasteien? Das bringt uns Peter nicht lebendig wieder zurück.“

„Er war hier!“ sagte Cruzia bestimmt. „Ich habe ihn gesehen – und er hat mich so unendlich traurig angeschaut. Ich weiß nicht, wieso. Auch wenn ihr ihn nicht gesehen habt... Ich weiß nicht, ob ich euch das überhaupt glauben soll. Ich weiß jedoch, er war hier. Und er war auch auf dem Friedhof. Niemand auf dieser Welt kann mir das ausreden.“

„Aber wieso, wo er doch in den Tod gestürzt ist?“ rief Sam verzweifelt. „Cruzia, Kind, ich bitte dich, komm zu dir: Die Obduktion hat einwandfrei bewiesen, daß nur er es gewesen sein kann. Wir haben ihn für immer verloren. Er kommt niemals wieder zurück. Wir können uns niemals wieder für den kleinen Streit bei ihm entschuldigen. Es ist vorbei, endgültig vorbei.“

„Für mich nicht!“ beharrte Cruzia.

„Kind, bitte“, flehte jetzt Carla, „tu uns das nicht auch noch an: Du bist doch das einzige, was wir jetzt noch haben!“

„Und wir sind das einzige, was dir jetzt noch geblieben ist“, fügte Sam betont sanft hinzu. Dafür, daß er soeben noch so verzweifelt geklungen hatte, wirkte er sehr gefaßt. „Du hast deine Eltern verloren und wir unseren Sohn. Was spricht dagegen, daß wir in dir eine Tochter statt dessen gewonnen haben und du neue Eltern? Was spricht denn dagegen, daß wir drei wieder glücklich werden können, ohne selbstverständlich darüber Peter jemals zu vergessen, denn er wird für immer in unser aller Herzen bleiben. Wir wissen, nicht nur in unseren, sondern auch in deinem. Wir haben ihn alle drei geliebt.“

Cruzia schaute ihn an bei diesen Worten, und seine Augen hatten dabei irgendwie etwas Hypnotisches. Schon spürte sie, wie es sie einlullte. Sie wollte alles Negative gleich wieder vergessen, wollte nur noch das Positive sehen, daß Sam vollkommen recht hatte. Ja, was sprach eigentlich dagegen? Alles wurde gut. Peter blieb bei ihnen, in ihren Herzen. Sie würden eine glückliche Familie werden. Wie füreinander geschaffen.

„Nein!“ rief sie aus und fuchtelte dabei mit den Armen umher, als müßte sie sich gegen einen bösen Feind wehren. „Nie und nimmer! Ich werde euch nie verzeihen, daß ihr meinen Peter in den Tod getrieben habt. Von wegen kleiner Streit: Ich weiß nicht, worum es ging, aber ich weiß definitiv, daß Peter niemals wegen nur einer Kleinigkeit so verzweifelt reagiert hätte. Er hätte mich einfach nur angerufen, wäre zu mir gekommen, hätte sich vielleicht von mir trösten lassen. Wir hätten über alles gesprochen. So war Peter gewesen. Nicht wie ihr ihn schildert. Er wäre niemals in seinen Wagen gestiegen, um wie ein Irrer davonzubrausen, um in den Bergen den Tod zu finden. Auf dem Weg zu eurem Ferienhäuschen? Er hat mir nie davon erzählt. Obwohl er dort angeblich immer so glücklich gewesen war?“

Sie schauten sie verständnislos an, als sie langsam, wie vorsichtig, aufstand und sich seitlich von der Sitzgruppe wegschob, in Richtung Tür.

„Ihr könnt mich nicht einlullen. Ich gehöre euch nicht. Ich bin ich und bleibe ich. Ich werde kein Teil von euch. Das habt ihr euch ja schön ausgedacht...“

Sie wandte sich ab und wollte hinauseilen, doch da versagten die Beine ihr den Dienst. Der Länge nach fiel sie hin.

Alles drehte sich um sie. Sie wollte sich verzweifelt aufrappeln und weiterfliehen, doch es ging nicht. Die ganzen Ereignisse, der Schlafentzug der letzten Tage, die unendlich erschienenen Stunden auf dem Friedhof, die Nässe, die Kälte, die Verzweiflung, die Verwirrung... Dies alles war letztlich zuviel für sie.

Cruzia fiel in eine tiefe Ohnmacht: Es wurde schwarz vor ihren Augen.

*

Ein Wispern und Raunen drang zu ihr hin. Wachte sie bereits oder träumte sie noch? Sie weigerte sich, die Augen zu öffnen – und sie wollte, daß dieses unheimliche Wispern und Raunen wieder aufhörte. Doch es wurde nur noch eindringlicher.

Wie Stimmen, die von allen Seiten auf sie eindrangen. Und irgendwie erinnerten diese Stimmen alle an - Peter.

War er es? Aber wieso sprach er nicht deutlicher zu ihr?

Jetzt riß sie die Augen doch noch auf und starrte zur Decke.

Vergeblich versuchte sie, sich an alles zu erinnern. Es gelang nur zum Teil.

Peter war tot – und sie befand sich im Haus seiner Eltern. Wie war sie hierhergekommen? Was suchte sie noch hier? Warum lag sie da?

Das Raunen und Wispern war allgegenwärtig. Sie wandte den Blick zum Fenster. Die Übergardinen waren zugezogen und dunkelten den Raum etwas ab. Draußen war hellichter Tag.

Moment mal: Hatte sie das Haus hier nicht am Abend betreten? Und sie lag hier, weil sie hier übernachtet hatte? Aber wieso?

Es fiel ihr einfach nicht mehr ein.

Das Zwielicht gab dem Zimmer etwas Unwirkliches. Was verursachte dieses Raunen und Wispern? Der Wind, der um das Haus strich? Nein, es drang aus allen vier Wänden auf sie ein. Oder sogar auch noch aus der Decke und aus dem Boden? War die Quelle jenes Raunen und Wispern alles das, was im Leben von Peter eine Bedeutung gehabt hatte?

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag: Dies war das Zimmer ihres geliebten Peter! Hier hatte er die Nächte verbracht und große Teile des Tages. Hier hatte er sich stets wohlgefühlt, wie er ihr versichert hatte. Alles an diesem Zimmer war gewissermaßen er geworden. Ein wichtiger Teil zumindest seines Lebens. Und jetzt seines Todes?

Das Wispern und Raunen hatte keinen natürlichen Ursprung. Das wurde ihr klar, aber sie spürte deswegen keine Furcht. Denn jetzt wußte sie, daß der Raum ihr auf diese Weise von Peter erzählte. Der Raum lebte, während Peter selbst bereits tot war. Sein Körper lag verstümmelt in einem Sarg und war mit diesem beerdigt worden, doch seine Erinnerungen waren nach wie vor eingebettet in jedem Gegenstand in diesem Zimmer. Auch in dem Bett, auf dem Cruzia lag.

Sie schaute an sich herab. Sie war nach wie vor vollständig angezogen. Die Kleider, die klitschnaß gewesen waren. Carla hatte ihr keine anderen Kleider gegeben. Aber wieso hatte sie nicht selber die Kleider gewechselt, ehe sie sich hingelegt hatte?

Jetzt erst fiel ihr ein, daß sie zusammengebrochen war. Irgendwie hatte es eine Auseinandersetzung mit Peters Eltern gegeben. Sie kannte nicht mehr den Grund. Ging es um Peter? Aber wieso sollten sie sich wegen ihm streiten?

Sie stützte sich mit den Ellenbogen auf.

Die Kleider waren inzwischen längst trocken. Das Ehepaar Harris hatte Cruzia einfach vom Boden aufgelesen und hierhergebettet. So sah es aus.

Cruzia schaute umher.

Das Raunen und Wispern kam tatsächlich von allen Seiten. War es der Rest ihrer Träume? Hatte sie die Wirklichkeit doch noch nicht ganz erreicht? Träumte sie gar nur, hier zu liegen, im Zimmer von Peter? Sie wußte doch, daß das Ehepaar Harris noch ein Gästezimmer besaß. Lag sie in Wirklichkeit dort und bildete sich nur ein, hier zu liegen? Und vielleicht kuschelte sie sich unter eine warme, weiße Decke, anstatt in ihren Straßenkleidern zu stecken?

Sie schüttelte den Kopf, wie um einen Alpdruck los zu werden. Doch der Eindruck blieb: Sie lag auf dem Bett von Peter, und alles dies, womit er dieses Zimmer mit Leben erfüllt hatte, wisperte und raunte ihr im Chor zu.

Sie konzentrierte sich auf das Board mit Spielfiguren aus seiner Kindheit: Das Wispern und Raunen schwang sich eine Oktave höher und klang wie die dünnen Stimmchen von kleinen Kindern, die aus weiter Ferne zu ihr hinwehten.

„Nein!“ sagte sie vor sich hin und richtete sich zum Sitzen auf. Der Klang ihrer eigenen Stimme schaffte es tatsächlich, jenes unwirkliche Raunen und Wispern zum Verstummen zu bringen.

Auf dem Bett sitzend schaute sie sich noch einmal um.

Jetzt war alles ruhig.

Nein, nicht ganz: Sie hörte nach wie vor Stimmen. Sie kamen diesmal jedoch von außerhalb des Zimmers und waren viel zu weit weg, als daß sie Einzelheiten hätte verstehen können.

Jetzt wußte sie auf einmal, daß dieses Raunen und Wispern daher stammten. Es waren jene Stimmen, die tatsächlich zu ihr hin drangen, aber sie war wohl doch noch nicht ganz wach gewesen, und ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt.

Sie rutschte zum Bettrand und ließ die Beine herunterbaumeln. Und dann konzentrierte sie sich stärker auf diese Stimmen. Ohne Erfolg: Sie waren nicht zu verstehen. Waren es die Stimmen von Carla und Sam? Von wem denn sonst?

Sie verließ das Bett und huschte zur Tür hinüber.

Wenigstens die Schuhe hatten sie ihr ausgezogen. Sie lief auf Strümpfen.

Lauschend legte sie ein Ohr gegen das Türblatt.

Immer noch nichts zu verstehen, obwohl die Stimmen deutlicher geworden waren.

Sie griff nach der Türklinke und drehte sie. Die Tür ließ sich lautlos öffnen. Nur einen Spaltbreit. Das genügte, um die Stimmen endlich deutlich genug werden zu lassen.

Carla sagte gerade:

„...zu früh, Sam, bitte!“

„Du hast ja recht, Carla“, antwortete die Stimme von Sam. „Ich weiß es selbst, aber ich weiß mir andererseits einfach keinen Rat mehr. Deshalb mein Vorschlag. Sie muß es erfahren.“

„Ja, aber nicht schon jetzt. Wer weiß, was wir damit anrichten würden? Sie muß lernen, loszulassen. Sie kann sich nicht an Peter festklammern.“

„Und wenn wir doch...?“ Sam brach ab. „Wenigstens zum Teil?“

„Nein!“ Es klang sehr entschieden aus dem Mund von Carla. So energisch hatte Cruzia sie noch nie gehört. Sie hätte es noch nicht einmal für möglich gehalten.

Sam gab tatsächlich klein bei: „Ja und noch einmal ja. Carla, mir ist ebenfalls klar, was es bedeutet, aber so lange Cruzia nicht losläßt und endlich akzeptiert, daß Peter nicht mehr unter uns weilt, wird es nie enden. Wer weiß denn, wie Cruzia sich noch entwickelt? Sie wird sich nicht beruhigen. Es wird nicht die Zeit kommen, da wir ihr alles sagen können. Sie wird vielleicht irgendwie durchdrehen? Zumindest wird sie Dinge tun, die nicht nur ihr schaden. Das müssen wir in Betracht ziehen, und das weißt du ebenso gut wie ich.“

„Trotzdem ist es zu früh. Wenn wir nicht weiterhin abwarten und alles tun, um sie für uns zu gewinnen, um sie vorzubereiten auf die Wahrheit, kann das wirklich schlimme Folgen haben. Wir müssen einfach geduldig sein und wenn es uns noch so schwer fällt.“

„Nun, bei dem Zustand, in dem sich Cruzia zur Zeit befindet...“, führte Sam aus. „Ich kann gar nicht glauben, daß es noch schlimmer kommen könnte.“

„Still!“ befahl Carla plötzlich. „Vielleicht ist sie schon wach?“

„Ich werde einmal nachsehen gehen“, versprach Sam, und Cruzia hörte seine sich nähernden Schritte. Er betrat die Treppe, die nach hier oben führte.

Blitzschnell schloß Cruzia die Tür und huschte zurück zum Bett. Sie legte sich darauf, beruhigte ihren vor Aufregung beschleunigten Atem und schloß die Augen.

Gerade noch rechtzeitig: Die Tür öffnete sich wieder. Sam trat leise ein.

„Bist du schon wach, Cruzia, mein Kind?“ murmelte er.

Cruzia tat so, als würde sie davon erst erwachen. Sie blinzelte wie verwirrt, was ihr keineswegs schwerfiel, öffnete die Augen ganz und wandte Sam den Blick zu.

Er lächelte entwaffnend.

„Endlich geht es dir wieder besser. Hast du Hunger?“

Hunger? echote es in ihrem Innern. Hatte sie nicht einen geradezu Bärenhunger gehabt, als sie das Haus betreten hatte? Was war daraus geworden? Irgendwie hatte sie ihn danach völlig vergessen. Wie war das überhaupt möglich?

Sie nickte schwach.

„Ja – und wie!“

„Dann steh bitte auf und komm herunter. Oh, ich sehe, deine Kleider sind total unordentlich. Kein Wunder. Sie waren ja völlig durchnäßt. Carla wollte sie dir ausziehen, aber ich war dagegen. Ich wollte nicht, daß du beim Erwachen das mißverstehst. Deshalb haben wir dich so gelassen, wie du warst. Deine Kleider waren ja auch kaum noch naß gewesen. Sie waren ziemlich schnell getrocknet, unten, in der warmen, guten Stube.“

Er redete wie der sprichwörtliche Wasserfall, nickte Cruzia noch aufmunternd zu und verschwand wieder nach draußen. Hinter sich schloß er die Tür.

Cruzia sprang vom Bett und eilte hinüber. Sie öffnete die Tür wieder einen Spaltbreit.

Soeben betrat Sam die Treppe nach unten.

„Kommt sie?“ erkundigte sich Carla.

„Ich denke schon. Sie macht einen reichlich verwirrten Eindruck.“

„Kein Wunder. Also, ehrlich gesagt, mich würde es eher wundern, wenn es nicht so wäre. Denke daran, was sie in den letzten Tagen alles mitgemacht hat, die Ärmste.“

„Jetzt wird ja alles gut. Ganz bestimmt. Sie ist bei uns gut aufgehoben.“

„Und wenn sie darauf besteht, uns zu verlassen?“

„Wir sollten alles tun, um das zu verhindern. Nur wenn wir bei ihr sind, können wir rechtzeitig eingreifen, falls es zur Eskalation kommen sollte.“

„Wir können sie wohl kaum mit Gewalt festhalten“, gab Carla zu bedenken.

„Davon war ja auch keine Rede. Aber ich denke mal, sie wird vernünftig genug sein, die Notwendigkeit einzusehen: Wir müssen in dieser schweren Zeit unbedingt zusammenhalten!“

Mehr wurde nicht mehr gesprochen. Es war offensichtlich, daß die beiden auf sie warteten – und dabei nicht von ihr belauscht werden wollten.

Obwohl dies bereits geschehen war.

Cruzia schloß die Tür und dachte bei sich: Von wegen vernünftig! Was immer ihr darunter versteht: Es ist keineswegs vernünftig, in diesem Haus zu bleiben. Alles hier erinnert viel zu sehr an Peter. Es tut mir regelrecht weh. Wie soll ich jemals diesen Schmerz und meine Trauer überwinden, so lange ich damit konfrontiert werde? Nein, ich muß unbedingt wieder zu mir nach Hause, um ein wenig Abstand zu gewinnen, in den eigenen, vertrauten vier Wänden.

Sie lehnte ihre heiße Stirn gegen das kühle Türblatt.

Das alles, was sie gehört hatte bei ihrer Lauschaktion: Sie konnte es nicht verstehen. Worüber hatten sich die beiden überhaupt unterhalten? Irgendwie war es um sie, Cruzia, gegangen, aber der Zusammenhang war mehr als undurchsichtig. Sie sollte etwas erfahren, was die beiden Wahrheit nannten, aber angeblich war es dafür zu früh? Ging es denn um Peter? Worum sonst? Peter war tot. Jetzt war sie sich wieder völlig sicher. Ihre überreizten Sinne hatten ihr böse Streiche gespielt. Kein Wunder, daß sie am Ende regelrecht zusammengebrochen war. Sie hatte sich Dinge eingebildet, die einfach nicht sein konnten.

Nein, es hatte keinen Sinn, sich jetzt wieder den Kopf darüber zu zerbrechen.

Unwillkürlich dachte sie statt dessen an ihre verstorbenen Eltern. Diese hatten ihr ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen. Es genügte jedenfalls, um ein zwar bescheidenes aber ansonsten sorgloses Leben zu bestreiten. Trotzdem hatte sie vor knapp zwei Jahren zu arbeiten begonnen. Als Verkäuferin in einer Boutique. Dazu, ihr Studium fortzuführen, hatte ihr einfach die Kraft gefehlt. Durch die Trauer über den Verlust ihrer geliebten Eltern hatte sie soviel Zeit verloren, daß sie es sich einfach nicht mehr zutraute, weiterzustudieren. Und die Arbeit in der Boutique hatte ihr sogar Spaß gemacht. Mit der Zeit hatte sie sich mit der Besitzerin angefreundet. Jetzt, da sie quasi unentschuldigt fehlte, würde diese nicht sauer reagieren. Das wußte sie. Denn es war ja bekannt, daß Peter umgekommen war – und ihre Freundin und Chefin Lucie Balloon konnte durchaus nachfühlen, daß sie dadurch vorerst nicht in der Lage war, wieder arbeiten zu kommen. Und dennoch nahm sich Cruzia jetzt vor, als erstes dorthin zu gehen, um vielleicht mit der Arbeit sich von den Geschehnissen abzulenken.

Auch wenn das Ehepaar Harris augenscheinlich völlig anderer Meinung war und sie am liebsten hier eingesperrt hätte: Cruzia nahm sich außerdem vor, sich dagegen nach Kräften zu wehren.

Sie zupfte an ihrem Pullover. Der war inzwischen dermaßen verdorben, daß sie ihn wahrscheinlich wegwerfen mußte. Genauso wie die Hose.

Hatte sie nicht auch eine Jacke angehabt? Sie konnte sich nicht erinnern, diese ausgezogen zu haben. Wahrscheinlich hatte Carla ihr die Jacke ausgezogen, bevor sie gemeinsam mit Sam sie hier heraufgebracht hatte.

Es würde sich zeigen!

Entschlossen öffnete Cruzia die Tür und trat hinaus. Es war für sie, als würde sie dabei eine völlig neue und daher fremde Welt betreten. Ein seltsames Gefühl – und beunruhigend.

*

„Da ist sie ja!“ rief Carla erfreut, als sie ihrer ansichtig wurde. Sie winkte ihr sogar zu. „Ich habe das Mittagessen bereits gemacht. Es wurde ziemlich spät bei dir. Aber wir haben uns gesagt, daß du diese Ruhe dringend nötig hast.“

Es war bereits Mittagszeit? Cruzia erschrak darüber. Wie hatte sie so lange schlafen können? War sie wirklich dermaßen erschöpft gewesen?

Es schien so. Kein Wunder, daß sie sich kaum an die Ereignisse des Vorabends erinnern konnte. Alles erschien ihr wie hinter einem Nebel des Vergessens verborgen. Lediglich die Szene, als sie das Haus betreten hatte, war ihr wach im Gedächtnis geblieben. Und dann mußte sie eben irgendwann regelrecht zusammengebrochen sein. Aus ihrer Ohnmacht war später tiefer Schlaf geworden. Und sie hatte durchgeschlafen bis zum nächsten Mittag – ganz offensichtlich.

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

„Danke für deine Fürsorge, Carla!“ Die vertrauliche Anrede kam nur sehr schwer über ihre Lippen. Es paßte nicht zu ihrem Wunsch, zu den Harris auf Abstand zu bleiben. Irgendwie waren ihr die beiden nicht geheuer, obwohl sie zur Zeit nicht zu sagen vermochte, woher das kam. Wo die sich doch offensichtlich alle Mühe gaben, ihr freundlich zu begegnen. Aber sie hatten so seltsam gesprochen. Das einzig Positive dabei, nach Meinung von Cruzia, war die Bemerkung gewesen, daß sie nicht vorhatten, sie hier mit Gewalt festzuhalten.

„Ach herrje, wie sehen denn deine Kleider aus, Kind?“ rief jetzt Carla aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Warte, ich gebe dir was zum Wechseln.“ Schon wandte sie sich zum Gehen. Doch dann zögerte sie und winkte Cruzia zu. „Am besten, du kommst gleich mit und suchst dir selber was aus.“

Sich etwas aussuchen? Etwa Klamotten von Carla?

Cruzia lief hinter ihr her, weil sie nicht wußte, was sie sonst hätte tun sollen. Einfach ignorieren wollte sie die Aufforderung nicht. Das wäre nun wirklich zu unhöflich gewesen, und so lange es keinen echten Grund gab, wollte sie möglichst freundlich bleiben. Schließlich handelte es sich hier um die leiblichen Eltern ihrer großen Liebe Peter.

Dabei wurde ihr wieder bewußt: Immer, wenn sie an diesen dachte, versetzte ihr das einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Als würde ihr jedesmal jemand ein Messer in die Brust rammen. Ja, schlimmer hätte ein solcher Schmerz wirklich nicht sein können.

Carla ging vor ihr die Treppe hinauf. Dort oben befanden sich ja die Schlafzimmer. Nicht nur das von Peter, sondern auch das Elternschlafzimmer. Cruzia war immer noch der Meinung, Carla wollte ihr Kleidung von sich ausborgen.