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Britische Lebensart, der zähe pionierhafte Reisedrang der Briten, und der lockere italienische Umgang mit dem Dasein sind einander in skurrilen Szenen gegenübergestellt und verkörpert von eigenwilligen typischen Charakteren: - so weit die Kurzfassung dieses anmutigen und humorvollen Buches. Die faszinierenden Schauplätze der Handlung sind die Städte Rom und Venedig, Streiflichter auf ihre Schönheit, die sehnsüchtig machen aufzubrechen zu einer Reise, auf der alles möglich ist, und wo Licht und Schatten in verwirrender Schnelligkeit einander ablösen. Ingesamt ein anregendes und erholsames Lesevergnügen der besonderen Art.
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Seitenzahl: 225
Veröffentlichungsjahr: 2012
Eva Lubinger
Verlieb dich nicht in Mark Aurel!
Eine italienische Reise
Zeichnungen von Thomas Posch
ENNSTHALER VERLAG STEYR
www.ennsthaler.at
eISBN 978-3-7095-0000-2
Eva Lubinger • Verlieb dich nicht in Mark Aurel
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2012 by Ennsthaler Verlag, Steyr
Ennsthaler Gesellschaft m.b.H. & Co KG, 4400 Steyr, Österreich
Umschlagbild: fotolia.de
INHALTSVERZEICHNIS
Verlieb dich nicht in Mark Aurel!
Nicht Little Cockington, sondern Rom
Allerlei Wölfe am Kapitol
Frühsommer über der Via Appia oder:
Der Leidensweg eines Mietautos
Dante rettet Agatha aus den Katakomben
Einmal wie ein Herr reisen
und nicht im Klosett des Schlafwagens
Venedig hat viele Gesichter
Enzo in Hochform
Feuerwerk auf leeren Magen
Rotkehlchen im Schnee – Geld oder Liebe?
»Ich glaube, wir sollten wieder einmal verreisen«, sagte Emily Woods versonnen und gab mit der linken Hand der Schaukel des Kanarienvogels einen aufmunternden Stoß, sodass sie hin und her schwang, alle Schellen, die daran hingen, klangen und klirrten und der gelbe Vogel aufgeregt von seiner Stange hochflog.
»Wir sind schon zu lange zu Hause gewesen«, fuhr sie fort und setzte die Teetasse ab, »ich kann das Muster der Bäume, die Linien der Hügel vor dem Fenster blindlings nachzeichnen. « Missbilligend starrte sie auf die liebliche sanft gewellte Hügellandschaft mit den großen Laubbäumen.
»Möchtest du vielleicht noch eine Tasse Tee, meine Liebe? «, antwortete Agatha etwas ängstlich und zog die Freundin unbewusst auf vertrautes ungefährliches Gelände zurück. Veränderungen oder auch nur die Andeutung von solchen trafen sie immer wie ein Guss kalten Wassers und sie brauchte lange, um sich daran zu gewöhnen.
»Sind wir denn nicht schon ein bisschen alt, um noch größere Reisen zu machen?«, setzte sie hinzu und füllte Emilys Teetasse, die diese ihr schweigend entgegenhielt, »wir waren doch erst vor ein paar Monaten eine Woche lang in Little Cockington – erinnerst du dich der herrlichen Cream-Teas dort und der Mürbteig Törtchen mit Erdbeermarmelade!«
»Little Cockington! «, sagte Emily verächtlich und zerdrückte ein Schokoladekeks zwischen den Fingern, »nach Little Cockington können wir auch noch mit hundert Jahren fahren! Das ist doch keine Reise. Nein, ich meine etwas Richtiges: Afrika oder Südamerika zum Beispiel oder wenigstens der Kontinent – und wir müssten zumindest sechs Wochen fortbleiben. «
»Denke doch, wie es dem armen Onkel Eustache ergangen ist, als er sechsundsiebzigjährig nach Australien flog, um seine Nichten zu besuchen. Er erlitt einen Schlaganfall beim Wellenreiten und ist nie wieder zurückgekommen«, gab Agatha ängstlich zu bedenken.
»Eustache war immer ein Schwächling«, antwortete Emily mit ihrer tiefen Stimme, die früher, als sie noch als Direktorin einer großen Mädchenschule vorstand, der Schrecken ihrer Schülerinnen gewesen war.
»Erinnere dich lieber an Onkel Hilary: Er machte eine Fahrradtour durch Belgien, als er zweiundneunzig war, und es ist ihm prächtig bekommen. Er richtete sich dann einen Fitnessraum im Keller seines Hauses ein und benützte ihn täglich bis weit über seinen achtundneunzigsten Geburtstag. Wenn er sich nicht beim Bergsteigen in Wales den Hals gebrochen hätte, Hilary wäre immer noch in Form. « Emily leerte ihre dritte Schale Tee und schwieg bedauernd.
Agatha trank Tee in kleinen Schlückchen, kaute dazwischen geistesabwesend schottische Butterkekse und blickte bekümmert auf die baumgekrönte Hügellandschaft vor dem Wohnzimmerfenster. Ihr Herz schlug schneller, während Bilder, Gedanken, verschüttete Sehnsüchte ihr Inneres erfüllten: Reisen, Fortgehen aus allem Gewohnten, vom Staub der Jahre Verblassten – jene leuchtenden Erfahrungen lebendigen Lebens noch einmal machen, die Glück bedeuteten, Freude, beflügeltes Dasein … Aber ließen sie sich denn überhaupt noch herbeirufen?
»Wir sind beide alt, Emily«, sagte sie leise, »denke an deine schlechten Augen, gerade neulich hast du einen Radfahrer nicht gesehen und wärest um ein Haar von ihm niedergestoßen worden. Und dein Herz! Wie würde dein Herz das fremde Klima vertragen, die andere Kost? Und sieh mich an: Mein Rheuma ist in diesem Jahr besonders schlimm, meine rechte Hand–«, sie hob den schmächtigen Arm gegen das Fenster, dass die verschwollenen Knöchel des Handgelenks sich gegen das einfallende Licht abhoben: »Ich habe keine Kraft in dieser Hand, ich kann nicht einmal eine Reisetasche tragen, geschweige denn einen Koffer. « Sie verstummte und zog sorgfältig die Manschette ihrer Wolljacke über das arme Gelenk.
»Wer sagt, dass du Koffer schleppen sollst, Agatha? Was für ein Unsinn! Ich kann ja auch nichts tragen, ich bekäme einen Herzanfall, wie du weißt. Für diesen Job gibt es überall auf der Welt Träger und es gibt außerdem junge Menschen, die dazu erzogen wurden, höflich und hilfsbereit zu sein! «
Agatha blickte die Freundin zweifelnd an. Sie war nicht so sicher, dass die Jugend dieser Tage sich darum riss, alten Damen das Reisegepäck zu tragen und sie gegen die Härten und Unbilden dieser Welt zu schützen, aber Emily war immer noch die Schuldirektorin, die würdevoll ihren Lebensweg zwischen einer großen Schar potentieller Schüler dahinschritt.
»Trotzdem sind wir alt«, wiederholte Agatha mit jener sanften beharrlichen Hartnäckigkeit, die Emily manchmal die Zornesröte in die fleischigen Wangen jagte. Emily stellte mit Nachdruck ihre Teetasse auf den Tisch, dass sie leise klirrte und der Kanarienvogel von der Stange aufschwirrte. Sie drehte ihr Gesicht der Freundin zu und bedachte sie mit einem rügenden Blick ihrer scharfen blauen Augen, vor denen einst vierhundert Mädchen sowie der gesamte Lehrkörper gezittert hatten:
»Sagtest du, wir seien alt, Agatha? Was bringt dich zu dieser unsinnigen Annahme? Ich bin sechsundsiebzig, und soviel ich weiß, feierst du in drei Monaten deinen vierundsiebzigsten Geburtstag – du bist ja geradezu noch ein Grünschnabel, ganz abgesehen von der Tatsache, dass du ohnehin nie richtig erwachsen wirst. « Agatha sah die Freundin mit jenem resignierenden Lächeln an, das Unterordnung und Beharrung zugleich spiegelte, und schwieg.
»Alt«, fuhr Emily fort und stellte die leeren Teetassen auf das Tablett, »alt beginnt man erst nach achtzig zu werden. Vorher ist man schlimmstenfalls ältlich – elderly but not old! «
Sie erhob sich schwerfällig. Schließlich wog Emily trotz ihrer Zugehörigkeit zum Klub der Gewichtsbewussten solide fünfundachtzig Kilo, was bei ihrer Körpergröße von 1,65 Metern ganz ohne Zweifel zu viel war, und stampfte entschlossen auf die Durchreiche zu, die das Wohnzimmer mit der Küche verband. Agatha erhob sich ebenfalls, ergriff einen kleinen Tischbesen und kehrte die Brösel von den Gedecken. Sie war im Gegensatz zu ihrer Freundin schlank und zart und trotz ihrer Jahre von einer gewissen mädchenhaften Anmut, die allerdings mehr und mehr den Auswirkungen des Rheumas zum Opfer fiel. Bei ihrem Anblick hatten sich die Leute immer wieder gefragt, warum sie nie geheiratet hatte, während Emilys Erscheinung diese Frage augenblicklich und auf das überzeugendste beantwortete.
Emily war nicht schön, sie war es niemals auch nur annähernd gewesen, aber sie strahlte Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit in solchen Quantitäten aus, dass sie positiv und erfreulich wirkte, und niemand auf die Idee kam, sie hässlich zu finden.
Während der Zug durch die Poebene rollte, war Emily unter ihrem grünen Samthut eingeschlafen und leise schnarchend in die Ecke ihres Sitzes gesunken.
Agatha blickte grübelnd aus dem Fenster. Sie konnte es nicht glauben, dass Emily und sie nun tatsächlich auf dem Kontinent und auf italienischem Boden waren. Die Nachtfähre von Dover nach Calais war angenehm gewesen und es hatte tatsächlich bis jetzt keine Schwierigkeiten mit Trägern gegeben.
Während Agatha sich fester in ihren Kaschmirschal wickelte und die schmalen Reihen der Pappeln vorbeigleiten sah, dachte sie schaudernd, dass sie fast nach Afrika gefahren wären, dann fast nach Indien und dann fast noch in den Persischen Golf, wo es doch sicherlich nichts gab außer Hitze und Gestank. Aber dann hatte Agatha mit dem in langen Jahren des Zusammenlebens erworbenen diplomatischen Geschick Emilys Interesse für Italien geweckt, für jenes Land, das sie zeit ihres Lebens nicht mehr vergessen konnte, hatte von Rom erzählt und von seinen unzähligen Brunnen, bis ihr Rauschen endlich doch in Emilys strenges Schulmeistergemüt gedrungen war. Dennoch zögerte sie noch.
Aber da brachte Agatha Mark Aurel ins Spiel: »Steht nicht in Rom diese berühmte Reiterstatue Mark Aurels, von der du mir immer wieder erzählt hast? «, fragte sie still und unschuldig. Emily hatte in der gewünschten Weise reagiert. Sie setzte sich kerzengerade im Sessel auf und ihre Augen funkelten: »Mark Aurel«, sagte sie mit animierter Stimme, »das große Vorbild aller späteren Reiterstatuen! Natürlich steht Mark Aurel in Rom – auf dem Kapitol! «
Darnach war alles Weitere sehr leicht gewesen. Agatha trug den Sieg davon. »Wenn wir Rom gesehen haben – wäre es nicht schön, auch ein paar Tage nach Venedig zu gehen? «, hatte sie kühn weitergefragt, und da wusste Emily natürlich alles. Die von Strenge überdeckte bedingungslose Zuneigung und Liebe zu der langjährigen Freundin erwachten in ihr, sie lächelte nachsichtig und voll Wärme und sanfter, als sie gewöhnlich sprach, antwortete sie: »Aber natürlich, meine Liebe, werden wir auch nach Venedig kommen, wenn es dir Freude macht, so lange du willst, und wir werden auch auf die Inseln fahren: Murano, Burano, Torcello. Und in Venedig schiffen wir uns dann ein und fahren noch ein paar Wochen nach Spanien! «
Agatha war sehr dankbar und froh gewesen und hätte die Freundin in diesem Augenblick umarmen können. Wie gut sie einander doch verstanden, trotz der gelegentlichen kleinen Scharmützel, die das gemeinsame Leben der nicht mehr berufstätigen Frauen mit sich brachte.
Und jetzt vergaß sie die vorbeigleitenden Pappeln und Pfirsichhaine, sie sah nicht einmal beim Fenster hinaus, als der Zug nun über die Brücke des weiten stillen Po fuhr, dessen Wasser kaum zu fließen schienen, sie sank in ihren Kaschmirschal und in ihre Erinnerungen: Gregory!
Und im gleichförmigen Rollen der Räder war sie für eine kleine Weile wieder das junge leichtfüßige Mädchen, das mit dem Liebsten eine Gondelfahrt durch die Stadt der Kanäle machte und ihn lachend ans Ufer der tamariskengesäumten Insel Torcello zog. Wie gut Gregory damals ausgesehen hatte und wie jung er war! In Venedig erwähnte er dann zum ersten Mal, dass er nach Kanada gehen wollte, um diese Brücke zu bauen, diese schreckliche Brücke, die ihn das Leben gekostet hatte … nach seiner Heimkehr wäre die Hochzeit gewesen. Agatha fröstelte in ihrem Schal.
Aber daran wollte sie jetzt nicht denken, nein, sie wollte die kostbaren Stunden ihres Zusammenseins mit dem einen Menschen, der zählte, herausholen wie Perlen aus einer Schatulle und sie in den langen Stunden der Reise durch ihre Finger gleiten lassen und durch ihr Herz.
Agatha merkte nicht, dass sie die Poebene hinter sich gelassen hatten, Florenz und die silbergrüne Toskana lange schon, und nun durch die Castelli Romani fuhren, Narni, Orte, Terni. Plötzlich brach Emilys Schnarchen abrupt ab, sie erwachte, gähnte diskret und sagte schläfrig zu Agatha:
»Agatha, mein Herz, würdest du so lieb sein und mir eine Schale Tee aus der Thermosflasche geben? Ich habe einen ganz trockenen Mund. « Agatha kehrte in die Gegenwart zurück. Wo hatte sie diese verflixte Flasche nur hingetan? Sie stand nicht in der Reisetasche, wo sie sein sollte.
Agatha kramte nervös in diversen Handtaschen und öffnete überflüssigerweise auch noch die Hutschachteln. Dabei versuchte sie eine unbehagliche Erinnerung zu verdrängen: Emily hatte ihr zu Hause die gefüllte Thermosflasche Tee, jenes Elixier, ohne dessen Hilfe sie beide die Reise unmöglich hätten überdauern können, in die Hand gedrückt, damit sie sie in die Tasche stelle.
Aber dann war schon das Taxi gewesen, das man nicht warten lassen konnte. Also hatte Agatha die Flasche rasch und kopflos in den großen Reisekoffer gestopft. Ja, so war es gewesen. Es hatte wohl keinen Sinn, die Erinnerung zu verdrängen, denn Emily verlangte jetzt mit lauter Stimme und schon zum zweiten Mal ihren Tee.
Agatha öffnete den Koffer und da stieg ihr aus den Kleidern, die eigentlich nur nach Lavendel hätten duften sollen oder allenfalls noch nach Elizabeth Ardens Blue Grass, der starke würzige Geruch von Earl-Grey-tea in die Nase. Sie hob mit zitternden Händen eine Shetlandjacke und den Rock von Emilys lindengrünem Sonntagskostüm auf: Beide waren feucht bis nass und hatten die schwärzlich penetrante Farbe abgestandenen Tees angenommen.
Zitternd nahm Agatha ein Stück nach dem andern heraus: Es gab kaum etwas, das nicht nach Art eines Marmorkuchens die Spuren von Earl-Grey-tea trug. Emily saß gerade wie eine Kerze auf ihrem Platz, ihre Augen bekamen jene Schärfe des Ausdrucks, der in vergangenen Schulzeiten größeren Disziplinarfällen vorbehalten war. Als Agatha nun Emilys weißes Dinnerkleid hervorzog, das auf der Brust einen höchst unkleidsamen und falsch platzierten Fleck von der Größe eines Waffenschildes aufwies, stürzte sie mit einem Aufschrei zum Koffer hin, verdrängte die unselige Agatha, die in leises Wehklagen ausgebrochen war, und förderte zuletzt die bis auf einen unerheblichen Rest geleerte Thermosflasche zutage. Den trank Emily nun in düsterem Schweigen, und Agatha, die ebenfalls sehr durstig und trostbedürftig war, hatte nicht den Mut, ein paar Tropfen des lebenspendenden Getränks zu erbitten. Nun, sie hätte ganz leicht eine Schale voll aus ihrem neuen Nachthemd herauswinden können, aber dazu war sie nicht kühn genug.
So bettete sie nur die misshandelten Kleidungsstücke mit immer noch zitternden Händen im Koffer um, faltete sie neu zusammen, was gänzlich nutzlos war, und Emily betrachtete sie bei ihrem Tun mit grimmigem Schweigen.
Beide sahen sie nicht die römischen Aquädukte, die in der weiten Campagna standen und wie ein lichtes wehmütiges Präludium die Ewige Stadt ankündigten. Und während sie noch bemüht waren, die Spuren des Tees aus Agathas rosa Blumenhut zu tilgen, rollten sie im Bahnhof Termini ein und waren in Rom.
Sie stopften verwirrt die herumliegenden Kleidungsstücke in den Koffer, rafften alle ihre Taschen und Gepäckstücke zusammen und nun erwies es sich zum ersten Mal als großer Nachteil, dass Agatha wegen ihres Rheuma nichts, aber auch gar nichts tragen konnte und Emily durch ihre große Kurzsichtigkeit und ihr schlechtes Herz ebenfalls sehr behindert war.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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