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Ein Turnier um Macht. Eine Liebe gegen alle Regeln. Eine Wahrheit, die das Reich in Flammen setzt. Liora kämpft um ihr Leben – und um ihren Platz im Rat des Königs. Als eine von Hunderten wird sie in ein brutales Turnier geschickt, in dem nur die Stärksten überleben. Zwischen blutigen Kämpfen, magischen Prüfungen und einer Vergangenheit, die sie nicht ruhen lässt, trifft sie auf Cassian – ihren ärgsten Rivalen, der mehr in ihr auslöst, als sie sich eingestehen will. Doch nichts ist, wie es scheint. Verrat lauert in den Schatten, und als Liora erkennt, wer sie wirklich ist, bricht eine Wahrheit über sie herein, die das Reich in den Abgrund reißen könnte. Denn tief in den Flammen ihrer Kraft schlummert eine Macht, die einst Könige gestürzt hat – und sie ist nicht die Einzige, die sie begehrt. Ein atemloser Fantasy-Roman voller Intrigen, Magie, Leidenschaft – und einer Heldin, die alles riskiert.
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Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Veridianth – When it all goes up in flames
© 2025 R. E. Veridan
Selbstverlag über epubli
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Wiedergabe ist ohne schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt.
Satz und Gestaltung: R. E. VeridanCoverdesign: R. E. Veridan
ISBN: 978-3-819726-89-7
Erstveröffentlichung: 2025
Der Himmel war ein tiefes, unbarmherziges Blau, als sich Evadne auf den Stufen des Sonnentempels niederkniete. Kein Windhauch linderte die Hitze, die auf den Steinen brannte. Tausende standen auf dem weiten Platz von Pyronis, doch alles war still. Atemlos. Erwartungsvoll.
Earric, ihr Gemahl, stand hinter ihr. Seine Hand ruhte sacht auf ihrer Schulter, eine Geste der Zuneigung, so sanft wie der letzte Schatten vor der Mittagssonne. Er war nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit heute – das war sie. Doch seine Gegenwart war ihr Anker, sein Blick ein Schild gegen das, was kam.
Die Hohepriesterin trat hervor. Ihre Roben aus glühenden Seidenfäden leuchteten in der Sonne wie flüssige Lava. In ihren Händen hielt sie die Krone der Elemente – eine aus Gold geschmiedete Reifenkonstruktion, besetzt mit einem Rubin für das Feuer, einem Saphir für das Wasser, einem Smaragd für die Erde und einem Diamant für die Luft. Das Gewicht dieser Krone war mehr als nur materiell. Es war Symbol. Schicksal.
Evadne sah sie kommen und zwang sich, nicht zu zittern. Nicht heute.
"Evadne von Veridianth," erklang die Stimme der Priesterin, feierlich und kalt, "bist du bereit, die Krone der Vier zu tragen? Die Verantwortung der Elemente in dir zu vereinen?"
Sie antwortete nicht mit Worten. Sie neigte den Kopf. Das Ja lag in der Stille.
Die Krone wurde ihr aufgesetzt. Das Metall war eiskalt. Oder vielleicht brannte es. Beides zugleich. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, als die Dornen der inneren Krone in ihre Haut schnitten. Einer war scharf genug, um die Haut an ihrer Stirn zu durchbohren. Ein einzelner Tropfen Blut rollte herab. Warm. Echt. Menschlich.
Sie spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Und dann, wie die Welt erbebte.
Die Elemente erwachten.
Feuer schoss ihr durch die Adern, wild und zähm zugleich. Es brüllte in ihrem Innersten, ein gieriges, zähnendes Etwas, das seine neue Herrin verkünden wollte. Es war keine stille Flamme mehr. Es war ein Rohr, das durch ihren Körper vibrierte, als wolle es allen zeigen, wem Evadne wirklich gehörte. Die Sonne flackerte für einen Moment, als hätte sie sie erkannt. Wasser – kühler, fremder – zog sich an ihrer Wirbelsäule entlang, wie ein leiser Strom, der doch die Kraft hatte, Welten zu verschlingen. Luft riss an ihr, hob ihr Haar, ließ sie beinahe schweben. Und Erde – alt, tief, brummend – vibrierte in ihrem Brustkorb, als wäre ihr Herz aus Stein geschlagen worden.
Sie schrie nicht. Sie hielt es aus.
Denn das war ihr Preis.
Als sie sich erhob, zitterten ihre Beine. Earrics Hand war sofort da. Fest. Stark. Er flüsterte ihren Namen, nur für sie. "Du bist noch hier. Du bist Evadne."
Sie sah ihn an. Und für einen Atemzug war sie nicht die Königin der Elemente. Nur eine Frau, deren Stirn blutete und deren Herz sich nach einem einzigen ehrlichen Blick sehnte.
Dann trat sie vor. Die Menge war still. Kein Jubel. Kein Gesang.
Nur Angst.
Die Augen des Volkes waren auf sie gerichtet, aber nicht mit Hoffnung. Sondern mit Furcht. Sie sah es in den Gesichtern der Bauern, der Ratsmitglieder, sogar der Soldaten. Ihr Blick hatte sich verändert. Ihre Aura. Sie war mehr als menschlich geworden. Und das machte ihnen Angst.
Doch dann durchbrach ein Klang die Stille. Ein einzelner Jubelruf, stark und klar. Die Ritter des Palastes – in goldener Rüstung, mit ihren Schwertern auf das Pflaster gestemmt – riefen ihr zu. Ein Ruf, der sich steigerte, der über den Platz trug wie eine Welle aus Stahl und Treue. Sie jubelten ihr zu. Nicht als Zeichen blinder Loyalität, sondern als Erkennen dessen, was sie nun war: eine Herrscherin, eine Waffe, eine Hoffnung.
"Sie denken, du bist nicht mehr eine von ihnen," sagte Earric leise neben ihr.
"Vielleicht bin ich das nicht," antwortete sie. "Nicht ganz."
Er nahm ihre Hand. "Dann sei das, was sie brauchen. Nicht das, was sie verstehen."
Ihre Finger schlossen sich um seine. Das Blut an ihrer Stirn war getrocknet. Ein Mahnmal. Ein Beweis. Die letzte Spur ihrer Menschlichkeit.
Und tief in ihrem Inneren, wo Feuer und Wasser, Luft und Erde miteinander rangen, wusste Evadne: Das war der Anfang. Der erste Tag einer neuen Ära.
Und der erste Schritt hinein in etwas, das sie entweder retten oder zerstören würde.
„Lang lebe der König!“
Die Gläser stießen klirrend aneinander, während ein Dutzend Stimmen den alten Leitspruch durch die von Kerzenlicht durchflutete Bar schleuderten. Die „Flammenstube“ – ein Ort, an dem Geschichten geboren wurden, meistens nach zu viel Met und zu wenig Verstand – vibrierte vor Leben. An diesem Abend war sie voller als sonst. Vielleicht, weil das neue Jahr begonnen hatte. Vielleicht, weil sich Veränderung anfühlte wie ein Gewitter in der Brust.
Liora saß inmitten ihrer Freunde, das Kinn leicht gesenkt, die Finger spielten mechanisch mit dem geflochtenen Ende ihres Zopfes. Um sie herum tönte Gelächter, klirrendes Geschirr, die vertrauten Stimmen von Lyanna, Syloan, Theron und Darian. Und doch schien sie nicht ganz dazuzugehören. Nicht heute.
Lyanna hob ihr Glas mit einem Grinsen, das fast ansteckend war. „Ein weiterer Tag in Veridianth – mit Aussicht auf Chaos.“„Oder Veränderung“, warf Syloan ein. Ihre Stimme war wie immer ruhig, kontrolliert, mit dieser unterschwelligen Schärfe, die sie nie ganz verbarg. „Ein Jahr, das vielleicht alles kippen lässt.“
„Der König sucht eine neue rechte Hand“, brummte Theron und stützte die Unterarme auf die Tischplatte. Sein Blick war schwer wie Stein, fest und unbeirrbar. „Ein Wettkampf, der alles verändern könnte.“
„Und wir mittendrin“, grinste Darian, seine Stimme ein wenig zu laut, seine Augen ein wenig zu klar für jemanden, der schon zwei Krüge geleert hatte. „Natürlich melden wir uns an. Was soll schon schiefgehen?“
Liora sagte nichts. Ihre Aufmerksamkeit ruhte auf dem Glas vor ihr, in dem sich das Kerzenlicht spiegelte wie ein kleines, züngelndes Feuer. Die Gespräche um sie herum rauschten wie Wind durch Blätter – Worte über Hoffnung, Macht, Wandel. Über einen Wettkampf, der jedes Jahr angekündigt, aber nie ernst genommen worden war. Bis jetzt.
Seit dem Tod der Königin war Veridianth aus dem Gleichgewicht geraten. Und alle wussten es.
„Seit sie nicht mehr ist“, begann Lyanna leiser, „verhält sich die Welt… falsch.“ Sie drehte ihr Glas, als könnte sie darin eine Antwort finden. „Die Drachen sind aggressiver. Ich habe Berichte gehört von verbrannten Dörfern, von Feuer, das nicht mehr aufhört zu brennen.“
Syloan nickte. „Und das Wasser. Die Küsten sind kaum noch bewohnbar. Die Wellen schlagen höher, die Stürme reißen ganze Schiffe entzwei. Es ist, als hätte das Meer die Geduld mit uns verloren.“
„Die Erde selbst bebt“, ergänzte Theron. „Letzte Woche ist ein ganzer Hang bei Marn abgestürzt. Und niemand weiß, warum.“
„Und der Himmel?“ Darian zuckte mit den Schultern. „Der schmeißt mit Blitzen, als wäre ihm langweilig.“
Ein kurzer Moment der Stille. Der Ernst kroch langsam durch die Ritzen der fröhlichen Fassade.
Liora spürte ihn wie einen kalten Finger im Nacken.
Sie war die Einzige unter ihnen ohne Herkunft. Keine alte Familie. Kein Haus mit Wappen. Kein Titel, der ihr Schutz oder Stolz verlieh. Ihre Vergangenheit war ein Schatten. Das Waisenhaus, das sie vor fünf Jahren verlassen hatte, die Narben auf ihrer Hand, die niemand ansprach – sie war gezeichnet von einem Leben, das sie selbst nicht gewählt hatte.
Ihre Freunde waren ihre Familie. Ihre einzige.
Und dennoch… manchmal fühlte sie sich wie ein loses Stück in einem perfekt geschnitzten Mosaik.
Liora lehnte sich leicht zurück, das Glas noch immer in der Hand, während um sie herum das Gespräch allmählich versickerte wie Met in rissiges Holz. Die Worte ihrer Freunde hatten sich gesetzt, wie Staub auf der Oberfläche einer alten Erinnerung.
Draußen rüttelte der Wind an den Fensterläden.
Und in ihr begann etwas zu erzählen.
Vor vielen Jahrzehnten, lange bevor Veridianth zu dem wurde, was es heute war, hatte es den Großen Krieg gegeben – ein infernales Flammenmeer aus Macht, Verrat und zerbrochenen Schwüren. Die Welt hatte in Trümmern gelegen, zerrissen von Kriegen zwischen den Reichen der Elemente. Es war eine Zeit, in der Luft, Wasser, Erde und Feuer nicht zusammenkamen, sondern einander zerschlugen.
Aus dieser Asche jedoch war etwas erwachsen, das größer war als die Gewalt, die es hinterließ.
Ein Königspaar. Earric und Evadne.
Ihre Namen wurden noch heute mit Ehrfurcht ausgesprochen – nicht nur wegen der Krone, die sie trugen, sondern wegen der Harmonie, die sie verkörperten. Gemeinsam hielten sie die Kontrolle über alle vier Elemente – eine Macht, die nie wieder jemand vereint in sich tragen sollte. Sie waren das Herz Veridianths, das Zentrum eines neuen Gleichgewichts.
Nach dem Krieg hatten sie entschieden, dass die Völker der Elemente nicht länger voneinander getrennt leben sollten. Die alten Grenzen fielen, und stattdessen entstanden elf neue Provinzen – benannt nach Gottheiten und legendären Bewahrern, die in der Schlacht gegen das Chaos gefallen waren. Es war nicht mehr von Bedeutung, woher man kam. Nur noch, wohin man gehörte.
Und für einen Moment – ein einziges, kostbares Kapitel in der langen Geschichte der Welt – war Frieden kein Traum mehr, sondern Realität.
In den Straßen Veridianths mischten sich Luftnomaden mit Erdkriegern, Meeresheiler mit Feuerbändigern. Die Drachen flogen wieder, nicht als Waffen, sondern als freie Wesen unter dem offenen Himmel, geführt von Reitern, die sie sich selbst erwählten. Die Winde flüsterten in sanften Sommernächten, die Meere trugen die Schiffe sicher bis an ferne Küsten. Die Erde ruhte. Und das Feuer – es wärmte, statt zu verbrennen.
Doch alles, was aus Balance bestand, war stets nur einen Atemzug vom Kippen entfernt.
Als Königin Evadne starb – ohne Vorwarnung, ohne Nachfolge –, bebte nicht nur das Reich. Die Elemente selbst schrien auf. Denn es war nie vorgesehen gewesen, dass ein einziger Mensch so viel Macht tragen konnte. Nicht auf Dauer. Ihre Magie war ein Pakt gewesen – und mit ihrem Tod war er gebrochen worden.
Seitdem hatte sich die Welt verändert.
Die Drachen – einst Wächter und Gefährten – wurden unruhig. Ihre Feuer stiegen in den Himmel, heißer, wilder, zielloser als je zuvor. Die Meere tobten. Wellen verschlangen ganze Dörfer, als wollten sie das Land zurückfordern. Die Luft heulte in zornigen Stößen über Ebenen und Berge hinweg, riss Dächer fort, zerschmetterte Fenster. Und die Erde? Sie bebte. Immer öfter. Immer tiefer. Als wolle sie sich aus den Fugen heben und die Ordnung abschütteln, die ihr aufgedrückt worden war.
Liora wusste, dass man das Gleichgewicht verloren hatte. Jeder wusste es.
Und doch… niemand hatte es laut ausgesprochen.
Nicht wirklich.
Die Bewahrer – das alte Konsil des Königshauses – versuchten, das Reich zusammenzuhalten. Sie kämpften gegen Fluten, Brände, Beben. Und gegen die Angst. Denn die Menschen begannen zu flüstern. Nicht nur über das, was war. Sondern über das, was kommen könnte.
Zwei Gerüchte machten die Runde. Zuerst leise, dann lauter, bis sie in aller Munde waren. Zwei Geschichten, zwei Möglichkeiten – oder zwei letzte Hoffnungen.
Die erste sprach von einem Wettkampf.
Nicht irgendeinem, sondern einem, der die Stärksten jeder Disziplin hervorbringen sollte. Bändiger, Kämpfer, Taktiker – aus jeder Provinz, aus jedem Element. Sie sollten nicht gegeneinander, sondern füreinander antreten. Gemeinsam. Und ihre vereinte Kraft sollte die Lücke füllen, die Evadnes Tod gerissen hatte. Kein neues Königspaar. Sondern ein neues Konstrukt – geteilt, aber mächtig.
Die zweite Geschichte war intimer.
Ein Gerücht, das sich wie Nebel über die Flure des Palastes legte. Der König, so sagte man, suchte erneut eine Königin. Nicht nur, um das Gleichgewicht der Macht zu sichern – sondern, um Evadnes Vermächtnis weiterzuführen. Als könnte eine neue Verbindung das alte Band heilen. Als könnte Liebe allein eine Welt retten, die im Chaos versank.
Liora wusste nicht, welchem Gerücht sie mehr misstraute.
Vielleicht war es naiv, überhaupt zu hoffen.
Doch in dieser Nacht, in der „Flammenstube“, während das Licht der Kerzen mit dem Schatten ihrer Gedanken tanzte, spürte sie, wie das Unvermeidliche näher rückte.
Nicht wie ein Sturm. Sondern wie ein stilles Feuer, das bereits zu brennen begonnen hatte.
Ein leiser Ruck ging durch Liora, kaum mehr als ein Atemzug – aber genug, um etwas in ihr zu verschieben.
Mit einem neuen Gefühl von Entschlossenheit hob sie ihr Glas. Die Flammen darin spiegelten sich in ihren Augen, tanzten über ihre Narben, und für einen Moment war da etwas in ihrem Blick, das weder Zweifel noch Angst war.
„Auf uns“, sagte sie leise. „Auf das, was uns verbindet. Und vielleicht… ist es an der Zeit, dass ich meinen Platz in dieser Welt finde.“
Stille. Kein großes Pathos, kein überschwänglicher Jubel. Nur ein stummes, gemeinsames Einverständnis, das zwischen ihnen hing wie ein unausgesprochenes Versprechen. Veränderung lag in der Luft. Nicht laut, nicht dramatisch – aber beständig, wie ein schwelendes Feuer, das langsam beginnt, Raum zu fordern.
Theron hob sein Glas in einem stummen Toast. „Auf die Zukunft Veridianths – und auf die Freundschaft, die uns daran erinnert, wer wir sind. Möge unser Mut größer sein als das, was uns bevorsteht.“
Sie tranken. Und als das Gespräch wieder an Fahrt aufnahm, war etwas anders. Tiefer. Ehrlicher.
Sie sprachen über die wachsende Unruhe in den Grenzregionen, über die Handelsrouten, die durch Stürme und Aufstände unterbrochen waren, über verschwundene Karawanen und das Gerücht, dass sich jenseits der Berge etwas zusammenbraute – etwas, das selbst die Drachen unruhig machte.
Und sie sprachen über den Wettkampf. Über die Prüfungen, deren Form niemand kannte. Über das, was sie kosten könnten. Niemand wusste, ob es ein Duellturnier war, eine Reihe von Elementaufgaben oder ein tödliches Spiel mit unbekannten Regeln. Und das machte es so gefährlich. Denn wie bereitet man sich auf etwas vor, das niemand versteht?
Liora lauschte, während ihre Freunde – ihre Familie – über Strategien, Vorräte und Verteidigung redeten. Lyanna, mit leuchtenden Augen, sprach davon, wie das Wasser nicht nur Leben brachte, sondern auch zerstören konnte, wenn man es falsch lenkte. Wie sie gelernt hatte, es zu zähmen – und gleichzeitig zu fürchten.
Syloan erklärte, dass die Luft nicht einfach ein Element war – sondern eine Entscheidung. Man konnte sie kontrollieren. Oder mit ihr untergehen. Und sie würde sich nicht unterkriegen lassen.
Theron erinnerte sie an die Kraft der Erde. An das Fundament, auf dem alles ruhte. Seine Magie war nicht spektakulär, nicht auffällig – aber sie war beständig. Und wenn alles fiel, war er der, der stehen blieb.
Sie redeten auch über ihre Vorbereitungen. Liora war beinahe schockiert, wie weit die anderen bereits waren. Waffen geschärft. Kleidung verstärkt. Vorräte zusammengestellt. Selbst medizinische Mixturen hatten sie zusammengesucht – Kräuter gegen Fieber, Salben gegen Verbrennungen, Verbände. Nicht nur das Nötigste. Alles, was man bräuchte, um zu kämpfen. Oder zu überleben.
Ihr wurde bewusst, dass es längst kein vager Gedanke mehr war. Für die anderen war die Entscheidung gefallen. Der Weg war eingeschlagen.
Und ihnen war genauso klar wie ihr: Liora würde sie nicht allein gehen lassen.
Dumm gelaufen.
Darian hatte die Diskussion schweigend verfolgt – zumindest für seine Verhältnisse. Doch jetzt war er es, der sich aufrichtete und die Spannung mit einem Grinsen durchbrach.
„Ich weiß ja nicht, wie’s euch geht“, sagte er, „aber ich fände es reichlich unhöflich, wenn ihr ohne mich zu ewigen Legenden werdet. Ich bestehe darauf, Teil dieser Tragödie zu sein.“
Ein kollektives Schnauben. Syloan schüttelte leicht den Kopf, aber ein Lächeln zuckte über ihre Lippen.
„Teamarbeit ist alles“, sagte sie ruhig. „Wir haben nicht die Kraft, das allein zu tragen. Aber gemeinsam… können wir vielleicht etwas bewegen.“
Theron nickte. „Wir müssen vorbereitet sein. Nicht auf das, was wir erwarten – sondern auf das, was wir nicht erwarten. Wer sich auf das Schlimmste einstellt, ist selten überrascht.“
Und Liora? Sie schwieg. Nicht weil sie nichts zu sagen hatte – sondern weil sie spürte, wie etwas in ihr wuchs. Kein Funke, keine Flamme. Sondern Glut. Tief und rot und langsam. Das war keine Euphorie. Das war Mut, der aus Angst geboren wurde.
Sie redeten noch lange. Über mögliche Strategien. Über Karten und Ausrüstung, über Drachenreiterlegenden und Elementbändiger, über Geschichten aus früheren Wettkämpfen – sofern man den vagen Überlieferungen glauben konnte. Sie lachten, sie neckten sich, sie erzählten alte Anekdoten, als würden sie das Unvermeidliche hinauszögern.
Aber es half. Es ließ sie lebendig fühlen. Verbunden.
Und mit jedem Blick, jedem Wort, wuchs die unausgesprochene Wahrheit zwischen ihnen:
In einer Woche würden sie aufbrechen. Und nichts würde mehr sein wie zuvor.
Die Entscheidung fiel irgendwann zwischen dem letzten Krug und dem zweiten Versuch, Darian daran zu hindern, auf den Tisch zu steigen und eine patriotische Hymne über Feuerwächter zu improvisieren.
„Wir sollten uns jetzt einschreiben“, lallte er schließlich, als wäre das eine Erleuchtung, die ihm von den Ahnen selbst zugeflüstert worden war.
„Jetzt?“ Lyanna kicherte. „Mit so viel Met im Blut, dass ich den Boden doppelt sehe?“
„Das ist der perfekte Zustand, um lebensverändernde Entscheidungen zu treffen“, verkündete Darian mit der Überzeugung eines Mannes, der gerade dabei war, mit seiner Gabel eine Revolution anzuzetteln.
Theron rollte die Augen, stand aber auf. „Bevor einer von euch vor die Tür kotzt, ja. Gehen wir.“
Sie verließen die Flammenstube in einem Zustand, der irgendwo zwischen heldenhaft und haltlos schwankte. Die Nacht war kühl, die Gassen leer, nur das Licht der Straßenlaternen flackerte über das Kopfsteinpflaster. Liora zog die Kapuze über den Kopf, nicht weil sie fror, sondern weil der Wind so tat, als wüsste er zu viel.
„Ich bin bereit“, murmelte Lyanna neben ihr. „Nicht nüchtern. Aber bereit.“
„Das ist das Motto für alles in meinem Leben“, entgegnete Syloan trocken.
Die Stadt schlief. Veridianth wirkte seltsam still, wie eine Bühne, deren Publikum längst gegangen war, während die Darsteller noch immer versuchten, ihre Szene zu Ende zu spielen.
Das Einschreibebrett stand mitten auf dem Platz vor dem alten Versammlungshaus. Dunkles Eisenholz, von Wind und Zeit gezeichnet, mit der vergoldeten Inschrift:
Teilnehmer des Wettstreits um das Erbe der Elemente.
Darunter: ein einzelnes, frisches Pergament. Noch fast leer.
Ein Wachposten stand daneben, die Arme verschränkt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Er sah sie an – oder durch sie hindurch –, sagte aber nichts. Vielleicht war das Teil des Rituals. Vielleicht war er auch einfach taub geworden nach all den Jahren, in denen zu später Stunde betrunkene Möchtegern-Helden ihre Namen auf das Blatt kritzelten.
Syloan trat als Erste vor. Ohne ein Wort nahm sie die Feder, schrieb ihren Namen in einer sauberen, klaren Linie und reichte die Feder weiter. Ihre Hand zitterte nicht.
Theron folgte. Dann Lyanna – die ihren Namen beinahe in verschnörkelter Schrift einfügte und dabei laut „Für Ehre und Chaos!“ murmelte.
Darian schnappte sich die Feder mit einem theatralischen Seufzer. „Ich widme diesen Eintrag meinem zukünftigen Drachen und einem Anwesen am See.“
Er schrieb in großen, krakeligen Buchstaben. Eine Tintenspur folgte ihm noch, als er die Feder zurücklegte.
Dann blieb nur noch Liora.
Sie trat vor, während die Nacht stiller wurde, und ihre Finger legten sich um die Feder. Der Wind zerrte an ihrem Mantel. Sie sah auf das Pergament.
Und zögerte.
Nicht lange – aber spürbar.
Ihre Freunde warteten hinter ihr. Kein Drängen, kein Kommentar. Nur geduldige Gegenwart.
Sie schrieb:
Liora.
Kein Titel. Kein Zusatz. Keine Erklärung.
Nur ein Name, und das Feuer, das hinter ihm loderte.
Als sie sich umdrehte, grinste Darian bereits. „Na, dann haben wir’s wohl getan.“
„Und morgen früh“, murmelte Lyanna, „werden wir uns fragen, ob das wirklich eine brillante Idee war.“
„Spoiler: Nein“, sagte Syloan.
Theron sah sie alle durchdringend an. „Aber es war die richtige.“
Sie blieben noch einen Moment auf dem Platz stehen. Keine weiteren Worte. Nur das Rascheln des Papiers im Nachtwind, das über ihre Namen strich wie ein Fluch – oder ein Schwur.
Dann schlug Darian Liora gegen die Schulter, schwankend, aber mit einem Blick, der für einen Sekundenbruchteil ganz wach war.
„Keine Sorge, Flammenmädchen. Wir machen das schon.“
Und Liora spürte es. Unter der Müdigkeit. Unter der Angst.
Etwas in ihr hatte sich entschieden.
Der Morgen kam unbarmherzig.
Die Sonne schien viel zu grell durch die hohen Fenster des kleinen Hauses, das sie seit zwei Jahren gemeinsam bewohnten – ein schief gebautes, aber liebevoll eingerichtetes Heim am Rande des oberen Markts von Zephyria. Es roch nach kaltem Kaminrauch, alten Dielen, trockenen Kräutern – und einem Hauch zu viel Met vom Vorabend.
Liora wachte zuerst auf. Ihr Magen fühlte sich an, als würde ein Drache darin Purzelbäume schlagen, und ihr Kopf pochte im Takt eines viel zu lauten Kriegstrommels.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, sich nicht zu übergeben.
„Du siehst furchtbar aus“, kam es leise aus dem Türrahmen. Theron lehnte dort, verschränkte Arme, ungekämmt, barfuß – und völlig unbeeindruckt davon, dass die Welt gerade zu laut war.
Liora warf ihm einen tödlichen Blick zu, der mehr Irritation als echte Wut war. „Danke. Du auch.“
Er trat näher, reichte ihr ein Glas mit Wasser, das sie zögerlich annahm. „Ich hab dir Kamille ins Wasser gemischt.“
„Du bist schrecklich.“
„Du bist schlimmer.“
Ein Hauch eines Lächelns. Sie trank.
„Die anderen?“ fragte sie nach einem Moment.
„Lyanna und Syloan schnarchen um die Wette. Darian liegt mit einem Stiefel im Gesicht auf dem Sofa. Niemand ist bereit für den Tag. Also… ganz normal.“
Liora stöhnte. „Und trotzdem werden wir gleich zum Markt schleifen und uns benehmen, als wären wir geborene Helden.“
Theron zuckte mit den Schultern. „Heldentum fängt mit Kater an.“
Eine Stunde später waren sie unterwegs.
Gemeinsam – zerknittert, müde, aber irgendwie aufrecht. Die frische Luft half. Ein bisschen. Zumindest bis der Marktplatz in Sicht kam und Lioras Herz begann, in ihrer Brust zu rasen.
Der Markt von Zephyria war wie ein lebendiger Organismus – laut, bunt, chaotisch. Zwischen Ständen aus buntem Stoff, prall gefüllten Körben, dampfenden Pfannen und schreienden Händlern schob sich die Gruppe voran. Liora fühlte sich, als würde jeder Schritt sie tiefer in etwas hineinführen, das längst außer Kontrolle geraten war.
Jeder Blick, den sie auffing, schien aufgeladen. Neugier. Skepsis. Spott.
Sie versuchte, sich nicht davon berühren zu lassen.
Lyanna schnappte sich das Kommando. „Erst Essen. Dann Waffen. Dann... alles andere.“
„Wasser“, murmelte Liora. „Ich will zehn Krüge kaltes Wasser und vielleicht einen neuen Kopf.“
„Kriegen wir hin“, sagte Darian, der neben ihr auftauchte – mit verstrubbelten Haaren, knallroten Augen und einem Grinsen, das zu nichts und allem passte.
Während sie an einem Stand mit eingelegtem Gemüse vorbeikamen, beugte sich Syloan zu ihr. „Gutes Essen stärkt Körper und Geist.“
Liora schnaubte. „Ihr führt mich wie zu meinem Galgenmahl.“
„Und du jammerst wie eine Prinzessin“, warf Darian ein und bekam dafür einen Schlag auf den Arm von Lyanna.
Theron sagte nichts, aber seine Hand lag kurz an Lioras Rücken, als jemand sie in der Menge fast anrempelte. Ruhig. Schützend. Selbstverständlich.
Sie schauten nach Trockenfleisch, Wurzeln, Käse, Kräutern. Lyanna redete mit jedem zweiten Händler, Syloan prüfte alles auf Haltbarkeit und Wirkung. Theron kümmerte sich um die schweren Vorratspakete. Darian testete Messer, als wollte er sie später tanzen lassen.
Liora aber war in Gedanken woanders.
Ihr Herz hämmerte noch immer. Ihr Körper war da – aber ihr Kopf… war schon beim Wettkampf. Beim Brett. Bei der Entscheidung, die sie im Rausch gefällt hatte, aber deren Konsequenzen ihr jetzt so glasklar wurden wie der Schmerz hinter den Schläfen.
Sie hob den Blick – und bemerkte die Blicke wieder. Menschen, die innehielten. Die tuschelten. Die beobachteten.
Sie wusste, was sie dachten.
Diese fünf? Keine Soldaten. Keine Strategen. Keine Legende.
Nur Kinder, die sich an einem Namen versuchten, der zu groß für ihre Schultern war.
Während sie sich weiter durch das geschäftige Gedränge des Marktes bewegten, kreisten Lioras Gedanken unablässig um die Worte, die in ihr nachhallten. Waffen. Schutz. Strategie. Erfahrung. All das hatten sie sich auf ihre imaginären To-Do-Listen geschrieben. Doch die Wahrheit war: Sie waren alles andere als vorbereitet.
Syloan und Theron waren die einzigen mit echter Kampferfahrung. Beide hatten jahrelang den Schwertkampf trainiert, konzentriert, diszipliniert. Darian hatte zwar mehrere Jahre im Nahkampftraining durchgehalten – mit bemerkenswerter Ausdauer, wenn auch wechselhaftem Fokus. Und Lyanna? Sie übte beinahe täglich mit ihrem Element. Aber auch das war weit entfernt von dem, was sie brauchten.
Sie selbst hatte… Feuer.
Oder eher: Feuer hatte sie.
Das reichte im Ernstfall nicht.
Ein kalter Schauer lief Liora über den Rücken, trotz der Sonne, die inzwischen hoch am Himmel stand. Ihre Unsicherheit hing wie ein Schatten an ihrer Seite – aber unter der Angst regte sich auch etwas anderes. Ein Zucken in der Brust. Ein Flackern. Aufregung. Trotz.
Vielleicht waren sie keine ausgebildeten Kämpfer.Aber sie waren ein Team.
„Ich hab das Gefühl, wir sind nicht die Einzigen, die sich auf den Wettkampf vorbereiten“, murmelte Darian plötzlich – und seine Stimme hatte diesen Tonfall, den er sonst nur benutzte, wenn er etwas Ernstes hinter einem Scherz versteckte.
Liora folgte seinem Blick – und ihr Herz stolperte.
Vier Silhouetten, schlank, aufrecht, von einer eleganten Kälte umgeben, bewegten sich auf sie zu wie Raubtiere auf der Jagd. Arion. Draven. Isolde. Seraphine.
Ihre Rivalen.
Sie gehörten zu den Besten ihrer Generation – und sie wussten es. Jeder Schritt, jede Geste, jeder Blick war kalkuliert. Selbst ihre Kleidung war geschmackvoll aufeinander abgestimmt. Keine Uniform – aber ein klares Statement: Wir sind nicht wie ihr.
Arion trat vor. Sein Lächeln war reines Gift, und sein Blick wanderte über die Gruppe wie der eines Falken, der sich bereits seinen nächsten Biss ausgesucht hatte.
„Na, na, na… was haben wir denn da?“ Seine Stimme war glatt wie polierter Stahl. „Unsere Konkurrenz auf Einkaufstour? Ist das hier das große Ausrüsten der Hoffnungslosen?“
Liora spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten. Ihre Fingerspitzen kribbelten. Nicht vor Angst – sondern vor Wut.
Arion blieb stehen. „Die tapferen Anwärter des Königsrates. Schön, dass ihr euch so… engagiert zeigt.“
Sein Spott war messerscharf.
Liora hob das Kinn. „Wir sind mehr als bereit für die Herausforderung.“
Ihre Stimme klang fester, als sie sich fühlte – aber sie stand. Und das zählte.
Draven trat aus dem Schatten seines Freundes. Die eisige Ruhe in seinen Augen ließ selbst die sommerwarme Luft abkühlen.
„Bereit oder nicht. Am Ende zählt, wer übrigbleibt.“
Es war keine Drohung. Es war ein Versprechen – kalt, nüchtern, und umso furchteinflößender.
Syloan antwortete noch bevor jemand anderes den Mund aufbekam. Ihre Schultern waren straff, ihre Haltung glasklar. „Wir sind nicht hier, um zu verlieren. Wir kämpfen – bis zum Ende.“
Isolde verzog die Lippen. Die Bewegung war zu elegant, um ein richtiges Lächeln zu sein. „Ihr könnt trainieren, so viel ihr wollt. Aber ihr werdet uns nicht das Wasser reichen.“
Lyanna trat vor. Ihre grünen Augen blitzten, ihre Stimme war ruhig, aber bestimmt. „Vielleicht nicht. Aber wir werden es versuchen. Und wir geben nicht auf.“
Ein kurzer Moment des Stillstands. Dann trat Isolde direkt auf Liora zu.
Ihre Schritte waren zu präzise, ihre Haltung zu selbstsicher.
„Du solltest es besser wissen“, sagte sie leise – fast vertraulich, aber mit jener Schärfe, die unter die Haut schnitt. „Wir hatten denselben Trainer. Ich habe gesehen, wie du gekämpft hast. Oder besser gesagt… wie das Feuer mit dir gekämpft hat.“
Liora fühlte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
Isolde trat noch näher, ihr Blick funkelte. „Du kannst es nicht kontrollieren. Nicht wirklich. Und alle hier wissen das.“
Liora hätte lachen können – aber ihre Kehle war zu eng. Die Erinnerung an die Tage, in denen sie das Feuer kaum bändigen konnte, war noch zu nah. Zu schmerzhaft. Es gab eine Zeit, da hatten ihre Kräfte mehr zerstört als geschützt. Trainer hatten sich geweigert, mit ihr zu arbeiten. Aus Angst. Aus Vorurteilen.
Feuerbändiger galten als gefährlich. Als unkontrollierbar. Die Narben der Vergangenheit – besonders des Kriegs – brannten noch immer in den Köpfen der Menschen.
„Danke für die Erinnerung“, sagte Liora steif, ihre Zähne fest aufeinandergepresst. „Wirklich zuvorkommend von dir.“
Aber ihre Stimme zitterte nicht.
Unter ihrer Haut brodelte es. Nicht unkontrolliert. Nicht gefährlich.
Nur… bereit.
Seraphine, die schweigende Schwester, stand wie ein Schatten hinter Isolde. Ihre Augen waren auf Liora gerichtet. Kühl. Abwägend. Fast… neugierig.
Einen Moment lang standen sie sich einfach nur gegenüber. Zwei Gruppen. Zwei Welten. Zwei Wege, die bald aufeinanderprallen würden.
Und zwischen ihnen – eine unsichtbare Grenze aus Erwartung, Stolz und unausgesprochenen Ängsten.
Dann, fast wie auf ein unsichtbares Zeichen, löste sich die Spannung. Arion drehte sich um, stolz wie ein Pfau auf dem Rückzug, Draven folgte ihm mit der Ruhe eines Scharfrichters nach getaner Arbeit. Isolde warf Lyanna noch einen letzten Blick zu – halb Verachtung, halb Warnung –, bevor auch sie sich abwandte.
Nur Seraphine blieb stehen.
Sie war die Stillste unter ihnen. Die, über die man am wenigsten wusste. Die, deren Schweigen immer gefährlicher wirkte als jedes gesprochene Wort.
Sie wandte sich Liora zu, neigte leicht den Kopf. „Viel Glück, Schlummerlicht.“
Die Worte trafen mit einer Schärfe, die kaum in der Stimme lag – sondern in der Art, wie sie sie sagte. Als wüsste sie mehr, als sie zeigte. Als würde sie das Feuer kennen, das Liora nachts den Schlaf raubte.
Liora wollte etwas erwidern, doch ehe sie reagieren konnte, zuckte Seraphines Hand. Und noch bevor Liora ihre Augen ganz zusammenkneifen konnte, traf sie ein eiskalter Schwall Wasser mitten ins Gesicht.
Ein kollektives Keuchen ging durch die Gasse.
Woher das Wasser in dieser Hitze kam, war ein Rätsel. Wahrscheinlich hatte Seraphine es irgendwoher herbeigezogen – aus einer entfernten Amphore, einem Brunnen, einer Pfütze. Es war Luftmagie oder Wassermagie, oder einfach nur pure Boshaftigkeit in stilvoller Verpackung.
Liora stand tropfnass da, Haar klebte an Stirn und Wangen, ihre Kleidung durchnässt bis zur Haut. Der Schock hielt genau zwei Sekunden, dann trat sie einen Schritt vor – und blieb stehen.
Nicht weil sie eingeschüchtert war. Sondern weil sie genau wusste, dass genau das Seraphine wollte: eine Reaktion.
Also hob sie nur langsam die Hand, strich sich eine nasse Strähne aus dem Gesicht – und lächelte. Breit. Spöttisch.
„Danke. Ich hatte ohnehin zu warm.“
Seraphine erwiderte das Lächeln nicht. Sie wandte sich ab und verschwand mit den anderen, die nun zwischen den Marktständen in der Menge untertauchten, als wären sie nie dort gewesen.
Die Sonne hatte längst ihren höchsten Punkt überschritten, als sie mit schweren Schritten und noch schwereren Taschen durch die schmalen Gassen Zephyrias zurück zum Haus stapften. Der Weg, den sie am Morgen beinahe überflogen hatten, zog sich nun wie ein endloser Marsch.
Liora schleppte einen Beutel mit Proviant, der nach Kräutern, geräuchertem Fleisch und zu vielen getrockneten Bohnen roch. Ihr Rücken protestierte, ihre Schultern brannten – aber sie sagte nichts. Die anderen waren genauso erschöpft, auch wenn niemand es zugeben wollte.
„Ich hasse Märkte“, knurrte Darian und versuchte, gleichzeitig drei Riemen auf seinem Schultergurt zu ordnen. „Ich hasse Menschen. Ich hasse diesen Geruch. Ich hasse… oh, warte. Ist das geräucherter Ziegenkäse?“
„Ich bring dich noch um“, murmelte Syloan, ohne aufzusehen.
„Bitte nach dem Wettkampf“, rief Lyanna von hinten, „ich brauch ihn vorher noch zum Lachen.“
Theron ging voraus und öffnete die Tür zum Haus mit einem geübten Ruck. Der vertraute Duft von warmem Holz und frischem Tee empfing sie – eine Erinnerung daran, dass dieser Ort, so klein und schief er auch war, ihr Zuhause war.
Kaum waren sie drinnen, verteilten sie die Beutel auf dem Tisch, dem Boden, den Stühlen – kurz: überall. Der Raum verwandelte sich in ein Chaos aus Vorräten, Kleidung, Waffen und Ausrüstungsstücken. Und mittendrin: fünf junge Menschen, die versuchten, sich auf ein Abenteuer vorzubereiten, das sie nie ganz verstehen würden.
Syloan setzte sich mit einem leisen Seufzen und begann sofort, Ordnung ins Durcheinander zu bringen. „Trockenfleisch mit Darian, Gewürze und Kräuter bei mir. Medizin zu Theron. Kleidung – egal wo, Hauptsache nicht auf dem Boden.“
„Was ist mit dem Käse?“ Darian hielt ihn wie ein kostbares Artefakt.
„Wenn du ihn verlierst, wirst du mit den Drachen reden müssen“, sagte Liora und ließ sich auf die Fensterbank sinken. Ihr Blick wanderte hinaus in den Hof, wo das Licht inzwischen golden wurde.
Der Nachmittag verging in Etappen. Jeder packte in seinem eigenen Tempo. Die Waffen wurden kontrolliert, eingerieben, geschärft. Rucksäcke gepackt, wieder ausgepackt, neu sortiert. Liora versuchte dreimal, ihr Feuerkit in eine Seitentasche zu bekommen, bevor sie aufgab und es einfach obenauf legte.
Theron war damit beschäftigt, Klingen zu überprüfen. Er tat es mit einer Ruhe, die beinahe beruhigend wirkte. Jeder Griff wurde getestet, jede Scheide gesichert. Daneben saß Lyanna, die ihre Wasserfläschchen überprüfte, und leise mit sich selbst sprach. Sie zählte nicht nur die Flaschen – sondern auch Mut.
Syloan schrieb. Listen, Notizen, kleine Skizzen. Ihre Stirn war gerunzelt, ihr Blick wach. Sie sprach nicht viel – aber ihre Gegenwart war wie ein Anker.
Und Darian? Der lag auf dem Sofa, den Käse auf dem Bauch, und kommentierte jede Bewegung mit der Präzision eines gelangweilten Adligen.
„Wisst ihr, dass wir wahrscheinlich sterben?“, fragte er irgendwann.
„Weißt du, dass du der Erste bist, den ich opfere, wenn wir zu wenig Proviant haben?“, konterte Liora.
„Aber dann gibt es keinen Humor mehr.“
„Das ist ein Risiko, das ich einzugehen bereit bin.“
Lachen. Eines, das kurz alle Spannung durchbrach. Kein lautes, sorgloses Lachen – aber ein echtes. Und das war mehr, als Liora erwartet hatte.
Am Abend saßen sie gemeinsam am Tisch. Kein Feuer brannte im Kamin – es war warm genug –, aber die Kerzen tauchten das Haus in weiches, goldenes Licht. Auf dem Tisch standen einfaches Brot, Käse, Tee. Sie sprachen nicht mehr viel. Die Worte waren am Tag verbraucht worden.
Liora beobachtete ihre Freunde. Darian, der immer noch nicht wusste, wie man ernst blieb. Lyanna, deren Blick trotz aller Zuversicht etwas Fernes hatte. Syloan, die nicht losließ, solange etwas unerledigt war. Und Theron, still wie die Erde, auf der sie standen.
Als sie später alleine in ihrem kleinen Zimmer saß, das Fenster offen, der Wind trug den Duft von Lavendel und Stadtstaub herein, ließ sie ihre Finger über die eingerollte Karte gleiten, die sie mitnehmen würde.
Pyronis war weit.
Der Wettkampf war real.
Und morgen würde alles beginnen.
Der Klang des Morgens im Palast war anders geworden, seit sie Königin war.
Evadne stand am Fenster ihres Gemachs, das aus hellem Gestein gebaut war, das bei Sonnenaufgang wie glühender Bernstein schimmerte. Die Welt außerhalb war still – nicht still im Sinne von Leere, sondern auf diese ehrfürchtige Art, wie sie nur dann existierte, wenn alles im Gleichgewicht war. Und dieses Gleichgewicht war kostbar. Zerbrechlich. Erkämpft.
Die letzten Wochen waren wie ein einziger goldener Faden durch das Geflecht ihrer Erinnerungen. Ihre Hochzeitsreise hatte sich angefühlt wie ein Stück aus einer anderen Welt – irgendwo zwischen Himmel und Erde, zwischen Natur und Versprechen. Tage voller Lachen, sanftem Schweigen und dem Wissen, dass zwei Seelen sich gefunden hatten, um gemeinsam zu herrschen.
Die Landschaften hatten sie umarmt wie ein warmer Mantel. Wälder, die im Wind flüsterten, Berge, deren Stille lauter war als jeder Applaus. Sie war nicht einfach Königin – sie war geliebt. Und sie liebte. Und in dieser Liebe lag mehr Macht als in allen Kronen der Welt.
Doch nun war sie zurück im Zentrum der Welt. Und der Palast erinnerte sie mit jedem Schritt an die Verantwortung, die mit ihrer Liebe gekommen war.
Die Amtsgeschäfte hatten nicht auf sie gewartet. Seit dem ersten Moment ihrer Rückkehr waren Anfragen, Bitten, Berichte auf sie herabgeregnet wie Frühlingsstürme. Entscheidungen über Handelsabkommen, juristische Streitigkeiten, diplomatische Spannungen mit den Küstenprovinzen – alles trug nun ihren Namen. Und sie trug ihn mit Würde.
An Earrics Seite.
Er war ihre Konstante. Ihr Fels. Wenn der Thronsaal toste, wenn Boten durcheinander sprachen, wenn sie sich in Papieren verlor – war er da. Sein Blick allein genügte, um sie wieder auf den Boden zu holen.
Es war ein Tanz, den sie längst verinnerlicht hatten. Ein Spiel aus Macht und Sanftheit, aus strategischem Gleichgewicht und wortloser Vertrautheit.
Die Menschen liebten ihn. Und durch ihn begannen sie, auch sie zu lieben. Zögerlich. Langsam. Besonders jene des Feuer-Volkes, die sich ihr anschlossen, obwohl sie das Klima verachteten, das feuchte, graue Wetter der Nordlande. Ihre Loyalität berührte sie. Es war kein blinder Gehorsam, sondern ein leises Band aus Erinnerung und Stolz, das sich zwischen ihnen spannte.
Evadne trat einen Schritt zurück vom Fenster und schloss die Augen. Sie konnte sie spüren, all die feinen Fäden, die das Reich zusammenhielten. Die Magie. Die Stille. Die Verantwortung. Sie trug das Gleichgewicht der Elemente in sich – und mit jedem Tag fühlte sie, wie es sich bewegte. Nicht unruhig. Noch nicht. Aber lebendig. Prüfend. Als wolle es wissen, ob sie würdig war.
Und sie war es.
Sie war nicht nur Königin von Veridianth.Sie war seine Stimme.Seine Flamme.Sein Gleichgewicht.
Und sie würde es bewahren – solange ihr Atem reichte.
Liora hätte nicht gedacht, dass der Weg so lang werden würde.
Zwei Stunden Marsch, ein überladener Rucksack, ein nörgelnder Darian und ein schweigsamer Theron – das allein wäre schon anstrengend genug gewesen. Aber es war der Gedanke an das, was sie erwartete, der ihr Herz ununterbrochen pochen ließ.
Der Platz, zu dem sie unterwegs waren, war am Brett ausgeschrieben gewesen – das offizielle Camp der Teilnehmenden. Ein einfacher Vermerk mit Koordinaten, eingerahmt von dem goldenen Siegel der Königsprovinz Pyronis.
„Das ist ja der absolute Wahnsinn“, murmelte Syloan ehrfürchtig, als sie über den letzten Hügel traten und den Blick freigaben.
Vor ihnen breitete sich eine Ebene aus, wie sie Liora noch nie gesehen hatte.
Sanfte Wiesen, durchzogen von leuchtenden Wildblumen, erstreckten sich bis zum Horizont. Der Wind ließ sie tanzen, als würden sie einander begrüßen. Ein klarer Bach schnitt sich durch das satte Grün, sein Plätschern eine willkommene Musik nach dem langen Fußmarsch. Einige Teilnehmer – unbeeindruckt vom Wettkampf, der vor ihnen lag – hatten bereits die Rüstung gegen nackte Haut getauscht und wateten lachend durch das kühle Wasser.
Am Horizont ragten Berge empor, scharf und stolz, ihre Gipfel vom Sonnenlicht berührt. Der Schnee auf den höchsten Spitzen glitzerte wie Diamantstaub. Für einen Augenblick war alles still in ihr. Selbst der Knoten in ihrer Brust.
„Ich will hier nie wieder weg“, flüsterte Lyanna, und niemand widersprach.
Dann knurrte Lioras Magen. Laut.
„Ich möchte anmerken“, sagte sie trocken, „dass gewisse Personen eigentlich dafür verantwortlich gewesen wären, Snacks einzupacken.“
Alle Augen wanderten zu Theron, der – völlig ungerührt – mit einem Zelt auf der Schulter weiterging.
„Ich trage schwerer. Ihr esst mehr. Ein Kompromiss.“
„Ein schlechter“, knurrte Darian, „aber wenigstens ehrlich.“
Das Camp war weitläufig, belebt, aber nicht überfüllt. Überall standen Zelte in unterschiedlichsten Farben und Formen – einige kunstvoll mit Wappen und Bannern geschmückt, andere einfach, robust, funktional. Viele Gruppen hatten ihre Lager in Kreisen aufgeschlagen, mit Feuerstellen in der Mitte und markierten Grenzen, meist mit Seilen oder kleinen Steinhaufen. Über den Pfaden flatterten bunte Wimpel, tanzten mit dem Wind um die Wette.
Es roch nach gegrilltem Fleisch, Rauch, gewürztem Eintopf – und etwas Unausgesprochenem in der Luft. Erwartung.
Sie flanierten durch das Lager, vorbei an Teilnehmern, die sich bereits warm machten.
Liora beobachtete, wie zwei Luftbändiger sich in einer Duellübung gegenüberstanden, ihre Bewegungen präzise, wie ein Tanz. Ein paar Schritte weiter rieben zwei Erdkrieger schwere Steine gegeneinander, um Funken zu schlagen – ein eigenwilliges Aufwärmritual. Manche Gruppen saßen einfach nur am Feuer, tranken, lachten, teilten Brot.
Wettkampf und Lagerleben. Spannung und Lässigkeit. Schwerter neben Spielkarten.
Es war… eine seltsame Mischung. Und gerade deshalb fühlte es sich real an.
„Da drüben ist ein freier Platz“, sagte Syloan und deutete auf eine Stelle am Rand der Wiese, halb geschützt von einem niedrigen Baum und nah am Wasser. Abseits – aber nicht isoliert.
„Perfekt“, sagte Theron, der sofort begann, die Zeltrollen zu lösen.
Sie arbeiteten schweigend, jeder auf seine Weise. Lyanna verhedderte sich in den Stangen, Darian erklärte wortreich, warum Zeltheringe ein Werkzeug des Teufels seien, und Syloan sortierte ihre Vorräte wie eine Feldkommandantin.
Liora ließ sich neben ihrem halbfertigen Zelt auf die Knie sinken. Ihre Hände zitterten leicht. Nicht vor Erschöpfung. Sondern weil alles real wurde.
Hier begann es.
Hier würden sie lernen, was sie wert waren.
Oder wie wenig das bedeutete, wenn das Feuer um sie schlug.
„Wollen wir hier unsere Zelte aufstellen?“ Darian deutete auf eine freie Stelle am Rand der Lichtung – weit genug weg vom Zentrum des Camps, aber nicht so abgelegen, dass sie ganz vergessen wurden. Kein anderes Lager war direkt nebenan. Noch nicht.
Alle nickten. Und niemand erwähnte laut, dass die Wahl des Platzes auch mit Therons legendärem Schnarchen zu tun hatte.
Jeder hatte sich ein eigenes Ein-Mann-Zelt zugelegt. Nicht aus Egoismus, sondern aus reiner Selbstschutzmaßnahme. Theron konnte mit seinem nächtlichen Grummeln selbst Steine zur Flucht bewegen. Wenn man sich mit ihm ein Zelt teilte, schlief man entweder nie – oder für immer.
Sie begannen, ihre Ausrüstung auf dem Boden zu verteilen, als plötzlich eine Stimme hinter ihnen erklang – charmant, überheblich und von einer Glätte, die Gänsehaut verursachte.
„Vielleicht kann ich dir helfen, Kleine.“
Liora drehte sich mit den anderen gleichzeitig um.
Arion. Natürlich.
Er stand da wie ein Modell aus einem königlichen Propagandabuch, neben ihm Isolde, die aussah, als hätte sie sich das Lächeln für besonders giftige Anlässe aufbewahrt.
„Willkommen im Camp, Nachbarn“, sagte Arion. Sein Ton war freundlich. Sein Blick nicht.
Liora blinzelte. Ihr Herz rutschte ein kleines Stück nach unten. Sie hatten bei ihrer Platzwahl nicht auf die Fahne geachtet, die gegenüber im Wind flatterte – ein goldenes Wappen auf tiefblauer Seide.
Isoldes Stimme war ein süßlicher Hohn. „Es ist fast wie Schicksal, dass ihr euch genau den Platz neben unserem ausgesucht habt.“
„Mal sehen, wie lange ihr es hier aushaltet“, fügte sie hinzu, ohne das Lächeln zu verlieren. „Macht uns einen Gefallen und reist direkt wieder ab.“
„Warum geht ihr nicht einfach dahin zurück, wo ihr hergekommen seid?“, knurrte Lyanna, ohne aufzusehen. Sie kniete immer noch vor ihrem Zeltmaterial, das aussah wie ein Haufen beleidigter Wäsche.
Liora wusste, dass Lyanna und Isolde einmal Freunde gewesen waren. Enge sogar. Aber irgendwann war etwas passiert – etwas, worüber Lyanna nie sprach. Und vielleicht war es auch besser so.
Darian trat vor, die Hände locker in die Seiten gestemmt, das Kinn gereckt. „Wir wollen doch alle nur einen fairen Wettkampf, oder?“ Er lächelte. Es war kein freundliches Lächeln.
„Ihr seht in uns doch sowieso keine Bedrohung.“
Darian war nie besonders gut darin gewesen, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Im Gegenteil – er war meist der Erste, der einen Grund fand, mit jemandem aneinanderzugeraten. „Ich brauche das“, hatte er mal gesagt. „So wie andere Kaffee brauchen.“
„Wir wollen euch nur die Demütigung ersparen“, zischte Isolde und trat einen Schritt zurück. „Aber wie ihr wollt. Heult dann bloß nicht, wenn ihr ein Auge verliert.“
Arion warf Lyanna noch einen letzten Blick zu – nicht feindselig, eher… abwartend. Zwischen ihnen war etwas. Es knisterte. Aber nicht vor Romantik. Sondern wie zwei Blitze, die noch nicht wussten, ob sie einander zerstören oder anziehen sollten.
Und dann gingen sie.
Es war, als würde die Luft erst jetzt wieder richtig fließen.
Alle warfen sich einen Blick zu – dann redete keiner mehr. Sie packten ihre Ausrüstung aus, breiteten Felle aus, begannen mit dem Aufbau. Syloan arbeitete schnell und exakt, wie immer. Theron schlug mit geübtem Griff die Heringe ein, während Darian sich kreativ betätigte und mit ein paar Steinen und Seilen einen provisorischen Lagerzaun errichtete.
Lyanna fluchte leise über eine widerspenstige Zeltschnur, aber irgendwann richtete sich das kleine Ding doch noch auf.
„Tada!“, rief sie triumphierend. Das Zelt stand überraschend gerade.
Liora lächelte. Kurz. Dann sah sie auf ihre eigenen Materialien.
Und seufzte.
Was sie da vor sich hatte, sah aus wie der Versuch eines sehr kleinen, sehr verzweifelten Gnoms, eine Festung zu bauen – mit sehr limitierten Mitteln. Zwei Stangen standen schief, das Zelt lag wie ein beleidigter Umhang darüber, und nichts passte zusammen.
Darian beobachtete sie grinsend von seinem eigenen, perfekt aufgebauten Zelt aus.
„Na, wie läuft’s mit deinem neuen Palast?“
„Ich dachte, ich baue ein Zelt. Aber offenbar wollte es lieber ein scheunenähnliches Kunstprojekt werden“, murmelte Liora und verzog das Gesicht.
Die anderen brachen in Gelächter aus.
„Vielleicht solltest du die Götter um ein Wunder bitten“, schlug Syloan vor.
„Oder wir tanzen drum herum, bis es sich aus Mitleid selbst aufrichtet“, ergänzte Darian und klatschte mit Syloan ab.
Liora nickte theatralisch. „Einverstanden.“
Und begann, in einem völlig absurden Hüftwackel-Rhythmus um das Zelt zu tanzen. Ihre Freunde brachen endgültig in Gelächter aus, und sie lachte mit – weil es einfach besser war, als zu fluchen.
Nach weiteren Minuten verzweifelter Versuche warf sie die Anleitung zu Boden.
„Ich gebe auf. Wer hat ein Herz für wehrlose Zelte und verzweifelte Feuerbändigerinnen?“
Es dauerte nicht lange. Gemeinsam lachten, fluchten und schoben sie das widerspenstige Konstrukt zurecht, bis es endlich stand. Nicht perfekt – aber funktional.
„Na also“, sagte Theron mit verschränkten Armen. „Du bist keine Zeltkönigin, aber definitiv die Königin der Unterhaltung.“
Liora grinste, warf ihm den Rest einer Zeltschnur gegen die Brust – und fühlte sich das erste Mal seit Tagen wirklich angekommen. Als die Sonne langsam hinter den fernen Gipfeln verschwand und der Himmel in Gold und Violett getaucht wurde, versammelten sie sich um die Feuerstelle. Die Jungs hatten Holz aus dem kleinen Waldstück nahe des Bachs geholt, ordentlich aufgeschichtet wie gute Schüler eines Waldlehrers. Liora musste nur die Hand heben, ihre Finger ein Stück spreizen – und das Feuer antwortete.
Sanfte Flammen leckten über das Holz, knisterten leise, als würden sie sich noch strecken nach dem langen Tag.
„Ah, das ist besser“, murmelte sie und rückte ihre Decke zurecht, während sich die anderen um das Feuer versammelten. Die Felle am Boden waren warm vom Tageslicht, der Wind trug den Geruch von Harz und feuchtem Gras heran. Über ihnen breiteten sich die ersten Sterne aus – ein silberner Schleier am tintenschwarzen Himmel.
„Nun können wir den Abend in vollen Zügen genießen“, seufzte Lyanna und lehnte sich gegen Syloan.
„Lasst uns Geschichten erzählen!“, rief Darian mit leuchtenden Augen. „Ich fange an.“
Natürlich tat er das.
Mit übertriebener Gestik und dramatischer Stimme begann er von einem tapferen Ritter zu berichten, der sich mit nichts als einem Holzlöffel bewaffnet einer dreiköpfigen Bestie stellte. Die Geschichte war absurd, überdreht, voller wilder Wendungen – und doch lauschten alle gebannt. Denn Darian hatte die seltene Gabe, Unsinn wie Wahrheit klingen zu lassen.
Als er endete, klatschte Lyanna leise. „Du hast Talent – für Übertreibung.“
„Ich nehme das als Kompliment.“
Dann drehte sich Syloan zu Liora. „Wie wäre es mit einem Lied?“
Theron nickte. „Du singst selten. Aber wenn, dann ist es…“
„Bezaubernd“, ergänzte Darian. „Fast wie mein Gesang. Nur… tragbar.“
Liora schmunzelte und räusperte sich. Dann hob sie die Stimme.
Ein altes Lied, das von fernen Ländern und mutigen Reisenden erzählte, füllte den Abend. Ihre Stimme mischte sich mit dem Knacken der Flammen, sanft, melancholisch, warm. Nach ein paar Zeilen stimmten die anderen mit ein – leise, unkoordiniert, aber voller Herz. Die Melodie trug sich über das Lager wie ein Versprechen.
Als das letzte Wort verklang, war es still. Eine gute Stille. Die Art, die nur unter Freunden entstehen konnte.
Liora reichte den Krug Met herum, den sie heimlich eingepackt hatte – eigentlich für die Siegesfeier, aber heute war ein Anfang. „Auf Freundschaft“, sagte sie, „und auf das Chaos, das uns erwartet.“
„Auf Freundschaft und Abenteuer!“, rief Darian, und alle stießen an. Das dumpfe Klirren der Hörner hallte in die Nacht.
Die Stunden vergingen. Sie sprachen von alten Tagen, ausgerenkten Knöcheln, beinahe verlorenen Wetten und zerbrochenen Schwertern. Das Feuer brannte ruhig, und über ihren Köpfen sangen die Nachtvögel.
Dann erhob sich Theron.
Sein Blick war ruhig. Aber sein Grinsen… gefährlich.
„Ich habe eine Geschichte für euch. Eine, die euch das Blut in den Adern gefrieren lässt.“
„Theron…“, begann Lyanna warnend.
Er ignorierte sie.
„Habt ihr jemals von der Geisterkönigin gehört?“
Liora hob eine Braue. „Bitte sag mir, das ist keine billige Marktgeschichte über wandelnde Tote mit Krönchen.“
„Wart’s ab“, sagte er, und seine Stimme wurde dunkler. Tiefer. Fast flüsternd.
„Evadne. Königin aller Elemente. So mächtig, dass selbst die Natur sich vor ihr verneigte. Doch sie starb, lange bevor ihre Aufgabe erfüllt war. Und sie kehrte nie wirklich fort. Sie blieb… gebunden.“
Der Wind streifte durch die Bäume. Das Feuer flackerte.
„Die Ruinen dort drüben – sie gehörten einst ihr. Und seit ihrem Tod wandert sie umher, Nacht für Nacht, auf der Suche nach denen, die das Gleichgewicht stören. Die ihr Element missbrauchen. Die das Geschenk nicht ehren.“
Ein Schauder lief Liora über den Rücken, obwohl sie wusste, dass es nur eine Geschichte war. Oder?
„Man sagt, sie saugt die Seelen jener aus, die das Feuer zum Zerstören nutzen. Das Wasser zum Vergiften. Die Luft zum Erwürgen. Die Erde zum Unterwerfen.“
Er ließ eine Pause entstehen – schwer, dicht.
„Und genau deshalb wurde dieser Ort für das Camp gewählt. Wer sich hier nicht im Einklang mit seinem Element befindet… dem erscheint sie. Und nimmt, was sie für gerecht hält.“
Ein eisiger Windstoß fegte über den Platz. Oder bildete Liora sich das nur ein?
„Theron!“, protestierte Lyanna. „Das ist nicht witzig. Wir müssen hier schlafen.“
„Es ist nur eine Geschichte“, sagte er mit einem zu unschuldigen Lächeln.
Aber in seinen Augen glomm etwas.