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Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Sebastian stand am Kamin in der Berghütte und stocherte mit dem Schürhaken in der Asche. Toni trat dazu. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und sah den Buben an. »Was ist mit dir, Basti? Kommst mir schon seit Tagen ein bissel lustlos vor. Was hast?« Sebastian zuckte mit den Schultern. »Nix ist!« »Du, des nehme ich dir net ab, Basti. Dich bedrückt doch etwas. Willst net drüber reden? Du weißt doch, es heißt: Geteilte Freude ist doppelte Freude und geteiltes Leid ist halbes Leid.« »Ich hab' kein Leid, net richtig«, sagte Basti leise. »Aber irgendetwas beschäftigt dich, des kannst net leugnen. Mei, die Anna und ich, wir können verstehen, dass du in einem Alter bist, in dem du viele Sachen mit dir alleine ausmachen willst. Wie wir in deinem Alter waren, erging es uns genauso. Also, wenn du reden willst, dann sprich die Anna oder mich an; oder den Alois. Es gibt Sachen, da weiß man in deinem Alter noch net so recht, wie alles zusammenpasst. Dann kannst uns ruhig fragen. Es gibt keine dumme Fragen, Basti.« »Des ist ganz blöd, dass die Franzi jeden Mittag fort ist«, brach es aus Sebastian hervor. Ah, daher weht der Wind, dachte Toni. »Ja, die Franzi ist beim Fußballtraining. Des musst verstehen.« »Des verstehe ich ja, aber trotzdem ist es net schön. Jeden Tag geht sie nach der Schule ins Forsthaus zur Ulla. Sie isst dort, macht ihre Hausaufgaben und geht dann mit der Ulla zum Fußballtraining. Sie kommt erst am Abend rauf auf die Berghütte.« »Dir gefällt des net, wie?« »Naa, des
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Sebastian stand am Kamin in der Berghütte und stocherte mit dem Schürhaken in der Asche. Toni trat dazu. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und sah den Buben an.
»Was ist mit dir, Basti? Kommst mir schon seit Tagen ein bissel lustlos vor. Was hast?«
Sebastian zuckte mit den Schultern. »Nix ist!«
»Du, des nehme ich dir net ab, Basti. Dich bedrückt doch etwas. Willst net drüber reden? Du weißt doch, es heißt: Geteilte Freude ist doppelte Freude und geteiltes Leid ist halbes Leid.«
»Ich hab’ kein Leid, net richtig«, sagte Basti leise.
»Aber irgendetwas beschäftigt dich, des kannst net leugnen. Mei, die Anna und ich, wir können verstehen, dass du in einem Alter bist, in dem du viele Sachen mit dir alleine ausmachen willst. Wie wir in deinem Alter waren, erging es uns genauso. Also, wenn du reden willst, dann sprich die Anna oder mich an; oder den Alois. Es gibt Sachen, da weiß man in deinem Alter noch net so recht, wie alles zusammenpasst. Dann kannst uns ruhig fragen. Es gibt keine dumme Fragen, Basti.«
»Des ist ganz blöd, dass die Franzi jeden Mittag fort ist«, brach es aus Sebastian hervor.
Ah, daher weht der Wind, dachte Toni.
»Ja, die Franzi ist beim Fußballtraining. Des musst verstehen.«
»Des verstehe ich ja, aber trotzdem ist es net schön. Jeden Tag geht sie nach der Schule ins Forsthaus zur Ulla. Sie isst dort, macht ihre Hausaufgaben und geht dann mit der Ulla zum Fußballtraining. Sie kommt erst am Abend rauf auf die Berghütte.«
»Dir gefällt des net, wie?«
»Naa, des gefällt mir net. Jeden Tag Training, des ist doch übertrieben, oder?«
»Wie man es nimmt, Basti. Dich stört, dass die Franzi so mit Feuereifer dabei ist. Kommt mir sogar so vor, als wärst ein bissel eifersüchtig.«
»Es ist nur so, dass die Franzi noch nie fast jeden Tag fort war.«
»Du vermisst deine kleine Schwester? Du fühlst dich auch ein bissel ausgeschlossen, richtig?«
Sebastian zuckte mit den Schultern.
»Weißt, des ist nur am Anfang so, denke ich. Sie wollen bei dem Freundschaftsspiel gegen die Madln aus Kirchwalden gewinnen. Es ist ihr erstes Spiel. Du weißt selbst, dass es die Abteilung für den Mädchenfußball noch net lange gibt. Sie müssen eben ein bissel mehr trainieren. Des kannst doch sicher verstehen.«
»Schon!«, brummte Sebastian. »Bin froh, wenn das Spiel vorbei ist. Danach werden sie hoffentlich nicht mehr so viel trainieren.«
»Des denke ich auch, Basti. Es ist ja nimmer lang hin bis zum Spiel. Die Zeit musst du eben noch aushalten. So und jetzt ist Schluss mit dem Trübsal blasen. Nimm den Bello und spiel ein bissel mit ihm. Der Hund braucht Bewegung. Die Hüttengäste stecken ihm zu viele Häppchen zu. Er ist ein wenig rund geworden. Das ist nicht gut für den Knochenbau, wenn er zu schwer wird. Also, jetzt holst den Tennisball und jagst Bello übers Geröllfeld.«
Sebastian ging in die Küche der Berghütte und holte den Ball. Dann rief er nach Bello und ging mit ihm Spielen.
Toni schenkte sich in der Küche der Berghütte einen Kaffee ein.
»Anna, was sagst du dazu? Der Basti scheint einen richtigen Durchhänger zu haben.«
»Ja, das hat er, Toni. Ich denke, je weniger wir ein Aufheben darum machen, desto besser ist es. Franzi und Basti haben eben ein sehr enges Verhältnis, seit ihre Eltern verunglückten. Sie haben das Drama ganz gut verarbeitet. Einer war des Anderen Stütze. Sie sind auch recht glücklich. Aber es ist ungewohnt, dass Franziska eigene Interessen hat. Sebastian hat sich als älterer Bruder immer gekümmert. Er hat kaum etwas ohne sie unternommen. Jetzt muss er eben lernen, dass die Franziska eigene Interessen hat und sich von ihm löst. Ich habe immer gedacht, dass es Sebastian ist, der als älterer Bruder sich aus der so engen Bindung löst. Jetzt ist es Franzi. Das ist schwer für ihn. Vielleicht fühlt er sich etwas überflüssig.«
»Möglich! Ich denke, er knabbert sehr daran, dass sich Franzi etwas von ihm löst.«
»Das wird vorbeigehen, Toni. Nach dem Freundschaftsspiel wird es nicht mehr so viel Training geben. Dann wird Franzi nur noch einen Nachmittag in der Woche auf dem Fußballplatz sein.«
Anna schaute Toni an.
»Toni, du solltest mit dem Sebastian etwas unternehmen, etwas, was Burschen machen. Das wird ihm gut tun.«
»Des ist eine gute Idee, Anna. Wir werden eine schöne Bergtour machen. Das wird dem Sebastian gut tun.«
Toni hatte eine Idee. Er besprach sie mit Anna und dem alten Alois. Toni wollte am frühen Abend mit Sebastian in die Berge gehen und in einer Schutzhütte übernachten. Am nächsten Tag war schulfrei.
»Bis zum Mittag sind wir wieder zurück, Anna!«
»Warum so eilig, Toni? Bleib mit dem Basti bis zum Abend. Der Alois hilft mir. Es ist zwar Hochsaison, aber ich werde es einen Abend und einen Tag auch mal ohne dich schaffen.«
»Bist schon ein tolles Madl, meine Anna, und eine gute Mutter.«
»Ich bemühe mich, eine gute Mutter zu sein, Toni, genauso wie du dich bemühst, den beiden ein guter Vater zu sein.«
»Meinst, dass man sich mehr Gedanken macht, wenn man Adoptivkinder hat, als wenn es die eigenen sind?«
Anna schaute Toni an. Sie dachte einen Augenblick nach.
»Ja, ich denke schon. Jedenfalls kann ich für mich sagen, dass ich annehme, dass ich mir mehr Gedanken mache. Aber genau weiß ich es nicht, weil wir ja keine eigenen Kinder haben. Es fehlt also am Vergleich. Deine Mutter sagt oft zu mir, dass ich mir viel zu viel Gedanken mache.«
Toni nahm Anna in den Arm. Sie küssten sich. Dann ging jeder an die Arbeit. Toni zapfte Bier und brachte es zu den Hüttengästen auf die Terrasse. Anna knetete weiter ihren Brotteig. Der alte Alois setzte sich auf die Terrasse und schaute Sebastian zu, der auf dem Geröllfeld mit dem jungen Neufundländerrüden Bello spielte.
*
Lina Nauer kam aus der Bibliothek in Kirchwalden und ging zu ihrem Auto. Sie studierte in München Literaturwissenschaften und Germanistik fürs Lehramt. Sie schloss ihren Kleinwagen auf und wollte den Bücherstapel auf den Rücksitz legen. Dabei glitten ihr die Bücher aus der Hand und fielen auf den Boden.
»Mist!«, schimpfte die junge Frau mit den weißblonden Locken vor sich hin.
Sie bückte sich und sammelte die dicken Romane ein. Sie sah, dass etwas aus einem Buch hervorragte. Sie hielt es für ein Buchzeichen und zog daran.
Es war ein Farbfoto in Postkartengröße. Es zeigte einen jungen Burschen. Er hatte etwas längeres, lockiges Haar und schelmische Wangengrübchen. Er trug Landhauslook, eine grüne Jeans mit Stickereien entlang der Tascheneingriffe. Dazu passte das weite weiße Hemd unter der bunten Lederweste mit den Silberknöpfen. Er lehnte an einen Baum und schlug lässig die Beine übereinander.
Lina spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte und dann schneller schlug. Ihr stockte der Atem. Sie musste sich am Auto festhalten und schloss für einen Augenblick die Augen. Sie spürte, dass ihre Wangen glühten.
»Nimm dich zusammen«, ermahnte sie sich selbst und holte tief Luft.
Sie betrachtete das Bild näher und drehte es um. Auf der Rückseite war der Stempel eines Fotoladens in Kirchwalden. Anstatt das Bild wie-der ins Buch zu legen, steckte sie es in ihre Jackentasche. Sie verstaute die Bücher und stieg ins Auto. Sie ließ die Fenster herunter und spürte, wie ihre Hände zitterten.
Ihr Handy läutete.
»Das auch noch!«
Lina sah aufs Display und erkannte die Nummer ihrer besten Freundin Kerstin. Sie zögerte, nahm das Gespräch dann doch an.
»Grüß dich, Kerstin!«
»Hallo, Lina! Wo steckst du? Ich warte schon seit einer halben Stunde hier in der Eisdiele am Marktplatz. Ich nehme zu deinen Gunsten an, dass du mich nicht versetzen wolltest oder?«
»Kerstin …, nein! Ich …, ich …, ich …, ich war noch in der Bücherei und habe wohl die Zeit vergessen.«
»Lina, die unermüdliche Leseratte«, lachte Kerstin. »Beeile dich!«
Lina räusperte sich und rieb sich die Stirn. Ihr war nicht danach, sich jetzt mit Kerstin zu treffen.
»He, was ist? Du sagst nichts? Hast du etwas?«
»Nein, nein!«, beeilte sich Lina zu erwidern. »Ich war nur gerade in Gedanken, als du anriefst.«
Lina seufzte leise.
»Was ist mit dir?«, fragte ihre Freundin. »Du hast so einen merkwürdigen Unterton in der Stimme.«
Lina zögerte mit der Antwort.
»Nein, es ist nichts. Ich war nur in Gedanken, wie ich dir schon sagte. Ich lasse mein Auto hier stehen. Einen Parkplatz in der Nähe des Marktplatzes finde ich nicht so leicht. Ich komme so schnell ich kann. Bis gleich, Kerstin.«
Noch bevor sich Kerstin verabschieden konnte, legte Lina auf und schaltete das Handy ganz aus.
Sie blieb noch einen Augenblick im Auto sitzen und betrachtete das Foto des Unbekannten, der ihr Herz so in Schwingung versetzt hatte. Dann steckte sie das Bild in die Seitentasche ihrer Handtasche und schloss den Reißverschluss.
Lina stieg aus und schloss ihr Auto ab. Sie setzte die Sonnenbrille auf und ging los. Mit ihren Gedanken war sie noch immer bei dem Bild des jungen Burschen. Es war, als hätte sich sein Bild tief in ihr Herz gebrannt, unauslöschlich für immer und alle Zeit.
Lina machte einen Umweg und ging durch ruhigere Seitenstraßen in Richtung der Innenstadt.
Schon von Weitem sah sie ihre Freundin Kerstin an einem Tisch unter einem großen Sonnenschirm vor dem Eiscafé sitzen. Kerstin hatte sie sofort gesehen und winkte Lina herbei.
Kerstin stand auf. Die beiden jungen Frauen umarmten sich.
»Da bist du ja endlich. Hat ja ewig gedauert«, bemerkte Kerstin.
»Tut mir leid. Fast wäre ich sogar wieder umgekehrt. Kerstin, ich sage es dir gleich, es ist heute nicht mein Tag.«
»Bist mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden, wie?«
Lina setzte sich und seufzte hörbar.
»So kann man es sagen. Irgendwie geht heute alles schief oder es ist kompliziert. Ach, ich weiß auch nicht, Kerstin. Bin nicht ganz bei mir, wie man sagt.«
»Ein großer Eisbecher und du fühlst dich besser! Ich lade dich ein!«
Kerstin winkte die Bedienung herbei und bestellte.
Dann saßen sich die Freundinnen gegenüber.
»Was ist los? Dich bedrückt doch etwas! Ich sage es nicht gerne, Lina. Aber du schaust nicht gut aus.«
»Wenn ich so aussehe, wie ich mich fühle, sollte ich jeden Spiegel meiden. Mir ist wirklich sehr sonderbar, aber reden wir nicht davon. Es wird schon wieder. Vielleicht liegt es am Wetter. Es ist Föhn.«
»Papperlapapp! Schmarrn! Du hörst dich jetzt schon wie meine Großmutter an«, schimpfte Kerstin.
Die Bedienung kam und brachte den Eisbecher. Lina begann zu essen. Dabei war sie mit ihren Gedanken ganz woanders. Ihr gelang es einfach nicht, nicht an den Mann auf dem Foto zu denken.
»Lina, du bist mit deinen Gedanken schon wieder ganz weit fort«, beschwerte sich Kerstin. »Was ist mit dir? So kenne ich dich nicht.«
Lina errötete.
»Entschuldige, Kerstin. Ich bin heute wirklich keine gute Gesellschafterin. Es tut mir leid. Aber es dreht sich alles in meinem Kopf. Ich ärgere mich nur über mich selbst, dass ich die Gedanken nicht abschalten kann. Ich bin sonst ein Musterbeispiel an Disziplin und Willensstärke. Aber ich finde den Knopf nicht. Verstehst du?«
»Mm, du sprichst in Rätseln. Willst wohl nicht darüber reden. Fast könnte ich mich ärgern. Wir bequatschen doch sonst alles.«
»Es richtet sich nicht gegen dich, Kerstin. Ich kann nicht darüber reden. Es ist mir peinlich, so richtig peinlich.«
Kerstin ließ nicht locker.
»Gib mir wenigstens ein Stichwort.«
Lina überlegte.
»Gegenfrage, Kerstin! Wie war das damals, als du dich in deinen Hans verliebt hast?«
Kerstin lachte laut.
»Dich hat es erwischt! Das kann ich kaum glauben. Erzähle, sofort! Wie heißt er? Was macht er? Wie habt ihr euch gefunden? Wie ist er so? Wie lange geht das schon mit euch?«
Nach jeder Frage zuckte Lina hilflos mit den Schultern. Jetzt zeigten sich auf Kerstins Stirn Denkfalten. Sie starrte Lina an.
»Es stimmt etwas nicht mit ihm? Er ist vergeben, richtig? Du bist unglücklich verliebt? Du hast Liebeskummer, du Arme! Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ja, wechsle bitte das Thema!«
»So schlimm?«
»Noch mehr als das! Es ist verrückt, einfach absolut hirnrissig, total deppert. Vielleicht sollte ich einen Seelenklempner aufsuchen, mich in eine Anstalt einliefern lassen. Ich bin total neben mir, verstehst du?«
Kerstin unterdrückte mühsam ein Grinsen.
»Ich sage dir jetzt einmal, dass dein Zustand völlig normal ist. Das ist so, wenn man verliebt ist. Dagegen kannst du nichts machen. Liebe ist ein Naturereignis. Wenn man sich verliebt, dann geschieht es einfach. Liebe ist unabhängig von äußeren Umständen.«
»Das mag für junge Mädchen gelten, Kerstin. Als wir so um die dreizehn waren, waren wir in so manchen Star verliebt. Wir pflasterten die Wände unserer Zimmer mit Poster, bis nicht der kleinste Rest der Tapete mehr sichtbar war. Aber jetzt sind wir Mitte zwanzig. Ich habe mein Examen und schreibe an meiner Doktorarbeit. Man sollte meinen, ich hätte die Pubertät hinter mir. Vielleicht habe ich zu viel gelernt in den letzten Monaten. Mein Gehirn ist total von der Spur, und ich mache eine zweite pubertäre Phase durch. Was soll ich dagegen machen?«
Sie hatten die Eisbecher leer gegessen. Kerstin wollte noch zwei Eiscafés bestellen. Aber Lina lehnte ab. Sie nahm einen Milchshake.
»Ich habe schon Herzklopfen genug.«
»So, jetzt ist genug, Lina Nauer! Du sagst mir jetzt auf der Stelle alles, wirklich alles. Oder willst du, dass ich dir die Freundschaft kündige? Wenn du nicht sofort alles sagst, stehe ich auf und gehe«, drohte Kerstin.
Die Drohung war nicht ganz so ernst gemeint, verfehlte aber ihre Wirkung nicht. Lina verlangte, dass Kerstin ihr versprach, niemandem, wirklich niemandem davon etwas zu sagen. Kerstin schwor mehrere heilige Eide.
Lina seufzte tief.
»Ich habe ihn nie gesehen, jedenfalls nicht in der Wirklichkeit. Ich weiß nicht, wer er ist, was er macht, wo er lebt. Ich weiß nur, dass mit mir etwas geschehen ist, was ich nicht mehr kontrollieren kann. Es ist wie eine Lawine über mich hereingebrochen. Seither reißt mich ein Strudel der Gefühle mit, dass ich nicht mehr weiß, was mit mir geschieht.«
Mit zitternden Fingern holte Lina das Foto aus ihrer Handtasche und legte es auf den Tisch.
»Himmel, sieht er gut aus! Wie ein Model, ein Dressman! Wo hast du den Burschen aufgetrieben?«, stieß Kerstin hervor. »Das ist ein richtiger Supermann, der Bursche.«
»Pst, nicht so laut!«, tadelte Lina und schaute sich erschrocken um.
Sie riss Kerstin das Bild aus der Hand und steckte es ein. Sie stand auf.
»Tut mir leid, Kerstin! Ich kann hier nicht reden. Ich fahre heim. Wenn du willst, kannst du später vorbeikommen.«
»Und ob ich komme! Meine beste Freundin steckt in einer tiefen Krise, da lasse ich dich nicht allein. Sagen wir in einer halben Stunde?«
Lina nickte und eilte davon. Kerstin sah ihr nach und schüttelte den Kopf. Sie trank den Eiscafé aus und leerte Linas Milchshake. Dann zahlte sie und eilte zu ihrem Auto.
*
Es dauerte keine halbe Stunde, dann hielt Kerstin in der Auffahrt des schönen großen Hauses mit Garten, in einem Neubaugebiet von Kirchwalden. Sie ging um das Haus der Familie Nauer herum. Wie vermutet, fand sie Lina in der Gartenlaube.
»So, Madl! Jetzt wird geredet!«
Mit Unterbrechungen und Suchen nach den geeigneten Worten, erzählte Lina ihrer Freundin Kerstin von ihrem Besuch in der Stadtbücherei von Kirchwalden. Sie hatte sich einige Romane ausgeliehen, die sie für ihre wissenschaftliche Arbeit benötigte. Lina machte einen großen Bogen, sprach über die Autoren und Autorinnen. Kerstins Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Endlich erzählte Lina, wie das Bild aus dem Buch gefallen war.
»Dann geschah es einfach! Es traf mich wie ein Schlag aus heiterem Himmel. Zisch, krach, peng, bum, ja so war es. Mein Herz raste, mein Puls fing an zu flattern und mir drehte sich alles. Er sieht auch unheimlich gut aus. Himmel, was für ein Bursche! Und jetzt kann ich an nichts anderes mehr denken.«
Lina erzählte, dass sie erst vermutete, er sei Schauspieler oder ein Model. Doch dann habe sie auf der Rückseite des Bildes den Stempel gesehen.