Verlorene Blicke - J.H. Landing - E-Book

Verlorene Blicke E-Book

J.H. Landing

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Beschreibung

Klappentext: Das rätselhafte Verschwinden von vier jungen Frauen in Österreich stellt die Polizei vor ein schier unlösbares Puzzle. Erst als eine mysteriöse Website auftaucht, be- ginnen die Teile sich zusammenzufügen. Offenbar sind die Frauen Teil eines grausamen Spiels, das live vor den Augen der Welt abläuft. Die Medien und sozialen Netzwerke spekulieren fieber- haft über das Schicksal der Entführten, während die "Drei Ritter", wie sich die Entführer nennen, ihr Netz- werk im Darknet nutzen, um die Ermittler in die Irre zu führen. Doch was steckt wirklich hinter dieser perfiden Tat? Und warum erscheinen die Frauen täglich in eleganten Kleidern und makellosen Frisuren auf den Bildschirmen?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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J. H. Landing

VERLORENE BLICKE

Erste Auflage © 2024, J. H. Landing

J. H. Landing

c/o Autorenservices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

Dieses Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Ohne Zustimmung des Autors ist die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung unzulässig.

Kia Kahawa Verlagsdienstleistungen

Lektorat: Michael Haitel

Korrektorat: Sophie Weigand

Buchsatz und Coverdesign: Lena Adolph

www.kahawa.de

Schönheit

istüberalleingarwillkommenerGast.

(JohannWolfgangvonGoethe)

Elea

Nie hätte ich gedacht, dass ich ein Bedürfnis verspüren könnte, jemandenumzubringen,nein,jemandenumbringenzumüssen.Und wenn es geht, auf die grausamste Weise, die es gibt.

Jemanden,derdirFrühstückansBettbringt.Jemanden,derdir diebezauberndstenKleiderschenkt,diesicheinMädchennur wünschen kann. Jemanden, der dir die schönsten Frisuren zaubert. Jemanden, der dir ein atemberaubendes Zimmer zur Verfügung stellt …

WärendanurnichtdietotenLeiberinihrenweißenKleidern, die an den Bäumen wie Weihnachtsschmuck an einer Tanne baumeln.

Dochnunweißich,dassesgenausoeinGefühlgibt.Jemanden umbringen zu müssen.

Ja,ichMUSS es versuchen!

DasLebenistschön

Immer wieder schaute ich in den Spiegel, während ich zu den altenRockklassikernderAchtzigerjahredurchmeineWohnungtanzte. Es war wieder mal Freitagnachmittag und ich war dabei, mich für die Arbeit fertig zu machen. Es war schon kurz vor fünf Uhr, meine Haare waren noch feucht, nicht mal meine Jeans waren richtig trocken. Doch das war mir egal, meine langen blonden Locken, die mir bis zum Steiß gingen, band ich meist sowieso zu einem Knödel nach oben und die Jeans waren ja nur am Bund noch ein wenig nass, die würden trocknen, sobald ich raus in die Sonne ging.

IchliebtedenMai.Draußenhatteesmittlerweilebiszudreißig Grad und die Menschen auf der Straße machten alle ein freundliches Gesicht.

Der große Zeiger passierte die Zwölf, jetzt sollte ich mich beeilen. Ich nahm meine Geldbörse aus meiner grünen HandtascheundgabstattdessenmeinenArbeitsgeldbeutelhinein, stellte meine Tasse, aus der ich vorhin meinen Lavendeltee getrunken hatte, in die Spüle und machte das Radio leise. Ruprecht, meinerkleinen,dreiMonatealtenschwarzenKatze,gabichfrisches Wasser und Futter. Ich ließ das Tier, das beinahe die gleichen grünen Augen wie ich hatte, nicht gern allein daheim.DochichmusstenunmalGeldverdienen,undderJobin demgroßartigstenLokalderStadtwarder perfekte Job neben meinem Geschichtsstudium.

Kurzer Blick in den Spiegel, alles war nahezu makellos. Das weiße Shirt mit dem Ramones-Logo, die noch immerfeuchteHoseundmeinfastungeschminktesGesichtsahen in Kombination sehr gut aus. Ich war zufrieden.

„Naturschönheit“ hatte mich Tim immer genannt. Über ein Jahr war die Trennunginzwischenschonher, seit unsere Beziehung ein desaströses Ende fand.

Ich hatte ihm das Herz gebrochen, ihn belogen, betrogen und aufs Hinterhältigste hintergangen. Nach wie vor schämte ich mich dafür, die Liebe meines Lebens für einen fünf Jahre jüngerenJungenaufgegebenzuhaben.AbersospieltdasLeben. LetztlichverziehmirTimmeinenFehltritt,dochnatürlichhatte er keine Hoffnung mehr auf eine gemeinsame Zukunft. „Wir bleiben gute Freunde, weil du mir trotz allem viel bedeutest und wenn du dir irgendwann ein Tattoo stechen lassen willst, dann gebe ich dir Prozente …“, meinte er damals lächelndzumir.Ichdachte,Freundezubleibenwärebesser als der Hass, den er die erste Zeit auf mich empfand.

Angesichts seines tätowierten Körpers sprachen wir oft darüber, dass wir früher oder später bunte Kinder bekommen könnten. IchmochteseinefarbenfroheHautundseinkleinesBäuchlein. Aber alles hat ein Ende, so auch unsere Geschichte …

Zehnvorhalbsechs,jetztmussteichmichsputen.Raschzog ich meine Sneakers an, setzte meine Sonnenbrille auf, nahm meine Tasche, steckte mein Handy in die Hosentasche, warf RuprechtschnelleinenKusszuundversperrtedieTür.

ZumeinerArbeithatteichesnichtweit,dennochbliebmir nichts anderes übrig, als zu laufen, um rechtzeitig zu Dienstbeginn anzukommen.

EineMinutevorhalb.Geschafft.Sehrknapp.

Meine Kolleginnen Anne und Pali waren schon dabei, den Bestand der Getränke zu prüfen. Eine lästige Aufgabe, die aber unausweichlich war, wenn man in der Gastronomie arbeitete. Das Zählen der einzelnen Getränkeflaschen nahm nämlich jedes Mal sehr viel Zeit in Anspruch.Da meine zwei fleißigen FreundinnenmeistvormirimPassionwaren,konnteich mich oft davor drücken.

„DuwohnstgleichumdieEcke,kommstabertrotzdemimmerals Letzte, Elea!“, sagte Anne zwinkernd zu mir, während sie mich zur Begrüßung umarmte.

„Sorry,aberRuprecht …“,legte ich los.

„Natürlich…“,kamvon Pali grinsend „… dein Kätzchen diesmal. Mach dir keinen Stress,dubistjapünktlich.Aberkönntestdubitteheutemit Anne im Lokal bleiben, bis alle Gäste draußen sind und mit ihr dann zusammen zusperren? Ich muss morgen früh aufstehen.

Daswäregroßartig.“

„Natürlich.Macheichmit Vergnügen!“Dasstimmte.Anne war mittlerweilemeinebesteFreundingeworden.Icharbeitete gerne mit ihr zusammen, mit ihr machte die Arbeit immer Spaß. WennsichdasPassionleerte,genehmigtenwirunsnicht selten mal den einen oder anderen Longdrink.

„Hallo, Eleachen. Hättest du morgen eventuell Zeit, nach vier für zwei Stunden reinzukommen? Ich bräuchte dringend Verstärkung.EswärenwirklichnurzweiStunden!“MeinChef Heiko – gestresst bat er mich im Vorbeigehen wieder mal, einzuspringen.

„Klar.KeinProblem.IchtreffemichnurmiteinpaarFreunden zum Brunch bei mir daheim, aber das wird sich alles locker ausgehen.“

„Perfekt.Danke.“

Wir unterhielten uns kurz über Belangloses, bevor der AnsturmimPassionlosging.Ichhattemeinenkontinuierlich gestresstenChef ins Herz geschlossen,genausowiedenRestderBelegschaft.Daich meine in Deutschland lebende Familie nicht so oft sehen konnte, fand ich in meinen Kollegen eine solche. Ich lebte gerne in Graz, mochte die Uni, die Menschen und die Altstadt.

NichtsdestotrotzvermissteichmeineElternund meinen kleinen Bruder schon sehr. Vor allem hatte ich oft große Sehnsucht nach meiner Mutter.

DasletzteMalhatteichsiezumeinemfünfundzwanzigsten Geburtstagvordrei Wochen gesehen.

KontakthattenwirdennochjedenTag.Ichmusste meiner Mama nach Dienstschluss immer eine Nachricht schreiben,wiedie Nachtverlaufenunddassich wohlbehalten zuHause angekommen war.

Der Dienstvergingschnell,obwohldas Lokal den ganzen Abend recht leerwar.DieGästewarengroßteilsangenehmundfreundlich. Außer einer kleinen Auseinandersetzung mit ein paar jungen Männern, die ein wenig über den Durst getrunken hatten und meinten, herumschreien zu müssen, passierte nichts Aufregendes.

Um kurz nach zwei Uhr morgens verabschiedeten sich die letzten Gäste. Ich wischte die Bar und die Tische ab, währendAnnemitihremFreundMickeytelefonierte,deraufdem Weg war, sie mit dem Auto abzuholen.

Es war ungefähr halb drei, als Mickey an der Tür klopfte. Meine FreundinundichtrankenschnellunserenAfter-Work-Cocktail aus und verschlossen dann die Tür zum Passion.

Während Anne ins Auto stieg,bot sie miran,michnachHausezu fahren.Ichlehnteab.DerkleineSpaziergangtatmirnachder ArbeitjedesMalsehrgut,erhalf,meinenKörperundGeist nach einem strapaziösen Abend wieder ins Gleichgewicht zu bringen.Zum Abschied gab ich den beiden einen Kuss auf die Wange und trat mitKopfhörern im Ohr den Heimweg an.

Die Gasse war düster wie jede Nacht, doch Angst hatte ich nie gehabt. Es war auch kein weiter Nachhauseweg, circa zwei Lieder gingensichimmeraus,bisichvormeinerHaustürstand.Nurin dieser einen Nacht …

Nicht einmal ein Song. Nach nur knapp einer Minute war Stille … Und es war finster, nein, es war schwarz.Wennesetwasgibt,dasschwärzeralsschwarzist, dann war es das …

Leere,Stilleund …Angst!

DerRaum

 

Benommen öffnete ich die Augen. Ein düsteres und dunkles Zimmer, ein winziges Fenster mit Stahlstäben in drei Meter HöheundeinkleinesBett,indemichlag.Vorsichtigtastete ich meinen Körper ab. Die erste Befürchtung war, dass mir jemand eine Niere oder ein anderes Organ herausgeschnitten haben könnte. Vor ein paar Tagen hatte ich eine Dokumentation über die Organmafia gesehen. Wie diese Organisation junge Menschen entführte, um dann ihre Eingeweide auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen.Außer dem Druck in meinem Kopf und dem leichten Schwindel schien allerdings körperlich alles zu passen.

VorsichtigtasteteichdieMatratzeab,derBezugdiesesalten Krankenhausbetteswarsteif,rauundfleckig.Langsamsetzteich mich auf. Meine Arme, auf die ich mich stützte, waren sehr wackelig und butterweich. Wie betäubt begann ich, an den braunen Flecken auf dem zerknitterten Leintuch zu kratzen. Erst nach genauerer Untersuchung wurde mir klar, dass diese dunklen Spritzer auf dem Stoff getrocknetes Blut waren. Mir wurde übel und der Raum begann leicht zu schwanken. Was war nur geschehen?

SachtelehnteichmichmitdemKopfandasfiligrane Bettgestell.

Ein leises, krächzendes „Hallo?“ brachte ich heraus, dann versagtemeineStimmeund mir fielen dieAugenzu.Wieder Dunkelheit!

 

„Wach auf, bitte, wach auf!“ Eine hysterische Stimme und starkesSchüttelnbeendetenmeinenSchlaf.„Oh,GottseiDank. Wer bist du? Und was machen wir hier? Und warum?“, überhäuftemichdieStimmemitFragenundwurdemitjedemWort etwas leiser und langsamer, bis da nur mehr ein Stammeln war.

Wieder versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Noch ein Mädchen? Dieses neue Puzzleteil half mir nicht weiter. Im Gegenteil, es warf nur mehr Fragen auf.

MeineGliederwarenschwerundinmeinemKopfhämmerteeswilder als zuvor.

„Ich weiß nicht!“, flüsterte ich, denn mehr Stimme hatte ich nicht. Ich blickte zu dem rothaarigen Mädchen hinunter, das meine Hand umklammerte und zusammengekauert neben dem Bett saß, in dem ich lag. Sie war bildschön. Ihre Haut so makellos und rein wie Alabaster, ihre glatten feuerroten Haare hingen bisknappüberdieSchulterundihrGesichtwarübersät vonkleinen,zartenSommersprossen.IhretraurigenblauenAugen ließen nicht ab von mir. Wahrscheinlich wollte das junge Mädchen –siekonntenichtälteralssiebzehnJahresein –nichtsehen, was um sie herum war.

„Ich war auf dem Nachhauseweg und kann mich an nichts mehr erinnern.MeinKopfdröhnt,irgendwermussmichbetäubthaben oderwasweißich …IchheißeübrigensElea.EleaSandal.Und du?“

„Jess.JessicaMorinzza“,antwortetedasHäufchenElendneben mir und fuhr fort: „Ich war gestern auf der Geburtstagsfeier meiner Freundin. Ich bin dann im Taxi eingeschlafen und hier neben dir auf dem Boden aufgewacht. Ich weiß nicht, was passiert ist. Meine Familie wird sich sicher Sorgen machen.“

„Das hoffe ich, dass sich unsere Familie und Freunde Sorgen machen und gleich die Polizei rufen.“

„Kannstdudirvorstellen,warumwirhiersind?“

„Nein.“DasWarumwarmirzuderZeitrelativegal, ich wollte nur wissen, wie wir aus dieser Gruft fliehen konnten, und ob es überhaupt möglich war.

 

Plötzlich öffnete jemand langsam die übergroße Tür. Jess krallteihreFingerinmeineHand.MeinAtemstockte, mein Herz schlug so laut, dass ich es hören konnte.

Drei Männer, groß, sichtlich stark und mit furchterregenden LedermaskenüberihrenGesichternstandeninderTür.DerMann rechts hielt eine Art Axt, die er abwechselnd von seiner rechten indielinkeHandfallenließ;derMannlinkshatteein Gewehr in der Hand, das man nur bei Jägern sah, die auf Hirschjagd in den Wald gingen.

Ehe ich die zwei Typen genauer musternkonnte,versteiftesichmeinevolleAufmerksamkeitauf den dritten Mann in seiner Lederkluft. Stolz hielt er ein schwarzhaariges Mädchen im Arm. Sie war offensichtlich bewusstlos,ihreAugenwarengeschlossenundihreGliedmaßen baumelten schlaff herunter.

Ichversuchte,nichtzuatmen.DieAngst,dassichlosschreien könnte, wenn sich mein Mund auch nur kurz öffnete, war zu groß. Darum hielt ich den Atem weiter an. Jess saß regungslos neben mir, nur ihre Hände zitterten.

Der Mann mit dem Mädchen im Arm kam näher. Wie hypnotisiert stand ich auf, um das Bett frei zu machen. Er legte sie übertriebenbehutsamdaraufundstrichihrübersHaar.Danach zogerdasLeintuchstramm,bevorerihrdieKleidungzurechtzupfte. Hand in Hand gingen Jessica und ich einen weiteren Schritt zurück.

DochalsdieserwiderlicheKerldemMädcheneinenKussaufdie Stirngab,wurdemirplötzlichfurchtbarübelundichrissmich von Jess los. Wütend und ohne nachzudenken, ballte ich meine Hände zu Fäusten und schlug mit beiden gegen den Oberkörper des Riesen. Natürlich richtete dieser Schlag nichtsaus.DieserMannwardreiKöpfegrößeralsich und ein Koloss.

„Was für kranke Arschlöcher seid ihr denn, was wollt ihr von uns?“, schrie ich ihm ins Angesicht. Meine Stimme war plötzlich wiederdaundunbeherrschtwollteichdiesesMonster weiterbeschimpfen.Letztlichleuchteteesmirein,dassmeine Wut vollkommen zwecklos war. Noch bevor ich mich beruhigen konnte, traf seine Faust mein Gesicht.

IchflogrückwärtsgegendiekargeMauerundbliebauf demBauch liegen.Undwieder …Stille …Dunkelheit.

 

„Sie kommt zu sich …“

DreiwunderschöneGesichterbeugtensichübermich.

„Jess,…wer?“,stammelteich.

 

„Lisa und Jules.“

Ich richtete mich auf. Mein Kopf hämmerte noch immer.IchschautedieMädchenan.DieSchwarzhaarigewarnun auch wach, aber wer war die Braunhaarige mit ihren rehbraunen Augen, die mich angsterfüllt anstarrte?

„Geht’s dir gut?“, fragte Jess. „Du warst eine Ewigkeit bewusstlos. Die drei Typen haben öfters geschaut, ob dein Puls nochschlägt,undvor etwaeinerhalbenStundehabensieLisazu unsgesperrt.Aberkeinevonunsweiß,wieundwarum,unddiese Monster sagen auch nichts.“

Lisa, das hübsche braunhaarige Mädchen hieß also Lisa. AbgesehenvonJessschienendieMädchennochbenebeltzu sein, ihre Blicke waren leer und emotionslos.

 

Ichversuchte,michandieWortemeinesbestenFreundesNicozu erinnern, als er damals mit mir für seine Polizeiaufnahmeprüfung gelernt hatte. Er erklärte seinerzeit, dass das Wichtigste bei Entführungen sei, die Ruhe zu bewahren und zu versuchen, seine Angst zu unterdrücken. Dann sollte man analytisch vorgehen und Zusammenhänge finden. Außerdem sei es lebenswichtig, auf Schwächen der Täter zu achten, denn jeder Mensch habeSchwächen,egalwiekräftigerzuseinscheint.Mandurfte nur nie seine eigene Kontrolle verlieren.

Beherztraffteichmichauf,schlossmeineAugen,holtedreimal tief Luft und zählte von fünf rückwärts auf null.

 

„DieTüristverschlossen,Jess?“,begannich.

„Ja,ichhabeschonwiewilddarangezerrt!“

„Gut, dann würde ich sagen, jede von uns soll kurz von sich erzählen, dann können wir sehen, ob wir Gemeinsamkeiten haben oderobwirwahlloszusammengepferchtwurden“,schlugichvor.

„Also, ich heiße Jessica Morinzza, bin letzten Monat sechzehn Jahre alt geworden, geh noch zur Schule, wurde in Kärnten geboren, lebe aber seit vier Jahren in Wien. Meine Eltern haben eine gut laufende Druckerfirma, mein Bruder ist zweiundzwanzig Jahre alt und studiert in Wien. Das ist so das Grobe von mir, so aufregend istmeinLebennicht, es bestehtausLernenundGeigenunterricht.“

 

„Lisa, dreiundzwanzig, seit zweieinhalb Monaten geschieden und von Beruf bin ich Buchhalterin bei Selcom. Eigentlich auch nicht so das spannendeLeben“,stammeltedasbraunhaarigeMädchen,bevordie Schwarzhaarige fortfuhr.

„Nun ja, ich bin Jules. Jules Leitnung. Mein Leben ist schon sehraufregend.Ichbinneunzehn,habeeineschöneWohnunginLinz, ich bin Model, reise dadurch viel in der Welt herum und verdiene nicht so schlecht. Ich liebe mein Leben, und dassichhierdrineingesperrtbin …Dasdarfnichtsein … Ich … ich … ich lebe auf der Sonnenseite, wisst ihr!?!“

DannwarichanderReihe,„IchbinElea,lebeinGraz,bin Durchschnittsstudentin, verdiene nicht viel, bin aber sehr zufrieden mit meinem Leben.“

„Undjetzt?“,fragtemichJess.

 

„Ichweißnicht,wirsindallekomplettverschieden.“ Dasstimmte,alsoZufallsprinzip,reflektierteichdie Situation stumm.

NunsaßenwirvierherumundhattensovieleFragenundkeine Antworten.

Während Jules die ganze Zeit apathisch versuchte, die Flecken aus ihrer hellblauen Leinenhose zu bekommen, riss Lisa in einer Tour am Reißverschluss ihrer Trainingsjacke herum. JessicabatLisa,daszuunterlassen,weilsiedasGeräuschnur nochnervösermachte.DaraufbegannLisa,sieanzubrüllen,dass sieihrenMundhaltenundsichumihreeigenenAngelegenheiten kümmern sollte. Jess begann zu weinen und Lisa stieß sie zur Seite, um zur Tür zu laufen. Sie begann gegen die Tür zu hämmern und um Hilfe zu rufen. Vergebens.

„Das bringt jetzt gar nichts. Wir müssen uns beruhigen. Herumschreien bringt uns nicht weiter“, bat ich die Mädchen undmeintedannentschlossen:„Ichversuche,zudemFensterzu kommen.“

MitwackligenKnienging ichdiefünfSchrittezuderMauerunter dem Fenster.

MitgroßerMüheschaffteich,denerstenMeterhochzuklettern. Ich hatte so wenig Kraft in meinen Armen, dass jeder Griff nachobenschmerzte.ImRaumherrschteinzwischenabsolute Ruhe. Noch ein Griff und ich konnte die Stangen fassen.

Geschafft …

Mein Magen drehte sich um, vor meinen Augen verschwamm alles. Meine Tränen kamen lautlos und meine Luft … „Atme, Elea, atme“, flehteich mich selbst an,alsichausdemFenstersah.Dochder Druck auf meiner Brust machte es mir fast unmöglich.

Alles weiß. So viele Bäume in einem riesigen Garten. Und an jedem Baum hingen junge Frauen. Alle tot. Der Wind ließ die FraueninihrenweißenKleidernleichthinundherwehen.Ich war hypnotisiert, konnte es nicht realisieren und wollte es schon gar nicht wahrhaben. Waren wir Opfer von irgendwelchen perversen Sammlern?

Noch immer an den Stangen festgekrallt schossendieGedankennursodurchmeinenKopf.Wardasjetzt das Ende für uns? Niemand wusste, wo wir waren, und wenn sie es herausfänden, würde es dann zu spät sein? Ja, sicher, an den Bäumen hingen mindestens dreißig, vierzig Leichen, und die waren auch nicht gefunden worden. An manchen hingen nur mehr KleiderfetzenandenKnochen.DerTodvonsomanchermusste schon Monate, wenn nicht Jahre her sein.