Verhängnisvolle Toskana - Jens Burmeister - E-Book

Verhängnisvolle Toskana E-Book

Jens Burmeister

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Beschreibung

Bedrohliche Ereignisse in der Toskana - der dritte Fall für Professor Tiefenthal und Commissaria Bernucci In einem Kiefernwäldchen im Chianti wird eine tote Mountainbikerin gefunden. War es ein Unfall, oder hat jemand die Biologin ermordet? Die Spuren führen Commissaria Stella Bernucci zu einem Weinberg, der durch eine Rebkrankheit zerstört wurde. Was hat die Forscherin hier gesucht? Bernucci braucht die wissenschaftliche Hilfe des forensischen Archäologen Josef Tiefenthal, um den Mord aufzuklären und die Chianti-Winzer vor einer Katastrophe zu bewahren. Doch die Zeit arbeitet gegen die beiden, denn der skrupellose Mörder hat seine Ziele noch längst nicht erreicht.

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Verhängnisvolle Toskana

Jens Burmeister studierte Chemie und arbeitete mehr als 25 Jahre in der chemisch-pharmazeutischen Forschung, bevor er sich 2020 als Autor selbständig machte. Er schreibt online den Mittelrhein-Weinführer und ist Mitglied der Verkostungsjurys renommierter Weinmagazine. Seine Kriminalromane und Kurzgeschichten haben meistens einen sowohl wissenschaftlichen als auch kulinarischen Bezug. Den Urlaub verbringt er bevorzugt in Italien und freut sich besonders, wenn ein Chianti in seinem Weinglas funkelt. Der Autor ist verheiratet und wohnt in Göttingen sowie in der Nähe von Köln.

Bedrohliche Ereignisse in der Toskana - der dritte Fall für Professor Tiefenthal und Commissaria Bernucci

In einem Kiefernwäldchen im Chianti wird eine tote Mountainbikerin gefunden. War es ein Unfall, oder hat jemand die Biologin ermordet? Die Spuren führen Commissaria Stella Bernucci zu einem Weinberg, der durch eine Rebkrankheit zerstört wurde. Was hat die Forscherin hier gesucht? Bernucci braucht die wissenschaftliche Hilfe des forensischen Archäologen Josef Tiefenthal, um den Mord aufzuklären und die Chianti-Winzer vor einer Katastrophe zu bewahren. Doch die Zeit arbeitet gegen die beiden, denn der skrupellose Mörder hat seine Ziele noch längst nicht erreicht.

Jens Burmeister

Verhängnisvolle Toskana

Ein kulinarischer Krimi

Ullstein

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Originalausgabe bei Ullstein eBooksUllstein eBooks ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Januar 2024 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

Schlussworte und Danksagungen

Pollo alla contadina

Leseprobe: Tödliche Toskana

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Motto

»Chi lascia la strada vecchia per la nuova, sa quel che lascia ma non quel che trova.« – »Wer die alte Straße für eine neue verlässt, weiß, was er verlässt, aber nicht, was er findet.« Italienisches Sprichwort

Prolog

Eleonora Gatti trat wütend in die Pedale ihres Mountainbikes. Immer wieder wurde sie auf der Landstraße von Lastwagen, Autos und Motorrädern überholt. Manche fuhren so dicht an ihr vorbei, als hätte eine Radfahrerin hier absolut nichts zu suchen. Aber Gatti kümmerte sich nicht darum. Sie raste wie durch einen langen schwarzen Tunnel, der sie heraus aus den Straßen von Sienas Vico Alto in die Chianti-Hügel führte. Nach allem, was sie in den letzten zwei Wochen erlebt hatte, brauchte sie frische Luft, die weite Landschaft. Und ein knackiges Work-out, das ihren Körper bis in die allerletzte Zelle hinein zum Glühen brachte.

Die Straße beschrieb eine ausgedehnte Linkskurve. Sie bremste und musste im nächsten Augenblick aufpassen, nicht von einem Lieferwagen angefahren zu werden. Der rostige Wagen war so schnell unterwegs, dass er die Spur kaum halten konnte. Sie wurde noch langsamer, versuchte, sich zu beruhigen, wieder flacher zu atmen. Als sie sich umdrehte, um dem Lastwagen hinterherzuschauen, sah sie ihn wieder. Den olivgrünen Geländewagen, der jetzt langsamer wurde. War es derselbe, den sie kurz hinter Vico Alto zum ersten Mal gesehen hatte? Der Gedanke, dass sie verfolgt wurde, blitzte in ihr auf, aber sie schüttelte ihn so schnell ab, wie er gekommen war. Sie hatte sich mit einem übermächtigen Gegner angelegt. Aber würde dieser Gegner sie deswegen gleich verfolgen?

Zwanzig Minuten später bog Gatti auf einen Feldweg ab, der den Hügel hinaufführte. Oben sah sie schon das aus roten Backsteinen erbaute Weingut, um das kerzengerade Zypressen effektvoll gepflanzt worden waren. Es war eines dieser typisch toskanischen Ensembles, für das man hier nicht nur ein Faible, sondern auch ein wirklich glückliches Händchen hatte. Ein Olivenhain umgab das Weingut wie ein schützender Kranz, darunter begannen die Weinberge. Gatti schaltete zwei Gänge herunter und erhöhte die Frequenz ihrer Tritte. Langsam, aber beharrlich fuhr sie den steilen, steinigen Weg hinauf, wich elegant den Schlaglöchern aus. Als sie oben auf der Höhe des Weinguts angekommen war, warf sie nur einen kurzen Blick auf das pompöse, stählerne Eingangstor. Sie bog nach rechts ab und fuhr auf einen Rastplatz mit Bank und Holztisch. Sie stieg ab, löste den Helm und befreite die Haare aus dem gelben Gummiband. Sie fuhr sich durch das dunkelbraune Haar, das ihr lockig über die Schultern fiel, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war Anfang September, die Sonne würde in einer halben Stunde untergehen und trotzdem war es noch spätsommerlich warm. Sie löste die Trinkflasche vom Rahmen und genehmigte sich einen Schluck des isotonischen Getränks. Dann nahm sie das Smartphone aus der Halterung am Lenker und studierte den Weg, den sie gestern Abend bereits geplant hatte. Sie musste sich beeilen, um vor Anbruch der Dunkelheit wieder auf asphaltierten Straßen fahren zu können. Trotzdem beschloss sie, sich Zeit für eine kurze Pause zu nehmen, ließ sich auf die Bank fallen und stützte die Turnschuhe lässig an der Tischkante ab. Sie sog den harzigen Duft der Kiefern ein. Der Blick von hier oben auf die umliegenden Hügel war atemberaubend. Das Laub der Weinberge hatte bereits begonnen, sich rötlich und gelblich zu verfärben. Dazwischen silbrig glänzende Olivenhaine und anmutige Wäldchen aus Kork- und Steineichen. Die Weingüter passten sich so perfekt an die Landschaft an, als wären sie nicht von Menschenhand geschaffen worden, sondern als wüchsen sie wie seltene Pflanzen aus den Hügelkuppen heraus. Gattis Blick fiel auf den Feldweg, der zwischen den Weinbergen hindurchführte. Sie sah einen Traktor, der einen Anhänger mit orangefarbenen Kisten voller Weintrauben zog. Die Weinernte im Chianti-Gebiet hatte begonnen und würde sich bis Ende Oktober hinziehen.

Was Gatti aber beunruhigte, war der olivgrüne Geländewagen, der dem Traktor folgte. War es dasselbe Fahrzeug, das auf der Landstraße hinter ihr hergefahren war? Nur ein Zufall? Immerhin verfolgt er mich nicht mehr, beruhigte sie sich selbst.

Sie schaute auf ihr Smartphone und vergewisserte sich, dass sie noch ein paar Minuten Zeit hatte. Unwillkürlich musste sie an das Gespräch mit Michele denken. Sie hatten sich ein paar Jahre lang nicht gesehen, aber immer Kontakt gehalten. Er hatte sich kaum verändert seit ihrer gemeinsamen Zeit. Stets war er ihr vorgekommen wie ein Clown, der mit gespielter Leichtigkeit durchs Leben tanzte. Aber war genau das nicht typisch für Clowns, dass ebendiese Leichtigkeit nur gespielt war? Sie hatte ihn ins Vertrauen gezogen. Er war der erste Mensch gewesen, dem sie von ihrem ungeheuren Verdacht erzählt hatte. Er hatte aufmerksam zugehört und sofort verstanden, worauf es hinauslief. Kurz schien er erschrocken über ihre Entdeckungen, dann aber fast erleichtert, als sie ihm ihre Theorie erläutert hatte. »Das ist ein Goliath, der dich zermalmen wird, Eleonora«, hatte er gesagt und ihr die Hand auf den Arm gelegt, als wollte er sie bremsen. »Aber ich helfe dir. Die dürfen mit dieser Schweinerei auf keinen Fall durchkommen. Wir müssen damit an die Öffentlichkeit gehen. Aber bitte, Eleonora, das muss unter uns bleiben. Jeder weitere Mitwisser ist ein Risiko für uns beide.« Mit gemischten Gefühlen war sie wieder zurück nach Vico Alto gefahren. Froh darüber, endlich einen Mitstreiter gefunden zu haben. Aber unsicher, ob sie Michele wirklich über den Weg trauen konnte. Doch für Zweifel war es längst zu spät. Es gab keinen Weg zurück.

Sie stand auf, band ihre Haare zusammen und ließ sie unter dem Fahrradhelm verschwinden. Sie hakte das Smartphone und die Trinkflasche ein und schwang sich auf das Mountainbike. Im Westen zogen bereits dunkle Wolken auf, für die nächsten Tage war Regen angesagt. Gatti fuhr zurück auf den Feldweg, hinein in den Wald oberhalb des Weinguts. Sie holperte über Baumwurzeln, musste absteigen, um ihr Fahrrad über einen dicken Eichenstamm zu tragen, der quer über den Weg gefallen war. Dann ging es ein steiles und steiniges Wegstück weiter nach oben, bis sie endlich den höchsten Punkt erreicht hatte. Jetzt begann der spaßige Teil auf dem Mountainbike-Trail. In wilder Fahrt ging es den Hügel wieder hinunter. Sie klammerte sich am Lenker fest, konzentrierte sich auf die Unebenheiten, die sie durchschüttelten, wich Steinen und Schlaglöchern aus. Genau das liebte sie am Mountainbiken, dass sie alles um sich herum vergessen konnte. Es gab nur noch sie und ihr Fahrrad. Schon hatte sie das Ende des Weges erreicht, sie fuhr auf eine enge Straße zu, auf der sie links abbiegen musste. Sie bremste ab, dann aber ging alles blitzschnell. Als sie den Asphalt unter ihren Rädern spürte, sah sie, wie ein dunkelgrünes Auto mit hoher Geschwindigkeit von rechts heranraste und sie seitlich erwischte. Sie hörte quietschende Bremsen, flog in die Höhe und landete auf dem Boden. Benommen lag sie da, begriff kaum, was passiert war. Das Blut rauschte in ihren Ohren, wie durch Watte hörte sie schwere Schritte, die näher kamen. Sie sah einen dunklen Schatten, der sich über sie beugte, versuchte zu sprechen, brachte nur ein schwaches Krächzen heraus. Er packte ihren Kopf und riss ihn mit einem Ruck herum. Das fürchterliche Knacken der Wirbel hörte sie nicht mehr.

1. Kapitel

Drei Tage später

Josef Tiefenthal bückte sich und schnitt die Traube vom Rebstock ab. Dann drehte er sie in der Hand, so wie es die Winzerin Elena Marzemino ihm gezeigt hatte. Die Beeren waren hellgrün bis goldgelb, mit winzigen dunklen Punkten gesprenkelt. Obwohl es in den letzten Tagen heftig geregnet hatte, waren nur wenige faule Beeren darunter. Josef schnitt eine einzige verschrumpelte Rosine heraus und ließ sie auf den Boden fallen, bevor er die Traube in die orangefarbene Lesekiste beförderte. Er drehte sich um und gab der Winzerin ein Zeichen, dass er eine neue Kiste brauchte.

Kurz darauf kam Elena Marzemino und stellte eine leere Kiste neben Josef auf den Boden. Sie strich sich die dunklen, schulterlangen Haare aus dem Gesicht und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Respekt, Professore, ich wusste gar nicht, dass du so fit bist.«

»Das täuscht gewaltig. Mir graust es schon vor den Rückenschmerzen morgen früh. Und wer weiß, was mir sonst noch alles wehtun wird. Aber bitte nenn mich nicht Professore, diese Zeiten sind endgültig vorbei.«

»Jawohl, Herr Rechtsmediziner. Aber du wirst dein Leben lang der Professor für Forensische Archäologie bleiben. Ganz egal, was du beruflich gerade machst.«

»Stimmt wahrscheinlich«, brummte er. Demonstrativ wandte Josef sich von der Winzerin ab und schnitt die nächste Traube vom Stock. Verstohlen schaute er auf die Rebzeilen, für die er eingeteilt worden war und die er noch abarbeiten musste. Ein Stück weit entfernt sah er Stella Bernucci, die sich durch nichts und niemanden von der Lesearbeit abhalten ließ. Sie war schon deutlich weiter als er. Elena wurde derweil gerufen und brachte die volle Lesekiste zum Anhänger, auf dem sie sorgfältig übereinandergestapelt wurden.

Josef schnitt Traube um Traube ab, prüfte und putzte sie und ließ die Gedanken schweifen. Selten gelang ihm das besser als bei solch einer mechanischen Arbeit mit den immer gleichen Abläufen. Heute war der elfte September, das Wintersemester an der Uni Köln würde schon bald beginnen. Er sah Doktor Eggenhofer leibhaftig vor sich. Mit stolz geschwellter Brust und gewichtigen Schritten betrat er, den beeindruckenden Bierbauch vor sich herschiebend, den Hörsaal und baute sich hinter dem Katheder auf. Mit gehörigem Pathos in der Stimme hielt er die Einführungsvorlesung und erklärte den jungen Studierenden die Welt. Endlich war Eggenhofer dort, wo er die ganze Zeit hingewollt hatte. Auf dem Kölner Lehrstuhl für Forensische Archäologie. Zumindest so lange, bis ein offizieller Nachfolger für Josef gefunden wurde.

Denn er war endgültig raus aus dem akademischen Zirkus. Zum Ende des letzten Wintersemesters hatte er dem Dekan sein Kündigungsschreiben auf den Schreibtisch gelegt. Der Dekan hatte lange gebraucht, um zu begreifen, dass Josef nicht etwa nur die Universität wechseln, sondern ein für alle Mal aufhören wollte. »Verstehe ich das richtig«, hatte er zum Ende ihres Gesprächs fassungslos gefragt. »Sie ziehen in die Toskana, zu dieser Commissaria, und treten eine Stelle als Lehrling des örtlichen Rechtsmediziners an? Sie, der weltweit bekannte Professor für Forensische Archäologie, der gerade den wichtigsten Forschungspreis bekommen hat, den es auf seinem Feld zu vergeben gibt?«

»Im Prinzip haben Sie das sehr treffend zusammengefasst, Herr Dekan«, hatte er geantwortet und mit einem Schmunzeln hinzugefügt: »Es ist Zeit für eine berufliche Veränderung.«

Dabei war es so viel mehr. Josef ließ die Rebschere sinken, richtete sich auf und drückte den Rücken durch. Er schaute in den grauen, bewölkten Himmel, registrierte den süßlichen und weinigen Geruch, den die Trauben verströmten. Hier in der Toskana, zusammen mit Stella und den zwei Katzen auf dem ehemaligen Bauernhof in Colle di Val d’Elsa, war er so glücklich wie schon lange nicht mehr.

Als Elena Stella gefragt hatte, ob sie beide bei der Weinlese mithelfen könnten, hatte Josef sofort begeistert zugestimmt. Die Winzerin hatte eine schwere Zeit hinter sich, nach dem Müllskandal, der dem Ruf ihres Betriebs geschadet hatte, ohne dass sie schuld gewesen war. Aber inzwischen lief ihr Weingut wieder gut. Während der Weinlese konnte sie jede helfende Hand brauchen. Josef hatte versucht, auch seine Nichte Barbara und Stellas Sohn Matteo zu überzeugen, nach Ponte a Bozzone zu kommen. Aber die beiden hatten Klausuren vorgeschoben, für die sie dringend lernen mussten. Er hatte dies mit Bedauern, aber auch mit Verständnis zur Kenntnis genommen. Schließlich hatten sich die beiden nach ihrer Beziehungskrise wieder berappelt und waren erstmals in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Sie wohnten jetzt in einem winzigen Apartment weit außerhalb von Florenz. Wie es schien, waren sie glücklich. Genau wie Josef. Er wandte sich dem nächsten Rebstock zu und schnitt die Traube ab.

»Josef, mein Pino, du bist ja der Meister der Pausen«, frotzelte Stella und küsste ihn, der sich gerade wieder hinuntergebeugt hatte, auf den Hinterkopf.

»Es geht mir so vieles durch den Kopf, Stella, da muss ich ab und zu mal innehalten. Wie läuft es bei dir mit der Lese? Sag nicht, du bist schon fertig?«

»Deshalb komme ich ja zu dir, Pino. Den Rest deiner Trauben lesen wir zusammen. Du lässt immer einen Rebstock frei, um den ich mich dann kümmere.«

»Dann muss ich ja genauso schnell lesen wie du.«

»Man hat immer einen Preis zu zahlen.«

Josef brummte etwas Zustimmendes. Froh darüber, solch tatkräftige Unterstützung bekommen zu haben, rückte er vor und überließ der Commissaria den Rebstock dazwischen. Schweigend machten sie ihre Arbeit, bis er das Gespräch wieder aufnahm. »Was ernten wir heute eigentlich? Dass es weiße Trauben sind, ist mir klar, aber welche Rebsorte?«

»Vermentino, hat Elena gesagt. Daraus macht sie doch immer diesen spritzigen und erfrischenden Weißwein, der besonders an warmen Sommerabenden so gut schmeckt.«

»Ich verstehe. Deshalb sind die Vermentino-Trauben auch die ersten, die gelesen werden. Schon reif, aber noch so frisch wie möglich. Wenn wir hier fertig sind, muss ich unbedingt mit in die Kelterhalle gehen. Ich will die nächsten Schritte mit eigenen Augen sehen. Diese Arbeit hier auf dem Weingut zu erleben, das ist ganz was anderes, als einfach nur die Flasche aus dem Regal zu nehmen und sie auszutrinken.«

»Wie wäre es, wenn du Elena auch in der Kelterhalle helfen würdest? Ich glaube, sie kann jede Hand brauchen. Und dann schmeckt das Essen nachher umso besser.«

»Klar, mach ich. Ich bin doch nicht so ein arbeitsscheuer Akademiker mit zwei linken Händen, wie alle immer denken.«

Kaum hatte Josef diesen launig gemeinten Satz ausgesprochen, da passierte genau das, was einfach hatte passieren müssen. Stella war bereits fertig mit ihrem Rebstock und wartete darauf, dass der Professor vorrückte. »Ich glaube, wir machen das besser umgekehrt«, sagte sie, ging zwei Rebstöcke weiter und arbeitete nun vor Josef.

Der seufzte und bemühte sich, schneller zu schneiden. Inzwischen klebte die Rebschere an den Handschuhen wegen des süßen Traubensaftes, der immer wieder darüberrann. So arbeiteten sie schweigend vor sich hin und versicherten sich zwischendurch, dass auch die anderen Lesehelfer noch nicht ganz fertig waren. Wieder kam Marzemino zu ihnen, um die vollen Lesekisten gegen leere auszutauschen. Schließlich brach Stella die Stille. »Was denkst du über den Brief, den Frau Hoffmann dir geschrieben hat?«

Josef stockte und ließ die Rebschere sinken. »Ich mache mir Sorgen um meine ehemalige Assistentin. Wir sind immer prima miteinander ausgekommen. Wenn ich morgens in die Uni kam, hatte sie schon durchgelüftet, weil sie wusste, dass ich frische Luft brauchte. Ich bin ja stets mit dem Fahrrad gefahren, und das Schlimmste wäre für mich ein überheiztes Zimmer gewesen. Natürlich hatte sie auch schon frischen Kaffee aufgebrüht. Ich kann ihn förmlich riechen, wenn ich daran denke. Man weiß ja erst im Nachhinein, wie schön manches gewesen ist, das man als selbstverständlich hingenommen hat.«

»Höre ich Wehmut aus deinen Worten?«

»Nein, nein«, beeilte Josef sich. »Du weißt doch, wie wohl ich mich hier bei dir fühle. Aber es wäre doch nicht richtig, die Kölner Zeit völlig zu verdrängen. Es tut mir leid, dass ich Ursula manchmal ungerecht behandelt habe. Sie hat immer ein bisschen gebraucht, um zu verstehen, was ich von ihr wollte. Aber am Ende hat sie alles prima organisiert.«

»Und jetzt muss die Arme für Eggenhofer arbeiten. Als ich letztes Jahr in Köln war, um dort zu ermitteln, habe ich die beiden kennengelernt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Frau Hoffmann uns zu dem Dozenten geführt hat, die Tür aufstieß und dann ganz schnell wieder verschwunden ist.«

Josef musste die Ohren spitzen, um Stella zuzuhören. Es war nicht nur so, dass sie deutlich schneller arbeitete als er. Offenbar passte auf sie auch das Klischee, dass die Frau gleichzeitig arbeiten und sprechen konnte. »Als Eggenhofer mich mal für ein paar Tage vertreten hat, weil ich in der Toskana war, hat er sich nachher bei mir über Ursula beklagt. Sie hätte ihm weder Kaffee gekocht noch die Tafel im Büro gewischt. Jeder bekommt halt, was er verdient, habe ich damals gedacht.« Josef sprach mit lauter Stimme und beschleunigte seine Arbeit, um wieder zu Stella aufschließen zu können. »Jetzt müssen die beiden sich halt irgendwie arrangieren. Es tut mir ja leid, aber ich kann Ursula schlecht nach Siena holen. Wir können uns in der Rechtsmedizin keine Assistentin leisten. Und im Übrigen haben wir ja Nina Fraschetta, Guido Medicis Laborantin. Ohne sie wären wir zwei Rechtsmediziner aufgeschmissen. Wobei … offiziell bin ich ja noch ein Azubi.« Josef inspizierte die Traube, die er gerade abgeschnitten hatte, schnitt die Hälfte ab, ließ sie auf den Boden fallen, bevor er die gesunde Hälfte in die Lesekiste legte. Der Vermentino sollte später schließlich süßsauer und spritzig schmecken. Und auf keinen Fall muffig oder gar bitter.

Eine Stunde später stemmte Josef die letzte Lesekiste hoch und schüttete die Trauben in einen quadratischen Plastikbehälter. In der Kelterhalle roch es bereits verführerisch nach grünen Früchten.

»Vielen Dank, Josef, ganz toll, dass du uns auch beim Keltern hilfst«, sagte Elena Marzemino. Sie klaubte eine Beere aus dem Kunststoffbehälter und steckte sie in den Mund. »Wir machen eine Menge Analysen, um herauszufinden, wann die Trauben reif sind. Aber es geht doch nichts über das Probieren«, sagte sie.

Josef tat es ihr nach, beförderte ebenfalls eine Beere in seinen Mund und zerkaute sie aufmerksam. »Die Schale ist ziemlich dick und schmeckt etwas bitter, aber innendrin ist zuckersüßer Saft«, fasste er seine Eindrücke zusammen. »Schmeckt aber noch nicht nach Wein, sondern nach Traubensaft.

»Den Rest besorgt die Hefe bei der Vergärung. Jetzt aber los, Marco, bring den Vermentino zur Traubenmühle!«

Der Angesprochene, Elenas Bruder, ließ sich das nicht zweimal sagen. Der hochgewachsene Mann, der trotz der hohen Temperaturen eine Wollmütze trug, schwang sich auf den Gabelstapler. Gekonnt manövrierte er an die Kiste heran und hob sie mit der Gabel etwa einen Meter hoch. Dann fuhr er langsam auf ein Ungetüm aus Edelstahl zu, dessen Funktion Josef nun erst begriff. Er rangierte den Gabelstapler dicht an die Presse und ließ den Traubenbehälter behutsam in die Höhe fahren.

Marzemino hatte inzwischen die Anlage in Betrieb genommen und gab ihrem Bruder ein Zeichen. Daraufhin senkte sich der Korb langsam herunter und ließ die frisch geernteten Trauben in den stählernen Schlund der Anlage purzeln. Gespannt verfolgte Josef, wie das ratternde Ungetüm die Trauben nach unten beförderte und Stiele und Stängel in einen bereitstehenden Behälter spuckte. Die Trauben, zusammen mit dem Saft, der bereits aus ihnen herauslief, landeten in einem zweiten Behälter. Der Professor verstand, dass dies die Maische war, aus der im nächsten Schritt der jugendlich frische Most abgepresst werden würde. Aus den Trauben, die sie gemeinsam gelesen hatten.

Und den Rest der Arbeit, das hatte ihm die Winzerin ja erklärt, würde die Hefe erledigen.

Josef nahm Stella in den Arm und drückte sie fest an sich. Dann küsste er sie zärtlich auf Stirn, Wangen und Mund, bevor er sich von ihr löste. Sie standen auf der Wiese vor der Terrasse des Haupthauses der Tenuta Monaciano und blickten hinunter auf die hügelige Landschaft. »Was hast du gemacht, als ich in der Kelterhalle war?«, fragte er.

»Ich bin eine Runde um den See spazieren gegangen. Ich musste an damals denken, als wir die Proben entnommen haben.«

»Kommt mir vor, als wäre es eine Ewigkeit her. Wie zwei frisch Verliebte sind wir damals Hand in Hand zum See gelaufen, und dann haben wir Elena kennengelernt.«

»Später ist die Sache mit Barbara passiert. Was, wenn es damals nicht gut ausgegangen wäre? Aber sie wurde zum Glück wieder freigelassen … Und jetzt lebt sie mit meinem Matteo zusammen. Was für eine schöne Geschichte.«

»Und die Drahtzieher sitzen hinter Gittern. Wer weiß, welche Fälle uns noch bevorstehen, Stella. Im Augenblick haben wir es in der Rechtsmedizin ja nur mit Routineobduktionen zu tun.«

»Beschrei es nicht, Pino. Einen neuen Mordfall in der Provinz Siena wünscht sich wohl keiner von uns beiden.«

Sie schauten hinunter auf den von einem Wald umgebenen See. Die intensive Rotfärbung im Westen zeigte, dass die Sonne bereits untergegangen war. In diesem Moment durchzuckte ein Blaulicht die Dämmerung und schoss mit hoher Geschwindigkeit vorbei, bevor es links hinter den Bäumen verschwand. Kurze Zeit später folgten zwei weitere Blaulichter, die dicht hintereinander herfuhren. Ganz automatisch zog Stella ihr dienstliches Telefonino aus ihrer Handtasche und scrollte über das Display.

Neugierig beugte Josef sich vor, um zu sehen, ob sie eine Nachricht bekommen hatte.

»Hat wohl nichts mit uns zu tun, Josef. Komm, lass uns ins Haus gehen, bevor die Pasta kalt wird.

Wenig später saßen sie zwischen den anderen Lesehelfern am großen Tisch des Weinguts. Stimmengewirr und das Geklapper von Besteck auf Porzellan erfüllten den Raum. Türen und Fenster waren weit geöffnet, damit die Abendluft, die sich langsam abkühlte, hereinströmen konnte. Josef hatte bei den reichhaltigen Antipasti, bestehend aus belegten Crostini sowie verschiedenen Käse- und Wurstsorten, schon beherzt zugegriffen, und so war der erste Hunger gestillt. Die Gespräche zwischen den Lesehelfern kreisten um die Frage, wie der Weinjahrgang wohl werden würde, wenn es weiterhin so viel regnen würde wie in den letzten Tagen. »Noch sehen die Sangiovese-Trauben, die ja der Hauptbestandteil unseres Chianti-Weins sind, prächtig aus. Für die nächsten Tage ist sonniges Wetter angesagt, deshalb mache ich mir keine Sorgen. Jetzt aber zur Pasta, ihr fleißigen Helfer!« Die Winzerin und ihr Bruder standen auf und kamen schon bald darauf mit zwei dampfenden Schüsseln zurück.

»Tortelli di patate, gefüllt mit Kartoffeln und Parmesan«, erklärte Elena Marzemino, während sie die Nudeln auf Josefs Teller beförderte. »Dazu habe ich diesmal eine Soße aus Zwiebeln, Pancetta, Butter und Rosmarin gemacht. Buon appetito, ich hoffe, es schmeckt euch.«

Josef zerkaute die Nudeln genüsslich, die durch Schinken und Zwiebeln erst den richtigen Pfiff bekamen. Er trank einen Schluck Vermentino dazu, der mit seiner frischen Säure das Gericht perfekt akzentuierte. Dann ließ er sich in den Stuhl fallen. »Sag Bescheid, wenn der Sangiovese dran ist, ich komme gerne wieder … Falls Guido Medici, mein Chef, nichts dagegen hat.«

»Der Professor hat jetzt endlich einen Chef, ist das nicht toll?«, rief einer der Lesehelfer vom Ende des Tischs und lachte fröhlich. Sofort stimmte der Rest der Anwesenden mit ein.

»Ich finde es so großartig, dass du die Entscheidung getroffen hast, zu Stella nach Colle di Val d’Elsa zu ziehen, Josef. Und in deinem Alter beruflich noch mal neu anzufangen … Ich drücke dir ganz fest die Daumen, dass du glücklich damit wirst. Ihr seid bei mir immer willkommen«, sagte die Winzerin an Josef gewandt.

»Wir schleppen ja beide unsere Geschichte mit uns herum. Mit Beziehungen, die wir vergeigt haben«, sagte Stella nachdenklich und so leise, dass nur die Winzerin, deren Bruder und Josef es verstehen konnten. »Aber wir wollen, dass es diesmal klappt, und momentan sind wir glücklich wie zwei Teenager.« Stella ergriff Josefs Hand unter dem Tisch und drückte sie fest.

Ein wohliges Gefühl durchflutete ihn. Er schluckte und spürte, wie seine Augen einen feuchten Schimmer bekamen.

In diesem Moment griff Stella hinter sich und zog ihr brummendes Telefonino aus der Handtasche, die sie über die Stuhllehne gehängt hatte. Sie drückte auf das Display, hielt das Handy ans Ohr und meldete sich. Sofort wurde es still im Raum, alle Augen waren auf Stella gerichtet. »Dio mio!«, rief sie erschrocken aus und hörte einen Moment lang zu. »In Ordnung, wir kommen sofort«, sagte sie entschlossen. »Josef Tiefenthal ist bei mir, aber bitte, sagen Sie auch Gudio Medici Bescheid.« Stella legte auf. »In der Nähe wurde eine Leiche gefunden«, erklärte sie in die Runde. »Es tut mir leid um das gute Essen und eure liebe Gesellschaft. Aber das ist nun mal unser Job.«

2. Kapitel

Stella und Josef hatten die Pasta noch schnell aufgegessen und ihre Weingläser geleert. Dann hatten sie sich nochmals wortreich entschuldigt und waren in den zitronengelben Seicento der Commissaria gestiegen, um zum Fundort der Leiche zu fahren. Nachdem sie das Auto gestartet hatte, instruierte Stella den Professor. »Gib mal bitte Torre alle Tolfe in dein Handy ein. Ich kenne den Weg ungefähr, es müssten maximal zehn Kilometer sein bis dahin. Zur Sicherheit sollten wir uns führen lassen, dafür gibt es die Dinger schließlich.«

Nach einer Eingabe und ein paar Klicks hatte Josef das Ziel gefunden und startete die Navigation. »Verrätst du mir auch, was passiert ist, Stella?«

»Ein Spaziergänger hat eine weibliche Leiche entdeckt. Sie liegt auf einem beliebten Mountainbike-Trail in der Nähe des Weinguts Torre alle Tolfe. Auf den ersten Blick sieht es nach einem tragischen Unfall aus. Aber die Carabinieri haben die Polizia di Stato verständigt und darum gebeten, dass wir uns die Leiche mal anschauen.«

»Hätten wir nicht erst aufessen können? Ich hätte gerne noch den Hauptgang mit einem schön gereiften Chianti genossen. Und so werden wir nie erfahren, welche Überraschung Elena als Dessert geplant hat. Die Leiche ist doch schon tot, da ist doch nicht solch eine Eile geboten.«

»Mensch, Josef! Wenn die Carabinieri uns um Unterstützung bitten, dann fahren wir sofort da hin. Die Spuren müssen so frisch gesichtet werden, wie es geht. Soll ich den Kollegen etwa sagen: Sorry, aber wir müssen noch zwei Gänge verspeisen? Wartet bitte so lange auf uns?«

»Stella, das war ein Scherz«, sagte Josef und legte ihr beruhigend die Hand auf den Oberschenkel.

»Du spinnst, Pino. Mach das nie wieder!«

Sie fuhren langsam auf der schmalen Straße, bis sie bereits die Autos der Carabinieri, der Polizia Stradale und der Polizia di Stato vor sich stehen sahen. Die Kollegen hatten großzügig mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Im Hintergrund waren ein Notarzteinsatzfahrzeug und ein Rettungswagen zu erkennen. Stella ließ das Auto vor dem Absperrband zum Stehen kommen, als ein schlaksiger Mann mit bleichen, kindlichen Gesichtszügen die Absperrung herunterdrückte und ihnen entgegenkam.

Stella und Josef stiegen aus. »Sind ja alle schon da, Signor Parisi«, begrüßte die Commissaria den jungen Agente mit Handschlag.

»Bis auf Dottor Medici. Den konnte ich nicht erreichen. Aber wie ich sehe, haben Sie ja rechtsmedizinische Kompetenz dabei. Und zwar gleich einen Professore.« Er reichte Josef die Hand und verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Kommen Sie, ich führe Sie zur Leiche. Hätte der Typ mit dem Hund die Frau nicht früher finden können? Ausgerechnet am Sonntagabend, wenn Italien gegen Frankreich spielt.« Er zog sein Smartphone aus der Tasche, wischte über das Display und steckte es enttäuscht zurück in die Hosentasche.

»Klar, der Calcio, der Fußball ist natürlich wieder wichtiger als alles andere. Wir sind auch nicht zu unserem Vergnügen hier, Signor Agente, fragen Sie den Professore. Wo ist der Spaziergänger? Ist er noch vor Ort?«

»Hat brav auf uns gewartet, sitzt drüben im Wagen.« Parisi zeigte auf einen Kleinbus der Polizia di Stato.

»Gut, den nehmen wir uns später vor, jetzt erst mal zum Fundort«, entschied die Commissaria. Sie sah sich aufmerksam nach allen Seiten um, grüßte die umherstehenden Kolleginnen und Kollegen. Die meisten von ihnen schien sie zu kennen.

Parisi führte sie an den Rand des Hügels, dann blieb er stehen. »Hier führt der Trail hoch. Wir gehen ein Stück weiter und dann parallel zum Radweg durch den Wald nach oben. Ist zwar etwas anstrengender als auf dem eigentlichen Weg, aber wir wollen schließlich keine Spuren verwischen.«

Sie folgten dem Agente auf einem Trampelpfad, der steil hinaufführte. Der Boden war matschig, und die beiden waren froh, noch die Wanderschuhe zu tragen, die sie für die Weinlese angezogen hatten. Trotzdem stolperte Josef über einen Stein, den er übersehen hatte, und hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Da er hinter den anderen herging, blieb dies unbemerkt. Bald schon brachen grelle Lichtstrahlen zwischen den Ästen der Kiefern hindurch. Parisi blieb stehen. »Die Kollegen der KTU haben Flutlichter aufgestellt«, erklärte er. Dann ging er weiter, nur, um nach einigen Schritten erneut stehen zu bleiben. Eine kleine Frau, die durch ihre orangefarbene Warnweste als Notärztin zu erkennen war, kam ihnen entgegen. Sie wollte um die Gruppe herumgehen, doch Stella zog sie am Arm.

»Das ist Professore Tiefenthal, der stellvertretende Rechtsmediziner, und ich bin Commissaria Bernucci. Sie haben die Leiche untersucht?«

»Einen Professore als Stellvertreter hätte ich auch gerne«, sagte sie mit überraschend dunkler Stimme. »Für mich gibt es hier nicht viel zu tun. Die junge Frau ist schon länger tot, aber das werden Sie sicher genauer bestimmen können, Professore. Äußere Verletzungen habe ich auf die Schnelle nicht festgestellt, aber ich wollte die Fundsituation auch so wenig wie möglich verändern.«

Stella bedankte sich für die Auskunft, dann stapfte die Dreiergruppe weiter nach oben, bis sie auf der Höhe des grell ausgeleuchteten Fundorts angekommen war. Zwei weiß gekleidete Kollegen und eine Kollegin der Spurensicherung arbeiteten auf dem taghellen Platz um den Mountainbike-Trail herum. Die Frau sicherte Fingerabdrücke am Fahrrad, einer der Männer schoss Fotos, während der dritte vor der Leiche kniete und gerade vorsichtig den Fahrradhelm löste.

Parisi bat den Mann, der die Fotos machte, Tiefenthal und Bernucci mit Schutzkleidung auszustatten. Während die beiden die weißen Overalls überzogen und Überzieher über die Wanderschuhe streiften, verabschiedete sich Parisi. Josef blickte ihm nach und sah, wie er blitzschnell das Smartphone aus der Hosentasche zog, darüberwischte und den Kopf schüttelte.

Josef und Stella gingen auf die Leiche zu. Der Kollege erhob sich sofort, man begrüßte einander knapp. Der Professor blickte auf die Tote, deren Kopf und Hände von Schmeißfliegen umschwirrt waren. Ein süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase, er wandte sich instinktiv ab.

»Ich weiß, es ist fürchterlich, Josef. Brauchst du einen Moment?«, fragte Stella verständnisvoll.

»Nein, nein, ist schon gut«, beteuerte er und ließ den Blick über die junge Frau gleiten. Sie trug eine schwarze Sporthose sowie ein eng anliegendes gelbes Shirt und lag seltsam verdreht vor ihnen. Ihre Hände steckten in kurzen Handschuhen, die Fingernägel waren blau verfärbt. Es war nicht zu übersehen, was die Medizinerin gemeint hatte. Die Verwesung der Leiche hatte bereits eingesetzt.

»Ich lass euch hier mal machen und gehe rüber zum Fahrrad«, sagte Stella und wandte sich ab.

Josef und der SpuSi-Kollege mit dunklem Vollbart und deutlichem Bauchansatz gingen in die Hocke. Automatisch wandte der Professor sich vom Gesicht der Toten ab und untersuchte zunächst ihre Finger, schob die Ärmel des T-Shirts hoch. »Sehr gepflegte Hände. Die fleckige Haut, all die anderen Anzeichen von Verwesung. Sie liegt seit zwei bis drei Tagen hier, was meinen Sie?«

»Nicht meine Baustelle, Professore. Bin hier auch so weit fertig. Ich habe versucht, Fingerabdrücke von der Leiche zu nehmen, aber wenn Sie mit der Liegezeit recht haben, wundert es mich nicht, dass ich nicht erfolgreich war. Die Fotos der Toten haben wir im Kasten.« Er stand auf und streckte den Rücken durch.

Josef gab sich einen Ruck und wandte sich dem Gesicht der Toten zu. Als er in die leeren Augen schaute, die wegen der eingesetzten Verwesung bereits angefangen hatten, aus den Höhlen zu treten, musste er schlucken. Er dachte kurz daran, auf Medici zu warten, doch dann fasste er den Kopf der Toten und drehte ihn vorsichtig hin und her. »Genickbruch«, murmelte er leise.

»Dann ist der Fall doch klar, oder, Professore? Die sportliche Frau ist den steilen Trail hinuntergesaust, hat die Kontrolle über ihr Mountainbike verloren, ist gestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Da hat der Helm leider auch nicht geholfen. Ich sag den Kollegen unten Bescheid, dass sie die Leiche abholen können. Oder brauchen Sie noch etwas?«

Josef stand ebenfalls auf und schaute sich um. Der Weg war an dieser Stelle sehr steil, große Steine lagen herum, denen man ausweichen musste, oder man brach sich den Hals. Es war wohl ein tragischer Unfall, weiter nichts. »Wer ist sie?«, entfuhr es ihm plötzlich.

»Das wüssten wir auch gern«, sagte der Kollege schulterzuckend. Sie hatte keine Papiere dabei, das habe ich gecheckt. Ein Handy haben wir auch nicht gefunden. Vielleicht war jemand vor uns da? Es gibt solche Menschen, glauben Sie mir.«

»Okay«, resümierte Josef. »Lassen Sie sie in die Rechtsmedizin bringen. Wir schauen sie uns morgen in Ruhe an, mit Zahnstatus und so weiter. Wir werden schon herausfinden, wer sie ist.«

Josef ging zum Fahrrad, wo Stella bereits auf ihn wartete. Er fasste knapp zusammen, was er herausgefunden hatte.

»Sieht alles nach einem Unfall aus. Am Lenker ist eine Halterung für das Handy, aber das Telefon selbst ist verschwunden. Parisi muss die Vermisstenmeldungen durchgehen, Ihr könnt es über den Zahnstatus probieren, aber das dauert natürlich, bis sich ein Zahnarzt meldet, der sie behandelt hat. Riecht jedenfalls nach Routine, so ist es meistens, und daran musst du dich gewöhnen, Josef.«

»Vielleicht finden wir bei der Obduktion ja etwas Überraschendes, ein körperliches Merkmal, eine DNA-Spur …«

»Das meine ich, Josef. Man muss auch die Routine akzeptieren können. Nicht hinter jedem Todesfall steckt ein großes Geheimnis. Wir gehen jetzt mal runter, ich befrage den Spaziergänger, und du kannst ja so lange im Auto warten, bis ich fertig bin.«

Stella klopfte an die Scheibe des Kleinbusses der Polizia di Stato. Die junge Polizistin mit der Kurzhaarfrisur zuckte zusammen, schaute von ihrem Handy auf und ließ die Scheibe herunter.

»Ist der Spaziergänger noch bei Ihnen, der die Leiche gefunden hat? Agente Parisi meinte das.«

»Ja, sicher«, sagte die Kollegin und sprang behände aus dem Auto. Dann schob sie die Tür beiseite, stellte Stella vor und ließ sie einsteigen.

»Wie lange soll das hier denn um Himmels willen noch dauern?«, blaffte der Mann mit den grauen Stoppelhaaren, der platt gedrückten Nase und dem rundlichen Gesicht sie an. »Leonchito ist schon ganz unruhig. Er will langsam nach Hause.«

»Leonchito?«, fragte Stella erstaunt.

»Na, mein Volpino.«

Stella beugte sich unter den Tisch, an dem sie dem Mann gegenüber im Bus Platz genommen hatte. Ein kleiner, strahlend weißer Hund mit winzigem fuchsartigem Kopf und dunklen Knopfaugen schaute sie neugierig an. Stella strich ihm zärtlich über das samtige, wattebauschartige Fell. »Du kleiner Löwe hast sie also gefunden«, sagte sie.

»Sie haben auch einen Hund?«, fragte der Mann und schaute gleich viel freundlicher drein.

»Zwei Katzen, Lea und Luca. Wo sind Sie spazieren gegangen, und wie haben Sie die Leiche entdeckt?«

»Abends mache ich immer noch mal eine Runde mit Leonchito. Hier sind wir zum ersten Mal langgegangen. Und zum letzten Mal, das können Sie mir glauben, Signora Commissaria. Ich ließ Leonchito von der Leine, und er büxte sofort aus. Das ist normal, er braucht eine Menge Auslauf. Aber dann hörte ich das Bellen, er wollte gar nicht mehr damit aufhören. Ich hab ihn gerufen, aber das hat nichts genützt. Dabei hört er sonst aufs Wort. Also bin ich ihm hinterher, na ja, und dann sah ich erst das Fahrrad … und dann sie. Ich habe Leonchito schnell angeleint, weggezerrt, und als wir wieder auf dem Weg waren, habe ich sofort die Polizia gerufen.«

»Haben Sie etwas angefasst oder verändert?«

»Nur das Fahrrad habe ich angehoben. Die Leiche habe ich ja nicht sofort gesehen, deshalb …«

»Die Tote haben Sie nicht berührt?« Stella schrieb eine Notiz in ihr rotes Büchlein, das sie stets bei sich trug. »Sie haben auch nichts an sich genommen? Handy, Brieftasche, Dokumente oder Kreditkarten?«

»Was denken Sie von mir?«, rief er entrüstet. »Als ich ihre Augen sah, wie sie mich anstarrten, da wusste ich doch gleich, dass sie tot ist. Ich habe Leonchito sofort angeleint, und dann sind wir beide schnell nach unten. Wie soll ich diesen Blick jemals vergessen?« Er stützte das Gesicht in die Hände und schüttelte den Kopf.

»Sie brauchen jetzt Ruhe, danke, dass Sie sich sofort gemeldet haben. Sie kommen dann morgen bitte in die Questura, damit wir Ihre Aussage aufnehmen können.« Die Commissaria verabschiedete sich und ging zurück zum Auto, wo der Professor auf sie wartete. Von Weitem sah sie bereits, dass Guido Medici, der Rechtsmediziner, inzwischen eingetroffen war und sich angeregt mit Josef unterhielt. Sie gesellte sich dazu und begrüßte den Mediziner.

»Es ist unfassbar«, sagte Medici an sie gewandt. »Anstatt auf mich zu warten, entscheidet der Kollege einfach schon mal, dass die Leiche abtransportiert werden kann.«

»Aber die SpuSi war doch fertig, äußerlich ist an der Leiche nichts zu erkennen, den Genickbruch habe ich bereits festgestellt. Alles andere wird sich morgen zeigen. Und ohnehin sieht ja alles nach einem Fahrradunfall aus«, warf Josef ein.

»Genau das meine ich, Josef«, ereiferte sich Medici. »Du ziehst voreilige Schlüsse und das schränkt dein Urteilsvermögen ein. So entgehen dir Details, die sich später vielleicht als wichtig erweisen könnten. Du hast dich wie ein Anfänger verhalten. Und von meiner langjährigen Erfahrung konntest du so auch nicht profitieren. Du hättest doch nur eine halbe Stunde warten müssen!«

Josef verzog den Mund und schaute so bedröppelt wie ein Schüler, der gerade von seinem Lehrer zurechtgewiesen worden war.

3. Kapitel

»Du hast dich gestern einfach umgedreht und bist eingeschlafen. Und als der Wecker klingelte, warst du sofort hellwach.« Stella lenkte ihren Seicento auf den letzten noch freien Parkplatz vor dem Gebäude der Rechtsmedizin und schaute Josef amüsiert von der Seite an.

»Na ja, hellwach bin ich nun nicht gerade.« Josef gähnte. »Das Wochenende sollte doch zum Ausruhen sein, damit man am Montag wieder fit für seinen Arbeitgeber ist. Aber gestern war wirklich stressig. Erst die ungewohnten Verrenkungen bei der Weinlese, und als es beim Cena so langsam gemütlich wurde, wurden wir zu der Leiche gerufen. Und dann noch Guido, der sich auf den Schlips getreten fühlt.«

»Deshalb beneide ich dich ja um deinen tiefen Schlaf. Ich bin immer wieder aufgewacht, habe mich unten aufs Sofa gelegt. Aber das ist natürlich viel zu unbequem, um darauf richtig schlafen zu können.«